ra-2R. StolzmannBöhm-BawerkN. Bucharinvon Wieser    
 
RUDOLF STOLZMANN
Die Kritik des Objektivismus
[3/3]

"Woran sie alle zugrunde gehen  mußten,  ist ihr naturalistisches (materialistisches) Quantitätsprinzip in Verbindung mit dem grautheoretischen Gedanken einer abstrakten Produktionsgemeinschaft."

"Jede  Natur betrachtung operiert mit der Kausalität und mit  Mengen maßen. Dagegen wohnt der Kategorie der Regelung die  Zweckidee  und der Begriff der sozialen Funktion begrifflich inne. Die sozialorganische Betrachtung sieht in den Quantitäten nur  variable  Zweckgrößen, im Gegensatz zum volkswirtschaftlichen Naturalismus, dessen Lehren zum Mittel- und Ausgangspunkt das ursächliche Verhältnis  fester und gegebener  Quantitäten haben, wie es sich im Gesetz von  Angebot und Nachfrage  darstellt, diesem Allerweltsgesetz, nach dem sich auch der  Wert  der Güter bestimmen soll."

"Wie  Marx  das Kapital ein Produktions verhältnis  nennt, so sind auch alle anderen Güter und Leistungen bei sozialer Betrachtung nicht als  Dinge,  sondern als  soziale Verhältnisse,  besser als Ausdruck von solchen vorzustellen. Erst mit dieser Anschauung wird allgemein das überwunden, was  Marx  den  Fetischismus  der Ware nennt. Es ist ein für allemal aus mit Gütern und  Güterhaufen Böhm-Bawerkscher  Fraktur. Alle ökonomischen Begriffe und Größen lösen sich in sozialorganische  Funktionen  auf."

"Die volkswirtschaftlichen Erscheinungen hängen letztlich viel weniger von subjektiven Motiven der handelnden Personen, als umgekehrt die bewegenden Motive von der  Macht  der  objektiv  gegebenen Verhältnisse ab. Selbst der Wirtschaftsmensch mit seinem Egoismus betätigt sich nur innerhalb der gegebenen Verhältnisse, indem er sie  ausnützt  und sich im gegebenen Bau der vorher gegebenen Sozialverhältnisse häuslich einrichtet. Seine persönliche  Macht  geht über einen Umweg, über die sozialorganisch bestimmten Bahnen."


5. Arbeitslohn, Kapitalgewinne und Grundrente
als sozialnotwendige Abfindungen

Die naturalistische und die sozialorganische Methode treffen in ihren äußerlichen Ergebnissen vielfach zusammen, ähnlich wie man den Lauf der Gestirne ebensowohl nach dem geozentrischen wie nach dem heliozentrischen Weltensystem so leidlich bestimmen kann und nach dem ersteren lange genug für den praktischen Gebrauch hinreichend bestimmt hat. So lassen sich dieselben volkswirtschaftlichen Tatsachen  scheinbar  zweifach, nämlich entweder durch Naturnotwendigkeit  oder  aber ebensogut durch Sozialnotwendigkeit erklären. Es ist deshalb begreiflich und verzeihlich, wie bei der Gleichheit der äußeren Folgen die inneren Gründe ihrer erkenntnistheoretischen Ableitung miteinander vermengt wurden, so daß man die große Kluft nicht sah, die beide Methoden wie Weltanschauungen voneinander trennt. Wenn man der naturalistischen Schule entgegnet, daß der ungeahnte langandauernde Aufschwung der letzten 50 Jahre ihre Lehre der naturnotwendigen Minimalabfindungen Lügen strafe, so würden sie sich dadurch nicht für geschlagen halten. Der Grund des Aufschwungs, würden sie entgegnen, liege in der Förderung des einen der beiden antagonistischen Elemente, die MILL (siehe oben) den Göttern des Lichts verglich: der Technik der Erzeugung und des Beförderungswesens, des langen Friedens und der Zunahme der Rechtssicherheit. Die Bevölkerung sei einfach in den unglaublich erweiterten Nahrungsspielraum hineingewachsen, der aufzuteilende Mehrertrag der Volks- und Weltwirtschaft habe deren Hebung überall gestattet und befördert. Der Satz von der Naturnotwendigkeit der Abfindungen behalte in allen Stücken Recht.

Schon die Klassiker haben hier zwei verschiedene Erklärungsarten zur Hand, eine für die Fülle und eine andere für die Kargheit der Natur. Nach ihrer Kernlehre können die Abfindungen ebensogut hoch wie niedrig sein, je nach der jeweiligen Ergiebigkeit des Kulturrandes.  Daneben  aber haben sie für den Handgebrauch eine zweite Garnitur in der anderen Theorie bereit, die dem Satz RICARDOs gerecht wird, "daß alle außerordentlichen Gewinne (was entsprechend auch auf den Arbeitslohn anzuwenden ist) ihrer Natur (!) nach nur von beschränkter Dauer sind". Mit Recht nennt RODBERTUS diese zweite Theorie, die sich auf die steigende Unergiebigkeit gründet, eine bloße akzessorische  Modalität  der ersteren, obgleich sie, wie er zutreffend ausführt, von entscheidendem Einfluß für die Ausbildung der klassischen Lehre vom Arbeitslohn  und  Kapitalgewinn, und so aus einer Nebensache zur Hauptsache geworden sei. Ihr kam dann die inzwischen emporgediehene MALTHUSsche Bevölkerungstheorie zur Hilfe, durch die nun, so in der oben wiedergegebenen Lehre MILLs, die ganze Lehre auf eine große Formel gebracht wurde. Nur so gewann man einen festen theoretischen Halt für die Aufstellung der Grenzabfindungen, und man konnte, wie es der Fall gerade erforderte, bald die eine, bald die andere Theorie ausspielen. Wie das im Einzelnen nicht ohne Widerspruch abging, habe ich im "Zweck" (Seite 386f und 403f) eingehender entwickelt.

Die sozialorganische Methode bedarf weder des einen noch des anderen Hilfsmittels, sie gründet, unabhängig von der Annahme der Enge oder Weite des Nahrungsspielraums, ihre Lehre von Haus aus auf das einheitliche Prinzip der sozialnotwendigen Grenzsätze, das sich aus dem immanenten  Zweck  der geregelten Volkswirtschaft in ihrer dreiklassigen Schichtung ergibt. An die Stelle der Dreigliederung der technischen Produktionsfaktoren tritt die Dreigliederung der gesellschaftlichen Klassen. Umfang und Wesen aller drei Abfindungen, wie aller übrigen Werterscheinungen sind durch ihre soziale Zweckbestimmung gegeben, welche MARX in klassischer Kürze dahin beschreibt, "auf die Dauer  Bedingung der Zufuhr,  der  Reproduktion  der Ware jeder Produktionssphäre zu sein". Es ist das nur ein anderer Ausdruck für das, was ich mit sozialorganischer Notwendigkeit bezeichne.


Über das sozialorganische Wesen des  Arbeitslohnes  im besonderen ist an dieser Stelle nur noch weniges nachzutragen. Es gibt keinen "natürlichen" Arbeitslohn, weder im Sinne der ersten noch der zweiten geschilderten Erklärungswege. Er ist weder natürlich im Sinne des sogenannten "ehernen" Arbeitslohnes, der nur hoch genug ist, "um die Arbeiter, einen mit dem anderen, instand zu setzen, zu bestehen und ihr Geschlecht fortzupflanzen, ohne Vermehrung oder Verminderung" (RICARDO, Seite 66), noch im Sinne der "Kerntheorie", nach der je nach dem Stand der natürlichen Ergiebigkeit im Verhältnis zum jeweiligen Stand der Volksvermehrung auf- und niedersteigt. Hier kann uns weder die  Paralleltheorie  helfen, die den Lohn mit der Enge des Nahrungsspielraums und der dadurch verursachten Erhöhung des Getreidepreises steigen, noch die  Konträrtheorie,  welche ihn mit der Erhöhung des Brotpreises sinken läßt. Vielmehr habe ich im Anschluß an KARL DIEHLs historisch-statistische Untersuchungen ("Zweck", Seite 452) die Tatsache hervorgehoben, daß der Arbeitslohn in den neueren Zeiten, immer unbekümmert um Parallel- und Konträrtheorie, "unentwegt" in die Höhe gegangen ist, ohne Beeinflussung durch die abwechselnde Höhe der Getreidepreise. Der Grund kann nur sozialorganischen Ursprungs sein, er liegt in den sittlich-sozialen Errungenschaften unseres Zeitalters. Zu den urwüchsigen "Sitten und Gebräuchen des arbeitenden Volkes", die schon nach RICARDO das "moralische Minimum" des Lohnes mitbestimmen, zur Macht der Gewohnheit und des Herkommens ist heute die bewußte und organisierte Selbsthilfe der Arbeiter, der gesellschaftliche Gemeinsinn hinzugetreten, der in der öffentlichen Meinung das Amt eines Richters vollzieht, die Religion mit ihrer erhabenen Lehre vom praktischen Christentum, die Staats- und Sozialwissenschaften, ein erleuchteter Arbeitgeberstand, der die Zeichen der Zeit würdigt und schließlich der starke Arm des Staates, der durch seine immer eindringlichere Sozialgesetzgebung das Werk dort fortsetzt, wo die Privat- und Selbsthilfe nicht hinlangt.Wer möchte angesichts dieser Tatsachen heute noch leugnen, daß erst diese sozialen Faktoren die bloße  Natur möglichkeit der Standarderhebung in die Sozialnotwendigkeit und in die Wirklichkeit umgesetzt haben, und daß ohne sie trotz aller Errungenschaften unseres "naturwissenschaftlichen" Zeitalters das "eherne" Lohngesetz seine traurige Arbeit verrichtet hätte? Ja, es bleibt die große Frage offen, ob all jene sittlichen und organisatorischen Fortschritte die Lebenshaltung des Arbeiters schon immer ganz bis zur Obergrenze des  potentiellen  Nahrungsspielraums emporgehoben d. h. ihn ganz "ausgenützt" haben. Nur die Anhänger des Satzes vom "natürlichen" Arbeitslohn, all die Leute, die nichts gelernt und nichts vergessen haben, können die Frage keck  bejahen.  Hier lassen uns alle Theorien der  natürlichen  Grenzabfindungen im Stich, die der objektivistischen wie der subjektivistischen Richtung.


Dasselbe gilt vom  Kapitalgewinn  und seinen Gesetzen, auf deren  Parallelität  mit denen des Arbeitslohnes wir wiederholt hinwiesen. Der Kapitalgewinn steht mit dem Arbeitslohn mitnichten in einem ehernen Verhältnis  komplementärer  Größen. Die Behauptung RICARDOs und MILLs trifft nicht zu, wonach die Erhöhung des Arbeitslohnes die Erniedrigung des Kapitalgewinns deshalb notwendig mit sich bringt, weil er für ihn einen kleineren Rest übrig läßt. Der Kapitalgewinn folgt seinen eigenen, ursprünglichen Gesetzen (siehe oben). Steht jeder Betrieb still, wenn er nicht einmal den Lohn der beschäftigen Arbeiter einbringt, so ist dies in erhöhtem Maß der Fall, wenn er keinen Gewinn für den kapitalistischen Unternehmer abwirft, dessen Bezug  für ihn  der einzige  Zweck  und, wie wir sahen, die "Bedingung der Zufuhr und Reproduktion" der kapitalistischen Warenerzeugung bildet. Die kapitalistisch geführte Volkswirtschaft  bedarf der Kapitalisten,  sie müssen also einerseits das Minimum erhalten, was zur Durchführung ihrer Funktionen erforderlich ist, andererseits wird die Obergrenze, das Maximum des Gewinnbezugs, auf den Satz beschränkt, auf welchen die eigene Konkurrenz der Kapitalisten ihn herabdrückt.

Ich wußte und weiß deshalb keine schlichtere und durchsichtigere Formulierung des Gewinngesetzes als die in der "Sozialen Kategorie" und im "Zweck" vorgeschlagene: die Höhe des Kapitalgewinns richtet sich  auf die Dauer  nach dem Umfang, der nicht höher und nicht niedriger sein kann, als daß er die großen und kleinen kapitalistischen Unternehmner  nachhaltig  zur Erfüllung ihrer sozialorganischen Aufgaben bestimmt. Da aber, wie selbst von BÖHM-BAWERK jetzt ("Kapital" I, Seite 344f) anerkennt, überall der Satz gilt, daß bei den Betrieben, die mit verschieden großem Kostenaufwand arbeiten, diejenigen Grenzbetriebe entscheiden, welche zur vollen Versorgung des Marktes noch noch notwendig sind, so folgt daraus meines Erachtens mit zwingender Notwendigkeit der weitere Satz: Das Kapital muß so viel an Prozenten abwerfen, daß daraus im großen Durchschnitt die Klasse der letzten und kleinsten Kapitalisten  (wirklichen  Kapitalisten, nicht etwa Handwerker, die  auch mit  Kapital arbeiten) noch das zeit- und standesgemäße Einkommen bezieht. An die Stelle der auch von BÖHM-BAWERK übernommenen Lehre THÜNENs, wonach die Höhe des Kapitalgewinns von der Ergiebigkeit des letztangewendeten Kapital teilchens  bestimmt wird, tritt die Lehre von der sozialnotwendigen Abfindung des letzten  Kapitalisten  ("Zweck", Seite 291 und 416). Sie ist nur eine Umsetzung der ersteren in das Persönlich-Menschliche und Soziale.

Aber ich halte nicht eigensinnig an meiner Formulierung fest, es kommt mir nur auf den Kerngedanken der sozialnotwendigen Grenzsätze an. Möge man versuchen, eine bessere Formel zu finden, ich lade freundlichst dazu ein; aber ich glaube nicht, daß es auf einem anderen als dem sozialorganischen Weg gelingen kann, nachdem alle  naturalistischen  Erklärungen gescheitert sind, so die aus der Produktivität, der natürlichen "Nutzung" der Kapitalgüter und dem Zeitablauf. Es gibt zurzeit überhaupt keine unbestrittene Kapitalgewinntheorie, nachdem auch die letzte, die von BÖHM-BAWERKs, wohl mit ihrem Urheber zu Grabe gegangen ist (vgl. auch von ZWIEDINECK in "Schmollers Jahrbuch" 1914, Seite 498f). Woran sie alle zugrunde gehen  mußten,  ist ihr naturalistisches (materialistisches) Quantitätsprinzip in Verbindung mit dem grautheoretischen Gedanken einer abstrakten Produktionsgemeinschaft.

Von diesem Gedanken hat sich selbst RODBERTUS nicht ganz freigemacht, geschweige den MARX. Schon KNIES hat die Anschauung des Ersteren zurückgewiesen, sich die ganze Gesellschaft  in einem  Arbeiter,  einem  Grundbesitzer und  einem  Kapitalisten vorgestellt ("repräsentiert") zu denken ("Zweck", Seite 369). Und was MARX betrifft, so ist auffällig, wie sich die Extreme berühren: MARX und von BÖHM-BAWERK! MARX geht von einer Gesamtgröße des Kapitalprofits aus, der "vom Gesamtkapital der Gesellschaft ... produziert", sich hinterher als Durchschnittsprofitrate auf die einzelnen Kapitalisten, wie unter "bloßen Aktionären einer Aktiengesellschaft", verteilt. Und so läßt auch von BÖHM-BAWERK einen abstrakten Gesamtdividendus wenigstens innerhalb der einzelnen Produktionszweige verteilen. Er sagt in "Strittige Fragen" (Seite 103), daß die "Erhebung der einzelnen technischen Produktionsstadien" eines Gutes "zu selbständig arbeitsteiligen Unternehmungen heutzutage außerordentlich oft" (nur? "oft") vorkommt, schließlich aber doch nur eine "Zufälligkeit" (!) ist, welche weder mit dem Wesen des Kapitalzinses noch mit den dauernden Gesetzen seiner Höhe etwas zu tun hat, noch zu tun haben kann. Es müßten vielmehr "alle Teilbetriebe, die miteinander an der Herstellung eines bestimmten genußreifen Endprodukts zusammenwirken, aus diesem Endprodukt als einer gemeinsamen Quelle ihre Vergütung finden. Der Wert des Endprodukts (welcher  ist  denn das und wie steht es um die Konnexität und die Produktionsverwandtschaft aller  anderen  Endprodukte?) "ist der einheitliche Dividendus". Es sei also die Höhe des Zinsfußes "abhängig von der Ergiebigkeit der letzten noch gestatteten Produktionsverlängerung ... im Durchschnitt des betreffenden (?) produktiven Gesamtprozesses ... Der durch sie herbeigeführte absolute (!) Mehrertrag wird auf die gesamte im betreffenden Produktionsprozeß kombinierte Arbeit repartiert" [zugewiesen - wp] (!).

Wir begegnen hier wieder der Verkennung der Rolle, welche die Individualwirtschaften in der Volkswirtschaft spielen, mit anderen Worten, jenem Subjektivismus, der ins Überobjektivistische umschlägt, das "Subjekt" vergißt, und der in dem mir entgegengehaltenen Satz von BÖHMs gipfelt:
    "Wenn es irgendetwas gibt, was ... nicht Ursache, sondern Wirkung der Existenz und Höhe des Kapitalzinses ist, so ist es der Lebensfuß der Kapitalistenexistenzen. Es gibt kein Besitzeinkommen, bezüglich dessen eine produktionstechnische (?) oder sonstige (?) sozialwirtschaftliche (sic) Notwendigkeit bestünde, daß es seinen Mann mit  Kapitaleinkommen  auf einem bestimmten Fuß nähren muß!"
Was für ein Widerspruch mit der Anerkennung (siehe oben), daß der Kapitalist nicht ohne Gewinn leben kann, wie der Arbeiter nicht ohne Arbeitslohn, und mit dem weiter oben wiedergegebenen Geständnis, daß Grenzsätze und Grenzvergütungen entscheiden! Der "Gesamtprozeß" steht weder zeitlich noch logisch  vor  den Einzelunternehmungen, sondern ist erst deren Ergebnis, sie sind nicht seine automatischen Werkzeuge; er steht nicht über ihnen in den Lüften, sondern erst das Wechselverhältnis des Gesamtprozesses  und  der Sonderzwecke ergibt das Wesen des Organismus und seiner Glieder ("Zweck", Seite 368-371, 409-413 und "Subjektivismus", Seite 184).
    Es ist hier nicht der Ort, all die gehäuften und ins Unendliche noch zu vermehrenden Bedenken wiederzugeben, welche ich in meinen beiden Büchern gegen  von Böhm-Bawerks  Kapitalzinstheorie vorgeführt habe. Ich greife hier nur andeutungsweise diejenigen heraus, die mit der Quantitäts- und naturalistischen Gesamtprozeßvorstellung mehr oder weniger zusammenhängen. Es sind diejenigen, welche die Unzulänglichkeit der Zinsableitung aus dem "Mehrertrag der letzten noch gestatteten Produktionsverlängerung" betreffen und worin, wie  von Bortkiewicz  in seinem Aufsatz "Die Kardinalfehler der Böhmschen Zinstheorie" sagt, ich "wirklich ihren schwächsten Punkt aufgezeigt" habe ("Zweck", Seite 320). Ich verweise ferner auf die von mir nachgewiesene Unmöglichkeit, aus der technischen Produktionsverlängerung heraus eine sozialorganische Abfindung zu begründen ("Zweck", Seite 320), sodann auf das Schiefe, das Wesen des Kapitals in einer solchen Produktionsverlängerung zu suchen und je nach deren Ausdehnung gar von  Graden  des "Kapitalismus" zu sprechen ("Zweck", Seite 343), ferner auf die Duplizität der Theorie, die nacheinander mit zwei ganz verschiedenen Kapitalbegriffen operiert,  erst  mit dem Kapital als "produziertem Produktionsmittel" und  dann  in einem kühnen Schwenk (Kap. II, Seite 525) mit dem Kapital als "nationalem Subsistenzfonds", und demgemäß erst den Kapitalgewinn aus der technischen Überlegenheit "gegenwärtiger Produktionsmittel", und dann plötzlich und widerspruchsvoll ihn aus der Überlegenheit der "gegenwärtigen Genußmittel" herleitet ("Zweck", Seite 321f). Schließlich liegt auch dieser zweiten Theorie wieder ein Gedanke zugrunde, der eine Art Ausbeutungs- oder Machttheorie darstellt. Denn a. a. O. Seite 572f führt von BÖHM als "Ergebnisse" seiner Lehre folgendes aus:

    "Was sind also die Kapitalisten für Leute? - Kurz gesagt, sie sind  Händler, die Gegenwartsware feilhaben  ... glückliche Besitzer, ... Die vorteilhaft eingehandelte Zukunftsware (besonders Arbeit) wird immer wieder zur Gegenwartsware, wächst dabein in den vollen Gegenwartswert hinein ... Gegenwärtige Güter braucht jeder absolut notwendig, um leben zu können. Wer sie nicht hat, muß sie um jeden Preis zu erwerben suchen ... Der Besitzlose ... tritt in diesen Handel ... in einer ungünstigen Stellung ein ... Auf dem Markt für Gegenwartsgüter steht also eine Mehrzahl in einer Zwangslage (!) befindlicher Käufer einer Minderheit von Verkäufern von Gegenwartsgütern gegenüber - ein Verhältnis, das offenbar von Haus aus (!) dem Verkäufer günstig, dem Käufer ungünstig ist."

    von Böhm-Bawerk  behandelt auch hier wie alle Quantitätstheoretiker die Marktverhältnisse von Angebot und Nachfrage als  gegeben während es doch auf den tieferen sozialorganischen Grund ankommt, woher  sie  sich bestimmen, woher dieses Marktergebnis entsteht und immer  von Neuem  erzeugt wird. Da ist es nun nach seinen eigenen Ausführungen letztenendes der  Zwang  der Regelung, es sind die durch die gegebene Gesellschaftsordnung bedingten  Besitzverhältnisse,  aus denen sich das angebliche "Agio" für die Kapitalisten erklärt, kurz die Binsenwahrheit, daß es Arbeiter und Kapitalisten gibt.
Was noch über die Kritik der  objektivistischen,  d. h. klassischen Kapitalzinslehre nachzutragen ist, läßt sich am besten mit der nun folgenden Behandlung der Grundrentenlehre verbinden.


Fällt die Lehre vom naturgegebenen Kulturrand, so muß sich auch die hergebrachte Lehre vom  dritten  großen Einkommenszweig, die  Grundrentenlehre,  eine Umwandlung an der Wurzel gefallen lassen, zumindest in der immer noch herrschenden Gestalt, die ihr RICARDO gegeben hat. Mit den bisher beliebten beiläufigen "Korrekturen" ist es nicht getan. Zwar bleibt auch dann die Grundrente der Rest, besser der Überschuß, den die Bodeneigentümer nach der Abfindung der Arbeiter und Kapitalisten für sich "reklamieren". Denn dieser Überschuß ist eine  Tatsache,  deren bloße Hervorhebung das ewige Verdienst ihres Urhebers bleibt, und von der alle Theorien auszugehen haben. Aber sein Wesen und Maß ergibt sich dann nicht mehr aus den gleichbleibenden Naturgesetzen, sondern aus der Resultante der sozialorganischen Gestaltungen. Die bloße  Tatsache  des Überschusses bedarf erst der wissenschaftlichen  Erklärung.  Es bleibt sonst die triviale Wahrheit übrig, daß sich die  Differenz  der Renten untereinander nach der verglichenen Fruchtbarkeit richtet, es bleibt nur die Tatsache der  Differentialrente. 

Die Lücke der Erklärung  konnten  eben die Klassiker mit ihrem naturalistischen Apparat nicht ausfüllen. RICARDO versuchte es auf zwei verschiedenen Wegen ("Zweck", Seite 375f und 442).  Zuerst  suchte er nach einem "schlechtesten Boden", der frei verfügbar im Überfluß daliegt; der Ertrag dieses Bodens ergibt, wie er meint, die Höhe des Gewinns und des Lohnes, die deshalb in einem ehernen Verhältnis zueinander stehen, insofern der Kapitalgewinn sich mit dem begnügen muß, was die Vergütung der Arbeiter übrig läßt. Das ist die erste Methode.  Dann  sieht er ein, daß wegen der durchgängigen Verteilung der Erde heute in den alten Kulturstaaten kein Boden vorhanden ist, der keine Rente abwirft, und jetzt behilft er sich mit einer zweiten Methode. "Alsdann", sagt er Seite 297, "würde der Betrag der Rente des schlechtesten Bodens in einem geraden Verhältnis stehen zum Überschuß des Tauschwerts des Erzeugnisses über die Kapitalauslagen  und  den gewöhnlichen (!) Kapitalgewinn".  Er schwenkt also:  Der Ertrag des letztangewandten  Kapitals  rückt an die Stelle des letztbenauten  Bodens,  und die Rente ist letzthin "der Unterschied zwischen den Reinerträgen zweier gleicher Mengen von Kapital (!) und Arbeit in ihrer Anwendung auf den Boden". Das ist aber ein unzulässiges  Quidproquo  [dieses für jenes - wp]. RICARDO hat außer acht gelassen, daß er, um jenes  x,  den "gewöhnlichen", den "üblichen" Kapitalgewinn, zu gewinnen, erst künstlich den festen Punkt der Betrachtung im  Boden  aufsuchen mußte, der keine Rente bringt und  aus dem  sich erst der Gewinn  ergab.  Jetzt muß er dieses ganze Fundament seiner Lehre abtragen, er operiert mit dem "üblichen" Gewinn als einer gegebenen Größe: die Rente ist der Überschuß über zwei Unbekannte, nämlich über den angeblich "natürlichen" Arbeitslohn und über den üblichen (!) Kapitalgewinn. Er beginnt die Erklärung von hinten und zwar mit der Tatsache, die erst zu  erklären  war. Die sozialorganische Methode vermeidet dieses Dilemma. Sie bedarf nicht erst eines Lückenbüßers, sei es des Ertrages des  letzt bebauten Bodens, sie es des  letzt verwendeten Kapitals. Sie erklärt Kapitalgewinn  und  Arbeitslohn aus ihren  ursprünglichen  sozialen Funktionen.

Aber dieser Gewinn ist nicht der einzige: Es ist dann  ferner  nicht mehr das Gewaltmittel erforderlich, die Erzielung eines  positiven  Reichtums, den die Rente nun einmal darstellt, aus dem diametralen Gegenteil, aus der Kargheit und Armut der Natur zu begründen. Die Natur ist dann nicht mehr, wie RICARDO sagt, ein "bloßer Nennwert, eine bloße Übertragung eines Vermögens von einer Bürgerklasse auf die andere, ein bloßes Erzeugnis derjenigen Preiserhöhnung, welche der Verkäufer infolge eines besonderen Vorzuges erlangt" (Seite 168 und 369), nämlich dadurch, daß mit der stufenweisen Vorrückung des Kulturrandes immer ein Teil desjenigen Ertrages, der früher den Kapitalgewinn ausmachte, in Grundrente verwandelt wird und überdies als Geldgrundrente einen immer höheren Tauschwert erhält. In Wahrheit ist keine Rente auf die Dauer denkbar, wenn die Rohprodukte, aus deren Verkauf sie sich ergibt, kein wirkliches  Mehr  an  natürlichem  Reichtum, an effektivem  Gebrauchs wert umschließen. Man wird während der ganzen Lektüre des RICARDOschen Hauptwerks nie recht die Frage los.  woher  denn eigentlich das  sachliche  Substrat zu entnehmen ist, aus dem die immer höhere Grundrente sich hervorzaubern soll, wenn, wie er doch meint, die Gegentendenz einer zeitweiligen Kulturverbesserung nur immer für vorübergehende Zeiträume den Nahrungsspielraum erweitert und dann eine bloße sukzessive Übertragung aus Anteilen darstellt, welche auf den zurückliegenden Stufen  Kapitalgewinn  ausmachten, wie diese RICARDO (Seite 88) zahlenmäßig versinnbildlicht. Es hängt das wohl mit der oben gerügten unorganischen Auffassung des Kapitals als einer einmal gegebenen und bleibenden  Ansparung  von Güterstücken zusammen. Aber, der Sparsinn in allen Ehren,  woher  soll denn der  Stoff,  die Masse dieses natürlichen Reichtums an leibhaften unmittelbaren und mittelbaren Mitteln der Bedürfnisbefriedigung entnommen werden, den überdies Lohn und Steuern bei der zunehmenden Unfruchtbarkeit wachsend verschlingen? Und woher soll denn gar die z. B. von MILL zugegebene zeitweilige "Kapitalübersättigung" stammen, die erst durch den "heilsamen Aderlaß" der Krisen und das Überfluten des Kapitals in die Kolonien sanieren läßt? ("Zweck", Seite 272) Es bleibt ein Rätsel, wie die wachsende Kargheit der Natur gerade dem Kapital zu einer Überfülle verhelfen soll. Es müßte schon vom Kapital gelten, was  Moses  von den Israeliten in Ägypten sagt: je mehr man sie drückte, desto gewaltiger vermehrten sie sich!

Unsere Theorie dagegen ist wohl imstande, diese Rätsel zu lösen und sie gewährt uns zugleich einen theoretischen Einblick in die Nützlichkeit oder Schädlichkeit gewisser sozialpolitischer Maßnahmen. So habe ich an ihrer Hand besonders die Klärung des umstrittenen Gebiets der Handels- und Schutzzollpolitik versucht. Ich muß auf meine eingehenden Untersuchungen im "Zweck", Seite 486-524 verweisen. Hier seien nur in summarischer Kürze einige Hauptpunkte berührt.

Sie betreffen vor allem das sogenannte  Bodengesetz,  das Gesetz der  diminishing returns [verminderten Ertrag - wp], wonach eine vermehrte Anwendung von Kapital und Arbeit auf den Boden einen im Verhältnis kleineren Ertrag ergibt. Dieses rein technisch-naturwissenschaftliche Gesetz ist meines Erachtens durch ein anderes,  volks wirtschaftliches, sozialorganisches Gesetz zu ersetzen, das ich, unmaßgeblich, das  soziale Bodengesetz  genannt habe. Es lautet: Die Überziehung des nationalen und schließlich auch des internationalen Bodens mit Eigentumsmaschen drückt selbst im fruchtbarsten Land Arbeit und Kapital  in the long run [auf lange Sicht - wp] auf ihre sozialnotwendigen Abfindungen herab und drängt auf einen  sozial  bedingten "Kulturrand". Dieser Kulturrand, diese Abfindungen müssen sich selbstredend innerhalb der natürlich (technisch) möglichen Schranken des  potentiellen  Nahrungsspielraums halten. Der "Stoff" darf niemals über dem Prinzip der Regelung vernachlässigt werden, und auch der Staat hat die Pflicht, die Förderung der Technik und des Gewerbebetriebes, der Volksbildung und aller wirtschaftlichen Tugenden, kurz aller produktiven Kräfte der Nation, immer im Auge zu behalten, zumal in einem Land, wie dem unsrigen, das im verglichenen Naturreichtum keineswegs allen anderen Ländern voransteht. Ich habe immer wieder eindringlichst auf diese selbstverständlichen  Vorbedingungen  des volkswirtschaftlichen Gedeihens hingewiesen, zur Vermeidung von Mißverständnissen und zur Abwehr eines Optimismus, als ob sich die Produktion beliebig nach Maßgabe einer stetig steigenden Nachfrage der Bevölkerung ins Ungemessene vermehren lasse ("Soziale Kategorie", Seite 8; "Zweck", Seite 430 und 503f). Aber andererseits muß sich das Moment der natürlichen Ergiebigkeit statt der anspruchsvollen Rolle einer  Ursache  mit der bescheideneren einer  Bedingung  zufrieden geben. Zum Kern der Volkswirtschaft wird der soziale  Zweck gedanke, wie er in der jeweiligen Regelung der Volkswirtschaft seinen körperlichen Ausdruck findet. Die natürlichen Elementarfaktoren sind bloße  Mittel  zur Erfüllung eines höheren Zwecks. Dieser ist nicht zu fördern durch eine bloße Produktionsvermehrung und eine Anhäufung von Güterballen, nicht, wie von BÖHM-BAWERK meint, durch die "Auffrischung" der sinkenden Skala der Mehrerträge", sondern vor allem durch die sozialen Veranstaltungen, welche die "Auffrischung" der sozialen Abfindungen bezwecken, durch all die großen und kleinen Mittel der Selbsthilfe und der Staatskunst.

Zu jenen Mitteln gehört unter Umständen auch der Schutz-, insbesondere der  Getreidezoll.  Es liegt eine nicht auszudenkende Oberflächlichkeit in dem allbeliebten Rückschluß, daß,  weil  in Europa, in Deutschland zurzeit nicht mehr als ein gegebenes Quantum an Rohprodukten erzeugt und tatsächlich ein nicht unerheblicher Bruchteil des Bedarfs aus dem Ausland bezogen wirden, dies auf einer natürlichen Notwendigkeit beruth, daß nur ein böser Wille und Klasseninteresse sich dieser elementaren Einsicht verschließen kann und sich gegen die Öffnung der Zollschranken hartnäckig sperrte. Demgegenüber ist zu betonen: das technische Bodengesetz, das Gesetz der  diminishing returns  ist zwar eine unzweifelhafte Naturtatsache, ein "ewiges" technisches Produktionsgesetz ("Zweck", Seite 432). Aber man hat im gegeben Fall immer erst zu untersuchen, wie weit seine  soziale  Wirkung reicht; es kann die natürliche Ergiebigkeit des reichsten Landes infolge des  sozialen  Bodengesetzes und der aus ihm folgenden Herabsetzung der Grenzabfindungen  unausgenutzt  bleiben, weil der Segen verkümmert wird und es nicht gelingt, den effektiven auf die Höhe des potentiellen Nahrungsspielraums zu erheben. Andererseits kann in einem ärmeren Land, durch die Auffrischung der sozialen Vergütungen, innerhalb des natürlich möglichen Rahmens dem erbarmungslosen Konkurrenzgesetz entgegengewirkt werden.

Was aber das Verhältnis der Länder untereinander betrifft, so ist hier bisher allzusehr die Tendenz einer internationalen Nivellierung unbeachtet geblieben. Wie kommt es, daß in so gesegneten Ländern wie Nordamerika, Australien und auch Frankreich, die im Verhältnis zu Deutschland und dessen auf Quadratkilometer berechneter viel stärkerer Bevölkerung einen ungleich größeren natürlichen Spielraum haben, dennoch keinen entsprechend höheren Arbeitslohn und Kapitalgewinn aufweisen? Wie kommt es, daß auch bei ihnen überall dieselbe  soziale Frage  auftaucht? Der Schluß liegt nahe: Alle diese Länder, selbst das Land der unbegrenzten natürlichen Möglichkeiten, Amerika, haben die  sozialen  Möglichkeiten und Notwendigkeiten  gemein,  aus dem einfachen Grund, weil ihnen alle dieselben Grundlagen der kapitalistischen Wirtschaftsordnung gemeinsam sind, welche erst die physikalischen Möglichkeiten in die soziale Wirklichkeit umsetzen, weil  sie  erst den Grad ihrer  Ausnützung  bestimmen. Die Eigentumsmashen ziehen sich  schließlich  überall in gleicher Enge zusammen, wenn auch, wie in Nordamerika, die bloße Möglichkeit der Abwanderung in den weniger ausgenutzten Westen vorübergehend die Abfindungen, besonders den Lohn, zurzeit noch etwas höher hält. Schließlich wirken all die nivellierenden Schwerkräfte der Konkurrenz überall auf die Herabdrängung der Grenzabfindungen zu einem internationalen, annähernd gleichen  sozialnotwendigen Minimum zusammen. Die Bodenpreise gehen in die Höhe, wenn sie auch jetzt noch recht verschieden sind und sich deshalb für Deutschland die Schwierigkeit erklärt, mit jenen Ländern bedingungslos zu konkurrieren. Schließlich sagt SCHMOLLER ("Grundriß", Seite 901) wird der Boden Amerikas in weiteren zwei Generationen die europäischen Preise und Renten erreicht haben. Schon jetzt hat es mit der Einfuhr des Getreides aus Nordamerika nach Deutschland bekanntlich zu ziemlich sein Ende erreicht.

Für die Schutzzollfrage ergibt sich aus all dem, daß, bis zu jener vollständigen Nivellierung der internationalen Verhältnisse, durch entsprechend hohe und andauernde Schutzzölle verhindert werden muß, daß durch eine Überschwemmung mit Getreide usw., das in den Exportländern unter ganz anderen natürlichen und etwas anderen sozialen Bedingungen erzeugt wird, der Preis auf einen Satz herabgedrückt wird, unter dem unser Ackerbau teilweise zugrunde gehen muß. Besser wie jede Theorie hat der ausgebrochene  Krieg  uns über die Richtigkeit und Bedeutung der deutschen Schutzzollgesetzgebung belehrt. Wir können unserer Regierung und unserer Volksvertretung nicht dankbar genug sein, daß sie dem hartnäckigen Widerstand aller Freihändler und ihren aus England importierten Manchestertheorien zum Trotz, sich nicht haben vom Weg abdrängen lassen, der unserem Vaterland vorgezeichnet ist. Der Absatz und die Schaffung eines immer großen  inneren Marktes  im Frieden und die Unabhängigkeit von fremder Einfuhr im Krieg, das sind die unbezahlbaren Früchte der von BISMARCK inaugurierten Handelspolitik.

England ist uns zumindest mit seiner Freihandelslehre ein schlechter Lehrmeister gewesen. Nachdem es sich nach der Niederringung alles bequemen Wettbewerbs, durch eine rücksichtslose Kolonial- und Machtpolitik, durch seine Navigationsakte, die mehr wert waren wie alle Schutzzollmaßnahmen zusammen, und durch alle möglichen Gewaltmittel zur Zentrale des Weltmarktes erhoben hatte, konnte der erstarkte britische Löwe wohl nach Freiheit brüllen. Eine Nation, die auf der Höhe ihres wirtschaftlichen Könnens oder doch ihrer ausschließenden Macht steht, braucht keinen Schutzzoll. Wenn aber, wie JHERING unübertrefflich sagt, die schwächeren Schäflein in das Freiheitsgebrüll einstimmen, so beweisen sie damit nichts anderes, als daß sie - Schafe sind. ("Zweck", Seite 512, 515f)

Der Engländer MILL hat das Wort von der "internationalen Moral" geprägt. "Wenn ihre Grundsätze", sagt er, "sich auf die Förderung des Gesamtwohls der Menschheit gründen, so würden die Völker eine solche wechselseitige Engherzigkeit (wie Schutzzoll usw.) sicherlich verdammen". Demgegenüber ist zu bemerken, daß die beste internationale Moral doch immer diejenige sein wird, die es auch den anderen Einzelvölkern ermöglicht, ihrer Eigenart nachzugehen und ihre  eigenen  Lebensinteressen zu verfolgen. Denn die "Menschheit" besteht aus individuellen Staaten und wird deshalb die größte Summ an Glück und Wohlstand erreichen, wenn der Kulturfortschritt der einzelnen Völkerindividuen gehoben wird - ein Gedankengang, den die liberalistisch-individualistischen Schulen und der englische Utilitarismus doch ihrerseits selbst für das Verhältnis des  Individuums  zum Staat mit einem solchen Nachdruck vertreten haben.


6. Die Wertlehre und die große volkswirtschaftliche
Gleichung von Nutzen und Kosten, von Konsumtion
und Produktion

Der  Wert  ist kein Ding für sich, keine primäre Erscheinung, sondern nur letzter  Ausdruck  der sozialorganischen Funktionen der Volkswirtschaft. Mit der Zergliederung dieser Funktionen  haben  wir also mittelbar schon die Wertgesetze selbst erklärt. Was uns an dieser Stelle übrig bleibt, ist nur die Zusammenfassung unserer Ergebnisse und der letzten Folgerungen, die wir aus ihnen zu ziehen haben, kritisch und positiv. Naturalismus, Kausalitätsgedanke, Quantitätenanschauung, das sind die innig zusammenhängenden Grundirrtümer der meisten Theorien. Ich setze an die Stelle dieser Trias eine andere, deren Glieder ebenfalls einander bedingen: Soziale Regelung, Zweckbetrachtung,  organische  Qualitäts betrachtung.  Der Zusammenhang der ersteren Reihe liegt auf der Hand. Jede  Natur betrachtung operiert mit der Kausalität und mit  Mengen maßen. Dagegen wohnt der Kategorie der Regelung die Zweckidee und der Begriff der sozialen Funktion begrifflich inne. Die sozialorganische Betrachtung sieht in den Quantitäten nur  variable  Zweckgrößen, im Gegensatz zum volkswirtschaftlichen Naturalismus, dessen Lehren zum Mittel- und Ausgangspunkt das ursächliche Verhältnis  fester und gegebener  Quantitäten haben, wie es sich im Gesetz von  Angebot und Nachfrage  darstellt, diesem Allerweltsgesetz, nach dem sich auch der  Wert  der Güter bestimmen soll.

Wir haben bereits festgestellt, wie die Subjektivisten wie auch die Objektivisten mit ihrem naturalistisch-mechanischen Begriffsapparat über dieses Gesetz der Quantitäten und Zahlen nicht hinauskommen konnten. "Mechanisch" blieben sie beide, da die ihnen eigene Kausalitätsbetrachtung  begrifflich  verurteilt ist, im Mechanischen stecken zu bleiben, sei es daß sie - wie bei den Objektivisten - von der Kostenseite, sei es daß sie - wie bei den Subjektivisten - vom entgegengesetzten Pol, von der Gebrauchswertseite ausgeht ("Zweck", Seite 760f), sei es daß sie - wie bei SCHUMPETER - die Grundirrtümer beider Schulen "ins Extrem treibt" und die Aufgabe der Wissenschaft in der rein "beschreibenden" Rolle der sogenannten "reinen Theorie" sieht: "die Veränderungen in den  Güterquantitäten  festzustellen, welche im nächsten Augenblick vor sich gehen", kurz in der Aufstellung eines "Systems interdependenter Güterquantitäten" (vgl. LIEFMANN, Entstehung des Preises" etc., Seite 13/14, der dagegen mit Recht anführt, daß die Aufgabe der Wissenschaft gerade in der  zuvorigen Erklärung  des Besitzes bestimmter Güterquantitäten gelegen sei, und vor LIEFMANN schon KARL DIEHL im Jhg. 1909 dieser Jahrbücher, Seite 813f.
    Wo die Quantitäten versagen, da versagen auch alle Quantitätstheorien. Die Subjektivisten müssen, um darüber hinauszukommen, die Quantitäten untereinander ausspielen, indem sie das logische Gewaltmittel des  Güterfortfalls  als  passe-partout  wählen und so, wie wir in der vorigen Abhandlung sahen, zu einem Ausbruch aus den in der Einzelwirtschaft gegebenen und zu bewertenden Gütermengen gelangen, und dann durch eine "Übersetzung ins Soziale" diesen Gedanken auf die abstrakte Pseudogesellschaft der "einfachen" Wirtschaft des großen  Robinson  übertragen. Die Objektivisten, sahen wir, bauten sich in den Quantitäten, die der Nahrungsspielraum ergeben soll, besonders aber in diesem Aushilfsmittel durchaus quantitativen Charakters, nämlich in den Ertragsqualitäten des letztgebauten Bodens oder des letztangewendeten Kapitals, ihre "Eselsbrücke" auf. Und auch  Liefmann  fällt trotz einiger richtiger Gedankenansätze in die Fehler seiner subjektivistischen Lehrmeister zurück, indem er in seiner ureigensten Begriffsschöpfung, dem "Konsumertrag" die Einheitsbrücke zum "volkswirtschaftlichen Grenzertrag" gefunden zu haben glaubt - einer Abstraktion, deren Kritik so vernichtend für ihren Urheber ausgefallen ist, aß ich meinem Vorsatz treu bleiben kann, im Gegensatz zu den übrigen Fachgenossen  Liefmanns  mich nicht mit den offensichtlichen Fehlgriffen  Liefmanns  aufzuhalten und dafür mehr seine positiven  Verdienste  zu betonen. Wenn es den einen oder anderen Leser sowie  Liefmann  selbst interessiert, so steht ihnen das Manuskript einer Abhandlung zur Verfügung, in der ich  Liefmanns  Gedankengänge schon vor Jahren anhand der sozialorganischen Betrachtung gewürdigt habe. Hier sei nur hervorgehoben, daß dieser Gegner der "materialistischen" Anschauung nicht sieht, wie er als ausgesprochener Subjektivist selbst im "Materialismus" befangen bleibt. Zwar hat er recht, und ich verstehe seinen gerechten Zorn über die materialistische Mengenanschauung, wenn er es zu einem nichtssagenden Ergebnis erklärt, daß die Subjektivisten der Grenznutzenlehre den Marktpreis innerhalb des Spielraums feststellen, der durch den noch letzten tauschfähigen und den schon ausgeschlossenen Tauschbewerber bestimmt wird. Die  Mengersche  Preistheorie, sagt er, ist nur eine  Tauschlehre,  nur eine Lehre von den Tausch grenzen,  aber keine  Erklärung  des Preises. So sei die ganze so viel bewunderte österreichische Preistheorie "nichts weiter, als eine ziemlich kindliche ziffernmäßigie Berechnung einer oberen und unteren Preisgrenze bei gegebenem Angebot und gegebener Nachfrage", die beide als gegebene Größen angesetzt werden, während es die  Aufgabe  der Preistheorie ist, sie zu  erklären  (Liefmann, a. a. O., Seite 415f). Aber wenn er fortfahrend diese Erklärung in der Beantwortung der Frage sieht, wie bei verschiedener und dem Umfang nach nicht bekannt gewordenen "Bedarfsempfindungen der  Konsumenten"  ein Angebot entsteht und ein Preis zustande kommt, so meine ich nicht, daß er mit dieser subjektivistischen Erklärung zum Ziel gelangt. Die persönlichen Empfindungen und Schätzungen des Bedarfs sind immer nur Privatsache, aber  hinter  ihnen steht immer der ganze Zwang der sozialen Verhältnisse. Angebot und Nachfrage sind nur durch ihre sozialorganischen Verursachungen zu erklären.
Angebot und Nachfrage mit ihren gegebenen Quantitäten sind nur das  Ergebnis  dieser Verursachungen.  Fertige  Quantitäten gibt es für die volkswirtschaftliche Erklärung nicht, sie sind nicht Grund, nicht primär, sondern sie werden erst  geschaffen.  Angebot und Nachfrage "regulieren" den Preis nur im Sinne eines automatischen Formalapparates, sie sind nur Geschöpfe, und gehorsam dienen sie dem höheren Produktions- und Verteilungszweck. Ihre Größe und ihr Umfang ist durch den Zweck des sozialorganischen Getriebes bedingt. Sie sind bloße  Summenbegriffe.  Es heißt doch, die Sache auf den Kopf zu stellen, statt der Erklärung der Einzelerträge und ihrer Zusammenaddierung, aus den  fertigen  Marktbeständen die volkswirtschaftlichen Gesetze abzuleiten, aus der Summe also die Summanden zu erklären. Man vergißt dabei, daß der Summenbegriff des Gesamtprodukts und der Gesamtnachfrage sich erst auf privatwirtschaftlicher Grundlage aufbaut.

Ich habe die naturalistischen Quantitätstheorien immer mit einer Lehre verglichen, die aus dem molluskenhaften [gewebetierartigen - wp] Stoff der Materie ein Rückgrat und Wesen des Wirbeltieres erklären möchte. Stoff und Kraft sind  indigesta moles  [unverdauliches Zeug - wp] die erst von der Form und dem Wesen einer gebenden Idee der  Zweck gestaltung  in ihre Dienste gezwungen  wird. Nicht anders steht es um den volkswirtschaftlichen Organismus, seinen Bau und sein Leben, sowie die Bestandteile seiner Gliederung, die sich in gewissen bleibenden  Werteinheiten  verkörpern. Diese festen Einheiten, aus denen sich in ewiger Erneuerung ihres stofflichen Inhalts alles volkswirtschaftliche Leben ergibt, hat LEXIS sehr treffend mit dem Begriff seiner "Wertgesamtheiten" erfaßt (Tübinger Zeitschrift, Bd. 44, Seite 222f). Ihr  Stoff  befindet sich in einer ständigen  Metamorphose,  aber ihre  Einheit  bleibt. Solche bleibenden funktionellen Bestandteile sind nach LEXIS z. B. die jährliche Konsumtionssumme, d. h. die Gesamtmenge aller in einer gegebenen Volkswirtshaft im Ablauf eines Jahres an die Konsumenten gelangenden Konsumtionsgüter bzw. die Preise, die für sie zu zahlen sind, ferner die dem entsprechende  primäre Einkommenssumme,  welche sich in Kapitalgewinn, Grundrente und Arbeitslohn sondert; dann die jährliche  Produktionssumme,  d. h. die in Geld ausgedrückte Gesamtsumme des Wertes, der durch die sachliche Arbeit in Verbindung mit Kapital und Naturfaktoren in demselben Jahr erzeugt wird. Alle diese Werteinheiten gehen durch den Geldausdruck. So nehmen die Lohngüter (die Güter des Arbeiterverzehrs), ihren Durchgang durch den Geldlohn, durch Geldsummen, welche von den kapitalistishen Unternehmerns als Anweisung auf die Konsumtionsgüter vorgeschossen werden. So wandelt sich ein Teil des Kapitals in einem ewigen Wechsel in Geldlohn, in Lohngüter für produktive lebendige Arbeit, dann wieder in stoffliches Kapital, dieses nach seinem Verkauf wieder in Geldlohn usw. Wie so dieselben Werteinheiten in der  Arbeits lohnsumme, Arbeitereinkommen- und Konsumsumme, Arbeitssumme, Produktionssumme abwechselnd erscheinen, so hat uns das LEXIS entsprechend am  Kapital gewinn, an der Kapitaleinkommen- und Konsumtionssumme und der Summe der Kapitalistenleistungen veranschaulicht. (Näheres im "Zweck", Seite 262f, 278f, 284f)

Da, wie gesagt, alle diese Werteinheiten im Leben als Geldsummen auftreten, so erscheinen uns eben alle Dinge überhaupt in ihrem vergoldeten Leib. Nicht nur das Kapital ist, wie MENGER sagt, "das in Geld bestehende oder kalkulierte Stammvermögen einer Erwerbswirtschaft", sondern es steht mit allen anderen Gütern ebenso, sie  alle  sind effektive in Geld bewertete bzw. bloß rechnungsmäßig in Geld dargestellte Vermögensbestandteile. Wie  in  den Kapitalgütern das Kapital, so "steckt" in  allen  Gütern der Geldwert und der Wert ansich. Alle Güter und Leistungen sind nur  Träger  des in Geld kalkulierten Wertes. Geld ist Anweisung auf irgendein stoffliches Ding, das gleichem Wert entspricht und sich in ihm gleichsam  wieder findet. Nicht die naturalen Güter mit ihren naturalen Nutzleistungen, sondern ihre  sozialen Werte,  nicht also die Güter in ihrem stofflichen Leib, sondern die Güter als Verteilungs- und  Aneignungsmittel,  also in ihrer Macht, fremde Güter einzutauschen, sind die Gegenstände der entscheidenden  volkswirtschaftlichen  Betrachtung. Diese Funktion als Aneignungsmittel wohnt daher nicht bloß den Kapital-, sondern allen  anderen  Gütern  neben  ihrer Funktion der unmittelbaren und mittelbaren Bedürfnisbefriedigung gleichsam  wie eine zweite Seele  inne. Dieser wahrhaft entscheidende  soziale,  gemeinhin in Geld ausgedrückte Wert macht das Gut vom "Naturding" zum "Wertding". Er ist nur ein  Repräsentant  der in den Gütern enthaltenen sozialorganischen Funktionen. Wie MARX das Kapital ein Produktions verhältnis  nennt ("Zweck", Seite 73 und 535), so sind auch alle anderen Güter und Leistungen bei sozialer Betrachtung nicht als "Dinge", sondern als "soziale Verhältnisse", besser als Ausdruck von solchen vorzustellen. Erst mit dieser Anschauung wird allgemein das überwunden, was MARX den  Fetischismus  der Ware nennt. Es ist ein für allemal aus mit Gütern und "Güterhaufen" von BÖHMscher Fraktur. Alle ökonomischen Begriffe und Größen lösen sich in sozialorganische  Funktionen  auf.

Die Eigenart dieser Funktion ist uns schon bekannt, es ist die Funktion der "Verteilung" im oben dargelegten weiteren Sinne, im Sinne einer sozialen Auseinandersetzung zwischen den Einzelwirtschaften als anteilsberechtigten Gliedern der Gemeinschaft. Es ist deshalb erklärlich, daß selbst Naturalisten durch die Logik der Tatsachen auf den notwendigen Zusammenhang  von Wert und Verteilung  gelegentlich geradezu  gestoßen  werden. So erkennt von BÖHM-BAWERK den Charakter des Zinsproblems im letzten Grund als ein "Wertproblem" an ("Kapital" I, Seite 600-604),  dann  aber Seite 204 als eine "Frage der Verteilung". Wie nahe hätte da der Schluß gelegen, nicht nur daß der Wert des Kapitals und der Kapitalzins auf  Verteilung  beruth, sondern auch, weil doch das Kapital ein Gut wie alle anderen ist, der Wert  aller  Güter aus ihrer Verteilungsfunktion stammt, mithin das  ganze Wertproblem  ein  Verteilungs problem ist. Da eben die Verteilung aus der Tatsache der volkswirtschaftlichen Regelung folgt, so ist der Schluß nicht zu vermeiden, daß die Regelung, die Verteilung und der Wert zueinander im Verhältnis einer logisch geschlossenen Verkettung stehen, deren Glieder sich gegenseitig bedingen. Mit anderen Worten: Ist die Verteilung nur als eine Zweckfunktion der Regelung, der Wert wiederum nur als ein funktionell-organisches Medium der Verteilung zu begreifen, so gehorchen dem Wert so gut wie die Verteilung einem  Dritten,  nämlich der Regelung und ihren Zwecken. Es kann der Wert der zu verteilenden Gütermengen nur den größenmäßigen  Ausdruck  der Anteile darstellen, die den Klassen der Gesellschaft nach Maßgabe der Gesellschaftsordnung bestimmungsgemäßt zufallen ("Zweck", Seite 356). Nur weil man das Prinzip der Regelung übersah, konnte es nicht gelingen, die Gesetze der Verteilung und des Wertes "aus einem Guß" zu erklären.

Ich habe im "Zweck" eingehend dargelegt, wie es die Verkennung des organischen Zusammenhangs zwischen Wert und Verteilung war, die eine unheilbare  Duplizität  in die nationalökonomischen Lehrsysteme hineingetragen hat. Sowohl RICARDO wie später MARX lassen den  Wert  aus der Arbeit allein entspringen, dagegen die  Verteilung  der Güter nach dem "trinitarischen" Teilungsschlüssel erfolgen, und zwar so, daß die Abfindungen der Kapitalisten und Grundeigentümer durch einen nachträglichen  Abzug  vom Arbeitskostenwert gebildet werden (vgl. meine ausführlichen Darlegungen über diese Diskrepanz bei RICARDO im "Zweck", Seite 356-364 und bei MARX, ebd. Seite 536-539 und 555). Die Folge war bei RICARDO das ewige Schwanken und die unheilbaren Widersprüche zwischen der bei ihm "esoterischen" reinen Arbeitskostentheorie einerseits und der Theorie der Wertbildung nach Arbeit  und  Kapitalgewinn (vgl. "Soziale Kategorie", Seite 52f, 62f). Und bei MARX ist es die vielbesprochene unüberbrückbare Kluft zwischen Wert und Preis und das unfruchtbare Gequäle, Bd. III des "Kapitals" mit Bd. I in Einklang zu bringen ("Zweck", Seite 546-562). Über die gleichen Irrtümer bei RODBERTUS habe ich "Soziale Kategorie", Seite 73-79 gehandelt. (vgl. auch L. von BORTKIEWICZ, "Die Rodbertussche Grundrententheorie", Heft 1 und 3, Jhg. 1911 des Grünbergschen Archivs, wo von BORTKIEWICZ Seite 424 auf meine Kritik Bezug nimmt.


Erst anhand der organischen  Einheit  von Wert und Verteilung läßt sich die größte und wichtigste Aufgabe der theoretischen Nationalökonomie bis zur Tiefe erfüllen, die Lösung der öfters berührten großen  volks wirtschaftlichen  Gleichung  zwischen Nutzen und Kosten. Kosten und Nutzen stehen dann aus eine sozialorganischen Notwendigkeit heraus in engster Wechselwirkung, sie sind Komplementärbegriffe, gleichzeitig Bedingendes und Bedingtes. Sie sind nur die verschiedenen Seiten ein und desselben sozialen Geschehens, "das unter allen Umständen natürliche und notgedrungene Wechselverhältnis" (RODBERTUS). Alle Kosten lösen sich in entsprechende Nutzgrößen auf, sie sind auf irgendeinen Nutzen abgestimmt, entsprechen immer gewissen Abfindungen; Lohn so gut wie Kapitalgewinn sind auf entsprechende Kostensätze zu verrechnen und umgekehrt ("Zweck", Seite 276). Die Kosten sind Werteinsätze, sie lösen sich in Nutzgrößen auf, die den beteiligten Wirtschaftssubjekten zufließen. So wird erfüllt, was ich am Ende der vorigen Abhandlung als das Recht des Subjekts und des Subjektivismus andeutete, das Subjekt wird als  soziales  erfaßt, der Subjektivismus wird  organisch.  Kosten-Nutzen, Verkaufskraft-Kaufkraft bilden die unzertrennlichen Korrelate aller volkswirtschaftlichen Betrachtung. Der Kostenwert ist ein antizipiertes  Einkommen.  Die Güter, hat man in einem etwas harten Ausdruck gesagt,  kosten  Einkommen, der Produzent kommt im Einkommen auf seine Kosten, Zweck und Bedingung seiner Produktionstätigkeit  besteht  geradezu in der Einkommenserzielung. Die "Macht", mit der Arbeiter, Kapitalisten und Grundeigentümer als Konsumenten aus dem Schatz der fertigen Produktmasse schöpfen, fällt sozialteleologisch und kausal mit der Macht zusammen, die ihnen  vorher  als Entgelt für die von ihnen hergegebenen Kostengüter in Gestalt eine Anweisung auf den gesellschaftlichen Markt auf den Weg gegeben wurde. Die Kostengüter sind zu Recht mit dem Getreide auf dem Halm verglichen worden, es ist ihr eigener Wert, der im Wert ihrer Produkte nur  wiedererscheint.  Der Wert ist ein  antizipierter  Einkommenswert. Wert der Kostengüter und ihrer Produkte sind gleich, weil sie ein und demselben Prinzip gehorchen, also einem Dritten gleich, dem Zweckbegriff der sozialnotwendigen Abfindung. Diese ist die  ultima ratio,  der Zweck in der Volkswirtschaft. Die Abfindungen sind die sozialen Einheitsgrößen, die Wertgefäße, die den wechselnden Inhalt an Reichtum in sich aufnehmen. In ihrem vorweg gegebenen, wenn auch historisch variablen Rahmen fügt sich als Füllung erst der intermediäre [mittleren - wp] Stoff ein, und zwar nach den von den Gebrauchswertschulen näher beschriebenen Gesetzen des Konsumtions- und Produktionsniveaus. Für die Erklärung der bestehenden Volkswirtschaft ist nicht diese Füllung, sondern jener  Rahmen  die Hauptsache, erst mit ihm erhält man  a posteriori  die entscheidenden  Quantitäten,  von denen die Schulen fälschlich  a priori  ausgingen. Für die "einfache" Wirtschaft sind sie gegeben, für die Volkswirtschaft kommt es auf ihre Auffindung und Abgrenzung an, während sich alles andere erst sekundär daran anschließt. Erst innerhalb dieser festen Schranken setzt dann das von den liberalistischen Schulen gefeierte "freie Spiel der wirtschaftlichen Kräfte" auf dem Weg von Angebot und Nachfrage ein. Der ganze Kampf des praktischen Lebens läuft darauf hinaus, diese quantitativen Werteinheiten der Abfindungssätze im Wettkampf der Individuen und Klassen zu bestimmen. Wozu der ganze Lärm der sozialen Frage, wenn jene Quantitäten nach Ansicht der naturalistischen Schulen schon ansich naturnotwendig gegeben wären? ("Soziale Kategoeir", Seite 264, 265. "Zweck", Seite X und 765)


Erst durch diese Abfindungsgrößen ergibt sich die  sozialorganische Zweckeinheit  zwischen Produktion und Konsumtion. Wenn man vom sogenannten abgeleiteten Einkommen absieht, fallen die Produzenten in ihrer Gesamtheit mit den Konsumenten in  deren  Gesamtheit zusammen. Zwar bringt der einzelne Produzent nicht die Güter  seines  Verzehrs hervor, aber doch  mit  den von ihm erzeugten Gütern die  Wertäquivalente  seines Konsumtionsbedarfs, die nur die antizipierten Werte der zu honorierenden Produktivfaktoren darstellen, antizipiert in einem teleologischen Sinn von Mittel und Zweck. In der Grenznutzenlehre speziell fehlt diese Einheit, sie konnte die Brücke zwischen den beiden Seiten der Gleichung nicht finden, sie bewegt sich im Zirkel: ihre Theorie vom Wert der komplementären Produktivgüter soll das Einkommen und die Kaufkraft der Produzenten erklären, die Kaufkraft ist also eine abgeleitete Folge. Dann aber kehrt sich die Sache um, die Kaufkraft ist primär; denn sie "saugt die Produktivkräfte der Nation" und deren Erzeugnisse mittels der Kaufkraft und nach Maßgabe derselben zu sich heran ("Subjektivismus", Seite 184 und "Zweck", Seite 761f).

Der Zirkel schwindet erst durch den  Monismus  der sozialorganischen Zweckeinheit. In diesem großen Zweckgebilde der Volkswirtschaft wird dann ein jeder Produktionsfaktor von Haus aus mit dem Wert eingewiesen und das Produkt von "Stufe zu Stufe mit den Preisen weitergegeben (auf ihm "notiert", sagt RODBERTUS), welche die Produzenten und alle sonstigen Abfindungsberechtigten aus den Partikeln des zerstreuten Nationalprodukts  nachher  wieder einlösen. Der teleologisch vorweg genommene Wert der Konsumtionseinheiten  ergibt  erst die Kaufkraft, durch welche die Realisation der Kostenwerte erfolgt. Nur hierdurch wird  a priori  die Möglichkeit geschaffen, daß die durch die Kaufkraft der Konsumenten bestimmten "bestbezahlten Verwendungen" die Produktionsfaktoren bzw. deren Erzeugnisse an sich "saugen"  können. Die Bilanz muß aufgehen.  Das große  clearing-house  des "Marktes"  vollstreckt  nur die Zweckgesetze der Volkswirtschaft. Der Wert aber ist nichts Geringeres, als der automatische Kontrollapparat jenes großen Gesetzes, er begleitet und überwacht den Gang der Technik von der Rohproduktion bis zur Aurteilung der fertigen Produkte an die letzten abfindungsberechtigten Konsumenten.


7. "Macht oder ökonomisches Gesetz?"

Unter diesem Titel hat jetzt von BÖHM-BAWERK die längst versprochene Auseinandersetzung mit der von mir unmaßgeblich als  sozialorganische  bezeichneten Richtung vorgenommen, und zwar hält er sich dabei gerade an mich, weil ich "der zur Diskussion der Prinzipienfrage bestlegitimierte Vertreter meines Typus" sei und dabei den "Vorzug biete, mich emsig bemüht zu haben, die von Früheren - seit RODBERTUS und WAGNER - gegebenen Anregungen prinzipiell zu fassen und auszugestalten, und dann noch den weiteren Vorzug, daß ich mich mit den ökonomischen Theorien eingehender vertraut zeige, als manche von anderen Wissenschaften ihren Ausgang nehmende Autoren." Er erkennt nach wie vor die Wichtigkeit des "bisher so stiefmütterlich behandelten Problems für die ökonomischen Wissenschaften" an, es handle "sich tatsächlich um nicht mehr und nicht weniger als um "die wissenschaftliche Fundierung jeder rationalen Volkswirtschaft". "Denn", sagt er, "es liegt auf der Hand, daß ein künstliches Eingreifen in die volkswirtschaftlichen Prozesse von vornherein nur dann einen Sinne hat, wenn man die Vorfrage, ob die Macht gegenüber den  natürlichen Gesetzen  des ökonomischen Geschehens überhaupt etwas vermag, bejahend zu beantworten imstande ist", und wenn man sich ferner - was den eigentlichen Inhalt des Problems bildet - "über das  Maß  und die  Art  des Einflusses", der der "Macht" gegenüber dem "natürlich-ökonomischen" Geschehen beschieden sein kann, klare und zutreffende Anschauungen zu bilden vermag. "Man müßte", sagt er, "heutzutage ein Idiot sein, wenn man einen Einfluß der sozial geschaffenen Einrichtungen und Maßnahmen auf die Güterverteilung leugnen wollte", so den Einfluß der Arbeiterorganisationen mit dem Kampfmittel der Streiks und Boykotte, der staatlichen Preistaxen in Hungerjahren, der Trusts, Kartelle, Pools, Monopole aller Art, "die überall in die Preisbildung und Verteilung eingreifen - der ebenfalls rapide anwachsenden künstlichen Beeinflussungen nicht zu gedenken, die von der staatlichen Volkswirtschaft ausgehen". Da so der Einschlag sozialer Machtmittel in immer stärkerer Zunahme begriffen ist, so müsse man allerdings dem großen, noch nicht befriedigend gelösten Problem zu Leibe rücken, "die Art und das Maß des von jeder der beiden Seiten (der Seite der  natürlichen  und der der  sozialen  Kategorie) kommenden Einflusses darzulegen; darzulegen, wieviel der eine neben (!) dem anderen und eventuell gegen (!) ihn vermag". Dieses Kapitel der Sozialökonomie sei noch nicht befriedigend geschrieben worden. Die Frage ist, "ob der Einfluß der Macht sich  innerhalb  oder aber  gegen  die ökonomischen Preisgesetze geltend macht; ob er dort, wo er auftritt, die Formeln der (? von BÖHM meint  seiner)  theoretischen Preisgesetze durchkreuzt und stört, oder aber sie erfüllt."

Machen wir Halt. Nicht nur der Inhalt, sondern schon die Überschrift der Abhandlung hat meine Erwartungen enttäuscht. Wie konnte von BÖHM nur so ganz das Thema verfehlen? Wie wenig er es erfaßt hat, zeigen schon die beiden Glieder der Antithese "Macht  oder  ökonomisches Gesetz". Beginnen wir mit dem zweiten Glied, dem "ökonomischen Gesetz" und setzen statt des Fremdwortes das deutsche Wort "wirtschaftlich" ein. Wie unklar und irreführend ist dieser Begriff des "Wirtschaftlichen", und welche Verwirrung und welchen unfruchtbaren Streit hat er gerade in der neueren Zeit angerichtet, so sich Abhandlungen an Abhandlungen über diesen Begriff, besonders in seinem Verhältnis zur Technik, reihen. So sprach und spricht man vom wirtschaftlichen Motiv, vom "wirtschaftlichen" Prinzip, vom "Wirtschaftsmenschen - homo oeconomicus, economical man, business man" und glaubt damit eine ureigene, die ganze Wissenschaft erleuchtende  Sonderkategorie  erfaßt zu haben. Leider gibt es, wie wir sahen, eine solche Kategorie neben den beiden Kategorien, der natürlich-technisch-psychologischen, auch "theoretisch" genannten einerseits und der sozialen (praktischen, sittlichen),  überhaupt nicht,  weder für die Geisteswissenschaften im allgemeinen, noch für die Nationalökonomie im besonderen. Überall ist immer nur die Wahl zwischen der notwendigen  Kausal kette der naturgegebenen und der sozialorganischen (sozialethischen)  Zweck elemente.

Auch der Nationalökonomie oder  irgendeinem Zweig  derselben ist kein besonderes Erkenntnisprinzip einzuräumen. Die Vertreter der gegenteiligen Annahme scheinen mir an einer recht alten Klippe des Denkens gescheitert zu sein, sie haben den  Stoff  (Gegenstand, Objekt) mit der  Methode  oder dem Erkenntnisprinzip der Wissenschaft verwechselt. Den Stoff der Nationalökonomie bildet die materielle Güterversorgung, ihre selbständige Stellung im Reich der Geisteswissenschaften hat sie sich, wie alle anderen Disziplinen, nur auf dem Weg praktischer Arbeitsteilung, aus Zweckmäßigkeitsgründen errungen ("Zweck", Seite 27, 106). Was das "wirtschaftliche Prinzip" betrifft, so habe ich ebd. Seite 187f seine Abwegigkeit geschildert. Es ist nichts mit dem anmaßenden Singular, ich kenne nur den Pluras "wirtschaftliche Motive". Das sind schlicht gedacht  alle  diejenigen Beweggründe des menschlichen Handelns, welche die "Wirtschaften", das ist die Veranstaltungen zum Zweck materieller Bedürfnisbefriedigung zum Ziel und zum "Gegenstand" haben, und  woran  sie sich beteiligen. ADOLPH WAGNER hat zutreffend eine ganze Tafel wirtschaftlicher Motive aufgestellt und dem in Ziffer 1) der Tafel angeführten Motive: "Streben nach dem eigenen wirtschaftlichen Vorteil" und weiteren drei egoistischen Motiven noch ein fünftes  unegoistisches  Motiv hinzugeführt: "Trieb des inneren Gebotes zum sittlichen Handeln, Pflichtgefühl und Furcht vor dem eigenen Tadel, vor Gewissensbissen." Aber daneben gibt es ja wohl noch die  von Wieser  (vgl. oben) schon betonten, mehr objektiv sozialen Motive, die auf die  Einfügung  des Subjekts in die Zwecke der Volkswirtschaft gerichtet sind. Jedenfalls ist es abzuweisen, wenn seit den Klassikern bis zu DIETZEL hinauf nur immer das  natürlich-ökonomische Motiv des "Egoismus" berücksichtigt, oder, wie es von BÖHM tut, "das Grundgesetz der Preisbildung unter der Hypothese vom ausschließlichen Walten des Strebens nach unmittelbarem Tauschvorteil entwickelt" wird.
    von Böhm-Bawerk  hält sich deshalb an dieses "Grundphänomen", er will "vor allem zum Verständnis bringen, wie die Preisbildung unter dem Einfluß" jenes einzigen Motivs erfolgt. Er überläßt dann einem "zweiten, besondernen Teil der Preistheorie die "Aufgabe, die aus den hinzutretenden anderen Motiven und Tatumständen sich ergebenden Modifikationen (!) des Grundgesetzes in dieses einzuweben (!)". Er führt als solche die genannten sittlichen Motive auf, dann aber den Einfluß "gewisser konkreter Voranstellungen, wie Monopole, Kartelle, Koalitionen, staatliche Preistaxen, Schieds- und Sühneämter, Arbeitervereine und (so ganz eklektisch angefügt), "manche andere Organisationen, die heutzutage die Selbsthilfe und Staatskunst als künstliche  Wellenbrecher  dem allzu stürmischen Anprall der egoistischen Preiswelle entgegenzustellen lieben." Diese ganze Antithese ist erkenntnistheoretisch falsch gestellt. Die volkswirtschaftlichen Erscheinungen hängen letztlich viel weniger von subjektiven Motiven der handelnden Personen, als umgekehrt die bewegenden Motive von der Macht der objektiv gegebenen Verhältnisse ab. Selbst der Wirtschaftsmensch mit seinem Egoismus betätigt sich nur innerhalb der gegebenen Verhältnisse, indem er sie  ausnützt  und sich im gegebenen Bau der vorher gegebenen Sozialverhältnisse häuslich einrichtet. Seine persönliche "Macht" geht über einen Umweg, über die sozialorganisch bestimmten Bahnen. Wie schief ist es doch, den Einfluß jener "besonderen Staatsgesetze und besonderen Veranstaltungen" unorganisch und beiläufig anzuführen. Es handelt sich nicht um solche vereinzelte "künstliche Wellenbrecher", die gleichsam als Störenfriede den rein-ökonomischen Aufbau der Grenznutzenlehre etwas verrücken, sondern um die ganze allgemeine und fundamentale Wirksamkeit der sozialen Kategorie, der Regelung und der Wirtschaftsordnnung.  von Böhm  meint, die Pflege dieses zweiten, "ergänzenden" Teils, der neben dem Allgemeinen das Besondere und Konkrete bringt, sei schon von der anderen, nämlich der historischen Forschungseinrichtung bearbeitet worden ("Kapital" II, Seite 352-357). Demgegenüber kann ich nur auf das früher Entgegnete verweisen. Es handelt sich nicht um eine "Ergänzung", um die Ausfüllung einer "Lücke", nicht um einen zweiten Teil  neben  dem skizzierten ersten Teil, sondern der  erstere,  der allgemeine, theoretische Teil ist  innerlich  zu ergänzen durch eine Einfügung der sozialen Kategorie und den grundsätzlichen  Ausgang  von den objektiv sozialen Grundlagen der Volkswirtschaft ("Zweck", Seite 37, 38, 59 und XVI). Die sozialorganische Methode ist nicht verurteilt, ein so "ärmliches Plätzchen", wie  von Böhm  meint, einzunehmen, sondern es gebührt ihr Krone und Zepter ("Zweck", Seite 565).
Auch das Gebilde des "Wirtschaftsmenschen" ist ein ganz luftiges, dieser  economical  und  businessman  enthält ebenso wie das "wirtschaftliche Motiv" eine naturalistische  petitio principii [es wird vorausgesetzt, was erst zu beweisen ist - wp]. Man kann wohl den Begriff des Wirtschaftlichen abheben von  anderen  Betrachtungsweisen, vom Technischen, vom Juristischen, aber als bloßer Grenzbegriff erbringt er in sich, durch sich und aus sich keine besondere Kategorie. Das Wesen der Wirtschaft aus dem Begriff des Wirtschaftlichen abzuleiten, erinnert stark an Onkel  Bräsigs  Herleitung der Armut aus der "Powerte" [poverty = Armut | wp].

Wir kommen zum zweiten Glied der von BÖHMschen Antithese: der "Macht" oder den "Machtverhältnissen". Aber wie verschieden ist doch dieser Begriff bei von BÖHM von der Bedeutung, die  ich  damit verbinde. von BÖHM versteht darunter die  Übermacht,  die, wie er Seite 208 sagt, "man ja beim Schlagwort des Einflusses der  Macht  doch wohl (?) vornehmlich im Auge hatte"; er führt als Beispiele die schon oben bezeichneten an, und bezeichnet sie als "künstliche" Machteinflüsse, "Eingriffe" usw.  Ich  dagegen verstehe unter Machtverhältnissen gerade  nicht  diese irregulären oder abusiven [mißbräuchlichen - wp] Machteinflüsse, wie den Wucher oder die Ausbeutung, sondern ich meine damit den legitimen Zwang der Regelung, des Besitzes, des Rechtszwangs, ohne allen moralisierenden Beigeschmack. Ich führte das seitenlang gegen von BÖHM und MARX schon im "Zweck" (Seite 352f und 653) aus. Ich sagte unter anderem: Eigentum ist Macht und muß Macht bleiben, weil die Regelung selbst mit ihren Instituten einen Machtbegriff darstellt. Der Doppelsinn des Wortes  Macht,  wie er etwa in dem Satz hervortritt, daß Macht  vor  Recht gehe, läßt die Macht leicht mit  Willkür  verwechseln, Macht dagegen in dem von mir gemeinten Sinn ist ein  Komplementärbegriff  von Recht, es gibt kein Recht ohne Macht; denn das Essentielle des Rechts ist die Erzwingbarkeit. Die Macht ist ein ethisch neutrales Naturelement. So kann man selbst die "Ausbeutung" ganz objektiv verstehen. Jede Arbeitsteilung ist eine Ausbeutung in diesem Sinne, auf ihr beruth der Mehrerfolg alles sozialen Zusammenwirkens des einen für alle und aller für einen. Die Regelung ist eine  konstitutive,  nämlich die soziale Kategorie, die alle ökonomischen Begriffe und Verhältnisse durchdringt. Die natürliche und die soziale Kategorie sind immer miteinander  verbunden  und wirsam, sobald sich Menschen zu einer gemeinsamen Wirtschaft zusammenschließen, alle  sozial wirtschaftlichen Erscheinungen sind ein untrennbares Ergebnis beider Kategorien ("Zweck", Seite 482, 114, 246). Ich nannte das mit STAMMLER den  Monismus  des sozialen Lebens: Die Sozialwirtschaft, sagt STAMMLER, "ist kein selbständiges Ding, so daß über ihr eine Rechtsordnung schwebt ... Ökonomische Phänomene sind nicht soziale Naturgebilde, treten nicht zufolge eines elementaren Triebes  ökonomischer Mächte  für sich besonders auf ..." (Seite 89).

von BÖHM hat daher das streitige Problem schon insofern falsch erfaßt, als er es in der Untersuchung der Frage gelegen sieht, was das eine Prinzip  neben  dem anderen und  gegen  das andere vermag. Das Kausalmoment der Regelung kann daher auch nicht  nachträglich  zwecks Ausfüllung einer "Lücke" in die Betrachtung eingesetzt werden, es müßte sich sonst ergeben, daß eine "Ergänzung", eine bloße Korrektur nicht ausreicht, daß vielmehr eine erkenntnistheoretisch neue und heterogene Betrachtung  ab ovo  [vom Ei weg - wp] einzusetzen hätte, alles noch einmal untersucht werden und eine völlige  Um wertung der rein ökonomischen Ergebnisse vorgenommen werden müßte. Hypothesen, wie die von der Grenznutzenlehre benutzten, stellen nur eine  vor soziale oder  außer soziale Ökonomie dar, sie beweisen nichts und trügen, sie bilden ein bloßes  Zerrbild  der wirklichen, der sozialen Wirtschaftszustände, das durch eine nachträgliche Retuschierung nur noch bedenklicher wird ("Zweck", Seite 246 und 706). Ich habe das Gefährliche einer solchen nachträglichen Zurechtschiebung der aus der "abstrakten Gesellschaft" gewonnenen Destillationsprodukte (Seite 124) an der naturalistisch schiefen Behandlung aktueller politischer Tagesfragen dargelegt, ebenso das daraus erklärliche Kokettieren mit dem "natürlichen Wert" in der sozialistischen Gesellschaft (Seite 708, 709). Es führt das alles zu einer Quantitätenlehre, zur Lehre vom natürlichen Nahrungsspielraum, zur Idee des Weltbürgerstaates und einer "internationalen Moral" (siehe oben). Schon das bloße  Totschweigen  der gegnerischen Richtung machte gewisse Schulen zu unbewußten Bundesgenossen der überliberalistischen Bestrebungen. Hatten die Klassiker die Isolierung der natürlichen ökonomischen Momente nur  naiv  vorgenommen, so trieben neuere Richtungen, nicht bloß die Grenznutzenlhere, ihr Prinzip auf die Spitze, sie setzten einen Trumpf darin, der ganzen sozialen Anschauungsweise grundsätzlich den Krieg zu erklären und verschärften und verewigten damit den Methodenstreit ("Zweck", Seite 57, 58, 117).

Wie so die Glieder der Antithese "Macht oder ökonomisches Gesetz", so versagen notwendig die von BÖHM-BAWERK gezogenen Folgerungen. Er sagt Seite 208, 209, man müsse, ehe man die "zweite" Reihe der Untersuchungen beginnt, nämlich die über die Veränderungen, welche sich durch das  Hinzutreten  von Voraussetzungen sozialer Provenienz [Herkunft - wp] ergeben, "vor allem wissen und verstehen, wo der Verteilungs- oder allgemeiner der Preisbildungsprozeß  ohne  besondere (?) soziale Beeinflussung verlaufen würde", nämlich "unter der Voraussetzung des Waltens - nicht bloß rechtlich, sondern auch faktisch - freier und vollwirksamer Konkurrenz". von BÖHM hat die so eingehend vorgeführte Grundlage meiner Ausführungen nicht beachtet, daß in der bestehenden Volkswirtschaft die "Konkurrenz" und das ganze Konkurrenz system selbst  schon ein durch und durch der Regelung entstammender Faktor "sozialer Provenienz" ist. Er scheint das auch selbst zu fühlen; denn er macht - aber nur beiläufig - in einer Fußnote (Seite 209) das etwas naiv klingende Geständnis: "Irgendein Einschlag sozialer Einflüsse muß immer vorhanden sein, weil ja doch immer eine, wie auch immer beschaffenene Rechtsordnung existieren muß." Mir fielen beim Lesen dieser Worte unwillkürlich die lustigen Worte des stolzen Hamburger Senators ein, die er dem jungen Mann entgegnete, als dieser ihm auf die Frage nach seiner Herkunft erwiderte, er sei Berliner: Nun irgendwo muß der Mensch ja geboren sein! Ähnlich und eingehender spricht von BÖHM seinen Gedanken Seite 223 aus, wo er hinzusetzt: "Es gibt buchstäblich  keinen  Preis und  keine  Verteilung - außer durch Straßenraub und dgl. - ohne rechtlich-historischen Einschlag. Es muß ja doch in jeder zivilisierten Gesellschaft irgendeine Rechtsordnung geben ..." Nun diese "Kleinigkeit" von gesellschaftlichem Einschlag ist es ja, um die es sich handelt, nur daß nicht bloß, wie von BÖHM meint, eine ergänzende Zutat, ein "künstlich" in den rein ökonomischen Bau der Dinge hineingetragenes Moment, sondern ein der Volkswirtschaft  immanentes, indispensables [unverzichtbares - wp], in ihr verkörpertes, verwirklichtes und wirksames Element in Frage ist, das auch nicht mit dem Zugeständni von BÖHMs abgespeist werden kann, daß es "auch" wirksam sei. Dieses  auch  ist ungenügend, weil es nicht organisch gedacht ist. Und wenn von BÖHM darauf hinweist, daß ich zwischen diesem "Auch" und der von mir an anderen Stellen vertretenen Anschauung, daß  schließlich  die Machtverhältnisse entscheiden, dialektisch hin. und herschwanke, und zwar vermöge der fortwährenden Unterscheidung zwischen den natürlichen Faktoren als "Bedingungen oder Voraussetzungen" und der sozialen Faktoren als "bestimmender" und "entscheidender" - er könnte auch sagen zwischen  Stoff  (Materie) und  Form  (Gestalt, Regelung) - so bin ich ja in guter Gesellschaft, da diese fundamentale Unterscheidung der Dinge von ARISTOTELES und PLATO bis zu STAMMLER hinauf gang und gäbe ist.

Und nun setzt bei von BÖHM das Operieren mit dem kritisierten Begriff des  Ökonomischen,  des Wirtschaftlichen ein. Hier zeigt sich die ganze  petitio  [Unklarheit - wp], die in diesem unseligen Begriff ihr Werk verübt und zur unorganischen Vermischung der Kategorien führt. von BÖHM-BAWERK spricht in einem süßen Ineinander der beiden Glieder seiner Antithese von der  "ökonomischen  Macht". Das aber soll nicht etwa bedeuten, die Macht aus der  Regelung,  sondern die  rein -ökonomische Macht, während doch geradei die  Frage  war,  ob  die Wirtschaft ein rein ökonomisches  oder  soziales Gebilde ist  oder  beides, letzterenfalls  wie  sich  in  dem ansich leeren Begriff des "Ökonomischen" die beiden Kategorien  zueinander  verhalten. Die ganze Verkennung der sozialorganischen Betrachtung und die Vermischung der Kategorien gipfelt dann in dem gegen mich gerichteten Satz (Seite 219): "Nicht die Leugnung, sondern die kasuistische Fortbildung der vermeintlichen (?) rein ökonomischen Verteilungsgesetze muß die Losung sein." Nicht "vermeintlich" sind die Verteilungsgesetze von BÖHMs rein ökonomisch, besser "natürlich", sondern wir sahen in der vorigen Abhandlung ("Subjektivismus") bei der Kritik der Zurechnungslehre, wie sie das in der Grenznutzenlehre  wirklich  sind, und nicht bloß "natürlich", sondern im Grunde rein  technisch,  produktions- und konsumtionstechnisch. Ich habe bereits in der "Sozialen Kategorie" (Seite 317) - in Bezug auf das "Tauschen" - und sonst auf die Verwirrungen hingewiesen, die der Zwitterbegriff des "Wirtschaftlichen" anrichten kann. Wie wenig aber von BÖHM die Kategorien als solche auseinanderhält, zeigt auch von neuem sein Satz (Seite 223): Diese Unterschiede zwischen den beiden Kategorien "spielen in der theoretischen Erklärung der Preis- und Verteilungsphänomene doch nicht diejenige Rolle, die ihre Urheber ihnen zuschreiben. Sie legen überhaupt keine glatte, scharfe Teilungslinie durch die sozialwirtschaftlichen Phänomene (!), weil sich in diesen immer und überall beides zusammenmischt (!)" Und (Seite 224): "Die genauere Analyse der  sozialen Macht  führt vielmehr notgedrungen quer über den Teilungsstrich zwischen  sozialer  und  natürlicher  Kategorie herüber; sie hat hüben und drüben desselben zu schaffen ... die von  Stolzmann  als extrem naturalistisch gescholtenen Darlegungen der Grenzwerttheorie sind ebensowenig ein unvermischtes Destillat aus Einflüssen der natürlichen oder rein ökonomischen Kategorie allein; sie haben vielmehr überall den Einfluß der  Daten  einer gegebenen oder vorausgesetzten Rechtsordnung (!) in sich mit (!) aufgenommen." Umso schlimmer für sie! Sie bieten dann nur wieder einen Beleg für die in der vorigen Abhandlung (Seite 149) gerügte gemeinübliche Verwechslung und Vermischung der Kategorien als  Denkmittel  mit den  Phänomenen,  die durch sie erklärt werden sollen. Es ist ja das Scheiden und Analysieren erst der Grund ihrer begrifflichen Existenz und ihr "Zusammenmischen" eine logische Sünde.

Soweit von BÖHM-BAWERKs  Kritik.  Man ist nun sehr gespannt, wie er die zugestandene "Lücke", die durch die bisher nicht genügende Beachtung der sozialen Einflüsse in unserer Wissenschaft entstanden ist,  positiv  ausfüllt. Leider ist darüber nicht viel zu sagen. von BÖHM hat sich darauf beschränkt, durch eine Darstellung an einem herausgegriffenen Einzelfall, nämlich dem Streik der Arbeiter und den Gegenveranstaltungen der Unternehmer, darzutun, daß alle künstlichen Machteinwirkungen "wohl  temporär  energische und tiefgreifende, auch sehr tiefgreifende Wirkungen erzielen", daß diese aber von bleibender Dauer nur dann sein können, wenn sie sich innerhalb der Sätze halten, welche die "Grenzproduktivität" der Arbeit ermöglicht und bestimmt. Entsprechend ergibt sich das für den  Kapital gewinn, der ebenso auf die Dauer nicht höher oder niedriger sein kann, als die Grenzproduktivität des Kapitals und der "natürliche" Zins anzeigt. Es würden sonst immer "schließlich siegreich wirkende" Gegenkräfte rein wirtschaftlicher Natur ausgelöst, "mit dem Schlußerfolg, den Arbeitslohn vom Punkt des Machtdiktates wieder an den Konkurrenzpunkt zu rücken, das ist (?) an das Niveau des Grenzproduktes". Und dies soll also das wichtigste und das sicherste Ergebnis seiner Untersuchung sein, daß "auch das gebieterische Machtdiktat ... nicht gegen, sondern nur innerhalb der ökonomischen (was heißt das?) Wert- und Verteilungsgesetze wirkt, sie nicht aufhebend, sondern bestätigend und erfüllend".

Es ist eine eigene Art, eine ganze gegnerische Richtung damit widerlegen zu wollen, daß man sie an den fertigen Ergebnissen der eigenen Theorie kritisiert! Es ist ja ganz richtig, daß "künstliche Machteingriffe" auf die Dauer nichts gegen die Logik der Dinge ausrichten können, es fragt sich nur,  welches  diese Logik ist. In seiner ganzen Abhandlung geht von BÖHM-BAWERK mit keinem Wort auf all meine Einwendungen ein, die sich gegen die Grundlagen seiner Theorie und gegen die Ableitung der rein ökonomischen Zurechnung, des Grenzbeitrages und des Grenzprodukts richtet. Er spricht von ihnen wie von Axiomen.


Was von WIESER betrifft, so hat er - im Gegensatz zu von BÖHM - eine ausdrückliche Auseinandersetzung mit der sozialorganischen Richtung vermieden (siehe oben); aber der Sache nach bietet sein neues Werk von Anfang bis Ende den groß und weit angelegten Versuch, das System der Grenznutzenlehre durch die Aufnahme und Einfügung der sozialen Bestandteile der Volkswirtschaft zu einem abgerundeten und vollendeten Ganzen auszubauen. Er hat so  tatsächlich  dasselbe Problem wie von BÖHM mitbehandelt, aber viel tiefer und eingehender. Hier liegt wirklich das ernste Bestreben vor, von den weltfremden Abstraktionen, Isolierungen und Idealisierungen der Grenznutzenlehre zur sozialen Wirklichkeit durchzudringen. von WIESER unterscheidet viel reinlicher als von BÖHM die Macht von der "Übermacht", und hat ganz treffliche Beiträge über das Wesen und den Einfluß der Macht und der "gesellschaftlichen Schichtungen" geliefert. Er fügt die Ergebnisse dieses Einflusses überall in die rein ökonomischen Phänomene "ergänzend" ein, und lehnt  gegen  MENGER den Gedanken ab, "daß alle gesellschaftlichen Bildungen der Wirtschaft nichts weiter seie als  unbeabsichtigte soziale Resultanten  individuell-teleologischer Faktoren" (Seite 243). Aber wir sahen schon weiter oben, wie er schließlich den "Sinn" der ganzen Volkswirtschaft in den rein ökonomischen "Mengenverhältnissen" bzw. in den sich aus ihnen ergebenden wirtschaftlichen Handlungen erblickt. Was uns aber an dieser Stelle besonders interessiert, ist, daß er zu ganz ähnlichen Ergebnissen wie von BÖHM gelangt (vgl. Seite 389f). Auch bei ihm spielen sich alle Macht- oder, wie er auch sagt, alle monopolartigen (monopoloiden) Einflüsse auf die Dauer nur innerhalb des Rahmens ab, der durch den "Grenzbeitrag", das "Grenzprodukt" der Arbeit und des Kapitals bestimmt wird, obgleich wir sahen, daß beide Schriftsteller das "Zurechnungsgesetz", aus dem sie den Grenzbeitrag ableiten, so verschieden begründen, daß sie gegenseitig mit eigener Hand den "Grundpfeiler" zerstören, der die Tragfähigkeit des "logischen Unterbaus" ihrer Lehren bedingt.


Schluß: Die Bedeutung der sozialorganischen
Betrachtung für die Volkswirtschaftspolitik.

Kein Subjekt ohne Objekt, kein Objekt ohne Subjekt. Der scheinbar schlichte Satz birgt in sich das große Geheimnis des Menschentums. Nicht nur die Identitätsphilosophen, die ihre Namen davon erhielten, sondern die Denker aller Zeiten rangen in heißem Bemühen nach der Erkenntnis der rätselhaften  Einheit  von Objekt und Subjekt, von Sein und Denken, von Sein und Wollen, von  causa  und  telos.  Für die  Natur philosophie wird der Schleier des Geheimnisses wohl nie gelüftet werden. Denn, sagt der Italiener VICO schon im Jahre 1725, die Wissenschaft von der  Natur  kann nur Gott allein haben, weil er sie schuf. Aber, so fährt er fort, die Wissenschaft von der Welt der Nationen und der bürgerlichen Welt können auch die Menschen erlangen, weil sie von ihnen geschaffen ist. Wie das für alle geistigen Schöpfungen der Menschen gilt, so dürfte es auch für das  Menschenwerk der Volkswirtschaft  gültig sein. Es ist der menschliche  Wille  und die menschliche  Tat der Geist, der auch den  sozialen  Körper baut, aber nicht der atomisierte Einzelwille der Subjekte im Ergebnis einer kausalen Resultante, sondern der davon der  Art  nach verschiedene  Gesamtwille,  der im  "Zweck"  der geregelten Gemeinschaft seinen Ausdruck findet. Erst dieser Zweck der organisierten Gesamtheit drückt dann den Personen  und  Sachen seinen Stempel auf: die  Sachen,  die Objekte in Gestalt der Produktivfaktoren Boden, Kapital und ganz besonders der Arbeit, werden gewissermaßen  subjektiviert,  vermenschlicht, humanisiert, sozialisiert und ethisiert, es wird das Wort HERMANNs zur Wahrheit, daß sich der Mensch mit seiner Arbeit und seinem Vermögen in das Produkt versenkt, so daß es als ein Inbegriff menschlichen Daseins, als ein Stück Leben erscheint ("Soziale Kategorie", Seite 111 und 275). Andererseits werden die  Subjekte  mit ihren arbeitsteiligen Leistungen für die Gemeinschaft dadurch  objektiviert,  daß sie sich gegenseitig und im Verhältnis zur Gemeinschaft  Mittel  zum Zweck sind.  Auch  Mittel, nicht  nur  Mittel; denn sie geben zwar dabei ein großes Stück ihrer Selbstherrlichkeit auf; aber größer als der Verlust ist ihr geistiger und materieller Gewinn, mit dem sie, stärker und vollkommener als gesellschaftliches "Differenzierungsprodukt" aus der Gemeinschaft hervorgehen. Würde und Wert, Kraft und Stärke der Individuen und der Gesellschaft  bedingen  sich und wachsen miteinander empor ("Zweck", Seite 149 und 176). Ob man dann die nachträgliche Analyse der  gegebenen  Volkswirtschaft vom Individuum oder von der Gesellschaft aus  beginnt,  ist im  Ergebnis  gleichgültig, wenn sie nur voll ausgedacht wird und nicht mitten im Weg stecken bleibt (siehe "Subjektivismus", Seite 148).

Mit den Einzelwissenschaften steht es hier nicht anders wie mit ihrer  Mutter wissenschaft, der Wissenschaft vom Allgemeinen, der  Philosophie.  Wir sahen schon im "Subjektivismus" (Seite 179), wie noch KANT seinen kategorischen Imperativ die "individualistische"  Form  gab: Handle so, daß das Motiv deiner Handlung die Maxime einer allgemeinen Gesetzgebung sein kann! Dagegen hat die  Praxis  unseres "sozialen" Zeitalters den subjektiven Imperativ längst dahin ergänzt:  Regelt, organisiert  den Staat und die Gesellschaft so, daß die freiwollenden Individuen die Gesetze und Gebote der Gemeinschaft in die  Autonomie  ihres Willens aufnehmen können! ("Zweck", Seite 201, 609, 653). Erst so werden die Menschen aus  Sklaven  des einst vergötterten "Spiels der natürlichen Kräfte" zu beseelten Herrschern über sie und nehmen im Vollgefühl ihrer Kraft die Lenkung ihrer Geschicke in sittlicher Freiheit und Selbstverantwortlichkeit selbst in die Hand. Diesen Zug der Zeit vorausgeahnt zu haben, ist das Verdienst HEGELs. Hatte KANT jenes Reich der  Freiheit  zunächst mehr  formalistisch,  als "regulative" Idee, vom Reich der  Natur notwendigkeit reinlich abgeschieden, so versuchte HEGEL, beide Reiche durch die Einheit des Absoluten miteinander zu versöhnen, in der die Idee, die, wie er sagt, "mit der Vernunft identisch ist", sich zur "bunten  Wirklichkeit  der konkreten Erscheinungen verkörpert". So kommt man heute etwas spät zu der Erkenntnis, wie "modern" uns dieser Philosoph geworden ist, wenn man ihn im Kern erfaßt und über das verwirrende mystisch-logische Beiwerk seiner Dialektik hinwegsieht. Er ist durch und durch  sozial.  KANT und HEGEL gehören zueinander, sie ergänzen sich. Man sollte endlich mit der Oberflächlichkeit und Geschmacklosigkeit aufhören, beide Heroen deutschen Geistes gegeneinander auszuspielen.

Und wie HEGEL die Lehre FICHTEs und SCHELLINGs, d. h. den "subjektiven" und den "objektiven" zum  absoluten  Idealismus verband, so sollten sich auch in der Nationalökonomie Subjektivismus und Objektivismus zu einer "Vernunftehe" verbinden, "vernünftig" auch im tieferen Sinne HEGELs. Sie sollten dazu helfen, die Idee in die Existenz und die Wirklichkeit des Lebens umzusetzen und dadurch den Satz HEGELs durch die Tat zu verwirklichen: "Was vernünftig ist, das ist wirklich, und was wirklich ist, das ist vernünftig."

Diese Mahnung geht aber nicht bloß die  Teil disziplin der Nationalökonomie an, die das  Seinsollen  lehrt, die Volkswirtschaftspolitik sondern auch die Teillehre, welche das volkswirtschaftliche  Sein  behandelt, die  theoretische  Sozialökonomie. Will sie ihren Beruf erfüllen und der Politik das systematische Rüstzeug vorhalten, so darf sie die  bestehende  Volkswirtschaft nicht als hinzunehmendes "Naturgebilde" behandeln, sondern muß sie von Haus aus als ein geregeltes ethisches Zweckgebilde zu verstehen suchen. Erst dadurch gewinnt sie den  Generalnenner  zwischen dem, was ist und dem, was sein und werden soll, die Brücke von der Theorie zur  Politik  [rickert-idealpo]. Schon die alten Pandektisten haben eingesehen, daß die  Natur  nicht durch einen gesetzlichen Eingriff geändert werden kann. Das Geistige - und die Volkswirtschaft ist eine geistige Schöpfung - kann nur geistig gerichtet werden. Der oft genug gehörte Einwand der Zweckscheuen, der "Theophoben" ("Subjektivismus", Seite 187), daß die Erklärung des  Bestehenden  nichts mit der Ethik zu schaffen habe, geht nicht bis zum Kern. Das Gegenwärtige ist allerdings kausal zu erklären, aber die  causa  selbst ist  vorher  ethisch zu begreifen. Nicht die  Natur  ist "verantwortlich", ist Gegenstand des Fortschritts und der Reform, sondern das Menschenwerk der Regelung. Die theoretische Betrachtung  umfaßt auch das Praktische,  das ein Teil des Seins ist (WUNDT). Auch das  volks wirtschaftliche  Sein  bleibt ohne die mitwirkenden ethischen Faktoren historisch wie systematisch überall unerklärbar ("Zweck", Seite 101f). Es ist ein logischer Verstoß, den ethischen Zweckgedanken als Grundlage für die  Politik  anzuerkennen, ihne aber für die  Theorie  rundweg abzulehnen (vgl. auch "Zweck", Seite 78f), und aus den seitdem erschienenen, dieses Thema von den verschiedensten Standpunkten aus behandelnden Schriften: ALBERT HESSE, "Die Werturteile in der Nationalökonomie" in diesen Jahrbüchern 1912, Bd. 43, Seite 179; EDUARD SPRANGER, "Die Stellung der Werturteile in der Nationalökonomie", Schmollers Jahrbuch 1914, Seite 557, ferner OSKAR ENGLÄNDER, "Die Erkenntnis des Sittlich-Richtigen und die Nationalökonomie", ebd., Seite 1509f und 1737f.

Wodurch sich  meine  Darlegungen von allen bisherigen Schriften unterscheiden, ist, daß die letzteren mehr  allgemein  das Verhältnis der Ethik zur Volkswirtschaft behandeln, während ich  versucht  habe, die Bedeutung der sozialen und ethischen Betrachtung durchgreifend für die  Einzel materien der theoretischen Nationalökonomie (besonders für die Grundlehren von Preis und Einkommen) erstmals schlecht und recht durchzuführen und zu verwerten. Über den innigen Zusammenhang der sozialen Kategorie (Regelung) mit der Ethik verweise ich auf "Zweck", Seite 64 und 85: Alle "Regelung"  will  ein Ethisches  bewirken,  das von Natur eben  noch nicht da  ist. Meine Untersuchungen ergaben, daß die naturalistischen Quanitätstheorien in all jenen Einzellehren unausgefüllte und mit ihrer Methode unausfüllbare Lücken zurückgelassen haben, die  positiv  nur  sozialorganisch  ausgefüllt werden können. Da die Volkswirtschaft ein von den Menschen geschaffenes Organisationsprodukt ist, mit anderen Worten: ein  variables  Zweckgebilde, so ist der Weg der Politik für die  weitere  Organisation, für Fortschritt und Reform  frei  und geebnet. Die "soziale Frage" ist im weitesten Sinne eine  Organisationsfrage.  Es ist, wie ich zeigte, durch nichts erwiesen, daß der Umfang der heutigen Produktion und die Höhe der Einkommen aller Klassen durch den theoretisch  möglichen  sogenannten Nahrungsspielraum gegeben oder gar ihr bloßer "Ausdruck", ihre  Funktion  ist, wie mehr oder weniger alle bisherigen Theorien annehmen. Vielmehr zeigt jener Umfang immer nur, wie weit der natürliche Spielraum sozialorganisch zur Zeit  ausgenutzt  ist. Es genügt auch nicht, das von naturalistischer Seite öfters gemachte Zugeständnis, daß allerdings die Organisation  innerhalb  des  im übrigen entscheidenden  naturgegebenen Nahrungsspielraums ihr Feld habe, der letztere als  letzten  Endes den  dividendus  bestimmt, und daß nur  in seinen Grenzen  die  Aufteilung  nach den "Machtverhältnissen" der einzelnen Berufsklassen erfolgen kann. Es genügt auch nicht, wenn man zugibt, daß alle organisatorischen Fortschritte auf den Umfang der Produktion  indirekt  einwirken, daß z. B. besser bezahlte und genährte Arbeiter selbst bei verkürzter Arbeitszeit mehr und bessere Produkte hervorbringen. Das hieße immer nur, daß, wie von BÖHM sagt, die soziale Betrachtung in die Naturbetrachtung "eingebettet" ist. Wir sahen, wie umgekehrt die natürliche Ergiebigkeit nur in dem Maße ausgebaut wird, wie es die durch die  sozial notwendigen Abfindungen bestimmte  Kaufkraft  zuläßt. Erst die letztere ergibt die "effektive" Nachfrage, die Aufnahmefähigkeit des Marktes, den sogenannten  Marktmagen.  Erst diese "ursprünglich", sozialorganisch aus inneren und eigenen Gesetzen bestimmte  Nachfrage  regelt auf die Dauer den Umfang und die Art der zu  produzierenden  Güter. Das Angebot paßt sich der Nachfrage an. Angebot und Nachfrage sind  sozialkomplementäre Größen. 

Das hat die Wirtschaftspolitik bei allen ihren Maßregeln im Auge zu behalten. Die Politik jedes Einzelstaates muß einerseits dahin gerichtet sein, mit allen großen und kleinen Mitteln der Kulturförderung den Nahrungsspielraum weit zu halten. Das ist die  Vorbedingung  allen Gedeihens (siehe oben). Aber andererseits hat sie im Bund mit allen Organisationen der Selbstverwaltung und der Selbsthilfe die Hebung der  Kaufkraft  aller Volksklassen zum Ziel zu nehmen. Unser deutsches Volk kann stolz darauf sein, in vorbildlicher Weise, unbekümmert um veraltete Theorien aus England, diesen Weg beschritten zu haben, und zwar in der Politik nach  außen,  wie in der  inneren. 

Seiner Zollpolitik ist es gelungen, Produktion und Absatz in gleicher Weise zu fördern. Sie hat uns vor der kosmopolitischen Nivellierung mit den durch die Natur besser ausgestalteten Ländern bewahrt. Unsere Schutzzölle haben bewirkt, daß der Volkswirtscahft anstelle des vielleicht billigeren Einkaufs ausländischer Produkte ein reicher Ersatz durch die Hebung der vaterländischen Produktion und des  inneren  Marktes geworden ist. Was nützt es, wenn die eingeführten Waren dem "Konsumenten" um ein Weniges billiger zu stehen kommen, wenn der Konsument, als gleichzeitiger Produzent, inzwischen selbst zugrunde gegangen ist? Der  Krieg  hat uns von Neuem bestätigt, wie richtig es war, allen Malthusianern und Freihändlern Trotz zu bieten  Menschen  brauchen wir,  viele  Menschen, gut genährt und gesund an Leib und Seele! Der Jungbrunnen unserer Kraft, die Landwirtschaft, ist uns erhalten worden, zu vergleichen die goldenen Worte aus der Begründung des deutschen Zolltarifs über den Beruf des Staates, dafür zu sorgen, "daß die drei großen Berufsgruppen sich als kaufkräftige Abnehmer gegenseitig fördern und ergänzen" ("Zweck", Seite 524).

Nun aber die  innere  Wirtschaftspolitik. Hier zeigt sich ganz besonders die Wichtigkeit eines harmonischen Verhältnisses zwischen Produktion und Absatz die uns das weiter oben entwickelte Gesetz der großen sozialorganischen Produktions- und Konsumtionsgleichung vorführte. Man kann die stetige Bilanzierung dieser volkswirtschaftlichen Gleichung geradezu als die  Grundaufgabe  alter Wirtschaftspolitik bezeichnen. Und es ist nun die schwierige, aber auch dankbare Aufgabe der  Theorie den Nachweis der  Möglichkeit  einer solche und überhaupt aller regelnden Wirtschaftspolitik zu liefern. Ihr Feld wäre ein recht enges, wenn die Höhe des Preises und der Einkommen ein bloßer "Ausdruck" der naturgegebenen Urkräfte wäre, eine bloße Resultante der beiden Faktoren: Bevölkerung und Naturausbeute. Die Erhöhung des Einkommens der einen Volksklasse, so etwa der Arbeiterklasse, könnte, da der  Gesamt dividendus derselbe bliebe, nur auf Kosten einer anderen oder der  beiden  anderen Klassen erfolgen. Verteuernde Schutzzölle z. B. würden, wenn die Arbeitslöhne die gleichen bleiben würden, nur durch ein "Opfer" der Kapitalisten an ihren Gewinnen ermöglicht werden, wobei nur die oben erörterte Frage unerledigt bliebe, woher der Stoff zu nehmen wäre, aus dem uns all das Gute kommen soll. Gegen die "Kargheit" der Natur, gegen einen "natürlichen dividendus" ist nichts zu wollen, da hülfe kein Machteingriff und keine soziale Organisation, da würde auf die Dauer jeder ergiebigen  Sozialreform der Boden unter den Füßen weggezogen. Und gar ein Schutzzoll paßte hier wie die Faust aufs Auge ("Zweck", Seite 474f). Mit dem wohlgemeinten Gedanken der "Opfer" der einzelnen Volksklassen und der "Tribute" an das Gemeinwohl ist hier nicht viel geholfen. Es ist immer erst die Vorfrage nach der  dauernden  Wirkung jeder sozialpolitischen Maßregel zu erledigen. Und dazu will die sozialorganische Methode ihren erkenntnistheoretischen Beitrag liefern, sie will die Erkenntnis fördern, daß die wirtschaftlichen Erscheinungen nicht naturnotwendig "ehern", sondern sozialorganisch beindt, also  variabel  sind, und daß deshalb der bestehenden Gesellschaftsordnung eine Geschmeidigkeit und Anpassungsfähigkeit innewohnt, die  grundsätzlich  den weitgehendsten Ansprüchen auf Weiterbildung und Reform gerecht werden kann.

Unsere Volkswirtschaft hat diese Anpassungsfähigkeit  erwiesen.  Es schien ein großes Wagnis, ein Sprung ins Dunkle, die Abfindungen der drei Volksklassen, insbesondere des Lohnes der Arbeiter, erst einmal durch die Mittel der Staats- und Selbsthilfe in die Höhe zu bringen, ohne bestimmt zu wissen, ob bei der neuen "Verteilung" auch die sie bedingende erhöhte "Produktion" gesichert ist. Die Welt schien auf den Kopf gestellt zu sein!  Aber das große Wagnis gelang,  weil man nur die "volkswirtschaftliche Gleichung" erfüllte, in der die Produktion vom Konsmu mindestens ebenso gefördert wird, wie umgekehrt; denn die Konsumtion ist der  Zweck  und die Produktion nur ein  Mittel  dazu. Ein typisches Beispiel jenes Gelingens bietet unsere soziale Schutz- und Versicherungsgesetzgebung.

Die vom Reichstag am 23. Januar 1913 durch die Resolution SPAHN und Genossen (Reichstagsdrucksache 660) aufgeworfene Frage "über die wirtschaftliche, gesundheitliche, sittliche und soziale Wirkung der Arbeiterschutz- und Arbeiterversicherungsgesetzgebung und ihre Rückwirkung auf die gewerbliche Entwicklung" hat der Krieg, besser vielleicht wie jede Denkschrift, zum großen Teil von selbst, und zwar in einem für jene Gesetzgebung günstigsten Sinne beantwortet. Vergleiche hierüber den Aufsatz von berufener Hand: Dr. PAUL KAUFMANN, "Die Arbeiterfürsorge - eine Quelle deutscher Kriegsbereitschaft" in Nr. 38 der "Woche" vom 19. September 1914 und in den "Monatsblättern für Arbeiterversicherung vom 17. Oktober 1914. Das dort für ein besonderes Gebiet der Staatsfürsorge Ausgeführte braucht man nur für die ganze Volkswirtschaftspolitik zu verallgemeinern.

Das Gold bewährt sich im Feuer. Die Not bricht die schönsten Theorien und eingerostetsten Vorurteile. Der große Lehrmeister  Krieg  hat uns die ganze Unzulänglichkeit der alten naturalistischen Quantitätentheorien und der absoluten Herrschaft des Marktgesetzes von Angebot und Nachfrage besser wie alle wissenschaftliche Kritik mit einem Schlag gelehrt. Wir wollen nicht länger die Sklaven dieses Gesetzes sein; denn Angebot und Nachfrage sind, wie wir oben bereits erkannten, nicht das Regelnde, sondern vor allem selbst in zu Regelndes. Hat sich die Gesellschaft die Konkurrenzgesetze selbst gegeben, so hat sie auch das Recht und die Pflicht, ihr eigenes Werk stetig zu überwachen und nach den Zeitumständen zu ergänzen. Wir waren und sind mit unserer  Kriegswirtschaftslehre,  wie sie mehr oder weniger ausgesprochen der Denkschrift "Über wirtschaftliche Maßnahmen aus Anlaß des Krieges" vom 23. November 1914 (Nachtrag vom 30. November 1914) - Reichstagsdrucksache Nr. 26 und 29 - zugrunde liegt, auf dem  richtigen  Weg. In überzeugender Weise hat Dr. W. ZIMMERMANN, "Soziale Praxis" Nr. 4 vom 20. Oktober 1914 in dem auch theoretisch beachtenswerten Artikel "Unser täglich Brot" dargelegt, wie uns die "Grenznutzenlehre" "eine ganz falsche Welt von Preisvorstellungen"  suggeriert,  wie neben dem Gesichtspunkt der  Produktion  das Moment der "Verteilung" mehr berücksichtigt werden muß, der  verbrauchende Mensch,  das soziale Ziel, und daß das  Gesamt interesse der Verbraucher entschieden über das  Privat interesse der Erzeuger und Händler zu stellen sei. Dem Gesetz von Angebot und Nachfrage aus "sparpolitischen" Motiven freien Lauf zu lassen, das ist auch meines Erachtens ein Austreiben des Teufels durch Beelzebub: Den Preis zugunsten gewisser Produzenten und Händler zu erhöhen, und so der Not noch durch größere Not begegnen, das ist ein starkes Stück! Die Bilanz der volkswirtschaftlichen Gleichung, der lebendige "Kreislauf" der Volkswirtschaft, wird dadurch nicht gefördert. Es ist vielmehr richtig, was WYGODZINSKI "Soziale Praxis" Nr. 10 vom 3. Dezember 1914 in die treffenden Worte kleidet:
    "Es kommt in diesen Zeiten vor allem darauf an, daß der  Kreislauf  der Wirtschaft erhalten bleibt, daß die bisherige Lebenshaltng weitergeführt wird, damit zunächst einmal Kleinkaufleute und Handwerke als unmittelbare Konsumversorger und als deren Lieferanten Großhandel und Industrie beschäftigt bleiben. Die Stärke des inneren Marktes ist bei der Einschränkung des äußeren eine sozialpolitische Forderung ersten Ranges, die Beschäftigung von Millionen von Arbeitern ist an diese Voraussetzung gebunden."
Der Unzulänglichkeit der  Vorräte  ist nicht durch eine Verteuerung abzuhelfen. Wenn Pflichtgefühl, Belehrung und  eigene  Vernunft der Verzehrer nicht zur Sparsamkeit führen, so bleibt als  letzte  Vernunft, als  ultima ratio,  nur die öffentliche  Regelung:  Bestandsanzeige, Beschlagnahme und Zuteilung. Angebot und Nachfrage sind nur  Mittel  zum Zweck. Die Volkswirtschaft ist ein Werk der menschlichen Regelung, sie ist in Krieg und Frieden ein  ethisches Zweckgebilde! 
LITERATUR - Rudolf Stolzmann, , Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, III. Folge, Bd. 49, Jena 1915