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FRITZ MAUTHNER
Der Wortaberglaube
ist unausrottbar


Der Wortaberglaube ist unausrottbar. Der Beweis dafür ist leicht zu führen. Die Kraft eines einzelnen Menschen reicht nicht aus, um die vielen Tausende von Worten  nachzuprüfen,  in denen er sein geistiges Erbe, den Schatz aller Erinnerungen seiner Vorfahren, das heißt die zusammenfassenden Merkzeichen von Billionen von Empfindungen empfangen hat. Was der einzelne aber nicht selbst, das heißt an seinen eigenen Empfindungen nachgeprüft hat, das nimmt er auf Treu und Glauben hin; er muß also damit rechnen, daß er ungezählten Aberglauben mit in Kauf genommen hat. Auch der freieste Forscher kann sich vom Wortaberglauben nicht befreien, weil er nur auf dem engen Gebiete seiner eigenen Beobachtungen von seiner Sprache sagen kann, daß sie  seine  Sprache sei. Dieses ganze Buch ist der Befreiung vom Wortaberglauben gewidmet, und dennoch wimmelt es ganz gewiß von Wortgespenstern, an deren relativen Wert ich irrtümlich geglaubt habe.
LITERATUR - Fritz Mauthner, Beiträge zu einer Kritik der Sprache II, Frankfurt/Berlin/Wien 1982