cr-3ra-1 
 
FRITZ MAUTHNER
Konditionismus
- Wörterbuch der Philosophie -

"Kausale Gesetzmäßigkeit ist spekulative Mystik."

Seit HUME ist in der Philosophie, seit ROBERT MAYER ist besonders in der Naturphilosophie eine Tendenz zu beobachten: man will den Begriff der Ursache (causa) mehr und mehr durch den Begriff der Bedingung (conditio) ersetzen. Noch OSTWALD (Naturphilosophie, Seite 299) glaubte sich darauf beschränken zu dürfen, nur eine bestimmte Gruppe von Ursachen lieber  Bedingungen  eines Geschehnisses zu nennen. Neuerdings hat VERWORN ("Die Frage nach den Grenzen der Erkenntnis", Seite 15f und 44) fast ganz im Sinne HUMEs den Ursachbegriff zu eliminieren und für den alten Kausalismus das neue Wort  Konditionismus  einzuführen gesucht.
    "Der Konditionalsatz ist das allgemeine Darstellungsschema für alle Gesetzmäßigkeit. Er allein ist imstande, eine Erkenntnis in streng erfahrungsgemäßer Weise ohne irgendeine Zutat eines Deutungsversuches zum Ausdruck zu bringen. ... Diese Einkleidung aller Gesetzmäßigkeit in die konditionale Form ist eigentlich völlig selbstverständlich ...  Kausale  Gesetzmäßigkeit ist spekulative Mystik,  konditionale  Gesetzmäßigkeit ist Erfahrung. ... Eine genaue Beobachtung zeigt, daß in  keinem  Fall ein Vorgang zustande kommt durch  Einen  einzigen Faktor ... Läßt man den Gedanken, daß ein Vorgang durch eine einzige  Ursache  bewirkt wird, fallen und gesteht man zu, daß es zwei oder mehrere Ursachen sind, die einen Vorgang herbeiführen, dann verliert der Begriff der Ursache seinen Sinn und wird identisch mit dem Begriff der Bedingung. .... Die Dinge bedingen sich untereinander und alle Wissenschaft kann, wenn sie exakt sein will, nur in der Feststellung ihrer gesetzmäßigen Abhängigkeitsverhältnisse voneinander bestehen. Also wenn man durchaus eine Ismus haben will: nicht  Kausalismus  sondern Konditionismus."
Ich glaube, und fürchte es nicht einmal, daß dieses neue Wort Glück haben wird. An die Stelle eines ausgelaugten Begriffs mag ein jüngerer, ein kräftigerer treten, dem man mit der Zeit auch einen neuen Inhalt geben kann. Nur vergesse man nicht, daß das neue Wort auch nur ein Wort ist; VERWORN selbst hat das nicht ganz vergessen, da er den melancholischen Zusatz machte: "Wenn man durchaus einen Ismus haben will."

Ich habe (vgl. Artikel "Bedingung") die vielen Verschlingungen der Begriffe  Bedingung  und  Ursache  ein wenig zu entwirren mich bemüht; ich kann diese Darlegung jetzt so zusammenfassen: den Begriff der "Ursache" möchte man von vornherein in die reale Welt hineinlegen, wie andere Sachen oder Substantive; der Begriff der "Bedingung" gehört seinem Wesen nach der logischen Welt an. VERWORN hat ganz recht mit der Behauptung, daß der Konditionalsatz allein eine Erkenntnis ohne irgendeine Zutat eines Deutungsversuches zum Ausdruck bringt; nur daß auch die Erfahrungswissenschaften nach dem Wesen des menschlichen Verstandes auf Deutungsversuche niemals verzichten können oder wollen, nur daß wir gegen unseren Willen gezwungen sind, irgendeinen alten Ursachbegriff beim neuen Bedingungsbegriff mit zu verstehen. Und da erinnern wir uns, vielleicht mit einiger Heiterkeit, daß  Bedingung  keine Übersetzung des lateinischen  conditio  ist, sondern von  Ding  abgeleitet, welches selbst eine genaue Übersetzung des lateinischen  causa  ist, ursprünglich den Sinn von Greichtsverhandlung hatte und erst später den Sinn von (juristischer Angelegenheit,  Sache  bekam, wie auch im Französischen  cause  und  chose  aus dem lateinischen  causa  entstanden sind. Ich brauche nicht hinzuzufügen, daß trotz dieser Wortgeschichte der Begriff  Bedingung  vom Begriff  Ursache  sich so weit entferntn konnte, wie der menschliche Verstand eben sehen kann.
rückerLITERATUR - Fritz Mauthner, Wörterbuch der Philosophie, München und Leipzig 1910