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WALTER EISEN
Kritik der Sprachkritik Mauthners
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"Ohne das Denken in Wortvorstellungen wären keine über ein paar Wörter hinausgehenden Schlußreihen, somit keine Wissenschaften, keine auf Schlüssen beruhenden Erfindungen möglich."

Begriff und Wort sind nach MAUTHNER ebenso wie Vernunft und Sprache vertauschbare Bezeichnungen. Der einzige Unterschied zwischen ihnen ist nur in der Richtung der Aufmerksamkeit gelegen: einmal auf das Geräusch, welches die Sprachorgane bei Formung eines Lautkomplexes hervorbringen, das andere mal auf den Komplex der durch den Lautkomplex angeregten Assoziationen.

Das Wort bloß als "Wortschall", als Lufterschütterung, zu betrachten, ist ebenso äußerlich, ungenau, wie den Begriff bloß als Komplex von Assoziationen zu betrachten. Psychologischer Sachverhalt ist kein erkenntnistheoretisch -logischer. Und es kommt hier nur auf die erkenntnis - theoretische Bedeutung an. Worte sind Symbole, vertretende Zeichen für Vorstellungen oder  Begriffe Begriffe sind ebenfalls Symbole. Die Natur der Begriffe muß an den  wissenschaftlichen  Begriffen, welche  mit Bewußtsein  gebildet und angewendet werden, sich viel besser offenbaren, als an den vulgären Begriffen, den Worten der Gemeinsprache - und je fortgeschrittener eine Wissenschaft, je ausgebildeter ihre Begriffssprache, ihre Terminologie, um so besser, deutlicher, wie an den Begriffen der Physik und Mathematik, wo die implizite Definition eintreten kann.

Die Begriffe und Worte der Gemeinsprache aber werden von MAUTHNER vorwiegend zum Gegenstand der Analyse gemacht. Sie können aber wegen ihrer Verschwommenheit, eber ihrer mangelnden Ökonomie, kaum zu den eigentlichen Begriffen gerechnet werden (MACH), wenn auch, genetisch betrachtet, gewiß "die Begriffsbildung der Wissenschaft die natürliche Fortsetzung der Begriffsbildung des täglichen Lebens ist" (von ASTER).
    "Der Begriff ist für den Naturforscher, was die Note für den Klavierspieler, das Rezept für den Apotheker, das Kochbuch für den Koch" (MACH) "Alle Begriffe sind keine  fertigen  Vorstellungen, sondern gekürzte  Anweisungen,  die oft selbst wieder andere Anweisungen eingeschlossen halten, eine vorliegende Vorstellung auf gewisse Eigenschaften zu prüfen, Anweisungen auf ökonomisch geordnete, zum Gebrauch bereitliegende Erfahrungen. Die Kürze kann solchen Anweisungen ... zuweilen den Anschein von selbständigen Wesen geben. - Der Begriff, das heißt die Definition, bzw. der Name des Begriffes löst bestimmte Reaktionstätigkeiten, die ein bestimmtes  Ergebnis  haben, nicht aber fertige Anschauungen aus." (MACH)

    "Es ist ohne Zweifel zweckmäßig, den Namen und Gedanken für eine Gruppe von Eigenschaften, wo dieselben hervortreten können, stets bereit zu halten. Ein Chemiker  kann  ein Stück Natrium bei dem bloßen Anblick erkennen, setzt aber hierbei eigentlich voraus, daß eine Anzahl Proben, die er im Sinne hat ..., das von ihm erwartete Resultat geben  würden.  Wenn ich sage, ein Körper ist  elektrisch,  so ruft mir dies viel mehr Erinnerungen wach, ich erwarte viel bestimmtere Gruppen von Tatsachen, als wenn ich etwa die in dem Einzelfalle sich äußernde Anziehung hervorheben würde." (MACH)
Mehr als ein ökonomisches Symbol für alle jene als unter bestimmten Bedingungen eintretend  erwarteten  Erscheinungen ist aber dieser Name und Gedanke nicht. Es wäre ein leeres Wort für jenen, dem er nicht eine ganze Reihe wohlgeordneter sinnlicher Eindrücke wachriefe. -

Trifft der Geübte darauf, so weiß er sofort, was das Wort von ihm will.  Wohlgeübte Tätigkeiten  ... sind also der Kern der Begriffe. - In diesen Ausführungen treten die begriffbildenden Faktoren der  Erinnerung und der Erwartung,  sowie der ökonomische Symbolcharakter von Begriff und Wort klar hervor, aber auch der Wert von Begriff und Wort.

Was das Verhältnis von Wort und Begriff und ihre Funktion innerhalb des Erkennens angeht, so sagt der "Sprachkritiker" vor MAUTHNER, GUSTAV GERBER:
    "Es hat ja auch weiter  der Mops überhaupt,  der Windhund überhaupt usw. nur eben an seinem Worte seine Existenz, und nur  durch dies Wort  erhält das Denken die Möglichkeit, den  Begriff  in alle Urteilsverbindungen einzuführen und so seine  Bedeutung  zu bestimmen."
Das Wort ist infolge seines von den Sprachgenossen gekannten Lautes für diesen ein Zeichen, "konventionelles Zeichen", daß sie sich der unmittelbaren Anschauung erinnert; daß dem Wort nur Symbolbedeutung zukommt, was MAUTHNER als Novum verkündet, ist vom positivistischen Standpunkt aus nicht in Zweifel zu ziehen, er führt Lufthiebe. Der Begriff ist also ein Hilfsmittel, eine  fingiert  exakte Vorstellung, selbst mittels eines Wortes, Namens vertretbar, durch das  Urteile,  allgemeine Urteile ermöglicht werden.
    "Ohne das Denken in Wortvorstellungen wären keine über ein paar Wörter hinausgehenden Schlußreihen, somit keine Wissenschaften, keine auf Schlüssen beruhenden Erfindungen möglich." "Wir schalten mit Begriffen so,  als ob  es Vorstellungen mit völlig genau umrissenen Eigenschaften wären."
Nach SCHLICK kann darum streng genommen gar nicht von "Begriffen" gesprochen werden, sondern nur von "begrifflicher Funktion", welche durch Vorstellungen (- wortloses Denken -) oder auch Namen ausgeübt werden kann. Begriffen (bei MAUTHNER gleich Worten) als fiktiven Gebilden, entspricht nicht Wirkliches; das nimmt MAUTHNER (Scheinbegriffe und echte Begriffe werden in diesem Zusammenhang nicht unterschieden, bzw. alle Begriffe zu Scheinbegriffen gestempelt) zum Anlaß zu erklären:  also  sind sie wertlos.

Er löst sie von ihrer erkenntnisermöglichenden Umweg-Funktion; er verkennt den Zweck solcher nicht-realen Gebilde, ein bequemes Ordnen der Sinneseindrücke zu ermöglichen. Ihre höchst nützliche  Leistung  für die Berechnung, Beherrschung der Tatsachen genügt ihm nicht. Er mißt das Denken an seinem Wirklichkeitsgehalt und bleibt bei der Feststellung von dessen Nichtvorhandensein stehen; ganz im Sinne eines Realismus  sollen  aber die Begriffe, Worte, soll das Denken letztlich Erscheinungen abbilden, deren Wesen erfassen. Das lenkt auf die Auffassung des Verhältnisses von Denken und "Wirlichkeit" bei MAUTHNER hin, ebenfalls auf den Erkenntnisbegriff MAUTHNERs.


Kritik des Wirklichkeitsbegriffs Mauthners

MAUTHNER behauptet, Nominalist zu sein, in dem Sinne des von ihm zustimmend zitierten LOCKEschen Satzes, daß "alle menschlichen Urteile sich nur auf Worte und Wortverbindungen beziehen, nicht auf die Dinge selbst". Aber deswegen, weil die Worte nicht das wirkliche Wesen der Dinge bezeichneten, sondern nur eine Zusammenfassung sinnlich wahrnehmbarer Eigenschaften der Dinge (über deren Vollständigkeit wir nicht einmal jemals gewiß sein könnten), ist die Sprache MAUTHNER keine Erkenntniswerkzeug.

Eben hier macht MAUTHNER die Wendung zum Realismus. Gewiß: unsere Worte und Denkzeichen sind nichts als "nomina", fiktive Zusammenfassungen, sie können nichts anderes sein. Sie brauchen aber auch nichts weiter zu sein.

Auch die einfachste Beschreibung, Darstellung schließt schon rationale Elemente  notwendig  in sich -  fiktive  Elemente; das ist in der Tat allein schon bedingt durch den "metaphorischen" Charakter der  Sprache.  Ich kann nicht darstellen oder beschreiben  ohne  alle sprachlichen und rationalen Kategorien; da ich beschreiben nur mitter der  Sprache  kann, ist es nicht anders möglich, als daß die fiktiven sprachlichen Elemente in die Beschreibung hineinkommen.

Um des Empfindungschaos beschreibend Herr zu werden,  muß  ich es  begrifflich ordnen  muß ich, der ich nur die Empfindungen habe, z.B. "Körper" oder "Dinge" statuieren; es sind nur, wie unter anderen MACH schön ausführt, zusammenfassende bzw. abkürzende Symbole für  Gruppen  von Empfindungen, besonders Gruppen mit Elementen von relativ größerer Beständigkeit. Es sind Erinnerungs- oder Erwartungssymbole, bloß fiktive Einheitspunkte, auf welche die Mannigfaltigkeit der Bewußtseinsinhalte gezogen wird.

Ja, das "Bewußtsein" als solches verfälscht bereits die  eine  Empfindungs -Wirklichkeit, indem es (was besonders ins Auge fällt in der  Sprache)  sie als wahrgenommene, als Bewußtseins-Welt spaltet in "Subjekt" und "Objekt", in "Ich" und "Dinge" bzw. "Erscheinungen" und "Ding an sich", zerlegt das Kontinuum der gegegebenen Empfindungen in willkürliche Gebilde, Abschnitte usw. Aber - gegen MAUTHNER! - ohne diese Urfiktion ist "Erkennen" in keiner Form denkbar.

Denn Erkennen kann nur heißen:  etwas.  "Ich" und "Welt der Objekte" bedeutet eine  notwendige  Zerspaltung der Wirklichkeit eben  in  der Sprache; MAUTHNER betont:  durch  die Sprache als solche - mit der er eben darum Bewußtsein identifiziert. Treffend beschreibt diesen Sachverhalt auch ADOLF LAPP:
    "... auch die Sprache ist als ein großartiger Bau sich gegenseitig stützender Fiktionen zu betrachten. Gegeben sind nur die Empfindungen, und zwar sozusagen in ihrem Urzustand; denn sobald wir das Empfindungschaos betrachten, ordnen, benennen, objektivieren, arbeitet unsere Psyche schon mit Fiktionen, die samt und sonders von der Urfiktion  Ding an sich  - Objekt und Ding an sich - "Subjekt" abhängen. Die artikulierten Laute und die Schriftzeichen, die den flüchtigen Gedanken gewissermaßen feste Form geben, und sogar die Gedankenwelt selbst sind unentbehrliche Fiktionen, freisteigende Vorstellungen oder Phantasien.

    Wollten wir ohne Fiktionen auskommen, so würde nichts als ein stumpfes sinnloses Empfindungschaos übrig bleiben, und unser differenziertes menschliches Seelenleben würde zu einem brutalen Triebleben zusammensinken. Wenn wir also irgendein Gedankengebäude, natürlich auch das der Fiktionstheorie, denken und darstellen wollen, so benützen wir Fiktionen".
Aber sie sind, so ist der Sinn des Folgenden,  unentbehrlich. 

Die Unentbehrlichkeit dieser Fiktionen will MAUTHNER nicht wahrhaben, nicht den eminenten Nutzen, den sie, unbeschadet ihres Mangels an Wirklichkeitsgehalt, für das Leben haben. Was er selbst ständig wiederholt, daß Worte nur Zeichen für Sinneseindrücke als letztes Reales sind, bequeme Erinnerungszeichen, genügt ihm immer wieder nicht, - immer wieder sucht er die "Brücke" zur "Wirklichkeit". Denn es gibt - trotz alles Schwankens und aller Unklarheiten - für MAUTHNER eine Wirklichkeit hinter den Empfindungen, das Ding an sich geistert, von KANT und SCHOPENHAUER her, auch in der Sprachkritik.

Erkenntnis über die Sinneseindrücke hinaus gebe es nicht, da unsere Urteile letzten Endes nicht weiter, sondern auf die Sinneseindrücke zurückführen. - Die Erfahrung als Ganzheit von Empfindungen führt nicht zum Transzendenten, zum so sehr begehrten  Ding an sich.  "So spiegelt sich das Kind in der Seifenblase, die es selbst gemacht hat, und niemand kann sagen, ob es mehr weiß von der Wirklichkeit als die Farben, an denen es sich freut."

Gibt es eine Wirklichkeit  außer  der Welt der Symbole, eine Wirklichkeit, die nicht bewußtseinsimmanente Wirklichkeit ist? - Diese Frage - für den Positivisten ist sie nicht sinnvoll - wird von ihm sowohl direkt verneint, wie auch - und das ist allerdings ein notwendiges, bedeutungsvolles Glied in dem sprachkritischen Gedanken MAUTHNERs - direkt bejaht. MAUTHNER ist mit sich selbst im Widerspruch, wenn er eine Wirklichkeit jenseits der Sinneswahrnehmungen annimmt,  hinter  den "Erscheinungen" noch einmal eine "Wirklichkeit" sucht. Tatsächlich aber nimmt er diese "Verdoppelung der Wirklichkeit" vor, gegen die er sich gerade so scharf wendet an anderen Stellen.

Zum Beispiel in "Die Sprache" unter Zitierung von LICHTENBERG:
    "... Die ewig tautologische ist willig, solche Sätze zu bilden:  Ich grabe eine Grube,   Ich sehe eine Farbe,  und in diesen Abgrund hat LICHTENBERG schon hineingeleuchtet mit einigen seiner blitzartigen Bemerkungen:  Was  ist außen? Was sind Gegenstände  praeter nos?  Was will die Präposition  praeter  sagen? Es ist eine bloß menschliche Erfindung... Äußere Gegenstände zu erkennen ist ein Widerspruch; es ist dem Menschen unmöglich, aus sich heraus zu gehen. ... Man sollte sagen  praeter nos,  aber dem  praeter  substituieren wir die Präposition extra, die etwas ganz anderes ist. ... Ist es nicht sonderbar, daß der Mensch absolut etwas zweimal haben will, wo er an einem genug hätte, und notwendig genug haben muß, weil es von unseren Vorstellungen zu den Ursachen keine Brücke gibt. ... Weiter braucht auch der Sprachkritiker nicht zu gehen."
MAUTHNER stellt sich in Übereinstimmung mit LICHTENBERG, mit dessen Satz, daß es von unseren Vorstellungen zu den Ursachen keine Brücke gibt. LICHTENBERG aber ist und fühlt sich durchaus als KANTianer. MAUTHNER hat den  Kantianismus  LICHTENBERGs übersehen und die angeführten Sätze LICHTENBERGs aus dem Zusammenhang gerissen. In einer Vervollständigung und somit Richtigstellung der MAUTHNERschen LICHTENBERG-Zitate ist es mir gelungen, zu erweisen, wie nur ein gekürzter LICHTENBERG zum "Sprachkritiker" im Sinne MAUTHNERs zu werden vermag. Diese kleine Studie ist nicht gedruckt; später ist JOSEF DOSTAL-WINKLER in seinem "Lichtenberg und Kant" zu demselben Ergebnis gekommen betreffs der systematischen Stellung LICHTENBERGs. Wenn auch meine Studie anders angelegt war, so freut mich um so mehr, die völlige sachliche Übereinstimmung feststellen zu können, ganz besonders aber die Charakterisierung LICHTENBERGs als des "MACH des 18. Jahrhunderts".

MAUTHNER sind nicht nur die Worte Zeichen für Sinnesempfindungen, sondern diese selbst wieder nur Zeichen für ... - für was?, nun eben für irgend welche  Dinge,  bewußtseinstranszendente Dinge,  Dinge an sich  als Ursachen der "Erscheinungen"; trotz seiner diesbezüglichen Kritik an KANT. Übrigens, was diesen betrifft, liegt bei ihm eine konstante Verkennung des "Dinges an sich" vor. Er nimmt an, daß KANT das Ding an sich als Ursache der Erscheinung hypostasiert [einem Gedanken gegenständliche Realität unterschieben - wp] habe. - Tatsächlich liegt hier ein Grundirrtum: MAUTHNER geht von der vulgären KANT-Deutung aus.

Hätte er Gelegenheit genommen, mit dem VAIHINGERschen KANT tiefere Bekanntschaft zu machen (auch schon bei Bekanntschaft mit COHEN), wäre  vielleicht  seine ganze Kritik der Erkenntnis bedeutend verschieden von der vorliegenden ausgefallen. Auch besonders, von der VAIHINGERschen Richtung abzusehen, hätte er sich diese Kenntnis aus der Darstellung KANTs durch von ASTER holen können.

MAUTHNER verkennt, daß die "Dinge" nichts sind, wenn wir das mit den Sinnen (unseren "Zufalls-Sinne") Wahrgenommene, alle von ihnen aussagbaren Prädikate von ihnen abgezogen denken. Er merkt nicht, daß er hier ausgesprochen in Metaphysik verfällt. Gewiß sind die Dinge Dinge für uns, das Wahrgenommene Wahrgenommenes von uns; aber es ist sinnleer, außerdem noch, wie MAUTHNER, Dinge an sich, eine zweite Welt zu hypostasieren.

Das Ding an sich ist nichts als ein Grenzbegriff, ein "limitativer" Begriff, da  für uns das Wesen der Dinge immer nur in ihrer Erscheinung  besteht. Wo aber kein Gegensatz besteht, ist die Unterscheidung von Schein und Wirklichkeit ganz müßig und wertlos. So ist denn im kritischen Positivismus (VAIHINGER, MACH) das "Ding an sich" zur bloßen  erkenntnistheoretischen Hilfsvorstellung  geworden, und die  Welt der Erscheinung umfaßt alles, was wir "wirklich" nennen können.  "Wirklichkeit" selbst ist ein  Relationsbegriff.   Ding an sich  und  Erscheinung  sind, wie auch "Ich" und "Außenwelt", "Subjekt" und "Objekt", vom konsequent kritisch-positivistischen Standpunkt aus nur Korrelationsbegriffe.

Nicht die Empfindungen sind gebildete "Zeichen", Symbole, von den dingen - wie MAUTHNER meint, vielmehr das "Ding" bzw. der "Körper" ist gebildet als Gedankensymbol von einem Empfindungskomplex von relativer Konstanz.

Nicht die Welt ist also unsere Vorstellung, sondern unsere Vorstellungen, bzw. Empfindungen sind die Welt. Hier erhebt sich für MAUTHNER eine neue Frage. "Für den Sprachkritiker ... gähnt zwischen der zufällig gewordenen menschlichen Vernunft und der Wirklichkeit eine unüberbrückbare Kluft." Unsere Sinne sind zufällig gewordene "Zufalls-Sinne", unsere Sinnesempfindungen nur zufällige Bilder der Wirklichkeit, und damit ist auch  unsere  "Welt" eine Zufalls-Welt,  eine  von vielen (unendlich vielen) möglichen Welten. Hier wird recht deutlich der ungeklärte Positivismus MAUTHNERs.

Können wir überhaupt von Welt, von anderer Wirklichkeit sprechen, außer von der Welt, die uns  unsere  Sinnesempfindungen geben, von anderer Wirklichkeit als: die es "für uns" ist, als: in der wir  leben,  die wir so - -  nennen?  Wir können nur bei Möglichkeiten sinnvoll von "zufällig" sprechen, nicht bei einer Einzigkeit. Die Lehre von den "Zufallssinnen" impliziert ein "unbekanntes Land jenseits derselben", noch eine andere Welt als die uns durch die Sinne gegebene, das "Ding an sich"; dem nominalistischen Prinzip wird ins Gesicht geschlagen.

Da wir keine "andere" Wirklichkeit haben, von keiner anderen wissen, können wir ja von keinem Standpunkt aus beurteilen, daß die unsere "Wirklichkeit" "zufällig" ist. Sie ist uns  gegeben,  und es ist leere Begriffsmetaphysik, sie als "zufällige" zu statuieren. Konsequent im Sinne des Nominalismus wäre die Annahme: Das empirisch Gegebene  nennen  wir Wirklichkeit, insofern ist Wirklichkeit tatsächlich nur eine Metapher. Von dieser Ursymbolisierung aus aber haben wir ein Recht, innerhalb derselben nicht mehr zu relativieren, sondern dies Gegebene als "absolut" zu betrachten; das Leben selbst zwingt uns dazu.

Wir  wollen  nicht mehr als unsere Zufallswelt erkennen, eben die Zufallswelt, die uns mittels unserer "Zufallssinne" geliefert ist; nur von dieser können wir mit Sinn sprechen. Mehr kann sinnvoll keine Erkenntnis fordern; damit ist ihrem letztendlich praktischen Zweck, des empirischen Chaos Herr zu werden, Genüge getan. Erst wenn wir "hinter" die "Zufallswelt" eine andere, transzendente, setzen, kann von Inadäquatheit von Ziel und Mittel mit Fug die Rede sein.

Unsere Sinne sind "Zufallssinne", allerdings - mit ihnen können wir keine "absolute Welt" erfassen; "absolute Welt" aber ist ein Trugbegriff, eine Fiktion, nichts weiter; wer damit spielt, wie MAUTHNER, verfällt in metaphysische Spekulation. Ist aber einmal die ABsurdität einer Fragestellung erkannt, so braucht man sich über das betreffende Problem nicht mehr den Kopf zerbrechen. Es sind bei ihm aber immer  realistische  Vorstellungen im Spiel, die schließlich sogar dominierend werden.
    "Wir glauben von jetzt an, daß die Wirklichkeitswelt ein Produkt unserer Zufallsssinne ist, daß sie sich nach uns richtet; wir glauben zugleich, daß unsere Sinne ein Produkt der Außenwelt sind, daß unser Kopf von der Wirklichkeit eingerichtet ist."
Das Gefühl von der Nichtigkeit des Menschen, der in MAUTHNERs Phantasiebild der Unterhaltung des Mondes mit der Erde als Staub auf dem Gürtel derselben erscheint, die Bedingtheit und der ephemere Charakter des menschlich-geistigen Seins vom Standpunkt der  Entwicklungstheorie  aus, vermengt sich ihm mit der  erkenntnistheoretischen  Fragestellung nach Bedingungen, Möglichkeiten und Grenzen menschlicher Erkenntnis, für die "Bewußt-Sein" als solches überhaupt ein letztes Vorausgesetztes ist, er ist sich dessen im Grunde niemals klar geworden und gebraucht diebezüglich Worte in verschiedenen Bedeutungen. Was sich ergibt, ist ein Spiel mit Worten.

Die hier entwickelte Auffassung der MAUTHNERschen "Zufallssinne" bzw. "Zufallswelt" sei kurz zusammengefaßt: das verhaßte  Ding-ansich  hat es verstanden, durch eine Hintertür in die Erkenntniskritik MAUTHNERs Einzug zu halten. Indem er meint, "der Gedanke sei der Wissenschaft noch kaum gekommen, daß nicht nur die hörbaren und sichtbaren Erscheinungen der unbekannten Elektrizität, daß am Ende alles, was uns umgibt als Schall und Licht, nur die stammelnde Übersetzung unserer Sinne sei, aus einer fremden, fremden Welt ...", spottet er seiner und weiß nicht wie. "Zufallssinne, Zufallswelt" sind nur eine neue Formulierung der Scheinfrage.

Die "Lehre von den Zufallssinnen" hat Vorläufer, von denen MAUTHNER selbst, wie schon oben erwähnt, einige anführt. Ebenfalls ist schon oben darauf hingewiesen worden, daß die Andeutung dieser Auffassung bei GUSTAV GERBER MAUTHNER unbekannt geblieben ist.

Origineller, aber hier nicht bedeutungsvoller, ist die "Lehre von den  Drei Welten",  auf deren "Entdeckung" er sehr stolz ist. Er unterscheidet Grade der Wirklichkeitsnähe bzw. -ferne. In einem bestimmten (!) Sinn könnte auch der Positivist solche Stufen annehmen. MAUTHNER neigt aber dazu - das heißt auch hierin kommt er nicht mit sich ins Reine -, der "adjektivischen Welt" in prinzipiellem Gegensatz zu den beiden anderen, der substantivischen und der verbalen, Realität zuzuerkennen, und ihr daraus eine besondere Dignität herzuleiten. Vielleicht ist hier das "Irgendwie", wie die Metapher die Wirklichkeit deckt, "eine geheimnisvolle Übereinstimmung mit der Wirklichkeitswelt" besteht. (LANDAUER)

Hier also wird er ein absolutes Erkennen für bestehend halten, ein sehr naiver Realismus. Und ein anderes Mal glaubt er, jede der drei Wortgattungen gebe nur einen anderen Aspekt der wirklichen Welt; eine Vereinigung der drei Aspekte müsse ein adäquate Erkenntnis der Wirklichkeit ergeben. In keiner Sprache allerdings sei diese Vereinigung möglich, "... eine Sprache, die die Welt nicht erkennend zerspaltete, haben wir nicht". Eine solche "Erkenntnis", wie sie MAUTHNER vorschwebt, scheint mystisch, in der "Sprache" überhaupt unmöglich. Erkenntnis mittels der Vernunft - gibt es eine andere? - muß "zerspalten".
LITERATUR - Walter Eisen, Fritz Mauthners Kritik der Sprache, Wien-Leipzig 1929