Fritz Mauthner - Sprache und Denken I I
Der zentrale Aspekt des Zusammenhangs von Sprache und Denken verrät zweifellos eine deutliche Übereinstimmung in der sprachkritischen Bewußtseinslage der Generation um 1900, die sich in der Grundtendenz einer zunehmenden Berücksichtigung und Anerkennung der Macht der Sprache über das Denken und Bewußtsein manifestierte. Dabei war das Wissen um die Geprägtheit der Gedanken durch die fixierende und vorherbestimmende Gestalt der Sprache nicht erst eine erkenntnis- oder sprachtheoretische Errungenschaft des 19. Jahrhunderts. Der im Chandos-Brief beschriebene "Prozeß vom Vertrauen ins Wort zur Unmöglichkeit, das Wort zu gebrauchen"(30), hatte aber in dieser Epoche einen gewissen Höhepunkt erreicht. Äußerungen zur präjudizierenden Macht der Sprache über Denken und Handeln häufen sich in der Zeit MAUTHNERs. Schriftsteller und Philosophen sehen eine ihrer Hauptaufgaben darin, gegen diese Gewalt der Worte vorzugehen. Die sich voll entfaltende Wirkung der zugleich verwirrenden, aber auch fruchtbaren Fragestellung nach der Wechselbeziehung von Sprache und Denken hat sich gerade in dieser Epoche voll entfaltet. Im philosophischen Werk WITTGENSTEINs z.B. niemmt der Fragenkomplex Sprache-Denken eine ganz entscheidende Stellung ein. Im Tractatus gibt es zwar noch die Vorstellung einer Abbildfunktion der Sprache; aber bereits hier heißt es:
ARTHUR SCHNITZLER hat in seinem treffenden Aphorismus die Ambivalenz der Wechselbeziehung von Sprache und Denken charakterisiert, wobei der die jeweilige Insuffizienz des einen gegenüber dem anderen als zwei grundsätzliche Möglichkeiten nebeneinanderstellt.
RAINER MARIA RILKE, der mit MAUTHNER die Prager Jugendzeit und die multilinguale Sprachsituation teilt, hat wohl wie dieser sehr früh bereits den denkprägenden Einfluß der jeweiligen Sprache verspürt. Seine dichterischen Versuche in russischer und französischer Sprache stehen ganz sicher in einem Zusammenhang mit dem Versuch, das Vorgeformte und bereits Geprägte des muttersprachlichen Denkens und Ausdrückens zu überwinden. RILKEs, aber auch KAFKAs Auseinandersetzung mit dem schlechten Prager Deutsch waren sicherlich immer auch ein Kampf gegen die Herrschaft bestimmter Sprachformen über ein davon abhängiges Denken und Bewußtsein. Damit ordnet sich die spezifische Prager Sprachkrise in die allgemeine Sprachproblematik um 1900 ein, wie andererseits das besondere Problem des Bezugs von Sprache und Denken auch immer wieder in den Fragenkomples des sprachlichen Vorverständnisses der menschlichen Wirklichkeitserfahrung einmündet. Die Literatur der Jahrhundertwende sah sich, aus der Bewußtwerdung der engen Abhängigkeit des Denkens von der Sprache heraus, in zunehmendem Maße der Eigengesetzlichkeit der Sprache gegenüber. An die Stelle des subjektiven, freien Verfügens über vorgegebene Sprachmittel war eine veränderte
Wenngleich die Zuspitzung dieser Problematik erst nach der Jahrhundertwende ihre volle Entfaltung zeigte - bis hin zur neuesten Literatur unserer Tage -, so darf doch nicht übersehen werden, daß bereits THEODOR FONTANEs geschärftes Sprachbewußtsein dieses Phänomen zu einem Gestaltungsprinzip seiner Romane gemacht hat. Die Besonderheit seiner Sprachskepsis ist nicht zuletzt die gelungene Verknüpfung des bewußtseinsprägenden Aspekts der Sprache mit den zeit- und gesellschaftskritischen Ansätzen seiner literarischen Sprachformung. FONTANE
MAUTHNERs Argumentation hingegen, die jede Denkmöglichkeit über die bestehende Sprache hinaus beinahe völlig leugnen wollte und dadurch die Möglichkeit eines Sprachwandels, einer Spracherweiterung und -bereicherung stark einschränkte, geriet immer wieder in die Gefahr eines neuaufkommenden Wortaberglaubens, weil sie verschiedene Phänomene, die sicherlich sehr eng zusammenhängen - Ich, Bewußtsein, Denken, Sprache - einfach per definitionem gleichsetzte und damit die komplizierten und vielschichtigen Zwischenbereiche und Querverbindungen zugunsten einer radikalen Identifikation ausklammerte. MAUTHNER führte damit die gemeinsame zeittypische Grundtendenz des Mißtrauens gegenüber einer Sprache, die das Denken fixiert und präjudiziert, zu einem absoluten und beinahe ausweglosen Abschluß. Seine Versuche, den Zusammenhang von Denken und Sprache zu klären, führten ihn immer wieder in die Nähe bloßer Nominaldefinitionen, die er selbst, als Sprachkritiker und an anderer Stelle, strikt ablehnte, während die sprachskeptische Haltung mancher Schriftsteller seiner Zeit in der literarischen Ausgestaltung des Verhältnisses von Sprache und Denken schon eher einer von MAUTHNER gewünschten Realdefinition näher kamen.
Diese absolut begriffliche Reduktion des Denkens und Bewußtseins - und damit der Sprache überhaupt - auf das Gedächtnis, auf die in der Erinnerung festgehaltenen Wahrnehmungen und Erfahrungen, erklärt die absolute Steigerung des MAUTHNERschen Skeptizismus, der in dieser Form und aufgrund solcher Prämissen nicht unwidersprochen bleiben konnte.
Dieser Darstellungs- und Deutungsversuch der Sprachproblematik zeigt die Sonderstellung der MAUTHNERschen Sprachkritik wieder ganz deutlich. Der Gegensatz zwischen einem solchermaßen totalen (Sprach-) Skeptizismus und der perspektivenreicheren Sprachskepsis innerhalb der sprachbewußten Literatur der Jahrhundertwende ist unübersehbar. Exemplarisch und vorbildlich wird MAUTHNERs Sprachkritik immer nur an jenen Stellen, an denen sie weniger nach definitorischen Feststellungen und erkenntnistheoretischen Endpositionen trachtet, sondern sich als eine Infragestellung, eine selbstkritische Prüfung der sprachlichen Mittel versteht. Der Hinweis auf den komplizierten Zusammenhang zwischen Sprache und Denken, den MAUTHNER in immer neuen Klärungsversuchen zu durchleuchten versuchte, ist zweifellos ein wichtiges und zeitspezifisches Element seiner Sprachtheorie, wenngleich er in vielen zugespitzten Schlußfolgerungen die komplexe Beziehung auf allzu eindeutige und undialektische Begriffe reduzierte.
30) RAINER NÄGELE, Die Sprachkrise und ihr dichterischer Ausdruck bei HOFMANNSTHAL, in "German Quaterly", Vol. XLIII (Nov. 1970), Nr.4, Seite 727 31) WITTGENSTEIN, Schriften, Band 1, Frankfurt/Main 1960, Seite 25 32) WITTGENSTEIN, Schriften, Band 1, Frankfurt/Main 1960, Seite 411 33) WITTGENSTEIN, Schriften, Band 1, Frankfurt/Main 1960, Seite 342. Vgl. dazu auch RICHARD BRINKMANN, Hofmannsthal und die Sprache, in DVjs. 35. Jhg. (1961, Seite 69-95) 34) Hugo von Hofmannstahl, Prosa I, aus "Werke", Hrsg von Herbert Steiner, Frankfurt/Main 1951, Seite 265 35) Hugo von Hofmannstahl, Prosa II, aus "Werke", Hrsg von Herbert Steiner, Frankfurt/Main 1951, Seite 13 36) ARTHUR SCHNITZLER, Aphorismen und Betrachtungen, in "Gesammelte Werke", Frankfurt 1960, Seite 278 37) F. WODTKE, Das Problem der Sprache beim späten Rilke, in "Orbis litterarum" XI, (1965), Seite 64-109 38) RICHARD BRINKMANN, Theodor Fontane, "Über die Verbindlichkeit des Unverbindlichen", München 1967, Seite 130 39) RICHARD BRINKMANN, Theodor Fontane, "Über die Verbindlichkeit des Unverbindlichen", München 1967, Seite 144f 40) ELISABETH LEINFELLNER, Zur nominalistischen Begründung von Linguistik und Sprachphilosophie, FRITZ MAUTHNER und LUDWIG WITTGENSTEIN, in "Studium Generale" 22 (1969) Seite 218f 41) Beiträge I, Seite 408 42) Beiträge I, Seite 452 43) Beiträge I, Seite 425 |