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ELISABETH LEINFELLNER
Sprachkritik und Atheismus
bei Fritz Mauthner

- I I -

Mauthner im hist. Kontext
Fritz Mauthner
Sprachkritik und Erkenntnistheorie
...daß die Tendenz zu substantivieren ein vom Tier ererbter Instinkt ist...

Die verbale Welt kann beschrieben werden. Aber das "freche Menschenwort", wie MAUTHNER sagt, möchte auch noch erklären und erschafft sich, das Wort dem Wort, die substantivische Welt. Die substantivische Welt scheint unsere Welt zu verdoppeln - nur weiß man nach MAUTHNERnicht genau, was sie verdoppelt (DBW, 27). Dies ist die Welt der Dinge, der personifizierten Ursachen und Kräfte (DBW, 54), die Welt der Götter und der Geister. Die substantivische Welt ist die unwirkliche Welt des Raumes und des Seins (WP 11, 466); sie ist die mythologische Welt (WP 11, 464), die Welt der Metaphysik (WP 11, 221) und letztlich auch die Welt der Mystik. Die substantivische Welt, "von der das Gedächtnis der Menschheit nichts wußte, bevor es sich das Wort angeschafft hatte" (WP 1, 14; siehe auch GA IV, 437ff.), ist nämlich die Welt aller Dinge, nicht nur der Götterdinge und der Teufelsdinge, der metaphysischen Dinge, der -heiten -keiten und -schaften (DBW, 54,77) und der Kausalitätsdinge, sondern auch derjenigen Dinge, die wir gewöhnlich "empirische Dinge" nennen:
Auf ein ganz anderes Gebiet gehört es, wenn wir im Banne der Sprache, weil wir immer das Unsagbare sagen möchten, die Sehnsucht nach Dingen-an-sich hinter der adjektivischen Welt tief empfinden und die Symbole der substantivischen Welt für solche Dinge-an-sich nehmen ... (WP 11,466)
Es ist also nach MAUTHNER so, daß alle Substantiva, nicht bloß die abstrakten, metaphysischen oder religiösen, Dinge nur vortäuschen, nicht bezeichnen. Alles andere wäre eine Banalität. Auch die Einzeldinge, die wir aus unserer adjektivischen Erfahrung gewissermaßen zusammensetzen, sind daher nur Symbole, unter denen wir die mythologischen Ursachen ihrer adjektivischen Wirkung zusammenfassen (WP 11,464; siehe auch DBW, 77). Der trügerische Charakter der abstrakten Terme und ähnlicher Terme ist nur leichter aufzuzeigen. So betrachtet ist es klar, daß MAUTHNERannehmen muß, daß die Tendenz zu substantivieren ein vom Tier ererbter Instinkt ist (WP 11, 466): auch das Tier sucht nach personifizierten Ursachen.

MAUTHNERhält die Zurechnung Gottes zur substantivischen Welt für den stärksten, den unwiderlegbarsten, weil sprachkritischen, Beweis für das Nicht-Dasein Gottes (GA IV, 440, Fn.; siehe auch GA IV, 91, 155f) Einmal sagt er sogar, daß die Frage nach dem Dasein Gottes einfach falsch gestellt ist (GA IV, 341). Das Ding Gott existiere ebensowenig wie das Ding  Phlogiston,  das man hinter der Erscheinung brennender Dinge suchte (GA IV, 438f.; WP 1, 449), und ebensowenig wie der Stein der Weisen (WP I, 448f). So ist Gott dem Denker ein Nichts; ein Etwas kann er nur dem Dichter sein, getreu MAUTHNERs Auffassung, da8 die Sprache ein brauchbares Instrument der Dichtung ist (GA IV, 85f).

MAUTHNERdiskutiert ausführlich den Bedeutungswandel von  Gott  bei verschiedenen Philosophen und Schriftstellern. Wir wollen hierüber nur eine kurze Bemerkung machen. In der Antike - so MAUTHNER- war  Gott  kein Eigenname, sondern ein Gattungsname (GA I, 74f, 99f) - MAUTHNERselbst spricht viele, viele Male nicht von "Gott" sondern von "dem Gott" so wie man von "dem Teufel" spricht. Später wird aus dem Gattungsnamen ein Eigenname, und der Eigenname entwickelt sich im Pantheismus zu einem Stoffnamen wie  Feuer  (GA IV, 440f).

Gott ist ein Wort, ein mühsam konstruiertes Wort, ein Wortschall (DBW, 82; GA 1, 37; GA 111,340); MAUTHNERspricht vom "Gott unseres Wörtervorrats" (WP 1,448) und nennt ihn das "jenseitige Substantivum" (DBW, 62); er ist, wie der Teufel auch, eine ererbte Sprachvor-stellung. Wie der Teufel ist er eine substantivische Gestalt des Glaubens (GA 1, 26); er ist eine erfundene Ursache (GA 1, 132), bzw. die ererbte Form oder Formel einer Erklärung (GA IV, 156). Dieser "absolute Scheinbegriff" (WP I, 15) ist obendrein nicht einmal über verschiedene Sprachen hinweg konstant: Jede Sprachgemeinschaft, ja, jedes Individuum (MAUTHNERs Individualsprache!) betet jeweils einen anderen Gott an (siehe z.B. GA 1, 99f,117, 131, 222; GA IV, 439f).

MAUTHNERdiskutiert auch die Frage, wie ein Gott in den zwei anderen Welten oder Bildern der Welt aussieht oder aussehen würde, wobei man bedenken muß, daß nach ihm alle Sprache trügerisch ist und verdoppelt, nicht nur die substantivische - die substantivische richtet bloß mehr Schaden an.

Das Problem eines rein substantivischen Gottes ist, daß er ohne Eigenschaften unvorstellbar ist; daher müssen ihm immer zumindestens einige Eigenschaften zugeschrieben werden (GA IV, 372, 435ff), die auf irgend eine Weise miteinander verknüpft werden. In einer rein adjektivischen Welt ist Gott nicht ein unendliches Ding, sondern das Unendliche. Der verbale Gott wäre als Schöpfer ein Eigenname, als Energie ein Stoffname (GA IV, 440). Eine Leistung MAIMONIDES besteht nach MAUTHNERdarin, daß bei ihm Gott der verbalen Welt angehört: Gott hat keine Attribute, sondern Gottes Attribute werden als Wirkungen dargestellt (GA I, 250). In der biblischen Legende druckt sich der verbale Aspekt Gottes nur einmal aus, bei der Schöpfung aus dem Nichts; dann trennen sich Gott und Welt. Diese Trennung ist jedoch für manche bedruckend; daher ließen SPINOZA und andere den Gott ewig weiterschaffen (DBW, 45f).

Ebenso sollten nach MAUTHNER  Geist  (GA I, 46) und Seele (GA I, 48) nur verbal verwendet werden - wenn sie schon verwendet werden müssen. Statt  Seele  könnte man vielleicht ,Geseel‘ sagen. Dann können aber den Seelen, den Geistern und dem Gott - der ja auch ein Geist ist - keine absoluten Eigenschaften, ausgedrückt in unären Termen, zugeschrieben werden. Unsterblich zu sein ist eine unfaßbare Eigenschaft, ist leer (GA 1, 42f, 569); unsterblich ist ebenso sinnlos wie unendlich‘. Mit dem gleichen Recht, mit dem wir sagen, daß die Seele unsterblich ist, könnten wir sagen, der Teufel ist viereckig (GA I, 41). Der Satz "Die Seele ist unsterblich" ist nicht falsch - MAUTHNERbetont dies ausdrücklich - sondernunverständlich, d.h. unsinnig, ebenso unverständlich und unsinnig wie "Das Davonlaufen des Hasen ist rosenrot" (GA I, 48). Wir haben es hier also mit einem Kategorienfehler zu tun: ein Term, der der verbalen Welt angehört, wird mit einem unzulässigen Prädikat verknüpft.

Wir sehen, daß MAUTHNERseine drei Kategorien nicht völlig im grammatischen Sinne verwendet, ein Problem, auf das wir hier nicht eingehen können. (11)

Theologie. Nach MAUTHNERist es kennzeichnend für die Theologie, daß sie nur den substantivischen Gott kennt und daß sie, und die Gläubigen mit ihr, ohne Gottes Eigenschaften mit ihm als bloßer Person nicht sehr viel anfangen können (GA IV, 435; siehe auch oben).

Aus allem, was wir bis jetzt gesehen haben, ist es klar, daß MAUTHNERkein schmeichelhaftes Bild der Theologie entwerfen wird - und so ist es denn auch: Die Theologie wird abwechselnd als eine vermeintliche oder angebliche Wissenschaft von Gott (GA 1,530; GA IV, 412, 417), als Scheinwissenschaft (GA 1, 186, 194, 221; GA 11, 199; GA IV, 28f. usw.) und als Afterwissenschaft (GA II, 4) bezeichnet; es wird gesagt, sie sei überhaupt keine Wissenschaft (GA I, 66f.) und nur ein bestochener Theologe könne sie Wissenschaft nennen (GA IV, 393). Die Theologie vermittelt vermeintliches Wissen (GA 1, 208) und sie bringt noch Unglaublicheres vor als die Astrologie (GA I I , 35); sie ist immer widersprüchlich (GA 1, 126). Und so, wie man früher hat Professor der Astrologie werden können, ohne daß jemand etwas dabei gefunden hat, so kann man heute (1920) Professor der Theologie werden. Es sei ein öffentlicher Skandal, der
anstößigste(n) Skandal(e) der wissenschaftlichen Welt: daß es nämlich an unseren wissenschaftlichen Hochschulen immer noch 1923) theologische Fakultäten gibt ... (GA IV, 417; siehe auch GA II, 586f. und GA IV, 315,325)
Eine christliche Philosophie schließlich hält MAUTHNERfür ebenso unsinnig wie eine christliche Mathematik (GA I , 176f).

MAUTHNERals Atheist. Bevor wir im letzten Abschnitt auf die gottlose Mystik eingehen, sollen noch ein paar Worte über MAUTHNERs Atheismus gesagt werden.

MAUTHNERhat einmal dargestellt (siehe oben), daß es eine beliebte Methode des Gottesbeweises ist, so zu tun, als ob alle Völker einen Gottesbegriff und darüber hinaus noch einen einheitlichen Gottesbegriff hätten. Nach demselben Schema ist es üblich, von erklärten Atheisten zu sagen, da8 sie tief religiös seien, wenn auch nicht im üblichen Sinne, nach dem System, daß man vom "moralischen Sieg" spricht, wenn man den Krieg verloren hat, oder von der "wahren Freiheit", die nur in Diktaturen verwirklicht werden kann. In der Dogmatik geht man so weit, zu sagen, daß "die ehrliche und zweifelsfreie Überzeugung von der Nichtexistenz Gottes auf die Dauer festzuhalten" unmöglich sei. (12)

MAUTHNERist diesem Schicksal nicht entgangen. JOHNSTON sagt z.B., ganz im Sinne des gerade entworfenen Klischees:
Speaking with the nostalgia of an exile about a realm that he had abjured, MAUTHNER, like another rootless Jew of Bohemia, GUSTAV MAHLER, longed to see God face to face. For both of them, language screened a reality that they could not doubt. (13)
JOHNSTON nennt MAUTHNERs Haltung die "staunchest negative theology of the twentieth century" (14)  negative Theologie  ist wohl ein Euphemismus für  Atheismus;  der Krieg als negativer Frieden ist dann nicht mehr weit.

In einem ansonsten recht verständnisvollen Artikel des protestantischen Theologen BENZ über FRITZ MAUTHNER und LEOPOLD ZIEGLER (MAUTHNERhat übrigens ZIEGLER sehr geschätzt, siehe GA IV, 406ff.) heißt es denn doch:
Der Atheismus MAUTHNERs ist also nicht Leugnung der Transzendenz, sondern die Wiederherstellung der reinen Jenseitigkeit, der Erhabenheit und Majestät des Transzendenten. Es ist im Grund die Wiedererkennung des verborgenen Gottes des Alten Testamentes, den man nicht sehen kann, ohne zu sterben ... (15)
Das mag wohl gut gemeint sein, von einem Theologen wie BENZ, der glaubt, daß der Mensch, und nur der Mensch, einen spezifischen Sinn für die Erfahrung des Transzendenten hat, so wie der Mensch einen Sehsinn hat. (16) MAUTHNERhat diesen Sinn fürs Transzendente einmal wie folgt charakterisiert: Man hat von der Existenz des Wortes  Gott  auf die Existenz Gottes geschlossen, so als ob der ontologische Beweis zu den Instinkten des redenden Menschen gehöre (WP 1,458).

Nun, wie gesagt, JOHNSTON und BENZ mögen es gut gemeint haben, aber es ist eben doch falsch. Zunächst sei bemerkt, daß MAUTHNERnicht prinzipiell religionsfeindlich war (siehe z.B. GA IV, 377ff, 385ff, 398f); oft genug betont er, daß jeder Atheist den Religionen - und sogar den Theologien - gegenüber selbstverständlich tolerant sein müsse. Aber für sich selbst hat er,  sine ira et studio,  den Atheismus beansprucht.

Wir wollen hier nur eine Stelle aus dem  Wörterbuch der Philosophie  erwähnen. MAUTHNERsagt da zunächst, daß die Gretchenfrage nicht die wichtigste aller Fragen sei, und fährt dann fort: Er persönlich halte den Atheismus, als die Negation des Wortes  Gott  verstanden, für die einzige anständige Weltanschauung - aufdie man sich aber nichts einbilden solle und die tolerant sein solle (WP I, 454f. ; siehe z.B. auch GA IV, 416f). Wer so schreibt, dem kann kein Glaube an eine Transzendenz angehängt werden, ein Glaube, der auch mit MAUTHNERs gottloser Mystik unverträglich wäre.


Gottlose Mystik.

Kein Ding sei, wo das Wort gebricht, hat einmal ein Dichter gesagt; nach MAUTHNERmüßte man sagen, kein Wort sei, wo das Ding gebricht - dies würde unseren Wortvorrat erheblich reduzieren, denn die Welt der Dinge, auch der empirischen, ist ja nach MAUTHNEReine Illusion.

Diese Illusion ist aber auch die Welt der Mystik, der "ehrlichen Scheinwelt" (DBW, 165), wie MAUTHNERsagt. obendrein ist der größte Skeptiker nach ihm der größte Mystiker. Von der "angstgejagten" Mystik des Mittelalters (GA IV, 277), der gläubigen Mystik der Pietisten (GA IV, 361) und anderen Formen der Mystik unterscheidet sich die gottlose Mystik eben dadurch, daß sie gottlos ist (GA IV, 430). Die gottlose Mystik ist monistisch, aber nicht im Sinne des materialistischen Monismus: Der Monismus der gottlosen Mystik besagt bloß, daß die Welt nur einmal da ist (DBW, 25; siehe auch allgemein WP 11, 132ff. und GA IV, 425ff).

Die gottlose Mystik gibt dem Menschen die biologische Möglichkeit, in der "kalten und dünnen Höhenluft" (GA IV, 446) der Skepsis zu atmen. Im Zustand der gottlosen Mystik fühlt sich der Mensch vorübergehend eins mit der Natur und der Welt und er hebt dadurch die von der Sprache verursachte Verdopplung der Welt auf. Hier entschwindet die Sprache: die gottlose Mystik muß, weil sie gottlos ist - Worte sind Götter, sagt MAUTHNEReinmal (KdS 1, 162, 164, 167; DBW, 34) - auch wortlos sein (DBW, 90).

Die letzten Sätze von Der Atheismus und seine Geschichte im Abendlande fassen diese gottlose Mystik sehr schön zusammen:
Sprachkritik war mein erstes und ist mein letztes Wort. Nach rückwärts blickend ist Sprachkritik alles zermalmende Skepsis, nach vorwärts blickend, mit Illusionen spielend, ist sie eine Sehnsucht nach Einheit, ist sie Mystik. Epimetheus oder Prometheus, immer gottlos, in Frieden entsagend. (GA IV, 447)

LITERATUR - Elisabeth Leinfellner in J.C. Nyìri (Hrsg), Von Bolzano zu Wittgenstein, Zur Tradition der österreichischen Philosophie, Wien 1986
    Abürzungen
    GA I-IV = Der Atheismus und seine Geschichte im Abendlande, Bd. I-IV (Stuttgart-Berlin 1920-1923);
    KdS I-III = Beiträge zu einer Kritik der Sprache, Bd. I-III (Leipzig 31923; reprografischer Nachdruck Hildesheim 1969);
    WP I - II = Wörterbuch der Philosophie, Bd. I - I I (München-Leipzig 1910; reprografischer Nachdruck Zürich 1980);
    DBW = Die drei Bilder der Welt (Erlangen 1925);
    LT = Der letzte Tod des Gautama Buddha (München-Leipzig 1913).
    Anmerkungen
  1. Siehe z.B. K. Arens, Functionalism and Fin de sieècle: Fritz Mauthner’s Critique of Language (New York-Bern-Ffm 1984), Seite 230ff. Für eine allgemeine Darstellung der "drei Bilder"; für eine Darstellung der "drei Bilder" in Beziehung zu den grammatischen Kategorien siehe E. Leinfellner-Rupertsberger, "Fritz Mauthner", in M. Dascal et al. (Hrsg.), Handbuch der Sprachphilosophie, Berlin-New York, im Druck).
  2. Ott L. Grundriß der katholischen Dogmatik, Freiburg-Basel-Wien, 1965, Seite 19.
  3. W. M. Johnston, The Austrian Mind, An Intellectual and Social History, Berkeley 1972, Seite 199.
  4. W. M. Johnston, The Austrian Mind, An Intellectual and Social History, Berkeley 1972, Seite 198, siehe auch Seite 220.
  5. Benz, E., "Zwei Denker in ihrer Landschaft: Fritz Mauthner und Leopold Ziegler", in Glaserhäusle 4, 1982, Seite 15.
  6. Benz, E., "Die Säkularisierung des Christentums und die neuen Religionen", in O. Schatz (Hrsg), Hat die Religion Zukunft? (Graz-Wien-Köln 1971), Seite 233ff.