cr-3 GegenstandA = ADingÄhnlichkeitBegriffRickert - Definition    
 
FRITZ MAUTHNER
Definition

"...daß all unser Definieren nichts weiter ist als ein Sichbesinnen auf die übliche Bedeutung der Begriffe oder auf den allgemeinen Sprachgebrauch."

Wer der formalen Logik die Bedeutung abspricht, die man ihr etwa von ARISTOTELES bis BACON zugestanden hat, der wird auch den Wert der Definitionen für das menschliche Denken geringer einschätzen als die Lehrbücher der Logik es tun. Dabei hat die Logik von ihrem Standpunkte aus ganz recht; und wir werden gleich sehen, welche Rolle der Standpunkt oder das Interesse dessen, der eine Definition aufstellt, bei der entscheidenden Wahl des unterscheidenden Merkmals spielt.

Soll die Logik nach der Art der Mathematik zu sicheren Schlüssen führen, so muß sie allerdings mit streng definierten Begriffen arbeiten. Die von ARISTOTELES abhängige Scholastik glaubte wirklich, in ihren sauberen Definitionen einen Weltkatalog des  Wesentlichen  zu besitzen.
    "Eine vollständige Sammlung aller möglichen Definitionen wäre für ARISTOTELES eine Realenzyklopädie aller Wissenschaften gewesen; für uns nur ein tödlich langweiliges Wörterbuch, nebst Angaben des nächst höheren Artbegriffes und des determinierenden Merkmals. Dabei kann sie gewöhnlich nur der etwas denken, der es schon weiß. So ist die Definition immer nur entweder eine Worterklärung, wie der Artikel eines Fremdwörterbuches (nämlich für jeden Schüler), oder sie ist eine Aufforderung an sich selbst, sich an die Grenzen des Begriffs zu erinnern und keine Dummheiten zu reden. Einen Fortschritt im eigenen Denken erzeugt sie so wenig, als eine Speisekarte dadurch den Hunger stillt, daß ihre französischen Namen gegenüber deutsch übersetzt stehen." (Kr.d.Spr.I, S. 310)
Wir wollen uns darum auf die ewig wiederholten Warnungen vor Definitionsfehlern nicht näher einlassen; um so weniger, als das Nötigste in anderem Zusammenhange besser vorgebracht und geordnet wird. Wir wollen nur zwei Punkte hervorheben: die alte Einteilung in Real- und Nominaldefinitionen und den hergebrachten Anspruch der Definition darauf, das Wesen des definierten Dinges oder Gedankendings anzugeben.

Was die uralte Unterscheidung in Real- und Nominaldefinitionen betrifft, so ist diese scholastische Distinktion in den letzten Jahrzehnten allgemach, wenn auch nicht immer ausdrücklich, preisgegeben worden. Eigentlich hatte schon REID den Unterschied fallen gelassen: "A definition is nothing else but an explication of the meaning of a word."

Was ich selbst über diese Distinktion zu sagen hätte, habe ich bereits in der sprachkritischen Logik (Kr.d.Spr.III, S. 308) ausgeführt:
    " Weil wir die Welt nicht verstehen, darum gibt es keine andere Art der Definition als die Worterklärung. Die alte Einteilung in Nominal- und Realdefinitionen hat gar keinen logischen Sinn, weil wir doch die Dinge selbst nicht erklären können und kaum erklären wollen. Ich habe schon angedeutet, daß es wohl einen Unterschied zwischen Wort- und Sacherklärung geben könnte, wenn wir die logischen Spitzfindigkeiten vergessen und dagegen festhalten wollten, daß wir es nur mit psychologischen Vorgängen zu tun haben. Man könnte es wohl ganz besonders eine Nominaldefinition, eine Worterklärung nennen, wenn ich einem noch unwissenderen Menschen, als ich es bin, ein bisher fremdes oder bisher inhaltleeres Wort weitergebe und es dazu definiere, das heißt dazu sage, an welche Vorstellungen das Wort mich erinnert.

    Man könnte im Gegensatz dazu es eine Realdefinition nennen, wenn ich durch eine neue Beobachtung oder eine neue Erfindung einen Begriff erweitere, dadurch seine Definition verändere und mich selbst auf diese Änderung oder Bereicherung meiner Sprache besinne. Ein großer Überblick würde dann lehren, oder zu sagen gestatten, daß die menschliche Sprache von bahnbrechenden Geistern durch Realdefinitionen höher geführt worden ist, daß das menschliche Denken also durch Realdefinitionen gewachsen ist, daß aber der normale Mensch seine Sprache oder seine Weltanschauung von der Geburt bis zum Tode nicht anders lernt als durch Nominaldefinitionen.

    Unser gesamtes Denken oder Sprechen bewegt sich in Nominaldefinitionen oder Tautologien; einer Realdefinition dann sich nur das Genie vermessen - oder der Wahnsinn. Wer mir aufmerksam gefolgt ist, wird hier erkennen, daß dieser anheimgegebene Gegensatz von Nominal- und Realdefinition für mich zusammenfällt mit dem Gegensatz der Erkenntnisse  a priori  und  a posteriori.  Der Wertschätzung nach werden dabei freilich die Kantschen Begriffe auf den Kopf gestellt; es war aber  a priori  zu vermuten, daß die Sätze der reinen Vernunft, die Sätze vor aller Erfahrung nicht viel wert sein würden, nicht mehr als eine Erbschaft, die Gemeingut ist, als ein Recht auf das Licht der Sonne."
Ich möchte zu dieser Auffassung, die freilich Definition und Denken, Sprechen und Wissen unter einem ganz bestimmten Lichte zusammensieht, jetzt noch eine Bemerkung machen, die vielleicht unversehens zu dem zweiten Punkte hinüberführen wird, den ich betrachten wollte.

Wenn es keine anderen Dinge gibt als Gedankendinge, wenn auch die sogenannten Körper nur unsere Vorstellungen sind (vgl. Art. Ding), wenn wir andererseits alle diese Dinge und Gedankendinge gar nicht anders vorstellen können als durch Begriffe oder Worte, so liegt es auf der Hand, daß all unser Definieren nichts weiter ist als ein Sichbesinnen auf die übliche Bedeutung der Begriffe oder auf den allgemeinen Sprachgebrauch.

Es gibt knappe und weitschweifige Definitionen, es gibt Besinnungen des Meisters und Erklärungen für den Schüler, es gibt aber nicht Dingerklärungen außer und neben den Begriffserklärungen der gleichen Dinge. Auch hier also begegnen wir der Neigung des philosophierenden Menschen, die eine und einzige Welt zweimal zu setzen.

Die psychologische Unterscheidung die ich an die veralteten Worte  Real-  und  Nominaldefinition  zu knüpfen suchte (durch den Zauber der alten Worte verführt), ließe sich noch ein wenig verallgemeinern. Wir wollen von dem seltenen Falle absehen, daß ein Genie durch eine wichtige Neubeobachtung den Inhalt eines Begriffes wesentlich ändert. Auch sonst ist es für die psychologische Wirklichkeit nicht dasselbe, ob ein Schüler des Fachs die Fachausdrücke oder die leitenden Begriffe so kennen lernt, wie sie von den Fachleuten allgemein gebraucht und verstanden werden; oder ob ein Meister des Fachs sich erlaubt, den Sprachgebrauch der Kollegen zu verlassen, für den eigenen Gebrauch der Begriffe eine besondere Regel aufstellt, die er nachher freilich unweigerlich zu befolgen haben wird.

Selbstverständlich gilt das ebenso gut bis hinauf zu den Fachausdrücken der Philosophie und bis herunter zu allen Worten der Gemeinsprache. Es gibt also wirklich zwei Arten der Definition, je nach dem ob man sich auf den allgemeinen Sprachgebrauch besinnt, auf die Bedeutung, die der Begriff  zwischen den Menschen  hat, oder ob man sich auf seinen eigenen Sprachgebrauch besinnt, auf die Bedeutung, die man selbst dem Begriffe beizulegen pflegt oder beilegen will. Man könnte diese beiden Arten der Definition ganzu wissenschaftlich unterscheiden: die provisorische und die definitive Definition, die völkerpsychologische und die einfach psychologische Definition.

Ich mache keinen dieser Vorschläge im Ernste. Die Ungleichheit der beiden Definitionen läßt mich nur darauf schließen, daß die mathematisch sichere Definition der Logik, die Definition für die totsicheren Schlüsse, in der psychologischen Wirklichkeit gar nicht vorhanden ist, daß sie ein Ideal ist, an dem weder die Begriffe der Gemeinsprache noch die der Individualsprache gemessen werden dürfen.

Der weiseste Grieche SOKRATES, ist auch der Mann, dem in der Geschichte der Philosophie die Sehnsucht nach Idealdefinitionen zugeschrieben wird. Er war der erste Lehrer, der von seinen Schülern saubere Definitionen verlangte, das heißt doch wohl einen sauberen Gebrauch ihrer Muttersprache. Ob SOKRATES wohl in seiner  docta ignorantia  wirklich geglaubt hat, durch Definitionen das Wesentliche der Begriffe zu erfassen? Jedenfalls hütete er sich, entweder der Gemeinsprache oder der Individualsprache allein zu vertrauen. Mit seiner Umgebung plaudernd suchte er die wahren Definitionen, so berichtet der getreue Xenophon. Aber es lag dem griechischen Geiste nahe, an die Erkennbarkeit des Wesens der Dinge zu glauben.

Zweitausend Jahre mußten vergehen, bevor die Denkarbeit ganzer Generationen von Philosophen langsam auch das Denken als einen psychologischen Vorgang betrachten lernte, ernsthaft Erkenntnistheorie zu treiben begann und so u. a. auch zu der Überzeugung gelangte, daß man von keinem Merkmal eines Dings sagen dürfe, dieses Merkmal sei dem Dinge  wesentlich  daß man darum eine absolute Definition gar nicht aufstellen dürfe. Jedes Ding der Wirklichkeitswelt steht in irgend einem Zusammenhang mit der gesamten übrigen Wirklichkeitswelt, jede Vorstellung mit der gesamten übrigen inneren Welt; im Leben hängt es von unserem Interesse ab, im Denken von unserem Standpunktee, welche dieser Beziehungen, welches von diesen Merkmalen wir als das wesentliche ansehen wollen.

Wir dürfen nicht glauben, jemals das wesentliche Merkmal zu finden, durch dessen Hinzufügung an das  genus proximum  so bequem die richtige Definition - nach der Schulmeinung - entstehen soll. Es gibt keine absolut richtige Definition, wie es übrigens auch keinen absolut richtigen Sprachgebrauch gibt. Was freilich auf dasselbe hinausläuft. Ich glaube fast, mich bei dieser skeptischen Ansicht sogar auf KANT berufen zu dürfen, der einmal (er war nicht immer so vorsichtig) gesagt hat, die Definition sei "ein zureichend deutlicher und abgemessener Begriff".
LITERATUR - Fritz Mauthner, Wörterbuch der Philosophie, München/Leipzig 1910/11