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OTTO STAUDE
Der Begriff
der Apperzeption

[1/2]

"Die Einheit der Apperzeption oder des Selbstbewußtseins beruth auf der kontinuierlichen Aneinanderreihung der vereinzelten Akte des empirischen Bewußtseins mittels der Vorstellung der durchgängigen Identität des Subjekts, in welchem sich diese einzelnen Akte vollziehen. Erst durch diese Apperzeption wird eine Vorstellung zu einer Vorstellung des denkenden Subjekts. Die Apperzeption ist also die notwendige Voraussetzung allen Selbstbewußtseins. Dieses beruth aber nicht auf einer Selbsterkenntnis, die uns aus der inneren Erfahrung käme, sondern auf dem Bewußtsein einer Spontaneität des Verstandes, die sich im Akt der Apperzeption betätigt."

"Die Kategorien des Empfindens stehen bei Herbart gewissermaßen am Eingang, die des Handelns am Ausgang der Seele, während im Inneren derselben näher dem Ausgang die Kategorien des Wollens, näher dem Eingang des Wissens gestellt sind."


Einleitung

1. Das Wort "Apperzeption" in den
Nouveaux essais von Leibniz

Das Wort "Apperzeption" ist von LEIBNIZ in die Sprache der Philosophie eingeführt worden. Bereits in den um das Jahr 1704 verfaßten "Nouveaux essais" hat LEIBNIZ im Anschluß an die durch LOCKE vertretene Gegenüberstellung von Wahrnehmung und Denken (perception und pensée) den Vorschlag zu einer Unterscheidung der Begriffe Perzeption und Apperzeption (perception und s'apercevoir) gemacht (233, 4) (1), ohne daß er selbst im Verlauf des Dialogs der "Nouveaux essais" die Worte  apperception  und 's'apercevoir in einem spezifisch philosophischen Sinne gebraucht. Anstatt seinen eigenen Vorschlag weiter zu befolgen, scheint er geradezu bisweilen die LOCKE'sche Unterscheidung zu adoptieren; sieht er doch beispielsweise den Vorzug der "Geister" vor den niederen, bloß perzipierenden Monaden im Denken (268, 72), welches, wie er in Übereinstimmung mit LOCKE annimmt, als eine von willkürlicher Aufmerksamkeit geleitete Beschäftigung des Geistes mit den Vorstellungen einen Gegensatz zu der mehr passiven Tätigkeit der Perzeption bildet (233, 1.2).

Die Anwendung des Wortes "Apperzeption" in den  Nouveaux essais  steht wesentlich auf dem Standpunkt des gewöhnlichen Sprachgebrauchs, wenn auch hie und da zu einer weitergehenden Erklärung des Wortes Anlauf genommen wird. Zunächst bedeutet "apperzipieren", etwa in gleichem Sinne mit "prendre garde" [Aufpassen - wp] (212, 25), nur das Erfassen durch die Aufmerksamkeit. Der Apperzeptionsvorgang wird näher erklärt teils als eine Anhäufung von Elementarperceptionen (233, 4), die für sich allein wohl perzipiert, aber nicht apperzipiert werden, teils als Erfolg einer größeren Klarheit einer Vorstellung gegenüber der Masse der sonst dem Bewußtsein zugänglichen Vorstellungsgebilde (244, 11). Der letztere Gedanke basiert auf der Annahme latenter Vorstellungen; es gibt immer Perzeptionen in uns, die zwar in einem fortwährenden Aufsteben (tendance) begriffen sind (223, 9), aber sich dennoch der Apperzeption entziehen, d. h. uns nicht in deutlicher Gestalt zu Bewußtsein kommen. Dadurch, daß wir uns der einzelnen Empfindungen bewußt werden, sie apperzipieren, vollzieht sich nun ferner beim Wahrnehmungsakt eine Vereinigung der isolierten Empfindungen bewußt werden, sie apperzipieren, vollzieht sich nun ferner beim Wahrnehmungsakt eine Vereinigung der isolierten Empfindungen zu zusammengesetzten Vorstellungen (227, 11), während darüber hinaus durch fortgesetzte Verknüpfung der Wahrnehmungen und Reproduktionen der Apperzeptionen die Einheit unseres Bewußtseins begründet (281, 14).

So sehr man nach diesen beiläufigen Erkärungsversuchen der Apperzeption versucht sein könnte, die Keime der späteren Auffassungen des Apperzeptionsbegriffs bereits in den "Nouveaux essais" zu suchen, so läßt doch gerade die wechselnde Bedeutung der Worte  aperception  und  s'apercevoir  in diesem Werk den entsprechenden Begriff noch im ersten Stadium einer anfangenden Entwicklung erscheinen, die sich selbst für LEIBNIZ erst in der Monadologie und den  Principes de la nature  in gewissen Sinne abschließen sollte.


2. Begriff der Apperzeption in der Monadologie
und den Principes de la nature.

In den beiden zuletzt genannten Arbeiten hat LEIBNIZ mit entschiedener Absicht die Unterscheidung der Begriffe "Perzeption" und "Apperzeption" gemacht und unmittelbar an eine Einteilung der Monaden nach ihrer Rangordnung angeknüpft. Jeder Monade kommt im Allgemeinen die innere Tätigkeit der Perzeption, d. h. der Vorstellung (repr#esentation) des Zusammengesetzten der Außenwelt im Einfachen der Monade zu (714, 2). Freilich werden die Vorstellungen nicht von Außen in die Monade hineingestrahlt, sondern entstehen selbständig im Innern derselben (705, 11), eine durch die andere hervorgerufen, und reihen sich unter dem Zwang der zwischen innerer Bewegung und äußerem Geschehen bestehenden Harmonie aneinander (714, 3). Eine bevorzugte Klassen von Monaden bilden die sogenannten "Seelen", welche sich aus der Masse der schlechthin als Monaden oder Entelechien zu bezeichnenden einfachen Substanzen hervorheben, weil ihnen eine deutlichere (706, 19), zur Empfindung (sentiment) gesteigerte (715, 4) und mit Gedächtnis verbundene Perzeption zu Gebote steht. Allein unter den Seelen zeichnen sich wiederum, eine dritte Stufe bildend, die mit Vernunft begabten Seelen oder Geister (esprits, animae rationales) aus, welche die Außenwelt nicht nur in vollkommener Perzeption ergreifen, sondern auch in ihrem Zusammenhang begreifen (connaissance des causes, 715, 5). Sie knüpfen aufgrund des Verständnisses der notwendigen Wahrheiten der Natur an den Akt der Perzeption den der Apperzeption, d. h. der refletierenden Erkenntnis (connaissance réflexive, 715, 4) der in ihrem Innern sich abspielenden Vorgänge, und gelangen auf solche Weise zur Vorstellung des eigenen Ich, zum Selbstbewußtsein (707, 30).

Apperzeption ist hiernach eine vervollkommnete Form der Auffassung des Seeleninhalts und die notwendige Voraussetzung nicht allein des Selbstbewußtseins, sondern auch jeder höheren Erkenntnis, welche die vernunftbegabte Monade vor den unentwickelteren Entelechien voraus hat.


3. Sinn und Bedeutung der Einführung
des Apperzeptionsbegriffs.

Die Auffassung des Apperzeptionsbegriffs in der Monadologie und den "Principes de la nature" bezeichnet einen wesentlichen Fortschritt gegenüber der unsicheren Bedeutung des Wortes "Apperzeption" in den  Nouveaux essais.  Aber schon dieses Werk begründet im Gegensatz zu LOCKEs Untersuchungen das Postulat, die einzelnen Elemente des äußeren und inneren Wahrnehmungsprozesses, die sich vom Anfang einer physiologischen Erregung bis zum letzten Stadium psychischer Auffassung und Verarbeitung aneinanderreihen, nicht einer bloßen Rezeptivität der Seele zuzuschreiben und demgemäß auch nicht in dem einen Wort  Perzeption  zusammenzufassen, sondern sachlich und sprachlich auseinander zu halten. In der Monadologie und den "Principes de la nature" erfolgt der erste entschiedene Schritt zur Erfüllung dieses Postulats. Die zentripetale Vorstellungsbewegung spaltet sich in Perzeption und Apperzeption; jene reicht, mag ihr nun ein äußerer oder ein innerer Reiz vorangegangen sein, hinauf bis zum Eintritt der Vorstellung in das Bewußtsein; hier beginnt die Apperzeption, die Aufnahme der Vorstellung in das eigentliche Selbstbewußtsein.

Immerhin beherrscht die schwankende Grenze, welche LEIBNIZ auch in den beiden späteren Werken zwischen Seelen und Geistern gezogen hat, nicht minder schwankend die Trennung der Begriffe Perzeption und Apperzeption. Nicht nur wird aufgrund des Kontinuitätsprinzips, welches auch im zeitweisen Herabsinken der höheren Monaden auf die niederen Stufen einen vorübergehenden Ausdruck findet, die Gesamtheit jener Drei Typen, der niederen Stufen einen vorübergehenden Ausdruck findet, die Gesamtheit jener drei Typen, der niederen Monaden, der Seelen und der Geister, in eine zusammenhängende Reihe des Fortschritts und Rückschritts aufgelöst (706, 22; 707, 28), sondern es ist schon dadurch, daß zwischen die bloß perzipierenden und die apperzipierenden Monaden sich noch eine Zwischenstufe, die Monaden mit höher entwickelter Perzeptionsbegabung, einschiebt, ein weiter Spielraum für den sukzessiven Ausgleich des Unterschiedes jener beiden Begriffe gegeben.

Diejenigen Gedanken, welche LEIBNIZ bei der Entwicklung und schließlichen Formulierung seines Apperzeptionsbegriffes hauptsächlich im Auge gehabt zu haben scheint, können in folgende beiden Sätze zusammengefaßt werden:
    1.  Die mannigfaltigen Wahrnehmungen, welche uns der äußere oder innere Sinn übermittelt, werden nicht in unveränderter Form von der Seele hingenommen, sondern unter dem modifizierenden Einfluß des Seeleninhaltes durch die Apperzeptionstätigkeit zu geordneten und zusammenhängenden Erkenntnissen ausgebildet. 

    2.  Der Apperzeptionstätigkeit, welcher wir unsere gesamten Vorstellungen unterwerfen, sind wir uns nicht nur als einer in unserem Ich vor sich gehenden, sondern auch als einer spontanen Tätigkeit bewußt. 
Auf den letzteren Gedanken hat LEIBNIZ wiederholt hingewiesen zu einer Zeit, wo ihm die Begriffe  Apperzeption  und  Denken  noch nicht wesentlich gesondert erschienen (268, 72; 250, 4; 233, 1); den ersteren konnte er allerdings nur zu einer relativen Geltung bringen, weil er den Ursprung überhaupt jeder Vorstellung in der Seele allein suchte. Aber er gibt zu (223, 2), daß der äußere und innere Sinn insofern Quellen der Wahrnehmung sind, als sie uns die schon vorher in uns verborgenen Erfahrungsvorstellungen zu Bewußtsein bringen. Neben diesen Erfahrungsvorstellungen entwickelnnun die höheren, mit dem Apperzeptionsvermögen begabten Monaden auch noch die notwendigen Wahrheiten aus ihrem eigenen Inneren heraus und treten, mit diesen erfüllt, denkend an die weitere Erfahrung heran.

Wenn aber auch die beiden oben ausgesprochenen Grundgedanken auf eine psychische Tätigkeit hinweisen, welche in gewissem Sinne eine Tatsache der inneren Erfahrung ist, so lassen sie doch über das eigentliche Wesen dieser Tätigkeit noch sehr im Unklaren. Man wird daher schließlich einräumen, daß LEIBNIZ in seinem Apperzeptionsbegriff weniger einen wissenschaftlichen Begriff geschaffen, als vielmehr mit dem Hinweis auf denselben der Psychologie und Erkenntnistheorie ein Problem gestellt hat, welches seinen Ausdruck in der Frage findet:
    Welches ist das Wesen der spontanen Tätigkeit, mit welcher das Subjekt im Erkenntnisakt und im Denken seinen eigenen Vortellungen gegenübertritt? 


4. Allgemeiner Überblick über die
Geschichte der Apperzeption

Das von LEIBNIZ gestellte Problem wurde von der späteren Philosophie in sehr verschiedener Weise mit dem Apperzeptionsbegriff in Verbindung gebracht, aber doch haben die LEIBNIZ'schen Grundgedanken die leitenden Gesichtspunkte auch für die weitere Entwicklung des Begriffes abgegeben. Diese Entwicklung vollzieht sich in zwei Hauptrichtungen. Die eine Richtung, welche unabhängig voneinander KANT und in neuester Zeit WUNDT eingeschlagen haben, läßt im Wesentlichen die beiden Grundgedanken der LEIBNIZ'schen Auffassung mit entschiedener Bevorzugung des zweiten bestehen; der andern, von HERBART angebahnten und von seinen Anhängern weiter verfolgten Richtung geht bei einseitiger Betonung des ersten Grundgedankens der zweite mehr oder weniger verloren. KANT hat vor allem die Spontaneität der Apperzeption und ihre Bedeutung für das Selbstbewußtsein schärfer hervortreten lassen, daneben jedoch den Einfluß der Apperzeptionstätigkeit auf das Zustandekommen der Erkenntnis in seiner transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe berührt. Anders HERBART, der bei seinem Versuch, alles seelischen Vorgänge aus der bloßen Wechselwirkung der Vorstellungen zu erklären, für die Spontaneität der Apperzeption keine rechte Stelle fand.

KANT und HERBART haben den Apperzeptionsbegriff in ihre deduktiv begründeten Systeme einerseits der Erkenntnistheorie, andererseits der Psychologie hineinverwebt und mit ihren eigentümlichen Ansichten gefärbt. Die spätere Entwicklung des Apperzeptionsbegriffs entfernt sich mehr und mehr von jeher spekulativen Voraussetzung. Die HERBART'sche Schule, vertreten durch LAZARUS und STEINTHAL, ließ den Apperzeptionsbegriff ihres Meisters im Wesentlichen bestehen, suchte aber, von den metaphysischen Ansichten HERBARTs absehend, die Bedeutung des Begriffes mehr in der praktischen Lebenserfahrung auf. Demgegenüber hat WUNDT, obwohl er, wie HERBART, den Begriff der Apperzeption aus dem Bereich der Transzendentalphilosophie indas Gebiet der Psychologie zog und in seiner Formulierung wesentlich von KANT abweicht, doch in Übereinstimmung mit KANT als charakteristisches Moment vor allem die Spontaneität der Apperzeption betont und damit zugleich dem Apperzeptionsbegriff eine schärfere Abgrenzung gegeben, als der HERBART'schen Schule bei der Vernachlässigung des Merkmals der Spontaneität möglich gewesen war.

In diesen vorläufigen Andeutungen ist der folgenden Darstellung der geschichtlichen Entwicklung des Apperzeptionsbegriffs der Weg vorgezeichnet, und sind übrigens diejenigen Philosophen namhaft gemacht, auf die sich diese Darstellung beschränken wird. In Übereinstimmung mit der chronologischen Folge werden der Reihe nach die vier verschiedenen Auffassungen des Apperzeptionsbegriffs bei KANT, bei HERBART, bei LAZARUS und STEINTHAL, und bei WUNDT zur Sprache kommen.


I. Der Begriff der Apperzeption bei Kant

A. Darstellung der Kantischen Auffassung
des Begriffes der Apperzeption


1. Beziehung der Apperzeption zum Selbstbewußtsein

Apperzeption, in der weitesten Bedeutung des Wortes, ist nach KANT eine spontane Tätigkeit des Verstandes, durch welche die mannigfaltigen, durch die Anschauung gegebenen Vorstellungen in der Einheit des Bewußtseins zusammengefaßt werden; sie kann eine transzendentale oder eine empirische Apperzeption sein, je nachdem sie als reine Form der Verstandesauffassung oder lediglich in ihrer Beziehung zu dem in der Empfindung gegebenen Stoffe erscheint. Die transzendentale oder reine Apperzeption (2) ist dasjenige Selbstbewußtsein, welches alle unsere Vorstellungen mit der einen Vorstellung "Ich denke" begleitet oder doch begleiten kann, und der Akt der Apperzeption als einer spontanen Tätigkeit des Verstandes besteht in der, wenn auch nicht immer verwirklichten, aber doch immer möglichen Hinzusetzung der Vorstellung des denkenden Ich zu der durch die Einbildungskraft bewirkten Synthesis des Mannigfaltigen der reinen Anschauung. Die Einheit der Apperzeption oder des Selbstbewußtseins beruth auf der kontinuierlichen Aneinanderreihung der vereinzelten Akte des empirischen Bewußtseins mittels der Vorstellung der durchgängigen Identität des Subjekts, in welchem sich diese einzelnen Akte vollziehen. Allerdings kann eine Verknüpfung der Vorstellungen durch den Verstand auch geschehen und mit Bewußtsein begleitet werden, ohne daß die Identität des Subjekts dieser Verknüpfung irgendwie ins Spiel kommt, aber die hierbei tätige empirische oder analytische Apperzeption ist durch die transzendentale, ursprüngliche, synthetische Apperzeption überall erst möglich und bedingt, weil alle Vorstellungen, die überhaupt verknüpft werden können, vorerst einmal als in einem und demselben Bewußtsein vorhanden gedacht und sozusagen durch die Pforte der reinen Apperzeption hindurchgegangen sein müssen. Die empirische Apperzeption hat nur subjektive Bedeutung und wird teils von der Individualität und Stimmung des Subjekts, teils von den psychologischen Gesetzen der assoziativen Vorstellungsverbindung geleitet, weshalb sie nicht in den Bereich der Transzendentalphilosophie hineingehört. Hier wird nur die transzendentale Apperzeption betrachtet, die nichts zufälliges und empirisches an sich hat, sondern mit aprioristischer Notwendigkeit alles Vorstellungsmaterieal der Seele beherrscht. Erst durch diese Apperzeption wird eine Vorstellung zu einer Vorstellung des denkenden Subjekts. Die Apperzeption ist also die notwendige Voraussetzung allen Selbstbewußtseins. Dieses beruth aber nicht auf einer Selbsterkenntnis, die uns aus der inneren Erfahrung käme, sondern auf dem Bewußtsein einer Spontaneität des Verstandes, die sich im Akt der Apperzeption betätigt.


2. Die Bedeutung der Apperzeption
für den Erkenntnisvorgang

Erkenntnis besteht in der Vereinigung des Mannigfaltigen einer gegebenen Anschauung zu einem Objektsbegriff. Eine solche Vereinigung ist aber nur innerhalb eines und desselben Bewußtseins möglich; denn sie ist keine Vereinigung der Anschauungselemente, insofern dieselben Vorstellungen schlechthin, sondern insofern sie Vorstellungen eines und desselben Subjekts geworden sind. Demnach ist die synthetische Einheit der Apperzeption die objektive Bedingung aller Erkenntnis. Die Synthesis des Mannigfaltigen der Anschauung, die schließlich in der Synthesis der reinen Apperzeption gipfelt, spaltet sich aber in zwei verschiedene Vorgänge.

Die transzendentale Ästhetik war nämlich zu dem Resultat gelang, daß uns vermöge der Rezeptivität der Sinnlichkeit, des äußeren sowohl als des inneren Sinnes, unter den Formen der reinen Anschauung ein Mannigfaltiges gegeben werde, welhes zunächst noch weit entfernt ist, eine Erkenntnis auszumachen. Die Verarbeitung des Mannigfaltigen der reinen Anschauung zu einer Erkenntnis ist die Aufgabe der Spontaneität des Verstandes und vollzieht sich in zwei Akten: erstens in der Synthesis des Mannigfaltigen durch die Einbildungskraft oder der Synthesis der Apprehension, zweitens in der Auffassung dieser Synthesis unter der Form der reinen Verstandesbegriffe oder der Synthesis der Apperzeption.

In der Synthesis der Apprehension nähert sich der Verstand in Ausübung seines Schematismus dem durch die Sinnlichkeit gegebenen Stoff, indem er sich als Einbildungskraft einerseits herabläßt, seine Objekte in der Form der Anschauung vorzustellen, andererseits aber die Sinnlichkeit affiziert und das Mannigfaltig derselben gerade so vereinigt, wie es für die beabsichtigte Aufnahme in die Kategorien geeignet ist. Nach Vollziehung dieser Synthesis der Apprehension erfolgt eine abermalige Vereinigung des vorläufig geordneten Erfahrungsstoffes in der Form der Kategorien und Prädikabilien, eine Umwandlung der gegebenen Vorstellungen in Begriffe durch Vermittlung der Apperzeption. Der Ausdruck dieser Verstandestätigkeit ist das logische Urteil, aber das Fundament derselben ihre Beziehung zum Selbstbewußtsein. Die Apperzeption nämlich verbindet die gegebenen Elemente der Erkenntnis nicht nur, sondern begleitet diese Verbindung zugleich mit dem Bewußtsein ihrer Notwendigkeit, worauf die eigentliche Bedeutung des logischen Urteils beruth. Im Gegensatz hierzu steht das Verhalten der empirischen Apperzeption im Urteilen; diese erreicht nur eine zufällige Verknüpfung der Vorstellungen und folgt Gesetzen, die nicht, wie die reinen Verstandesbegriffe, gleichförmiger Besitz jedes menschlichen Verstandes sind.


B. Der Kantische Begriff der Apperzeption
in seiner Beziehung zum Leibniz'schen

Entsprechend der ganzen Anlage der Kritik der reinen Vernunft erfährt der von LEIBNIZ nur flüchtig charakterisierte Begriff der Apperzeption bei KANT eine völlige Durcharbeitung und scharfe Begrenzung. Die von KANT vorgenommene Umformung des LEIBNIZ'schen Apperzeptionsbegriffs zeigt sich erstens in der absichtlicheren Betonung der Spontaneität der Apperzeption und, was damit zusammenhängt, ihrer näheren Beziehung zum Selbstbewußtsein, ferner aber in der weit engeren Fassung, wenigstens der transzendentalen Apperzeptionstätigkeit die Bedingung des Selbstbewußtseins; die Monade apperzipiert ihre Vorstellungen, indem sie dieselben als die ihrigen erkennt, und wird durch diese ihre Selbsterkenntnis zur Vorstellung des Ich geführt. KANT hingegen erblickt die Bedingung des Selbstbewußtseins nicht in einer durch die Apperzeption bewirkten Erkenntnis, sondern gerade in der Spontaneität der Apperzeptionstätigkeit.

Noch bedeutender ist der Unterschied zwischen der Kantischen und der LEIBNIZ'schen Auffassung hinsichtlich des Umfangs des Apperzeptionsbegriffs. Während bei LEIBNIZ alle intellektuelle Betätigung, welche die vernunftbegabte Monade vor der bloßen Seele voraus hat, an den Begriff der Apperzeption angeknüpft ist und das Apperzeptionsvermögen einer höheren Entfaltung der Individualität der Monade entspricht, ist die Form dieser Tätigkeit bei KANT vor aller Erfahrung fertig ausgeprägt im Verstand gelegen und mit seiner Natur verwachsen. Die transzendentale Apperzeption beurkundet durch ihr Auftreten nicht die allmähliche Entwicklung einer höheren Fülle seelischen Inhalts, wie die LEIBNIZ'sche Apperzeption, sondern ist das ursprünglichste und zugleich inhaltsloseste Element allen aprioristischen Besitztums, welches der Verstand der Erfahrung entgegenbringt, die Grundbedingung aller Individualität und doch vermöge der Allgemeinheit ihrer Form über aller Individualität erhaben.

Der Apperzeptionsbegriff, der bei LEIBNIZ die Keime zur Weiterentwicklung in sich trug, steht bei KANT als Begriff der transzendentalen Apperzeption fertig da und hat in diesem Sinne seinen Abschluß erreicht. Das Verdienst KANTs in der Auffassung der Apperzeption liegt hauptsächlich darin, daß er mit seinem Apperzeptionsbegrif auf die  Spontaneität  des Verstandes' und auf deren Bedeutung einesteils für das  Selbstbewußtsein,  andernteils für die  logische Anordnung  des bunten Erfahrungsstoffes hingewiesen hat. War KANTs Auffassung insofern eine einseitige, als sie ganz vom empirischen Inhalt der Seele und seinem Einfluß auf den Erkenntnisvorgang absah, so war diese Einseitigkeit eine beabsichtigte. Daß neben jene transzendentale Apperzeption eine für die praktische Erkenntnis nicht minder wichtige, empirische Apperzeption gestellt werden könne, hat KANT nicht übersehen, aber außer der Komptenz der Transzendentalphilosophie gelegen erachtet.

Wenn er aber auch der kantische Apperzeptionsbegriff den Zwecken der transzendentalen Erkenntnistheorie in vollkommenster Weise entsprach, so zeigte er sich für die Verwendung in der empirischen Psychologie, welche sich nach KANT des Wortes "Apperzeption bemächtigte, nicht ohne weiteres geeignet. Daher findet sich in der späteren Philosophie keine eigentliche Fortsetzung der Kantischen Anschauung der transzendentalen Apperzeption. Der Begriff der Apperzeption ist zunächst von HERBART wieder aufgenommen worden, jedoch in völlig veränderter Gestalt. HERBARTs Apperzeptionstheorie schließt sich, ohne eine nähere Beziehung zur Kantischen zu suchen, selbständiger Weise an LEIBNIZ an.


II. Der Begriff der Apperzeption bei Herbart

A. Darstellung der Herbart'schen Auffassung des
Begriffess der Apperzeption


1. Stellung der Apperzeption auf dem
Gebiet der Vorstellungsbewegungen.

Bei jedem Akt der äußeren und inneren Wahrnehmung ist es nach HERBART eine Vorstellung oder Vorstellungsmasse, welche beobachtet wird, und eine andere Vorstellung oder Vorstellungsmasse, welche beobachtet (VI, 190) (3). Vorstellungen fungieren bei den psychischen Vorgängen ebensowohl als Subjekte wie als Objekte und machen überhaupt den gesamten Inhalt der Seele aus. An jeder Vorstellung als solcher ist bereits ein Subjekt, das Ausübende des Vorstellens, und ein Objekt, das vorgestellte Bild zu unterscheiden (V, 318; VII, 83). Das Subjekt des Vorstellens hat eine bestimmte Qualität und Quantität des Vorstellens, und diese beiden Bestimmungsstücke sind es, welche den  unveränderlichen  Inhalt der Vorstellung repräsentieren. Wenn trotzdem der Effekt des Vorstellens bei der nämlichen Vorstellung von  wechselnder  Quantität ist, so scheint es, als müßte bei sinkender Quantität des Vorgestellten ein Teil der konstanten Quantität des Vorstellens verloren gehen; in Wirklichkeit aber wird diese für den äußeren Erfolg verlorene Kraft zur Überwindung der Hemmungen aufgewendet, welche die Vorstellung durch andere erfährt. An die so beschaffenen Vorstellungen sind alle Kräfte der Seele gebunden (V, 244); nur ist die Kraft, welche eine Vorstellung nach Außen hin auzuüben vermag, nicht der Vorstellung als solcher immanent, sondern entwickelt sich erst in dem Maße, als die Vorstellung durch andere gehemmt und in ein Streben vorzustellen herabgedrückt wird (V, 322). Die Vorstellung ansich besteht eben nur im Erzeugen und Festhalten ihres vorgestellten Bildes durch das Subjekt des Vorstellens; von einem Streben vorzustellen kann erst die Rede sein, wenn mehrere Vorstellungen in ein und derselben Seele in Wechselwirkung treten. Alle Hemmung der Vorstellungen ist eine gegenseitige und der Erfolg derselben, daß sich jede Vorstellung in einer fortwährenden Spannung befindet und gezwungen ist, sich ihrer Hemmung zu widersetzen. Der größere oder geringere Grad der Hemmung, den eine Vorstellung erleidet, zeigt sich in ihrer Beziehung zum Bewußtsein. Ist eine Vorstellung völlig gehemmt und so die Quantität ihres Vorgestellten gänzlich verschwunden, so befindet sie sich in der Seele, aber nicht im Bewußtsein, und zwar in größerer oder kleinerer Entfernung von der Schwelle des Bewußtseins (V, 341). Bei nachlassender Hemmung rückt die Vorstellung der Schwelle immer näher, und indem die Quantität des Vorgestellten den Wert Null übersteigt, tritt sie über die Schwelle in das Bewußtsein ein. Darum bildet sie aber noch nicht den Gegenstand, dessen man sich bewußt wird (V, 243). Damit man sich einer Vorstellung bewußt werde, muß diese selbst Objekt eines Vorstellens werden, dessen Subjekte andere Vorstellungen sind. Diejenige Wirkung einer Vorstellung auf eine andere, welche zur Folge hat, daß man sich dieser letzteren wirklich bewußt wird, heißt Apperzeption (V, 243). Damit man sich einer Vorstellung bewußt werde, muß diese selbst Objekt eines Vorstellens werden, dessen Subjekte andere Vorstellungen sind. Diejenige Wirkung einer Vorstellung auf eine andere, welche zur Folge hat, daß man sich dieser letzteren wirklich bewußt wird, heißt Apperzeption (V, 243).


2. Der Vorgang der Apperzeption
und die Gesetze derselben

Als die permanente Bedingung der psychischen Erscheinung der Apperzeption oder Zueignung (VI, 192) ist ein gewisses Besitztum der Seele anzusehen, welches in früher erworbenen und mit der Zeit verdichteten und festgewurzelten Vorstellungsmassen besteht. Solche ältere Vorstellungsmassen oder einzelne Elemente derselben sind das handelnde Subjekt der Apperzeption. Die Gelegenheitsursache ihrer Tätigkeit gibt im einzelnen Fall die Perzeption irgendeiner neuen Vorstellung durch den äußeren oder inneren Sinn ab, welche eine Reproduktion der ihr ähnlichen älteren Vorstellungen bewirkt. Die reproduzierten Vorstellungen machen nun als die stärkeren ihren Einfluß auf die neu eingetretene Vorstellung geltend, passen sie ihrer eigenen Form an und fürhen sie in ihre eigenen Verbindungen ein (VI, 194), indem sie die ihnen selbst entsprechenden Elemente der neuen Vorstellung mit sich verschmelzen, die ihnen widersprechenden aber hemmen. Zwei Gesetze beherrschen diesen Vorgang der Apperzeption (VI, 194):
    1) das Objekt der Apperzeption geht dem Subjekt zeitlich voraus, in dem die Perzeption einer neuen Vorstellung erst die Veranlassung zur Reproduktion der älteren ist;

    2) das Subjekt der Apperzeption kann nicht aus neuen, noch in wenigen Verbindungen befindlichen Vorstellungen bestehen (VI, 197); demgemäß richtet sich die Apperzeption ausschließlich nach den älteren Vorstellungen, die den neu eintretenden an Stärke überlegen sind (VI, 204).
Die Apperzeption tritt sowohl bei der äußeren als auch bei der inneren Wahrnehmung auf; der Unterschied ihrer beiden Erscheinungsformen liegt dabei lediglich in ihrem Objekt, welches dort eine Sinnesempfindung, hier eine in Folge irgendwelcher psychischer Veranlassung reproduzierte Vorstellung ist. Daß die äußere Wahrnehmung im Vergleich zu den älteren Bestandteilen des Seeleninhalts schwächere Vorstellungen liefert, beruth nicht nur darauf, daß die älteren Vorstellungen einen reicheren und festeren Inhalt besitzen und sich gegenseitig stärken (VI, 199), sondern auch darauf, daß die Empfänglichkeit der Seele gegen die Sinneseindrücke bei längerer Dauer der Empfindung beträchtlich abnimmt (VI, 193). Bei der inneren Wahrnehmung sind beide beteiligten Elemente reproduzierte Vorstellungen, und es ist immer die schwächere, weniger tief in der Seele eingewurzelte das Objekt der Apperzeption; daraus geht sogleich hervor, daß ein und dieselbe Vorstellung einmal Objekt, ein andermal Subjekt eines Apperzeptionsaktes sein kann (VI, 199), je nachdem sie die Veranlassung zur Reproduktion einer stärkeren Vorstellung gegeben hat oder selbst von einer schwächeren reproduziert worden ist.


3. Die Bedingungen der Apperzeption

Wenn die Perzeption irgendeiner Vorstellung als Gelegenheitsursache der Apperzeption bezeichnet wird, so ist damit nicht gesagt, daß diese unter allen Umständen jener nachfolgen muß. Dies tritt nur dann ein, wenn sowohl Objekt als auch Subjekt der Apperzeption bestimmte Bedingungen erfüllen. Die zu apperzipierende Vorstellung muß stark und andauernd genug sein, um etwaig ihr entsprechende ältere Vorstellungen zu reproduzieren (VI, 197). Im entgegengesetzten Fall vermag sie die ihr verwandten Vorstellungen höchstens in eine Art Mitbewegung zu versetzen, die für das Bewußtsein keinen anderen Erfolg hat, als daß sie ein unbestimmtes, unaussprechbares Gefühl erweckt (VI, 198). Vor allem aber ist zum Zustandekommen der Apperzeption nötig, daß sich unter den in der Seele vorhandenen älteren Vorstellungsmassen gerade solche vorfinden, welche zur Apperzeption einer perzipierten Vorstellung geeignet sind, d. h. nicht nur genug Berührungspunkte mit dieser aufweisen, sondern auch rasch genug und mit hinreichender Stärke reproduziert werden, um ihren Einfluß auf die zu apperzipierende Vorstellung geltend machen zu können (VI, 197). In der Tat ist daher der Eintritt der Apperzeption umso weniger wahrscheinlich, je weniger Inhalt die Seele des Individuums entgegenbringt; Kinder und unkultivierte Menschen können nur wenig apperzipieren, weil es ihnen an apperzipierenden Vorstellungsmassen fehlt.

Unter besonderen Bedingungen kann die Apperzeption in apperzipierende Aufmerksamkeit übergehen. Aufmerksamkeit ist ursprünglich die Dispositon, einen Zuwachs des Vorstellens zu erzeugen (VI, 200; VII, 88). Diese einfachste Form der Aufmerksamkeit wird zu einer apperzipierenden Aufmerksamkeit, wenn zum bloßen Zuwachs des Vorstellens eine reproduzierte Vorstellung hinzutritt und sih des erzeugten Zuwachses bemächtigt. Nach den von HERBART angeführten Beispielen (VI, 201f) zu schließen, scheint die apperzipierende Aufmerksamkeit nichts weiter zu sein, als eine unter besonders günstigen Bedingungen von den älteren Vorstellungen auf die jüngeren ausgeübte Apperzeptionstätigkeit, bei welcher das Objekt der Apperzeption zufälligerweise der prädisponierten Beschaffenheit des Subjekts in hohem Grad entspricht.


4. Die Kategorien der Apperzeption

Wie stark und wie alt die Vorstellungen sein müssen, damit sie imstande sind, als Subjekte der Apperzeption zu fungieren, bleibt eine offene Frage (VI, 197). Die hauptsächlichsten Repräsentanten der mit Apperzeptionskraft ausgerüsteten Elemente des seelischen Inhalts sind die zu Begriffen oder Maximen verdichteten Vorstellungsmassen. Die Bildung der Begriffe hat ihren Grund zunächst darin, daß beim wiederholten Eintritt einer mit variablen Merkmalen behafteten Vorstellung in das Bewußtsein jedesmal die gleichen früheren Vorstellungen mit den sich anknüpfenden Reihen verwandter Gebilde reproduziert werden. Infolge der mit der Mannigfaltigkeit der reproduzierten Vorstellungen wachsenden Hemmungen tritt dann eine Verkürzung jener Vorstellungsreihen und schließlich eine Isolierung derjenigen Bestandteile der beteiligten Vorstellungen ein, welche nicht gehemmt, sondern durch Verschmelzung fortwährend gestärkt werden. Der Totaleindruck dieser zurückbleibenden Bestandteile konstituiert den Begriff. Die allgemeinsten Begriffe, welche als Subjekte der Apperzeptionstätigeit auftreten, nennt HERBART Kategorien, und zwar Kategorien der äußeren oder inneren Apperzeption, je nachdem sie bei der Apperzeption der äußeren oder inneren Wahrnehmungsobjekt in Kraft treten. Die erstere Klasse bilden die gewöhnlich als Kategorien bezeichneten allgemeinen Begriffe (VI, 223); die Kategorien der inneren Apperzeption zerfallen in vier Gruppen, welche bzw. ein Empfinden, Wissen, Wollen oder Handeln bezeichnen. Die Kategorien des Empfindens stehen gewissermaßen am Eingang, die des Handelns am Ausgang der Seele, während im Inneren derselben näher dem Ausgang die Kategorien des Wollens, näher dem Eingang des Wissens gestellt sind.


5. Die Bedeutung der Sprache
für die Bildung der Kategorien

An der Ausbildung der Kategorien hat einen Hauptanteil die menschliche Sprache. Die reproduzierte Vorstellung, die in vielen Fällen an sich selbst nicht genug Festigkeit besitzt, um eine Reproduktion anderer Vorstellungen einzuleiten, wird im Wechselgespräch durch das gesprochene und gehörte Wort unterstützt und gestärkt (VI, 209). Ferner wird, indem immer die Rede des einen Sprechers dem andern zur Weiterspinnung des Fadens Veranlassung gibt (VI, 210), nicht nur die Bildung kontinuierlicher Vorstellungsreihen möglich gemacht, sondern auch der Vorstellungsverlauf nach einer bestimmten Richtung geleitet. Bei der Formulierung eines jeden Gedankens in Worte schwebt beständig der ganze Gedanke den Redenden vor (VI, 209) und leitet die sukzessive Reproduktion der ihn konstituierenden Vorstellungselemente und der zugehörigen Worte, indem er dieselben, bevor sie ausgesprochen werden, der Apperzeption unterwirft. Andererseits aber wird wiederum die Gesamtheit des Ausgesprochenen von der leitenden Vorstellungsmasse apperzipiert (VI, 210). Infolge dieser innigen Beziehung zwischen Sprache und Apperzeption pflegt beim Gespräch eine planmäßige Bewegung im Vorstellungsinhalt der Seele erweckt zu werden. Die aufsteigenden Vorstellungen verknüpfen und hemmen sich, bilden Verschmelzungen und Komplikationen, und die Vorstellungsmassen der Seele finden Gelegenheit, sich zu Begriffen zu verdichten und sich in Begriffsreihen zu ordnen.


B. Rückblick auf Herbarts Theorie
der Apperzeption

Die Umgestaltung der LEIBNIZ'schen Apperzeptionsbegriffs durch HERBART ist eine notwendige Folge der Grundanschauung der HERBART'schen Psychologie. Wenn jeder psychische Vorgang eine Wechselwirkung zwischen Vorstellungen ist, so muß auch der Apperzeptionsbegriff dieser Auffassung angepaßt werden. Damit fällt die Spontaneität der Apperzeption von selbst weg. Wenn auch HERBART den Willen aus dem Streben der Vorstellungen zu erklären versucht, so ist doch seine Erklärung eine durchaus gezwungene. Der einzige Richter, welcher ein kompetentes Urteil über sie fällen kann, unser eigenes Bewußtsein, spricht sich gegen sie aus. Die Regsamkeit und wechselseitige Wirkung unserer Vorstellungen kann sich in zügelloser Assoziation zum wildesten Spiel steigern, ohne daß sie uns das Bewußtsein spontaner Tätigkeit gibt. Dieses geht uns gerade da verloren, wo die Vorstellungsbewegung sich anscheinend selbst regiert. Der Einfluß des Willens auf die Vorstellungsbewegung, welchem unsere innere Erfahrung unmittelbare Gewißheit verleiht, steht daher geradezu der selbsttätigen Regsamkeit der Vorstellungen gegenüber. Somit büßt die Apperzeptionstätigkeit in der Tat das Merkmal der Spontaneität ein, wenn als das Subjekt dieser Tätigkeit eine Vorstellung angenommen wird. Zugleich verliert aber durch diese Annahme die Beziehung der Apperzeption zum Selbstbewußtsein ihren eigentlichen Sinn. Allerdings versteht auch HERBART ursprünglich unter Apperzeption die Erhebung einer bereits über der Schwelle des Bewußtseins befindlichen Vorstellung zu einem höheren Grad von Bewußtheit, aber er gibt doch nachträglich durch seine psychologische Erklärung des Apperzeptionsvorganges dieser Auffassung eine einseitige Wendung. Denn schließlich ist ihm die Apperzeption weiter nichts, als eine Aneignung der jüngeren Vorstellungen durch die älteren, die doch nicht unmittelbar mit einer Einführung in das Selbstbewußtsein gleichbedeutend sein kann. Diese Aneignung macht bei HERBART das Wesen der äußeren und noch mehr dre inneren Wahrnehmung aus. Es könnte sogar scheinen, als wenn HERBART zwischen Apperzeption und innerer Wahrnehmung nicht immer eine scharfe Grenze gezogen hätte (VI, 196f). Denn auch die innere Wahrnehmung müßte in seinem Sinne aus einer Einwirkung der in der Seele von alter her festgewurzelten Vorstellungen auf die weniger befestigten erklärt werden. Der Mangel einer genauen Scheidung zwischen innerer Wahrnehmung und Apperzeption läßt überdies den Umfang des HERBART'schen Apperzeptionsbegriffs ohne eine deutliche Abgrenzung erscheinen.

Trotzdem hat HERBART, indem er mit seinem Begrif der Apperzeption oder Aneignung auf die Bedeutung des im Laufe der menschlichen Entwicklung in der Seele abgelagerten Inhaltes für den Wahrnehmungsprozeß hinwies, eine Lücke ausgefüllt, welche KANT durch die Vernachlässigung der empirischen Apperzeption offen gelassen hatte. Denn gewiß ist es nicht allein der von der Kritik der reinen Vernunft zutage geförderte transzendentale Inhalt der Seele, welcher unsere Erkenntnis modifiziert. Vielmehr bringt das Individuum auch den gesamten empirischen Inhalt seiner Seele, seine mehr oder minder fertigen Anschauungen von Leben und Lebensverhältnissen an seine weiteren Erkenntnisakte heran und mißt die neuen Vorstellungselemente nach dem Maßstab der alten. Deshalb liegt in der Ausdrucksweise: "Eine ältere Vorstellung apperzipiert eine jüngere", wenn man dieselbe nur bildlich nimmt, eine unverkennbare Bedeutung, eine umso höhere Bedeutung, je mehr man die praktische Erkenntnis ins Auge faßt, wie sie sich tatsächlich im gewöhnlichen Leben vollzieht. Auf der anderen Seite ist aber HERBART mit seinem zweiten Apperzeptionsgesetz offenbar zu weit gegangen. Wäre dieses Gesetz allein maßgebend, so müßte jeder Mensch eine völlig fertige und abgeschlossene Entwicklung hinter sich haben, und die Frage, wie er auf diese Stufe der Vollendung gekommen sei, bliebe unbeantwortet. Denn alles, was sich seiner Seele in der äußeren oder inneren Wahrnehmung darböte, würde einfach dem vorhandenen Inhalt der Seele angepaßt und in der veränderten Form beigefügt, ohne daß es mehr als eine Stärkung dieses Inhaltes zu bewirken vermöchte. Die geistige Bildung des Menschen beruth aber doch gerade zum geringeren Teil auf der Befestigung des bereits fertigen Inhalts der Seele, viel mehr auf einer Zuführung neuer Erkenntnisse. Damit ein wirklicher Fortschritt des Menschen möglich wird, muß die jüngere Vorstellung, ihre ausschließlich passive Rolle aufgebend, ihrerseits auf die ältere einwirken können, und muß in der Seele auch mitunter eine ganz neue Vorstellung zustande kommen können, welche vorher weder über noch unter der Schwelle des Bewußtseins zu finden war. HERBART schließt sich allerdings, indem er der Seele von vornherein einen bestimmten Inhalt zuerteilt, an LEIBNIZ an, der die Monade all ihre Vorstellungen aus sich selbst entwickeln läßt, aber er scheint doch eben dieser Entwicklung zu wenig Rechnung getragen zu haben; findet doch seine mathematische Behandlung die Vorstellungen mit ihrer unveränderlichen Qualität und Quantität fertig vor. Ganz mochte sich wohl HERBART den seinem zweiten Apperzeptionsgesetz widersprechenden Tatsachen nicht verschließen; wenigstens spricht er gelegentlich von der Möglichkeit einer Berichtigung festgewurzelter Vorstellungskomplexe durch neu eintretenden Vorstellungen (VI, 196). Auch könnte man in dem Satz, daß ein und dieselbe Vorstellung bald Objekt, bald Subjekt der Apperzeption sein kann, ein Gegengewicht gegen die Einseitigkeit jenes Apperzeptionsgesetzes erblicken. Deutlicher noch weist HERBART auf die innere Verarbeitung der Vorstellungen durch die Apperzeption hin, indem er die Sprache und besonders das Gespräch als ein wesentliches Hilfsmittel der menschlichen Entwicklung anführt. Dennoch tritt in der eigentlichen Theorie der Apperzeption als eines Aneignungsprozesses überall die Bedeutung der apperzipierten Vorstellung gegen die apperzipierende zurück.

HERBART hat, wie aus den vorstehenden Bemerkungen hervorgeht, die von LEIBNIZ angeregte Frage nach dem Wesen der spontanen Tätigkeit, mit welcher das Subjekt im Erkenntnisakt und im Denken seinen Vorstellungen gegenübertritt, in  einem  Punkt gefördert, indem er die Abhängigkeit dieser Tätigkeit vom empirischen Inhalt der Seele im Anschluß an den ersten LEIBNIZ'schen Grundgedanken betonte. Wenn er dagegen die Spontaneität dieser Tätigkeit in die Vorstellungen verlegt, so hat er damit eben diese Spontaneität aufgehoben. Scheinen sich daher auch die einfachsten Wahrnehmungsakte seiner Theorie einigermaßen zu fügen, so finden dagegen die höheren geistigen Tätigkeiten, deren Erklärung LEIBNIZ an den Apperzeptionsbegriff angeknüpft sehen wollte, in HERBARTs Apperzeptionstheorie nicht den geringsten Anhalt.

Trotzdem ist diese Theorie von den Anhängern HERBARTs teils in wenig veränderter Form festgehalten, teils im Sinne des Meisters zu einem bedeutenden Umfang ausgearbeitet worden. Von hervorragendem Interesse für die Geschichte des Apperzeptionsbegriffes sind hauptsächlich die ausgeführten Theorien der Apperzeption von LAZARUS und STEINTHAL.
LITERATUR Otto Staude, Der Begriff der Apperzeption in der neueren Psychologie, Philosophische Studien, Bd. 1, Leipzig 1883
    Anmerkungen
    1) Die beigesetzten Nummern bedeuten Seitenzahl und Paragraphennummer von.  Leibnitii opera  ed. Erdmann.
    2) KANT, Kritik der reinen Vernunft [Transzendentale Deduktion der reinen Verstandesbegriffe § 16]
    3) Die beigesetzten Nummern bedeuten Band- und Seitenzahl der HARTENSTEIN'schen Ausgabe von HERBARTs gesammelten Werken.