p-4 W. WundtA. MeinongHeymansM. SchlickChristiansenTh. Elsenhans    
 
WILLY MOOG
Logik, Psychologie
und Psychologismus


"Ein  Grund  für die Geltung des Logischen kann im Empirischen nicht gefunden werden, denn dieser Grund kann selbst nur ein logischer sein."

"Husserl wird von einer Metaphysizierung der Logik nicht freizusprechen sein, ja man kann in seinen eigenen Lehren Fehler finden, die er mit dem Psychologismus teilt. Wenn man von einem idealen Wesen der Wahrheiten spricht, so liegt auch hier die Verwechslung von Geltung und Existenz oder Sein oder auch Seinsmöglichkeit nahe. Die Geltung ist reine Geltung und nichts anderes, als auch kein ideales Sein. Von einer idealen Wesenheit der Wahrheiten könnte man nur insofern reden, als an ihnen ein ideales inhaltliches Moment vorhanden wäre, dieses könnte wohl ihren Bestand sicherstellen, aber nicht ihre Geltung und logische Form begründen. Die 'Geltung als solche aber ist niemals ein 'Sein und nicht aus einem Sein begründbar."


Vorwort

Wissenschaftssystematische Untersuchungen erscheinen mir beim gegenwärtigen Stand der Philosophie als ein dringendes Bedürfnis. Sie sind nötig zum Verständnis des Verhältnisses der Philosophie zu den Einzelwissenschaften und zur Entscheidung über die Bedeutung der verschiedenen Richtungen in der Philosophie. Sowohl der Kampf zwischen Empirismus und Idealismus um die Psychologie als auch der Gegensatz innerhalb des Idealismus zwischen kritizistischer und phänomenologischer Lehre weisen auf die Notwendigkeit einer Wissenschaftssystematik hin. Die vorliegenden Beiträge dazu wollen zeigen, wie zur Lösung des Psychologismus-Problems Bestimmungen über die Einteilung der Wissenschaften überhaupt und über das Verhältnis von Psychologie und Logik aufgrund ihrer beiderseitigen systematischen Stellung erforderlich sind. Eben darum hat das Psychologismus-Problem eine besondere Bedeutung, weil es auf Grundfragen im Zentrum der Philosophie führt.



Einleitung

So zahlreich die philosophischen Flüsse und Bächlein der Gegenwart fließen und so sehr sie in mannigfachen Richtungen verlaufen, so münden sie schließlich doch in zwei große Ströme, und sie lassen sich nach ihrer Zugehörigkeit zu den beiden Stromsystemen einordnen. Zwei Arten philosophischen Denkens stehen sich von alters her gegenüber: die eine sucht die enge Beziehung zur Wirklichkeit, zur Erfahrung zu wahren, die andere will sich gerade über das bloß Daseiende erheben und das Vorrecht des Denkens proklamieren. Man kann diese beiden Grundrichtungen je nach ihrer besonderen Ausgestaltung in verschiedener Weise charakterisieren,  Realismus  und  Idealismus  sind die gebräuchlichsten, durch ihre Mehrdeutigkeit allerdings schon recht abgeschabten Namen für sie.

In der Philosophie des letzten Jahrhunderts hat der Gegensatz eine besondere Schärfe erlangt. Durch die Lehre KANTs hatte der Idealismus eine mächtige Stütze erhalten, die zum Aufbau spekulativer Gedankensysteme benutzt werden konnte. Andererseits aber war der gewaltige Fortschritt der Einzelwissenschaften, besonders auf naturwissenschaftlichem Gebiet, auch der Entwicklung des Realismus günstig. Und bei allem Kampf der Meinungen mischten sich die entgegengesetzten Tendenzen oft in eigenartiger und kaum zu lösender Weise, gab es natürlich auch mancherlei Versuche der Vermittlung und Versöhnung.

In der eigentlichen fachwissenschaftlichen Philosophie hat sich dieser Gegensatz dahin zugespitzt, daß er entscheidend wurde für die Frage, welcher Wissenschaft man die Superiorität innerhalb der Philosophie zuerteilen sollte. Für die Vertreter des Realismus oder des Positivismus gilt die  Psychologie  in mehr oder weniger naturwissenschaftlicher Form als Grundwissenschaft, die Anhänger des Idealismus oder des Kritizismus rücken dagegen die  Logik  oder auch die Erkenntnistheorie in das Zentrum der Philosophie. In der Stellungnahme zur Logik oder zur Psychologie liegt daher geradezu ein Schibboleth [Erkennungszeichen - wp] der verschiedenen Richtungen. Je nachdem man von der einen oder von der anderen Wissenschaft ausgeht, muß man zu einer verschiedenartigen Auffassung der Philosophie gelangen. Durch die einseitige Hervorhebung einer der beiden Wissenschaften je nach der Gesamtrichtung der Weltanschauung wird aber auch notwendig die Eigenart der anderen Wissenschaften gestört. Das reiche Leben, das die Psychologie in den letzten Jahrzehnten gewann, verführte dazu, psychologische Methoden und Gesichtspunkte auch auf andere Gebiete zu übertragen und besonders die Logik ganz oder teilweise in die Psychologie aufzulösen. Damit wird die Gefahr eines  Psychologismus  heraufbeschworen, der eine Vergewaltigung anderer Wissenschaften zugunsten der Psychologie bedeutet. Andererseits hat die Betonung der grundlegenden Bedeutung einer idealen Logik, hauptsächlich von seiten der Kantianer, dazu verleitet, der Psychologie überhaupt ihren Platz in der Philosophie abzusprechen und sie unter die empirischen Einzelwissenschaften zu verweisen.

Bei dieser Sachlage ist eine Kritik dringend erforderlich. Einzelne Fehler der psychologischen Richtung sind namentlich in der modernen Logik und Erkenntnistheorie zwar teilweise richtig erkannt und gerügt worden, aber, wie die folgenden Erörterungen zeigen werden, doch nicht überall in ihrem ganzen Umfang und ihrer Tiefe. Es fehlt vor allem meist die prinzipielle Abgrenzung der Tragweite der Gesichtspunkte. Und neben der negativen Kritik sind positive Aufstellungen über das Verhältnis der Wissenschaften nötig. Die Bedeutung der Psychologie wie der Logik im System der Wissenschaften muß in strenger Weise bestimmt werden, nur dann gelangt man zu einer genügenden Unterscheidung, und nur dann verschafft man sich auch ein Urteil über die etwaigen Beziehungen der Wissenschaften. Damit aber kann man sich schließlich wohl auch einen festen Standpunkt begründen im wogenden Streit zwischen Idealismus und Realismus.




1. Teil
Die Kritik des Psychologismus durch
die moderne Logik und Erkenntnistheorie

Das Wort  Psychologismus  wird nicht in einem eindeutigen Sinn genommen. Man will mit diesem Begriff im allgemeinen eine Forschungsrichtung bezeichnen, welche eine unberechtigte Einmischung einer psychologischen Betrachtungsweise in andere Wissenschaftsgebiete bedeutet. ALOIS HÖFLER definiert Psychologismus als "ein Zuviel an psychologischem Denken, Psychologie am unrechten Ort" (1). So kann man von einem Psychologismus in den Naturwissenschaften, in der Mathematik, in der Ethik wie in der Ästhetik sprechen. Besonders aber auf dem Gebiet der Erkenntnistheorie und Logik, bei den Fragen nach der Grundlegung und den Prinzipien des Denkens kommt es zu einem Zusammenstoß mit psychologischen Interessen und psychologischen Fragestellungen. Der Psychologismus kann sich aber auch hier auf die verschiedenste Weise äußern. Entweder die Psychologie leugnet überhaupt die Berechtigung anderer als psychologischer Fragestellungen und nimmt das ganze Gebiet der Logik und Erkenntnistheorie für sich in Anspruch, das ist dann ein extremer Psychologismus; oder die Psychologie erkennt eine besondere logisch-erkenntnistheoretische Methode als untergeordnet oder nebengeordnet an; oder schließlich die psychologische Tendenz macht sich nur versteckterweise geltend und beeinflußt irgendwie die Eigenart der logisch-erkenntnistheoretischen Problemstellung und Problemlösung. Die Art des Psychologismus läßt sich näher bestimmen erst durch Begriffe, welche synonym mit ihm oder im Gegensatz zu ihm gebraucht werden. So wird der Begriff des Psychologismus in Beziehung gesetzt zu dem des Empirismus, des Anthropologismus, des Subjektivismus, des Relativismus, im Gegensatz zu dem des Apriorismus, des Logismus, des Rationalismus usw. Je nachdem die Beziehung zum einen oder anderen Begriff besonders betont wird, entstehen besondere Schattierungen des Psychologismus. Bei diesen mannigfachen Bedeutungen des Wortes Psychologismus erscheint es erklärlich, daß man die verschiedensten, mitunter ganz entgegengesetzten Lehren mit diesem Namen belegt hat, ja daß man in Theorien, welche die psychologische Betrachtungsweise bekämpften, doch noch einen versteckten Psychologismus hat finden wollen.

Man kann den Psychologismus bis ins Altertum zurückverfolgen, denn schon bei den Sophisten ist der Subjektivismus und Relativismus ausgeprägt; gewöhnlich aber betrachtet man als die ersten hauptsächlichen Vertreter der psychologistischen Richtung die englischen Empiristen LOCKE und HUME. Daß dieser Empirismus den Fragen der Erkenntnislehre und Logik nicht gerecht wurde, das hat KANT gezeigt, und KANT hat auch begrifflich genau die Unterschiede der psychologischen und der logisch-erkenntnistheoretischen Betrachtungsweise festzulegen versucht.

In der Kritik der reinen Vernunft unterscheidet er eine Logik des allgemeinen Verstandesgebrauchs, welche "die schlechthin notwendigen Regeln des Denkens" enthält, "ohne welche gar kein Gebrauch des Verstandes stattfindet" und welche auf diesen geht "ungeachtet der Gegenstände, auf welche er gerichtet sein mag", und eine Logik des besonderen Verstandesgebrauchs, die "die Regeln über eine gewisse Art von Gegenständen richtig zu denken enthält". Die allgemeine Logik gliedert sich wieder in eine reine und in eine angewandte. Die reine Logik ist "ein Kanon des Verstandes", sie hat "keine empirischen Prinzipien", schöpft also "nichts (wie man sich bisweilen überredet hat) aus der Psychologie", sondern ist "eine demonstrierte Doktrin, und alles muß in ihr völlig a priori gewiß sein". Die angewandte Logik dagegen ist "eine Vorstellung des Verstandes und der Regeln seines notwendigen Gebrauchs in concreto, nämlich unter den zufälligen Bedingungen des Subjekts, die diesen Gebrauch hindern und befördern können und die insgesamt nur empirisch gegeben werden", sie bedarf daher "empirische und psychologische Prinzipien" (2) In der von JÄSCHE herausgegebenen Logik spricht sich KANT entschieden gegen eine Vermengung der Logik mit der Psychologie aus.
    "Einige Logiker", sagt er, "setzen zwar in der Logik  psychologische  Prinzipien voraus. Dergleichen Prinzipien aber in die Logik zu bringen, ist ebenso ungereimt als Moral vom Leben herzunehmen. Nähmen wir die Prinzipien aus der Psychologie, d. h. aus den Beobachtungen über unseren Verstand, so würden wir bloß sehen,  wie  das Denken vor sich geht und wie es  ist  unter den mancherlei subjektiven Hindernissen und Bedingungen; dieses würde also zur Erkenntnis bloß  zufälliger  Gesetze führen. In der Logik ist aber die Frage nicht nach  zufälligen,  sondern nach  notwendigen  Regeln; - nicht wie wir denken, sondern wie wir denken sollen." (3)
Ganz ähnlich bestimmt er die Logik in einer Reflexion, (4) wo auch die apriorische Notwendigkeit in der Logik der empirischen Zufälligkeit in der Psychologie oder Anthropologie gegenübergestellt wird. Eine genetische Untersuchung über den psychischen Ursprung der Begriffe hat in der Logik keinen Platz, denn von den subjektiven empirischen Bedingungen sieht die logische Betrachtungsweise ja gerade ab, um die Begriffe ihrem Gehalt und ihrer Bedeutung nach, nicht als menschliche, psychische Begriffe, sondern als Begriffe überhaupt zu erfassen. (5) Daß KANT trotz dieser Ablehnung jedes Psychologismus in einigen seiner Lehren durch die psychologische Anschauungsweise seiner Zeit bedingt war, ist bekannt, aber seiner Grundtendenz nach war er in logisch-erkenntnistheoretischer Hinsicht durchaus Antipsychologist.

Wie sich nun trotz der Ablehnung einer rationalen Metaphysik an die Kantische Lehre neue metaphysische Versuche angeschlossen haben, so wurde auch trotz der Bekämpfung des Empirismus durch KANT der Versuch gemacht, die transzendentale Methode ins Psychologische umzudeuten oder durch eine psychologische Methode zu ergänzen oder zu ersetzen. Das führt zu einem Psychologismus, wie ihn, obwohl man das neuerdings bestreitet, FRIES und in anderer Form BENEKE vertreten haben. Eine Verkennung der Eigenart der Kantischen Methode und ein mißverständliches Hineintragen psychologischer Vorstellungen in Kantische Lehren findet sich noch bei manchen Kantinterpreten der Gegenwart. Abgelehnt wird der Psychologismus mit einer ähnlichen Begründung wie bei KANT von HERBART, in dessen "Lehrbuch zur Einleitung in die Philosophie", § 34 heißt es: "In der Logik ist es notwendig alles Psychologische zu ignorieren, weil hier lediglich diejenigen Formen der möglichen Formen des Gedachten nachgewiesen werden, welche das Gedachte nach seiner Beschaffenheit zuläßt."

Eine andere, viel wirkungsvollere Strömung des Psychologismus im 19. Jahrhundert kam von England her. JOHN STUART MILL ist der Hauptvertreter dieser Richtung und der eigentliche Systematiker des Psychologismus in der Logik und Erkenntnistheorie. Von MILL ist SIGWART beeinflußt, aber auch bei LOTZE und noch bei BENNO ERDMANN macht sich sein Einfluß geltend. Als man aber wieder mit Bewußtsein auf KANTs Lehre zurückgriff, suchte man auch die empiristischen und psychologistischen Bestandteile aus der Logik und Erkenntnistheorie zu entfernen. Die Neukantianer wehren daher mit aller Schärfe den Psychologismus ab.

Diejenige Einzelwissenschaft, die ihrer Natur nach dem Eindringen des Psychologismus am stärksten Widerstand leisten muß, ist die  Mathematik.  Ein Philosoph der Mathematik, GOTTLOB FREGE, setzt sich dann auch in der Einleitung zu seinen "Grundgesetzen der Arithmetik" (I. Band, Jena 1893) scharf in Gegensatz zur psychologistischen Logik, die nicht über das Subjektive hinauskommt, während doch das Wahre als etwas Objektives, vom urteilenden Subjekt Unabhängiges bestehen muß. FREGE weist auf den Doppelsinn des Wortes "Gesetz" hin, das in einem Sinn sagt, was ist, im anderen, was sein soll, also entweder Naturgesetz oder Denkgesetz bedeutet (Seite XV). Naturgesetze des Denkens jedoch würden höchstens das psychologische "Fürwahrgehaltenwerden", aber kein "Wahrsein" garantieren. Logische Begriffe sind nicht bloße Vorstellungsweisen, sonst blieben wir immer im Subjektiven stecken. Die Psychologisten verkennen die Objektivität, sie unterscheiden nicht den Gegenstand vom subjektiven Begriff, nicht die Eigenschaft vom Merkmal (Seite XXIV). Damit wird aber eine objektive Erkenntnis unmöglich gemacht. Die Logik allein ist, wie Frege beton, berufen, "Schiedsrichterin im Streit der Meinungen zu sein", ohne sie wäre "einge gegenseitige Verständigung unmöglich, weil ein gemeinsamer Boden fehlte, und ein solcher kann keine Vorstellung im Sinne der Psychologie sein" (Seite XIX). Der Psychologismus wird hier also als Subjektivismus bekämpft.


Husserls Kritik des Psychologismus

Von FREGE nicht unbeeinflußt ist EDMUND HUSSERL, der aber bei seinem Vorgänger doch selbst wieder psychologistische Spuren nachweist. HUSSERL hat im ersten Band seiner "Logischen Untersuchungen" (Halle a. S. 1900, 2. Auflage 1913) die ausführlichste und weitestgehende Kritik des Psychologismus gegeben.

Die Logik als eine theoretische, formale, demonstrative Disziplin wird im schärfsten Gegensatz zu jeder  Psychologie  als einer  "Tatsachenwissenschaft"  gesetzt. Eine Tatsachenwissenschaft aber ist, wie HUSSERL in einem Aufsatz im  Logos  sagt, ungeeignet, "Fundamente für diejenigen philosophischen Disziplinen abzugeben, die es mit den reinen Prinzipien aller Normierung zu tun haben, also der reinen Logik, der einen Axiologie und Praktik" (6) Die Psychologie wird in eine Reihe mit den Naturwissenschaften gestellt, als zu einer Gruppe von Wissenschaften gehörig, die ihrem Ausgangspunkt nach, wie HUSSERL meint, als naiv zu bezeichnen sind, weil sie von selbstverständlichen, einfach daseienden Gegebenheiten ausgehen und diese zu erkennen suchen.

Ich glaube, man wird HUSSERL hier nicht völlig beistimmen können, jedenfalls sind seine Einteilungen zu grob. Gewiß hat jede Wissenschaft ihre bestimmten materialen Voraussetzungen, und es handelt sich gerade darum, diese Voraussetzungen festzustellen, gewiß ist auch die Psychologie oder die Physik oder die Biologie in ganz anderer Weise von den sinnlich wahrnehmbaren Tatsachen abhängig als etwa die reine Mathematik, aber auch die Naturwissenschaften und die Psychologie stellen keine einfache Reproduktion von Tatsachen dar, sie wollen nicht die naiv erlebten Tatsachen einfach als solche erkennen, sondern die Beziehungen und Gesetzmäßigkeiten, die sich in diesen Tatsachen offenbaren, das heißt aber, die sinnlich erlebte Wirklichkeit wird damit unter andere Gesichtspunkte als die der bloßen Tatsächlichkeit gestellt, sie empfängt eine neue Beleuchtung, sie wird umgeformt als Material der Wissenschaft. Man braucht nicht so weit zu gehen wie MÜNSTERBERG, der in der Psychologie geradezu eine nichtreale Konstruktion sieht, denn die Beziehung auf die daseiende Wirklichkeit ist allerdings vorhanden, aber die Umformung bedeutet auch eine Umwertung, und die Rücksicht auf Werte läßt sich auch in der Psychologie und den Naturwissenschaften nicht so ausschalten, daß man diese Wissenschaften einfach als wertfreie bezeichnen könnte; nur sind hier die Wertbestimmungen andersartige als in anderen Wissenschaften. Dann aber hat die Psychologie als solche doch noch eine andere Stellung der Wirklichkeit gegenüber als die Naturwissenschaft und darf mit ihr nicht ohne weiteres zusammengruppiert werden. Die Naturwissenschaft braucht im Grunde nur die physische Welt als gegeben vorauszusetzen, die Psychologie aber will gerade die Gesetzmäßigkeiten des Psychischen und seine Beziehungen zum Physischen begreifen, und dieses Psychische ist von uns in ganz anderer Weise erlebt als die bloße Außenwelt. Damit aber ist das Material der Psychologie und sind ihre Aufgaben von denen der Naturwissenschaft geschieden.

Im Begriff der Tatsachenwissenschaft stecken also noch mancherlei Probleme, an denen HUSSERL vorübergeht, wenn er hiermit den Gegensatz zu den normativen und den idealen Wissenschaften bezeichnen will. HUSSERL setzt aber diesen Begriff der Tatsachenwissenschaft voraus, um von hier aus die  Konsequenzen  darzulegen, die sich ergeben, wenn die  Psychologie  als Tatsachenwissenschaft zur  Grundlage  der Logik gemacht wird. Empirische Erkenntnis kann nach HUSSERL keine allgemeingültigen Gesetze, sondern nur  vage und unexakte Regeln  liefern, auch die Denkgesetze müßten bei psychologischer Auffassung als bloß psychologische Regelmäßigkeiten diesen Charakter besitzen. (7) Die HUSSERLsche Formulierung ist hier nicht glücklich. Man könnte dagegen sagen, daß in den Tatsachen, wie wir sie psychisch auffassen und wissenschaftlich begreifen, bereits logische Werte mitgegeben seien und daß die Gesetze für die Tatsachen keine bloßen Tatsächlichkeiten darstellten, daß zwar das tatsächlich Erlebte sich nur in vager und unexakter Weise beschreiben ließe, aber die Gesetze, die in den Tatsachen wirkten, auch die Denkgesetze, sich in ihrem Charakter vom bloßen Material unterschieden. Das Gesetz als solches könnte ja ganz exakt und objektiv gültig sein, nur die Formulierung wäre vielleicht infolge der noch anhängenden empirischen Bestimmungen und der subjektiven Schwierigkeit der Erkenntnis vage und unexakt. Jedenfalls kann man nicht ganz im allgemeinen von der Vagheit und Unexaktheit der Naturgesetze wie der psychologischen Gesetze sprechen. Das Gravitationsgesetz etwa ist in Bezug auf seine exakte Gültigkeit zweifellos nicht auf eine Stufe zu stellen mit dem FECHNERschen Gesetz in der Psychologie. Die qualitative Andersartigkeit des Psychischen bedingt auch ein ganz anderes Maß der Exaktheit als beim bloß Physischen. Der fundamentale Unterschied der psychologischen Gesetze gegen die logischen Gesetze aber liegt darin, daß die logischen Gesetze solche sind, in denen die Wahrheit und Richtigkeit des Denkens überhaupt begründet ist und die darum in einem viel präziseren Sinn allgemeingültig und notwendig sind, nicht aber psychologische Gesetzmäßigkeiten des Verlaufs der Vorstellungen oder Gesetze, durch die wir Beziehungen in der physischen Außenwelt begreifen lernen.

Das führt zu dem  zweiten,  wichtigeren  Einwand,  der sich für HUSSERL aus den Konsequenzen des Psychologismus ergibt. Ein  Naturgesetz  ist nach HUSSERL niemals a priori gegeben, sondern wird durch  Induktion  erfaßt und besitzt bloße  Wahrscheinlichkeit:  Denkgesetze als Naturgesetze wären also bloße Wahrscheinlichkeitsregeln. (8) Auch hier hält HUSSERL nicht streng das Gesetz als solches und die Formulierung des Gesetzes auseinander und vernachlässigt notwendige Unterscheidungen. Es gibt gewiß sogenannte psychische oder physische Gesetze, die nur eine annähernde Gültigkeit haben, aber einem Naturgesetz wie etwa dem Gravitationsgesetz gegenüber wird man nicht von einer bloßen Wahrscheinlichkeit seiner Geltung sprechen. Ebenso ist es nicht richtig, die Naturwissenschaft auf die Methode der Induktion zu beschränken, sondern induktives und deduktives Verfahren ergänzen sich auch hier gegenseitig, wenn auch der Induktion auf dem Gebiet der Erfahrungswissenschaften die größere Bedeutung zukommt. Wichtig aber ist, daß die Naturgesetze im gewöhnlichen Sinn ebenso wie die psychischen Gesetzmäßigkeiten aus der erfahrungsmäßgien Tatsächlichkeit, also a posteriori [im Nachhinein - wp] gewonnen sind und daß sie etwas aussagen über Beziehungen von Wirklichem, daß sie nur eine hypothetische Geltung haben, indem sie bestimmen, wie sich ein vorausgesetztes Wirkliches in irgendeiner Beziehung verhält. Damit ist aber nicht gesagt, daß sie ihrer Geltung nach nicht exakt und richtig sein könnten.

Die logischen Gesetze als Gesetze a priori und als oberste Grundsätze des Denkens haben eine ganz andere Dignität. Wohl kann man auch sie in eine hypothetische Form kleiden und etwa sagen, der Satz des Widerspruchs gelte eben nur, wenn man richtig denken wolle. Hier sei also das richtige Denken vorausgesetzt, wie bei den Naturgesetzen die Natur vorausgesetzt sei. Aber in Wahrheit ist bei einem Naturgesetz nicht bloß der Begriff der Natur überhaupt vorausgesetzt, sondern noch besondere Bestimmungen über die Natur. Es ließe sich wohl eine Natur denken, in der das Gravitationsgesetz nicht gelten würde; mit der Ungültigkeit dieses Naturgesetzes brauchte noch nicht die Natur überhaupt aufgehoben zu sein. Mit der Ungültigkeit des Satzes vom Widerspruch aber wäre das richtige Denken für uns überhaupt aufgehoben, und es ließe sich keine Möglichkeit denken, wie wir zu einer Wahrheit gelangen könnten. HEGEL hat zwar den Satz des Widerspruchs in der gewöhnlichen Form geleugnet, aber das bezog sich eben auf die übliche Formulierung, er konnte und wollte doch nicht die Notwendigkeit einer objektiven Eindeutigkeit und Einstimmigkeit der Erkenntnis bestreiten, wie sie im Satz des Widerspruchs gefordert wird. Die Denkgesetze sind Voraussetzungen des Denkens, ohne welche das Denken widersinnig wird, die Naturgesetze aber sind nicht in diesem Sinne Voraussetzungen der Natur, sondern man könnte sagen Folgerungen aus der bestehenden Natur.

Es lassen sich allerdings auch gesetzmäßige Bestimmungen denken, welche konstitutiv sind für den Begriff der Natur als der Wahrnehmungswelt, ja man könnte vielleicht in der Erkenntnis Feststellungen machen nicht nur für die wirklich wahrgenommene Natur, sondern für jede denkbar mögliche Natur überhaupt. Dann gelangt man von der empirischen Naturwissenschaft zu einer transzendentalen Naturphilosophie oder einer Naturmetaphysik. So faßt BRUNO BAUCH (9) den Begriff des Naturgesetzes im Sinne des Kantischen Transzendentalismus. Transzendentale und apriorische Voraussetzungen liegen eben im Empirischen, und die Naturwissenschaft muß, sofern sie wahrhaft Wissenschaft sein will, über das bloß empirisch Wahrgenommene hinausgehen und auf den konstitutiven Gesetzen der Erkenntnis der Natur begründet sein. Damit überschreitet man aber auch den Begriff des Naturgesetzes im gewöhnlichen Sinn und nimmt das Gesetz der Natur zugleich als das logische Gesetz der Erkenntnis der Natur. Dann kann man natürlich erst recht nicht von einer bloßen induktiven Wahrscheinlichkeit seiner Geltung sprechen. Aber auch dann ist die logische Gültigkeit der Denkgesetze bereits vorausgesetzt, diese repräsentieren also eine höhere Stufe auch gegenüber den Naturgesetzen im transzendentalen oder metaphysischen Sinn.

Wenn man nun noch die Gültigkeit der logischen Gesetze durch die Voraussetzung eines Richtigdenkenwollens bedingt sein läßt, so begeht man einen Zirkel. Denn die Entscheidung über die Richtigkeit eines richtigen, idealen Denkens wäre selbst nur durch die logischen Gesetze möglich. Logisch denken heißt eo ipso [dementsprechend - wp] richtig denken wollen, Gesetze für das richtige Denken sind ohne weiteres Gesetze für das Denken überhaupt, denn andere Denkgesetze lassen sich gar nicht denken. Falsches Denken ist ungesetzmäßiges, unlogisches, es ist überhaupt kein Denken, sondern eine bloße psychische Vorstellung, die in negativer Beziehung zum System des Denkens steht. Wird das Denken seines logischen Sinnes und Eigenwertes entkleidet und auf das bloß Psychologische herabgedrückt, dann fällt der Unterschied zwischen richtigem und falschem Denken, un das Denken wird damit überhaupt aufgehoben. Wie die empirischen Naturgesetze, so sind auch die psychologischen Gesetzmäßigkeiten Folgerungen aus den tatsächlichen psychischen Vorgängen, aber nicht logische Voraussetzungen des Seelischen oder des Denkens überhaupt.

Wenn man die logischen Gesetze als bloß psychologische Gesetze betrachtete, dann würde man sich allerdings, wie das auch HUSSERL hervorhebt, einer Verwechslung von logischem Gesetz und Realgesetz, von psychologischem Vorgang, dem Inhalt der Erkenntnis und dem Gesetz selbst schuldig machen. Wie aber ein psychologisches Denkgesetz, das eine subjektive Beziehung zwischen psychischen Vorgängen ausdrückt, zu einer allgemeingültigen, objektiven Voraussetzung für das wahre Denken werden könnte, das wäre dann völlig rätselhaft. Denn das logische Denken empfängt seinen Sinn und Wert nicht durch seine empirisch-psychologische Genesis, sondern es gilt gerade unter Abstraktion von der Zufälligkeit subjektiv psychischer Vorstellungen.

Aber in der groben Weise, wie HUSSERL es darstellt, behauptet der Psychologismus nur selten die Bedeutung der Denkgesetze als bloßer Naturgesetze. HUSSERL macht eine scharfe Scheidung zwischen der empirischen Tatsächlichkeit und der idealen Natur des Logischen. Das Gebiet der Tatsachenwissenschaften ist die bloße Wahrnehmungswelt, und Naturwissenschaft wie Psychologie sind für ihn in diesem Bereich eingeschlossen. Naturgesetze sind dann bloß empirisch wahrnehmbare Regelmäßigkeiten. Aber damit ist der Begriff des Naturegesetzes in einem zu engen Sinn genommen. Und wie HUSSERL die Formulierung des Gesetzes und das Gesetz selbst nicht streng scheidet, so verwechselt er auch den materialen Inhalt des Gesetzes mit seinem Gehalt und Sinn. Wenn das Naturgesetz sich auf Empirisches bezieht, Empirisches zu seinem Inhalt hat und empirisch festgestellt wird, so braucht es darum doch noch nicht bloß empirisch zu sein, sondern kann dennoch einen apriorischen Kern enthalten, ja seinem Gehalt nach unabhängig vom Empirischen sein. Ein Gesetz für Empirisches ist noch kein empirisches Gesetz, wie eine Wissenschaft, die sich auf Empirisches bezieht, darum noch keine bloß empirische Wissenschaft, d. h. überhaupt keine echte Wissenschaft zu sein braucht. Nimmt man diese von HUSSERL vernachlässigten Unterscheidungen an und faßt man den Begriff des Naturgesetzes nicht in dem engen Sinn wie HUSSERL, dann ist die Kluft zwischen Naturgesetz und logischem Gesetz nicht so unüberbrückbar, wie HUSSERL meint.

Der Psychologismus braucht nicht notwendigerweise das Denkgesetz wie das Naturgesetz als bloß empirisches Gesetz zu betrachten, und der Gegensatz zum empirisch Wahrnehmbaren ist nicht ohne weiteres die ideale logische Norm, so daß in der Abweisung alles Empirischen die ideale Natur und in der Beziehung auf das Empirische die empirische Natur des Gesetzes begründet läge. Die Welt der Wahrnehmung bietet das Material für die Erkenntnis, und die Gesetze der Erkenntnis dürfen ihrem Material nicht vollständig fremd gegenüberstehen, sonst könnte dieses sie nicht annehmen und nicht geformt werden.

Im Sinne des Transzendentalismus sind die Gesetze der Erkenntnis auch Gesetze der Gegenstände der Erkenntnis. Dadurch ergibg sich eine Verwandtschaft zwischen Denkgesetzen und Naturgesetzen, die aber nicht darauf beruth, daß die Denkgesetze zu bloß empirischen Regeln gemacht werden, sondern darauf, daß der logische Charakter des Naturgesetzes hervorgehoben und das Naturgesetz dem logischen Denkgesetz angenähert wird. Es braucht also das Naturgesetz nicht notwendig als eine bloß empirische Regel angesehen zu werden, und der Psychologismus wird nicht ohne weiteres zu der Konsequenz gedrängt, die Denkgesetze als Naturgesetze nach den HUSSERLschen Bestimmungen zu betrachten, vielmehr kann er die Gesetze für die Natur und für das Denken doch als Gesetze über das bloß empirische Material erheben.

Wenn der Psychologismus auch nicht die Prinzipien des Transzendentalismus annimmt, so wird er doch, sofern er sich in dieser Richtung bewegt, durch die HUSSERLsche Argumentation nicht getroffen. Das Naturgesetz ist nicht einfach das "Glied einer Kausation". KARL HEIM sagt gegen HUSSERL: "Glied einer Kausation ist ja nie ein Gesetz, sondern nur ein Teil des einem Gesetz entsprechenden Geschehens. Als  Regel einer Kausation  aber muß jedes Gesetz bezeichnet werden, das ein Geschehen vorschreibt, auch das logische Gesetz." (10) Die Psychologisten begehen also nicht unbedingt eine Verwechslung des Gesetzes als Glied der Kausation mit dem Gesetz als Regel der Kausation. Das Gesetz, auch das Naturgesetz, kann als solches außerhalb des empirischen Verlaufs stehen und von diesem losgelöst werden, es braucht dann in seiner reinen Gültigkeit auch nicht durch die Existenz dieses Verlaufs bedingt zu sein, es kann überzeitlich und allgemeingültig sein, auch wenn es sich auf bloß zeitlich und zufällig Wirkliches bezieht. Wenn die psychologistischen Logiker in gewisser Weise den Unterschied zwischen Idealgesetz und Realgesetz, normierender und kausaler Regelung, logischer und realer Notwendigkeit, logischem Grund und Realgrund verkennen, so verkennt HUSSERL seinerseits die Verwandtschaft zwischen Logischem und Realem und geht daher in seiner Kritik zu weit.

Mit dieser Erörterung glaube ich auch das  dritte  Argument HUSSERLs bereits größtenteils erledigt zu haben. Denkgesetze nach Art des Psychologismus wären Gesetze für das seelische Leben, und die  Existenz des Psychischen  wäre die  Voraussetzung  ihrer  Gültigkeit.  (11) Auch hier liegt aber der springende Punkt nicht darin, daß die Denkgesetze als Gesetze für Psychisches notwendigerweise einen bloß "psychologischen Gehalt" besäßen, denn Gesetze für Psychisches könnten doch mehr als Beschreibungen empirischer Tatsächlichkeiten sein und bräuchten nicht den Charakter des Materials der Wahrnehmung zu teilen, ohne doch rein ideale Gesetze zu sein und ohne daß sie ihrem  Gehalt  nach bloß psychologisch wären, wenn sie im Psychischen ihren materiellen  Inhalt  finden. Aber ein Denkgesetz als Gesetz für die psychische Tatsächlichkeit genommen hätte eine wesentliche  Beziehung  auf das empirische psychische Geschehen, und diese Beziehung fehlt dem logischen Gesetz als solchem. Das Denkgesetz im Sinne des Psychologismus müßte über erlebbare Vorgänge und Relationen im seelischen Leben etwas aussagen und sich aus wirklichen psychischen Geschehnissen als Folgerung ableiten lassen. Wenigstens die  Beziehung  auf das Gesetz müßte im Empirische begründet sein, und die Geltung des Gesetzes müßte nur in der notwendigen Beziehung auf das empirisch Psychische beruhen.

Ein logisches Gesetz aber ist nicht in dieser Weise von der psychischen Tatsächlichkeit abhängig, denn es sagt ja nichts aus über die Existenz des Seelischen oder über die wirklich bestehenden Beziehungen seelischer Erlebnisse, sondern es enthält Bedingungen für die Möglichkeit des Denkens überhaupt. Die Beziehung auf irgendwelche empirischen Vorgänge des Seelenlebens ist ihm daher gar nicht wesentlich, und seine Geltung setzt nicht die Existenz des erfahrbaren Psychischen als solchen voraus. Es ließen sich anders konstituierte seelische Wesen als etwa die menschlichen denken, aber andere Denkgesetze für sie ließen sich nicht in sinnvoller Weise denken. Die psychologische Einsicht in das logische Gesetz ist allerdings nur aufgrund der Erfahrung möglich, aber der logische Grund des Gesetzes und seiner Gültigkeit liegt nicht in der Erfahrung. Der Psychologismus macht also fälschlich die erfahrbare Wirklichkeit zur Voraussetzung des Logischen und verengt damit den logischen Bereich, während doch die logischen Gesetze selbst konstituierende Voraussetzungen des Wirklichen sein müssen und in ihrer Geltung nicht auf die Zufälligkeit des Empirischen beschränkt sein können. Weder dem Inhalt noch dem Gehalt der logischen Gesetze ist die Beziehung auf das tatsächliche psychische Geschehen, wie es die Psychologie zu erfassen strebt, wesentlicht oder notwendig. Ein  Grund  für die Geltung des Logischen kann im Empirischen nicht gefunden werden, denn dieser Grund kann selbst nur ein logischer sein.

Der Psychologismus zieht die Frage nach der Existenz psychischer Geschehnisse in die Logik und Erkenntnistheorie, während doch diese Frage hier ganz ausgeschaltet werden kann und die Frage nach der Geltung logischer Gesetze gar nicht löst. Liegen im Existierenden logische Gesetze, dann ist die Entscheidung über die logische Natur selbst nur aufgrund logischer Prinzipien möglich, die Frage der logischen Geltung behauptet also auf alle Fälle ihre Priorität. Der Psychologismus glaubt an irgendeine notwendige Beziehung des Logischen zum Empirischen und an irgendeine Ableitbarkeit der logischen Geltung aus der Erfahrung, während er doch, um überhaupt die Logizität des Wirklichen zu prüfen, schon die Geltung der logischen Gesetze voraussetzen muß. Das  Wesen  des Logischen, in dem seine Gültigkeit begründet liegt, kann letzten Endes gar nicht im erfahrbaren Wirklichen als solchem vorhanden sein, in dem es der Psychologismus sucht, denn dieses Empirische bedarf, um logisch zu sein, selbst wieder einer logischen Voraussetzung. Der Psychologismus macht also fälschlich etwas zur Voraussetzung, was ein Akzidens oder eine Folge ist und selbst begründet werden muß, er gelangt daher nicht zur letzten Voraussetzung, muß sich im Zirkel bewegen und das Geltungsgebiet der Prinzipien in willkürlicher Weise beschränken.

Was HUSSERL als Konsequenzen des Psychologismus ansieht, sind zwar nicht in dem Sinne, wie HUSSERL glaubt, notwendige Konsequenzen, die den Psychologismus ad absurdum führen müßten und HUSSERLs eigene Theorien als die allein richtigen erwiesen, aber in seiner Argumentation stecken doch mancherlei fruchtbare Gedanken.

Die Widersinnigkeit einer psychologistischen Betrachtungsweise sucht HUSSERL namentlich durch eine eingehende Kritik der Interpretation des  Satzes vom Widerspruch  nachzuweisen. Wenn MILL diesen Grundsatz als "eine der frühesten und naheliegendsten Verallgemeinerungen aus der Erfahrung" ansieht, die darin begründet sei, daß "Glaube und Unglaube zwei verschiedene Geisteszustände sind, die einander ausschließen", (12) so gibt er damit eine psychologistische Beobachtung wieder, er stellt eine Behauptung auf über die Beziehungen tatsächlich vorhandener seelischer Vorgänge, aber er sagt nichts über den logischen Sinn des Gesetzes, er verwechselt, wie HUSSERL sich ausdrückt, "das Nichtzusammenwahrsein der Sätze" mit der "realen Unverträglichkeit der entsprechenden Denkakte". (13) Der Satz des Widerspruchs aber bezieht sich seinem logischen Sinn nach gar nicht auf irgendwelche vorhandenen psychischen Denkakte, und jede Aussage über Denkakte, jedes Urteil aufgrund psychologischer Beobachtung muß, sofern es logisch sein will, selbst schon dem logischen Satz des Widerspruchs als einer Grundbedingung der Erkenntnis überhaupt unterliegen. Wäre der Satz vom Widerspruch ungültig, dann gäbe es keine Möglichkeit einer systematischen logischen Erkenntnis mehr, fehlte aber irgendein psychisches Geschehen oder eine Beziehung der Denkakte, so wäre damit die Geltung des Satzes vom Widerspruch und die Erkenntnis überhaupt noch keineswegs aufgehoben.

Ob Glaube und Unglaube sich gegenseitig ausschließende psychische Zustände sind, kann man sogar als psychologische Beobachtung bezweifeln, ohne etwas schlechthin Widersinniges damit zu behaupten, nur aufgrund der Erfahrhung ließe sich die Richtigkeit der Annahme feststellen, die Geltung des Satzes vom Widerspruch aber kann man nicht in sinnvoller Weise bezweifeln, ohne sich selbst dadurch ad absurdum zu führen, und die Unrichtigkeit des Zweifels ließe sich logisch ohne ein Zurückgreifen auf Erfahrungstatsachen beweisen. Wohl hat die Untersuchung des Verhältnisses der Vorstellungen ihre Berechtigung in der Psychologie, und man kann aus den psychologischen Beobachtungen Regeln über den tatsächlichen Verlauf psychischer Akte gewinnen, aber die Tatsächlichkeit gibt nicht den logischen Grund für die Wahrheit eines Gesetzes. Die psychologische Beschreibung und Erklärung, die Aufweisung des Tatsächlichen und seine genetische Ableitung ist keine logische  Begründung  des Gesetzes, sondern ist, sofern sie ein logisch richtiges Urteil darstellt, ihrerseits abhängig von der logischen Gültigkeit des Gesetzes.

Der Psychologismus überschreitet also die Grenzen, die der Gültigkeit psychologischer Beobachtung gesetzt sind, er geht über das Anwendungsgebiet der psychischen Erfahrung hinaus und sucht viel mehr zu beweisen, als aufgrund der bloßen Erfahrung möglich ist, wenn er durch sie die logischen Gesetze erklären will, und er beweist dann doch zu wenig, indem er die allgemeingültigen Grundsätze zu bloßen Erfahrungstatsachen herabzieht und die objektive Wahrheit nicht begründen kann, er beweist also nicht das, was er eigentlich beweisen will und beweisen müßte. Die logische Begründung wird durch eine ausschließlich psychologische Interpretation der logischen Gesetze aufgehoben.

HUSSERL kennzeichnet den Psychologismus als skeptischen  Relativismus  und  Anthropologismus.  Relativismus ist er, sofern er absolute und allgemeingültige Gesetze überhaupt bestreitet, Anthropologismus, sofern er das Logische aus dem empirischen Seelenleben des Menschen ableitet und seine Geltung auf dieses Gebiet beschränkt.

Allerdings mit dem Hinweis auf den Zirkelcharakter des  Skeptizismus  wird man den Psychologismus nicht ohne weiteres beseitigen. Der Psychologist könnte sich auf den Zirkel berufen, den schließlich auch die Logik und Erkenntnistheorie begeht, indem sie die Gültigkeit der obersten Grundsätze schlechthin für jeden Beweis voraussetzen muß und nicht oder nur indirekt beweisen kann, da sie zu jedem Beweis jener Prinzipien schon bedarf. So kann der Skeptiker sagen: der Satz, daß alles zweifelhaft sei, bilde zwar ein unbeweisbares Prinzip ebenso wie die obersten logischen Grundsätze, aber er bedürfe auch keines Beweises, sondern sei eine einfache Feststellung, deren Bezweiflung selbst nur ein neuer Zweifel, also eine Bestätigung des Satzes sei. Wenn man diesen Satz eine Wahrheit nennen wolle, so sei er das jedenfalls in einem ganz anderen Sinne als alle sogenannten Wahrheiten, denn er bedeute gerade die Aufhebung jeglicher objektiver Wahrheit, also die Konstatierung der Negativität der Wahrheit. Das Sein als solches sei schon ein Zweifelhaftsein, und der Satz, daß irgendetwas zweifelhaft sei, stelle eine bloße Aussage, einen identischen analytischen Satz dar. Widerlegt werden kann der Skeptizismus nur dadurch, daß man die Möglichkeit synthetischer Erkenntnis erweist, daß man ein System von Wahrheiten aufstellt, das in sich selbst einen Halt besitzt und jedem Angriff des Zweifels widersteht. Dann zeigt sich die praktische Unfruchtbarkeit des Skeptizismus, die jeden Fortschritt illusorisch macht und daher dem wahren Wesen und der Entwicklung des Seins widerstrebt. Rein theoretisch kann man dem Skeptizismus als der Bezweiflung aller Theorie der Wahrheit nicht beikommen, aber der Primat der praktischen Vernunft begründet die Notwendigkeit der Theorie und die Geltung der Wahrheit. Der radikale Skeptizismus wäre mehr als bloßer Subjektivismus oder Relativismus, denn er würde nicht eine subjektive oder relative Gültigkeit der Wahrheit behaupten, sondern die Möglichkeit jeder Wahrheit überhaupt bezweifeln. Die Schwierigkeit einer Bekämpfung dieser skeptischen Richtung liegt darin, daß die sinnvolle Natur der Wahrheit notwendig in einem immanenten Sinn des Systems begründet ist, sich also nicht auf etwas positives beziehen kann, was sich außerhalb des Systems befindet, der Zweifel aber will gerade diese Stellung abseits von jeglicher Wahrheit einnehmen. Nur indirekt ist daher der Skeptizismus widerlegbar, indem er praktisch ad absurdum geführt wird.

Relativismus  und  Subjektivismus  sind weniger ausgeprägte Arten des Skeptizismus. Man könnte sagen, daß sie in ihrer Konsequenz zu einem radikalen Skeptizismus führen müßten und darum mit diesem erledigt seien, aber das dürfte zu ihrer Widerlegung kaum genügen. Denn Relativismus und Subjektivismus wollen gerade die Mängel des radikalen Skeptizismus vermeiden, ohne doch darum die Absolutheit und Objektivität der Wahrheit zu behaupten. Man kann den Relativismus und Subjektivismus auch wohl in Verlegenheit bringen, wenn man fragt: ob, wenn alle Wahrheit relativ oder subjektiv sei, dann auch diese Wahrheit, daß alles relativ oder subjektiv sei, nur eine relative oder subjektive Gültigkeit besäße. Aber auch hier ließe sich vielleicht ein Ausweg finden. Denn im Grunde wird der Begriff der Wahrheit dabei in einem verschiedenen Sinn genommen, und der oberste Satz der Relativität der Wahrheit braucht als solcher nicht notwendig den Charakter der einzelnen Wahrheiten zu teilen. Ja, vielleicht könnte der Relativismus sogar ein System relativer Wahrheiten aufstellen, ohne damit die Absolutheit dieses Systems behaupten zu wollen.

Aber hier liegt allerdings der kritische Punkt: der  Relativismus  erweist sich als unfähig, die systematische Gültigkeit der Wahrheit zu begründen, er wird wie der Skeptizismus haltlos und praktisch unfruchtbar. Wohl ist die Erkenntnis des Relationscharakters der Wahrheiten von Bedeutung, wohl müssen gerade die Beziehungen innerhalb des Systems untersucht werden, um die systematische Stellung und Geltung einer Wahrheit zu bestimmen, aber der Relativismus macht fälschlich die Erkenntnis der Relationen zu einer bloß relativen Erkenntnis. Die Relativität der einzelnen Wahrheit wird gerade durch die Einordnung in das Relationssystem überwunden. Daß aber ein solches Relationssystem und damit ein System der Wahrheiten überhaupt besteht, das kann auch nur durch seine positive Aufstellung und seine erkenntnismäßige Bewährung in Theorie und Praxis erwiesen werden.

Eine Spezialisierung des Relativismus ist der  Subjektivismus:  er bestimmt nämlich die relative Geltung näher als bloß subjektive Geltung. Wenn aber die Wahrheit nur von der Eigenart des Subjekts abhinge, dann müßte zunächst das Subjekt mit seinen Eigenarten bestimmt werden. Soll dies wiederum nur in subjektiver Weise möglich sein, dann ergibt sich ein unendlicher Regress und der Subjektivismus ist noch haltloser als der Relativismus und Skeptizismus schlechthin oder wird auf diesen einfach zurückgeführt. Könnte aber die Charakterisierung des Subjekts in objektiver Weise geschehen, dann hätte man damit zugleich einen Maßstab für die Subjektivität der einzelnen vom Subjekt abhängigen Wahrheiten gewonnen, aber dieser Maßstab als solcher wäre dann auch objektiv und ermöglichte eine objektive Erkenntnis. Die Erkenntnis des subjektiven Momentes einer Wahrheit oder ihrer Abhängigkeit vom Subjekt ist noch nicht, wie der Subjektivismus meint, eine bloß subjektive Erkenntnis. Vielmehr ist gerade die Erkenntnis des Subjektiven nur auf einer objektiven Grundlage möglich, wie das notwendige Ziel jeder Erkentnis die Überwindung der bloßen Subjektivität ist. Die Einseitigkeit des Subjektivismus erweist seine Fehlerhaftigkeit.

Wird das Subjekt deutlicher als der Mensch in genere oder in individuo bezeichnet, sow wird der Subjektivismus zum  Anthropologismus,  und zwar zum generellen oder individuellen. HUSSERL kritisiert besonders den generellen Anthropologismus als spezifischen Relativismus. Seine Hauptargumente gegen diesen sind, daß er eine Verkehrung des Begriffs der Wahrheit vornehme, daß er etwas zugleich wahr und falsch sein lasse und daß er die Wahrheit von der Konstitution einer Spezies abhängig mache, was zu Widersinnigkeiten führe.

Auch hier bedürfen die HUSSERLschen Darlegungen in mancher Hinsicht wohl einer Verbesserung und Vertiefung. Der Anthropologist wird vielleicht sagen, gerade der übliche Begriff der Wahrheit sei unzulässig, und es könne jede einzelne Wahrheit immer zugleich wahr und falsch sein. Damit würde er allerdings den Satz vom Widerspruch aufheben und schließlich eine systematische Erkenntnis unmöglich machen. Aber auch angenommen, es könne etwas zugleich wahr und falsch sein, so wäre doch zur Beurteilung des Grades der Wahrheit oder Falschheit ein neuer Maßstab nötig, der als solcher wahr sein müßte, zu dessen Beurteilung dann wieder ein solcher: das führte zu einem unendlichen Regress, wie ihn jeder Relativismus begeht, wenn er nicht einen letzten objektiven und absoluten Punkt annimmt. Wenn man nun die Wahrheit von der Konstitution einer Gattung abhängig macht, wie das der Anthropologismus tut, so gäbe es, da unendlich viel Gattungen möglich sind, ebenso unendlich viel verschiedene mögliche Wahrheiten. Diese Wahrheiten wären entweder radikal verschieden, dann müßte die Gattungen ebenso radikal verschieden sein, und es gäbe keinen Zusammenhang der Gattungen wie der Wahrheiten innerhalb des Weltalls: eine Annahme, die doch jeder Erfahrung und Erkenntnis widerstreitet. Oder aber: es bestünden gewisse Verwandtschaften der Wahrheiten wie der Gattungen. Dann müßten sich die verwandten Wahrheiten heraussondern lassen, und man müßte schließlich einige gemeinsame oberste Wahrheiten finden, die von den gemeinsamen Eigenschaften aller existierenden Wesen abhingen. Damit aber wäre die bloße Gattungswahrheit überschritten, und man hätte wenigstens einige allgemeine Wahrheiten gewonnen. Zur Feststellung der Eigentümlichkeit der einzelnen Gattungswahrheit wäre dann die Bestimmung der Konstitution der Gattung, also letzten Endes doch die Beurteilung ihrer Stellung in einem System objektiver, d. h. logischer Wahrheiten nötig. So ist die relativistische Annahme von Gattungswahrheiten, wie sie der Anthropologismus macht, ein unmögliches Mittelding; sie führt entweder zu einem Skeptizismus oder zu einem Objektivismus.

Weiterhin aber wäre hierbei die Frage: ob die Wahrheit überhaupt von der   Existenz  abhängt, ob etwa die erfahrungsmäßig feststellbaren Gattungen der Wirklichkeit in ihrer Konstitution den Kreis der Wahrheiten bestimmten. Dann fiele Wahrheit und Existenz oder Wirklichkeit ohne weiteres zusammen; alles, was existierte, wäre wahr, und es gäbe überhaupt nichts Falsches. Oder aber man nimmt an, auch das Falsche sei in der Konstitution der Gattung bedingt: dann gäbe es zwei Arten von Existierendem, nämlich Wahr-Existierendes und Falsch-Existierendes, und nicht vom Exististierenden schlechthin wäre die Wahrheit abhängig, sondern vom Wahr-Existierenden. Zur Feststellung und Beurteiltung des Wahr_Existierenden und des Falsch-Existierenden wäre aber wieder ein Maßstab, d. h. eine Wahrheit nötig: irgendwo also muß ein objektver Halt sein, wenn man nicht zu einem unendlichen Regress gelangen will. Ferner aber besteht bei der Annahme der Abhängigkeit der Wahrheiten von der Existenz der Gattungen die Schwierigkeit, daß dann Wahrheiten ebenso wie die existierenden Gattungen entstehen und vergehen müssen, daß sie aus Unwahrheiten und zu Unwahrheiten werden. Das bedeutet also die völlige Relativität der Wahrheiten im Sinne des Relativismus. Es müßte aber dann wenigstens die Beurteilung der Entwicklung der Wahrheiten wie die der Gattungen möglich sein, was selbst wieder andere Wahrheiten als Maßstäbe voraussetzte.

Wenn HUSSERL zur Widerlegung jener Ansicht über die Gattungswahrheit sagt: Aufgrund der Konstitution einer Spezies könnte sich "die für sie gültige  Wahrheit  ergeben, daß solch eine Konstitution gar nicht existiere", (14) so ist das wohl ein verfehlter Gedanke. Denn wenn die Wahrheit vom Existierenden oder dem Wahr-Existierenden abhinge, so könnte die Existenz doch nicht die Wahrheit der Nichtexistenz zur Folge haben.

Aber vielleicht behauptet der Anhänger der Lehre von der Gattungswahrheit gar nicht so sehr die Abhängigkeit der Wahrheit von der Existenz der Gattung als nur, daß mit der Aufhebung der Existenz der Gattung auch die betreffenden Gattungswahrheiten aufgehoben seien. Er könnte etwa sagen: der Bezug auf die Existenz falle dann allerdings fort, aber es bestünde doch noch die Möglichkeit der Gattung, und so bestünden auch ihre Gattungswahrheiten zwar nicht mehr als aktuelle, aber als potentielle. Dann ist die Geltung der Wahrheiten nicht in der Existenz, sondern in der Möglichkeit der Existenz begründet. Aber auch dann ist noch eine Beziehung zwischen Existenz und Geltung behauptet, die sich als eine willkürliche Annahme erweisen muß. Denn im Begriff der Geltung einer Wahrheit ist in keiner Weise die Existenz mitbehauptet, im Begriff als solchem liegt nicht die Existenz, nur findet er seine  Anwendung  in einem existentialen Inhalt. Aber sucht man eine  Begründung  der Geltung einer Wahrheit, so gelangt man immer nur zu einer anderen Wahrheit, niemals zu einem Existierenden, das noch nicht Wahrheit wäre und erst die konstitutive Grundlage für sie bildete. Es besteht daher keinesfalls eine  Abhängigkeit  der Wahrheit von der Existenz in der Art, daß die Wahrheit durch die Existenz oder die Möglichkeit der Existenz ihre Begründung und Geltung empfange, wie das bei der Annahme des Gattungscharakters der Wahrheit hingestellt wird, sondern die Vermischung der Begriffe Wahrheit und Existenz ist unzulässig.

Der Anthropologismus nimmt die Existenz der Gattung als ein Faktum, welches die Wahrheit konstituiert, während es selbst doch auch ein Problem für die Wahrheit sein kann und der logischen Beurteilung notwendig unterliegt, falls es Anspruch auf Logizität macht. Wenn an einem Existierenden etwas Wahres festgestellt wird, so liegt dies in ihm, nicht sofern es  Existierendes  ist, sondern nur, sofern es  Wahres  ist. Wenn der Anthropologist im Existierenden Wahres findet, so kann er das nur, weil dieses eben Wahres ist, er begründet also dann die Wahrheit durch eine andere Wahrheit, die selbst wieder einer logischen Begründung bedarf; wäre das Existierende bloß Existierendes, dann wäre die Entstehung der Wahrheit aus ihm ein Rätsel, und es wäre unbegreiflich, wie wir überhaupt eine Erkenntnis von ihm gewinnen könnten, wenn der Wahrheitsbegriff darauf keine Anwendung fände. So bleibt für den Anthropologismus schließlich allerdings nur die Alternative: entweder Anerkennung des selbständigen Charakters der Wahrheit und ihrer Unabhängigkeit der Existenz gegenüber oder Skeptizismus, der die Möglichkeit der Erkenntnis überhaupt in Frage stellt. Der Anthropologismus in der Logik und Erkenntnistheorie ist wohl aus einer einseitigen Übertreibung gewisser Beobachtungen hervorgegangen. Was man Wahrheiten für die Gattung nennt, sind bloße Zweckmäßigkeiten, die in der Konstitution der Gattung allerdings begründet liegen, sollen sie aber zu  Wahrheiten  werden, so bedürfen sie einer Beurteilung durch andere Wahrheiten, einer Einordnung in das System der Erkenntnis, dann aber muß ihr bloß existentialer Gehalt gerade abgelöst werden, damit das Moment der Geltung hervortreten kann.

Aber der Anthropologismus kann vielleicht doch feinere Formen annehmen, als das in den HUSSERLschen Argumenten berücksichtigt wird. Man könnte einen Ausweg darin suchen, daß man die Existenz nicht als die konstitutiv begründende Bedingung der Wahrheit, sondern nur als eine Mitbedingung ansähe; dann bestünde gar keine schlechthinnige Abhängigkeit der Wahrheit von der Existenz, es würde nur eine irgendwie notwendige Beziehung zwischen beiden Begriffen angenommen. Ja, wenn gesagt wird, die Wahrheit der logischen Sätze gilt doch eben nur  für uns,  so braucht das nicht, wie HUSSERL meint, schon ein Zeichen von Relativismus und Anthropologismus zu sein. Zweifellos ist die Gültigkeit der Wahrheit nicht darin logisch begründet, daß der psychische Akt ihrer Anerkennung wirklich vollzogen wird, die Wahrheit  gilt  also in diesem Sinne, auch wenn niemand sie denkt. Diese logische Unabhängigkeit scheidet die Wahrheit der Denkgesetze von der bloßen Tatsächlichkeit. Doch das "für uns" braucht man nicht notwendig als ein "aus uns" und "von uns" zu deuten, man muß hierin nicht ohne weiteres die Annahme einer kausalen Abhängigkeit der Denkgesetze von einer bestimmten psychischen Organisation erblicken. Aber man könnte etwa sagen, die Wahrheit habe doch nur einen Sinn in Bezug auf das Denken überhaupt; wäre die Möglichkeit eines existierenden richtigen Denkens schlechthin aufgehoben, so hätte es auch keinen Sinn mehr, von einer geltenden Wahrheit zu sprechen. In dieser Hinsicht wäre allerdings eine Existenz des Denkens  conditio sine qua non  [Grundvorraussetzung - wp] für die Wahrheit, aber das würde nicht bedeuten, daß die Geltung der Wahrheit ihren logischen Grund in dieser Existenz hätte und von der tatsächlichen Beschaffenheit der seelischen Vorgänge abhängig wäre. Es wäre dann damit nur ausgesprochen, daß eine Wahrheit ohne die Möglichkeit eines Bereiches für ihre Gültigkeit etwas Leeres und Sinnloses sei.

Doch auch hier muß man sich vor einer Vermischung der Begriffe Geltung und Existenz hüten. Man kann wohl von einer Beziehung der Wahrheit zur Existenz sprechen, sofern die einzelne Wahrheit einen existentialen Inhalt hat und in ihrem faktischen  Bestand  an diesen geknüpft ist, aber das  Geltungs moment der Wahrheit als solches kann davon nicht abhängig sein, sondern ist allein logisch begründet. Auch wenn man also eine Beziehung der Wahrheit zur Existenz annehmen wollte, derart, daß die Existenz irgendwie Mitbedingung wäre, könnte sich die Beziehung nur auf das Seinsmoment, nicht auf die reine logische Geltung richten. Auch in der Beziehung als solcher könnte nicht der logische Grund der Wahrheit liegen, denn die Beziehung müßte selbst in ihrer Geltung logisch begründbar sein oder sie wäre überhaupt unerkennbar.

Durch die notwendige Annahme einer Unterscheidung der Begriffe  Existenz  und  Geltung  wird auch der  Psychologismus  gerichtet, der in der Hauptsache als eine spezielle Form des Anthropologismus angesehen werden kann. Die Abhängigkeit der Wahrheit von der Natur des Menschen wird hier bestimmter als Abhängigkeit von seiner psychischen Organisation bezeichnet. Aber alle Untersuchung der psychischen Akte kann nur deren existentialen Charakter feststellen, bezieht sich also nur auf den Inhalt der Vorstellungen, nicht auf ihren logischen Geltungswert als Wahrheiten. So erweist sich der Psychologismus als unfähig, die Eigenart der logischen Gesetze und die Gültigkeit der Wahrheit überhaupt zu begründen, und kann eine scheinbare Begründung nur durch eine Verkehrung des Sinnes der logischen Sätze gewinnen. Indem er nämlich Existenz und Geltung vermengt, macht er die logischen Gesetze zu existentialen Gesetzen. Aber er könnte damit höchstens die existentialen Momente an ihnen herausheben, niemals aber ihren Geltungswert begründen und ihr Wesen als Wahrheiten erklären, denn die existentialen Gesetze müßten, um logisch zu sein, eben nicht bloß existential sein, sondern nur eine logische Grundlegung, d. h. aber die Geltung der logischen Gesetze voraussetzen.

Mit dieser Kritik des Psychologismus, wie ich sie hier in anderer Weise als HUSSERL darstelle, ist noch keineswegs die Richtigkeit der eigenen Theorien HUSSERLs erwiesen. Wenn er die rein logischen Gesetze als Wahrheiten ansich und als Idealgesetze erfaßt, um ihnen den Normcharakter völlig abzusprechen, so ist das eine Frage, die im Streit mit dem Psychologismus keine so prinzipielle Wichtigkeit besitzt und durch die Stellungnahme für den Antipsychologismus allerdings noch nicht ohne weiteres erledigt ist. HUSSERL wird von einer Metaphysizierung der Logik nicht freizusprechen sein, ja man kann in seinen eigenen Lehren Fehler finden, die er mit dem Psychologismus teilt. Wenn man von einem idealen Wesen der Wahrheiten spricht, so liegt auch hier die Verwechslung von Geltung und Existenz oder Sein oder auch Seinsmöglichkeit nahe. Die Geltung ist reine Geltung und nichts anderes, als auch kein ideales Sein. Von einer idealen Wesenheit der Wahrheiten könnte man nur insofern reden, als an ihnen ein ideales inhaltliches Moment vorhanden wäre, dieses könnte wohl ihren Bestand, ihre hyparxis [Existenz, Sein - wp], sicherstellen, aber nicht ihre Geltung und logische Form begründen. Die  Geltung  als solche aber ist niemals ein  Sein  und nicht aus einem Sein begründbar.

In gewisser Weise kann man bei all den Theorien, welche den Seinscharakter des Logischen als konstitutiv hervorheben, psychologistische Spuren finden. Einen ausgesprochenen Psychologismus wird man aber nur darin sehen, daß die Geltung nicht in einem idealen oder potentiellen Sein, sondern in der empirischen Existenz des Psychischen gesucht wird. Wie der Psychologismus den wahren Charakter des Logischen verkennt, so erweitert er den Geltungsbereich der Psychologie in unzutreffender Weise und geht von falschen Voraussetzungen über den Charakter der psychologischen Erklärungsweise aus.

HUSSERL bestimmt drei wesentliche  Vorurteile des Psychologismus.  Das  erste Vorurteil  formuliert er folgendermaßen: "Vorschriften zur Regelung von Psychischem sind selbstverständlich psychologisch fundiert. Demgemäß ist es auch einleuchten, daß die normativen Gesetze der Erkenntnis in der Psychologie gründen müssen." (15) Zur Widerlegung betont HUSSERL, daß man unterscheiden müsse zwischen den rein logischen Gesetzen und den technischen Regeln, welche die Anwendung der Normen auf das menschliche Seelenleben ausdrücken.

Ich würde das Hauptgewicht darauf legen, daß die Worte "fundieren" und "gründen" hier doppeldeutig sind und aus dieser Doppeldeutigkeit die scheinbare Evidenz des Satzes zu erklären ist. Auch die logischen Gesetze gewinnen wir gewiß anhand der Erfahrung, sie sind uns in psychischen Akten gegeben, aber sie brauchen darum nicht selbst psychische Akte oder Beziehungen zwischen solchen zu sein, vielmehr empfangen sie ihre logische Begründung nicht aus dem seelischen Material, sondern aus der Gesetzmäßigkeit des Logischen. Auch die technischen Regeln sind aber, wenn sie auch ihrem Inhalt nach ganz vom Empirischen abhängig sind, in ihrer logisch formalen Gültigkeit doch nicht in der Existenz des bloß Empirischen, sondern allein im System der Erkenntnis begründet. "Fundiertsein" und "Begründetsein" bedeutet hier also einmal das inhaltliche Gegebensein in psychischen Vorstellungen, die Verbindung mit dem erfahrungsmäßigen Erlebnis, andererseits aber die logische Ableitung aus Prämissen und Prinzipien. Mit der Erkenntnis dieser Doppeldeutigkeit ist die Falschheit des psychologistischen Satzes erwiesen.

Das  zweite Vorurteil  des Psychologismus besteht nach HUSSERL in der Behauptung, die  Logik  habe es doch mit  psychischen Phänomenen  zu tun. (16) HUSSERL sucht diese Behauptung ad absurdum zu führen, indem er darauf hinweist, daß dann auch die reine Mathematik ein Zweig der Psychologie sein müßte.

Aber vielleicht würde der radikale Psychologismus vor dieser Konsequenz in der Tat nicht zurückschrecken. Man muß ihm aber entgegenhalten, daß in dem Wort "Phänomen" der erlebte Inhalt und der begriffliche Gegenstand als solcher zusammengeworfen werden. Wenn die logischen Denkgesetze empirisch irgendeine Beziehung zu psychischen Vorstellungen haben, indem sie durch diese irgendwie zu Bewußtsein gebracht werden, so brauchen sie selbst doch nicht bloß empirisch-psychischen Charakter zu haben, vielmehr sind sie als  Gesetze,  zum Gegenstand wissenschaftlicher Erkenntnis gemacht, vollständig losgelöst von allem Empirischen und werden ihrem reinen Geltungswert nach betrachtet, in dem ihr eigentliches logisches Wesen begründet liegt. Der Gegenstand der Logik kann also niemals im bloß Empirischen bedingt sein, wenn auch das tatsächliche Denkerlebnis ein psychisches Phänomen ist, denn dieses Denkerlebnis kann nicht der Grund der logischen Gesetze als solcher sein, sondern nur der Grund empirisch existierender Denkakte, welche irgendwie eine  Anwendung  der logischen Gesetze mit sich führen.

Wollte man die Gesetze selbst als Bewußtseinstatsachen bezeichnen, dann unterläge das Bewußtsein als Ganzes selbst keinen Gesetzen mehr, da diese Gesetze ja erst von ihm hervorgebracht würden. Ein Zustand logischer Gesetzlosigkeit aber, wie er dann irgendwann einmal bestanden haben müßte, ist erkenntnismäßig unfaßbar, und seine Annahme würde einen skeptischen Relativismus involvieren. Wenn man, wie das auch hier geschieht, Existenz und Geltung zusammenwirft, dann steht man wieder vor der unlösbaren Frage, wie man eine absolut vorlogische, geltungsfremde Existenz logisch begreifen soll und wie die Entstehung der Gültigkeit logischer Gesetze aus diesem Chaos heraus möglich sein soll. Was aus der Existenz als solcher entsteht, ist immer nur Existierendes, die Annahme einer Entstehung der Geltung aber ist widersinnig. Wohl können die logischen Gesetze in mehr oder weniger vollkommenem Maße empirisch angewandt werden, aber ihrem Gehalt nach sind sie unabhängig von dieser Anwendung. Ein vorlogische Denken kann ein solches sein, in dem die Darstellung der logischen Gesetze in der Wirklichkeit und ihre Erkenntnis noch inadäquat ist, aber man kan nicht sagen, daß die Gesetzmäßigkeit und Geltung des Logischen als solchen dadurch berührt wird. Wenn ein derartiges Denken  existiert,  das die logischen Gesetze nicht erfaßt, so brauch doch darum die reine  Geltung  der Gesetze nicht aufgehoben zu sein. Ein solches Denken kann als existierendes wohl den Existenzgrund zu einem anderen, vollkommeneren Denken bilden, aber nicht in seiner Existenz als bloßer Existenz den Geltungsgrund logischer Gesetze enthalten. Ein Gesetz als solches aus der bloßen Existenz zu begründen ist unmöglich, denn der Grund eines Gesetzes muß selbst ein logisch gesetzmäßiger sein, d. h. nicht nur existieren, sondern vor allem gelten.

Die psychischen Phänomene interessieren die Logik nicht als empirisch existierende, sondern nur, sofern an ihnen irgendwie die Geltung logischer Gesetze hervortritt, also gerade unter Abzug alles psychisch Wirklichen, wie es die Psychologie betrachtet. Wenn man die logischen Gesetze von zufällig existierenden psychischen Vorgängen abhängig macht, dann wird ihre Geltung ganz zufällig und lückenhaft, man gelangt zu einem haltlosen Subjektivismus. Nimmt man, um dem zu entgehen, an, die Gesetze seien nicht durch das jeweilge empirische Bewußtsein, sondern irgendwie durch ein metaphysisches überindividuelles Bewußtsein erzeugt, so kann auch damit nicht die  Geltung  der Gesetze begründet werden, denn das metaphysisch existierende Bewußtsein erzeugt nur Existierendes, und ebensowenig können dann die Unterschiede zwischen bloß erfahrungsmäßiger Anschauung und gesetzmäßiger Erkenntnis aus logischen Normen oder mathematischen Beweisen erklärt werden.

Man braucht hier nicht den Gegensatz von Idealwissenschaften und Realwissenschaften in der Weise zu betonen, wie es HUSSERL tut, denn auch bei den sogenannten Realwissenschaften besteht der Wahrheitsgehalt nicht in den bloß empirischen Wahrnehmungen, sondern ist durch die logische Geltung innerhalb des Systems der Erkenntnis begründet. Jede Wissenschaft ist, sofern sie  Wissenschaft  ist, mahr als bloß empirisch, wenn sie sich auch auf empirisches Material bezieht. Sie muß daher als Wissenschaft über das physisch oder psychisch Erlebbare hinausgehen, und auch die Psychologie empfängt den Charakter der Wissenschaftlichkeit nicht aus den seelischen Vorgängen als solchen, sondern aus der Einordnung in die Gesetzlichkeit der Erkenntnis. So ergibt sich der Primat der Logik und Erkenntnistheorie gegenüber der Psychologie. Das Logische Geht also über das Psychische und Psychologische hinaus. Wenn der Psychologismus sie leugnet, verkennt er nicht nur das Wesen des Logischen, sondern stellt den  wissenschaftlichen  Charakter der Psychologie selbst in Frage.

Ein  drittes Vorurteil  des Psychologismus sieht HUSSERL darin, daß man die Wahrheit der logischen Sätze durch ein  psychisches Evidenzgefühl  für begründet hält und demgemäß die Logik als "Theorie der Evidenz" auffaßt. (17) Die Urteilsevidenz aber steht, wie HUSSERL sagt, nicht nur unter psychologischen, sondern "auch unter idealen Bedingungen" (18). "Wahrheit ist eine Idee, deren Einzelfall im evidenten Urteil aktuelles Erlebnis ist." (19) In der Tat würde das Stehenbleiben beim bloßen Gefühl als psychischem Erlebnis den Bankrott der Wissenschaftlichkeit bedeuten. Konsequenterweise könnte der Psychologismus nicht einmal eine  Theorie  der Evidenz aufzustellen versuchen, denn damit wäre schon die Theorie, d. h. aber die systematisch logische Erkenntnis über das bloße Evidenz gefühl  gesetzt, das erst durch die Theorie seine Rechtfertigung fände. Das psychische Erleben der Wahrheit ist nicht gleichbedeutend mit der logischen Rechtfertigung der Wahrheit. Und wenn uns etwa ein Gefühl die Versicherung der richtigen  Anwendung  irgendeiner Norm gibt, so ist darin noch nicht die logische Gültigkeit des Gesetzes begründet. Das Gefühl kann richtig oder falsch sein, und es wird richtig oder falsch erst durch die logische Beurteilung.

Nun wird der Psychologist zwar meist zugeben, daß man das Evidenzgefühl irgendwie erkenntnismäßig rechtfertigen könne, aber er wird diese Rechtfertigung als bloß akzessorisch [Zugabe - wp] betrachten. Er wird etwa sagen, diese Rechtfertigung könne niemals die Wahrheit als solche konstituieren, sondern höchstens  Kriterien  der Wahrheit aufweisen. Doch damit verkehrt er den Sinn des Begriffs der Wahrheit. Aber auch wenn man diese Bestimmung annähme, so könnte die fruchtbare Bedeutung der Wahrheit allein in ihrer Verifizierbarkeit durch Kriterien beruhen, das Wahrheits gefühl  als solches, für sich genommen, wäre ein bloßes psychisches Erlebnis, die Wahrheit als solche etwas rein Psychisches oder Metaphysisches, und die Bedeutung ihrer gefühlsmäßigen Äußerung könnte höchstens darauf beruhen, daß sie vielleicht den Anstoß lieferte für das erkenntnismäßige Erfassen durch Kriterien. Im Sinne der Erkenntnis ist das Gefühl etwas Leeres und kann die Wahrheit allein logische, systematische Wahrheit sein, das psychische Erlebnis aber ist ein bloßes Fürwahrhalten, das selbst erst durch die Normen der Wahrheit als wahr oder falsch festgestellt wird. Gerade das Evidenz gefühl  ist also für die Erkenntnisbedeutung der Wahrheit akzessorisch, und es ist ein falsches Vorurteil des Psychologismus, wenn er hierin die Wahrheit begründet sein läßt.

In den HUSSERLschen Darlegungen liegen in der Tat mancherlei Beweisführungen, welche geeignet sind, die Unzulänglichkeit des Psychologismus aufzudecken, sofern er Logik durch Psychologie ersetzen will und logische Wahrheiten als bloß psychologische Tatsachen für begründet hält. Aber die HUSSERLschen Argumente bedürfen allerdings, wie ich das gezeigt habe, wesentlicher Modifizierungen.

HUSSERL betont scharf den Unterschied zwischen Psychologie und Logik, und seine Argumentationen richten sich darauf, die Unabhängigkeit der Logik von der Psychologie zu erweisen. Darum will er zeigen, daß der Psychologismus durch seine Überschätzung der Psychologie jede echte Logik und damit jede echte logische Erkenntnis überhaupt unmöglich macht, und in diesem Sinn charakterisiert er den Psychologismus als skeptischen Relativismus. Für Abarten des Psychologismus sieht er den Biologismus und den Pragmatismus an, denn auch sie verkennen den Eigenwert des Logischen und machen die Wahrheit vom bloß naturhaft Daseienden abhängig. Die Kritik des Psychologismus gilt daher auch für sie. Aber HUSSERLs Erörterungen können ihrer Tendenz gemäß nicht alle Seiten des Psychologismus ans Licht stellen und keine allseitige Kritik darstellen.

Vor allem ist durch sie noch keineswegs jede Beziehung der Psychologie zur Logik und Erkenntnistheorie unmöglich gemacht, es ist nur gezeigt, daß eine logische Begründung keine bloß psychologische Aufweisung sein kann und daß also die Psychologie fälschlich als die Grundlage der Logik gilt. Aber wenn die Psychologie auch darauf verzichten muß, eine logische Begründung darzustellen, so könnte doch die psychologische Aufklärung von Beziehungen der seelischen Vorgänge auch für die Erkenntnis und die Formulierung logischer Begriffe und logischer Gesetze irgenwie nützlich sein. Es könnte also doch ein gewisses Verhältnis der Psychologie zur Logik und Erkenntnistheorie bestehen, ein engeres jedenfalls als etwa zwischen der Logik und der Chemie oder Astronomie.

HUSSERL allerdings setzt an die Stelle der Psychologie hier eine neue Wissenschaft, die Phänomenologie, aber die Berechtigung und die Tragweite dieser nach HUSSERLs Forderung von der Psychologie völlig unabhängigen Wissenschaft ist, auch nachdem sich HUSSERL im "Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung" ausführlicher darüber geäußert hat, noch nicht hinlänglich entschieden, und eine Kritik würde hier zu weit führen. HUSSERLs Vorgänger BOLZANO hatte in seiner Wissenschaftslehre die Psychologie als grundlegend angesehen (20), HUSSERL selbst war, wie er zugesteht, in seinen "Logischen Untersuchungen" noch von vorausgesetzten psychologischen Anschauungen beeinflußt, jedoch ist er immer mehr bemüht, alle psychologischen Spuren zu tilgen. Aber in diesem Bestreben wird er jedenfalls der Psychologie überhaupt nicht ganz gerecht, er schätzt auch im besonderen die experimentelle Psychologie als Wissenschaft zu niedrig ein, wenn er sie in einem Aufsatz im  Logos  mit der Sozialstatistik auf eine Stufe stellt. (21)

In diesem  Logos -Aufsatz beschäftigt sich HUSSERL besonders mit dem  Psychologismus in der Erkenntnistheorie.  Er scheidet ja die reine Logik als  Mathesis universalis  von der Erkenntnistheorie ab. Jede naturwissenschaftliche und psychologistische Erkenntnistheorie läuft seiner Ansicht nach auf einen skeptischen Widersinn hinaus. Die Psychologie setzt die  Existenz  des seelischen Bewußtseins und damit der menschlichen Erkenntnis schon voraus, sie gerät also in einen Zirkel, wenn sie meint, über ihre eigenen Voraussetzungen hinaus die Gültigkeit der Erkenntnis überhaupt begründen zu können. Der Psychologismus unterscheidet nach HUSSERL nicht zwischen reinem und empirischem Bewußtsein, sondern er "naturalisiert" das Bewußtsein, nur dadurch gewinnt er eine scheinbare Lösung der Probleme, aber eine Analyse des Bewußtseins selbst, die doch auch Aufgabe einer Erkenntnistheorie wäre, vermag er nicht zu liefern.

Ich glaube, es ist nicht nötig, hier den Begriff des reinen Bewußtseins heranzuziehen, es genügt hervorzuheben, daß die Psychologie als Erfahrungswissenschaft in der Existenz der geistigen und körperlichen Welt begründet ist, daß aber Logik und Erkenntnistheorie nicht in dieser Weise ihre begründende Rechtfertigung durch die existierende Wirklichkeit erlangen. Nimmt man den Begriff eines reinen Bewußtseins in der Art HUSSERLs an, so liegt die Gefahr nahe, daß man damit die logische  Geltung  doch in einem  Sein  begründet sein läßt, während gerade der Geltungscharakter die Eigentümlichkeit des Logischen gegenüber den Psychologischen ausmacht. Man gerät mit dem Begriff des reinen Bewußtseins leicht ins Metaphysische und kommt so, wenn nicht zu einem Psychologismus, so doch zu einem Metaphysizismus.

HUSSERL ist zweifellos der Gefahr einer Metaphysizierung der Logik nicht ganz entronnen, und hierin zeigt sich eine Schwäche seines eigenen Standpunkts. Wen er den Psychologismus mit Recht bekämpft, so trifft er doch nicht mit gleicher Schärfe die Vertreter der  normativen Logik,  obwohl auch seine Kritik ihrer Theorien in manchen Punkten berechtigt ist. Die Annahme idealer Wesenheiten kann zumindest terminologisch bedenklich erscheinen, weil damit die Geltung nicht richtig in Gegensatz zu jedem realen oder idealen Sein gesetzt wird. In den Begriff der Norm kann natürlich auch leicht der Bezug auf eine praktische Realisierung in der Wirklichkeit fälschlich hineingetragen und damit die Eigenart des Logischen getrübt werden. Darum fallen auch die Theorien einer normativen Logik öfters psychologistischen oder metaphysischen Vorurteilen anheim.

HUSSERLs eigenen Standpunkt, wie er sich neuerdings immer mehr herausbildet, könnte man etwa als einen rationalen Intuitionismus bezeichnen. Dieser paradoxe Begriff ist durchaus nicht so absurd, wie es den Anschein haben könnte. Vielmehr ist es gar nicht ausgemacht, weshalb die Intuition nur gefühlsmäßig sein müßte. So kann man wohl die Möglichkeit einer "Wesensschau" zugeben, ja in ihr ein wichtiges Agens in der Entwicklung der Erkenntnis erblicken. Aber damit ist noch nicht das Bestehen idealer Wesenheiten, Möglichkeiten, Wahrheiten ansich usw. im Sinne HUSSERL gegeben. Die Reinigung des Logischen vom Metaphysischen ist hier nicht ganz durchgeführt. Und damit hängt es zusammen, daß gelegentlich psychologistische Spuren bei HUSSERL zutage treten.

Das zeigt sich besonders bei der HUSSERLschen Formulierung des Begriffs der  Evidenz.  HUSSERL hat den psychologistischen Evidenzbegriff scharf abgelehnt, aber er läßt die grundlegende Bedeutung der Evidenz in anderer Form doch bestehen. Nun gibt es zweifellos verschiedene Arten der Evidenz: man kann wie WUNDT neben der anschaulichen oder gefühlsmäßigen eine begriffliche Evidenz annehmen, deren Grundlage in der analytischen Begriffsdefinition liegt (22). Aber es ist fraglich, ob die Evidenz überhaupt ein "Fundemantalbegriff der Erkenntnistheorie" ist, (23) wie das WUNDT und auch HUSSERL meinen. HUSSERL sucht zwar jede psychologische Färbung des Evidenzbegriffs zu tilgen, aber er entgeht dadurch nicht den Schwierigkeiten, die dem Begriff der Evidenz logisch genommen überhaupt anhaften. Es fragt sich, was mit einer reinen Evidenz als der Einsicht in einen Wesensverhalt für die Logik und Erkenntnistheorie gewonnen ist. Die Frage, ob und inwiefern es auch eine falsche Evidenz geben könne und wie diese sich von der richtigen unterscheide, hat HUSSERL noch nicht gelöst. Die Verwechslung des Richtigen und Falschen, wie sie sich im Irrtum kundgibt, scheint doch darauf hinzudeuten, daß das Richtige nicht ohne weiteres mit einem untrüglichen Index ausgestattet ist. Läge die Wahrheit in der Evidenz begründet, dann müßte ihr Erfassen im logischen Sinn ein mystischer Akt sein, der unmittelbare Gewißheit verbürgte, alles verstandesmäßige Erkennen aber wäre ein bloßer, eigentlich unnötiger Umweg, der sein Ziel niemals ganz erreichte. Ein System der Erkenntnis wäre im Grunde zwecklos, denn die unmittelbare Evidenz lehrte viel besser die Wahrheit. Damit gelangt man zu einem Skeptizismus.

Will man diese Konsequenz nicht ziehen, dann kann man der Evidenz nur insofern Bedeutung beilegen, als sie  Erkenntniswert  besitzt (24), d. h. als maßgebend erscheint nicht das irgendwie geartete Evidenzerlebnis, sondern die Stellung des Begriffs im System der Erkenntnis. Erst darin offenbart sich der logische Sinn der Wahrheit, während die Evidenz etwas Akzessorisches ist, das wohl für das Wahrheitserlebnis psychologisch oder phänomenologisch genommen Bedeutung hat, aber nicht für die logische Geltung der Wahrheit. Nur dann, wenn in der systematischen Erkenntnis die Wahrheit liegt, kann es exakte und allgemeingültige Erkenntnis geben. HUSSERL scheidet nicht streng genug zwischen Wahrheit und Wahrheitserlebnis. Indem er die psychologische subjektive Evidenz abweist, konstruiert er ein reines Wahrheits erlebnis,  das mit objektiver Evidenz versehen ist. Aber die Logik und Erkenntnistheorie fragt gar nicht nach dem Erlebnis, sondern nach der Geltung. Es ist also doch noch ein wenn auch umgeformter Rest psychologistischer Voraussetzungen, der hier bei HUSSERL hervortritt.

So ist HUSSERLs Kritik des Psychologismus in vielen Punkten zwar zutreffend, aber es ist zugleich eine Kritik der eigenen Lehre HUSSERLs nötig.
LITERATUR Willy Moog - Logik, Psychologie und Psychologismus [Wissenschaftssystematische Untersuchungen] Halle a. d. Saale, 1919
    Anmerkungen
    1) Atti del V. congresso internazionale di psicologia, Roma 1906, Seite 322
    2) KANT, Werke (Akademie-Ausgabe), Bd. III, Seite 75f, Bd. IV, Seite 48f
    3) Kants Logik (Neuausgabe von KINKEL, Philosophische Bibliothek, Bd. 43), Seite 15
    4) BENNO ERDMANN, Reflexionen Kants II, Leipzig 1885, Seite 130, Nr. 421: Sie ist nur ein Kanon der (zur Kritik dient) Beurteilung, nicht ein Werkzeug der Erfindung. Sie lehrt nicht die Erkenntnis mit dem Objekt, sondern mit den allgemeinen Gesetzen des Denkens überhaupt einstimmig zu machen, nur daß der Verstand im Denken mit sich selbst und seinen allgemeinen Regeln zusammenstimme. Sie untersucht nicht, wie der Verstand denkt (und was geschieht), sondern lehrt, was geschehen soll, d. i. wie er denken soll. Jenes tut die Psychologie oder Anthropologie, und ihre Bemerkungen sind zufällig, dieses ist notwendig und a priori."
    5) ERDMANN, ebenda, Nr. 421: "Logik: Sie ist die Propädeutik aller Wissenschaften und Kritik des gesunden Verstandes. Sie ist aber nicht auf empirischen, psychologischen Prinzipien gegründet, sonst könnte sie nicht notwendige Regeln für jeden Verstand enthalten. Sie bedarf keiner Untersuchung des Ursprungs der Begriffe; sie redet von Begriffen überhaupt, nicht wodurch sie in uns erzeugt werden, sondern was sie sind; die empirische Psychologie liegt ihr nicht zum Grunde."
    6) EDMUND HUSSERL, Philosophie als strenge Wissenschaft, Logos, Bd. 1, Seite 298
    7) HUSSERL, Logische Untersuchungen, Bd. 1, Seite 61
    8) HUSSERL. Logischen Untersuchungen, Bd. 1, Seite 62
    9) BRUNO BAUCH, Über den Begriff des Naturgesetzes, Kant-Studien, Bd. 19, Berlin 1914, Seite 303f
    10) KARL HEIM, Psychologismus oder Antipsychologismus, Berlin 1902, Seite 25
    11) HUSSERL, Logische Untersuchungen, Bd. 1, Seite 69
    12) MILL, Logik II, Kap. 7, § 4.
    13) HUSSERL, Logische Untersuchungen, Bd. 1, Seite 81
    14) EDMUND HUSSERL, Logische Untersuchungen, Bd. 1, Seite 120
    15) EDMUND HUSSERL, Logische Untersuchungen, Bd. 1, Seite 154
    16) EDMUND HUSSERL, Logische Untersuchungen, Bd. 1, Seite 167
    17) EDMUND HUSSERL, Logische Untersuchungen, Bd. 1, Seite 180
    18) EDMUND HUSSERL, Logische Untersuchungen, Bd. 1, Seite 187
    19) EDMUND HUSSERL, Logische Untersuchungen, Bd. 1, Seite 190
    20) BERNARD BOLZANO, Wissenschaftslehre I, Sulzbach 1837, Seite 52f, § 13. Ob die Logik eine gültige Wissenschaft sei?
    21) EDMUND HUSSERL, Philosophie als strenge Wissenschaft,  Logos,  Bd. 1, Tübingen 1910/11, Seite 303
    22) WILHELM WUNDT, Psychologismus und Logizismus, Kleine Schriften I, 1910, Seite 628
    23) WUNDT, Psychologismus, a. a. O. Seite 622
    24) Vgl. THEODOR ELSENHANS, Kantstudien XX, Berlin 1915, Seite 259