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JULIUS BAHNSEN
Wille und Motiv
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"Auf anderem Gebiet begegnen wir geradezu einem Doppelgebrauch des Wortes  Motiv.  Wenn wir nämlich Liebe, Haß, Hoffnung, Furcht neben Ruhm, Erwerb, Wohlsein, Wahrheit als  Motive  nennen hören, so fällt uns nicht bloß die alte Unterscheidung zwischen Beweggrund und Triebfeder wieder ein, sondern wir werden uns auch unschwer darüber klar, daß hier eine Vermischung des subjektiven Faktors der Motivation mit dem objektiven vorliegt oder die Verwechslung einer  qualitas occulta  des Willens mit einer Vorstellung."

Man würde aber schwerlich einen derartigen Eindruck wie von einem unvermittelten dualistischen Parallelismus bekommen, wenn es gelungen wäre, die anfängliche Auseinandersetzung von Wille und Vorstellung zuletzt wieder zu einem wahrhaften Ineinsgehen beider zurückführen - jetzt wird man das störende Bild einer harmonia prästäbilita [vorherbestimmte Harmonie - wp] nicht mehr los, nachdem einmal der Verfasser selber die Erinnerung daran provoziert hat.

Wenn dagegen dem Willen sein endogener [aus inneren Ursachen - wp] Inhalt als ein unlösbar immanenter von Anbeginn belassen bleibt, so gestaltet sich das Weltbild sofort reicher, ausgiebiger; dasselbe liegt dann vor uns wie ein Ackerfeld, von unzähligen lebenskräftigen Keimen befruchtet. Eine solche Mannigfaltigkeit (varietas) kann jedoch nur das Individuelle in sich bergen. -

Allein es fragt sich ja eben, ob nicht all diese Buntheit eitel Phantasmagorie [Trugbild - wp] des individualisierenden oder gar individuierenden Instinkts sei - und diese Frage ist es ja eben, zu deren Beantwortung verschiedene Antriebe drängen. Den unzureichenden Bescheid darauf hat man mir selber als einen Verlust angerechnet- und die Rezension E. SOMMERFELDTs (4) verlangt ein unumwundenes Redestehen über der Verhältnis der Willens richtungen  zum Willens inhalt  und dessen Willens kern,  zur Willens substanz.  Darum muß es mir eine zweifach willkommene Gelegenheit sein, in der Abwehr zweier von so verschiedenen Seiten eindringender Attacken den Standpunkt der Charakterologie zu wahren, weil alles, was sie zunächst als ein "Gegebenes" hingenommen hatte, kritisch bestritten wurde zugunsten einer bloßen Physik des Willens durch Rückführung auf das simple Schema der Statik, womit mir nichts Besseres geleistet scheint, als was ein Wiederaufwärmen der HERBARTschen Theorie von der Selbstbehauptung der einfachen Realen gegen Störungen zur Not auch leisten könnte.

Alles was bisher für Unterscheidungsmerkmale der Individualwillen gegolten hat, sucht von HARTMANN zu Akzidenzien [Zubehör - wp], buchstäblich zu etwas bloß Hinzukommendem oder Begleitendem herabzusetzen, indem er die nebenherlaufenden körperlichen Empfindungen und psychischen Gefühle zu den einzigen Kriterien verschiedener Strebungen und die mehr oder weniger weit ins Bewußtsein vordringenden Vorstellungen zum einzigen Inhalt des Wollens erhebt, diesem selber damit im Grunde die einzige Eigenschaft der (indifferenten) Eigenschaftslosigkeit beilegend.

All diesen Verkünstelungen setze ich das Eine entgegen: der Wille hat an sich selber seinen eigenen Inhalt, hat, wie das Volk sagt, seinen eigenen Kopf, der sich nichts erst einreden, der sich überhaupt nicht soufflieren läßt; (denn daß mit dem Bewußtsein für das Individuum die verhängnisvolle Möglichkeit eintrat, sich über den Inhalt des eigenen Willens zu täuschen und demzufolge zu tun, was man  nicht  will: diese Tragik im Verhältnis zwischen Wille und Intellekt beweist ja nur, daß lediglich dem bei sich selber und  seinem  Inhalt verharrenden Willen die Denkbarkeit eines vollen, zwiespaltlosen Vergnügens wäre aufbehalten geblieben.) Das Problem ist damit nicht abgetan, daß man all jene Unterschiede aus dem Wesen des Willens hinausweist, um sie zu retablieren [wiederherstellen - wp] in der Welt der Vorstellungen. Vielmehr ist das Wollen selber ein anderes, welches Wollust will, als das, welches Wohltun will.  Beschreiben  freilich läßt sich der Unterschied nur nach dem dabei Gefühlten, und seine sämtlichen "Benennungen" bezieht ja ohnehin der Wille selbstverständlich aus dem Sprachmagazin der bewußten Vorstellungen. - Die Vorstellung selber (qua Vorgestelltes, nicht qua vorstellender Tätigkeit gedacht, die uns hier nichts angeht) hat ja dem Inhalt des Wollens gegenüber nur die Bedeutung einer Benennung, weil selber benennbar und benennend, macht aber mitnichten in ihrer Eigenschaft als Vorstellbares das Wesen dieses Inhalts selber aus. Aber von aller Möglichkeit des Beschreibens oder Benennens völlig abgesehen, zeigt sich ja die vorhandene Wesensverschiedenheit darin, daß der Eine das Eine will, und vielleicht ausschließlich dieses, der Andere das Andere - oder der Nämliche das Eine jetzt und das Andere hernach, das Eine in erster, das Andere in zweiter Linie, das Eine unbedingt, das Andere nur unter gewissen Voraussetzungen. Und solche Unterschiede nach Sonderung der Hier und Dort oder nach der Reihenfolge, sei es der Zeit oder Ranges, sind so gering nicht zu achten oder gar als bloß phänomenale ohne weiteres zu vernachlässigen, d. h. zu ignorieren.

Vollends ist es eine leere Homonymie zu sagen: der Wille will immer, überall und unter allen Umständen, Lust oder Glückseligkeit - denn, damit das wahr sei, muß man zuvor eine Tautologie daraus gemacht haben, indem man Lust und Glückseligkeit für identisch erklärt mit Befriedigung des Willens überhaupt. Aber nicht darauf kommt es an,  daß  dem Willen Befriedigung zuteil wird, sondern darauf,  woran  und  wie  ihm Genüge geschieht: ob am Leben oder am Sterben, an Weisheit oder am Törichtsten - ob momentan oder nachhaltig, ausnahmsweise unter besonderen Voraussetzungen gerade an diesem und jenem oder sooft es eintritt, ob scheinbar, vermöge einer Selbsttäuschung, oder realiter, vermöge seines selbsteigenen Wesens. Nicht bloß in praktisch-ethischem, auch in rein theoretisch-charakterologischem Betracht ist es dann doch keineswegs einerlei,  was  begehrt und  was  verabscheut wird: ob der Tod oder die Sünde, das Böse oder die Strafe, die Wahrheit oder die Lüge, eigener oder fremder Schmerz.

Denn was dem Einen vollständigste Befriedigung gewährt, bleibt ja für einen Anderen völlig reizlos, und was den Einen durchaus gleichgültig läßt, versetzt ja den Anderen in die allergrößte Wonne. Und umgekehrt: es liegt nicht bloß am Wissen, d. h. am Bewußtsein, wenn der Stumpfsinnige "nichts weiß" von den Qualen verlorener Ehre, der Herzlose nichts empfindet vom unendlichen Weh der Nebenmenschen - sondern es ist in ihm das Wollen gar nicht vorhanden, welches daran das Negativ seiner Befriedigung hat, und damit fehlen die Voraussetzungen eines solchen Bewußtseins. Was aber von HARTMANN von Anderen aufgenommen hat: die Lehre von der Bewußtseinsschwelle, das berührt diese Kontroverse gar nicht, denn es bezieht sich nur auf die quantitative Differenz der Intensitätsgrade, nicht auf die qualitative zwischen homogenen und heteronomen Willensinhalt. Auch wird ein Jünger SCHOPENHAUERs am wenigsten bestreiten, daß wir den eigenen Willensinhalt niemals  a priori  kennen, sondern nur  a posteriori  aus der Erfahrung kennen lernen und deshalb zeitlebens mehr oder weniger krassen Irrtümern über unser wahres Wollen ausgesetzt bleiben und oft genug und allzuleicht allerlei Velleitäten [Willensregungen - wp] und unentschiedenen Gelüsten zum Raub werden: aber das ist es ja eben, was ich hier leugne: daß es sich bloß um einen bewußten Lebensinhalt handle - vielmehr fragt es sich nach dem allem Bewußtsein voraufgehenden Ansich, nach der reinen  Essentia  des Willens. Diese ist es, die sich dem Bewußtsein nur mittelbar offenbart, nämlich auf den Umwegen der Erfahrung; - sie ist jenes  X,  das, in mancherlei Spiegelungen und Wiederspiegelungen reflektiert, die absolute Eigentümlichkeit der nur sich selbst gleichen Individualitäten ausmacht: den Einen lachen heißt, wo der Zweite weint und der Dritte in der Realdialektik des Humors beides auf einmal tut. An ihr liegt es, auf ihr beruth es, ob Einer den Verlust eines Herzensfreundes oder die Einbuße einer Million schmerzlicher empfindet, ob gekränkter Stolz oder das Mitleid mit der Not der Seinen ihm die Kugel durch den Schädel, das Gift durch die Kehle treibt - denn Trauer und Trauer ist zweierlei und jenem kaum ein Gegenstand leichten Verdrusses, was dieser als unerträglich schweren Kummer mit sich herumschleppt.

Man wende auch nicht ein, die Möglichkeit eines Abwägens und Erwägens schließe schon die vergleichende Abschätzung zweier Willensobjekte gegeneinander in sich, ja, der Begriff des Wertes und Preises überhaupt, wie insbesondere des Geldes, als eines Wertrepräsentanten von unendlicher Vielseitigkeit, bezeuge schon die Kommensurabilität [Übereinstimmbarkeit - wp] ganz ungleichartiger Dinge, und die endlose Mannigfaltigkeit des Verhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung, wie sie täglich zueinander in Gegenrechnung gestellt werden, bestätige von HARTMANNs Behauptung. Denn die andere Seite der Betrachtung lehrt gerade, daß es zu irgendeinem Austausch gar nicht kommen würde, wenn nicht die Bedürfnisse der verschiedenen Individuen grundverschieden wären, und nicht etwa bloß nach der Zeit, daß der Nämliche heute Arbeit und morgen Lohn braucht, sondern dauernd und für alle Zeit: der Eine hat beständig ein Bedürfnis - z. B. nach Freundschaft - das dem Andern gar nicht kommt, welcher dafür vielleicht der Gaumengenüsse nicht entbehren kann. Also gerade an der Tatsache jener Äquivalenz zeigt es sich, daß dem nämlichen Willen verschiedene Befriedigungsweisen im Grunde  nicht  gleichwertig sind, sondern nur etwa so sich aneinander messen lassen, wie ein Quecksilber- an einem Weingeistthermometer; denn es fragt sich nicht absolut, welche Lust oder Unlust ansich die größere oder kleiner sei, sondern, nach welcherlei Lust dieser bestimmte gegebene Individualwille mit größerer Entschiedenheit strebe, was ihm jeweils "das Höchste" sei, oder welcherlei Unlust er mit der ausgesprochensten Energie verabscheue.

Hierschon läßt es sich nicht vermeiden, einen Seitenblick auf die Unabänderlichkeit und Wandelbarkeit des Willens zu werfen; denn die Definition des Willenskerns selber wird des Moments der Beständigkeit nicht entraten können. Eben das was in allem Wechsel der Zeit, der Lebensalter und Situationen sich gleichbleibt, wird als Willenskern anzusprechen sein. (5) Ob es dem Einen mehr um Wahrheit oder Ehre, um Weiber oder Geld, um sich oder Andere zu tun sei, wird früh genug erkennbar werden, sobald die Bedingungen der respektiven Entwicklungsstufen des Bewußtseins erfüllt sind. Das Wandelbare steht niemals im Zentrum des Wollens, ob es sich zwar zu Zeiten, in Gestalt eines Affekts oder physiologisch-pathologisch bedingten Momentanbegehrens oder sonst irgendwie, weit genug in den Vordergrund drängen mag; und umgekehrt: was uns in Form eines unvertilgbaren Trachtens und allen Hindernissen zum Trotz durchs ganze Leben begleitet, ist eben dadurch beglaubigt als eine Äußerung des innersten Kernwesens unserer Individualität.

Insofern ist es allerdings nur konsequent, daß von HARTMANN das Modifikationsproblem so ganz auf die leichte Achsel nimmt und die Imputabilitätsfrage [Zurechnungsfähigkeit - wp], soweit mir erinnerlich, nirgends auch nur streift. Danach müßte man freilich alle um diese Dinge aufgewendete Anstrengung für "verlorene Liebesmüh" eines bloßen "Liebhabers" von Gespinsten aus  lana caprina  [Ziegenwolle = nichts - wp] halten; aber wer an derlei "Dilettantismus" Zeit und Kraft gesetzt hat, mag sich doch einstweilen noch damit trösten, daß die Menschheit auf solche Forschungen zurückkommen wird, solange ihr  Ethik,  Pädagogik und Kriminalität noch nicht zu Tand aus der Spielzeugbude des geistigen Luxus geworden sind.

Wer das Wesentliche aller Charaktermerkmale in die Amplitude-Differenzen zwischen gewissen Gehirnschwingungen verlegt, schafft sich freilich für den Augenblick eine Reihe unbequemer Diskussionen vom Hals, wird sich aber hernach doch genötigt sehen, die viel zu große Weite, welche er damit der Umwandlungsfähigkeit gelassen, wieder auf die Enge eines beinahe nur punktuellen Umfangs einzuschließen, indem er sich darauf besinnt, daß letzten Endes auch jene Gehirnschwingungen selber in der Reihe der Äußerungen des Individualcharakters stehen. (6)

Von hieraus baut sich eine weitere Konsequenzenfolge ganz von selber auf: sind die Willensstrebungen, die positiven und negativen Begehrungen, einander nicht schlechthin homogen, liegen sie nicht als Endpunkte einer und derselben geraden Linie innerhalb dieser, sondern oft als Distanzpunkte zwischen weit voneinander divergierenden und vielfach gebrochenen Linien einander gegenüber, sind sie, mit anderen Worten, demnach in ihrem Ansich schon verschiedenartig, lange bevor begleitende Gefühle und nebenherlaufende Vorstellungen dieses ihr selbsteigenes unmittelbares Verschiedensein zu einem vielfach vermittelten Objekt des Bewußtseins machen: dann ist es auch logisch unzulässig, immer und überall, unbesehen und unterscheidungslos, wie eine gleichartige Größe an der anderen, Lust an Lust zu messen oder Lust gegen Unlust in Kompensation zu stellen, ohne zuvor auch nur die Rechnungsprobe zu machen, ob sie etwa als bloß ungleichwertige Elemente sich nach allgemeinen Reduktionsregeln unter einen gemeinsamen Generalnenner bringen lassen, oder vielmehr als heterogene Dinge so inkommensurabel [unvergleichbar - wp] miteinander bleiben, wie etwa Ellen- und Pfundmaße; denn es hat ja, wie wir gesehen haben, die Berufung auf die Tauschverhältnisse in "Handel und Wandel", (wo allerdings ein Pfund Pflaumen gegen eine Elle Kattun in Rechnung gestellt werden kann), ihre Voraussetzung eben an der zwischen zwei Willen bestehenden Verschiedenheit, indem der Eine will, was der Andere nicht will, mag auch dieses Wollen, soweit es sich dabei z. B. um die schlechthin unentbehrlichen Lebensbedürfnisse handelt, keineswegs immer ein ganz freiwilliges, sondern physisch bedingt und vermittelt sein. -

Ist nun aber dem also, dann hatte von HARTMANN so wenig ein Recht, es SCHOPENHAUER als einen Verstoß gegen die Logik vorzurücken, wenn er Lust und Unlust - oder vielmehr "Schmerz", da dies in seinen Werken der stehende Ausdruck ist, - nicht bloß als konträre, sondern, je nach ihrer eigentümlichen Natur, auch als kontradiktorische Gegensätze behandelte, daß vielmehr den Kritiker selber der Vorwurf trifft, wider die  lex specificationis  gesündigt zu haben.

Wie "erbarmungslos" eine bloße Privation (7) ausdrückt, "unbarmherzig" aber einen positiven Tadel in sich schließt, weil es, fast dem "grausam" gleich, nicht bloß auf ein Unterlassen, sondern auf ein Tun geht: so unterscheidet sich "Unlust", wo es als ein philosophischer Terminus von positiven Inhalt und nicht in seiner ursprünglichen rein privativen Bedeutung gebraucht wird, höchstens noch graduell von "Schmerz" entfernt, von der bloßen Abwesenheit der Lust; und ebenso ist es von der entgegengesetzten Richtung her eine ungenaue Verallgemeinerung, den rein privativen Begriff der "Schmerzlosigkeit", diese einfache Bezeichnung der Nullpunkt, auf die positive Seite einer wirklichen Willensbefriedigung zu verlegen, wie von HARTMANN zu tun versucht, wo er dem All-Einen Unbewußten zumutet, mit ihr, als dem erreichbaren Ziel der "Glückseligkeit", am Ende des Weltprozesses sich zufrieden zu geben. Dieser wie jeder andere Resignationsakt schließt doch in seiner Verzichtsleistung auf Besseres das Geständnis in sich, das eigentlich Gewollte  nicht  erreicht,  nicht  durchgesetzt zu haben - also nicht  seinen  Inhalt sähe der bei der Selbstverneinung angelangte Wille verwirklicht, sondern einen ihm von außen suppeditierten [unterstützten - wp] und angeratenen, von der Klugheit, als einer ihm, als dem "absolut Dummen", von Haus aus total Fremden, ihm propagierten Inhalt; kurz: dann besteht zwischen der Lust des Angestrebten und der Unlust des Erreichten nicht bloß ein kontrastierender Gegensatz, sondern ein direkter, zugleich logischer und realer, Widerspruch von starker Ausschließungskraft.

Schon hieraus erhellt sich, daß nicht ein ursprünglich leerer Wille am "Logischen" seine Erfüllung erst "an sich reißt", sondern daß die nachträgliche Beleuchtung seines Inhalts durch die Vernunft erst die Vernunftwidrigkeit (8) seines Inhalts dartut und es ratsam macht, diesen Inhalt mit seinem reinen Gegenteil, mit der Selbstnegation, zu vertauschen; - also muß der Wille bereits  vor  aller Vernunft und Logik vermöge seines eigenen Wesens einen Inhalt in sich gehabt haben, und die Streitfrage formuliert sich nunmehr nochmals dahin, ob dieser Inhalt noch als "Vorstellung" dürfe bezeichnet werden.

Aber wir ziehen zunächst noch die Fassung vor: gibt es einen Willen ohne Motiv? d. h. ist ein Wollen ohne Motiv denkbar oder das Motiv bereits mitbefaßt im Begriff des Wollens selber, so daß ein "leeres Wollen" eine unvollziehbare Vorstellung ist, die hohlste Gedankennull, als bloßer  Raum  für einen Willensinhalt oder für ein erfülltes Wollen? - um so zuvörderst noch eine Verständigung herbeizuführen über den einfachsten Motivbegriff selber.

Dabei, denke ich, kann es nicht schaden, erst einmal aristotelisch zu Werke zu gehen und sich auf die einschlagenden Aporien zu besinnen.

Vorneweg abzuschneiden ist hier ein Mißverständnis, welches sich erheben könnte aus der oft zugunsten vermeintlicher indeterministischer Freiheit vernommenen Einrede (9): die leere Selbstbehauptung des Eigenwillens in der anderweitig nicht motivierten Caprice [Laune - wp], wo diese Selbstbehauptung selber sich zum Motiv werde, bezeuge sattsam ein ganz aus sich selber motiviertes Wollen und reiche hin zum Beweis für die Existenz einer in keinerlei Beziehung von außen determinierten, über die bloße Kürung des Wollens, die sogenannte Wahlfreiheit, hinausgreifenden absoluten Grundlosigkeit eines Willens, der somit im vollen Sinn als  causa sui  [aus eigener Ursache - wp] dastehe.

Zunächst nämlich bestätigt ja allerdings die damit angezogene Tatsache nur gerade dasselbige, was hier behauptet wird: daß der Wille seinen Inhalt in sich selber hat. Wenn es aber, angesichts der scheinbar absolut grundlosen Handlungsweise des Eigensinns, für den ersten Augenblick aussieht, als ob der ganze Inhalt in einem solchen Fall einzig und allein im Festhaltenwollen am eigenen Dasein des Wollens - der  volitio  [Willensakt - wp] - selber bestehe: so ergibt doch die genauere Betrachtung, wie aus dergleichen Tatsachen nichts weiter sollte entnommen werden, als das äußerste Maß, bis zu welchem in der Abstraktion ein Willensinhalt sozusagen der Verdünnung fähig ist. Einen materiellen Inhalt - oder wenn man will: einen konkreten Stützpunkt - hat jeder Eigensinn, jede Laune im gegebenen Falle allemal an etwas faktisch Vorliegendem; nur besteht nach rationeller Bemessung zwischen dessen Wert und der zum "Durchsetzen" desselben aufgewendeten Anstrengung ein solches Mißverhältnis, daß der Inhalt als ein verschwindend kleiner erscheint gegenüber dem Quantum rein formaliter sich betätigender Energie, welche zwecks seiner Behauptung aufgeboten wird:  obstinata voluntas obtinere vult, pertinax pertinere.  [Es geht darum, einen festen Willen zu erhalten. - wp] Es kommt aber hinzu, daß es so leicht keinen Eigensinn geben wird, der nicht - in weiterer Perspektive - ein selbständiges Ziel verfolgt: der Eigenwillige will für beharrlich, ausdauernd, grundsatzgefestigt gelten und zeigt sich unbeugsam und unnachgiebig in dem Wahn, sich damit Respekt zu erzwingen oder für die Zukunft lästigem Ansinnen einfürallemal sich entziehen zu können. Letzteres - wobei die Caprice, (wie sie in Wirklichkeit, empirisch, auftritt und nicht wie sie nach den Phantasien einer bloßen Denkbarkeit auftreten könnte), sich selber nur als ein interimistisches [zwischenzeitliches - wp] Wollen sich zu erkennen gibt - wird vorzugsweise an Männern beobachten lassen, während Ersteres, das Mißverhältnis zwischen  contentio  [Anspannung - wp] und  intentio  [Aufmerksamkeit - wp], das Anspannen aller Sehnen in der aderschwellenden  contumacia  [Eigensinn - wp] für ein "Nichts",  quod flocci pendimus  [wegen einer Anerkennung - wp], mehr Kindern und Weibern eignet. - Selbst da noch, wo es den Anschein hat, als wäre in "reiner " Caprice, oder "schlechthin willkürlich", ohne irgendeinen Grund das, woran sich der Eigensinn zeigt, nicht sowohl ergriffen als frei - für diesen einzigen Zweck, die Selbstbehauptung daran zu erproben, - "gesetzt", wird sich mit näherem Zusehen ermitteln lassen, daß dennoch eine fest bestimmte Beziehung besteht zwischen dieser sozusagen materiellen Unterlage des Eigensinns und zwischen dem konkreten Inhalt des individuellen Ichs; gerade so wie auch bei der mehr männlichen als kindischen Form jener falsche Stolz selber, der in seiner Abstraktheit  jedes  Weichen für schimpflich hält, nur als eine besondere Erscheinungsweise eines  egoistischen  Charakterkerns anzusehen ist, welche nicht als "Selbstzweck" an sich selber ihr eigenes Letztes hat, sondern zu "Weiterem" im Verhältnis des Mittels steht. (Zu gegenseitiger Ergänzung des hier und dort Dargelegten möge man heranziehen: Beiträge zur Charakterologie I, Seiten 397 - 418, besonders 409f und die Seiten 355 und 442.)

Auf anderem Gebiet begegnen wir geradezu einem Doppelgebrauch des Wortes "Motiv". Wenn wir nämlich Liebe, Haß, Hoffnung, Furcht neben Ruhm, Erwerb, Wohlsein, Wahrheit als "Motive" nennen hören, so fällt uns nicht bloß die alte Unterscheidung zwischen Beweggrund und Triebfeder (10) wieder ein, sondern wir werden uns auch unschwer darüber klar, daß hier eine Vermischung des subjektiven Faktors der Motivation mit dem objektiven vorliegt oder die Verwechslung einer  qualitas occulta  des Willens mit einer Vorstellung.

Entnehmen wir dem allgemeinen Wesen der Kausalität - als von welcher die Motivation vorderhand für einen spezielleren Fall gelten mag - die Anschauung: die Ursache ist ein Zustand, auf welchen mit Notwendigkeit ein anderer Zustand folgt: so kann Motiv als ein Zustand definiert werden, welcher  qua vorgestellter  einen bestimmten Zustand des Willens zur Folge hat, indem der Zustand nun nicht mehr ein bloß vorgestellter, sondern ein mit dem Streben nach seiner Verwirklichung vorgestellter, d. h. ein gewollter wird. So kann die Vorstellung der Gesundheit als zu bewahrender Motiv zur Einhaltung einer diätetisch geordneten Lebensweise werden, - die Vorstellung der Gesundheit als wiederzugewinnender Motiv, sich eine schmerzhafte Kur oder eine widerliche Mixtur gefallen zu lassen. Aber diese Vorstellungen werden nur da als Motive wirksam, - treten, wie ARISTOTELES sagen würde, nur da aus der Latenz des  exein  [Vorstellung haben - wp] in die Energie des  theorein  [wissenschaftliche Beobachtung - wp] (11) - wo die Gesundheit selber zuvor schon als ein Werthabendes vom Willen angestrebt wird, sei es um ihrer selbst willen als Grundlage eines gehobenen Wohlgefühls, sei es als Bedingung des sonstigen Genießens, der Arbeitens oder Erwerbens. So schiebt sich in der Motivreihe eines hinter das andere, jedes als Mittel für das nächste als Zweck; und nur dasjenige, in welchem wir das äußerste Glied der Reihe, den sogenannten Endzweck, erkennen, berechtigt uns, es für ein vollgültiges Charaktersymptom zu nehmen, sofern seine Wirksamkeit abhängig ist von einer bestimmten  qualitas occulta  des Willens, wie die Reaktion eines chemischen Elements an dessen spezifischer Natur ihre Voraussetzung hat. Nur diejenige Vorstellung, deren Inhalt vom Willen als etwas seinem eigenen Inhalt, also ihm selber, Entsprechendes angeeignet wird - wie man einen Wechsel "akzeptiert", weil man sich  bereits vorher  vermöge bestehender Verbindlichkeiten für seine Zahlung haftbar weiß - nimmt damit die Natur eines Motivs an, auf welches als ein solches der Wille vermöge jener zwischen beiden bestehenden Wesenskorrespondenz reagiert. Darin eben besteht die Oberflächlichkeit und Kurzsichtigkeit der empirischen Charakterkenntnis, (die sich gemeiniglich viel zugute tut auf ihre vermeintliche Menschenkennerei), daß sie voreilige Schlüsse zieht von der Wirksamkeit interimistischer Motive auf das innerste Wesen des Beurteilten. Sie sieht einen nach Ruhm trachten und nennt ihn sofort ruhmsüchtig, ohne zu bedenken, daß ihm vielleicht der Ruhm nur Mittel sein soll zum Erwerb, der Erwerb abermals nur Mittel zum Wohltun - also erst in der uninteressierten Menschenliebe der Kern seines Willens gefunden wäre. Wie so ganz andere können die Endzwecke sein, welche ein anderer auf dem gleichen Weg des Ruhmes verfolgt: ihm soll der erworbene Ruhm nur zur Machterweiterung dienen und diese zur Befriedigung grausamer Despotengelüste; während ein Dritter möglicherweise nichts, gar nichts weiter will als Berühmtwerden, also jenseits des erlangten Ruhmes kein Ziel mehr erstrebt und sich befriedigt in die Grube bettet, wenn er sterbend das Bewußtsein hat, in aller Munde, obschon nicht in aller Herzen, fortzuleben. Bei diesem Dritten allein darf Ruhmsucht der Inbegriff all seines Strebens genannt werden - der metaphysische Kern seines intelligiblen Charakters, soweit derselbe überhaupt erkennbar und einer Benennung zugänglich ist.

Eine ähnliche Erwägung zeigt uns, wie Vorstellungen von, formaliter wie materialiter angesehen, absoluter Identität verschiedenen Willen gegenüber total verschiedene Wirkungsweisen haben können. Die Vorstellung fremden Wehs wird dem indolenten [gleichgültigen - wp] Egoismus höchstens ein Motiv zu gleichgültiger Abkehr, der grausamen Bosheit zum Nachsinnen über Mittel zu ihrer Verwirklichung, der opfermutigen Caritas zum Dransetzen der eigenen individuellen Existenz und alles eigenen Wohlergehens für den Zweck, Unheil von andern abzuwenden oder schon eingetretenes zu beseitigen, beziehungsweise zu mildern. Da ist in der Vorstellung als solcher nichts von einem Unterschied gegeben - verschieden ist wieder nur die Weise, wie verschiedene Individualcharaktere auf diese Vorstellung reagieren, analog den verschiedenen Wirkungen, welche die Wärme auf verschiedene Naturkörper oder auf den nämlichen Körper in verschiedenen Zuständen ausübt. - Das was wir das Zufällige, d. h. das nicht aus dem Wesen des Willens selber mit Notwendigkeit sich Ergebende, daran nennen können, sind nur die von ihm unabhängigen äußeren Umstände, oder die Art und Weise wie, die Form worin, der Stoff oder die Materie woran er sich verwirklicht, also auch das Ob seines Verwirklichtwerdens selber. (12) Das Boshafte ist nicht minder grausam, auch wenn er seinen Grimm verbeißen, der Edelmütige nicht minder liebreich, auch wenn er, von äußeren Hindernissen eingeschnürt, jedem Wohltun entsagen muß. Dieses in aller Moral triviale Gesetz der Bemessung nach der Gesinnung wäre ein widersinniges Statut eines rein willkürlichen Beliebens, wenn es nicht seine Wahrheit hätte an der Natur des Willens selber. Die sittliche Verdammung aller Heuchelei, aller "theatralischen" Hypokrise, alles "charakterlosen" Lumpentums, sie ruht auf dem Verlangen der Übereinstimmung zwischen Tun und verborgenstem Willenswesen. Wie es ein Mißbrauch der Sprache ist, hinter ihr die Gedanken zu verstecken, so des Handelns, wenn sich - nach einem Ausdruck FRAUENSTÄDTs - "der Wille hinter der Tat verbirgt" - Beides geht "wider die Natur."

Demgemäß können wir die Charakteräußerungen aller zufälligen Beigaben - und zu diesen gehört ja, wie wir gesehen haben, die Verwirklichung selber - entkleiden und behalten doch noch einen Willen zurück, der als Potenz alles dasjenige in sich schließt, was nicht minder eine  Essentia existens  ist, auch wo sie für immer verurteilt bleiben sollte, in der Latenz zu verharren. Haß, Liebe sind im Willen angelegt, als Anlagen und Keime vorhanden, auch wo ihm  Gegenstände  fehlen, die er lieben und hassen könne. Mutterliebe schlummert im Weibe längst, ehe es empfängt oder gebiert, wie im Wollüstling sein Speziallaster lange vor der Pubertät, - und der Egoismus ist ein Wollen der Selbstbehauptung, längst ehe er Gelegenheit findet, sich gegen Angriffe von außen zu verteidigen, und ehe die Formen kennen kann, in welchen er sich wird geltend zu machen haben. Als jene "Gelegenheit" sind Gefahren wohl Anlässe,  causae occasionales  [Gelegenheitsursachen - wp], für den Egoismus sich zu äußern, sich zu  betätigen  - und zu einer  Tat  kommt es allerdings überhaupt nicht ohne solche äußere  Bedingungen  - aber ebenso wenig mit ihnen ohne die inneren Bedingungen des Handelns - und nur den Schwankungen eines logisch noch nicht revidierten Sprachgebrauchs, nicht direkt einer verkehrten Anwendung logischer Formen, (die etwa vermöge unrichtiger Subsumtion  jede,  gleichviel ob innere oder äußere,  Bedingung  einer ausgeführten Handlung als solche für das bei dieser wirksame Motiv halten und ausgeben möchte), ist es zuzuschreiben, wenn beim Begriff Motiv so häufig diese inneren Bedingungen mit jenen äußeren durcheinander gemengt werden. - Bedenkliche Folgen zieht diese Ungenauigkeit erst nach sich, wo auf sie der falsche Schluß gebaut wird:
    den Inhalt des Willens bilden seine Motive,
    jedes Motiv ist eine Vorstellung,
    also bilden nur Vorstellungen den Inhalt des Willens
    und ohne Vorstellung ist das Wollen absolut leer, weil inhaltslos.
Dieser Schluß liegt aber nicht bloß dem System von HARTMANNs zugrunde, sondern auch der Hauptangriff TRENDELENBURGs (13) gegen das SCHOPENHAUERsche stützt sich auf ähnliche Prämissen. Wir aber pflichten, kurz gesagt, denen bei, welche bereits in mehrstimmiger Kritik, bei lebhaftester Anerkennung im Übrigen, ihr Urteil dahin abgegeben haben: einen unbewußten Willensinhalt können wir uns denken, ein unbewußtes Vorstellen nicht, denn das bleibt uns in alle Ewigkeit eine simple  contradictio in adjecto  [Widerspruch in sich - wp] (14).

Mit anderen Worten: vom Wege von HARTMANNs scheidet sich der unsere da, wo die Realität der  causa finalis  [Zielursache - wp] uns das verstummende  thaumatein  [Verwunderung - wp] abnötigt, sodaß wir bescheiden stillestehen vor ihrem dunklen Geheimnis, weil dieses uns nicht dadurch heller wird, daß wir es auseinanderzerren zu einem unbewußten Vorstellen neben einem schlechthin vorstellungslosen Willen. In der Einsicht, über das Approximative eines Quasi hinaus doch nicht vordringen zu können, bleiben wir stehen bei dem Satz SCHOPENHAUERs: die  causa finalis  [Zweckursache - wp] wirkt,  wie wenn  sie ein vorgestelltes Motiv wäre.

Wohl finden wir es begreiflich, wenn Einer der verführerischen Lockung nachgeht, mit welcher schon Spuren bei LEIBNIZ ihn versuchen, und nun in solchem Quasi-Motto ein Denken sozusagen in abgestürztem Verfahren, eine  cogitatio compendiaria  [direktes Denken - wp], entdecken möchte - aber ihm folgen auf solchem Weg können wir nicht - und was uns zurückhält, ist nicht nur der warnend und halb drohend erhobene Finger des alten Königsbergers, der uns gemahnen will, wie alle Zweckgedanken der Teleologie in die Dinge nur hineingetragen wurden, sondern wir meinen damit auch nur dem Verbot des noch viel gestrengeren Herrn Identitätssatzes schuldigen Respekt und Gehorsam zu beweisen.

Wenn die Notwendigkeiten des Nichtandersseinkönnens, mit welchen Seins- und Erkenntnisgrund uns zu ihrer Anerkennung zwingen, ihre Gewalt nur zu Lehentragen vom Identitätsgesetz, dann erhebt sich mit unabweisbarer induktorischer Schlußfolge die Frage: ob nicht die beiden noch übrigen Gestalten der Notwendigkeit ihren metaphysischen Rückhalt an eben der nämlichen Identität besitzen sollten? Der monistische Drang selber, welcher uns nach einem einheitlichen Weltprinzip forschen heißt (ohne daß dieses - nach dem engeren Sinn, in welchem von HARTMANN den Begriff "Monismus" nimmt - ein All-Eines zu sein braucht), ist ja ein Ausfluß des selbigen Satzes vom Widerspruch, dessen affirmative Form die metalogische Identität behauptet - und ohne ihn bliebe die Überzeugungskraft induktiver Beweisführung ein schlechthin unerklärbares (freilich auch so noch keineswegs erklärliches, geschweige erklärtes) Faktum. Also auch  causa efficiens  [wirkende Ursache - wp] und Motiv und in der Mitte zwischen beiden die  causa finalis  [Zielursache - wp] entnehmen ihre Kausalität - d. h. nach SCHOPENHAUERs eigener Definition: die Kraft ihres Ursachseins - der mit dieser Kausalität oder Kraft selber identischen  qualitas occulta  des Willens, was doch eben nichts anderes besagen kann als wie: dem innersten intelligiblen Willenskern selber; und ganz so wie in der der  causa finalis  eines bestimmten individuellen Organismus all dessen morphologischen Verhältnisse und physiologischen Funktionen impliziert und präformiert sind: ganz so trägt der Individualcharakter von Anbeginn an alles das in sich, was im Laufe seines Lebens sich in Handlungen expliziert.

Doch hiermit vermeinen wir noch lange nicht, Antwort auf die letzte Frage in der mit dem Motivbegriff auftauchenden Problemen- (oder Aporien-)Reihe geliefert zu haben. Denn wir wenden uns noch erst einmal zurück zu der gewonnenen Einsicht, daß der Willensinhalt  als vorgestellter,  oder, was das nämliche besagt, als Motiv im strengeren Sinne, seine  Verwirklichung  nur findet in einer  "Außenwelt",  mithin  außerhalb seiner selbst,  um daraus die identische Schlußfolgerung zu gewinnen, daß alle  Wirklichkeit  als solche in der Tat eine Zweiheit des Innen und Außen voraussetzt und dem Metaphysiker angesichts dessen, "nur die bange Wahl bleibt" entweder sich an die Aussicht festzuklammern, er werde in jener Zweiheit zuletzt nur die Selbstentzweiung eines Einen, (gleichviel ob All-Einen oder individuell-zerrissenen d. h. ursprünglich vielfachen Einen) wiedererkennen, oder sich nicht länger selber mit den überrichtigen Konsequenzen aus den Prämissen einer transzendentalen Ästhetik zu schikanieren, sondern offenen Visiers wie getrosten Mutes auf die Basis eines Dogmatismus zurückzutreten, auf welchen durch ein Hinterpförtchen sich zu retirieren auf die Länge doch nicht unterbleiben konnte, wofern man nicht überhaupt auf jedes Weiterdenken zu verzichten und in mystischem Quietismus bloß  Om  zu denken willens war. Mit  einem  Wort: wer Willensinhalt und Motiv zu sondern beginnt und der Konsequenzen dieser Sonderung sich bewußt wird, steht bereits mit  einem  Fuß auf dem Boden eines "pluralistischen" Realismus, denn er erkennt an, daß zwischen dem in sich beschlossenen Willen und der Außenwelt eine der Willensverwirklichung wesentliche, somit schlechthin reale Beziehung besteht, und das heißt hinwiederum nichts anderes als: der Wille realisiert sich vermöge seines eigensten und innersten Wesens, also nicht etwa zufällig oder nach der heteronomischen Nötigung eines auf der Bewußtseinsstraße anzustrebenden, aber vom Logischen, nicht vom Willen qua Willen eingeleiteten, (höchstens "in Gang gebrachten") Prozesses der Welterlösung, kurz: mit der spinozistischen Notwendigkeit seiner eigenen Essentia realisiert sich alles Wollen in Individuen und nur in Individuen, als wofür selbstverständlich ebenso gut die einfachst elementaren Atomkraftfäden in der physikalischen, wie der reichst entfaltete Individualcharakter in der ethischen Welt zu gelten haben.

Die weltewige Selbstentzweiung des Wollens ist das, worin und wodurch es sich zur ewigen Selbstverwirklichung sollizitierte [veranlaßte - wp] und damit sich die Möglichkeit aufschloß, auf gewissen Daseinsstufen zu jener Selbstbespiegelung zu gelangen, in welcher der am (fremden) Wollen des Andern reflektierte eigene Willensinhalt  als Motiv auf sich zurückwirkt.  Soweit stimmen wir der tiefsinnigen, wenn auch keineswegs schlechthin neuen Theorie von HARTMANNs von der Genesis des Bewußtseins bei. Allerdings lernt sich der Wille zuerst bloß an seinem Gegensatz und Gegenteil: an der Undurchdringlichkeit des Nicht-Ich, erkennen, mithin nur als Individuum an Individuellem; hernach aber schleift er sich einen Spiegel, dem sendet er Strahlen zu, welche er dann hinwiederum von dort zurückempfängt.

Diese wechselseitige Korrelation läßt es somit beinahe als metaphysische Antizipation erscheinen, daß das unkritische Bewußtsein der Vorahnung von der präexistentiellen Identität zwischen Motiv und Willensinhalt in jener oben besprochenen Begriffs- (-vermengung mehr als) -verwechslung einen naiven Ausdruck gab.

Ob aber die  causa efficiens  der Motivation oder diese jener als dem weiteren Begriff zu subsumieren sei, ist ebensowenig eine "müßige" Frage unpraktischer Grübler, wie jene andere, ob auch die Notwendigkeit dieser beiden Gestalten des zureichenden Grundes auf die Identität reduzierbar sei; denn eins mit dem andern entscheidet darüber, ob nicht Motiv als der höhere und umfassendere Begriff geeignet sei, das Physikalische in ein Ethisches zu erheben, wie umgekehrt die absolute Physik eines ausschließlich  causas efficientes  anerkennenden Naturalismus alles Ethische zu einem Physikalischen erniedrigt (sozusagen depotenziert).

Dagegen finden wir bei von HARTMANN den Versuch, aus der Wesensgleichheit der Motivation und Kausalität im engeren Sinne Schlußfolgerungen für die logische Natur des Wirklichen zu gewinnen, und was er Seite 669 als Resultat hinstellt: "die Kausalität wird als logische Notwendigkeit begriffen, die durch den Willen Wirklichkeit erhält", das strahlt ein Licht zurück auf den Sinn, in welchem frühere Äußerungen von ihm wollen verstanden sein, so namentlich die Stelle Seite 25, wo die Worte vorkommen "mir wird das Wollen des Zweckes Motiv, d. h.  wirkende Ursache  für das Wollen des Mittels." - Solche Identifizierung stammt bei ihm nicht unmittelbar aus den Prämissen der Willensmetaphysik überhaupt, sondern hängt aufs innigste zusammen mit jenen Anschauungen, denen zufolge er aus dem Nochnichtwirklichsein des Gewollten dessen Idealität und dann aus dieser die Vorstellungsnatur allen Willensinhalts meint deduzieren zu können, so konsequent, daß selbst die Wirksamkeit der Atomkräfte, da diese ja auch Willensaktionen sind, sich nach ihm nicht ohne ein gegenseitiges Objektsein unbewußter Vorstellungen vollziehen soll. - Daneben will er mit großer Entschiedenheit dem Begriff der kausalen Folge alle "bildliche" Nebenvorstellung von schöpferischer oder zeugender Kraft fern- und einzig den Gedanken der Notwendigkeit dabei festgehalten wissen, sodaß man auf die Vermutung geraten muß, auch er sei sich vollständig darüber klar geworden, daß durch das Motiv nichts in den Willen hineinkomme, was nicht bereits, nur in anderer, nämlich noch nicht vorgestellter - man möchte am liebsten sagen: in unvorgestellter - Form vorher in ihm selber vorhanden gewesen. Solcher Auffassung entspricht allerdings noch die wiederholt bei ihm vorkommende Definition des Motivs als eines "Erregungsgrundes" - allein die immer wiederkehrende Betonung des Satzes, daß ohne Vorstellung ein wirkliches Wollen nicht möglich sei, trübt stets von neuem die gewonnene Einsicht und provoziert einen nicht weniger entschiedenen Widerspruch.

Der Schärfe seines kritischen Blicks ist es nicht entgangen, wie eine mathematisierende Physik mit ihren seinsollenden Definitionen in nichtsfördernden Tautologien sich in der Runde einer Null herumbewegt; aber ihm selber passiert die nämliche menschliche Schwäche, wo er sich der Proteusgestalt des Motivbegriffes bemächtigen möchte.

Rücken wir zunächst folgende Sätze unmittelbar aneinander! Seite 60 heißt es: "Die gewöhnliche Motivation besteht ausschließlich darin, daß die Vorstellung einer Lust oder Unlust das Begehren erzeugt, erstere zu erlangen, letztere sich fernzuhalten", und auf Seite 193 wird die Erklärung akzeptiert, nach welcher Lust als Befriedigung, Unlust als Nichtbefriedigung des Begehrens aufgefaßt wird und  nicht  "umgekehrt das Begehren als Vorstellung der zukünftigen Lust, das Verabscheuen (negative Begehren) als Vorstellung der zukünftigen Unlust", weil "hier das eigentlich treibende Moment, der Wille als  wirkende Kausalität,  völlig unbegreiflich bleibt." Daraus sollte man doch meinen soviel entnehmen zu dürfen, daß wir in Lust und Unlust die Brücke hätten, über welche das Motivwerden einer sonst wirkungslos bleibenden Vorstellung hinüberschritte, und daß Lust und Unlust von der Essentia des Willens abhängige, durch sie bedingte Zustände des Willens wären, zumal Seite 202 das Anerkenntnis der "Erfahrung" steht, "daß ein und dasselbe Motiv ... auf verschiedene Individuen verschieden wirkt", und im Anschluß hieran sich die Definition findet: "weiß man, wie ein Mensch auf alle möglichen Motive reagiert, so kennt man alle Eigentümlichkeiten desselben, so kennt man seinen  Charakter.  Der Charakter ist also der Reaktionsmodus auf jede besondere Klasse von Motiven, oder was dasselbe sagt (?) die Zusammenfassung der Erregungsfähigkeiten jeder besondern Klasse von Begehrungen" (Seite 203), freilich nicht ohne die ergänzende Bemerkung auf Seite 205: "nicht leicht vermögen wir die Ursachen zu durchschauen, welche die verschiedene Erregungsfähigkeit der verschiedenen Begehrungen oder die verschiedene Reaktion des Willens verschiedener Individuen auf dieselben Motive bedingen; wir müssen uns eben vorläufig damit begnügen, in ihnen das innerste Wesen des Individuums zu sehen, und nennen darum ihre Wirkung sehr bezeichnend Charakter, d. h. Merkmal oder Kennzeichen des Individuums. Soviel jedoch haben wir erkannt, daß dieser innerste Kern der individuellen Seele, dessen Ausfluß der Charakter ist, jenes eigentlichste Ich des Menschen, dem man Verdienst und Schuld zurechnet und Verantwortlichkeit auferlegt (ziemlich dasselbe, was KANT mit dem Wort intelligibler Charakter bezeichnet), daß also dieses eigentümliche Wesen, welches wir selbst sind, dennoch unserem Bewußtsein und dem sublimierten Ich des reinen Selbstbewußtseins ferner liegt also irgendetwas anderes in uns, daß wir vielmehr diesen tiefinnersten Kern unserer selbst nur auf demselben Weg kennen lernen können, wie an anderen Menschen, nämlich durch Rückschlüsse aus dem Handeln." - Was ist das etwas anderes als eine Paraphrase SCHOPENHAUERscher Lehren? Warum aber in aller Welt, fragt man unwillkürlich weiter, warum hat sich denn von HARTMANN selber den einzigen Zugang zu einer Erklärungsmöglichkeit für diese verschiedenen Wirkungsweisen einer Vorstellung, bzw. Reaktionsweisen eines Individuums, im Voraus verbaut, indem er den reinen Begriff des Wollens jedes eigenen Inhalts entleerte? warum spricht er an der zuletzt zitierten Stelle bloß von "bedingenden Ursachen", statt von einer selber Kausalität verleihenden, d. h. Ursache des Ursachseins seienden, Kraft oder  qualitas occulta?  warum wendet er nicht einfach auf den Willen überhaupt und als solchen an, was er vom Individuum hier doch wenigstens implizit zugibt, nämlich daß sein Handeln aus seinem Wesenskern fließt, obzwar dieser Wesenskern selber, das ist ja eben: seine Essentia, nur an ihrem Handeln, also an ihrer Existenzweise, erkennbar wird? kurz: warum hat er sich alles Weiterforschen dadurch selber im Voraus vereiteln wollen, daß er dem Willen als solchem allen Inhalt absprach, und warum hat er alle in die eigentliche Ethik vordringenden Erörterungen sich selber verdorben, ja, jedes vorwärtsstrebende Denken sich selber zunichts gemacht, indem er uns ein Additionsexempel aufzwingen wollte, nach welchem sich aus einer Reihe von Summendennullen oder Nullsummanden doch die ungezählte Fülle aller Wirklichkeiten als Fazit ergeben sollte? Oder ist es nicht zweimal ganz der gleiche Zauber, wenn er an einer späteren Stelle seines Werkes den Versuch zwar nicht selber durchführt, aber doch als leicht ausführbaren darzustellen versucht, den Ursprung  aller  realen Verschiedenheiten auf bloß räumliche Unterschiede in der Wirkungsweise der einfachen Atomkräfte innerhalb der, allerdings in ihren Mannigfaltigkeiten nicht bestrittenen, Kraftsysteme zurückzuführen, und wenn er hier das nur sich selbst gleiche Wesen menschlicher Individualcharaktere zwar vorführt, aber in unmittelbaren Zusammenhang mit der - doch mehr als paradoxen - Behauptung bringt: wie "der Wille immer ein und derselbe ist und sich erstens nur dem Stärkegrad nach und zweitens dem Objekt nach unterscheidet, welches aber nicht mehr Wille, sondern Vorstellung ist", so "müssen auch Lust als die Befriedigung und Unlust als die Nichtbefriedigung des Willens immer ein und dieselben sein und können bloß dem Grad nach verschieden sein und die scheinbaren qualitativen Unterschiede, die sie enthalten, werden durch begleitende Vorstellungen gegeben" (Seite 193)? Also, frage ich noch einmal, wozu diese ganze Selbstverpfuschung? - und weiß keine andere Antwort darauf zu finden als die: einer vorgefaßten Meinung und Absicht zuliebe.

Danach ist es dann auch weniger zu verwundern, daß über all den Partien des von HARTMANNschen Werkes, welche sich unmittelbar oder mittelbar mit der Abschwächung des Individualitätsprinzip beschäftigen, eine, gegen die sonstige Klarheit und Bestimmtheit seiner Darlegungen aufs unvorteilhafteste abstechende, verschwommene Nebelhaftigkeit schwebt, oder in anderweitiger logischer Schwäche sich das Bemühen rächt, den Intuitionen des natürlichen, theoretischen wie praktischen, Gefühls Gewalt anzutun.

Abgesehen von den ausdrücklich diesem Thema zugeteilten Kapiteln  C. VI. - X.  dürften die Abschnitte Seite 83f und Seite 202f als die Hauptstellen anzusehen sein, die uns hier angehen, und eine nähere Betrachtung derselben wird jeden Unbefangenen sofort überzeugen, daß ihnen der angedeutete Fehler gemeinsam ist und sie insbesondere nicht zu einer durchsichtigen Unterscheidung zwischen  Inhalt  und  Objekt  des Willens führen, ohne welche doch die Frage gar nicht zum Austrag gebracht werden kann, ob die Qualität Vorstellungsein dem Willensinhalt als solchem oder nur in seiner Veräußerlichung als Motiv beizulegen sei.

Wie es uns früher schon nicht bloß ein unfruchtbares Beginnen, sondern ein nachteilbringender Rückschritt und Abfall von bereits erreichtem Bessern deuchte, wenn Wille und Wollen,  Voluntas  und  Velle  oder  Volitio,  als Fungierendes und Funktion wieder getrennt wurden, anstatt ihre Einheit für weiteres Erkennen nutzbar zu verwerten: so haben wir hier einer weitern Spaltung Einhalt zu tun, indem wir der Losreißung des  Gewollten  vom Willen oder Wollen opponieren. Wir sehen, daß dieselbe - Seite 84 - nur möglich wird auf dem Weg eines Abstraktionsprozesses, dessen Einkleidung uns sofort lebhaft der Sprache gemahnt, welche SCHOPENHAUER mit so scharf prononzierter Aversion zu perhorreszieren [zurückweisen - wp] pflegt; es kann also auch kaum befremden, wenn alsobald auf Seite 85, wie unter stillschweigender Berufung auf ein  jus talionis  [Auge um Auge - wp], diesem Denker "Halbheit" vorgerückt, ihm und seinen Anhängern gegenüber aber eine Jllustration durch Beispiele bei angeblich "so selbstevidentem" ausdrücklich für unnötig erklärt wird. Es steht also einfach genug nur Behauptung wider Behauptung, und wir begnügen uns vorläufig zuzusehen, was denn eigentlich jenseits behauptet wird.

Da ist erst einmal schon gleich hernach der Satz zu lesen: "wo immer wir einem Willen begegnen, muß Vorstellung damit verbunden sein, allermindestens diejenige, welche das Ziel, Objekt oder Inhalt des Willens ideell vergegenwärtigt." Das sieht doch in der Tat aus, als ob "Ziel - Objekt - Inhalt des Willens", wenn nicht für völlig identische Wechselbegriffe, so wenigstens für engverwandte Synonyma zu nehmen seien. Wenn wir nun aber diese Vorstellung zur Lektüre nachstehenden Satzes mitherzubringen, so dürften wir immerhin eine gelinde Perplexität, um nicht zu sagen: Konfusion, über uns kommen fühlen: "Es gibt keine Erscheinung des Willens" - das heißt doch wohl soviel wie: es gibt kein Wollen - "ohne Erregungsgrund. Der Wille ansich" - heißt das nicht: die  Voluntas?  - "ist ein potentielles Sein, eine latente Kraft, und sein Übergang in das aktuelle Sein, in die Kraftäußerung, erfordert als zureichenden Grund ein Motiv, welches allemal die Form der Vorstellung hat. ... Das Wollen" - die  Voluntas  oder die  Volitio  oder das  Velle?  der Wille in potentiellem oder in aktuellem Sein? doch wohl letzteres - "ist nur der Intensität nach verschieden; alle übrigen anscheinenden Verschiedenheiten des Wollens fallen in seine Objekte, d. h. in die Vorstellungen dessen, was gewollt wird, und diese  Objekte sind wieder durch die Motive bedingt."  Was heißt das? was ist denn nun eigentlich Motiv? - Das erfahren wir gar nicht - es wird nur gesagt, daß es "allemal die Form der Vorstellung habe" - aber welcher Vorstellung? - solange mochten wir uns einbilden: die Vorstellung des "zukünftigen Zustandes" als des zu erreichenden "Zieles", das oben mit "Objekt" oder "Inhalt" promiskue [gemischt - wp] gebraucht wurde; (denn daß nicht die Seite 84 als "Ausgangspunkt" erwähnte zweite Vorstellung des "gegenwärtigen Zustandes" gemeint sein kann, liegt doch ja allzudeutlich auf der Hand) - jetzt aber wird das Motiv vom "Objekt" des Willens als dessen "Bedingung" scharf gesondert - und damit wir vollends irrewerden an der Richtigkeit unserer bisherigen Annahme, (welche sich vielleicht noch hinter die Vermutung hätte retten lassen.: das Motiv sei das Objekt des Willens als vorgestelltes, sofern es vorgestellt werde,) wird fortgefahren: "nach den verschiedenen Hauptklassen der unter den Menschen am gewöhnlichsten vorkommenden  Gegenstände"  - doch wohl nur ein wechselnder Ausdruck für den ebengebrauchten: Objekt - "des Wollens wird auch das Wollen selbst in verschiedene Hauptrichtungen unterschieden, als z. B. sinnliche Genußsucht, Habgier und Geldgier, Eitelkeit, Ehrgeiz und Ruhmsucht, Liebesdrang, künstlerischer Trieb, Wissensdurst und Forschungstrieb usw."

In der Tat, eine bunte Reihe, angesichts welcher es wohl geraten sein mochte, so vage Ausdrücke durcheinander zu gebrauchen, wie: Gegenstand, O Reihe, angesichts welcher es wohl geraten sein mochte, so vage Ausdrücke durcheinander zu gebrauchen, wie: Gegenstand, Objekt, Ziel und Inhalt - denn daß ein Zustand, wie Wissen, Forschen, künstlerische Produktivität, Berühmtsein, Genießen als Wollens ziel  bezeichnet wird, ist allerdings ebenso verständlich, wie daß Liebe (amor) als Willens inhalt,  Geld und Ehre als "Gegenstände" und "Haben" überhaupt als "Objekt" so ganz im allgemeinen für den Willen gelten können. - Nur ist mit dem allen das Wesen und der Begriff des Motivs nicht im geringsten aufgehellt, umso weniger als gleich der nächste Satz lautet "wären nun diese Objekte  allein  von den Motiven abhängig, so wäre die Psychologie sehr einfach, und der Mechanismus in allen Individuen kongruent." Ich darf mir das wohl  ex meo  [aus mir - wp] in einer  Oratio pro domo  [Rede für das eigene Haus - wp], da man sich anschickt, die Charakterologie aus ihrem Geburtsort und Wohnsitz und jederlei Heimat zu vertreiben, so auslegen, daß, wenn jede Vorstellung  eo ipso  [schlechthin - wp] ein Motiv wäre oder bei ihrer Berührung mit einem Individualwillen unausbleiblich zu einem Motiv würde, es allerdings keine Charakterologie, sondern nur ein aus lauter Vorstellungen aufgebautes Räderwerk geben könnte, - wirklich und buchstäblich nichts als einen seelenlosen "Mechanismus". - Was aber das Motiv eigentlich sei - nämlich das in die Vorstellungswelt projizierte Korrelat des unabhängig von dieser Projektion vorhandenen Willensinhalts, das wissen wir nicht durch dieses Hin- und Herschwanken zwischen bald, ganz oder gar nicht synonymen Begriffen, sondern aus eigenem Besinnen über die  vis essendi  [mögliches Sein - wp] als die Bedingung für irgendeine  potentia existendi  [mögliches Sein - wp] (15)

Weil es uns ein Satz von apriorischer Gewißheit ist, daß alles wahrhaft Seiende Was und Daß zumal, untrennbare Einheit von Essenz und Existenz, ist, ein in sich selbst bestimmtes, nur sich selbst gleiches, da es ja sein Sein in sich, nicht von einem Andern, als bloße Erscheinung, zu Lehen hat, weil seine Bestimmtheit die des ein-für-alle-mal durch sich selber Bestimmtseins ist: deshalb ist es uns unmöglich, uns einen Willen zu denken, der, in total bestimmungsloser Indifferenz, durch einen Erregungsgrund von jedesmal ganz bestimmter Beschaffenheit sich sollte erregen lassen, ohne in sich selber als unveräußerliche Essentia eine Erregbarkeit von korrespondierender Bestimmtheit zu besitzen.

Es ist in meinen Augen eine logische Ungeheuerlichkeit, weil eine unmittelbare Verhöhnung des Identitätsgesetzes, die einzelne Tat gleichzeitig als das Produkt zweier Faktoren - des Motivs  und  des Charakters - anzuerkennen und doch wieder von ihr als dem Werke ausschließlich  Eines  von diesen Faktoren zu sprechen. Letzteres aber muß der Sinn der Darlegung sein, welche auf einen Beweis für die Wandelbarkeit des Charakters abzielt und alle relative Konstanz in gewissen Gewöhnungen des Gehirns finden will, sofern der Wille alle seine Bestimmungen erst mittels der Motive bekäme. Dies ist im Grunde der nämliche Standpunkt, auf welchem wir auch gewisse Halbdenker von der Sekte der ethiklosen Materialisten betreffen, deren freiheitleugnender Determinismus mit eigentümlicher Dialektik umschlägt in den absoluten Indeterminismus eines wesenlosen  liberum arbitrium indifferentiae  [absolute Wahlfreiheit - wp], indem danach die  ganze  Entscheidung auf die Seite der Motive fällt, also dahin, wo ein, im Verhältnis zum determinierten Willen betrachtet, absolut Zufälliges waltet, sodaß gerade der sogenannte Täter an dem, was  seine  Tat heißt, ganz und gar keinen Anteil haben würde, solange nicht etwa früher wirksam gewesene Motive ihm eine gewisse Prädeterminiertheit beigebracht hätten, was ja aber wiederum nur Sache des reinen Zufalls sein würde, nichts, was wahrhaft etwas einer - dann ja gar nicht als seine eigene vorhandenen - Essentia des Willens Inhärierendes heißen könnte. Ein solcher noch "unbestimmter" Charakter wäre ein bloßes Nichts, nicht einmal eine Anlage oder Potenz, sondern das bloße Erscheinungssubstrat für die Selbstverwirklichung des Motivs, ohne daß zuvor begreiflich gemacht wäre, woran denn das Motiv selber einen substanziellen Rückhalt auch nur für sein vorläufiges Quasi-Dasein haben könnte.

Nur eine Betrachtung, die zu träge oder zu stumpfsinnig oder zu vorurteilsvoll ist, um wahrhaft gründlich bis zum letzten Wollen vorzudringen, kommt über den Bereich des Variablen nicht hinaus. Haltmachend an den Zwischenstationen und bei jeder Ausbiegung vom geradlinigen Weg nach rechts oder links voreilig an ein Abschwenken vom letzten  Ziel  glaubend, verwechselt eine solche Betrachtungsweise fortwährend den wahren  Inhalt  des Wollens mit den  Objekten,  in deren Vorstellung sich dieser Inhalt, den Umständen nachgehend, kleidet. Wo die Oberflächlichkeit meint, ein Wollen selber sei aufgegeben, da ist in Wahrheit nichts verschwunden als der Glaube des Individuums, daß es dieses Bestimmte wolle. Die Berichtigung der Kenntnis schafft diesen Irrtum weg, der sich, näher zugesehen, auch jedesmal nur auf ein vorläufiges Wollen wird bezogen haben, nicht auf einen, jenseits  aller  nur einstweiligen Zwecke liegenden, echten  End zweck - und jenseits all des bloß Phänomenalen liegt auch erst das wahrhaft Moralische, d. h. das als solches Zurechenbare. Weil aber dieses nur an und mit den Motiven erst erkennbar wird, so verfällt das unkritische Urteil der Umkehrung einer Wahrheit, indem es - darin noch immer den Bewohnern jener platonischen Höhle gleich - das was es sieht, eben weil es es sieht, also in diesem Fall das im Motiv abgespiegelte Bild des Willensinhaltes, für das wahrhaft Seiende ansieht und vergißt, daß für das wahrhaft Seiende das Vorgestelltwerden etwas ganz unwesentliches ist. Ausgangspunkt, Straße und Ziel bleiben dieselben auch im Dunkeln, wenn nachts keine am Weg aufgestellte und angezündete Laternen sie beleuchten.

Was wir  Werden  nennen, ist nur die "Folge", d. h. das Aufeinanderfolgen, in der Reihe des Erscheinenden, d. h. das Sichtbarwerden eines bis dahin Unsichtbaren; an der Essentia wird damit nichts geändert, diese wird eben nur offenbar, tritt heraus aus dem nichtgewußten Sein ins gewußte, und was sie als sich selber offenbart in dem Spiegel, den sie sich geschliffen, das ist ihr eigenster, immanenter und damit schlechthin autonomer Gesetzes grund,  dessen Inhalt erst als gewußter den Namen Gesetz bekommen kann. Denn allerdings ist ja "Motiv" nur das "Erregende", das aus dem Schlummer der Latenz Hervorrufende, nur in diesem engeren Sinn des Hervorziehenden ein "Hervorbringendes", "Produzierendes" - und "schöpferisch" nur wie der Eimer, mit welchem man aus dem Brunnen Wasser schöpft, aber nicht wie ein  creator omnipotens  [allmächtiger Schöpfer - wp], welcher etwas hineinbringt, das nicht schon "von selber", spontan und vermöge seiner Aseität [Aus-sich-selbst-sein / wp], da war, ohne doch jemals seiner selbst als seiner eigenen Ursache (causa sui) bedurft zu haben.

So lehren uns ja schon die lateinischen Worte  causa efficiens  [wirkende Ursache - wp] und  effectus  - der Effekt ist der Zustand des nach-Außen-gemacht-seins - die efficiens das von Innen nach Außen ein Inneres zu einem Äußeren oder ein Äußeres aus einem Inneren, ein Äußerliches aus einem Innerlichen Machende. So lockt das Motiv den Willensinhalt in die Außenwelt, vermag dies aber nur vermöge der eigenen nach Außen gerichteten Tendenz des Wollens selber, vermöge der sozusagen expansiven Intensität desselben; denn alle  causa  hat schließlich ihr Wesen am Effekt der Veräußerlichung.

So kennen auch wir kein Wirken ohne ein  Be wirktes, wobei man aber ebensosehr an ein transitives [übergehendes - wp] Objekt, auf welches als ein bereits vorhandenes sich das Wirken bezieht und richtet, wie auch an ein faktitives Objekt, welches durch das Wirken erst entsteht, zu denken hat.

So finden wir zuletzt in aller Kausalität, samt Motivation, doch wieder die Zweiheit "gesetzt" (16), und zwar, wie wir bereits sahen, in der Form der Selbstentzweiung. Wir erkannten in der Essentia die  reine Bedingung,  das was  dabei  sein muß, wenn etwas entstehen oder zustande kommen soll. Das Bedingende, "so mit und  bei"  den Dingen ist, steht dem Bedingten, als dem Ding-gewordenen, dem  existens,  zur Seite als sein  sygkeimenon;  [Einheit - wp] es ist  conditio, Mit gift und Gründung,  conventio  und  contractus:  ein Hinzukommen und festes Zusammenziehen; so auch  beim  "Dingen", als der limitierenden Fixierung von Wert und Preis, ist -  syntheke,  das Mitsetzen, und "was auch mitzusprechen hat": die  homologia,  und  hypothesis  als Grundlegung und Untenliegen des  hypokeimenon  - kurz: die Voraussetzung des Seienden, die "Kondition", Lage oder Situation, ohne die und außerhalb deren es nichts Wirkliches, kein Geschehen gibt; das Übermächtige, von dessen Mitvorhandensein als  synaitia,  als eines Mitbewirkenden, der Eintritt, die Existenz des Andern abhängt. Und das alles als erst einmal nur gedachter, von seiner Verwirklichung losgelöster, in die reine Abstraktion des "idealen Seins" hinausgestellter Willensinhalt heißt in dieser seiner einseitigen Gedankenexistenz:  Idee

So haben denn - je nach dem Betrachtungsstandpunkt - "Wille" und "Idee" in der Tat wechselweise aneinander ihren Inhalt - und soweit die Selbständigkeit des individualisierten Willens reicht, reicht auch das Recht der Hypostase [einem Gedanken gegenständliche Realität unterschieben - wp] einer Idee des Individualcharakters - oder, was dasselbe sagt: wenn und soweit es ein Recht der Wissenschaft überhaupt gibt, gibt es auch ein Recht der Charakterologie.
LITERATUR - Julius Bahnsen, Zum Verhältnis zwischen Wille und Motiv [eine metaphysische Voruntersuchung zur Charakterologie], Stolp und Lauenburg 1870
    Anmerkungen
    4) Vgl. LANGBEINs Pädagogisches Archiv Bd. XI, Seite 264f
    5) Es wäre kein stichhaltiger Einwurf, der Aufstellung dieses Maßstabes die Relativität oder gar Subjektivität aller Zeitdauer entgegenhalten zu wollen, denn die Konstanz der Individualität interessiert selbstverständlich nicht länger, als wie die Individualität selber, und es genügt, wenn sie in ihrer Dauer dieser selbst gleich ist. Selbst noch für eine bloße Fokaleinheit von Kraftfäden ist für die Dauer ihres Bestehens die Identität mit sich ein logisches Postulat, da die ab- und zufließenden Atome im Stoffwechsel ein einheitliches Regulativ behalten müssen an dem Gesetz, nach welchem ihr einheitliches Beherrschtwerden mittels eines  hegemonikon  überhaupt erst zustande kam.  Daß  die Einheit der Atome  besteht,  diese Tatsache des aktuellen Eins seins  vieler sonst selbständiger Einzelpotenzen, das eben ist das Wunder der Individualität, - und dieses Sein, diese Wirklichkeit des Daseins der Einheit setzt selbst wieder  eineKraft eins zu sein  voraus, oder die Kraft der Einheit zu sein; so ist die Einheit selber eine Macht, wenn auch nicht außerhalb ihrer selbst und zugleich ein Wollen, nämlich in der Gestalt einer  Tendenz  nach Ver-einheit-lichung, die ihre Verwirklichung findet, sobald dazu die Bedingungen erfüllt sind, dann aber auch unausbleiblich und ohne erst noch irgendein transzendentes Eingreifen abzuwarten; denn mit der  Gesamtheit  der Bedingungen ist auch alles Nötige bereits von selber mitgegeben. Das liegt in dem Ausdruck: wenn die Zeit erfüllet, d. h. wenn die Summe der Bedingungen beisammen ist.
    6) Vgl. Beiträge zur Charakterologie I, Seite 165f
    7) Vgl. TRENDELENBURG, Logische Untersuchungen II, 2. Auflage, Seite 150 - 153
    8) Der Wille als solcher hat mit Vernunft und Verstand gar nichts zu tun; - aber er kann im Laufe der Bewußtseinsentwicklung verständig oder "vernünftig"  werden,  die Eigenschaft der Verständigkeit oder Vernünftigkeit annehmen, d. h. Gesetze, wie Verstand oder Vernunft sie vorschreiben, in autonomer Anerkennung zu Normen seiner Tätigkeiten erheben, indem er die Äußerungsweise, in welcher sein Inhalt unmittelbar oder mittelbar sich offenbart, mit ihnen in Einklang setzt; jedoch ob und welcherlei Maximen ein Charakter sich freiwillig unterwirft, das hängt zuletzt abermals einzig und allein von den individuell bestimmten  qualitates occultae  seiner unwandelbaren  Essentia  ab.
    9) Erst ganz neuerdings hat sie JULIUS BAUMANN gegen HUME ins Feld geführt: Die Lehren von Raum, Zeit und Mathematik in der neueren Philosophie II, Seite 612: "Wenn der Wunsch, unsere Freiheit zu zeigen, ein so wirksames Motiv ist ... so brauchen wir mehr für die Freiheit nicht zu wünschen, denn die Freiheit schließt Motive überhaupt nicht aus, ein solches Motiv aber ... als wirsam gedacht, wäre nichts anderes als die Freiheit selber."
    10) Vgl. meine "Beiträge zur Charakterologie I, Seite 145
    11) Vgl. HAECKER im Programm des Kölnischen Gymnasiums, Berlin 1869, Seite 9
    12) Im empirischen, relativen Sinn ist ja nämlich alles das Zufall, was außerhalb der gerade für unser Bewußtsein vorhandenen, d. h. erkannten oder in Betracht kommenden, Kausalreihe vor sich geht oder gegangen ist.
    13) TRENDELENBURG, Logische Untersuchungen II, 2. Auflage, Seite 110f
    14) Obigen Widerspruch erhebe ich unbeschadet der Anerkennung der Tatsache, daß es wichtige psychische Funktionen gibt, welche unbewußt vor sich gehen, also in diesem Sinne im Unbewußten bleiben. Dies in Abrede zu stellen, davon bin ich soweit entfernt, daß ich im Gegenteil die Nachweisungen hierfür, um welche von HARTMANNs mit genialem Blick sammelnder Fleiß die Wissenschaft bereichert hat, zu den wertvollsten Darlegungen seines Wertes rechne. Aber es befremdet mich, wenn er glaubt, damit gerade in einen Gegensatz zu SCHOPENHAUER zu treten, statt daß er diesen auch hierfür unter seinen Vorgängern hätte aufzählen sollen. Viel eher hätte man es eine Liebhaberei SCHOPENHAUERs nennen können, die intuitiven Formen des Wissens und die Zuverlässigkeit des "Gefühls", gegenüber der "Evidenzlosigkeit" aller Abstraktion, bei jeder Gelegenheit heraus- und hervorzukehren. Was von HARTMANN über die unbewußte Geistestätigkeit des kunst- wie sprachschöpferischen Prozesses sagt, ist ganz im Sinne der SCHOPENHAUERschen Auffassung vom Wesen des Genies gesagt, - und unter den Schülern SCHOPENHAUERs haben FRAUENSTÄDT und ich derartige Vorgänge mitnichten ignoriert; jener hat in seinem jüngsten Werk: "Blicke in die intellektuelle, physische und moralische Welt" einen eigenen Abschnitt "Vom latenten Geist", und, anderer Stellen nicht zu gedenken, so ist meine charakterographische Skizze des "Schwärmers" mit Strichen gezeichnet, die sich deutlich genug in jenes unbewußte Gebiet verkaufen und verlieren. Aber damit ist nicht eines Härchens Breite eingeräumt von dem, worauf von HARTMANN hinaus will: von einer relativen Loslösbarkeit der Vorstellung vom Willen, als dem gemeinsamen, schlechthin einheitlichen, substantiellen Substrat für Intellekt und Individualcharakter. Denn die ohne Bewußtsein vor sich gehenden Funktionen der denkenden Tätigkeit (SCHOPENHAUER sprach gern von einer unbewußten "Rumination" [Wiederkäuen - wp] der Gedanken, als des Gedachten) bleiben eben unterhalb der Bewußtseinsschwelle und sind eben  als solche  dann nicht Vorstellungen in der Bedeutung des mit einiger - sei es auch nur mit einer innerlich bleibenden - Loslösung und Selbständigkeit vor den "inneren Sinn" des Vorstellenden Hinausgestellten oder Projizierten. - Am allerwenigsten beweist so ein nicht in Abstraktion umgesetztes Erkennen für die Existenz eines von seiner funktionierenden Basis abgetrennten, in hypostatisch eigenständiger Daseinsform vorhandenen geistigen Tuns und der Produkte dieses, mag man dieselben nun "Vorstellungen" nennen oder "Ideen". Ein Denken vor oder hinter dem Denken gibt es auch danach nicht, sondern eben nur eines in und mit dem Denken.
    15) Das ex-sistere - das  Ent- stehen - gehört dem wandelbaren Bereich des bloß phänomenalen  Werdens  an, das als solches die, Grundlage eines Seienden voraussetzt, aus welcher es heraustreten und ins Dasein, in die "Existenz", in den  status existendi,  als Gegen-stand in einen Zu-stand, eintreten könne. Dem Vermögen hierzu - der  potentia existendi  - muß also noch die  vis essendi  [aktuelles Sein - wp] vorausgehen als eine Eigenschaft, eine Qualität und ein Begriffsmerkmal des wahrhaft Seienden selber, speziell der Kraft als seiender. Also was schon PLATO (Sophistes, Seite 247) in seiner Weise gelehrt hat: daß allem, was Kraft ist ein wahrhaftes Sein zukomme, wie andererseits alles wahrhaft Seiende eine Kraft sei - das fassen wir hier nochmals in die konziser resümierende Formel zusammen: alles Sein ist eine  Kraft  zu sein, und alle Kraft ist eine Kraft  zu sein. 
    16) Zu einer ähnlichen Deduktion habe ich, seitdem Obiges geschrieben wurde, auch FRAUENSTÄDT in seinem jüngsten Werk kommen sehen, jedoch mit etwas anderer Wendung und Verwendung des Gedankens.