p-4 GoedeckemeyerLippsÜber Real- und Beziehungsurteilevon der Pfordten    
 
JOHANNES von KRIES
Zur Psychologie der Urteile
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"Es kommt nur darauf an, daß wir z. B. wissen, wie sich in allen möglichen Beziehungen das uns entgegenkommende Tier verhält; hierzu ist uns die Subsumtion unter den Begriff  Auerhahn  nützlich und genügend, überflüssig dagegen, diesen Begriff so genau zu fixieren, daß man angeben könnte, wie viel oder wie wenig wir zu der wirklich gemachten Wahrnehmung noch durch einen Schluß ergänzen müßten, um die Subsumtion ausführen zu dürfen."

IV.

Die bisherige Auseinandersetzung zeigt, daß auch, wenn wir uns auf Urteile beschränken, die eine zergliedernde Zurückführung auf andere nicht mehr gestatten, wir gar vieles finden, was sich unter die logischen Haupt-Typen nicht unterordnet; die vollständigere Betrachtung hat uns, wie wir sagen dürfen, veranlaßt, der zunächst mit einiger Willkür bewerkstelligten Herausgreifung von logischen Typen gewisse Ergänzungen anzuschließen. Die wichtigsten Punkte, in denen sich die tatsächliche Gestaltung des urteilenden Denkens von den logischen Schematen unterscheidet, sind indessen damit noch nicht bezeichnet. In der Hauptsache nämlich beruth dies, wie nun im folgenden auszuführen sein wird, auf der verwickelten Natur des Zusammenhangs, in dem die vielen psychologischen Vorgänge, die im weitesten Sinne des Wortes als Urteile bezeichnet werden, mit definitiv deutlichen und im strengen, engsten Sinne des Wortes so zu nennenden Urteilen stehen.

Ein erstes, um das es sich hierbei handelt, will ich zunächst an einem möglichst einfachen Fall, einem System analytischer Urteile, erläutern. Im voraus wollen wir dabei beachten, daß, wie wir annehmen dürfen, im Begriff seine wesentlichen Bestimmungsstücke nicht als reale Bewußtseinszustände, wohl aber als psychologische Dispositionen, also wenn man so will, latent, vorhanden sind. Setzen wir einen Begriff mit irgendeinem dieser Bestimmungsstücke urteilend in Beziehung, wie es im analytischen Urteil geschieht, sagen wir also z. B.: der Kreis ist eben, so ist es die Aktivierung einer bereits vorhandenen Disposition, welche das Geltungsgefühl bestimmt und ihm seinen vorhin schon berührten Charakter der Selbstverständlichkeit gibt. Nun ist aber zu beachten, daß bei verwickelten Begriffssystemen (und zwar wenn jeder Begriff durch eine völlig scharfe und bekannte Definition genau fixiert ist) der erste Begriff, von dem wir ausgehen, ex definitione mit einer Anzahl anderer zusammenhängt, jeder von diesen wieder mit einer Anzahl weiterer etc. Es kommt auf diese Weise dazu, daß vom ersten (verwickeltsten Begriff Aussagen gemacht werden können, die vollkommen rein und streng als analytische Urteile bezeichnet werden müssen, denen aber der Charakter der Selbstverständlichkeit und unmittelbaren Evidenz, den wir sonst am analytischen Urteil gewohnt sind, bereits abgeht. Durch die Verwicklung der Zusammenhänge und die Ausdehnung des Systems ist dasselbe unübersehbar geworden. Psychologisch und im Hinblick auf die Dispositionen ist dies ja auch vollkommen verständlich. Denn jene erst in zweiter oder dritter Anknüpfung mit dem Ausgangsbegriff zusammenhängenden sind in ihm selbst dispositiv so wenig und unbestimmt vorhanden, daß ihre Prädizierung den Eindruck der Selbstverständlichkeit nicht mehr macht. Wir müssen demgemäß konstatieren, daß auch auf dem Gebiet der Beziehungs-Urteile, sogar bei den unanfechbaren Vertretern derselben, den analytischen Urteilen, die unmittelbare Evidenz lediglich durch den Mangel an Übersehbarkeit aufhören kann. Auch hier greift also dann ein  Wissen  Platz, welches in gewissem Umfang Gedächtnis-Sache ist.

Hiermit ist nun aber - und das ist der uns wesentlich interessierende Punkt - der psychologische Charakter des Geltungsgefühls in tiefgreifender Weise verändert. Solange der Prädikatsbegriff im Subjektsbegriff wenn auch nur in schwacher Andeutung mitgedacht ist, zeigt das Urteil jene, ihm meistens zugeschriebene Besonderheit, die Selbstverständlichkeit, die unmittelbare Evidenz, die, wie wir vorhin sagten,  idiodetische  Geltung. Dies ist, sobald die Zusammenhänge einen gewissen Grad der Verwicklung und Unübersehbarkeit gewonnen haben, nicht mehr der Fall; wir haben zwar ein gewisses Gefühl der Berechtigung für die betreffende Aussage, allein dasselbe erscheint nicht mehr mit der Natur der verknüpften Begriffe selbstverständlich gegeben, es ist etwas von außen an sie herantretendes, psychologische genommen dem  heterodetischen  der  Real-Urteile  ähnlich.

Es ist aber, wie wir weiter hinzufügen müssen, nicht bloß die Art des Geltungsgefühls verändert, sondern es ist zugleich auch der Behauptungsinhalt, zwar wohl nicht eigentlich geändert, aber doch unersichtlich geworden. Fehlt uns die Übersicht über die Zusammenhänge, die uns berechtigen, einem Begriff das Merkmal  a  zuzuschreiben (wir können sie eventuell gänzlich vergessen haben), so kann wenigstens sehr leicht auch der Sinn der Behauptung insofern verdunkelt sein, daß die begriffliche (analytische) Geltung gar nicht mehr bemerkt wird. Das, was bestehen bleibt und allerdings bestehen bleiben muß, wenn as Urteil eine Bedeutung im psychologischen Sinne, d. h. irgendeinen Einfluß im Zusammenhang des Denkens haben soll, ist etwas ganz anderes; es ist keine Einsicht in irgendein Verhalten im Sinne der logischen Typen, sondern nur das Gefühl der Berechtigung einer gewissen Verfahrensweise, seine Bedeutung ist ein, wie ich sagen möchte,  operative.  Wenn wir, um ein Beispiel anzuführen, wissen, daß eine Ellipse eine ebene Kurve zweiten Grades ist, so können wir in der Tat von diesem Urteil sehr wohl Gebrauch machen, auch wenn wir etwa im Augenblick nicht übersehen, ob darin ein mathematischer Satz ausgedrückt oder nur der Begriff der Ellipse analytisch erläutert ist; denn der Satz genügt uns, um z. B. irgendeiner besonderen Kurve, die uns als Ellipse bekannt ist, gewisse Eigenschaften zuzuschreiben, die wir an den Kurven zweiten Grades kennen. Ebenso wird z. B. der Satz 7 x 15 = 105 eine gewisse psychologische Funktion ausüben können, auch ohne daß darüber Klarheit herrscht, ob mit der Gleichheit ein Vorstellungsverhältnis oder eine reale Tatsache ausgedrückt sein soll. es wird vielmehr für seine Funktion die operative Bedeutung des Gleichheitsbegriffs vollkommen genügen, demzufolge wir im Einzelfall etwa wissen, daß wir aus 105 Nüssen 7 Teile zu je 15 bilden können.

Die Möglichkeit solcher Urteile von wesentlich operativer Bedeutung beruth natürlich zum Teil auf der formalen Übereinstimmung derjenigen Verfahrensweisen, welche aus mathematischen, logischen und realen Verhältnissen ihre Berechtigung herleiten. Wie weit eine solche besteht, braucht hier nicht untersucht zu werden; daß sie in gewissen Fällen vorhanden ist, bedarf keines besonderen Beweises.

Auf der anderen Seite - es geht dies aus dem eben Gesagten schon hervor - wird die operative Bedeutung gegenüber der definitiven, eigentlichen umso mehr hervortreten, je mehr die Zusammenhänge des betreffenden Urteils und der in ihm figurierenden Begriffe mit anderen verwickelt und unübersehbar werden. Und umso mehr wird anstelle der typischen Bedeutungen, welche den klaren analytischen, mathematischen oder Real-Urteilen eigen sind, ein unklares und sehr vielgestaltiges Berechtigungsgefühl vorliegen, für welches auch gar keine andere bestimmte Einsicht, sondern nur die Gewohnheit so zu verfahren und die ganz allgemeine Erfahrung, auf solche Weise schließlich zu richtigen Resultaten zu gelangen, als Begründung angeführt werden kann.

Die genauere Überlegung, wie sich einem derartigen Sachverhalt gegenüber die logische Betrachtung zu verhalten habe, führt uns zunächst dazu, eine bisher gemachte Voraussetzung nochmals besonders zu betonen, die nämlich, daß es sich dabei durchweg um völlig klare, scharf und fest definierte Begriffe handle. Solange nämlich das der Fall ist, sind jene Zusammenhänge, wenn auch nicht im Augenblick gegenwärtig, doch durch einen jederzeit einzleitenden Überlegungsprozeß herzustellen. Es würde also auch unter der gemachten Voraussetzung über die definitive Bedeutung eines jeden, auch des begrifflich verwickeltsten Urteils kaum jemals ein ernsthafter Zweifel bestehen können. Für diesen Fall erscheint es also auch durchaus berechtigt, wenn man, wie es in der logischen Betrachtung üblich ist, jedem Urteil die gleiche Evidenzart zuschreibt wie denjenigen anderen, deren logisches Ergebnis es ist, als z. B. der gesamten Mathematik die anschauliche, erfahrungsunabhängige Geltung ihrer Axiome vindiziert. Der eigentlich psychologische Sachverhalt im verwickelteren mathematischen Urteil wird zwar dadurch nicht zutreffend gekennzeichnet (selbst für denjenigen nicht, der sich über den Zusammenhang des betreffenden Satzes mit den Axiomen und über deren logische Natur ganz klar ist), aber man operiert, indem man gewissermaßen eine ideale Überschau des gesamten Zusammenhangs voraussetzt, mit einer psychologischen Fiktion, welche für die logische Betrachtung bequem und nützlich ist.

In diesem erweiterten Sinne läßt sich also - unter der gemachten Voraussetzung - die Bedeutung auch des verwickelteren Urteils stets noch klar und zweifellos angeben. Unter der gemachten Voraussetzung völlig scharf bestimmter, feststehender Begriffe! Gerade der Umstand aber, daß diese Voraussetzung in umfangreichen Gebieten unseres Denkens  nicht  erfüllt ist, führt uns auf einen anderen hier zu erörternden Punkt, auf die Bedeutung, welche die Unsicherheit und Unbestimmtheit der Begriffe hier gewinnt. Ein gewisses unbestimmtes Geltungs- oder Berechtigungsgefühl, mit welchem wir verschiedene, selbst mehr oder weniger unbestimmte Begriffe zusammen denken und welches unmittelbar nur insoweit bedeutungsvoll zu sein braucht, daß es auf den Gang unseres Denkens irgendeinen Einfluß nimmt: das wäre etwa die allgemeinste Formel, unter der wir das, was im weitesten Sinne des Wortes Urteil genannt werden darf, zusammenfassen könnten. Es ist nicht schwierig zu übersehen, daß gerade mit der Unbestimmtheit der in ein Urteil eingehenden Begriffe auch die Natur ihres Zusammenhangs und die Natur der Berechtigung, mit der wir ihren Zusammenhang behaupten, vielgestaltig, unklar und unbestimmt wird; auch hier gilt, daß dabei gleichwohl den betreffenden Urteilen ein großer Wert im Zusammenhang des Denkens zukommen kann; durchweg ist unerläßliche Bedingung hierfür nur die operative oder psychologische Bedeutung der betreffenden Einsicht.

Ich erläutere das zunächst durch den Hinweis auf Fälle, wo sogar für den wissenschaftlichen Gebrauch eine genaue Fixierung der Begriffe entbehrlich geblieben ist und bleiben wird. Auf weiten Gebieten ist es die reale Gesetzmäßigkeit der Dinge, die es ziemlich gleichgültig und willkürlich macht, ob wir einen Begriff durch eine kleinere oder größere Anzahl von Merkmalen definieren, ob wir seinen Inhalt und Umfang, rein logisch gesprochen, größer oder kleiner festsetzen wollen. Der Chemiker z. B. hat gar keinen Anlaß, eine Festsetzung darüber zu treffen, ob das spezifische Gewicht 19,3 zum Begriff des Goldes gehört oder nicht. Ob man einen Körper, der mit den sonstigen Eigenschaften des Goldes etwa ein anderes spezifisches Gewicht verbände, Gold nennen würde oder nicht, darüber zerbricht man sich nicht den Kopf, eben weil es solche Körper nicht gibt. Logisch genommen müssen wir gleichwohl konstatieren, daß, wenn wir das Urteil "Gold besitzt das spezifische Gewicht 19,3" aussprechen, es im Ungewissen ist, ob wir eigentlich ein analytisches oder ein synthetisches, ein Real-Urteil nomologischen EInhalts aussprechen. Für die Logik bietet dieser Sachverhalt kein besonderes Interesse; sie würde eine Fixierung des Begriffs und damit eine Klarstellung der Urteilsart fordern müssen. Für die betreffende Wissenschaft selbst ist natürlich der hier etwa zuzugebende logische Mangel ebenfalls ohne Bedeutung, solange die vorausgesetzte reale Gesetzmäßigkeit wirklich gilt. Von Interesse aber ist das ganze Verhalten von dem hier eingenommenen Standpunkt psychologischer Betrachtung aus. Denn wir finden hier in der Natur der verknüpften Begriffe, respektive ihrer psychologischen Substrate den Grund dafür, daß auch das sie verbindende Gefühl der Zusammengehörigkeit kein typischens Geltungsgefühl ist. Es ist einerseits die Unbestimmtheit der dispositiven Einstellung überhaupt, auf die es dabei ankommt, andererseits aber auch der Umstand, daß in den meisten Begriffen, vielleicht in allen, schon ein gewisses Wissen, eine Reihe von Urteilen, dispositiv enthalten ist.

Sagen wir also: Gold ist gelb, so wird die dabei empfundene Zusammengehörigkeit die selbstverständliche des analytischen Urteils sein, wenn wir die mit jenem Wort verknüpfte Disposition soweit in Kraft treten lassen, daß auch die Eigenschaft gelb darin bereits merklich vorbereitet ist. Tun wir das nicht, so wird die Zusammengehörigkeit als die heterodetische des Real-Urteils erscheinen; da wir also nicht bloß dispositiv vorstellen, sondern auch dispositiv  wissen  und da andererseits eine derartige Disposition in ganz ungleichem Maße mit einem Wort verknüpft sein kann, so kann auch das Gefühl der Zusammengehörigkeit, welches zwischen dieser und einer anderen Einstellung empfunden wird, ein mannigfaltig abgestuftes sein. Der psychologische Übergang des analytischen zum synthetischen Urteil vollzieht sich also, wie man etwa sagen könnte, nach Maßgabe der geringeren oder größeren Stärke, mit welcher die betreffende Verknüpfung bei der einen oder der anderen Vorstellung dispositiv vorhanden ist. (1) Im vollen Gegensatz zu dieser Unklarheit des Zusammenhanggefühls steht nun aber die Sicherheit der operativen Bedeutung des Urteils. Darüber sind wir gar nicht im Zweifel, daß überall, wo von Gold die Rede ist, das spezifische Gewicht 19,3 angenommen werden muß.

Und auch im anderen Sinne finden wir den eigentlichen Wert der wissenschaftlichen Einsicht von der Fixierung des Begriffs unabhängig. Das Wesentliche wird z. B. sein, daß wir aus gewissen an einem Gegenstand beobachteten Eigenschaften auf das spezifische Gewicht 19,3 schließen. Der ganze Gedankenweg, den wir dabei durchlaufen, erscheint sozusagen nur verschieden eingeteilt, je nachdem wir im vermittelnden Urteil, welches den Gegenstand für Gold erklärt, den Begriff des Goldes enger oder weiter nehmen und je nachdem wir also den letzten Schritt als analytischen oder als nomologischen Schluß auffassen. Da es uns, könnte man auch sagen, im praktischen Gebrauch unserer Gedanken auf die Richtigkeit der Endergebnisse, nicht aber auf logische Klarheit des Denkverfahrens ankommt, so findet (innerhalb gewisser Grenzen ohne Schaden) eine Vermischung des operativ Gleichwertigen, hier z. B. des analytischen und des nomologisch-realen Zusammenhanges statt.

Durften wir im bisherigen hauptsächlich darauf Gewicht legen, daß die Unbestimmtheit der Begriffe und die damit verknüpfte Vermischung der Geltungstypen ohne praktisch nachteilige Folgen bleibt, so wollen wir uns nun zu Gebieten wenden, wo das zwar in gewissem Umfang auch noch, aber doch nur mit großen Einschränkungen gesagt werden darf. besonders die Denk- und Sprechweise des gewöhnlichen Lebens ist reich an Fällen, in denen in der Form  eines  Urteils mancherlei Verschiedenes zusammengefaßt wird. Das kann nützlich geschehen, wenn das Zusammengefaßte z. B. in praktischer Beziehung zusammengehörig und gleichwertig ist. Die Zusammenfassung ist auch unbedenklich, solange die Richtigkeit aller Teile oder Seiten der gemischten Aussage außer Zweifel steht, wie z. B. wenn sie in einer Mitteilung auftritt, die ein mit dem Gegenstand Bekannter macht und ein anderer ohne weiteres als richtig entgegennimmt. Erst sobald sich Zweifel erheben, wird die Sonderung der vermischten Behauptungsinhalte naturgemäß erforderlich. Ein Beispiel derartiger Vermischung bieten die Sätze, in denen die Möglichkeit eines bestimmten zukünftigen Ereignisses ausgesagt wird. Bei genauerer Kritik können wir ihnen im allgemeinen einen mehrfachen Sinn bemerken: erstens den des problematischen Urteils, indem wir lediglich unsere subjektive Ungewißheit bezüglich des Eintretens oder Nichteintretens ausdrücken; hierzu gesellt sich als zweiter zunächst der andere, daß zur Zeit, sei es aus einem gewissen Personenkreis heraus, sei es überhaupt, niemand mit Sicherheit wisse, ob das Ereignis eintrten werde oder nicht; dazu kommt dann endlich der in vielen Fällen wohl wichtigste und am meisten betonte Sinn derartiger Sätze, ein nomologischer, darin bestehend, daß durch irgendwelche Bedingungen der Eintritt des Ereignisses den realen Gesetzen des Geschehens gemäß nicht ausgeschlossen sei. Was uns hier interessiert, ist die Vermischung dieser doch sehr verschiedenen Inhalte in  einem  Urteil; trotz derselben kann es sehr wohl psychologisch funktionieren; sofern es z. B. einem anderen gegenüber ausgesprochen wird; wird es im allgemeinen den intellektuellen Erfolg haben, daß auch dieser weder das Eintreten noch das Ausbleiben mit Sicherheit erwartet, den praktischen, daß er sich für beide Eventualitäten rüstet. Die, wie wir es ausdrückten, operative Bedeutung sichert also dem Urteil seinen psychologischen Wert. Die Vermischung der Inhalte wird hier, wie überall, ersichtlich, sobald wir nicht an eine von einer Seite gemachte und von der anderen ohne weiteres akzeptierte Mitteilung, sondern an den Fall denken, daß sich eine Diskussion darüber erhöbe, ob der Eintritt des Ereignisses als möglich zu bezeichnen sei. Alsdann würde die Sonderung der Inhalte sogleich unbedingt erforderlich sein.

Überaus häufig ferner ist die auf ähnlicher Unbestimmtheit der Begriffe beruhende Vermischung von Real-Urteilen mit Wert-Urteilen. In den seltensten Fällen gewiß werden die Wert-Urteile ganz klar als solche gedacht; meistens wird das (rein subjektive und inviduell gültige) Wert-Urteil zugleich im Sinne einer objektiv gültigen Konstatierung gegeben, bei welcher von der Annahme einer im allgemeinen übereinstimmenden Wertschätzung seitens der Allgemeinheit ausgegangen wird. Sagt mir jemand: "der italienische Rotwein der Firma X ist vortrefflich", so soll im allgemeinen nicht bloß damit gesagt sein, daß der Wein dem Urteilenden selbst schmeckt, sondern etwas von objektiver Bedeutung. Diese beiden ganz verschiedenen Bedeutungen müßten sogleich getrennt werden, wenn sich etwa eine Meinungsverschiedenheit darüber erhöbe, ob der Wein gut ist. In vielen Fällen aber wird die Unterscheidung nicht gemacht und ist tatsächlich nicht erforderlich, da der Begriff "gut" oder "vortrefflich" trotz seiner Unklarheit geeignet ist, um gewisse Folgerungen daran zu knüpfen, welche sich, sofern des intellektuelle sind, als zutreffend, sofern es praktische sind, als zweckdienlich erweisen. Solange nun diese Unterscheidung nicht gemacht wird, ist natürlich auch das Gefühl der Berechtigung, mit dem wir etwa den Satz aussprechen, ein unklares, der Sinn des unklaren Begriffs geht darin auf, daß aus seiner Prädizierung gewisse Folgerungen zu ziehen sind und die Geltung bedeutet die Berechtigung jener Folgerungen. Der psychologische Tatbestand des Urteils weist aber nur ein Zusammenhangsgefühl zweier Begriffe auf, welches, wegen der Unklarheit derselben von den typischen Geltungsgefühlen verschieden ist, aber seine operative Bedeutung hat.

Noch ein weiteres Beispiel sei hier angeführt, die Subsumtion konkreter Gegenstände (oder Vorgänge) unter gewisse, feststehende Begriffe. Stände der Begriff, unter den wir subsumieren, vollkommen fest, so würde (wenigstens bei einiger Aufmerksamkeit) kein Zweifel darüber aufkommen können, ob wir mit einer solchen Subsumtion nur das bezüglich des Gegenstandes Bekannte einer Allgemeinvorstellung einreihen (also die Subsumtion ein reines Beziehungs-Urteil darstellt) oder ob wir dabei bezüglich des realen Verhaltens Neues und Mehreres behaupten, also einen auf andere Einsichten von realer Bedeutung sich stützenden Schluß ausführen. Bei völlig scharfen Begriffen, wie gesagt, könnte hierüber nie ein Zweifel entstehen. Bei unklaren Begriffen aber wird sich auch hier, ganz ähnlich wie beim analytischen und nomologischen Urteil, der logische Charakter verwischen. Das unklare Gefühl der Zusammengehörigkeit, welches wir empfinden, wenn wir in solcher Weise subsumieren, entspricht keinem der Typen; gemeinsam mit allen anderen Arten ist ihm auch nur das Gefühl der Berechtigung, an die betreffende Statuierung gewisse weitere Folgerungen zu knüpfen. Und im Hinblick hierauf können wir auch hier wieder bemerken, daß die unklare, keinem Geltungstypus einzureihende Statuierung in vielen Fällen genügend funktioniert. Es kommt auch hier nur darauf an, daß wir z. B. wissen, wie sich in allen möglichen Beziehungen das uns entgegenkommende Tier verhält; hierzu ist uns die Subsumtion unter den Begriff "Auerhahn" nützlich und genügen, überflüssig dagegein, diesen Begriff so genau zu fixieren, daß man angeben könnte, wie viel oder wie wenig wir zu der wirklich gemachten Wahrnehmung noch durch einen Schluß ergänzen müßten, um die Subsumtion ausführen zu dürfen.

Wenn nach den obigen Ausführungen ein zu richtigen Ergebnissen führendes und praktisch brauchbares Denken trotz einer weitgehenden Vermischung der Geltungstypen möglich ist, so eröffnet freilich auf der anderen Seite die Übersicht über den weiten psychologischen Tatbestand des Urteilens ohne weiteres den Einblick in die mannigfaltigen Möglichkeiten des irrtümlichen und verkehrten Denkens. Wenn zum Tatbestand des Urteils nichts weiter gehört als ein gewisses Zusammenhangsgefühl verschiedener Begriffe, dem zunächst eine nur operative Bedeutung zukommt und dessen Zusammenhang mit endgültig klaren Urteils-Inhalten gar nicht direkt zu übersehen ist, so ist danach auch sogleich die Möglichkeit von Begriffskombinationen einzusehen, denen wir einen solchen Zusammenhang zuzutrauen geneigt sind, ohne daß sie ihn wirklich besitzen, von Pseudo-Urteilen, die etwas zu bedeuten  scheinen  und welche eine eingehendere Prüfung als ganz inhaltslos herausstellt.

Die Neigung, Betrachtungsweisen und Fragestellungen, die sich in gewissem Umfang eingebürgert und bewährt haben, ohne besondere Prüfung auf weitere Gebiete auszudehnen, hat es in der Tat zu solchen Schein-Urteilen wohl auf allen Wissensgebieten nur zu häufig kommen lassen. Auch in dieser Beziehung ist eine weitere Verfolgung der obigen Darlegungen von Interesse, weil die Klarstellung und Sonderung der Geltungstypen nicht nur die erste an ein wissenschaftlich wertvolles Denken zu stellende Anforderung darstellt, sondern auch eine, die mit einigem Aufwand von Mühe und Überlegung stets befriedigt werden kann. Die Unklarheit der Geltungsgefühle bietet, wie gesagt, die Möglichkeit für Begriffsverbindungen, die, unter dem Schein von Urteilen auftretend, bei kritischer Verfolgung sich als inhaltsleer herausstellen, die aber, für bedeutungsvoll gehalten, als Behauptungen, als Fragen, als Gegenstand der Diskussion, irre führen. Ein nicht geringer Teil der Bestrebungen, die der "Bestimmung eines Begriffes" gewidmet worden sind, sind dreartigen Täuschungen zum Opfer gefallen; ähnlich die psychologische Forschung in überaus zahlreichen Fällen (u. a. z. B. als sie an die Messung der Empfindungsstärken heranging). Wichtiger indessen als die Abwendung von rein illusorischen Ziele ist die deutliche Erfassung der wirklich wertvollen Aufgaben, die sich zumeist hinter jene unklaren Formulierungen zu verbergen pflegen. Für solche Zergliederungen bietet nun, wie gesagt, die allgemeine Einsicht in die Geltungstypen wohl den wertvollsten Anhalt; denn man wird eben stets damit beginnen müssen, auf dieser Basis sich klar zu machen, wonach man eigentlich suchen will. Namentlich die Heraussonderung der Tatbestandsfragen und die Einsicht, daß wenn das reale Verhalten einmal festgestellt ist, weitere daran angeknüpfte Fragen von irgendwelcher  anderer  Bedeutung sein müssen, ist vielfältigst fruchtbar und belehrend. Dieser Weg, wie sich fast von selbst versteht, ist, auch ohne von einer systematischen Übersicht der Geltungstypen auszugehen, vielfach und mit Erfolg eingeschlagen worden. Die Rechtswissenschaft hat in neuerer Zeit manche wertvolle Klärung und Vertiefung ihrer Untersuchungen durch derartige Betrachtungen erfahren. Es war in der Tat notwendig zu betonen, daß die Frage nach dem "Wesen des Vertrages" nicht eine Aufklärung gegebener realer Tatbestände wäre, sondern daß es sich nur um die zweckmäßige Bildung eines Begriffs handeln könne, von dem ein bestimmter praktischer Gebrauch gemacht werden soll. Wenn ferner die Aufgabe einer Gesetzesinterpretation zu der Untersuchung führt, was "der Wille des Gesetzgebers" gewesen sei, so war es nützlich, sich klar zu machen, daß diese in der Form einer Tatbestandsfrage gestellte Aufgabe vollkommen beantwortet ist, wenn man weiß, was bestimmte reale Personen gedacht, gewollt, eventuelle nicht bedacht, übersehen oder verwechselt haben und daß, wenn sich hiernach eine bestimmte Interpretation nicht ergibt, man vor allem darüber ins Klare kommen muß, was die weitere Aufgabe der Interpretation, die nun eine Real-Untersuchung jedenfalls nicht mehr sein kann, eigentlich zum Gegenstand habe. Daß ähnliche Klärungen vielfach, besonders auf dem Gebiet der Psychologie, noch sehr vonnöten wären, kann hier freilich nur, ohne weiteres Eingehen, kurz angedeutet werden. Sie sind es umso mehr, je mehr neben Tatbestandsfragen noch andere, wirklich bedeutungsvolle Aufgaben, wie z. B. in der Psychologie die Bildung von Allgemein-Vorstellungen, vorliegen, die ihrer Natur nach in ganz anderem Sinne behandelt werden müssen.

Die Bedeutung der obigen Ausführungen möchte ich zunächst darin erblicken, daß sie uns eine Anschauung davon gewähren, welche Stellung die gewöhnlich zum Gegenstand logischer Untersuchung gemachten Urteile in der Gesamtheit unseres Denkens im weitesten psychologischen Sinne einnehmen. Es ist für sie vorzugsweise charakteristisch der endgültige, auf nichts andersartiges mehr zurückzuführende Charakter des Geltungsgefühls. Ein logisch vollkommen durchgearbeitetes Denken wird ein solches sein, bei welchem die Bedeutungen jedes Denkvorganges derart geklärt und übersichtlich sind, daß sein Zusammenhang mit solchen endgültigen Behauptungsinhalten leicht übersehen und mit Sicherheit dargelegt werden kann. Selbst ein Denken aber, welches auf dieses auszeichnende Prädikat Anspruch erheben darf, kann in seinen Einzelgestaltungen, wenn nicht anders, so jedenfalls durch die bloße Zusammenfassung von mehrerlei Verschiedenartigem von den logisch fixierten Typen sich unterscheiden. Im übrigen ist klar, weshalb die logische Betrachtung von dieser Mannigfaltigkeit psychologischer Einzelgestaltungen absehen oder wenigstens sich mit einem ganz allgemeinen Hinweis auf ihre Denkbedeutung begnügen muß. Die Frage nach dem logischen Zusammenhang mehrerer Urteile, die ja stets den wichtigsten Gegenstand aller logischen Betrachtung bildet, kann überhaupt nur für Urteile im psychologisch engeren Sinn mit genau fixiertem Geltungscharakter gestellt werden. Für alle diejenigen Bewußtseinsvorgänge, die wir wohl im weiteren Sinne noch als Denkakt bezeichnen, können wir wohl (in rein psychologischer Untersuchung) zu ermitteln streben, welche Rolle sie faktisch im Ablauf der Gedankenbewegung spielen. Für jene logische Fragestellung aber fehlt beim Mangel einer definitiv geklärten Geltung naturgemäß die Basis. Material und Ausgangspunkt der logischen Betrachtung sind also selbstverständlich gewisse, psychologisch gegebene, als Gegenstand innerer Erfahrung uns zugängliche und bekannte Denkakte, es ist das aber nicht die gesamte Mannigfaltigkeit psychologischen Geschehens, die wir wohl als Denken bezeichnen; es sind vielmehr nur jene ausgezeichneten Fälle, welche sich keiner weiteren Zurückführung und Erklärung fähig, als etwas endgültig Klares und endgültig Bedeutungsvolles darstellen.

Das Ergebnis, zu dem wir gelangt sind, stellt in der Hauptsache eine gewisse Erweiterung unserer psychologischen Einsicht dar, die der logischen Betrachtungsweise verdankt wird. Man wird fragen dürfen, wie bei der vielbetonten Unabhängigkeit der beiden Behandlungen es zu einem derartigen Resultat eigentlich kommen kann und es ist nicht ohne Interesse, diese Frage zu beantworten. Die Aufmerksamkeit auf die verschiedenen Arten der Geltung, auf die Bedeutung und den logischen Zusammenhang der Urteile ist von jeher das hervorstehende Merkmal gewisser Untersuchungen gewesen, während andere ohne Interesse oder Verständnis hierfür die Vorgänge des menschlichen Seelenlebens als eine Reihe von Erfahrungstatsachen behandelten und ihre Erforschung ganz ebenso wie die aller anderen Erfahrungsgebiete in Angriff nehmen wollten. Diesen Gegensatz der logisch-kritischen und der psychologischen Fragestellung und Untersuchung wird man bemerken können, lange bevor von einer klaren Einsicht in seinen Grund die Rede gewesen ist. Tiefgreifende Unterschiede der ganzen intellektuellen Veranlagung sind es offenbar gewesen, die, gerade  vor  einer deutlichen Erkennung der Unabhängigkeit und des Verhältnisses beider Betrachtungsweisen, die Arbeiten eines Teils der Denker und Forscher in eine, diejenige anderer in andere Richtung gezogen haben. Ist nun durchgängig mit der rein psychologischen Behandlung ein gewisser Mangel zumindest an Interesse für die spezifischen Betrachtungsweisen der Logik verknüpft gewesen, so erklärt sich hieraus auch, daß dabei im allgemeinen jene Besonderheiten psychologischen Verhaltens überhaupt nicht beachtet worden sind. Aber hierin liegt, auch vom psychologischen Standpunkt aus, eine Einseitigkeit und ein Mangel der Untersuchung, ein einfaches Übersehen gewisser überaus wichtiger Tatsachen. Von der logischen Betrachtung aus an die psychologische herantretend, müssen wir nachdrücklichst betonen, daß in den Differenzen der Geltungsgefühle und insbesondere auch der Mehrheit der endgültigen Typen eine Tatsache vorliegt, mit der jeder Versuch psychologischer oder gar psychophysischer Erklärungen der Denkakte rechnen muß. In diesem Verhältnis also liegt der Grund für die psychologische Ausbeute der logischen Betrachtung.


V.

Mit den obigen Auffassungen fixiert sich von selbst auch der Standpunkt gegenüber einigen weiteren Fragen der Urteilslehre; es wird genügen, einiges Weniges in dieser Hinsicht hinzuzufügen. Zunächst: wie haben wir uns mit der Aufgabe abzufinden, das "Wesen des Urteils" anzugeben oder deutlich zu machen, worin, psychologisch, das Charakteristische des Urteils besteht? Wir werden keine Schwierigkeit haben, uns darüber klar zu werden, wie weit und in welchem Sinne eine allgemeine Charakterisierung des psychologischen Tatbestandes der Urteile überhaupt möglich ist. Man kann sagen, daß eine solche nur in sehr unbestimmter Form gegeben werden kann, weil wir eben unter "Urteil" vielerlei Verschiedenartiges verstehen, weil "Urteil" selbst eine  Allgemeinvorstellung  ist, die psychologisch verschiedenes zusammenfaßt und deren Bedeutung daher gerade wie die des Wortes  Süß  oder  Rot  nicht in einer Definition, sondern nur durch Aufzeigung von Beispielen deutlich gemacht werden kann. Und es gilt dies, worauf besonderer Nachdruck gelegt werden muß, nicht bloß für die große Mannigfaltigkeit der Gestaltungen, die der gewöhnliche Denkverlauf darbietet, sondern es wird selbst dann gelten, wenn wir uns auf die Betrachtung typischer Normalfälle beschränken. Allgemein läßt sich nicht mehr sagen, wovon wir gleich zu Anfang ausgingen, daß jedes Urteil eine Verbindung zweier oder mehrerer Vorstellungen (respektive dispositiver Einstellungen) sei, welche sich unter Hinzutritt eines besonderen psychologischen Elementes vollzieht, das wir als Geltungsbewußtsein, Zusammengehörigkeitsgefühl und dgl. bezeichnen können. Aber es ist wichtig, sich klar zu machen, daß das wesentliche und wertvolle Ergebnis einer Urteilspsychologie gewiß nicht in der Gewinnung einer solchen allgemeinen Formel bestehen kann. Einen größeren Wert könnte eine solche beanspruchen, wenn das Geltungsbewußtsein ein ganz bestimmtes, allemal genau gleichartiges Element des Urteils wäre und wenn dasselbe die Begleiterscheinung einer wiederum in allen Fällen gleichartigen Beziehung von Vorstellungen wäre. Ist das aber nicht so, sondern auch "Geltungsbewußtsein" wiederum nur eine Zusammenfassung von vielem psychologisch Verschiedenem, so ist natürlich auch mit der Aufstellung einer solchen, die Urteile allgemein beschreibenden Formel nur wenig gewonnen. Bedeutungsvoller wird alsdann, wie ja immer in solchen Fällen, die Einteilung sein, die Gewinnung einer Übersicht über das Verschiedene und die Darstellung ihres gegenseitigen Verhältnisses. In dieser Beziehung lehren nun die obigen Darlegungen, daß in der faktischen Gestaltung des alltäglichen Denkens die Geltungsgefühle von der allerverschiedensten Art sein können. Die wissenschaftliche Präzisierung der Begriffe führt dazu, diese unklaren Zusammenhangsgefühle mehr und mehr zu beseitigen und es bleiben umso reiner und isolierter, je mehr diese Aufgabe gelöst ist, eine relativ kleine Zahl gesonderter und typisch verschiedener Geltungsgefühle übrig. Aber, und dies ist von Wichtigkeit, eine Anzahl verschiedenartiger Geltungsgefühle bleibt uns, auch nach vollständigster Lösung jener Aufgabe, als etwas Endgültiges und nicht weiter Analysierbares übrig. Hier ist, wie ich glaube, der Punkt, in dem wir uns von der hergebrachten Auffassung entscheidend ablösen, die erst in der allgemeinen, alle Arten des Urteils umfassenden Charakterisierung ein wertvolles Ziel der Untersuchung zu erblicken pflegt. In dem Begriff des Geltungsgefühls können auch wir das allen Urteilen Zukommende generalisierend zusammenfassen. Aber wir verlieren selbstverständlich an Bestimmtheit in dem Maße, wie wir an Allgemeinheit gewinnen.

Es wird, wie mir scheint, immer bis zu einem gewissen Grad die Sache individuellen Geschmacks bleiben, wie weit man Neigung und Bedürfnis hat, die verschiedenen Arten der im Urteil ausgedrückten Geltung in einen allgemeinen Begriffe zusammenzufassen oder wie weit man andererseits bestrebt ist, die Unterschiede derselben zu betonen. Ist man auch (wie ich es z. B. bin) weit mehr geneigt, die Statuierung und Verfolgung dieser Unterschiede für wichtig und fruchtbar zu halten (in ihr liegt auch das Fundament aller Logik), so soll doch damit die Übereinstimmung nicht verkannt werden, welche das Gefühl der Richtigkeit, der Geltung in allen seinen Formen besitzt und welche eben im allgemeinen Begriff der  Gültigkeit  ihren Ausdruck gefunden hat. Ja, wir können sogar auch auf die Ähnlichkeit hinweisen, welche zwischen diesen Geltungsgefühlen und der ethischen und ästhetischen Billigung respektive Mißbilligung besteht und wir nähern uns damit der Betrachtungsweise WINDELBANDs, welcher logische, ästhetische und ethische Geltung in den Begriff des Normgemäßen zusammengefaßt. Niemand wird verkennen, wie zutreffend und fruchtbar dieser Gedanke für die historische Auffassung aller philosophischen Bestrebungen ist. Und auch auf modernem Standpunkt der Untersuchung ist er nicht bedeutungslos. Für die mathematischen und logischen Sätze liegt unzweifelhaft der wichtigste Punkt der Übereinstimmung in der Allgemeinheit des Sinnes. Die Unabhängigkeit der ersteren von Ort, Größe und materieller Erfüllung des Raumes, von der Natur der gezählten Gegenstaände etc., ebenso logisch die Unabhängigkeit mancher Formen von der Besonderheit der Begriffe läßt uns unmittelbar die Mannigfaltigkeit der spezielleren Gestaltung empfinden, in welcher die mathematische respektive logische Geltung auftreten kann. Hierauf beruth in erster Linie die große Bedeutung, welche die betreffenden Sätze tatsächlich haben. Da über die Komplikation der Zusammenhänge nicht ohne weiteres übersehen läßt, ob eine einzelne Größenbeziehung oder eine bestimmte Gedankenbewegung mit jenen allgemeinen und selbständig evidenten Sätzen im Einklang oder im Widerspruch ist, so entwickelt sich daraus die  Bestrebung unser Denken auch im einzelnen jenen allgemeinen Einsichten entsprechend zu gestalten, worin ja dann ganz vorzugsweise der Vergleichspunkt mit der ethischen Norm und der durch sie regulierten Willensbestrebung liegt. Ein Vergleichspunkt; aber doch, kann man auch wieder sagen, nur ein äußerlicher, den psychologischen Effekt betreffender; denn indem wir dem "Soll", von welchem die Logik redet, nachgehen, finden wir seinen Sinn doch wieder ganz ausschließlich darin aufgehend, daß ein abweichendes Denken logisch widersprechend ist. Und worin, wird man wieder fragen können, liegt denn nun das Gemeinsame des logisch Widersprechenden und des ethisch zu Mißbilligenden oder dieser beiden mit dem nach anschaulicher Evidenz mathematisch Unmöglichen? Die Gefahr einer Einmischung fremdartiger Elemente wird vielleicht noch näher liegen, wenn die gemeinsame Bestimmung im Merkmal der  Allgemeingültigkeit  gefunden werden soll. Meines Erachtens ist der zwingenden Evidenz, mit der wir die Gültigkeit eines mathematischen oder logischen Satzes empfinden, die Beziehung darauf, daß wir zu allen Zeiten oder daß sämtliche andere Menschen ebenso denken und anschauen müssen, durchaus fremd. Ich kann die Gültigkeit des Satzes, daß zwischen zwei Punkten nur eine gerade Linie möglich ist, empfinden; die Annahme aber, daß ich selbst jederzeit oder daß alle Menschen die gleiche Raumanschauung besitzen müssen, ist eine (zwar gewiß sehr wohl begründete, aber durchaus empirische) Vorstellung, auf welcher allerdings die praktische Wichtigkeit, nicht aber die eben jetzt empfundene Gültigkeit jenes Satzes beruth. Und noch weniger zutreffend erscheint es mir, den Begriff der Allgemeingültigkeit im obigen Sinne, wie es geschehen ist, auch mit der Geltung des einfachen Real-Urteils in Verbindung zu bringen.

Zu einem ganz ähnlichen Ergebnis, wie die Erörterung der Geltungsgefühle, führt auch die Untersuchung des Verhältnisses, in dem die einzelnen Elemente des Urteils zueinander stehen. Man hat sich immer bemüht, das Verhältnis des Prädikats- zum Subjektsbegriff, welches das Wesen der Aussage ausmachen soll, anzugeben. Versucht man indessen, sich im voraus darüber klar zu werden, was eine solche Untersuchung überhaupt leisten  kann,  so sieht man, daß im Verhältnis der im Urteil verbundenen Begriffe ja der materielle Sinn der Aussage stecken muß. Es erscheint also von vornherein kaum denkbar, das Verhältnis in einer Weise zu bezeichnen, welche Urteilen materiell verschiedenen Inhalts gleichmäßig gerecht wird (es sei denn, daß man sich auf die ganz unbestimmte Angabe einer "logischen Beziehung" beschränkt). Tatsächlich sieht man ja auch, daß, wie schon öfter angedeutet, in jeder Urteilsart nicht bloß das Geltungsbewußtsein, sondern auch Art und Verhältnis der verknüpften Vorstellungen ein eigentümliches ist. Im mathematischen Satz, daß die Summe der Kathetenquadrate gleich dem Hypotenusenquadrat ist, im logischen Beziehungs-Urteil, daß ein Satz notwendiges Ergebnis zweier anderer sei, im Real-Urteile, daß ein Ereignis zu der und der Zeit stattgefunden habe, sehen wir überall ganz verschiedene Elemente verknüpft. Eine Verbindung dieser Elemente macht den Sinn des Urteils aus und wir haben sie, indem wir den Sinn des Urteils angeben, bereits bezeichnet; sie noch weiter erklären zu wollen, ist, wie mir scheint, der Versuch, ein psychologisch Letztes noch weiter zu analysieren. Es ist dementsprechend auch durchaus folgerichtig, wenn ERDMANN in der Verfolgung dieser Aufgabe schließlich zu der Formulierung gelangt, daß eine "logische Immanenz" vorliege. Gewiß, man wird das sagen dürfen. Aber mir will nicht scheinen, daß mit dieser Statuierung einer logischen Immanenz noch etwas mehr ausgesagt wäre, als etwa eine "Denkbeziehung". Was haben wir gewonnen? Im Grunde, wie mir scheint, nichts weiter, als daß wir die verschiedenen Geltungsbeziehungen durch die Bildung einer Allgemeinvorstellung zusammengefaßt haben. Das kann für die psychologische Betrachtung notwendig und nützlich sein; nur werden wir nicht glauben dürfen, hierdurch irgendwie dem Wesen des Urteils näher zu kommen.

Als berechtigtes Ziel weiterer logischer Untersuchung erscheint daher auch nicht eine allgemein zutreffende Angabe des Verhältnisses von Subjekts- und Prädikatsbegriff, sondern eine Ermittlung, welche Vorstellungselemente jede Art von Urteil verknüpft verknüpft. Nicht das Wie dieser Verknüpfung, welches eine weitere Erklärung nicht mehr gestattet, wohl aber das Was der verknüpften Elemente ist eine Aufgabe, mit deren Inangriffnahme sich noch ein Feld fruchtbarer und interessanter logischer Untersuchung eröffnet, eine Aufgabe aber, die notwendig für die verschiedenen Geltungstypen unabhängig geführt werden muß. Wenn in einem Real-Urteil von konkreter Bedeutung ein generell bezeichnetes Geschehen neben einer individualisierenden Zeitbestimmung auftritt (es regnete gestern), mit welcher Aussicht soll man über die Verknüpfung dieser beiden Urteilselemente noch weiter spekulieren oder wie soll man versuchen, diese Verknüpfung unter einen gemeinsamen Gesichtspunkt zu bringen mit derjenigen des Subjekts- und Prädikatsbegriffs, etwa im Urteil: die Zahl 43 ist eine Primzahl? Berechtigt aber und wichtig erscheint die Frage, ob in alle Real-Urteile zeitliche Bestimmungen eingehen, in welcher Form usw.

Mit der Behandlung derartiger Aufgaben (2) wendet sich, wie mir scheint, am entschiedensten die neuere Untersuchung von den Wegen der älteren Logik ab; denn diese wurde an der Stellung solcher Aufgaben dadurch verhindert, daß sie als eine rein formale nach einer tatsächlich unerreichbaren Allgemeinheit streben zu müssen glaubte. Dadurch wurde es ihr unmöglich, über die unfruchbare Lehre von der Verknüpfung des Subjekts- und Prädikatsbegriffs hinaus zu gelangen. - Da eine Verfolgung dieses Gegenstandes natürlich außerhalb des Rahmens dieser Abhandlung liegt, so muß ich hier auch die Erläuterung schuldig bleiben, aus welchem Grund und in welchem Sinne davon ausgegangen wurde, daß durchweg im Urteil eine von einem Geltungsgefühl begleitete Verknüpfung mindestens zweier Vorstellungen vorliegen müsse.
LITERATUR - Johannes von Kries, Zur Psychologie der Urteile, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 23, Leipzig 1899
    Anmerkungen
    1) Es verdient dabei hervorgehoben zu werden, daß die Sicherheit und Stärke des Zusammengehörigkeitsgefühls keineswegs vom Grad dieser dispositiven Vorbereitung abhängig ist. Ein Urteil kann ein typisch synthetisches sein, die Zusammengehörigkeit also deutlich als eine Neu.-Hinzufügung empfunden werden, gleichwohl aber völlig sicher erscheinen. Der Übergang in die Empfindungsweise des analytischen Urteils hängt nicht von der Sicherheit, sondern weit mehr von der Gewöhnung ab. In den altgewohnten Urteilen tritt dieser Charakter der Selbstverständlichkeit immer mehr hervor, indem das Prädikat immer mehr zum Subjektsbegriff gerechnet wird.
    2) Als Untersuchungen dieser Richtung erscheinen mir z. B. die neuerdings sich häufenden Erörterungen der Impersonalia, die gewiß trotz der noch starken Divergenz der Auffassungen schon durch die ganze Auffassung der Aufgabe einen der bedeutungsvollsten Fortschritte gegenüber der älteren Logik darstellen.