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PAMELA M. FISHMAN
Macht und Ohnmacht
in Paargesprächen

"Konversation wird nicht nur dadurch produziert, daß einfach zwei Leute reden, sondern durch ihr aktives Übereinkommen, gegenseitig im Gespräch zusammenzuarbeiten. Interaktionen sind deshalb immer potentiell problematisch..."

Mein Interesse gilt der Politik von Alltagsgesprächen zwischen Männern und Frauen. Durch unsere Gespräche - besonders durch Privatgespräche zwischen einer Frau und einem Mann - konstruieren wir ständig Definitionen der Realität und erhalten sie aufrecht. Durch Gespräche werden unsere privaten Gedanken und unser persönliches Verstehen in zwischenpersönliche und damit öffentliche Realitäten verwandelt. Die Dinge, über die wir reden, nehmen Gestalt und Subtilität an, wir können auf sie zurückweisen. Sie bilden einen integralen Teil der sozialen Welt, die wir mit anderen gemeinsam haben. Obwohl viel von unseren täglichen Gesprächen trivial erscheinen mag, ist es so, daß wir tatsächlich durch sie definieren, was wichtig, was wertvoll und was wirklich ist.

So können wir, wie es BERGER/LUCKMANN (1967) tun, Macht definieren als die Fähigkeit, Wirklichkeit zu definieren, die eigene Version der Welt in Situationen durchzusetzen, wo unterschiedliche Definitionen der Situation bestehen. Es ist klar, daß bestimmte Personen wegen der vorherrschenden ökonomischen und politischen Definitionen der Realität mehr Macht haben, ihre Definitionen durchzusetzen. Männlich/weibliche Machtbeziehungen in unserer Gesellschaft sind das Ergebnis der sozialen Organisation von Tätigkeiten im Haus und in der Gesellschaft.

Aber Macht ist nicht einfach eine abstrakte Kraft, die auf Menschen operiert. Macht ist auch eine Leistung, etwas, das Personen in konkreten Interaktionen tun. Die größeren gesellschaftlichen Beziehungen sind nicht nur in unserem täglichen Leben reflektiert, sie müssen auch ausagiert und aufrechterhalten werden.

So zielt meine Analyse von Konversationen darauf hin, herauszufinden wie männlich/weibliche Macht durch Gespräche in Szene gesetzt und ausagiert wird.

Es besteht eine Arbeitsteilung in Gesprächen. Obwohl die Frauen generell mehr arbeiten, kontrollieren die Männer gewöhnlich die Gespräche, die Paare führen. Da die Bemerkungen von Männern sich öfter zu einem Gespräch entwickeln als diejenigen der Frauen, können Männer definieren, was besprochen wird und welche Aspekte der Wirklichkeit am wichtigsten sind.

Frauen müssen ganz bestimmte Arten von interaktioneller Arbeit in Gesprächen mit Männern leisten. Darüber hinaus wird von uns im allgemeinen gefordert, verfügbar zu sein. Die konversationelle Arbeit, die von Frauen erwartet wird, unterscheidet sich je nach Situation; manchmal müssen wir Publikum sein, "gute Zuhörerinnen", weil man uns gerade nicht anders benötigt. Wir müssen Pausen füllen und dafür sorgen, daß die Gespräche in Gang bleiben. Manchmal müssen wir die Themen anderer Leute entwickeln und manchmal unsere eigenen Themen präsentieren und entwickeln.

Die Forderungen, daß Frauen für Interaktionen verfügbar sind, sind subtil. Wenn wir Frauen diese Forderungen nicht erfüllen - wenn wir nicht "auf natürliche Weise" verfügbar sind -, haben wir Probleme. Frauen, die ruhig dabeisitzen, während ein Gespräch in Gefahr ist zu mißglücken, werden für feindselig und unfähig gehalten. Frauen, die darauf bestehen, Interaktionen zu kontrollieren, und die dabei erfolgreich sind, werden kritisiert vor allem von Männern, die den Status der Frauen als Frauen angreifen. Sie werden schnell dominant, aggressiv, übergewichtig genannt. Wenn Frauen auch nur für kurze Zeit versuchen, das Gespräch mit Männern zu kontrollieren, fängt oft ein Streit an.

Frauen, die sich interaktionell nicht wohlverhalten, werden bestraft; oft wird impliziert, daß sie keine "wirklichen" Frauen sind. Die sexuelle Identität ist aber von großer Wichtigkeit. Sie ist die natürlichste differenzierende Eigenschaft, die wir haben. Aber nicht nur unser Körper definiert das Geschlecht. Wir müssen uns auch konstant weiblich oder männlich verhalten, damit unser Geschlecht als selbstverständlich in den Interaktionen anerkannt wird. Wir müssen ständig unser Geschlecht beweisen.

Dieses aktive Aufrechterhalten des Geschlechts erfordert von Frauen, daß sie verfügbar sind, um genau das zu tun, was gerade in Interaktionen verlangt wird. Da die interaktionelle Arbeit mit der weiblichen Identität verbunden ist, mit dem, was eine Frau ist, wird die Tatsache, daß es Arbeit ist, oft verdeckt. Es wird nicht gesehen als etwas, das wir tun, sondern als Teil dessen, was wir sind, ähnlich wie die Sorge um Haus und Kinder, auch als ein Teil dessen, was Frauen sind, gesehen wird. In beiden Fällen wird der Wert und die Notwendigkeit der Arbeit hinter dem Deckmantel von sexueller Arbeitsteilung verdeckt.

Anfänglich wollte ich Auseinandersetzungen zwischen Frauen und Männern aufnehmen, denn diese sind konversationelle Machtkämpfe. Aber es zeigte sich, daß ich keine Auseinandersetzungen bekam. Statt dessen entdeckte ich, daß solche offenen Machtkämpfe gar nicht nötig waren, um die Unterdrückung von Frauen in Alltagsunterhaltungen zu beleuchten. Es ist eher so, daß die trivialen Alltagsgespräche eine Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen in der Konversation zeigen, die unsere generellen Positionen von Macht und Ohnmacht unterstützt.

Konversation wird nicht nur dadurch produziert, daß einfach zwei Leute reden, sondern durch ihr aktives Übereinkommen, gegenseitig im Gespräch zusammenzuarbeiten. Interaktionen sind deshalb immer potentiell problematisch und können nur von einem Redebeitrag zum anderen durch die ständigen Anstrengungen der Teilnehmenden aufrechterhalten werden. Sie müssen miteinander begonnen, entwickelt und beendet werden.

Jede Bemerkung oder jeder Beitrag in der Unterhaltung ist ein Versuch, die Unterhaltung herzustellen. Die Frage, ob der Versuch erfolgreich ist oder nicht, hängt von der Bereitwilligkeit der Teilnehmenden ab, interaktionelle Arbeit zu leisten. Wenn eine Person einen Versuch macht, hat die andere die Macht, den Versuch zu einer Konversation weiterzuführen oder ihn sofort abzustoppen.

Wie wird dann diese Interaktionsarbeit in Privatunterhaltungen zwischen einer Frau und einem Mann geleistet? Wer macht welche Art von Arbeit? Um das herauszufinden, hörte ich 52 Stunden Aufnahmen von Unterhaltungen zwischen drei Paaren ab, die zugestimmt hatten, ein Uher-4000-Aufnahmegerät in ihren Wohnungen aufzustellen. Die Wohnungen waren so klein, daß das Aufnahmegerät alle Unterhaltungen in der Küche und dem Wohnzimmer aufnehmen konnte wie auch lautere Unterhaltungen aus dem Schlafzimmer und Bad.

Das Aufnahmegerät stand in den Wohnungen zwischen vier und 14 Tage lang. Die Bänder konnten vier Stunden ohne Unterbrechungen laufen. Obwohl automatische Timer die Bänder an- und abstellen konnten, bestanden alle drei Paare darauf, sie manuell zu bedienen. Ununterbrochene Aufnahmen gehen von einer bis zu vier Stunden.

Die Gespräche schienen natürlich und von der Gegenwart des Aufnahmegerätes unbeeinträchtigt zu sein. Die Teilnehmenden konnten alles löschen, was sie löschen wollten, ehe sie mir die Bänder übergaben, dies wurde allerdings nur in drei Fällen gemacht.

Die Paare hatten verschieden lange Zeit zusammengelebt - von drei Monaten bis zu zwei Jahren. Sie waren Weiße und professionell orientierte Leute, von denen alle mit Ausnahme von einer Frau, die Sozialarbeiterin war, in der "graduate school" waren. (In der "graduate school" spezialisieren sich Leute nach Abschluß des College auf bestimmte Gebiete und schließen mit Magister bwz. Doktor ab.) Die Paare waren im Altern zwischen 25 und 35. Zwei der Frauen waren erklärte Feministinnen, und alle drei Männer sowohl wie die dritte Frau beschrieben sich als "aufgeschlossen der Frauenbewegung gegenüber" und als "feministische Sympthisanten".

Schon ehe ich meine Analyse begann, machte ich einige interessante Entdeckungen durch informelle Unterhaltungen mit den Leuten, die willens waren, aufgenommen zu werden. Zunächst waren es in allen drei Fällen die Männer, die das Aufnahmegerät aufstellten und die es fast immer an- und abstellten, manchmal, ohne daß sie es den Frauen sagten. Der umgekehrte Fall passierte nie.

Nun bedeutet eine Unterhaltung zu kontrollieren mehr, als nur das Thema zu kontrollieren, nicht nur worüber gesprochen wird, sondern ob überhaupt ein Gespräch stattfinden wird und unter welchen Bedingungen es stattfinden wird. Das Aufnahmegerät brachte ein neues Element in die Routine der Situationen zu Hause. Das Aufnahmegerät zu kontrollieren bedeutete, einen Teil der Situation zu kontrollieren, in der ein Gespräch stattfinden würde.

Und zweitens gab es das Problem, daß Interaktionen, die normalerweise privat sind, nun einer dritten Partei zur Verfügung standen, nämlich der Forscherin. Zusätzlich zu der Kontrolle der Bänder, die die Männer ausübten, machten sie noch andere Versuche, das zu kontrollieren, was ich zu hören bekam. Zum Beispiel halfen mit die Klicks, die aufgenommen werden, wenn die Maschine an- und abgestellt wird, Zeitsegmente aufzuteilen. Ein Mann löschte in sorgfältiger Weise alle Klicks auf den Bändern und erschwerte so meine Versuche, verschiedene Zeitsegmente zu identifizieren.

Ein anderer Fall war noch schlimmer. Ich hatte den Fehler gemacht, ein Paar zu bitten, mir bei der Transkription eines besonders schwierigen Bandes von ihrer Konversation zu helfen, eine Konversation, die über eine Auswahl des Buchclubs ging. Sie konnten sich tatsächlich auf diesem Band nicht besser hören, als ich es konnte, und der Mann wollte von mir wissen, warum ich an dieser Unterhaltung Interesse hätte. Er versuchte zu erraten, wonach ich schaute, ärgerte sich darüber, daß ich eine buchstäbliche Transkription wollte, und erklärte mir, daß nur der Kern der Konversation, den er mir sagen könnte, wichtig sei. Wiederholte Male versuchte er, mir die Bedeutung der Konversation zu erklären und seine Motivation für das, was er sagte, zu geben.

Diese Vorarbeiten führten mich dahin zu sehen, daß es viel wahrscheinlicher ist, daß Männer Gespräche kontrollieren als Frauen. Die Männer vergewisserten sich, daß sie immer wußten, wann ihre Interaktionen für mich verfügbar waren durch die Kontrolle des Aufnahmegeräts, aber es interessierte sie nicht, die Frauen das wissen zu lassen. Wenn sie die Möglichkeit hatten, versuchten sie außerdem, meine Interpretationen der Konversationen zu kontrollieren.

Die Daten, die ich benütze, resultieren aus den 52 Stunden Aufnahmen natürlicher Konversation, von denen ich 12,5 Stunden transkribierte. Ich benütze eine interaktive Perspektive, um diese Konversationen zu analysieren. Das heißt, nachdem ich Unterschiede zwischen dem konversationellen Stil von Frauen und dem von Männern entdeckt habe, ist meine Frage nicht, welche Faktoren in der Persönlichkeit von Frauen und Männern oder in ihrer Sozialisation bedingen, daß sie auf diese oder jene Weise sprechen. Sondern für mich ist die Frage, welche Arbeit leistet eine bestimmte Äußerung? Welches interaktionelle Problem löst diese Äußerung?

Für mich ist jede Äußerung ein Versuch zum Gespräch, der erst Teil des wirklichen Gespräches wird, wenn die anderen sich auf ihn hin orientieren und auf ihn reagieren. Eine Äußerung könnte nur lautes Vor-sich-Hindenken sein. Sie wird zu einem Teil einer Unterhaltung, wenn ihr keine Antwort folgt. Jede gegebene Äußerung ist deshalb eine Koproduktion der beiden Gesprächsteilnehmer. Mein Interesse ist, die Arbeit zu analysieren, die Frauen und Männer leisten, wenn sie Gespräche beginnen, aufrechterhalten und beenden.

Ein natürlicher Ort, um die Analyse davon, wie Machtbeziehungen in Konversationen ausagiert werden, zu beginnen, sind die Gesprächsthemen. (Wessen vorgeschlagene Gesprächsthemen werden wirkliche Konversationsthemen.)

In den zwölf Stunden, die ich transkribierte, fand ich 76 eingebrachte Gesprächsthemen. Davon initiierten die Frauen 47, die Männer 29. Das heißt, die Frauen brachten zwischen 1,5 und zweimal so viele Gesprächsthemen ein wie die Männer.

Aber ein Thema einzuführen, gewährleistet nicht, daß es ein Thema wird, über das gesprochen wird. Ein Thema einzuführen ist ein Versuch, ein Gespräch zu beginnen, und nicht eine Garantie, daß ein Gespräch stattfinden wird. Damit das Thema erfolgreich wird und in ein tatsächliches Gespräch übergeht, müssen beide Gesprächsteilnehmenden mitarbeiten. Sie müssen sich auf das Thema hin und aufeinander orientieren.

Es ist nicht nur notwendig, daß eine Person das Thema einführt, sondern die anderen müssen auch darauf reagieren, mindestens einige dieser Reaktionen müssen zur Elaborierung des Themas beitragen. Als Minimum müssen beide Leute sich im Gespräch abwechseln und auf diese Weise ihre gegenseitige Orientierung aufeinander und auf das Gesprächsthema hin zeigen.

Wir wollen deshalb sehen, was mit den Gesprächsthemen, die Frauen und Männer einführten, passierte, ob sie erfolgreich waren und tatsächlich Gespräche wurden oder ob sie mißlangen. Von den 47 Themen, die von den Frauen eingeführt wurden, waren 17 erfolgreich. Also während die Frauen 62 Prozent aller Versuche machten, ein Thema einzuführen, machten diese nur 38 Prozent der konkreten Gesprächsthemen, die bearbeitet wurden, aus.

Es ist klar, daß die Frauen sehr viel größere Schwierigkeiten hatten, Unterhaltungen in Gang zu bringen als die Männer. Wir können das Versagen der Frauen nicht aufgrund der Inhalte der Gesprächsthemen erklären, denn das, worüber die Frauen und die Männer reden wollten, war sehr ähnlich, z.B. ein Zeitungsartikel, ein Tagesereignis, Freundinnen und Freunde, das Abendessen, die Arbeit.

Die Themen, die Frauen einführten, mißlangen, weil die Männer nicht mit der nötigen Aufmerksamkeit reagierten, die für den Fortgang eines Gesprächs nötig ist. Sie haben entweder über lange Zeit, während Frauen redeten, keine Beiträge gemacht, oder sie haben nur minimal reagiert. So eine minimale Reaktion füllt zwar den Platz eines Gesprächsbeitrags aus, aber tut nichts, um das Gespräch fortzuführen, und nur wenig, um ein Interesse daran zu zeigen.

Im Gegensatz dazu waren die Themen der Männer erfolgreich, nicht weil sie einfach interessanter waren, sondern weil die Frauen ihren Teil zur Konversation beitrugen. Die Frauen reagierten jedes Mal regelmäßig und in nicht minimaler Weise; sie zeigten ihre Orientierung auf die Themen hin, indem sie konversationelle Beiträge machten.

Die Themen, die Männer initiierten, waren also erfolgreich, weil beide Parteien mitarbeiteten, um den anfänglichen Versuch in eine wirkliche Konversation umzuwandeln. Auf diese Weise kontrollierten die Männer die Definition des Paares von dem, was wirklich ist, was wichtig und unwichtig ist, welche Themen wert sind, diskutiert zu werden, und welche nicht.

Im Zusammenhang mit den Anstrengungen, die Frauen machen müssen, um gehört zu werden, um Aufmerksamkeit für ihre Beiträge zu bekommen, wollen wir uns jetzt den unterschiedlichen Arten von Strategien zuwenden, die Frauen benützen, um ihre Chancen für Erfolg zu erhöhen. Diese Strategien sind zwar mehr bei Frauen zu finden, aber sie werden auch von Männern benützt. Männer benützen sie die wenigen Male, wenn sie Schwierigkeiten haben, eine Unterhaltung aufrechtzuerhalten.

Frauen stellen mehr Fragen als Männer, und zwar mehr Fragen jeglicher Art. In meiner Transkription stellten die Frauen zweieinhalbmal so viele Fragen wie Männer: 263 zu 107. Davon waren 152 Bitten um Information oder Klärung. Männer stellten nur 74 solcher Bitten, d.h. daß Frauen zweimal so viele Fragen dieses Typs als Männer stellten.

Ungefähr ein Drittel der 263 Fragen waren "tag questions" ("Isn't ist?", "Shouldn't we?", "Couldn't we?") oder Fragen, die die Funktion von Behauptungen hatten ("Should we do our grocery shopping?", "Isn't it a nice day?") Die Frauen stellten dreimal so viele dieser Fragen als die Männer. Ein großer Teil dieser Fragen hätte nicht als Frage formuliert werden müssen. Warum benützen Frauen diese Fragen?

Die letzten beiden Fragetypen wurden z.B. von LAKOFF (1978) als Indikatoren für die unsichere und zögernde Persönlichkeit von Frauen interpretiert. Wenn wir aber Fragen interaktiv ansehen, daraufhin, was sie konversationell für eine Arbeit leisten, sehen wir, daß sie die Lösung des Problems darstellen, mit dem Frauen konfrontiert sind, nämlich, daß es unsicher ist, ob ihre Konversationen zustande kommen. Anstatt also das Fragenstellen als einen Ausdruck unsicherer Persönlichkeit zu interpretieren, sehen wir uns die interaktiven Eigenschaften der Fragen an. Welche Arbeit leistet eine Frage?

Das Stellen von Fragen versucht, eine Voraussetzung herzustellen, daß Konversationen überhaupt stattfinden können. Damit zwei oder mehr Leute miteinander sprechen, müssen sie sich darüber einig sein, miteinander zu sprechen. Sie müssen diese Einigkeit zeigen, indem sie sich gegenseitig aufeinander orientieren, und sie müssen miteinander sprechen und einander antworten als ein Zeichen dieser gegenseitigen Orientierung. Sie müssen sich im Gespräch abwechseln, und sie müssen eine Verbindung zeigen zwischen dem, was sie zueinander sagen.

HARVEY SACKS, der mit dieser interaktionellen Perspektive arbeitete, hat als erster darauf hingewiesen, daß Fragen ein Teil der Kategorie "konversationelle Segmentierungsmechanismen" sind; Fragen bilden den ersten Teil eines Äußerungspaares, Antworten den zweiten Teil. Fragen und Antworten sind also miteinander konversationell und normativ verbunden.

Fragen sind sowohl explizite Einladungen für den Zuhörer zu antworten, als auch Aufforderungen, das zu tun. Die oder der Fragende hat das Recht, sich zu beschweren, wenn keine Antwort kommt. Fragen sind interaktiv stärkere Formen als Behauptungen. Eine Behauptung kann auf einfachere Weise ignoriert werden. Die Zuhörenden können z.B. behaupten, daß sie nicht wußten, daß die oder der Sprecher zu Ende waren, oder daß sie dachten, die Sprechenden würden laut vor sich hindenken.

Ein Beweis für die interaktive Kraft von Fragen zeigt sich in dem Erfolg oder Mißerfolg von Themeneinführungen. In früheren Arbeiten stellte ich bereits fest, daß Frauen unterschiedliche Äußerungstypen benützen, um Themen einzuführen, und daß sie nur in 38 Prozent der Fälle erfolgreich waren, ihre Themen in konkrete Konversationen umzuwandeln.

Im Gegensatz dazu waren die Männer in allen mit Ausnahme von einem ihrer Versuche erfolgreich. Wenn wir aber die Anzahl der Versuche anschauen, bei denen dei Frauen mit Hilfe einer Frage versuchten, ein Thema einzuführen, dann springt ihre Erfolgsrate hoch. Von 18 Versuchen, die Fragen waren, gelang es bei 13, ein Thema zu einem Gesprächsthema zu machen. Diese Erfolgsrate von 72 Prozent ist beinahe doppelt so hoch wie die generelle Erfolgsrate von 38 Prozent. Die Männer benützten in ihren 29 Versuchen sechsmal Fragen, welche alle gelangen.

Frauen stellen so häufig Fragen, nicht weil sie eine schwache Persönlichkeit haben, sondern weil Fragen kraftvolle Mittel in der Konversation sind. Frauen haben größere Schwierigkeiten, Konversationen in Gang zu bekommen und sie in Gang zu halten, wenn sie mit Männern sprechen. Ihr häufigerer Gebrauch von Fragen ist ein Versuch, das konversationelle Problem zu lösen, eine Reaktion auf ihre Äußerungen zu bekommen.

Ein ähnliches Mittel, welches die Frage-Antwort-Sequenz erweitert, wurden von Frauen zweimal so oft benützt wie von Männern: "You know what?" (Weißt du was?) Diese Frage garantiert nicht nur eine Antwort, sondern die Antwort "what?" (was?) ist wieder eine Frage, die die erste Sprecherin einlädt, fortzufahren. Auf dieses Mittel machte SACKS aufmerksam, als er Unterhaltungen von Kindern mit Erwachsenen analysierte. Er wies darauf hin, daß Kinder "Weißt du was?" benützen, weil sie eingschränkte Rechte zu sprechen haben. Dieser Gebrauch zeigt die eingeschränkten Rechte und stellt eine strategische Lösung für sie dar.

Ein anderes Mittel, das zweimal so oft von Frauen benützt wurde wie von Männern, um die notwendige Aufmerksamkeit für Konversationen herzustellen, sind Eingangsbemerkungen wie "Das ist aber wirklich interessant". Konversationen hängen an der Annahme, daß die Äußerungen von jedem Sprechenden von einigem Interesse sind. Im Idealfall muß dieses Interesse nicht explizit gemacht werden, denn es zeigt sich, indem beide Gesprächsteilnehmer sich aufeinander hin orientieren. In der Praxis ist es aber so, daß Frauen nicht von der Teilnahme der Männer und ihrer Orientierung ausgehen können und deshalb oft auf eigene Faust versuchen, das Interessen von dem, was sie sagen, zu etablieren.

Ein anderer Mechanismus, auf den ich jetzt genauer eingehe, ist die Äußerung "Weißt du?" LAKOFF diskutierte Umgehungen als einen zusätzlichen Aspekt der Unsicherheit von Frauen. Mit Umgehungen meinte sie den häufigen Gebrauch solcher Äußerungen wie "sorta", "like" und "you know" (Weißt du?). Ich werde mich hier nur mit "Weißt du?" befassen, da es ein Mechanismus ist, den ich in meinen Analysen behandelt habe. In meinem Transkript benützen Frauen "Weißt du?" fünfmal so oft wie Männer, genau wie LAKOFF es vorhersagte.

Frauen leisten mehr konversationelle Arbeit als Männer. Sie arbeiten, um den Themen der Männer zum Erfolg zu verhelften, indem sie ihre volle Teilnahme in der Konversation zeigen. Frauen arbeiten auch, um ihre eigenen konversationellen Versuche zum Erfolg zu bringen, indem sie Strategien benützen, um die Aufmerksamkeit und Reaktion ihrer Gesprächspartner zu erhalten. Wegen der Sichtbarkeit dieser Arbeit scheint es so, daß Frauen mehr Aufmerksamkeit brauchen als Männer. Es erscheint uns so, weil die Frauen für die Aufmerksamkeit, die nötig ist, damit Unterhaltung überhaupt stattfinden kann, arbeiten müssen, wohingegen Männer nicht aktiv für diese Aufmerksamkeit arbeiten müssen. Männer kontrollieren die Gespräche genauso durch Veto wie durch positive Anstrengung.

Warum, könnten wir fragen, benützen Frauen nicht die gleiche Verweigerung, an den Themen der Männer teilzunehmen, die die Männer bei den Frauen benützen? Warum insistieren sie nicht auf ihrem Recht, gehört zu werden? Meine Antwort ist, daß diese konversationelle Arbeit in einer starken Weise von Frauen verlangt wird und sehr wohl mit der weiblichen Geschlechtsidentität in Verbindung steht. Das heißt, eine der Weisen, in der eine Frau zeigen kann, daß sie weiblich ist, ist die, konversationelle Arbeit für Männer zu leisten, ohne Kontrolle darüber zu haben, welche Art von Realität auf diese Art und Weise interaktiv produziert wird.

Frauen, die sich weigern, diese Arbeit zu leisten, oder die darauf insistieren, gehört zu werden, haben Schwierigkeiten der verschiedensten Art. Frauen, die konsistent versuchen, Gespräche zu kontrollieren, werden als dominant empfunden, und ihre Weiblichkeit wird in Zweifel gezogen. Wenn eine Frau auch nur vorübergehend sich weigert, konversationelle Arbeit zu leisten, fragt man: Was ist mit ihr los, was stimmt mit ihr nicht? Wenn ein Mann ein Thema einer Frau nicht aufnimmt und die Frau es nicht fallenläßt und darauf besteht, daß er ihr Aufmerksamkeit schenkt, kann ein Streit ausbrechen. Im Ernstfall kann die Verweigerung der Teilnahme oder das Bestehen auf dem eigenen Gesichtspunkt zur körperlichen Gewalt gegen die Frauen führen.
LITERATUR - Pamela M. Fishman: "Macht und Ohnmacht in Paargesprächen" in Senta Tröml-Plötz (Hrsg): Gewalt durch Sprache - Die Vergewaltigung von Frauen in Gesprächen