cr-3Gewalt durch SpracheGesellschaft u. SprachverhaltenAnders redenFiktives GeschlechtPaargesprächeWie Sprache verletzen kann
 
NANCY HENLEY
Nichtverbale Kommunikation
"Wenn wir Frauen Macht verstehen wollen, und zwar auf beiden Ebenen, der politischen und der mikropolitischen, die die erstere aufrechterhält, dann müssen wir mehr über nichtverbale Kommunikation lernen."

Gesellschaftliche Systeme verfügen sowoh über Regeln zu ihrer Kontrolle, z.B. über Regeln, die die Anpassung der Menschen an das System gewährleisten, als auch über Regeln, die die Erklärung für solche Anpassung formulieren. Da soziale Kontrolle am besten ausgeübt werden kann, wenn sie nicht evident ist, und wir am besten beeinflußt werden können, wenn wir in dem Glauben sind, daß wir aus unserem eigenen freien Willen heraus agieren, ist die beste Erklärung für unser Verhalten aus der Sicht der Mächtigen nicht die, die auf der gesellschaftlichen Kontrolle, die in das System eingebaut ist, basiert, sondern die, die die freiwillige Anpassung der Menschen an das System herausstellt.

Typisch für ein System wie das unsere sind die Regeln, die die Konformität seiner Mitglieder erklären:
  • Es gibt keine Regeln - es herrscht völlige Handlungsfreiheit.
  • Das Verhalten wird als Manifestation individueller Unterschiede (Bedürfnisse, Triebe, Tendenzen und Verirrungen) erklärt und nicht als Zwang oder Einfluß von außen.
In unserem Gesellschaftssystem gilt die Ideologie der Gleichheit. Soziale Ungleichheit, soziale Schichten werden über psychologische Rationalisierung erklärt. So besagt eine dritte Erklärungsregel, daß alle Menschen gleiche Chancen haben und deshalb die Unterschiede in ihren Berufen, Privilegien etc. auf ihre Fähigkeiten, ihre Präferenzen, ihre Sympathien und Antipathien zurückzuführen sind, nicht auf ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse oder auf ihren unterschiedlichen Zugang zur Macht.

Diejenigen, die diese den Status quo erhaltenden Erklärungen in Frage stellen, werden mit Beweismaterial konfrontiert, das scheinbar freiwillig gewählte Anpassung und freiwillig gewählten Gehorsam zeigen soll oder die interne psychologische Motivation der Wahl; sie werden darauf hingewiesen, was für massive Kontrollen nötig wären, um ein ganzes Volk oder auch nur die halbe Bevölkerung in Unterwerfung zu halten.

Meine These ist, daß nonverbale Kommunikation zu einem großen Teil dazu dient, diese massive, verdeckte Kontrolle auszuüben, eine Kontrolle, die insbesondere die weibliche Hälfte unserer Bevölkerung in einer De-facto-Unterwerfung hält. Viele Probleme, mit denen Frauen konfrontiert werden, wenn sie sich mit Macht befassen, gewinnen an Perspektive, wenn der Stellenwert des nichtverbalen Verhaltens für die Erhaltung der Machtstruktur betrachtet wird. Nichtverbales Verhalten ist ein Hauptfaktor der Kommunikation, es soll sogar mehr als viermal informativer sein als verbales Verhalten.

Obwohl populär-wissenschaftliche Publikationen und akademische Forschungen uns nahelegen, nichtverbale Kommunikation hauptsächlich als von emotionalem Inhalt geprägt zu sehen, gibt uns der nichtverbale Kanal tatsächlich sehr viel Information über Status, Dominanzverhalten und Machtbeziehungen. Gerade weil nichtverbales Verhalten als trivial angesehen wird und noch wenig erforscht ist, ist es ein perfekter Weg für subtile Beeinflußung.

Wir werden durch die nichtverbale Kommunikation unbewußterweise von anderen beeinflußt, oder es wird uns gesagt, daß unser eigenes nichtverbales Verhalten etwas vermittelt, was uns nicht bewußt ist. Überdies ist nichtverbale Kommunikation für Frauen von größerer Wichtigkeit als für Männer, und zwar in verschiedener Hinsicht. Wir Frauen werden zu Fügsamkeit erzogen, die uns ganz besonders aufnahmebereit für solche subtile Kontrolle macht. Und im Gegensatz zu anderen machtlosen Gruppen stehen wir in unmittelbarer Verbindung zu den Machtzentren, z.B. als Ehefrauen und Sekretärinnen, was häufige Interaktion mit den Mächtigen nötig macht.

Schließlich und endlich sind wir sensibler, was nichtverbale Signale anbelangt - eine Eigenschaft, die sowohl Geschenk als auch Belastung für die Unterdrückten ist. Sklaven wurden für besonders sensibel gegenüber anderen Menschen gehalten, und bei Schwarzen wurde größere nichtverbale Sensibilität festgestellt als bei Weißen. In der Interaktion zwischen Frauen und Männern können viele nichtverbale Akte entweder als Dominanzsignale, die von Männern ausgehen, gesehen werden, oder als Unterwerfungssignale, mit denen Frauen darauf antworten.

Obendrein kommt der nichtverbalen Kommunikation für die Ausübung von Macht eine einzigartige Position zu. Sie steht an der Trennungslinie zwischen offenem und verdecktem Ausdruck sowohl der Dominanz als auch der Unterwerfung. Betrachten wir jetzt den Faktor Macht.

Macht kann definiert werden als Fähigkeit, andere zu beeinflußen, die bestimmt wird durch die Kontrolle von Gütern. Diese Güter müssen gegen diejenigen, die sie nicht haben, verteidigt werden, um die Fortdauer der Macht sicherzustellen. Obwohl die Grundlage der Macht letztlich physische Gewalt ist, wird die soziale Kontrolle im allgemeinen nur mit der geringsten Andeutung von Kraft und durch ein kompliziertes System von unterstützenden Institutionen, Sitten und Gewohnheiten aufrechterhalten.

Macht wird in einem Kontinuum ausgeübt, welches von der kleinsten zu der größten Gewaltanwendung reicht. Dieses Kontinuum enthält mindestens die folgenden Schritte vom Subtilsten zum Eklatantesten:
  • Internalisierte Kontrolle: das eigene Gewissen oder Über-Ich, auch Kolonialisierung des Geistes genannt. Dies wird in der Sozialisation angeeignet.
  • Die Struktur der Umgebung: Strategisch plazierte Erinnerungen in unserer Umgebung ergänzen die internalisierte Kontrolle und halten uns auf unserem Platz, wenn die Sozialisierung fehlschlägt.
  • Nichtverbale Kommunikation: Kontrolle wird durch andere Leute über nichtverbale Zeichen von Billigung und Mißbilligung, von Dominanz und Unterwerfung ausgeübt. Macht ist oft in solchen Körpersignalen inkorporiert.
  • Verbale Kommunikation: Wir müssen uns auf subtile oder ganz deutliche Weise von denen, die Macht über uns haben, sagen lassen, was wir zu tun haben. Natürlich können Äußerungen von Zuneigung, Abneigung und Überraschung, Witze und Scherze diese Ausübung von Macht verschleiern, genausogut wie Befehle sie explizit machen.
  • Milde körperliche Einschränkungen: Manchmal werden wir von Agenten der sozialen Kontrolle in Gestalt unserer gleichgestellten Familienmitglieder, in Gestalt von Autoritätsfiguren und sogar Fremden eingeschränkt. Sie halten unsere Hände, unsere Arme, kicken unser Schienbein, legen ihre Hand über unseren Mund und bewahren uns so vor dem, was man nicht tut, was man nicht sagt.
  • Längerfristige Beschränkungen: Die Staatsmacht erlaubt, einige Bürger aus Gründen der körperlichen und psychologischen Bestrafung dafür, daß sie den sozialen und gesetzlichen Kodex gebrochen haben, in Gefängnisse einzusperren.
  • Waffen, Tod, Krieg: Die endgültige Macht äußert sich in brutaler Gewalt derer, die die Kontrolle über Waffen haben. Hier, wo die Macht bedroht ist, hören subtile und freundliche Gesten auf.
Wie bereits gesagt, ist nichtverbales Verhalten in diesem Kontinuum zwischen geheimer und offener Kontrolle und zwischen verdecktem und offenem Widerstand angesiedelt. Es ist genau die Stelle, wo Menschen kontrolliert werden müssen, damit die Gesellschaftsstruktur intakt bleiben kann. Die Kontrolle scheint in vielen Formen von nichtverbaler Kommunikation, die machtbezogen ist: Die Forschung aus verschiedenen Richtungen zeigt, daß Leute von höherem Status Kontrolle über mehr persönlichen und anderen Raum ausüben, daß ihnen größere Freiheit im Verhalten erlaubt ist, daß sie mehr dazu neigen, andere zu berühren, und daß sie weniger körperliche Spannung ausdrücken als Personen von niedrigerem Status.

Die Forschung zeigt auch, daß diese Verhaltensweisen, die hohen Status indizieren, von Männern ausgeübt werden; das Verhalten von Frauen in diesen Bereichen hat die Form von unterwürfigerem und sich mehr anpassendem Verhalten. Andere Ergebnisse zeigen, daß Personen, die mehr Macht haben, andere anstarren können, ohne die ersten zu sein, die die Augen abwenden, daß sie weniger lächeln und weniger Emotionen zeigen und im allgemeinen persönliche Informationen zurückhalten; untergeordnete Personen dagegen wenden ihren Blick ab, wenn sie angestarrt werden, lächeln häufig und zeigen größere emotionale Breite. Wir erkennen auch diese Verhaltensweisen als charakteristisch für Frauen.

Bestimmte menschliche Gesten sind analog zu den Dominanz- und Unterwerfungsgesten, die für Primaten festgestellt wurden, z.B. ist das Anstarren eine Geste der Dominanz, auf die mit einer Unterwerfungsgeste durch Abwenden des Blickes oder durch Blinzeln reagiert wird; Berührung zeigt Dominanz, sich berühren lassen zeigt Unterwerfung. Unterbrechung ist dominant - das Wort abzugeben ist unterwürfig. Ähnliches gilt bezüglich der Ausbreitung im Raum auf Kosten anderer bzw. bezüglich des Zurücktretens, des Aussendens strenger Blicke oder des Zurücklächelns. Wiederum ist es so, daß die Gesten der Dominanz eher von Männern ausgeübt werden und die Gesten der Unterwerfung eher von Frauen.

Ein weiterer Aspekt von nichtverbalem Dominanzverhalten ist, daß es eine subtile körperliche Bedrohung mit sich bringt: z.B. sind Anstarren, auf jemanden zu zeigen, sich vor jemandem aufzubauen konkrete Kampfelemente; sie sind wahrscheinlich Überreste einer in ihrem Ursprung körperlichen Konfrontation. Wegen ihrer Sozialisierung können Frauen schnell und unbewußt durch solches Dominanzgebaren eingeschüchtert werden und selbst solches Verhalten nicht einsetzen.

Diese Beobachtungen geben uns eine neue Sichtweise was die unterwürfige Haltung von Frauen anbelangt. Viele der weiblichen Verhaltensweisen, die als Selbstbeschränkung interpretiert wurden, sind vielleicht in Wirklichkeit nichts anderes als das Ende einer Folge, in der Selbstbehauptung versucht worden war und auf einer nichtverbalen Ebene unterdrückt wurde.

Auf ähnliche Weise kann uns das Studium des nichtverbalen Verhaltens über andere Fragen aufklären, die für die Befreiung von Frauen grundlegend sind: In der nichtverbalen Kommunikation sehen wir, wieviel Persönliches in Wahrheit politisch ist. Einiger der für den Zusammenhang von Frauen und Macht relevanten Fragen, die durch das Studium von nichtverbalem Verhalten angegangen werden können, sind:
  • In welchen Formen kann sich Macht ausdrücken, und wie funktioniert sie dynamisch? Welche Formen und welche Dynamik finden in Beziehungen eine besondere Anwendung gegenüber Frauen?
  • Was für Analogien können wir ziehen und was für Ähnlichkeiten können wir sehen zwischen der Ausübung von Macht über Frauen und der Ausübung von Macht gegenüber anderen Gruppen - Schwarzen, Homosexuellen, Kindern, anderen rassischen und ethnischen Minoritäten, der Arbeiterklasse etc.? Was für Unterschiede gibt es in den Formen von Macht, die gegenüber diesen unterschiedlichen Gruppen ausgeübt wird? Welches sind die Ähnlichkeiten und Unterschiede in den Reaktionen auf diese verbale Macht?
  • Wie ist die Beziehung zwischen institutionalisierter Macht und individueller Machtbeziehung, d.h. zwischen dem Makropolitischen und Mikropolitischen? Wie ist die Beziehung persönlicher Macht in Bezug zu stellen zu Fragen gesellschaftlicher Kontrolle - und wie "trivial" ist das Studium persönlicher Macht? Was für Informationen bekommen wir aus der Erforschung von nichtverbaler Kommunikation, die für ein Selbstbehauptungstraining wichtig sind?
  • Welche Ziele sollen durch das Studium der Macht verfolgt werden - Verteidigung und/oder Angriff? Führt Macht, die ausgeübt wird, um sich zu verteidigen, zu Macht, die ausgeübt wird, um zu dominieren? Wird das Wissen über Macht und ein Verständnis von Macht, z.B. durch das Wissen über nichtverbale Kommunikation, genauso wie die versteckte und mißverstandene Macht zur Korruption führen?
Zusammenfassend sind meine Behauptungen:

Macht ist die Fähigkeit, andere zu beeinflußen oder zu zwingen, und sie basiert auf der Kontrolle von wichtigen Gütern. Sie wird in einem Kontinuum, das von der gerinsten bis zu der größten Anwendung von Gewalt reicht, ausgeübt. Im allgemeinen wird die mildeste Form von Gewalt, die ausreicht, den gewünschten Effekt zu erreichen, benutzt. Nichtverbales Verhalten ist eine Hauptmethode innerhalb der Kommunikation in unserem Alltagsleben, und Macht ist ein Hauptthema innerhalb der nichtverbalen Kommunikation.

Nonverbale Kommunikation funktioniert als Methode sozialer Kontrolle sowohl auf der größeren Ebene als auch auf der kleineren Ebene der interpersonalen Dominanz. Weil in unserer Kultur nichtverbales Verhalten als trivial bezeichnet wird, ignoriert wird und wir in der Schule nichts darüber lernen, ist es eine vage Stimulussituation. Die Interpretation nichtverbalen Verhaltens ist deshalb sehr empfänglich für soziale Beeinflussung, z.B. für Erklärungen, die Geschlechtsstereotypen verwenden, die wieder den Status quo aufrechterhalten.

Viele nichtverbale Verhaltensweisen haben die doppelte Funktion, Dominanz als auch Intimität auszudrücken, jeweils abhängig davon, ob sie asymmetrisch oder symmetrisch von den Teilnehmenden in einer Beziehung benützt werden. Deshalb kann nichtverbale Dominanz, wenn sie angegriffen wird, als Intimität ausgegeben werden. Tausende von täglichen Handlungen der nichtverbalen Beeinflussung repräsentieren als nonverbale Machtgesten eine mikropolitische Struktur, die der makropolitischen unterliegt und sie stützt.

Nichtverbales Verhalten nimmt eine entscheidende Position in dem Kontinuum ein, in welchem Macht ausgeübt wird, zwischen offener und verdeckter Kontrolle und zwischen verdecktem und offenem Widerstand. Weil Frauen vor allem bezüglich des Widerstandes gegen Macht sehr viel vorsichtiger sein müssen als Männer, fallen ihre Aktionen genau in diesen Bereich.

Nichtverbale Kontrolle ist auch deshalb von besonderer Bedeutung für Frauen, weil sie sensibler auf Kontrollsignale reagieren und wahrscheinlich auch mehr das Ziel solcher Kontrolle sind. Der überwiegende Teil des geschlechtsspezifischen nichtverbalen Verhaltens ist anerzogen und nicht genetisch vorgegeben; er wird entwickelt, um Unterschiede zwischen den Geschlechtern, die ansonsten unwichtig wären, herauszustellen. Viele nichtverbale Verhaltensweisen, die bedeutungslos und nicht machtbezogen erscheinen, sind tatsächlich Aspekte von Geschlechtsprivilegien oder reflektieren gesellschaftliche Vorurteile, die schließlich auf Machtunterschieden begründet sind.

Die Verhaltensweisen, die von Männern und Frauen in der gleichen Beziehung der Geschlechter benützt werden, snd oft parallel zu denen, die Dominanz und Unterwerfung zwischen Ungleichen ausdrücken. Die sexuelle Anziehung kann den größeren Gebrauch von Dominanz- und Intimitätsgesten durch die Männer nicht genügend erklären. Das Sich-zu-eigen-Machen von nichtverbalen Machtsymbolen durch Frauen kann ignoriert, verleugnet oder auch bestraft werden, es wird jedenfalls nicht akzeptiert.

Die Verleugnung von Dominanzgesten, die von Frauen ausgehen, geschieht oft in der Form, daß die Geste als sexuelles Manöver interpretiert wird und nicht als Akt der Dominanz. In bezug auf die Erklärung weiblichen Unterwerfungsverhaltens, spielt nichtverbales Verhalten für beide Ansätze eine Rolle, für den, der die Sozialisation heranzieht, und auch für den, der den Faktor der äußeren Kontrolle betont: Vieles, was im Verhalten von Frauen als Selbsteinschränkung interpretiert wird, ist in Wirklichkeit das Ergebnis einer Folge von Handlungen, in denen eine Frau Selbstbehauptung versuchte, aber auf der nichtverbalen Ebene unterdrückt wurde.

Wenn wir Frauen Macht verstehen wollen, und zwar auf beiden Ebenen, der politischen und der mikropolitischen, die die erstere aufrechterhält, dann müssen wir mehr über nichtverbale Kommunikation lernen. Auf jede wichtige Entscheidung in Washington oder Wall Street, bei der es darum geht, ob und wieviel Zucker oder Öl wir haben, welche Information wir zu lesen bekommen, kommen Tausende unbeachteter stiller Machtgesten - der anstarrende Blick, die stillmachende Berührung, das Ergreifen des Armes -, die garantieren sollen, daß wir keine Frage an unseren Chef, an unseren Mann oder unseren Liebhaber stellen und ganz gewiß nicht an Washington oder Wall Street.
LITERATUR - Nancy Henley, "Nichtverbale Kommunikation und die soziale Kontrolle über Frauen" in Senta Tröml-Plötz (Hrsg): Gewalt durch Sprache - Die Vergewaltigung von Frauen in Gesprächen