tb-1p-4cr-2WindelbandH. HöffdingG. MoskiewiczO. Külpe     
 
RICHARD HÖNIGSWALD
Prinzipienfragen der
Denkpsychologie

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"Beherrscht nicht das Moment des  Sinns,  so wird man zu fragen haben, die gesamte Problemlage der Psychologie? Es gibt im Psychischen keinen von einer möglichen Sinnbezogenheit unabhängigen Faktor."

"Auch das Gefühl ist, wenn ich so sagen darf,  im Sinn.  Nicht nur, wie man vielleicht zunächst und mit vollem Recht denken wird, hinsichtlich seiner Beziehung z. B. zum Ganzen eines künstlerischen Gebildes, also zu dessen spezifischer  Wahrheit;  sondern auch schon im Hinblick auf die elementarste Form seiner Einordnung in die Gesamtheit des psychischen Seins. Nur im Hinblick auf  Bedeutungen  nämlich ist der unerläßliche Beziehungsmittelpunkt des Gefühls selbst, das  Ich,  bestimmt, nur in Bezug auf  Bedeutungen  gewinnt das Gefühl überhaupt psychische Realität."


IV.

Hier scheint mir auch der logische Ort für den Hinweis auf ein Problem zu sein, das, wie kaum ein zweites, den prinzipiellen Charakter der denkpsychologischen Forschung bestimmt. Ich meine den Komplex von Fragen, der durch den Begriff "Sinn", bzw. durch das Begriffspaar "Sinn" und "Sinnlosigkeit" bezeichnet wird. Es steht, wie kaum zweifelhaft sein kann, in der innigsten Verknüpfung mit dem Moment der "Bedeutung". Kann man den Begriff des Denkerlebnisses, das jeglicher Bedeutung ermangelte, als einen Widerspruch in sich selbst bezeichnen, so gilt ein gleiches hinsichtlich der Annahme, es sei ein Denkerlebnis ohne jegliche Beziehung auf einen "Sinn" möglich. Man wird einwenden, es könne auch Sinnloses, Unsinniges gedacht werden. Gewiß! Aber  indem  es gedacht wird, wird zugleich die Möglichkeit gefordert, es an einem Sinn zu messen. Nur im Hinblick und in Bezug auf eine solche Möglichkeit kann "Sinnlosigkeit" überhaupt prädiziert werden. (1) Das wiederum aber schließt den Gedanken in sich, daß "Sinn" und "Sinnlosigkeit", ungeachtet oder vielleicht  wegen  ihres Gegensatzes, durch die Normen und die Bedingungen der  gleichen  Gesetzlichkeit umfaßt werden. - Es wäre im Zusammenhang hiermit von erheblichem theoretischen Interesse, das Verhältnis der Begriffe "Sinn", "Sinnlosigkeit" und "Widersinn" zu analysieren. Im Verlauf einer solchen Analyse würde, wie mir scheint, in besonders nachdrücklicher Form die grundsätzliche Einheit in der Struktur des Fundaments zutage treten, auf dem sich die Reihe jener Begriffe aufbaut.

Aber diese Untersuchung läge bereits außerhalb des Kreises unserer gegenwärtigen Aufgabe. Im Hinblick auf diese genügt es  eines  festzuhalten. Der Umstand, daß jeglichem Denken gegenüber mit Recht die Frage muß gestellt werden können:  "Was  ist gedacht worden?" - ist nur ein anderer Ausdruck für den Tatbestand des Orientiertseins allen Denkens am Moment und an der allgemeinsten Norm des "Sinns". Die spezifische Form der Gliederung, welche durch die unerläßliche Frage nach dem "Was" des Denkens vorausgesetzt und gefordert ist, und der "Sinn" sind korrelative Faktoren. Jene Form aber ist keine andere als die Relation der Geltung überhaupt. Im Hinblick auf diese muß daher das Denkerlebnis als solches zu bestimmen sein; im Hinblick auf sie aber verknüpft es sich unlösbar mit der Gesetzlichkeit der  Urteilsform.  Nur in Beziehung auf ein Denkerlebnis kann von einer solchen Gesetzlichkeit gesprochen werden. Und nur im Hinblick auf diese Gesetzlichkeit kann andererseits von einem Denkerlebnis die Rede sein. In einem solchen Sinn ist die Gesetzlichkeit der Urteilsform eine Bedingung des Denkerlebnisses und damit zugleich eine Bedingung, von der auch die  phänomenologische  Analyses dieses Erlebnisses unweigerlich beherrscht erscheint.

Kein Objekt - das Wort im denkbar weitesten Sinn verstanden - unabhängig vom Moment der Geltungsbestimmtheit; und kein Denken unabhängig von der Beziehung auf ein Objekt. So aber berühren sich in den Prinzipien der Denkpsychologie auch die Begriffe "Objekt" und "Sinn".  Als "Sinn", so darf man sagen, wird hier das "Objekt" zum Problem.  - Eine der schwierigsten Fragen der Erkenntniswissenschaft ragt damit in den Bereich unserer Erwägungen hinein, um hinsichtlich dieser selbst eine prinzipielle Entscheidung vorzubereiten. Ich versuche sie mit ein paar Strichen festzuhalten. - Die Funktion der Geltungsbestimmtheit ist, wie wir eben gesehen haben, eine Voraussetzung des Faktors "Sinn". Gerade deshalb aber fällt sie mit diesem nicht zusammen. Andererseits bedarf gerade hier der Begriff der  Voraussetzung  noch einer näheren und tiefer dringenden Bestimmung. Nicht dieses nämlich kann gemeint sein, daß der "Sinn" die Form der Geltungsbestimmtheit voraussetzt, so etwa, wie ein besonderer mathematischer Lehrsatz einen allgemeineren voraussetzt. Und auch nicht nur dies, daß der "Sinn" durch jene Geltungsbestimmtheit gegenständliche Valenz erhält. Sondern vor allen Dingen dies: daß er kraft jener Geltungsbestimmtheit auch selbst zum  Träger der Gegenstandsfunktion  wird. Indem er durch das Moment der Geltungsbestimmtheit den Charakter der Denkbarkeit erlangt, erfüllt er die erste und oberste der Bedingungen, um selbst gegebenfalls anderen Faktoren von sinnbestimmtem Charakter gegenüber die Bedeutung einer  Norm  gewinnen zu können. Mit anderen Worten: es gehört zum Begriff des Faktors Sinn, daß er sich nicht in der Form des Urteils erschöpft; auch ist er mehr als ein durch diese Form bestimmter Urteilsinhalt. Er ist, so könnte man sagen, die  Bestimmtheit des Urteilsinhalts  als solche einerseits durch die Form des Urteils, andererseits gemäß der vorhin fixierten Beziehung der Erlebbarkeit.

Die Analogie zwischen der Struktur des Faktors "Sinn" und dem Begriff des gültigen  Wertes,  der ja mit dem der Geltung keineswegs zusammenfällt, (2) wird damit offenkundig und von selbst ergibt sich auf Grund dieser Analogie eine wissenschaftstheoretische Beziehung von der höchsten prinzipiellen Tragweite zwischen  Psychologie  und  Biologie  - um vom Ausblick auf die logische Struktur der  Kulturwissenschaften  hier ganz abzusehen. Denn es unterliegt kaum einem Zweifel: Wenn - kantisch gesprochen - die Bedingungen für die "Möglichkeit" der  Physik  Determinationen der bloßen Form des Urteils darstellen, so gehört zur "Möglichkeit" der Psychologie die spezifische Bestimmtheit des Urteilsinhalts als  "Sinn".  Was man instinktiv fühlt, und was sich in der Praxis des Wissenschaftsbetriebs hundertfach geltend macht, das erscheint in einem solchen Zusammenhang auf eine, wie ich freilich weiß, noch sehr unfertige und der kritischen Ausgestaltung in hohem Maße bedürftige Formel gebracht: der "teleologischen" Beziehung, die für das  biologische  Urteil konstitutiv ist, entspricht in der Struktur der Psychologie die Funktion des  "Sinns". 

Ich sage der  Psychologie  schlechthin und nicht allein der  Denkpsychologie;  - und ich bin mir wohl bewußt, damit auf eines der schwierigsten Probleme hingedeutet zu haben, die hinsichtlich der Prinzipien der Psychologie überhaupt gestellt werden können. Niemals sicherlich war es einsichtigen Forschern entgangen, daß der Gedanke eines Konglomerats isolierter Elemente die spezifische Gesetzlichkeit des Psychischen so wenig zu kennzeichnen vermöchte, wie die Vorstellung eines bloßen Aggregats von Teilen die des Organismus. Ohne Schwierigkeit ließen sich die Konsequenzen dieser Einsicht in der Geschichte der Metaphysik und der Erkenntniswissenschaft nachweisen; - einer Geschichte, deren Wechselfälle, wie man weiß, durch die Jahrhunderte auch in die Geschicke der  Psychologie  bestimmend eingegriffen haben. Und mit Leichtigkeit ließe sich der Beweis erbringen, daß auch die Psychologie dem angedeuteten Gesichtspunkt in den mannigfachsten Formen, bewußt oder unbewußt, stets Rechnung getragen habe - selbst da, wo sie das Zurückgreifen auf isolierte Elementarbestadteile als ihren obersten methodischen Grundsatz proklamiert hatte. Im Hinblick darauf wäre es dann auch in hohem Maße förderlich, den Begriff der "Assoziation" und damit die Geschichte der sogenannten "Assoziationspsychologie", einmal ausdrücklich unter dem Gesichtspunkt des Gegensatzes zwischen der "Assoziation" und der "Isolation" der supponierten Elementarbestandteile ins Auge zu fassen. Es würde, wie ich meine, auch schon im Verlauf  dieser  Untersuchung, also immer noch auf dem Boden der Assoziationspsychologie selbst, die Aufmerksamkeit auf das System der methodischen Forderungen hingelenkt werden, die ihre volle und bewußte Entfaltung freilich erst in der Denkpsychologie erfahren konnten. Denn hier erst war die Lehre von der "Mosaikstruktur des Seelenlebens", wie es in einer der eindruckvollsten Kundgebungen KÜLPEs heißt, (3) in aller Form und prinzipiell entwurzelt; hier erst alle Voraussetzungen der These erfüllt, daß "die anschaulich gegebenen Inhalte" nur noch "als künstliche Abstraktionen", als "willkürlich herausgelöste und verselbständigte Bestandteile" eines umfassenderen Zusammenhangs nun kann nach allem, was festgestellt worden ist, kein Zweifel sein. Es ist der Zusammenhang, wie ihn eben das  Denken  begründet: das  im  "Sinn" und durch die Beziehung  auf  den "Sinn" gesetzte System von Relationen.

Und sofort läßt uns die gleiche Erwägung noch tiefer vordringen: die schlechthin universelle psychologische Bedeutung des Faktors "Sinn" ist es, die, wenn nicht alles täuscht, als eines der bedeutsamsten Ergebnisse einer Erörterung der Prinzipien der Denkpsychologie zu betrachten sein wird.  Beherrscht nicht das Moment des "Sinns", so wird man zu fragen haben, die gesamte Problemlage der Psychologie?  Ist das, was man zutreffend die "Substanzialität des sinnlichen Eindrucks" genannt hat, (4) nicht das Produkt eines nur durch die historische Entwicklung der Psychologie bedingten und durch gewisse methodische Gesichtspunkte vielleicht begünstigten Absehens von der immanenten Beziehung des sinnlichen Eindrucks auf den Zusammenhang des Denkens, und ist nicht vielleicht die systematische Anerkennung gerade  dieses  Zusammenhangs das wichtigste Geschäft einer wirklich  exakten  Betrachtung des Psychischen? - Man braucht diese Fragen nur zu stellen, um sofort die Konsequenzen zu überschauen, zu welchen ihre, unter den dargelegten Voraussetzungen wohl unvermeidliche Bejahung hinführt. Sie bestehen, um es mit einem Wort zu sagen, in dem Satz von der "Affinität" alles Psychischen zur Norm der Verknüpfung im "Sinn", seiner Fähigkeit, in den Zusammenhang des Denkens hineinverwoben zu werden, kurz, in der Annahme, daß jede Vorstellung ansich schon - um die Worte eines der erfolgreichsten jüngeren Forscher auf dem Gebiet der Denkpsychologie anzuführen - "ihren unanschaulichen Gehalt" besitze. (5) Von selbst versteht es sich dabei, daß die These von der grundsätzlichen Sinnbetontheit alles Psychischen der Forderung in keiner Weise präjudiziert [vorschreibt - wp], "denselben unendlichen Nuancenreichtum" wie er der Anschauung eigen ist, auch für die Bedeutungsintention der Anschauung vorauszusetzen. (6) Dabei ist jene grundsätzliche Sinnbetontheit des Anschaulichen, von der ich spreche, ein rein  theoretischer  Charakter; d. h. ich will mit dem Wort "Sinnbetontheit" nicht gesagt haben, daß sich der "Sinn" in jedem psychischen Gebilde und im Rahmen jeder psychologischen Untersuchung sozusagen als psychische Realität aufzeigen lassen muß; - denn das hieße den Ergebnissen der psychologischen Forschung in einer durchaus unkritischen Weise vorgreifen. Ich wollte vielmehr nur den Grundsatz ausgesprochen haben und begründen, daß es für die denkpsychologische Fragestellung der Natur der Probleme nach eine  prinzipielle  Grenze innerhalb der Psychologie nicht geben kann; und zwar weder für deren experimentelle Form, die ja aus naheliegenden Gründen von der Rücksicht auf den Faktor "Sinn" nicht weniger beherrschaft sein muß als jene.

Es offentbart sich eben auf dem Gebiet der Methodenlehre der Psychologie ein Verhalten, das dem Logiker der  Biologie  längst geläufig ist. Ebenso, wie bei der Entfernung von den höchsten und komplexesten Formen der Lebensvorgänge nach der Richtung ihrer elementaren Konstituentien hin niemals der "Nullpunkt des Lebens", wenn ich mich so ausdrücken dürfte, erreicht werden kann, gerade, weil der  Begriff  des Lebens für die Gesamtheit möglicher Probleme der Biologie konstitutiv ist; - ebenso hätte man auch mit der grundsätzlichen Forderung eines "Nullpunktes der Bedeutung" die Grenzen der Psychologie bereits überschritten. Kein Gebiet der letzteren vermag ich daher aus dem Umkreis dieser Betrachtungen auszuschalten; und von größtem wissenschaftlichen Interesse scheint es mir zu sein, daß dieselbe Entwicklungsepoche unserer Wissenschaft, der es beschieden gewesen ist, die Probleme der im engeren Sinn des Wortes gefaßten  Denk psychologie zu entdecken, auch den Begriff und tiefgründige Analyse einer Psychologie des  emotionalen  Denkens (7) zeitigen sollte. Auch das Gefühl ist, wenn ich so sagen darf, "im Sinn". Nicht nur, wie man vielleicht zunächst und mit vollem Recht denken wird, hinsichtlich seiner Beziehung zum Ganzen eines künstlerischen Gebildes, also zu dessen spezifischer "Wahrheit"; sondern auch schon im Hinblick auf die elementarste Form seiner Einordnung in die Gesamtheit des psychischen Seins. Nur im Hinblick auf "Bedeutungen" nämlich ist der unerläßliche Beziehungsmittelpunkt des Gefühls selbst, das "Ich", bestimmt, nur in Bezug auf Bedeutungen gewinnt das Gefühl überhaupt psychische Realität. Man kennt die alte These, daß Gefühle nur als "Begleiterscheinungen" an "Empfindungen" oder an "Vorstellungen" gebunden auftreten. Sie ist eine durch besondere methodische Gesichtspunkte bedingte Formel für dieselben bedeutungstheoretischen Zusammenhänge, um deren Herausstellung es ich uns hier allein handelt. - Und noch ein zweites Moment darf in dieser Hinsicht geltend gemacht werden. Nur  Bedeutungen  gehen in die charakteristische Form des Psychischen ein, die sich in der Relationsfolge: "ich weiß", "ich weiß, daß ich weiß" usw. offenbart. Nun ist es bezeichnend, ja für die theoretische Bewertung der gesamten Problemlage geradezu entscheidend, daß sich auch das "Gefühl" der gleichen Relationsfolge widerspruchslos eingliedert.

Immer tiefer greift also in die ungeheure Komplexion des psychischen Lebens als dominierende Relation der Faktor "Sinn" ein und als der ernstesten Erwägung bedürftig erscheint mir, gerade auch unter rein  psychologischen  Gesichtspunkten, der Umstand, den ich kurz die Tendenz alles Psychischen zum Sinnvollen hin, das  "Sinnhafte"  des Psychischen nennen möchte. Nur ein  relativ  sinnloses, so könnte man den Gedanken vielleicht auch formulieren, hat im Gefüge des Psychischen Raum; und vielleicht hört sinnlos verknüpften Elementen gegenüber das Suchen nach einem sinnbetonten Anhaltspunkt nur mit dem psychischen Leben selbst auf. Ich denke, indem ich diesen Satz ausspreche, nicht nur an die bekannte Erscheinung, daß auch der "Unsinn" seinen Grenzen hat; sondern vor allen Dingen an die rein psychologische Tatsache, daß eine zunächst "sinnlose" Verknüpfung von Elementen durch längeres Perseverieren [Beharren - wp] eine unleugbare Tendenz zur Sinnbetontheit gewinnt.


V.

Wohl erhält, wenn wir uns nun wieder  allgemeineren  Fragen zuwenden, im Begriff des "Sinns" oder genauer: in dem der "möglichen Bedeutung", die fundamentale Unterscheidung von  "Inhalt"  und  "Gegenstand"  ihre volle Bekräftigung; aber so, daß diese letzten Endes unter psychologischen Kategorien stehende Unterscheidung erkenntnistheoretischer Tatbestände mit jener anderen, auf dem Boden der Erkenntniswissenschaft selbst entstandenen, interferiert: mit derjenigen von  Inhalt und Form des Urteils.  - Die Komplexion dieses Sachverhalts ist nur ein anderer Ausdruck für die unbestreitbare Tatsache, daß sich in den Prinzipienfragen der Denkpsychologie die Interessensphären  aller  theoretischen Sonderdisziplinen der Philosophie kreuzen. Eine Theorie des Denkens - denn Denken heißt Objektdenken - ist eben immer auch ein Theorie des  Objekts. 

Deutlicher vielleicht noch werden diese Zusammenhänge an dem Punkt, an dem sich der "Sinn" zur  "Wahrheit"  determiniert, an dem also die Prinzipienfragen der Denkpsychologie die Interessensphären  aller  theoretischen Sonderdisziplinen der Philosophie kreuzen. Eine Theorie des Denkens - denn Denken heißt stets Objektdenken - ist eben immer auch eine Theorie des  Objekts. 

Deutlicher vielleicht noch werden diese Zusammenhänge an dem Punkt, an dem sich der "Sinn" zur  "Wahrheit"  determiniert, an dem also die Prinzipienfragen der Denkpsychologie in diejenigen der  Erkenntnispsychologie  übergehen. "Wahrheit" ist eine Determination des "Sinns". Die Wahrheit  muß  sinnvoll sein. Sie ist es ipso facto [de facto - wp]. Wohl aber ist das Sinnvolle als solches noch lange nicht wahr. So muß in erhöhter Komplexion, aber auch in deutlicherer Ausprägung, in der Struktur der "Wahrheit" zur Geltung kommen, was schon diejenige des "Sinns" enthalten hatte, die Entfaltung nach den beiden Dimensionen hin, die der für beide Begriffe konstitutive Faktor der Geltung in sich schließt: nach derjenigen, um es mit zwei Schlagworten zu bezeichnen, eines für sich seienden und in sich ruhenden "Reiches der Wahrheit" und nach derjenigen ihrer "Erlebbarkeit". Teilen sich in die erstere positive Forschung und Erkenntniswissenschaft, so bemächtigen sich der letzteren, und zwar nach verschiedenen Gesichtspunkten, nach Gesichtspunkten, die in ihrer Struktur zum Teil selbst wieder Charakteres der Bedingungen positiver Forschung aufweisen, Phänomenologie und Erfahrungspsychologie; jene als die Theorie der Bedeutungserfassung als solche, diese als die Analyse der Gesetzlichkeit, die die zeitliche Bestimmtheit des Bedeutungserlebnisses beherrscht. Eine Frage nun, in deren Beantwortung, wenn ich mich nicht irre, eine der wesentlichsten Aufgaben der theoretischen Philosophie der nächsten Zukunft bestehen wird, ist die, inwieweit die Theorien des erfaßten und des unabhängig von der Relation des Erfaßtseins betrachteten Objekts nach den Gesichtspunkten einer umfassenden,  kritischen,  Problemstellung verknüpft werden könnten.

Ein System besonderer Kriterien also muß es sein, durch welches sich die Wahrheit gegen den "Sinn", dessen Normen sie im übrigen unterliegt, abgrenzt.  Es ist das System der Bedingungen der Erkenntnis.  Psychologie des  Erkennens  ist die durch das genannte System modifizierte Theorie des "Sinns" und so selbst  an  jenes System als an ihre unerläßliche Voraussetzung gebunden. In einem solchen Verhalten offenbart sich die natürliche, d. h. mit ihrem Begriff schon gesetzte Grenze - und damit freilich auch wieder die methodische Kraft - aller Denkpsychologie sowohl als Phänomenologie wie auch als Erfahrungswissenschaft. (8) Der "intentionale Gegenstand" ist, um es mit einem Wort zu sagen, erkenntnisindifferent. Er ist "intentional", ganz gleich ob er negativ oder positiv, ob er "absurd oder in irgendeinem Sinne des Wortes "möglich" ist. Gewiß, mit den "Gegenständen" wechselt die "kategoriale Beschaffenheit auch der "Akte". Aber schon der Begriff des Gegenstandes als solcher liegt außerhalb der Grenzen möglicher Phänomenologie. Ja gerade dieses letztere ist für die phänomenologische Betrachtungsweise in allen ihren Formen - ich denke hierbei in erster Linie auch an die "Gegenstandstheorie" MEINONGs - charakteristisch. Wie der "Gegenstand" dem "Akt", genauso ist der Begriff des Gegenstandes der phänomenologischen Erörterung "transzendent". Vollends aber entbehrt die Phänomenologie ihrem Begriff nach aller  Kriterien  für die  Bewertung  von Objekten im Sinne jener spezifischen Bestimmtheit des Bedeutungserlebnisses, die der Begriff der  "Wahrheit"  bedingt. Kraft jener  Kriterien  aber erst werden, um es so auszudrücken, die intentionalen Gegenstände für eine mögliche Phänomenologie des  Erkennens  gesetzt. Kein Ersatz für die kritische Erkenntnistheorie ist somit die Phänomenologie, wie manche glauben; sondern ein unerläßlicher und einer kaum noch absehbaren Entwicklung fähiger Teilbestand der Denkpsychologie, als solcher freilich auch eine unerschöpfliche Quelle erkenntnistheoretischer Probleme (9).

So gliedern sich unter stets wechselnden Gesichtspunkten und in immer steigender Komplexion die gesamten Bestrebungen der theoretischen Philosophie an den Begriffen Sinn und Wahrheit, nicht ohne dabei diesen Begriffen selbst in ihrem wechselseitigen Verhältnis immer neue Bestimmungen hinzuzufügen. Wohl wird das Moment der "Wahrheit", wie wir gesehen haben, beherrscht durch die Normen des "Sinns". Aber andererseits ist die Sinngemäßheit einer  gegebenen  Beziehung stets wieder nur an einer "Wahrheit" zu messen. Es braucht nicht gesagt zu werden, daß die Konstatierung dieses Wechselverhältnisses keinen Zirkel in sich schließt. Denn im ersten Fall war die Rede gewesen vom  Begriff  der Wahrheit, während im zweiten die Rede ist vom  Kriterium,  nicht vom Begriff, des Sinns: nur in irgendeiner Beziehung  auf  die "Wahrheit" kann im  konkreten  Fall von "Sinn" gesprochen werden.

Sinnhaftigkeit, oder vielleicht richtiger und allgemeiner Sinnbezogenheit, Sinngemäßheit, und Wahrheit bezeichnen die Etappen des Bedeutungserlebnisses, oder sagen wir so: die Etappen, in denen sich die dominierende Funktion des Bedeutungserlebnisses im Psychischen überhaupt ausprägt; - zugleich die zentralen Punkte, an denen sich die erkenntnistheoretischen Begriffe des Unsinns, des Widersinns und vor allen Dingen derjenige des Irrtums zu orientieren haben. Es ist hier nicht der Ort, die Bedeutung dieser Verhältnisse für die Logik, im besonderen für eine umfassende Theorie des Urteils im einzelnen zu entwickeln. Wichtiger erscheint es mir in Bezug auf diese Betrachtung die Frage jener früher erwähnten, bedeutungsvollen Interferenz [Überlagerung - wp] der Begriffspaare "Inhalt und Gegenstand" einerseits, "Inhalt und Form" andererseits mit ein paar Strichen näher zu charakterisieren.

Man wird einer gegebenen Situation gegenüber zu unterscheiden haben zwischen dem Begriff, dem Kriterium und dem Grund des "Sinns". Von den beiden ersteren Faktoren ist bereits die Rede gewesen, vom letztgenannten noch nicht. Der "Sinn", so sahen wir, ist eine komplexe Relation. Alles, was formal zur "Bedeutung", alles, was formal zum "Bedeutungserlebnis" gehört, ist in ihm in unlösbarer Beziehung auf ein  inhaltliches  Moment gegeben. Und dieses inhaltliche Moment allein ist, wie allgemein es auch für die Zwecke der theoretischen Analyse bestimmt werden mag, das für den "Sinn" einer gegebenen Beziehung verantwortliche; das, was es mit anderen Worten ermöglicht und rechtfertigt, an diese Beziehung das  Kriterium  des Sinns, ja auch nur den Gedanken eines solchen Kriteriums überhaupt erst heranzubringen. Das inhaltliche Moment ist der  Grund  des "Sinns". Nun kann aber von "Inhalt" noch in einer zweiten Bedeutung die Rede sein: ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der logischen Struktur des  Urteils Hier ist das Moment des Bedeutungserlebnisses als solches grundsätzlich ausgeschaltet; hier handelt es sich einzig und allein um ein korrelatives Moment zum reinen Gedanken der Geltungsverknüpfung; hier liegt das Moment des Inhalts, wenn ich so sagen darf, lediglich in der Wahrheits- und nicht auch in der Erlebnisdimension. Und nun ist es von hohem Interesse, die durchgängige Relativität zu beachten, die dem Faktor  "Inhalt"  in beiden seiner möglichen Bedeutungen zukommt. Hinsichtlich beider gilt der Satz, daß der Inhalt den "Sinn" bedingt; wobei ich jetzt, ohne damit den herkömmlichen Sprachgebrauch zu verletzen, auch einen gegebenen Tatbestand der Urteilsbestimmtheit als "Sinn" bezeichne. Hinsichtlich beider aber steht auch ohne weiteres fest, daß der Inhalt, soll er überhaupt Inhalt sein, selbst schon nicht jeder Sinnbezogenheit und Sinnbestimmtheit entbehren kann. Für das  Denkerlebnis  wurde dieser Gesichtspunkt bereits erwogen: es gibt im Psychischen keinen von einer möglichen Sinnbezogenheit unabhängigen Faktor. Für den "Inhalt" als Element des  logischen  Urteilsbestandes ergibt er sich aber nicht minder deutlich: nur ein ansich schon in irgendeiner Hinsicht Urteilsmäßiges und Sinnbezogenes kann überhaupt Inhalt des Urteils sein. Darf man so auf der einen Seite sprechen von einer Kontinuität des Sinns im  Psychischen;  so darf wohl auf der anderen die Rede sein von einer Kontinuität des Sinns im  Logischen.  Begründet der "Inhalt" im letzteren Fall die spezifische Verschiedenheit der Urteilsformen, so ist es im ersteren die Quelle für die objektive Verschiedenheit der Nuancierung des Wahrheitserlebnisses. - Wenn ich mich nicht irre, so hat man in diesen Verhältnissen die Wurzel jenes eigenartigen Ineinandergreifens und Auseinandergehens der Gesichtspunkte zu erblicken, wie sich dies etwa in den Beziehungen zwischen der  logischen  Theorie der Hypothese und dem Tatbestand der  "Annahmen ausprägt.

Den Inbegriff  dieser,  hier nur in ihren allgemeinsten Umrissen charakterisierten Verhältnisse hatte ich gemeint, als ich vorhin von einer Interferenz der Bedeutungen sprach, in welchen uns der Faktor "Sinn" entgegentritt. Es handelt sich dabei, wenn wir die Situation nunmehr noch einmal überschauen, um eine Interferenz von  doppelter  Richtungsbestimmtheit:  Die Funktion der Form des Urteils ist es, die  - schon weil sie den Begriff des Gegenständlichen überhaupt konstituiert -  auch das Begriffspaar "Inhalt und Gegenstand" beherrscht und das System von Relationen allein, das den "Sinn" als Bedeutungserlebnis definiert, wird es ermöglichen, von der Form des Urteils, die immer nur ein Moment der Geltungsbestimmtheit sein kann, zu sprechen.  In der tiefsten Schicht der Probleme treffen so Psychologie und Logik aufeinander. Welches auch der Begriff sein mag, in dem sie sich verbinden, (10) nicht ein  apeiron  [Urstoff - wp] wird er bezeichnen können, das jeden Versuch seiner Bestimmung grundsätzlich ausschließt; sondern die zentrale und wohldefinierte Frage, in der der Begriff der wissenschaftlichen Philosophie selbst gipfelt.


VI.

Nur im Hinblick auf die Bedingungen, die sich im Faktor "Sinn" realisieren, können endlich auch, wie mir scheint, die Probleme gewürdigt werden, die NARZISS ACH in dem fundamentalen Begriff der  "determinierenden  Tendenz" der Denkpsychologie stellt. Das Phänomen der Determination wird allgemein zu bestimmen sein als das Verhältnis der eindeutigen und ganz besonders hinsichtlich ihrer Richtungsbestimmtheit spezifischen Abhängigkeit zweier Bedeutungsbeziehungen; wobei sich dieses Verhältnis der Abhängigkeit nach zwei Gesichtspunkten bestimmt: nach einem, ganz allgemein gesprochen,  bedeutungstheoretischen  und nach einem, im weitesten Sinne des Wortes  kausalen Denn zwei voneinander völlig verschiedene Formen von Beziehungen sind es, die sich im Hinblick auf das Phänomen der Determination mit voller Klarheit unterscheiden lassen: einmal die Abhängigkeit der Bedeutung des "Reaktionskomplexes" von der Bedeutung der "Aufgabe"; sodann aber das zeitlich bestimmte "Bewirktsein" des Reaktionskomplexes durch das "Gestelltsein" der Aufgabe. Nach allem, was bisher gesagt wurde, kann ich mich darauf beschränken, die gesamte Problemlage, wie sie sich auf Grund dieser Unterscheidung gestaltet, mit ein paar Strichen zu kennzeichnen.

Man braucht den Tatbestand der Determination nur im Sinne der eben vorgenommenen Unterscheidung zu gliedern, um sofort einzusehen, daß sich in seiner wissenschaftlichen Bearbeitung drei methodische Richtungen begegnen und verflechten müssen: die logische, die phänomenologische und die experimentelle. Entsprechen die beiden ersten dem Moment der Abhängigkeit der Bedeutungsrelationen, so kommt das Problem in der dritten - wenn man so sagen darf - in seiner Beziehung auf den Faktor  "Zeit"  zur Ausprägung. Dreierlei wird mit anderen Worten an den Phänomenen der Determination unterschieden werden müssen: die Abfolge der  Bedeutungen  in sich selbst, oder, um auf eine früher schon angewandte Formel zurückzugreifen, die Abfolge der Bedeutungen in der Dimension der Wahrheit; das  Erlebnis  der Bedeutungsabfolge als solches und schließlich ein solchem Erlebnis eindeutig zuzuordnendes System von Gesetzlichkeiten, sofern es Funktionen der  Zeit  sind, die sich in diesen Gesetzlichkeiten manifestieren. Nur in diesem letzterem Sinn kann, soviel ich sehe, auf dem Boden der Lehre von der Determination mit Recht von ursächlichen Beziehungen und demgemäß von einem "Bewirktsein" des Reaktionskomplexes durch den Reizkomplek geredet werden. (11)

Die Abfolge der Bedeutungen in sich selbst nun - das ist es, was vor allen Dingen jenes Moment der  spezifischen  Richtungsbestimmtheit beherrscht, das vom Tatbestand der Determination nicht zu trennen ist. Wie die Frage zur Antwort, wie die Prämisse zur Konklusion und nicht allein so, wie etwa der Blitz zum Donner, drängt hier der "Reiz" zur "Reaktion". Man hat mit Recht auf das  "teleologische"  Moment im Tatbestand der Determination verwiesen. Es ist nur ein anderer Ausdruck für das, was ich eben als spezifische Richtungsbestimmtheit bezeichnet habe. Es ist aber zugleich auch das, was die völlige Unzulänglichkeit des herkömmlichen Assoziationsbegriffs auf dem Boden der Denkpsychologie offenbart. Der reinen Assoziation als solcher fehlt das Richtungsmoment im Sinne einer Bedeutungsbestimmtheit. Von einem Zusammen gehören  kann auf ihrer Grundlage nie die Rede sein; sondern immer nur von einem Zusammen geraten.  Sucht sie jenen ersten Begriff dennoch in den Bereich ihrer Gesichtspunkte einzubeziehen, dann hat sie die Fundamente ihrer ursprünglichen Position unbemerkt zugunsten der Voraussetzungen der Denkpsychologie bereits verlassen. Von selbst versteht sich, daß das logische Moment der Richtungsbestimmtheit auch den  phänomenologischen  Gesichtspunkt der Untersuchung im eigentlichen Sinne impliziert: Richtungsbestimmtheit heißt eben hier, weil "Richtung" die Funktion einer  Bedeutungsbeziehung  ist, zugleich  "Erlebnisbestimmtheit".  Und sofern weiterhin das Moment der Richtungsbestimmtheit, wie wir sie hier verstehen der Bestimmtheit gewisser Faktoren nach zeitlichen Gesetzen eindeutig zugeordnet ist, sofern ist schließlich die  experimentelle  Forschung als ein unveräußerliches Mittel der wissenschaftlichen Analyse des Tatbestandes der Determination zu betrachten. - Nicht von der  Technik  des Wissenschaftsbetriebes ist dabei, wiewohl kaum ausdrücklich bemerkt zu werden braucht, im Rahmen all dieser Betrachtungen die Rede; denn jene Technik kann trennen müssen, was in seinen Prinzipien betrachtet zusammengehört. Sondern eben von der grundsätzlichen Gliederung der  Fundamente  unseres Problems, von der Herausstellung eines zentralen Beziehungspunktes, von dem aus die gesamte Problemlage einheitlich überschaut werden kann.

Aber gerade diese Gliederung schafft andererseits auch, wenn ich ansonsten recht sehe, das Verständnis für gewisse, keineswegs bedeutungslose Unterschiede im Rahmen des psychologischen Problems der Determination selbst. Ich will konkret sprechen: man wird die Determination, wie sie eine wohlverstandene Frage bedingt, wie sie als unerläßliche Voraussetzung etwa dem Tatbestand der Überlegung (12) zugrunde liegt oder in der komplexesten Weise beim Lesen eines Werkes, in der Unterhaltung - von den konventionellen Redensarten bis zu den höchsten Formen der wissenschaftlichen Diskussion und zu dem, was die Sprache mit besonders feiner als "Schlagfertigkeit" bezeichnet - oder aber und ganz besonders, wie sie bei der durch die Taktzeichen, den sogenannten Bass- oder Violinschlüssel, das "Kreuz" und das "B" veranlaßten Einstellung auf die Bedeutung der Notenschrift vorliegt; man wird, sage ich,  diese  Art der Determination wohl zu unterscheiden haben etwa von der Erscheinung, daß man geneigt ist, nach wiederholtem Aufzeigen eines bestimmten Buchstabens eine bald darauf zu nennende, nicht manifest sinnbetonte Silbe mit eben diesem Buchstaben beginnen zu lassen; oder selbst von der Hemmung, die eine gerade verklungene Melodie für die Reproduktion einer anderen zu bedeuten pflegt. In den beiden letzteren Fällen tritt, um es mit einem Wort zu sagen, die Determination "im Sinn" hinter der Determination "in der Zeit" unverkennbar zurück. - Unabhängig hiervon aber ist natürlich die Frage, ob dieser Unterschied auch eine Verschiebung des vorhin fixierten Verhältnisses zwischen Psychischem und "Sinn" überhaupt bedeutet, eine Frage, die nach allem, was vorgegangen war, wohl zu verneinen sein wird: auch die Determination der "sinnlosen" Silbe durch einen wiederhilt aufgezeigten Buchstaben entbehrt eben jener allgemeinsten Beziehung zum Moment der Sinnbetontheit nicht, gerade so wenig, wie die "sinnlose" Silbe selbst.

So partizipiert also das Phänomen der Determination durchgängig an der Rolle, die im Psychischen dem Moment des "Sinns" zukommt: es ist eben selbst in einer engeren und einer weiteren Bedeutung des Wortes eines Bestimmtheit des Sinns. Und gerade vermöge dieser Beziehungen vertieft das Phänomen der Determination auch wieder unsere Einsicht in die Struktur des Begriffs "Sinn". In dem Maße nämlich, als jenes Phänomen über die Grenzen des eigentlich Intellektuellen hinausgreift, offenbart es einen der tiefsten erkenntnistheoretischen Zusammenhänge. Ich denke hierbei im besonderen an die unverkennbaren Beziehungen zwischen dem Begriff des Sinns und der Struktur derjenigen Gebilde, die man, in einer vielleicht etwas schwerfälligen Terminologie,  Gestaltqualitäten  genannt hat. (13) Nicht beantwortet oder auch nur diskutiert, sondern lediglich herausgestellt werden soll hier die Frage, ob nicht die Gebilde "Sinn" und etwa "Melodie" in ihrer logischen Struktur, d. h. hinsichtlich des in ihnen sich ausprägenden Verhältnisses von Inhalt und Form eine Übereinstimmung von grundsätzlicher Art aufweisen. Ja, villeicht darf die Frage noch tiefer und, wenigstens nach ihrer historischen Seite hin, konkreter gefaßt werden. Unterliegen "Sinn" und "Gestaltqualität", kraft jener spezifischen Geschlossenheit und Ganzheit, die ihnen ihren Begriffen nach eigen ist, nicht demjenigen Gesetz der objektiven Einheit, das wie seit KANT  Idee  nennen?

Wie man sich aber auch zu diesen letzten prinzipiellen Fragen stellen möchte, klar zu sondern ist vom Tatbestand der Determination als solchem die Frage, ob und in welchem Umfang die Versuchsperson sich und anderen über das Bewirktsein des Reaktionskomplexes durch das Gestelltsein der Aufgabe  Rechenschaft  zu geben imstande ist. (14) Wohl wird gerade  diese  Frage für die experimentelle Analyse des Determinationsproblems aus naheliegenden Gründen im Vordergrund stehen. Und insofern erscheint sie auch auf das innigste mit ihm verknüpft. Hiervon abgesehen aber, bildet sie eine psychologische Angelegenheit für sich. Die Fähigkeit der Versuchsperson, sich über den Tatbestand der Determination Rechenschaft zu geben, unterliegt als selbständiges Objekt der psychologischen Forschung ohne jeden Zweifel den gleichen methodischen Gesichtspunkten der wissenschaftlichen Analyse wie das Phänomen der Determination selbst. - Welche Rolle hierbei dem Begriff des  Unbewußten zufällt und welche Mittel zu Gebote stehen mögen, um diesen Begriff vor dem Schicksal einer  qualitas occulta  zu bewahren, das ist eine Frage, deren Entscheidung den Rahmen dieser Betrachtungen übersteigt und nur auf dem Boden der psychologischen Forschung selbst beantwortet werden kann.


VII.

Für den Schluß meiner Darlegungen aber habe ich mir die Erörterung eines Punktes vorbehalten, der seiner sachlichen Bedeutung nach ebensogut an ihrer Spitze stehen könnte. Man kann von den Prinzipienfragen der Denkpsychologie nicht sprechen, ohne zugleich die grundsätzlichsten Beziehungen erwogen zu haben zwischen  Gedanken  und  Wort.  Wohl erreicht unser Problem damit ein kaum mehr überbietbares Maß der Komplexion; allein dieser Umstand wird, wie mir scheint, reichlich aufgewogen durch das höhere Maß der Schärfe seiner Gliederung.

Ich sage  Wort  und meine zunächst ganz allgemein: ein den Bedingungen sinnlicher Wahrnehmbarkeit grundsätzlich genügendes Bedeutungssymbol von beliebiger Art und Struktur. Das heißt ich unterscheide im Moment weder zwischen lautlichen und schriftlichen Symbolen, noch zwischen den Ausdrucksmitteln der verschiedenen Sprachen, noch auch zwischen Wort und  Wortrudiment.  Dieses vorausgeschickt, glaube ich sagen zu dürfen: Der Struktur des Faktors  "Bedeutung"  gemäß gliedert sich auch die symbolische Funktion des  Wortes.  Im Wort gelangt die  logische  wie die  phänomenologische  Seite dieses Faktors zur Repräsentation. Ja vielleicht genauer: das Wort ist eine Funktion des "Bedeutungserlebnisses" und deshalb zugleich eine Funktion der "Bedeutung". Es ist freilich in der Denkpsychologie viel und mit Recht die Rede vom  wortlosen Denken;  und kaum etwas wird den trefflichen Darlegungen hinzugefügt werden können, mit welchen BENNO ERDMANN seinen Begriff des "unformulierten Denkens" vor Jahren schon in die Diskussion dieser Probleme einführte. Aber dieser Begriff selbst stellt, gerade in Verbindung mit dem Gedanken, daß das nichtformulierte Denken ein  noch nicht  oder ein  nicht mehr  formuliertes sei, die bedeutsame Aufgabe, das Verhältnis zwischen Wort und Gedanken nach seiner prinzipiellen Seite hin der Analyse zu unterwerfen. (15) Noch bedarf sicherlich auch das rein Tatsächliche an diesem Verhältnis in mannigfacher Beziehung der  Klärung.  (16) Gewiß, ich passiere eine gewisse, vielleicht lange und mannigfach gewundene Gedankenstrecke ohne greifbare und unmittelbare verbale Repräsentation. Aber es ist demgegenüber von höchstem Interesse nicht nur, daß eine solche Repräsentation je nach den Umständen an ungezählten Punkten der Gedankenstrecke einsetzen  kann;  sondern und vielleicht mehr noch, daß sie sich als Unterbrechung der wortlosen Gedankenstrecke immer wieder mit unabweisbarer Energie tatsächlich auch bemerkbar macht. Es liegt einem solchen Verhalten zugrunde, was ich, um es kurz auszudrücken, die  Worthaftigkeit des Denkens  nennen möchte. In viel schnellerer Abfolge als man es vermuten würde, stellen sich im psychischen Erleben Worte ein; - nicht da, wo Begriffe fehlen, sondern da, wo sie vorhanden sind. Je geübter der Turner, umso mehr Sprossen einer Leiter mag er überspringen; umso größer mag der Zwischenraum der Sprossen sein; umso kürzere Zeit mag er auf einer Sprosse verweilen. Aber  ohne  Sprossen wird er nicht hinaufsteigen. Das  tertium comparationis  [das Dritte des Vergleichs -wp] ist, wie ich glaube, nicht zweifelhaft. Nicht ein äußerlicher Appendix ist das Wort zum Gedanken; (17) und auch nicht so verhält es sich zu diesem, wie etwa die Spannungsempfindung im Kopfnicker oder in den Stirnmuskeln zum Bewußtsein der Bedeutung; sondern so, wie die Bedingungen der Bewältigung einer Aufgabe zu eben der Bewältigung dieser Aufgabe selbst. Ja, es wird, wie ich meine, solchen Erwägungen gegenüber der Begriff des  Symbols  nur noch in wesentlicher Einschränkung und Vertiefung auf das Verhältnis zwischen Wort und Gedanken angewandt werden dürfen, d. h. es wird ernsthaft erwogen werden müssen, ob mn denn noch das Recht habe, den Ausdruck "Symbol" sowohl für die besonderen Formen, als auch für die allgemeine Tatsache der Mitteilung als solche im gleichen Sinn zu gebrauchen.

So weist uns das Wort in die Tiefen der Struktur des Gedankens, und damit des Psychischen überhaupt. Und wie der  "Sinn",  so wird nun auch das  Wort  zur Bedingung seiner Möglichkeit (18). Überlegen wir einen Augenblick, welche grundsätzliche Bewandtnis es mit der alltäglichen Forderung habe, für einen Gedanken das richtige Wort zu finden. Das "Suchen" nach einem passenden Wort (19) ist, genau besehen, ein Suchen nach einem Sinn, der mit einem anderen, eben dem  Anlaß  des Suchens, in einer eindeutigen funktionalen Beziehung steht und dabei einer bestimmten und bekannten sprachlichen Form unlösbar zugeordnet ist. Gerade diese unlösbare Zuordnung aber, deren Kriterium natürlich wieder den Gegenstand eines besonderen Problems bildet, schafft auch eine unlösbare Zuordnung aber, deren Kriterium natürlich wieder den Gegenstand eines besonderen Problems bildet, schafft auch eine unlösbare Verknüpfung zwischen jenem Anlaß und dem gefundenen Wort. Und diese Verknüpfung selbst kann ihrerseits nur geschaffen werden, wenn die Bedingungen für sie in  beiden  der zu verknüpfenden Elemente gegeben sind.  Die Worthaftigkeit des Sinns und die Sinnhaftigkeit des Wortes  sind es, was auch nur die  Frage  nach einem "adäquaten" Wort für eine gegebene Bedeutungsbeziehung ermöglicht. (20) "Wort und Bedeutung", sagt einmal RIEHL, (21) "sind so untrennbar, wie Organ und Funktion", "Wer etwas denkt, muß auch angeben können, was er denkt"; (22) - ein Satz, der, wie mir scheint, sein volles Gewicht erst dann erhält, wenn man ihn nicht als den Ausdruck einer psychologischen Tatsache, sondern als den der funktionalen Zusammengehörigkeit von Wort und Gedanke begreift, und der damit geradezu den Lebensnerv aller Wissenschaft bloßlegt. Gerade im Hinblick auf diese seine Funktion aber dürfen wir hinzufügen: in dem Maße, als selbst an der bloßen "Empfindung" das Moment der  Bedeutung  in den Vordergrund rückt, gewinnt auch sie verbale Repräsentabilität. Wieder handelt es sich auch hier, ganz wie der "Sinnhaftigkeit des Gedachten", um einen streng  theoretischen  Charakter; d. h. nicht um eine Behauptung tatsächlicher Natur darüber, daß jeder Sinn einem Wort zugeordnet sei, und umgkehrt, bzw. darüber, welches Wort dabei im besonderen Fall in Frage kommen möchte; sondern um die Einsicht, das dem Forschen nach einer positiven Beziehung zwischen Wort und Sinn, der begrifflichen Beschaffenheit beider Faktoren zufolge, an keinem Punkt grundsätzlich Halt geboten werden kann.

Zwei Momente tatsächlicher Natur nun sind es augenscheinlich, die der These von der grundsätzlichen  Wortlosigkeit,  ja  Wortfremdheit  des Denkerlebnisses zugrunde liegen. Einmal die in so vielen Fällen konstatierte Unfähigkeit der Versuchsperson, ihr Denkerlebnis überhaupt in eine sprachliche Form zu bringen; sodann aber, und ganz besonders, der der sprachlichen Einkleidung, wie man meint, handgreiflich widerstrebende  affektive  Wert des Gedankens. Die erste Frage erscheint durch die vorangegangenen Erwägungen implizit bereits beantwortet: man wird das  Vermögen  der Versuchsperson zum Ausdruck ihres Denkerlebnisses von der  Struktur  dieses Denkerlebnisses auf der ganzen Linie klar zu unterscheiden haben. Schwieriger steht es um die Frage hinsichtlich des zweiten Punktes. Ehe man aufgrund der Überlegung, daß Wort und Gefühlswert des Gedankens durch eine unüberbrückbare Kluft getrennt seien, über das grundsätzliche Verhältnis zwischen Gedanken und Wort urteilt, sollte wiederum zweierlei ins Klare gebracht sein. Zunächst dies, ob denn der sogenannte affektive Wert des Gedankens dessen Bedeutungsgehalt wirklich modifiziert; und zweitens die Frage, ob eine solche Modifikation des Bedeutungsgehalts, sofern sie stattfände, die sprachliche Formulierung schlechthin ausschließt. Das Problem ist viel zu komplex, um hier erschöpft zu werden. Ich neige entschieden der Überzeugung zu, daß der affektive Wert des Gedankens dessen Bedeutung  mit bestimmt. Aber ebenso entschieden bekenne ich mich auch zu der Anschauung, daß das Wort jener Bedeutungsfunktion der Affektbetontheit keineswegs machtlos gegenübersteht. Eine der subtilsten Aufgaben des sprachlichen Stils liegt, wie ich meine, gerade  darin,  den Bedingungen zu genügen, die die Affektbetontheit des Gedankens an dessen Bedeutungsgehalt stellt: d. h. Symbole für Bedeutungsbeziehungen zu schaffen, die in höherer Einheit verknüpft enthalten, was in der ursprünglichen Konzeption noch getrennt gewesen war, Symbole, die damit selbst wieder zur Quelle einer reicher gegliederten, d. h.  "bedeutungsvolleren"  Affektbetontheit werden. Es sind dies die Fälle, in denen die Sprache im besten Sinne des Wortes "für uns denkt". So erhöht der sprachliche Ausdruck in dem, was wir Stil nennen - ich lasse die ästhetische und die pädagogische Seite des Problems absichtlich unerörtert - die Gliederung des Gedankens, indem er diesem die ganze Fülle der in ihm schlummernden Bedeutungsmöglichkeiten entlockt.

Solche Erwägungen freilich greifen, indem sie auf die höchsten Formen des sprachlichen Ausdrucks reflektieren, über die allgemeinen Prinzipienfragen, auf die es uns doch hier  zunächst  angekommen war, schon weit hinaus. Das Problem der besonderen Sprache und die grundsätzliche Frage nach der allgemeinsten und primitivsten gedanklichen Funktion des Wortes überhaupt sind gewiß zweierlei. Und nichts liegt mir ferner als der Versuch eines unkritischen, spekulativen Exkurses in das Gebiet der Sprachforschung. Aber gerade dann werden, wie ich meine, die Gefahren eines solchen Versuchs am wirksamsten vermieden werden, wenn man sich die elementaren Bedeutungstheoretischen Bedingungen klar macht, denen alle besonderen Sprachen  als  Sprachen genügen. Um diese Bedingungen allein ist es uns hier zu tun gewesen.

Unwillkürlich wendet sich der Gedanke in einem solchen Zusammenhang LEIBNIZ zu. In dem genialen Plan seiner "Characteristica universalis" äußert sich in vollendeter Klarheit, freilich auch mit bewußter Beschränkung auf das Gebiet eigentlicher  Erkenntnis  das grundsätzliche Verhältnis zwischen Wort und Gedanke. Was LEIBNIZ vorschwebt, das ist die Schaffung einer idealen "Bedeutungssprache"; d. h. einer Sprache, deren Elemente in absolut eindeutiger Korrelation zu Bedeutungen stehen, sofern diese auch gewissen besonderen Bedingungen, nämlich denjenigen der Erkenntnis, genügen. Gerade deshalb aber wäre die Sprache, wie es das das System der Bedeutungen selbst ist,  eine.  Gründen sich auf diesen Umstand die praktischen Folgen der ganzen Konzeption, um die es LEIBNIZ selbst in so hohem Maße zu tun ist, so liegt darin, sachlich betrachtet, vor allen Dingen der Gedanke einer völligen funktionellen Verschmelzung von Zeichen und Bedeutung. Aus den "Zeichen" sollen hier "Bedeutungen" abgeleitet werden, weil die Zeichen durch die Bedeutungen und die Bedeutungen durch die Zeichen  "sind".  In einem Gedanken-Alphabet, wie der charakteristische Ausdruck lautet, soll sich das System der begrifflichen Relationen selbst vollenden.

Dieses Moment der absolut eindeutigen Zuordnung von Bedeutung und Zeichen nun ist es, was in der Tatsache der  Vielheit  von Sprachen in charakteristischer Weise gestört zu sein scheint; freilich nicht, ohne dabei das elementare Verhältnis als solches nur umso schärfer hervortreten zu lassen. Es findet nämlich hinsichtlich dieses Verhältnisses, wie ohne weiteres einleuchtet, eine Verschiebung nach zwei Richtungen hin statt. Nicht einfach darum handelt es sich jetzt, daß einem gegebenen Bedeutungstatbestand verschiedene Worte zuzuordnen sind, die mit Rücksicht darauf nun als völlig gleichwertig betrachtet werden müssen; sondern in einer viel größeren Zahl von Fällen, als man denken sollte, auch darum, daß den verschiedenen Worten  verschiedene,  aber untereinander funktionell verknüpfte Bedeutungen entsprechen. Man sieht sofort, daß das Prinzip der eindeutigen Zuordnung von Wort und Bedeutung auch hier nicht aufgehoben ist. Nur findet diese Beziehung jetzt statt zwischen den als gleichwertig bezeichneten Worten der verschiedenen Sprachen und zwischen den Teilbeständen eines  umfassenden  Bedeutungszusammenhangs. Eben die funktionale  Vereinigung  dieser Teilbestände ist es, worauf sich die Gleichwertigkeit der Worte gründet. - Dieser Sachverhalt nun ist es, der wie ich kaum zu betonen brauche, die Gesichtspunkte nahe legen muß, von denen aus nicht nur das schwierige Problem der  Übersetzung  aus einer Sprache in die andere allein zu betrachten sein wird; sondern auf die sich auch das Recht aller Forderungen, die an Übersetzungen seit jeher gestellt zu werden pflegen, gründet. Dem "Geiste" der fremden Sprache Rechnung tragen, heißt eben jene Teilbedeutungen in ihrer Sonderung wie in ihrer funktionellen Zusammengehörigkeit überschauen. In einem solchen Sinn verliert auch die These, es gäbe überhaupt keine wirkliche Übersetzung, ihre anfängliche Paradoxie. Sie erscheint als der negativ gefaßte, und vielleicht auch nicht ganz glückliche Ausdruck des gleichen Gedankens, wie er im Grunde genommen auch in den Sätzen, es gäbe keine Synonyme und, Sprachen lernen heiße "umdenken" lernen, zur Geltung kommt.

Staunend stehen wir wiederum vor der Größe des LEIBNIZ'schen Geistes. Jede denkbare Gliederung der Bedeutungen, jeder mögliche Anteil der Sprache an der Vertiefung der Erkenntnis ist in der Idee des Gedanken-Alphabets, wenigstens der  Absicht  nach, vorweggenommen. Die Ideen der Universalität und der Einheit aller Erkenntnis erscheinen hier organisch verknüpft in der Einsicht, daß das System von Bedeutungen, in welchem Erkenntnis besteht, nur in seiner korrelativen Beziehung auf ein System von Zeichen möglich sei. - Welche Hindernisse sich der Verwirklichung dieses Plans entgegenstellen müssen, das ist angesichts seiner unerhörten Kühnheit und Größe eine Frage von sekundärer Bedeutung. Die Erkenntniswissenschaft wird sie herauszustellen und zu begründen haben; der Plan als solcher aber bleibt für alle Zeiten der klassische Repräsentant der Einsicht in die elementare Struktur der Bedeutung, als der Voraussetzung aller Erkenntnis und Wissenschaft.

Zwanglos gliedert sich das Ergebnis dieser Betrachtungen in den Zusammenhang früherer Erwägungen ein. Als konstitutives Element des Bedeutungserlebnisses hatten wir die Beziehung ekannt, die ich die "primäre Repräsentation" des Bedeutungserlebnisses genannt habe. Ich verstand darunter die für dessen Bestand, für dessen "Möglichkeit" unerläßliche Gliederung. Zu dieser ansich immer noch rein gedanklichen Bestimmtheit nun gesellt sich jetzt als weiteres konstitutives Moment eine primäre Form des Ausdrucks hinzu.  Erst in der Worthaftigkeit des Sinns bestimmt sich,  wenn man diese Wendung gestatten will,  die Sinnhaftigkeit des Bedeutungserlebnisses.  So knüpft sich hier eine Kette unerläßlicher Funktionalbeziehungen, in deren jedem Glied eben deshalb auch das Ganze des Problems zum Ausdruck kommt. Nur unter dem Gesichtspunkt dieses Problems hört die unwiderstehliche Gewalt, mit der der Gedanke nach einem Ausdruck drängt, auf, ein Wunder zu sein. Nur aus ihm heraus sind die letzten treibenden Motive in der Jahrtausende alten Geschichte des  logos -Gedankens zu verstehen. Es ist das Grundproblem der Denkpsychologie, ja das Grundproblem der Psychologie überhaupt. Denn die Prinzipienfragen der ersteren durchleuchten gewissermaßen den Tatbestand der letzteren. Nicht nur, indem sie, was ja offen zutage liegt, den Problemkreis der Psychologie erweitern, sondern vor allen Dingen dadurch, daß das Prinzip einer solchen Erweiterung auf die Einsicht in die Struktur der Psychologie als Wissenschaft reformierend und reorganisierend zurückwirkt.

Schon sehen wir den Begriff der  Assoziation  in einen harten und aussichtslosen Kampf verwickelt mit den neuen methodischen Grundsätzen der Denkpsychologie (23). Welches aber auch die Wechselfälle dieses Kampfes sein mögen, sein Ausgang ist nicht zweifelhaft. Er wird nicht weder mit einer Beseitigung noch mit einer  Vertiefung  des Assoziationsbegriffs enden. Aus einem künstlichen Hilfsmittel, um das Sein der künstlich zerklüfteten Psyche zu retten, muß die Assoziation, metaphorisch ausgedrückt, zum Element eines organisierten Bestandes werden. Immer freilich wird das psychologische  Phänomen  der Assoziation der Psychologie Probleme stellen; aber als ein Prinzip der psychologischen  Erklärung  hat sie in dem Moment aufgehört zu sein, da sie den prinzipiellen Forderungen der Denkpsychologie widerspricht. Wieder verhält es sich auch hier wie in der Biologie: nicht eine Beseitigung, sondern eine  Vertiefung  des Gedankens, daß die elementaren Bestandteile des Lebendigen miteinander nach mechanischen Gesetzen verbunden sind, bedeutet der kritische Begriff auch des Lebens. Der "rhodische Genius", wenn ich mich dieses Ausdrucks aus der bekannten Parabel ALEXANDER von HUMBOLDTs bedienen darf, der für den Logiker der Psychologie das Auseinanderfallen der Elemente verhindert, ist, mit allen seinen Voraussetzungen, das Moment des "Sinns"; eben als der Ausdruck der  grundsätzlichen und durchgreifenden methodischen Selbständigkeit der Psychologie.  - Nur dann also wird jene "Richtungsänderung" in der gemeinsamen Dimension aller Objekterkenntnis, von der NATORP spricht, zum methodischen Träger der psychologischen Begriffsbildung, wenn sie das Moment des "Sinns", wie wir es definiert hatten, in sich aufnimmt. Dann aber ist sie auch etwas von einer "Richtungsänderung" im Grunde genommen völlig und prinzipiell verschiedenes.


VIII.

Noch einmal greifen wir zum Schluß und unter Zugrundelegung der gewonnenen Einsichten auf jene charakteristische Korrelation zurück, die wir für die Begriffspaare "Inhalt - Gegenstand" einerseits, "Inhalt - Form" andererseits feststellen konnten. Nur als Element einer Geltungsbestimmtheit, d. h. nur in Rücksicht auf den Begriff des Bedeutungserlebnisses, fanden wir den Begriff der Urteilsform möglich. Und nur als eine Erfüllung der Gesetzlichkeit der Urteilsform wurde uns der Gedanke der Geltungsbestimmtheit verständlich. Logik und Erkenntniswissenschaft sowohl, als auch Psychologie sind der Norm dieser Wechselbeziehung unterworfen. Sie grundsätzlich zerreißen, hieße diese wie jene in ihren Fundamenten angreifen. Das aber tut - und ich stehe damit wieder beim Ausgangspunkt meiner Erwägungen - der sogenate  Psychologismus Wohl sind es noch die äußeren Formen der Psychologie, mit denen er operiert. Aber ihren  Begriff  hat er verleugnet, wenn er die Beziehungen aufhebt, durch die allein jener Begriff möglich wird. Denn es heißt für alles Psychische konstitutive Moment der Sinnbezogenheit beseitigen, wenn man die Struktur des Bedeutungserlebnisses zerstört. Und das tut man in dem Moment, da man mit dem Psychologismus aufhört, die Form des Urteils als einen korrelativen, und in einem solchen Sinn selbständigen Faktor eben jenes Bedeutungserlebnisses betrachtet.

So ist, wenn wir nun die Gesamtheit unserer Darlegungen noch einmal prüfend überschauen, die Denkpychologie nicht nur ein Objekt, sondern auch ein Vehikel der kritischen Untersuchung. Sie vertieft den Begriff der Psychologie überhaupt und sie erweitert den Bereich der Wissenschaftslehre. Sie schafft der Erkenntnis ein neues Gebiet der Rechtfertigung ihres eigenen Bestandes. In neuer und kritischer Form rechtfertigt sie damit die Unvergänglichkeit der Problemstellung KANTs. Nicht freilich des KANT einer Schule; denn Schulen sind allemal Vorhallen des Dogmatismus. Sondern desjenigen KANT, dem "das Thema des Verfahrens" alles bedeutet, dem "alle dogmatische Methode, sie mag nun dem Mathematiker abgeborgt sein oder eine eigentümliche Manier werden sollen, für sich unschicklich" erscheint, kurz, der sich mit der unabsehbar fortschreitenden Forschung immer wieder verjüngt und erneuert, weil sein methodischer Grundgedanke das lebendige Gewissen aller Forschung selbst ist.
LITERATUR - Richard Hönigswald, Prinzipienfragen der Denkpsychologie, Kant-Studien, Bd. 18, Berlin 1913 [Vortrag gehalten auf der Generalversammlung der Kant-Gesellschaft, Halle a. d. Saale am 20. April 1913]
    Anmerkungen
    1) Vgl. hierzu insbesondere HUSSERL, Logische Untersuchungen II, Halle 1901, Seite 67
    2) Vgl. hierzu meine Abhandlung "Zur Wissenschaftstheorie und -systematik", Kant-Studien, Bd. 17, Seite 79f.
    3) OSWALD KÜLPE, Über die moderne Psychologie des Denkens, Vortrag gehalten auf dem 5. Kongresse der Deutschen Gesellschaft für experimentelle Psychologie am 16. April 1912 in "Internationale Monatsschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik", Heft 6, Berlin 1912
    4) ERNST CASSIRER, Substanzbegriff und Funktionsbegriff, Untersuchungen über die Grundfragen der Erkenntniskritik, Berlin 1910, Seite 440.
    5) KURT KOFFKA, Zur Analyse der Vorstellungen und ihrer Gesetze, Leipzi 1912, Seite 365
    6) Vgl. MAX BROD, und FELIX WELTSCH, Anschauung und Begriff, Grundzüge eines Systems der Begriffsbildung, Leipzig 193, Seite 184
    7) HEINRICH MAIER, Psychologie des emotionalen Denkens, Leipzig 1908
    8) AUGUST MESSER, Husserls Phänomenologie in ihrem Verhältnis zur Psychologie, Archiv für die gesamte Psychologie, Bd. XXII, Heft 2 und 3, 1911
    9) Das Wort "Denkpsychologie" erscheint hier, wie kaum betont zu werden braucht, in einem Sinn verwendet, der es, nach allem, was vorangegangen ist, vor dem naheliegenden Vorwurf einer Verwechslung von "Tatsachen" und "Phänomenen" sichert. Zur Frage dieser Verwechslung vgl. jetzt auch HUSSERL, Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie im "Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung", Halle / Saale 1913.
    10) Hier tritt, wie kaum bemerkt zu werden braucht, der Begriff des "Bewußtseins überhaupt" in den Gesichtskreis unserer Untersuchung. Vgl. hierzu meine Abhandlung "Kantiana II" in "Religion und Geisteskultur, Bd. V, Heft 3, Seite 262f.
    11) Wobei es natürlich eine erkenntnistheoretische Aufgabe ganz für sich sein wird, das relative Recht des Kausalgedanken auf dem Boden der Psychologie zu erweisen.
    12) Vgl. hierzu insbesondere auch REINACH, Die Überlegung - ihre ethische und rechtliche Bedeutung, Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, Bd. 148, 1913
    13) Hierzu vgl. jetzt auch BÜHLER, Die Gestaltwahrnehmungen, Stuttgart 1913
    14) Vgl. hierzu insbesondere auch KOFFKA, a. a. O., Seite 333
    15) Vgl. BENNO ERDMANN, Umrisse zur Psychologie des Denkens, 2. umgearbeitete Auflage, Tübingen 1908, Seite 11 und 28; vgl. auch BENNO ERDMANN, Logik, Bd. 1, zweite völlig umgearbeitete Auflage, Halle / Saale 1907, Seite 42f.
    16) Vgl. besonders AUGUST MESSER, Empfindung und Denken, Leipzig 1908, Seite 103f
    17) Vgl. hierzu MESSER, a. a. O., Seite 101
    18) Vgl. hierzu vor allem auch HUSSERL, a. a. O.
    19) Natürlich verkenne ich nicht, daß der Tatbestand solchen "Suchens" eine Fülle  spezieller  psychologischer Probleme in sich schließt. Vgl. hierzu auch BRUNSWIG, Das Vergleichen und die Relationserkenntnis, Leipzig und Berlin 1910, Seite 67f
    20) Vgl. hierzu auch GEYSER, Beiträge zur logischen und psychologischen Analyse des Urteils, Archiv für die gesamte Psychologie, Bd. 26, Seite 363f.
    21) RIEHL, Beiträge zur Logik, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, 1892, Seite 2
    22) RIEHL, a. a. O. Seite 11. Vgl. hierüber übrigens auch HERDER, Zur Philosophie und Geschichte, Bd. 27, Seite 144, Stuttgart 1850.
    23) Vgl. hierzu auch GEORG MOSKIEWICZ, zur Psychologie des Denkens, Archiv für die gesamte Psychologie, 1910; ebenso EBBINGHAUS, Grundzüge der Psychologie, fortgeführt von ERNST DÜRR, 2. Band, § 87.