tb-1cr-4David HumeHumes KausalitätstheorieHume über den Glauben     
 
RICHARD HÖNIGSWALD
Über die Lehre Humes
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I - II - III - IV - V - VI

"Unsere Gewißheit von der realen Existenz beharrlicher Gegenstände ist weder tatsächlich, noch vernünftig."

"Gegenstand bedeutet eine von der Wahrnehmung unabhängige, dieser vielmehr zugrunde liegende Realität. Die Annahme solcher unabhängig von ihrem Wahrgenommenwerden dauernd existierender Gegenstände ist die einzige, weder der vernünftigen Überlegung, noch der Einbildungskraft zuwiderlaufende Gestalt unseres physiologisch bedingten Glaubens an die reale Existenz eines Beharrlichen im Wechsel der Eindrücke."

"Gerade indem Hume den metaphysischen Empirismus durch einen methodischen ersetzt,entzieht er der  phantastischen Sekte  der Zweifler am Dasein den Boden. Vergebens stützen sich diese auf die von Hume selber behauptete Unfähigkeit des Empirismus, die Existenzfrage in bejahendem Sinn zu entscheiden."

Vorwort

Die relativ geringe Beachtung, welche der HUMEschen Realitätslehre gegenüber der vom Kausalbegriff beherrschten Erfahrungstheorie des Philosophen im allgemeinen zuteil wird, wurzelt in historischen und systematischen Momenten. Denn nicht die Realitätslehre HUMEs, sondern seine eigenartige biologische Begründung der kausalen Notwendigkeit war der Ausgangspunkt der historischen Wirkung seiner Werke,  sie  gab den Anstoß zum weiteren Ausbau der kritischen Philosophie durch KANT. HUME selbst rückt als Kritiker des Erkenntniswertes der Erfahrung, welche er ausschließlich durch den Kausalschluß von der Impression auf die Idee definiert, das  Kausalproblem  in den Vordergrund seiner Betrachtung. Mit diesem aber steht seine Realitätslehre, d. h. die Erörterung der Natur unserer Gewißheit von der realen Existenz beharrender Außendinge in keinerlei systematischem Zusammenhang: es ist für das Problem der kausalen Notwendigkeit, wie es HUME formuliert, durchaus gleichgültig, ob diese Gewißheit einer erkenntnismäßige ist oder nicht.

Auch die Darsteller der HUMEschen Lehre sind unter solchen Umständen im allgemeinen natürlich geneigt, die erkenntnistheoretische Leistung des Philosophen ausschließlich in dessen Kausalitätslehre zu suchen und betrachten seine Anschauungen über die reale Existenz beharrender Außendinge gemeinhin nur als einen systematisch minder bedeutenden Anhang zu seiner Erkenntnistheorie.

Demgegenüber ist es die Tendenz der vorliegenden Arbeit, der Realitätslehre HUMEs den ihr gebührenden Platz im erkenntnistheoretischen System des Philosophen, weiterhin aber auch im Ganzen der kritischen Erkenntnislehre anzuweisen.

Involviert diese Aufgabe auf der einen Seite ein gelegentliches Eingehen auf Wesen und Entwicklung auch der kritischen Kausalitätslehre, so gestaltet sich andererseits der Versuch ihrer Lösung in letzter Linie zu einer Untersuchung über das Verhältnis der theoretischen Philosophie HUMEs zu derjenigen KANTs unter dem Gesichtspunkt der kritischen Beharrlichkeitsvorstellung. Hierbei mußte natürlich manche Frage berührt werden, welche zu der in engerem Sinne verstandenen Realitätslehre HUMEs in keiner unmittelbaren Beziehung steht. Ebensowenig konnte es vermieden werden, gelegentlich auch auf das Verhältnis der kritischen Grundprobleme zur erkenntnistheoretischen Fragestellung des modernen Empirismus und auf diejenigen Momente zu verweisen, welche den letzteren von der Lehre des großen schottischen Denkers trennen. Beides geschah in stetem Hinblick auf die Kontinuität im Entwicklungsgang der kritischen Philosophie, zu deren wichtigsten historischen und systematischen Bestandstücken auch die Lehre HUMEs von der Realität der Außendinge gerechnet zu werden verdient.




I.

1. Die reale Existenz beharrlicher Außendinge ist bei HUME nicht Gegenstand der Begründung; die Überzeugung von dieser realen Existenz ist vielmehr schon die Voraussetzung, mit welcher er an die Erörterung seines Erfahrungsproblems herantritt. Denn beharrliche Außendinge sind für HUME der vorausgesetzte und nicht ein erschlossener Grund unserer Wahrnehmungen, deren notwendige Sukzession eben dieses Erfahrungsproblem ausmacht. HUMEs Lehre von der Realität der Außendinge erstreckt sich daher nicht auf die Diskussion der Frage,  ob  beharrliche Realitäten existieren. Diese Frage hat der Philosoph schon vor jeder Untersuchung in bejahendem Sinn beantwortet, so gewiß er ihre methodische Voraussetzung, den Zweifel an der Existenz realer Außendinge für absurd hält. Nicht die  Tatsache  unserer Gewißheit hinsichtlich der realen Existenz beharrlicher Gegenstände, sondern nur die  Natur  dieser Gewißheit ist sein Problem. Er will wissen, ob sie auf irgendeiner Art von  Erkenntnis  beruth und, da er durch seine Untersuchungen zu einer Verneinung dieser Frage geführt wird, einerseits ihre wirklichen Grundlagen, andererseits die Eigenart der Vorstellung, die wir uns von realen Dingen überhaupt zu bilden vermögen, feststellen. Die Lösung dieser Doppelaufgabe bildet den Gegenstand der HUMEschen Realitätslehre.

Den Ausgangspunkt der Betrachtungen HUMEs über den Charakter unserer Gewißheit hinsichtlich der realen Existenz der Dinge bildet eine Untersuchung über die Grundlagen unseres Glaubens an deren Beharrlichkeit. Er beginnt diese Untersuchung mit der erkenntnistheoretischen Grundfrage: Sind wir imstande, die in bezug auf ihre beharrliche Existenz von vornherein jedem Zweifel entrückte Wirklichkeit in irgendeiner Weise evident zu machen oder zu begründen? Ist mit anderen Worten unsere Gewißheit in Bezug auf die dauernde und gesonderte Existenz der Außendinge intuitiv oder demonstrativ? Ist uns die beharrliche Wirklichkeit der Dinge sinnlich, d. h. unmittelbar und ohne Dazwischenkunft eines Schlusses oder einer Schlußreihe "gegeben" oder erschließen wir sie mit jener durch nichts zu beirrenden Gewißheit, wie sie etwa den Sätzen der Mathematik eigen ist?

Dabei hält HUME an der Anschauung des naiven Menschen fest, der - seiner Ansicht nach - unter dem beharrlichen Dasein von Dingen immer nur die dauernde Existenz von Wahrnehmungen versteht. Sein Begriff des Gegenstandes deckt sich zunächst durchaus mit dem der Wahrnehmung. Im Hinblick darauf lautet daher der erste Teil der HUMEschen Grundfrage: kann ein Beharren von Wahrnehmungen über die zeitliche Grenze des Wahrnehmens hinaus stattfinden?

Augenscheinlich muß diese Frage verneint werden. So gewiß "die Sinne nicht fortfahren zu wirken, auch wenn jede Art ihrer Tätigkeit aufgehört hat", so gewiß vermögen sie es auch nicht in uns "den Gedanken einer Existenz ihrer Gegenstände, auch nachdem die Gegenstände den Sinnen entschwunden sind, entstehen zu lassen." (1) Die Überzeugung von der dauernden Existenz der Dinge ist also sicherlich nicht das Werk unserer Sinne. Aber auch die von deren gesonderter Existenz ist es nicht. Es müßte denn schon in jeder einzelnen Wahrnehmung die Vorstellung einer zwiefachen, d. h. von unseren Sinnen abhängigen und dennoch wieder besonderen Existenz angetroffen werden können. Das aber ist niemals der Fall. "Soweit die Sinne Richter sind, sind alle Wahrnehmungen hinsichtlich der Art ihrer Existenz gleich." (2)

Von einem beharrlichen Dasein unserer Wahrnehmungsgegenstände besitzen wir also keinerlei sinnliche Impression, mithin auch keine intuitive Gewißheit. Allein, diese Gewißheit ist auch nicht demonstrativ. Denn die Geltung der möglichen Verhältnisse zwischen unseren ausschließlich in Impressionen wurzelnden Vorstellungsinhalten kann sich nie auf ein über die Dauer der Impression hinaus Beharrendes erstrecken. Gerade diese möglichen Verhältnisse unserer Vorstellungsinhalte aber, die Beziehungen zwischen unseren Ideen "nach dem Verhältnis der Einstimmigkeit und des Widerspruchs" (3) bilden nach HUME den Gegenstand der demonstrativen Gewißheit. So gewiß alle unsere sinnlichen Impressionen, diese Vorbilder und ausschließlichen Quellen unserer Vorstellungen in ihrem "Dasein unterbrochen und vom Geist abhängig" (4) sind, so gewiß is die reale Beständigkeit und dauernde Existenz der Wahrnehmungsdinge einer Demonstration, die für HUME immer nur eine  Entfaltung  des Inhalts unserer Vorstellung sein kann, verschlossen.

Gegenstände intuitiver oder demonstrativer Gewißheit sind lediglich unsere Wahrnehmungen, beziehungsweise die Verhältnisse zwischen deren Abbildern, den Ideen. Unsere Gewißheit von der realen Existenz beharrlicher Gegenstände aber ist weder tatsächlich, noch vernünftig.

Nichts liegt HUME - um es wieder zu betonen - so fern, als diesem negativen Resultat seiner Untersuchung diese Gewißheit selber zu opfern. Seine Überzeugung von der Existenz beharrlicher Außendinge vermag kein Untersuchungsergebnis zu erschüttern. Wir sehen uns unweigerlich "dazu getrieben", sagt der Philosoph, "die Welt als etwas Reales und Dauerndes zu betrachten, als etwas, das im Dasein beharrt, auch wenn es für meine Vorstellung nicht mehr besteht." (5) Wir alle sind nach HUME von der Gewißheit der realen Existenz beharrender Wahrnehmungsdinge ganz und gar durchdrungen. "Kaum ein Augenblick meines Lebens verließt" - so äußert er gelegentlich - "ohne, daß ich mich in der Lage befinde, die dauernde Existenz von Gegenständen voraussetzen zu müssen, um ihr vergangenes und gegenwärtiges Auftreten zu verknüpfen." (6)

2. Die Quelle unserer Gewißheit hinsichtlich des beharrlichen Daseins der Wahrnehmungsgegenstände, die er in der Tätigkeit der Sinne und des Verstandes vergeblich gesucht hatte, glaubt nun der Philosoph in der  Einbildungskraft  entdeckt zu haben. Nicht mit allen Eindrücken freilich verbindet - seiner Ansicht nach - dieses Vermögen den Glauben an die von uns unabhängige und dauernde Existenz einer Wahrnehmung. Dieser Glaube ist vielmehr an ganz bestimmte formale Eigenschaften unserer Eindrücke geknüpft, die allein unsere Einbildungskraft anzuregen vermögen. Es bedarf dazu - wie HUME es ausdrückt - eines "Zusammentreffens gewisser Eigenschaften der Eindrücke mit Eigenschaften der Einbildungskraft." (7) Zunächst kommt hier eine gewisse Konstanz in der Anordnung unserer Wahrnehmungen in Betracht. "Jene Berge, Häuser, Bäume, die sich jetzt eben meinen Blicken zeigen, sind mir stets in derselben Ordnung entgegengetreten und wenn ich die Augen schließe, oder den Kopf wende und sie dadurch aus dem Gesicht verliere, so sehe ich sie doch gleich darauf ohne die geringste Veränderung von neuem vor mir." (8) Sollte aber diese Beständigkeit infolge der Eigenart des beobachteten Phänomens lückenhaft erscheinen, so wird eine erfahrungsmäßige Regelmäßigkeit in der Aufeinanderfolge der Wahrnehmungen in uns den Glauben an deren dauernde Existenz entstehen lassen. "Wenn ich" - sagt HUME - "nach einer einstündigen Abwesenheit in mein Zimmer zurückkehre, so finde ich mein Feuer freilich nicht in der Verfassung, in der es sich befand, als ich es verließ; aber ich bin gewöhnt, in anderen Fällen eine gleiche Veränderung in einer gleichen Zeit vor sich gehen zu sehen, gleichgültig, ob ich anwesend oder abwesend, nah oder fern war." (9) Jede erfahrungsmäßige Regelmäßigkeit, also alle empirische Gesetzlichkeit ist aber andererseits selbst wieder mit dem Glauben an die dauernde Existenz der Gegenstände auf das Innigste verbunden. Ohne diesen Glauben würde die Erfahrung Widersprüche aufweisen, die in Wirklichkeit niemals bemerkt worden sind. Das plötzliche Erscheinen eines Menschen in meinem Zimmer - meint HUME - würde meiner erfahrungsmäßigen Kenntnis des Phänomens der Schwere, welche die Körper daran hindert, in der Luft emporzusteigen, arg widersprechen, wollte ich die dauernde Existenz der zu meinem Zimmer hinführenden Treppe bezweifeln. Die Erfahrungstatsache der regelmäßigen Verknüpfung unserer äußeren Wahrnehmungen involviert mithin, nach HUME, die Annahme einer dauernden und selbständigen Existenz. - Dabei ist klar, daß Regelmäßigkeit der Verbindung noch lange nicht Konstanz der Verbindung bedeuten könne. Denn ohne vollkommene Konstanz der Verbindung ist durch Beobachtung schlechterdings nie festzustellen. "Genügte doch schon eine bloße Wendung des Kopfes, oder die Schließung der Augen, um diese Konstanz aufzuheben." (10) Es wird sich daher beim Schluß von beobachtbarer Regelmäßigkeit auf vollkommene Konstanz oder bei der Begründung unseres Glaubens, daß die relativ regelmäßigen Erscheinungen durch ein vollkommen Konstantes "aneinandergeknüpft seien, das sich unserer Wahrnehmung entziehe", (11) nie um einen gewohnheitsmäßigen oder kausalen Schluß handeln können, d. h. um einen durch regelmäßige Aufeinanderfolge gewisser Wahrnehmungen geschaffenen Zustand der Erwartung, daß die in der Vergangenheit beobachtete Regelmäßigkeit der zeitlichen Verknüpfung von Wahrnehmungen auch in alle Zukunft erhalten bleiben werde. Denn augenscheinlich ist es vollkommen ausgeschlossen, uns an eine größere Konstanz zu gewöhnen, als sie die unsere Gewöhnung auslösende Folge von Wahrnehmungen selber besitzt; es müßte denn durch "etwas, was dem Geist nicht gegenwärtig war, im Geiste doch eine Gewohnheit entstehen" können. (12) Nun wollen wir aber offenbar beim Schluß von der empirischen Regelmäßigkeit der Wahrnehmungen auf eine vollkommene Konstanz unserer "Sinnesobjekte", diesen letzteren "eine größere Regelmäßigkeit sichern, als wir in unseren Wahrnehmungen je beobachtet haben." (13) Unser Schluß von Regelmäßigkeit auf Konstanz, beziehungsweise der Glaube an die Selbständigkeit der Wahrnehmungsgegenstände beruth nach HUME vielmehr auf der besonderen Eigenschaft unserer Einbildungskraft, daß sie "einmal in Tätigkeit gesetzt, geneigt sei, in der bestimmten Tätigkeitsrichtung zu verharren, auch wenn der Gegenstand sie im Stich läßt" - gleichwie ein Schiff, "das einmal durch die Ruder eine Bewegung erlangt hat, seinen Weg auch ohne einen neuen Anstoß fortsetzt." (14)

Diese Trägheit unserer Einbildungskraft - wie man diese Eigenschaft bezeichnen könnte - erzeugt also gewissermaßen, angeregt von der empirisch gegebenen, ihrer Natur nach unvollkommenen Konstanz der Verbindung unserer Wahrnehmungen den Glauben an eine  vollkommene  Konstanz dieser Verbindung. "Es ist dem Geist" - sagt HUME - "da er nun einmal im Zuge ist, in den Gegenständen aufgrund der Beobachtung Gleichförmigkeit anzunehmen, natürlich, damit fortzufahren, solange, bis er die Gleichförmigkeit in eine möglichst vollkommene verwandelt hat." (15) Dieses Ziel aber ist erst mit der Annahme einer dauernden Existenz von Wahrnehmungsdingen erreicht. "Sie gibt uns" - sagt HUME - "die Vorstellung einer viel größeren Gesetzmäßigkeit in den Gegenständen, als diese sie zeigen, wenn wir nicht weiter blicken, als unsere Sinne reichen." (16)

3. Zu einer befriedigenden Kenntnis von der eigentlich entscheidenden Rolle der Einbildungskraft für unseren Glauben an die beharrliche Existenz der Dinge gelangen wir aber erst auf dem Weg einer weiter ausgreifenden Erwägung. HUME findet nämlich das eben dargelegte Prinzip "zu schwach, um allein ein so mächtiges Gebäude, wie das des Glaubens an die dauernde Existenz der Körper außer uns zu tragen." (17)

Assoziativ verbundene, also gleiche Dispositionen des Geistes bewirkende Vorstellungen - so argumentiert HUME - verwechseln wir leicht. Die Einbildungskraft gleitet bei Betrachtung eines assoziativ verbundenen Vorstellungspaares in derselben ungehemmten und ununterbrochenen Weise fort, wie dieses bei der Betrachtung eines und desselben Gegenstandes (der Wahrnehmung) der Fall ist. Wir sind geneigt, solche Vorstellungen für identisch zu halten. Durch das assoziative Band der Ähnlichkeit verknüpfte Wahrnehmungsgegenstände unterscheiden wir daher nicht und schreiben unterbrochenen, aber ähnlichen Bildern vollkommene, d. h. numerische Identität zu. Numerisch identische Wahrnehmungen aber müssen dauernd, d. h. unveränderlich und ununterbrochen sein.

Es ist klar, daß diese Forderung unserer gewöhnlichsten Erfahrung, die uns doch immer nur unterbrochene, "in gewissen Intervallen auftretende" (18) Wahrnehmungen aufweist, widerstreitet. Aus Erfahrung kennen wir immer nur "auseinander gebrochene Erscheinungen". (19) Es komme deshalb zu einem überaus "unbehaglichen" Widerspruch - meint HUME - "zwischen dem Gedanken der Identität ähnlicher Wahrnehmungen und der tatsächlichen Unterbrechung in ihrem Auftreten." (20) Aus dieser Unbehaglichkeit muß der Geist herauszukommen trachten. Er tut das, indem er die eine Vorstellungsweise und zwar die von der unterbrochenen Beschaffenheit unserer Wahrnehmungen der anderen opfert. Denn auf die durch das ungehemmte Dahingleiten unserer Gedanken an ähnlichen Wahrnehmungen zustande gekommene Vorstellung der numerischen Identität unserer Wahrnehmungsobjekte  können  wir schlechterdings nicht verzichten. Wir vermögen uns unter dem Zwang naturnotwendig wirkender physiologischer Faktoren der Annahme unmöglich zu entziehen, daß unsere Wahrnehmungen in der Tat  nicht  unterbrochen sind. Lieber verhehlen wir uns - so gut es geht - die Tatsache der Unterbrechung, "indem wir annehmen, daß die unterbrochenen Wahrnehmungen durch ein wirkliches Dasein verknüpft seien, das sich nur unserer Wahrnehmung entziehe." (21)

Freilich müssen sich uns - bemerkt HUME - hier sogleich wieder zwei gewichtige Einwände aufdrängen. Wie können wir von einer Wahrnehmung sagen, sie sei "nicht im Geiste und sei dennoch nicht vernichtet?" und wie vermöchten wir uns vorzustellen, daß Wahrnehmungsgegenstände "ohne Neuschöpfungen von Wahrnehmungen oder Bildern in den Geist gelangen?" (22)

Beiden Bedenken begegnet HUME durch eine Analyse des Begriffes "Geist". So gewiß das, was wir Geist nennen, nichts ist, als ein Haufen verschiedener Perzeptionen und nicht ein vollkommen Einfaches und Identisches, so gewiß muß es möglich sein, "eine bestimmte Perzeption vom Geist losgetrennt, d. h. alle ihre Beziehungen zu jener zusammenhängenden Masse von Perzeptionen, die ein denkendes Wesen ausmachen, gelöst zu denken." (23) Die gleiche Überlegung befreit ihn auch von der zweiten Schwierigkeit. Wenn eine Absonderung einzelner Wahrnehmungen von dem den "Geist" konstituierenden Wahrnehmungskomplex nicht ungereimt und widerspruchsvoll erscheint, so müssen wir auch die Möglichkeit des entsprechenden, aber entgegengesetzt gerichteten Vorgangs zugeben. Wir müssen uns auch vorstellen können, daß eine im Geiste nicht enthalten gewesene Wahrnehmung in den Komplex der den "Geist" zusammensetzenden Wahrnehmungen eintritt. "Die Unterbrechung des Daseins für die Sinne schließt" daher "nicht mit Notwendigkeit eine Unterbrechung der Existenz in sich" und die Annahme einer "dauernden Existenz sinnfälliger Gegenstände oder Wahrnehmungen enthält keinen Widerspruch: wir dürfen getrost unserer Neigung zu dieser Annahme", welche durch die Lebhaftigkeit der Eindrücke, denen sie entstammt, zum Glauben wird - "nachgeben." (24)

Schon drängt sich uns aber eine weitere Erwägung auf, welche die eben gewonnene Position zu erschüttern droht, indem sie die Berechtigung unseres scheinbar so wohlfundierten Glaubens an eine dauernde Existenz unserer Wahrnehmungen ernstlich in Frage stellt.

Der Glaube an eine selbständige Existenz unserer Wahrnehmungen, der doch mit dem Glauben an deren kontinuierliche Existenz notwendig verbunden ist, kann nämlich - so sehr er auch mit der Tatsache der komplexen Beschaffenheit unseres "Geistes" übereinstimmen mag -, schon durch die gewöhnlichste Erfahrung widerlegt werden. Die Änderungen der Größe und Gestalt der Gegenstände bei Änderung ihrer Entfernung vom Auge, die Veränderungen der Farbe und sonstigen Eigenschaften der Körper bei Krankheiten sind ebensoviele Beispiele für die durchgängige Abhängigkeit unserer Wahrnehmungen von unseren Sinneswerkzeugen und "dem Zustand unserer Nerven und Lebensgeister". (25) Schon die einfachste physiologische Überlegung entkräftet also die Annahme einer selbständigen Existenz unserer Wahrnehmungen und widerstreitet damit auch dem mit jener Annahme notwendig verbundenen Glauben an deren dauernde Existenz.

So stünden wir denn neuerdings vor dem unmöglich zu erfüllenden, weil unseren "Instinkten" und "natürlichen Impulsen" zuwiderlaufenden Begehren der Überlegung, auf die Annahme einer dauernden Existenz unserer Wahrnehmungsgegenstände zu verzichten.

Der Geist befindet sich in einem schweren Dilemma zwischen der ihm "natürlichen und unmittelbar einleuchtenden Betrachtungsweise" und der "geflissentlichen" Überlegung. Jene sagt uns durch die Vermittlung der Einbildungskraft mit einer nicht zu überbietenden Eindringlichkeit, daß "die einander ähnlichen Wahrnehmungen dauernde und ununterbrochene Existenz besitzen und wenn sie entschwinden, nicht vernichtet werden." Diese überzeugt uns davon, daß auch "die einander ähnlichen Wahrnehmungen in ihrer Existenz Unterbrechungen erfahren und voneinander verschieden sein" müssen (26) "Die Natur ist hartnäckig" - sagt HUME - "und will das Feld nicht räumen, wie stark auch der Angriff von Seiten der Vernunft ist; die Vernunft hingegen ist in diesem Punkt so klar, daß es keine Möglichkeit gibt, sich über ihre Aussage hinwegzutäuschen". (27) Aus dieser Situation gibt es nur einen Ausweg: die von HUME als  philosophisch  bezeichnete Annahme. Wir müssen sowohl den Forderungen unserer Einbildungskraft, als auch denen unserer Überlegung gerecht werden, wir müssen den Feinden, da wir sie einmal nicht versöhnen können, nacheinander gewähren, was sie verlangen. Das vermögen wir aber nur, indem wir "den einander widersprechenden Merkmalen verschiedene Existenzen, als die  Unterbrechung  den  Wahrnehmungen,  die  Dauer  und  Selbständigkeit  aber  Gegenständen  zuschreiben." (28)

Der Begriff des Gegenstandes ist in diesem Stadium der HUMEschen Untersuchung von dem der Wahrnehmung schon streng geschieden. Gegenstand bedeutet hier eine von der Wahrnehmung unabhängige, dieser vielmehr zugrunde liegende Realität.

Die Annahme solcher unabhängig von ihrem Wahrgenommenwerden dauernd existierender Gegenstände ist die einzige, weder der vernünftigen Überlegung, noch der Einbildungskraft zuwiderlaufende Gestalt unseres physiologisch bedingten Glaubens an die reale Existenz eines Beharrlichen im Wechsel der Eindrücke. Die Einbildungskraft und Überlegung gleichermaßen befriedigende Vorstellung der beharrlichen Existenz von Außendingen ist für HUME mit anderen Worten das Ergebnis eines Kompromisses zwischen Einbildungskraft und Vernunft, dem auf der einen Seite der naive Glaube an eine kontinuierliche und selbständige Existenz unserer Wahrnehmungen, auf der anderen Seite der empiristische Grundsatz, daß die sinnlichen Wahrnehmungen das einzig Existierende seien, zum Opfer fällt.

Die von HUME als philosophisch bezeichnete Anschauung trägt der numerischen Verschiedenheit ähnlicher Wahrnehmungen Rechnung, ohne doch die Beharrlichkeitsvorstellung aufzugeben. Sie überträgt die letztere, zum Unterschied vom naiven Menschen, welcher das beharrliche Dasein den Wahrnehmungen selbst zuschreiben soll, auf ein eigens zu diesem Zweck fingiertes beharrliches und von den Wahrnehmungen unabhängiges Objekt, welches die ähnlichen Wahrnehmungen verursacht.


II.

1. Nicht die Sinne also oder die Vernunft sind - nach HUME - die Quellen unseres Glaubens an die Existenz eines Beharrlichen, sondern die Einbildungskraft, die Hartnäckigkeit, mit welcher sie sich im Dienst unserer natürlichen Instinkte den entgegengesetzten Ansprüchen der Vernunft gegenüber behauptet.

HUMEs Urteil über den wissenschaftlichen Wert unseres physiologisch fundierten und durch die Macht des Instinktes vor den Übergriffen eines vernunftgemäßen Zweifels gesicherten Glaubens an die Existenz beharrlicher Dinge ist damit aber auch schon gesprochen. Mag der Gegenstand dieses Glaubens die "gewöhnliche" oder die "philosophische" Beharrlichkeitsvorstellung sein - einer nüchternen Überlegung wird er in keinem Fall standhalten. Ein Vermögen, das uns die "grobe Täuschung" zumutet, "anzunehmen, daß die einander ähnlichen Wahrnehmungen numerisch-identisch seien", verdient auch nicht das geringste Vertrauen und eine Anschauung, welche diese Schwierigkeiten noch um die "Ungereimtheiten" vermehrt, "daß sie die Voraussetzungen des gewöhnlichen Lebens zu gleicher Zeit leugnet und bestätigt," (29) verfällt dem nämlichen Schicksal. Nie werden die "trivialen Neigungen der Einbildungskraft" (30) eine begründete und vernünftige Anschauung über die Existenz der Dinge zeitigen können und nie wird der skeptische Zweifel am Produkt dieser Einbildungskraft, also an der Berechtigung zur Annahme dauernd und selbständig existierender Außendinge - seien diese nun Wahrnehmungen oder Gegenstände, welche den Wahrnehmungen zugrunde liegen, - endgültig behoben sein, so gewiß ein beharrliches Dasein nie bewiesen oder erfahren werden wird.

2. Die Natur hat uns freilich nicht zum Diskutieren, sondern zum Handeln bestimmt. Diesem aber ist - nach HUMEs Meinung - der Glaube an eine beharrliche Existenz unserer  Wahrnehmungen  durchaus angemessen. Auch die Philosophen selber, welche die Mängel der Vorstellung von einer Persistenz [Beharren - wp] unserer Wahrnehmungen durch die eigens zu diesem Zweck ersonnene Lehre von einer zwiefachen Existenz beseitigen wollten, unterliegen schließlich dem Zwang der Natur. "Unmittelbar nachdem sie ihr Arbeitszimmer verlassen haben, sehen wir sie wieder dem von ihnen verworfenen Glauben der übrigen Menschheit huldigen, daß unsere Wahrnehmungen unsere einzigen Objekte seien und daß eben diese Objekt, indem sie sich als unterbrochene darstellen, doch identisch und ununterbrochen dieselben bleiben." (31)

"Sorglosigkeit und Nichtachten auf die Zweifelsgründe", d. h. Rückkehr zum Standpunkt des naiven, die beharrliche Existenz von Wahrnehmungen behauptenden Menschen ist es, was HUME dem "Durcheinander grundloser und sonderbarer Gedanken" gegenüber, wie seiner Ansicht nach die "philosophische" Anschauung von der zwiefachen Existenz bezeichnet werden muß, empfiehlt. Jene Gedanken aber sind "grundlos, weil sie im eitlen Bestreben wurzeln, eine Frage - das Problem der Berechtigung unseres Glaubens an die Existenz von Außendingen - der Diskussion zu unterwerfen, welche ihrer Natur nach jeder Diskussion von vornherein entrückt ist. Unser Glaube an die beharrliche Existenz der Wahrnehmungsgegenstände ist eben ein Akt des Lebensprozesses selbst, nicht aber ein Akt der ihrerseits wieder in diesem Lebensprozeß wurzelnden Erkenntnis. Die möglichen Argumente wider die Berechtigung des Glaubens an die beharrliche Existenz unserer Wahrnehmungsobjekte wären in ihrer Wirksamkeit etwa Argumenten wider die physiologischen Verrichtungen der Atmung und Verdauung zu vergleichen. Der Glaube an das reale Dasein unserer Wahrnehmungsgegenstände steht fest, lange vor allen skeptischen Anstrengungen der Überlegung, ihn zu erschüttern. Es hat keinen Sinn - sagt HUME - zu fragen, ob wir an eine Außenwelt glauben sollen oder dürfen, da wir in jedem Fall tatsächlich daran glauben und glauben müssen. (32) Ja, dieser Glaube ist die Voraussetzung für die Erhaltung unserer eigenen Existenz. Und darum durfte die Natur nicht die "weitläufigen und trügerischen Argumente" der Überlegung über die Existenz entscheiden lassen, "die dafür auch immer zu spät kommen würden; sie benutzt dazu die mechanische Tendenz eines Instinktes." (33) Nicht "Prinzipien", sondern die Natur selbst entscheidet vor und unabhängig von allen Prinzipien über unseren Glauben an eine beharrliche Existenz unserer Wahrnehmungen, ein Glaube, an den Begründung so wenig, wie Zweifel heranreicht.

3. Vermag nun HUME selbst die "philosophische" Anschauung von der zwiefachen Existenz - der Existenz von Wahrnehmungen und der diesen zugrunde liegender beharrender Dinge - wirklich zu verleugnen? Kann HUME mit anderen Worten an seine fundamentale Aufgabe, die erkenntnistheoretische Untersuchung des Realitätsproblems auch nur herantreten, ohne den von ihm als einzig naturgemäß bezeichneten Glauben an die beharrliche Existenz unserer Wahrnehmungen zu verlassen? Wir werden diese Frage verneinen müssen.

HUME kennt den Begriff einer zwiefachen - der apriorischen und der aposteriorischen - Erkenntnis. Aufgabe der ersteren ist - wie schon dargelegt - die  Entfaltung  des Inhaltes unserer Vorstellungen, Aufgabe der letzteren dessen Vermehrung. Die Norm jener ist der Satz des Widerspruches, die Norm dieser die reine, d. h. von allen Zutaten der Einbildungskraft und des verknüpfenden Denkes befreite Erfahrung. Die Feststellung nun, daß eine Erkenntnis des Tatsächlichen nur durch reine Erfahrung, also durch das Erkenntnismittel "gegebener" Wahrnehmungen  allein  möglich ist, schließt die Annahme eines Beharrens dieser Wahrnehmungen aus. Denn nur von Gegenständen, nicht aber auch von Mitteln der Erkenntnis kann substantiale Beharrlichkeit behauptet werden.  Was  wir uns als beharrend denken müssen, ist nicht zweifelhaft. Es kann lediglich dasjenige sein, was uns in den Wahrnehmungen erscheint, was uns die Wahrnehmungen "gibt", so gewiß deren Gegebensein die einzige Manifestantion einer von uns unabhängigen Existenz bildet. "Reine" Erfahrung als Methode des Erkennens, die Grundlage der erkenntnistheoretischen Position HUMEs, schließt also auf der einen Seite die nach HUME "gewöhnliche" Anschauung von der Beharrung unserer Wahrnehmungen aus, um auf der anderen Seite die Eigenschaft der Beharrlichkeit - ganz wie es die "philosophische" Anschauung fordert - auf die den Wahrnehmungen zugrunde liegende Realität zu übertragen. Diejenige Gestalt unseres physiologisch begründeten Glaubens an die Existenz eines Beharrlichen also, welche - wie wir gesehen haben - den Forderungen der Einbildungskraft und den Bedürfnissen der Überlegung gleichermaßen gerecht wird, erweist sich als Bedingung der erkenntnistheoretischen Problemstellung des Philosophen. In der "philosophischen" Anschauung von der Beharrung der den Wahrnehmungen zugrunde liegenden Gegenstände kommt ein  Phänomenalismus  zum Ausdruck, welcher die Voraussetzung für die fundamentale erkenntnistheoretische Leistung HUMEs, den Beweis, daß es von Tatsachen keine apriorische Erkenntnis geben kann, bildet. Wir erkennen mit Hilfe unserer Wahrnehmungen die an sich existierenden Dinge; nicht ihrem beharrlichen Dasein nach, denn dieses ist unerkennbar, obschon im höchsten Grade gewiß, auch nicht ihrer Beschaffenheit nach, die nie wahrgenommen oder vorgestellt werden kann, sondern lediglich in ihrem Verhältnis kommt in unseren Wahrnehmungen zum Ausdruck. Sie sind die wirklichen, nach Existenz und Beschaffenheit von uns unabhängigen, d. h. beharrlichen, sonst aber unbekannten Gegenstände  in  unserem Bewußtsein.

Wir können dabei nicht umhin, auf eine Schwierigkeit hinzuweisen, welche aus dem Begriff der "reinen" Erfahrung, als Methode einer Erkenntnis des Tatsächlichen, d. h. aus der unvermeidlichen Verbindung von methodischem Empirismus und phänomenalistischer Metaphysik resultieren muß. Dem Begriff eines Erkenntnismittels widerstreitet nämlich dessen Abhängigkeit vom Objekt. Das "Gegebensein" unserer Wahrnehmungen, dieser Elemente einer Erkenntnismethode durch "reine" Erfahrung, verträgt sich nicht mit der vom Begriff der Erkenntnis untrennbaren Vorstellung der Spontaneität des erkennenden Subjekts. Vom Standpunkt der HUMEschen Philosophie aus kann diese Schwierigkeit, die uns allein schon die Unhaltbarkeit eines strengen methodischen Empirismus vor Augen führt, nur konstatiert, nicht aber beseitigt werden, da sie mit dem Begriff dieses von HUME vertretenen Empirismus innig zusammenhängt.

4. Ehe wir uns nun der Betrachtung der wichtigen sachlichen und historischen Beziehungen des HUMEschen Phänomenalismus zuwenden, mag hier eine kurze Untersuchung der vielerörterten Frage nach dem Umfang und Eigenart der HUMEschen Skepsis - wie sie sich unter dem Gesichtspunkt des Realitätsproblems darstellt - Platz finden.

Man hat sich daran gewöhnt, im großen schottischen Denker den Geist zu sehen und wohl auch zu verehren, der stets verneint. Es mag hier unerörtert bleiben, inwieweit daran einfache historische Überlieferung und die bis auf unsere Tage nachwirkenden skeptischen Tendenzen der Aufklärungsperiode beteiligt sind. Sicher ist, daß den Vertretern der Anschauung von der skeptischen Richtung des HUMEschen Denkes der wahren Standpunkt des Philosophen in der Daseinsfrage und vor allem das Verständnis der Konsequenzen dieses Standpunktes, der Summe von positiven Ergebnissen seines Denkens, fremd bleiben. (34)

Ein Zweifel an der beharrlichen Existenz von Dingen kann HUME nach unseren bisherigen Ausführungen füglich nicht mehr imputiert [zugerechnet - wp] werden. Was er bezweifelt, ist nicht die beharrliche Existenz der Dinge, sondern zunächst die apriorische  Erkennbarkeit  der beharrlichen Existenz. HUMEs negativer Standpunkt ist in dieser Hinsicht durchaus rationalistisch: er prüft die Kraft des analytischen Denkens an der Existenzvorstellung. Und weil er sich der Beschränktheit dieser Kraft bewußt wird, indem er die Daseinsfrage ihrer Kompetenz entzogen findet, ist sein Rationalismus  kritisch,  d. h. von jener höheren Absicht getragen, "die Vernunft in ihrer Selbsterkenntnis" durch eine klare Begrenzung ihrer Leistungsfähigkeit "weiter zu bringen". Er bricht den Zwang, "den man der Vernunft antun will, indem man mit ihr groß tut und sie zugleich hindert, ein freimütiges Geständnis ihrer Schwächen abzulegen, die ihr bei der Prüfung ihrer selbst offenbar werden" müssen. (35)

Aber auch die aposteriorische Erkennbarkeit der realen Existenz durch das Erkenntnismittel der reinen Erfahrung leugnet - wie wir gesehen haben - der Philosoph. Er hat damit an die Vorstellung eines beharrlichen Daseins einen, seiner Ansicht nach dem Satz des Widerspruchs vollkommen koordinierten Erkenntnismaßstab angelegt. Der Unterschied zwischen der analytischen Methode und derjenigen der reinen Erfahrung liegt für ihn eben nur in den Objekten und den diesen angepaßten Mitteln der Erkenntnis, er liegt in der Qualität der Evidenz ihrer Ergebnisse, nicht aber im Grad dieser Evidenz. Die Resultate einer Untersuchung durch "reine" Erfahrung sind für HUME geradesowenig zweifelhaft, wie das einer Anschauung nach analytischen Sätze der Mathematik. Ihre Gewißheit ist nur von verschiedener Art.

Ist damit auf der einen Seite die völlige Inkompetenz jeglicher Erkenntnisnorm in Daseinsfragen festgestellt, so ist doch andererseits für HUME der Glaube an eine beharrliche Existenz der Dinge noch lange nicht erschüttert. Ein Zweifel an dieser ist unmöglich ,weil der Glaube an sie  vor  jedem Versuch des Zweifels oder der Erkenntnis infolge der Wirksamkeit biologischer Faktoren unerschütterlich feststeht. Gewiß, auch die "Krankheit des skeptischen Zweifels" am Dasein ist unaustilgbar; allein, sie befällt nur die, welche sich vortäuschen, das Dasein erkennen zu können. Daseinsfragen sind eben nicht Erkenntnisfragen, wie diejenigen glauben, welche über die reale Existenz von Dingen mit Hilfe eines Erkenntnismittels entscheiden wollen - gleichgültig, ob dieses Erkenntnismittel nun in Begriffsanalyse oder in Wahrnehmungen besteht. Mag die Annahme der Existenz beharrender Außendinge vom Standpunkt der Erkenntnis auch als "Fiktion" bezeichnet werden können: der Glaube an das reale Dasein der Dinge bleibt davon unberührt. Die "Ursachen, die uns veranlassen, an die Existenz von Körpern zu glauben", bieten eben der Erkenntnis, wie dem Zweifel nirgends einen Angriffspunkt. Die Geltung unserer Vorstellung von der realen Existenz der Außendinge ist unabhängig von jeglicher Erkenntnis, auch der durch "reine" Erfahrung - das ist das erkenntnistheoretische Resultat der Untersuchung HUMEs über unseren Glauben an das beharrliche Dasein der Gegenstände. Dieses Resultat aber steht natürlich in schroffstem Gegensatz zu jeglicher Skepsis, im Sinne eines Zweifels an der realen Existenz der Dinge.

5. Aber auch HUMEs  Methode  der "reinen" Erfahrung wird in Hinblick auf ihre oben gekennzeichnete Stellung als Norm der Erkenntnis des Tatsächlichen nicht gerade besonders glücklich als "skeptisch" bezeichnet werden können. Denn das Wort bezeichnet weder die Eigenart ihrer Leistung, noch die Besonderheit ihres Objektes in hinreichend charakteristischer Weise. Was es vermöge seiner negativen Bedeutung im günstigsten Falle zu leisten vermag, ist kaum mehr, als die ohnehin selbstverständliche Verneinung der Rationalität einer Erkenntnis durch Wahrnehmungen. HUMEs Methode der reinen Erfahrung ist - will man sie schon mit einem Namen belegen, "der einen Sektenanhang bezeichnet" - positivistisch. Gleich der apriorischen Methode auf  analytischem  Gebiet normiert sie, um es noch einmal zu sagen, in  Tatsachenfragen  das Verhalten des erkennenden Intellekts. Dort ist Widerspruchslosigkeit, hier Wahrnehmbarkeit das Kriterium der Wahrheit. Und gerade hierin zeigt sich - nebenbei bemerkt - der tiefgehende Unterschied zwischen der Lehre HUMEs und der eigentlichen, der antiken Skepsis. Denn diese war "so weit entfernt, das Gefühl, die Anschauung zum Prinzip der Wahrheit zu machen, daß sie sich vielmehr allererst gegen das Sinnliche kehrte." (36)

Fassen wir unsere Ansich von der Skepsis HUMEs zusammen, so dürfen wir sagen: HUME ist Skeptiker, nicht mehr als jeder wissenschaftliche Forscher überhaupt, soweit er nämlich - um es mit den eigenen Worten des Philosophen auszudrücken - "eine richtige Unparteilichkeit in unseren Urteilen" gewahrt wissen und "unseren Geist aller aus Erziehung oder übereilter Meinung eingesaugten Vorurteilen entwöhnen" will. (37)

6. "Esse" ist also für HUME - wir dürfen das als das Resultat unserer bisherigen Untersuchungen getrost aussprechen - so wenig "percipi", wie "demonstrari", wenn Sein die beharrliche Existenz realer Außendinge und Wahrnehmen unmittelbares Erkennen bedeutet. "HUMEs Empirismus ist mit anderen Worten nicht metaphysischer, sondern  methodischer  Natur, d. h. er verwechselt nicht Einsicht in die Unzugänglichkeit des realen Daseins der Dinge für unsere Erkenntnismittel mit dogmatischem Zweifel oder Leugnung der beharrlichen Existenz von Gegenständen überhaupt. Ja gerade indem HUME den metaphysischen Empirismus durch einen methodischen ersetzt,entzieht er der "phantastischen Sekte" der Zweifler am Dasein den Boden. Vergebens stützen sich diese auf die von HUME selber behauptete Unfähigkeit des Empirismus, die Existenzfrage in bejahendem Sinn zu entscheiden. HUME zeigt unzweideutig, daß seine empiristische Lehre auch den Zweifler am Dasein im Stich ließe. Denn niemals wird auch die Nichtexistenz der Dinge aus der Unmöglichkeit einer Erkenntnis der Existenz, sei es durch Begriffe, sei es durch Wahrnehmungen - zu erschließen sein. Und eben diese Unmöglichkeit behauptet der Philosoph.
LITERATUR - Richard Hönigswald, Über die Lehre Humes von der Realität der Außendinge, Eine erkenntnistheoretische Untersuchung, Halle/Saale 1904
    Anmerkungen
    1) "A treatise of human nature", Seite 188. Ich zitiere nach der Ausgabe von L. A. Selby-Bigge, Oxford 1896 und halte mich im Text im allgemeinen an die Übersetzung des "Treatise" von KÖTTGEN und LIPPS, Hamburg und Leipzig 1895.
    2) Treatise, Seite 193
    3) ALOIS RIEHL, Philosophischer Kritizismus I, Leipzig 1876, Seite 321
    4) Treatise, Seite 193
    5) Treatise, Seite 197
    6) Treatise, Seite 107
    7) Treatise, Seite 194
    8) Treatise, Seite 194
    9) Treatise, Seite 195
    10) Treatise, Seite 198
    11) Treatise, Seite 198
    12) Treatise, Seite 197
    13) Treatise, Seite 197
    14) Treatise, Seite 198
    15) Treatise, Seite 198
    16) Treatise, Seite 198
    17) Treatise, Seite 198f
    18) Treatise, Seite 205
    19) Treatise, Seite 205
    20) Treatise, Seite 206
    21) Treatise, Seite 199
    22) Treatise, Seite 207
    23) Treatise, Seite 207
    24) Treatise, Seite 207f
    25) Treatise, Seite 211
    26) Treatise, Seite 215
    27) Treatise, Seite 215
    28) Treatise, Seite 215
    29) Treatise, Seite 217
    30) Treatise, Seite 217
    31) Treatise, Seite 216
    32) Vgl. Treatise, Seite 187
    33) ALOIS RIEHL, Philosophie der Gegenwart, Leipzig 1903, Seite 99
    34) Vgl. RIEHL, Philosophischer Kritizismus, Bd. 1, Seite 153
    35) KANT, Kritik der reinen Vernunft (Ausgabe VORLÄNDER), Seite 616
    36) HEGEL, Enzyklopädie § 39
    37) HUME, Untersuchung über den menschlichen Verstand, deutsch von NATHANSON, Leipzig 1903, Seite 170