cr-4F. H. JacobiHumeR. Hönigswald    
 
FRIEDRICH HEINRICH JACOBI
David Hume über den Glauben
Vom transzendenten Idealismus
[ 5/5 ]

    Vorbemerkung
Das Gespräch

"Kant heißt deswegen die Realisten, die nicht  bloß  empirische Realisten sind,  träumende Idealisten;  denn sie halten die Gegenstände, die  bloße Vorstellungen sind,  für Dinge an sich."

"Die Kantische Philosphie geht um zu beweisen: daß sowohl die Gegenstände, als ihre Verhältnisse bloß subjektive Wesen, bloße Bestimmungen unseres eigenen Selbstes und ganz und gar nicht außer uns vorhanden seien. Denn wenn nach ihr auch  eingeräumt  werden kann, daß diesen bloß subjektiven Wesen, die nur Bestimmungen  unseres eigenen Wesens  sind, ein transzendentales Etwas als  Ursache  entsprechen  mag;  so bleibt doch in der tiefsten Dunkelheit verborgen, wo diese Ursache und von welcher Art ihre Beziehung auf die Wirkung sei. Übrigens haben wir schon gesehen, daß wir zu keiner Erfahrung von diesem transzendentalen Etwas weder von nahem noch von ferne gelangen und auf keine Weise das geringste von ihm gewahr werden können, sondern daß alle Gegenstände der Erfahrung bloße Erscheinungen sind, deren Materie und realer Inhalt durch und durch nichts anderes als unsere eigene Empfindung ist."

"Kurz: unsere ganze Erkenntnis enthält nichts, platterdings nichts, was irgend eine  wahrhaft  objektive Bedeutung hätte."

Vorbemerkung

Die folgende Abhandlung verweist durchaus auf die damals noch allein vorhandene  erste  Ausgabe der "Kritik der reinen Vernunft". Einige Monate später als diese Abhandlung, erschien die zweite Ausgabe des Kantischen Werks, vermehrt mit jener Widerlegung des Idealismus, von welcher ich, in der diesem zweiten Band meiner Schriften vorgesetzten Einleitung ausführlich geredet habe. In der Vorrede zu dieser zweiten Ausgabe (Seite XXXVIIf unterrichtet KANT seine Leser von den Verbesserungen in der  Darstellung,  die er in der neuen Ausgabe versucht habe, nicht verschweigend, daß mit dieser Verbesserung auch einiger Verlust für den Leser verbunden sei, indem,  um einer faßlicheren Darstellung Platz zu machen, manches hätte weggelassen oder abgekürzt vorgetragen werden müssen.  - Ich halte diesen Verlust für höchst bedeutend und wünsche sehr durch dieses mein Urteil Leser, denen es um Philosophie und ihre Geschichte ein Ernst ist, zu einer Vergleichung der ersten Ausgabe der "Kritik der reinen Vernunft", mit der verbesserten zweiten zu bewegen. Die folgenden Ausgaben sind der zweiten von Zeile zu Zeile bloß nachgedruckt. Zu ganz besonderer Erwägung empfehle ich den Abschnitt in der ersten Ausgabe (Seite 105ff):  Von der Synthesis der Rekognition im Begriff.  Da sich die erste Ausgabe schon sehr selten gemacht hat, so sorge man doch wenigsten in öffentlichen und auch größeren privaten Büchersammlungen, daß die wenigen davon noch erhaltenen Exemplare nicht zuletzt ganz verschwinden. Überhaupt wird es nicht genug erkannt, welchen Vorteil es gewährt, die Systeme großer Denker in den frühesten Darstellungen derselben zu studieren. So erzählte mit HAMANN vom scharfsinnigen CHRISTIAN JAKOB KRAUS, daß dieser nie hatte aufhören können ihm dafür zu danken, daß er ihn mit HUMEs erstem philosophischen Werk  Treatise of Human nature  1739, bekannt gemacht, weil ihn hier erst das wahre Licht über die späteren Essays aufgegangen wäre.



Der transzendentale oder kritische Idealismus, auf welchen die Kantische Kritik der reinen Vernunft gebaut ist, wird wie mir deucht von einigen Beförderern der Kantischen Philosophie nicht sorgfältig genug behandelt - oder, um lieber gerade heraus zu sagen, was ich denke: sie scheinen den Vorwurf des Idealismus überhaupt so sehr zu fürchten, daß sie lieber einigen Mißverstand veranlassen, als diesem Vorwurf, der abschrecken könnte, sich bloß stellen wollen. Dieses hätte nun woh an sich nichts sträfliches, da man gewöhnlich die Vorurteile der Menschen erst zahm machen muß, ehe man sie fesseln kann und es überhaupt so schwer ist, der Aufmerksamkeit beizukommen, daß uns eine allgemeine vorgefaßte Meinung im Weg steht, beinah die Hoffnung dazu aufgeben müssen. Aber im gegenwärtigen Fall ist die Sache so beschaffen, daß der geringste Mißverstand den ganzen Unterricht verdirbt, so daß man gar nicht mehr verstehen kann, was einem zugemutet wird. Auf die Kritik der reinen Vernunft selbst ist kaum ein Tadel dieser Art zu bringen; sie erklärt sich entscheidend genug und man braucht nur, nach den wenigen Blättern der transzendentalen Ästhetik, die Kritik des vierten Paralogismus der transzendentalen Seelenlehre (Seite 367 - 38O) zu lesen, um sich in Absicht des transzendentalen Idealismus überall aushelfen zu können.

"Der transzendentale Idealist", sagt KANT in dem zuletzt angeführten Abschnitt (Seite 370) "kann ein empirischer Realist, mithin, wie man ihn nennt, ein Dualist sein, d. i., die Existenz der Materie einräumen, ohne aus dem bloßen Selbstbewußtsein hinauszugehen und etwas mehr, als die Gewißheit der Vorstellungen in mir, mithin das  cogito ergo sum  anzunehmen. Denn weil er diese Materie und sogar deren innere Möglichkeit bloß für Erscheinung gelten läßt, die, von unserer Sinnlichkeit abgetrennt,  nichts  ist: so ist sie bei ihm nur eine Art Vorstellungen (Anschauungen), welche äußerlich heißen,  nicht, als ob sie sich auf an sich selbst äußere Gegenstände bezögen,  sondern weil sie Wahrnehmungen auf den Raum beziehen, in welchem alles auseinander,  er selbst, der Raum, aber in uns ist.  - Für diesen transzendentalen Idealismus haben wir uns nun schon zu Anfang erklärt ...

Wenn man äußere Erscheinungen als Vorstellungen ansieht, die von ihren Gegenständen, als an sich außer uns befindlichen Dingen, in uns gewirkt werden, so ist nicht abzusehen, wie man dieser ihr Dasein anders, als durch den Schluß von der Wirkung auf die Ursache erkennen könne, bei welchem es immer zweifelhaft bleiben muß, ob die letztere in uns oder außer uns sei.  Nun kann man zwar einräumen:  daß von unseren äußeren Anschauungen etwas, was im transzendentalen Verstand außer uns sein  mag,  die Ursache sei, aber dieses ist nicht der Gegenstand, den wir unter den Vorstellungen der Materie und körperlicher Dinge verstehen; denn diese sind lediglich Erscheinungen, d. i. bloße Vorstellungsarten, die sich jederzeit nur in uns befinden und deren Wirklichkeit auf dem unmittelbaren Bewußtsein ebenso, wie das Bewußtsein meiner eigenen Gedanken beruth. Der transzendentale Gegenstand ist, sowohl in Ansehung er inneren als äußeren Anschauung, gleich unbekannt. Von ihm aber ist auch nicht die Rede, sondern vom empirischen, welcher alsdann ein äußerer heiße, wenn er im Raum und ein innerer Gegenstand, wenn er lediglich im Zeitverhältnis vorgestellt wird; Raum aber und Zeit sind beide  nur in uns  anzutreffen.

Weil indessen das Ausdruck: außer uns, eine nicht zu vermeidende Zweideutigkeit bei sich führt, indem er bald etwas bedeutet, was als Ding an sich selbst von uns unterschieden existiert, bald was bloß zur äußeren Erscheinung gehört, so wollen wir, um diesen Begriff in der letzteren Bedeutung, als in welcher eigentlich die psychologische Frage wegen der Realität unserer äußeren Anschauung genommen wird, außer Unsicherheit zu setzen, empirisch äußerliche Gegenstände dadurch von denen, die so im transzendentalen Sinn heißen  möchten,  unterscheiden, daß wir sie - (die nur empirisch äußerlichen Gegenstände) - "geradezu Dinge nennen, die im Raum anzutreffen sind ..."

Aber im Raum ist nichts, als was in ihm vorgestellt wird. Denn der Raum ist selbst nichts anderes, als Vorstellung, folglich was in ihm ist, muß in der Vorstellung enthalten sein  und  im Raum ist gar nichts, außer, so fern es in ihm wirklich vorgestellt wird. Ein Satz, der allerdings befremdlich klingen muß: daß eine Sache nur in der Vorstellung von ihr existieren könne, der aber hier das Anstößige verliert, weil die Sachen mit denen wir es zu tun haben, nicht Dinge an sich, sondern nur Erscheinungen, d. i.  Vorstellungen sind". 

"Wenn wir uns nicht in unseren gemeinsten Behauptungen verwickeln wollen, müssen wir alle Wahrnehmungen, sie mögen nun innere oder äußere heißen, bloß als ein Bewußtsein dessen, was unserer Sinnlichkeit anhangt und die äußeren Gegenstände derselben nicht für Dinge an sich selbst, sondern nur für Vorstellungen ansehen, deren wir uns, wie jeder anderen Vorstellung, unmittelbar bewußt werden können, die aber darum äußere heißen, weil sie demjenigen Sinn anhangen, den wir den äußeren Sinn nennen, dessen Anschauung der Raum ist, der aber doch selbst nichts anderes, als eine innere Vorstellungsart ist, in welcher sich gewisse Wahrnehmungen verknüpfen. Das transzendentale Objekt, welches den äußeren Erscheinungen, imgleichen das, was der inneren Anschauung zum Grunde liegt, ist weder Materie, noch ein denkendes Wesen an sich selbst, sondern ein uns unbekannter Grund der Erscheinungen, die den empirischen Begriff von der ersten sowohl als zweiten Art an die Hand geben."

Aus der transzendentalen Ästhetik, auf die ich zuvörderst verwiesen habe, will ich nur folgende Stelle über die transzendentale Idealität der Zeit anführen. "Wider diese Theorie, welche der Zeit empirische Realität zugesteht, aber die absolute und transzendentale abspricht, habe ich von einsehenden Männern einen Einwurf so einstimmig vernommen, daß ich daraus abnehme, er müsse sich natürlicherweise bei jedem Leser, dem diese Betrachtungen ungewohnt sind, vorfinden. Er lautet so: Veränderungen sind wirklich (dieses beweist der Wechsel unserer eigenen Vorstellungen, wenn man gleich alle äußere Erscheinungen, samt deren Veränderungen leugnen wollte). Nun sind Veränderungen nur in der Zeit möglich, folglich ist die Zeit etwas wirkliches. Die Beantwortung hat keine Schwierigkeit. Ich gebe das ganze Argument zu. Die Zeit ist allerdings etwas wirkliches, nämlich  die wirkliche Form  der inneren Anschauung. Sie hat also subjektive Realität in Ansehung der inneren Erfahrung, d. i. ich habe wirklich die  Vorstellung  von der Zeit und meinen Bestimmungen in ihr. Sie ist also wirklich nicht als Objekt, sondern als die Vorstellungsart meiner Selbst dasl Objekt anzusehen. Wenn aber ich selbst, oder ein anderes Wesen mich, ohne diese Bedingung der Sinnlichkeit anschauen könnte, so würden eben dieselben Bestimmungen, die wir uns jetzt als Veränderungen vorstellen, eine Erkenntnis geben, in welcher die Vorstellung der Zeit,  mithin auf der Veränderung gar nicht vorkäme ...  Ich kann zwar sagen: meine Vorstellungen folgen einander; aber das heißt nur, wir sind uns ihrer, als in einer Zeitfolge, d. i. nach der Form des inneren Sinnes bewußt, usw." (Kritik der reinen Vernunft, Seite 36 und 37)

Also was wir Realisten wirkliche Gegenstände, von unseren Vorstellungen unabhängige Dinge nennen, das sind dem transzendentalen Idealisten nur innerliche Wesen,  die gar nichts von dem Ding, das etwa außer uns sein oder worauf die Erscheinung sich beziehen mag, darstellen, sondern von allem wirklich objektiven ganz leere bloß subjektive Bestimmungen des Gemüts. - Vorstellungen, - nichts als Vorstellungen -  sind diese Gegenstände, (1) die, so wie sie vorgestellt werden, als ausgedehnte Wesen oder  Reihen von Veränderungen,  außer unseren Gedanken keine an sich gegründete Existenz haben (Seite 491). "Sie" - Diese Gegenstände, die nur Erscheinungen sind, welche nichts, schlechterdings nichts, wirklich objektives, sondern überall nur sich selbst darstellen - "sind das bloße Spiel unserer Vorstellungen, die am Ende auf Bestimmungen des inneren Sinnes auslaufen." (Seite 101)

Folglich,
"Auch die Ordnung und Regelmäßigkeit in den Erscheinungen, die wir  Natur  nennen, bringen wir selbst hinein und würden sie auch nicht darin finden können, hätten wir sie nicht oder die Natur unseres Gemüts ursprünglich hineingelegt. (Seite 125) ... Ob wir gleich durch Erfahrung viel Gesetze lernen, so sind diese doch nur  besondere Bestimmungen  noch höherer Gesetze, unter denen die höchsten ( unter welchen alle anderen stehen ) a priori aus dem Verstand selbst gekommen  und nicht von der Erfahrung entlehnt sind, sondern vielmehr den Erscheinungen ihre Gesetzmäßigkeit verschaffen,  und eben dadurch Erfahrung möglich machen müssen. Es ist also der Verstand nicht bloß ein Vermögen durch Vergleichung sich Regeln zu machen:  er ist selbst die Gesetzgebung für die Natur,  d. i. ohne Verstand würde es überall nicht Natur, das ist synthetische Einheit des Mannigfaltigen nach Regeln geben: denn Erscheinungen können als solche nicht außer uns stattfinden, sondern existieren nur in unserer Sinnlichkeit." (2)

Ich glaube, dies wenige ist hinreichend zum Beweise, daß der Kantische Philosoph den Geist seines Systems ganz verläßt, wenn er von den Gegenständen sagt, daß sie  Eindrücke  auf die Sinne machen, dadurch Empfindungen  erregen  und auf diese Weise Vorstellungen  zuwege bringen:  denn nach dem Kantischen Lehrbegriff kann der empirische Gegenstand, der immer nur Erscheinung ist, nicht außer uns vorhanden und noch etwas anderes als eine Vorstellung sein; vom  transzendentalen Gegenstand  aber wissen wir nach diesem Lehrbegriff nicht das geringste und es ist auch nie von ihm die Rede, wenn Gegenstände in Betrachtung kommen; sein Begriff ist höchstens ein problematischer Begriff, welcher auf der  ganz subjektiven, unserer eigentümlichen Sinnlichkeit allein zugehörigen Form unseres Denkens beruth;  die Erfahrung gibt ihn nicht und kann ihn auf keine Weise geben, da dasjenige, was nicht  Erscheinung  ist, nie ein Gegenstand der Erfahrung sein kann; die Erscheinung aber und daß diese oder jene Affektion der Sinnlichkeit in mir ist, gar keine Beziehung von dergleichen Vorstellungen auf irgendein Objekt ausmacht. Der Vertand ist es, welcher das Objekt zur Erscheinung  hinzutut,  indem er ihr Mannigfaltiges ein  einem  Bewußtsein verknüpft.  Alsdenn  sagen wir, wir erkennen den Gegenstand, wenn wir im Mannigfaltigen der Anschauung synthetische Einheit bewirkt haben; und der Begriff dieser Einheit ist die Vorstellung vom Gegenstand =  X.  Dieses  X  ist aber nicht der  transzendentale  Gegenstand; denn vom transzendentalen Gegenstand wissen wir nicht einmal soviel und er wird als intelligible Ursache der Erscheinung überhaupt nur angenommen, bloß damit wir etwas haben, was der Sinnlichkeit als einer Rezeptivität [Aufnahmefähigkeit, Empfänglichkeit / wp] korrespondiere. (3)

Indessen wie sehr es auch dem Geist der Kantischen Philosphie zuwider sein mag, von Gegenständen zu sagen, daß sie  Eindrücke  auf die Sinne machen und auf diese Weise Vorstellungen zuwege bringen, so läßt sich doch nicht wohl ersehen, wie ohne diese Voraussetzung, auch die Kantische Philosophie zu sich selbst den Eingang finden und zu irgend einem Vortrag ihres Lehrbegriffs gelangen könne. Denn gleich das Wort Sinnlichkeit ist ohne alle Bedeutung, wenn nicht ein distinktes reales Medium zwischen Realem und Realem, ein wirkliches Mittel  von  Etwas zu Etwas darunter verstanden werden und in seinem Begriff, die Begriffe von auseinander- und verknüpftsein, von Tun und Leiden, von Kausalität und Dependenz [Abhängigkeit - wp]  als realen und objektiven Bestimmungen  schon enthalten sein sollen; und zwar dergestalt enthalten, daß die absolute Allgemeinheit und Notwendigkeit dieser Begriffe als frühere Voraussetzungen zugleich mit gegeben sei: Ich muß gestehen, daß dieser Anstand mich beim Studio der Kantischen Philosphie nicht wenig aufgehalten hat, so daß ich verschiedene Jahre hintereinander die Kritik der reinen Vernunft immer wieder von vorne anfangen mußte, weil ich unaufhörlich darüber irre wurde, daß ich  ohne  jene Voraussetzung in das System nicht hineinkommen und  mit  jener Voraussetzung darin nicht bleiben konnte.

Mit dieser Voraussetzung darin zu bleiben, ist platterdings unmöglich, weil die Überzeugung von der objektiven Gültigkeit unserer Wahrnehmung von Gegenständen außer uns als Dingen an sich und nicht als  bloß  subjektiver Erscheinungen, dieser Voraussetzung zugrunde liegt und ebenso die Überzeugung von der objektiven Gültigkeit unserer Vorstellungen  von den notwendigen Beziehungen  dieser Gegenstände aufeinander und ihrer  wesentlichen Verhältnisse, als objektiv realer Bestimmungen.  Behauptungen, welche sich auf keine Art und Weise mit der Kantischen Philosphie vereinigen lassen, da diese durchaus damit umgeht zu beweisen: daß sowohl die Gegenstände, als ihre Verhältnisse bloß subjektive Wesen, bloße Bestimmungen unseres eigenen Selbstes und ganz und gar nicht außer uns vorhanden seien. Denn wenn nach ihr auch  eingeräumt  werden kann, daß diesen bloß subjektiven Wesen, die nur Bestimmungen  unseres eigenen Wesens  sind, ein transzendentales Etwas als  Ursache  entsprechen  mag;  so bleibt doch in der tiefsten Dunkelheit verborgen, wo diese Ursache und von welcher Art ihre Beziehung auf die Wirkung sei. Übrigens haben wir schon gesehen, daß wir zu keiner Erfahrung von diesem transzendentalen Etwas weder von nahem noch von ferne gelangen und auf keine Weise das geringste von ihm gewahr werden können, sondern daß alle Gegenstände der Erfahrung bloße Erscheinungen sind, deren Materie und realer Inhalt durch und durch nichts anderes als unsere eigene Empfindung ist. In Absicht der besonderen Bestimmungen dieser Empfindung, ich meine ihrer Quelle, oder, um die Sprache der kantischen Philosophie zu reden,  der Art und Weise wie wir von Gegenständen affiziert  [erregt, berührt /wp]  werden,  befinden wir uns in der totalsten Unwissenheit. Und was die innerliche Bearbeitung oder Digestion [Verdauung - wp] dieser Materie betrifft, wodurch sie ihre  Form  erhält und die Empfindungen in uns zu Gegenständen für uns werden: so beruht diese auf einer  Spontaneität  unseres Wesens, deren Prinzip uns abermals ganz und gar unbekannt ist und wovon wir nur wissen, daß ihre erste Äußerung die Äußerung die Äußerung eines blinden vorwärts und rückwärts verknüpfenden Vermögens ist, das wir Einbildungskraft nennen. Da aber die Begriffe, die auf diese Weise entstehen und die Urteile und Sätze, die aus ihnen erwachsen, keine Gültigkeit als nur in Beziehung auf unsere Empfindungen haben, so ist unsere ganze Erkenntnis nichts als ein Bewußtsein verknüpfter Bestimmungen unseres eigenen Selbstes, woraus auf gar nichts anderes geschlossen werden kann. Unsere allgemeinen Vorstellungen, Begriffe und Grundsätze drücken nur die wesentliche Form aus, in welche jede besondere Vorstellung und jedes besondere Urteil zufolge der Beschaffenheit unserer Natur sich fügen muß, um in  einem  allgemeinen oder transzendentalen Bewußtsein aufgenommen und verknüpft werden zu können und dergestalt relative Wahrheit oder relativ objektive Gültigkeit zu erhalten. Aber diese Gesetze unseres Anschauens und Denkens sind, wenn man von der menschlichen Form abstrahiert, ohne alle Bedeutung und Gültigkeit und geben über die Gesetze der Natur an sich nicht die entfernteste Weisung. Weder der Satz des zureichenden Grundes, noch selbst der Satz, daß aus Nichts Nichts werden kann, geht die Dinge an sich an. Kurz: unsere ganze Erkenntnis enthält nichts, platterdings nichts, was irgend eine  wahrhaft  objektive Bedeutung hätte.

Ich frage: wie ist es möglich, die Voraussetzung von Gegenständen, welche Eindrücke auf unsere Sinne machen und auf diese Weise Vorstellungen erregen, mit einem Lehrbegriff zu vereinigen, der alle Gründe, worauf sich diese Voraussetzung stützt, zunichte machen will? Man erwäge, was gleich zu Anfang dieses Aufsatzes gezeigt worden ist: daß der Raum und alle Dinge im Raum nach dem Kantischen System in uns und sonst nirgendwo vorhanden sind; daß alle Veränderungen und sogar die Veränderungen unseres eigenen innerlichen Zustandes, wovon wir doch durch die Folge unserer Gedanken unmittelbar gewiß zu sein glauben, nur Vorstellungsarten sind und keine objektiv wirkliche Veränderung, kein solches Aufeinanderfolgen weder in uns noch außer uns beweisen; man erwäge, daß alle Grundsätze des Verstandes nur subjektive Bedingungen ausdrücken, welche Gesetze unseres Denkens, aber keineswegs der Natur an sich, sondern ohne allen  wahrhaft  objektiven Inhalt und Gebrauch sein: man erwäge diese Punkte gehörig und besinne sich, ob man neben ihnen wohl die Voraussetzung von Gegenständen, welche Eindrücke auf unsere Sinne machen und auf diese Weise Vorstellungen zuwege bringen, könne gelten lassen. Man wird es unmöglich können, wenn man nicht jedem Wort eine fremde Bedeutung und ihrer Zusammenfügung einen ganz mystischen Sinn beilegt. Denn nach dem allgemeinen Sprachgebrauch müßte mit dem Gegenstand ein Ding gemeint sein,  das im transzendentalen Verstand außer uns vorhanden wäre:  und wie kämen wir in der Kantischen Philosophie zu einem solchen Ding? Etwa dadurch, daß wir uns bei den Vorstellungen, die wir Erscheinungen nennen, passiv fühlen? Aber sich passiv fühlen oder leiden ist nur die Hälfte des Zustandes,  der allein nach dieser Hälfte nicht denkbar ist.  Auch würde hier ausdrücklich gefordert, daß er allein nach dieser Hälfte nicht denkbar sei. Also empfänden wir Ursache und Wirkung im transzendentalen Verstand und könnten, vermöge dieser Empfindungen, auf Dinge außer uns und ihre notwendigen Beziehungen aufeinander im transzendentalen Verstand schließen. Da aber der ganze transzendentale Idealismus hiermit zugrunde ginge und alle Anwendung und Absicht verlöre, so muß sein Bekenner schlechterdings jene Voraussetzung fahren lassen und es nicht einmal  wahrscheinlich  finden wollen, daß Dinge, die im transzendentalen Verstand außer uns wären, vorhanden sind und Beziehungen auf uns haben,  die wir auf irgendeine Weise wahrzunehmen imstande sein könnten.  Sobald er es nur wahrscheinlich findet, es nur von ferne  glauben  will, muß er aus dem transzendentalen Idealismus herausgehen und mit sich selbst in wahrhaft  unaussprechliche  Widersprüche geraten. der transzendentale Idealist muß also den Mut haben, den kräftigsten Idealismus, der je gelehrt worden ist, zu behaupten und selbst vor dem Vorwurf des spekulativen Egoismus sich nicht fürchten, weil er sich unmöglich in seinem System behaupten kann, wenn er auch nur diesen letzten Vorwurf von sich abtreiben will.

Wollte die Kantische Philosophie von der transzendentalen Unwissenheit, welche der transzendentale Idealismus lehrt, sich nur um ein Haarbreit durch Vermutung oder Glauben entfernen, so verlöre sie nicht allein in demselben Augenblick alle Haltung, sondern sie müßte auch, was sie als ihren Hauptvorzug angibt, nämlich die Vernunt in Ruhe zu setzen, ganz und gar fahren lassen; denn diese Anmaßung hat keinen anderen Grund, als  die durchgängige absolute Unwissenheit,  welche der transzendentale Idealismus behauptet; diese durchgängige absolute Unwissenheit würde aber alle Kraft verlieren, wenn irgend eine Vermutung sich über sie erheben und ihr auch nur den kleinsten Vorteil abgewinnen könnte.
LITERATUR - Friedrich Heinrich Jacobi, David Hume über den Glauben oder Idealismus und Realismus(ein Gespräch), Werke, Bd. 2, Leipzig 1815
    Anmerkungen
    1) KANT heißt deswegen die Realisten, die nicht  bloß  empirische Realisten sind,  träumende Idealisten;  denn sie halten die Gegenstände, die  bloße Vorstellungen sind,  für Dinge an sich.
    2) Man muß sich sorgfältig hüten, diese Kantische Behauptung nicht mit derjenigen zu verwechseln, die von LEIBNIZ so vielfältig ausgeführt und in MENDELSSOHNs "Phädon" so schön und faßlich vorgetragen ist, nämlich, daß Ordnung und Harmonie, jede Zusammenstimmung eines Mannigfaltigen,  als solche,  nicht in den Dingen, sondern allein im denkenden Wesen, welches das Mannigfaltige zusammen nimmt und in  eine  Vorstellung vereinigt, können angetroffen werden. Denn nach letzterer Behauptung ist die Ordnung, die Zusammenstimmung, die ich wahrnehme, nichts weniger, als bloß subjektiv, sondern die  Bedingung derselben  liegen außer mir im Gegenstand und ich werde durch die Beschaffenheit es Gegenstandes genötigt, seine Teile so und nicht anders zu verknüpfen. Also ist hier der Gegenstand auch Gesetzgeber für den Verstand, in Absicht des Begriffes, den er nach ihm bildet; der Begriff wird nach allen seinen Teilen und Verhältnissen durch den Gegenstand gegeben und nur das  Begreifen selbst  liegt allein in mir.
    3) KANT, Kritik der reinen Vernunft, Seite 246, 253, 254, 115, 494.