cr-2H. RickertW. WindelbandO. CaspariG. Neudecker     
 
CHRISTIAN HERMANN WEISSE
(1801-1866)
Über das Problem der Erkenntnis

"Es ist recht eigentlich ein Vorurteil des gesunden Menschenverstandes, jene Voraussetzung von der absoluten Natur des Wissens, vermöge deren sich kein Sein dem Wissen entziehen kann, vermöge deren das Wissen  alle Wahrheit umfaßt. Der natürliche Mensch ist von einem Zweifel daram ebenso fern, wie von der Ausdrücklichkeit seines Bewußtseins. Der Zweifel kann nicht ohne dieses ausdrückliche Bewußtsein entstehen, wiewohl er, sobald das Bewußtsein einen gewissen Grad der Reife erlangt hat, unfehlbar entsteht. Im guten Glauben an das Entsprechen des Seins zum Wissen, an die Erreichbarkeit allen Seins durch das Wissen werden wir geboren, in demselben Glauben leben, weben und sind wir. Kein, auch der einfachste Denkakt nicht, wäre ohne diesen Glauben möglich."

I. Von jeher hat man es als eine der wichtigsten, aber auch schwierigsten Aufgaben betrachtet, den richtigen, den wahrhaft wissenschaftlichen Anfang des Philosophierens zu finden. So schwierig diese Aufgabe ansich schon ist, so wurde ihre Schwierigkeit noch dadurch erhöht, daß man, obgleich einig darin, daß der Anfang nicht für gleichgültig zu achten, daß eine wichtige und wesentliche Bedeutung ihm zuzuschreiben ist, doch keineswegs darüber ins Klare gekommen war, worin eigentlich diese Bedeutung zu setzen ist. Mehr oder weniger hat bis auf die neueste Zeit das Vorurteil seine Geltung behauptet, als müsse im rechten Anfang auf gewisse Weise schon das Ganze enthalten sein; eingewickelt zwar in einen einfachen, einfach auszudrückenden Begriff, aber doch in einen solchen Begriff, aus welchem durch bloße Analyse der wesentliche Inhalt der ganzen philosophischen Wissenschaft genommen werden könnte. Zwar daß der Fortgang, der auf den Anfang folgen soll, eine Bereicherung des Wissens, des Erkennens sein müsse, war nicht in Abrede zu stellen. Aber man war sich bewußt, unter anderem an der Mathematik das Beispiel zu haben, wie auch die bloße Analysis einfacher Grundbegriffe eine solche Bereicherung und zwar eine unendliche, unübersehbar gewähren könne, und meinte, die Anwendung dieses Beispiels auf andere Wissenschaften, und unter diesen auch auf die Philosophie umso unbedenklicher machen zu dürfen, als gerade das Verfahren der Mathematik für den Typus echter Wissenschaftlichkeit galt; wofür es nach den Lehren der alten Logik auch ganz unstreitig zu gelten berechtigt war.

Von einem Prinzip in diesem Sinne kann für uns am Beginnen der spekulativen Logik umso weniger die Rede sein, als wir hier noch nicht den Anfang der objektiven philosophischen Wissenschaft, sondern nur den Anfang zu einer solchen Betrachtung suchen, in welcher und durch welche  dieser  Anfang erst gefunden werden soll. Den objektiven Anfang zu finden ist ein Problem, von welchem wir in der Einleitung unserer Wissenschaft sehen, daß es selbst nur durch eine wissenschaftliche Betrachtung gelöst werden kann. Um den Anfang dieser Betrachtung, dieser philosophischen Wissenschaft handelt es sich uns hier, und wenn es auch irrig sein würde,  diesen  Anfang als der subjektiven Willkür anheim gegeben betrachten zu wollen, so ist doch, ihn zu finden, uns erleichtert durch das Bewußtsein, welches wir über die geschichtlichen Beziehungen der philosophischen Wissenschaft gewonnen haben. Im Gegensatz jener Willkür werden wir nämlich in gewissem Sinne sagen dürfen, daß dieser Anfang, um als der rechte, als der zum Ziel führende beglaubigt zu sein, geschichtlich gegeben sein muß. Die Philosophie, als geschichtlich begründet, als nicht im gegenwärtigen Augenblick improvisierte Wissenschaft befindet sich darin mit allen anderen Wissenschaften im gleichen Fall, daß sie auf jeder einzelnen Stufe ihrer Ausbildung ihre Probleme nicht willkürlich erfinden, sondern von der zunächst gegebenen Stufe aufzunehmen hat. Der Unterschied zwischen ihr und jenen anderen Wissenschaften besteht nur darin, daß das Problem der späteren Stufe auf dem früheren nicht unmittelbar ausgesprochen ist, sondern daß es allerdings schon einigermaßen eines produktiven, philosophischen Sinnes bedarf, um die vorhandene oder verborgene Gestalt des Problems aufzufinden.

Wir unsererseits werden nach all dem das Problem unseres Anfangs in unserem Verhältnis zur Philosophie HEGELs zu suchen haben, welche wir, wie in der Einleitung gezeigt, als die letzte jener vorangehenden Stufen betrachten.

In diesem Sinne spreche ich, historisch  anknüpfend,  nicht, zumindest nicht auf eine Weise, die das eigene Urteil, die eigene Überzeugung des Lesers in Anspruch nähme, historisch  begründen,  die Ansicht aus, daß unser  Anfang  eben da zu suchen sein wird, wo die Philosophie HEGELs ihren  Abschluß,  ihr  Ende  erreicht, im Begriff und in der Idee des  absoluten Wissens Was für HEGEL das letzte Ergebnis war, der Begriff, dessen  Wirklichkeit  er unmittelbar in seiner Philosophie selbst zu haben meinte: das wird für uns zum Problem, von dem unsere philosophische Betrachtung ihren Ausgang nimmt, indem sie nach der  Möglichkeit  dieses Begriffs, und nach der Art und Weise, diese Möglichkeit in Wirklichkeit umzusetzen fragt. Der  Begriff  des absoluten Wissens ist als  Faktum  die Voraussetzung unseres Philosophierens. Er ist es in einem doppelten Sinn, erstens indem er als geschichtliches Faktum, d. h. als Endergebnis eines vorhandenen, und zwar des neuesten philosophischen Systems, die geschichtliche Stellung, zweitens, indem er als psychologisches Faktum, als Tatsache des Bewußtseins aller, den unmittelbaren Gedankeninhalt unseres Philosophierens bedingt.

Hier werden meine Leser stutzen, und mancher wird vielleicht kaum seinen Augen trauen, wenn er mich den Begriff des absoluten Wissens, diese scheinbar so paradoxe, so ungeheure Behauptung, als eine Tatsache des Bewußtseins, nicht etwa dieses oder jenes Philosophen, sondern aller Menschen, und also auch seines eigenen, aussprechen sieht. Und doch hoffe ich, daß keiner, der mich nur geduldig weiter lesen will, unüberzeugt von dem, was ich mit diesem Wort sagen will, diese Darstellung aus der Hand legen soll. - Der Begriff absoluten Wissens, wenn er, wie bei HEGEL, mit dem Vorgeben ausgesprochen wird, daß er bereits im menschlichen Geist, und daß er zunächst im Aussprechenden selbst, vollständig  verwirklicht  sei, ist das Gewagteste und Paradoxeste, was die Philosophie je ausgesprochen hat. Eben dieser Begriff, wenn er ohne seine schon erfolgte Verwirklichung, ja ohne auch nur die Möglichkeit seiner dereinstigen Verwirklichung, sei es unter den Menschen, oder auch selbst in höheren Geistern, zu behaupten, als bloße  Frage,  als bloßes  Problem  ausgesprochen wird, ist das Einfachste und Schlichteste, was sich überhaupt aussprechen läßt, ja was unbewußt und unwillkürlich mit jedem menschlichen Begriff zugleich gedacht, mit jeder menschlichen Rede zugleich ausgesprochen wird. Dies aber ist es, was ich meine. Der Begriff des absoluten Wissens, um vom Ende der Philosophie, wohin ihn HEGEL stellte, an den Anfang der Philosophie hinübergezogen zu werden, muß  depotenziert,  muß vom Prinzip der Skepsis, welches allenthalben in der Philosophie das Prinzip des Fortschritts ist, durchdrungen, und zum  problematischen  herabgesetzt werden. In dieser Gestalt ist er ein und derselbe mit dem Begriff des Wissen überhaupt, und die Frage nach der Möglichkeit eines absoluten Wissens fällt mit der Frage nach der Möglichkeit eines Wissens überhaupt zusammen.

Die Tatsache des Bewußtseins, auf welche ich mein Philosophieren als auf seine notwendige Basis begründe, welche zum  ausdrücklichen  Bewußtsein zu erheben der erste Schritt ist, den ich im Philosophieren tue, ist also folgende: Jeder Handlung des Denkens, durch welche ein geistiges Besitztum gewonnen werden soll, dessen Besitz wir  Wissen  nennen, geht voran und ist unzertrennlich verbunden ein Begriff des Wissens überhaupt und unabhängig von seinen besonderen Gegenständen. Denn wenn  Denken  das Streben nach Wissen, das Suchen eines bestimmten Wissens ist: wie wäre ein solches Streben, ein solches Suchen möglich, ohne die dem Strebenden, dem Suchenden zuvor innewohnende Kunde von der  Möglichkeit  des Angestrebten? Von der Möglichkeit zwar nicht des bestimmten Wissens im einzelnen Fall, wohl aber eines Wissens, eines geistigen Besitzes besonderer äußerlich oder innerlich gegebener Gegenstände überhaupt? - Eine solche Kunde aber, was ist sei anderes, als was ich eben den  Begriff  des Wissens nannte; ein Bewußtsein vom Wesen des Wissens überhaupt? Freilich ein solches Bewußtsein, welches noch nicht zugleich ein  Selbst bewußtsein ist, sich nicht als Wissen weiß, sondern welches, da es über seine eigene Natur unwissend bleibt, bezeichnender vielleicht noch, ein  unbewußtes Wissen,  ein  Instinkt des Wissens  genannt werden könnte? Zum Selbstbewußtsein wird dieser Instinkt, dieses seiner selbst unbewußte Bewußtsein eben erst  unsere  Betrachtung, durch die Philosophie; das Selbstbewußtsein dieses Wissens selbst ist Philosophie. Es liegt demnach in der Natur der Sache, daß auch, was in diesem Bewußtsein enthalten ist, die unbewußten, aber notwendigen Voraussetzungen dieses Bewußtseins, welches selbst nur eine unbewußte Voraussetzung ist, dies nicht anders, als durch Philosophie und in der Philosophie zum Selbstbewußtsein kommen kann. Versuchen wir es daher, jetzt weiter den Inhalt dieses allen Menschen eingeborenen Urwissens, dieser absoluten Voraussetzung alles besonderen Denkens und Wissens auseinanderzulegen.

Ich sagte: der Begriff des absoluten Wissens, als Problem gefaßt, ist ein und derselbe mit dem Begriff des Wissens überhaupt. Es gilt jetzt, diesen Satz umzukehren, zu zeigen, wie der Begriff des Wissens überhaupt, jener Begriff, der wie wir sehen, allem und jedem bestimmten Wissen als unbewußte Voraussetzung zugrunde liegt, unmittelbar durch sich selbst und ohne Hinzunahme eines neuen von Außen, der Begriff, der Instinkt eines  absoluten  Wissens ist. Unter "absolutem Wissen" verstehe ich dasselbe, was bei HEGEL darunter verstanden wird: ein Wissen, welches sich über alles Sein erstreckt, die Totalität alles Seienden in sich begreift, oder, - denn dahin modifiziert sich diese Definition durch unsere Depotenzierung jenes Begriffs, - möglicherweise in sich begreifen kann.  Hier nun ist es keineswegs schwer zu zeigen, wie jener Begriff des Wissens, der in allem Denken gegenwärtig ist, eben dadurch, daß er ein allgemeiner, von aller besonderen Beziehung auf diese oder jene Gegenstände des Denkens und Wissens völlig freier ist, sich als ein solcher kundgibt, der auf das  Sein  überhaupt geht, eine Faßbarkeit des Seins überhaupt im Wissen des Seins als solchem, ohne Unterschied seiner besonderen Beschaffenheiten, voraussetzt oder in sich schließt. Wer im Denken nach einem Wissen strebt, durch Denken ein Wissen erreichen will, tut dies in der Voraussetzung, nicht daß es als  dieses  Seiende - denn er kennt ja dessen besondere Beschaffenheit eben noch nicht - sondern daß es  als  Seiendes, vermöge seines Seins und aus keinem anderen Grund, als weil es  ist,  müsse  gewußt werden können.  Erweist sich ihm das Wissen eines Dinges als unerreichbar, so sucht er den Grund dieser Unerreichbarkeit in einem besonderen zeitlichen und örtlichen Mangel der Bedingungen, an welche die Vermittlung des Seins mit dem Wissen geknüpft ist, - Bedingungen, die wir, um sie vom  allgemeinen Wesen  des Wissens zu unterscheiden, vorläufig unter dem Namen der  sinnlichen  zusammenfassen können. Daß aber ein Sein als solches, vermöge seines Seins, dem Wissen schlechthin unerreichbar sein sollte, dies liegt nicht nur  nicht  in jenem Urwissen, sondern ist von ihm auf das Bestimmteste und Ausdrücklichste ausgeschlossen.

Alles, was ist, muß, sofern es ist, auch gewußt werden können; wenn nicht von jedem einzelnen des Wissens fähigen Geschöpf, so doch von einem wissenden Wesen überhaupt; - alles würde wirklich von jedem solchen Wesen gewußt werden, wenn in dessen Macht die sinnlichen Bedingungen gegeben wären, deren es bedarf, um sich eines solchen Wissens zu bemächtigen. Dies ist die unbefangene Voraussetzung, wenn man so will das Vorurteil, welches unbewußt die Vernunft allen ihren Denkoperationen zugrunde legt. Nicht die philosophischende Vernunft, - diese unterscheidet sich von der nichtphilosophierenden nur dadurch, daß sie jene Voraussetzung mit Bewußtsein zugrunde legt, - sondern jene Vernunft, welche man gemeinhin mit dem Namen des "gesunden Menschenverstandes" zu bezeichnen pflegt, - dieselbe und keine andere Vernunft, deren Besitz den Menschen über die Tierheit erhebt. Es ist recht eigentlich ein  Vorurteil des gesunden Menschenverstandes,  jene Voraussetzung von der  absoluten Natur des Wissens,  vermöge deren sich kein Sein dem Wissen entziehen kann, vermöge deren das Wissen  alle Wahrheit umfaßt.  Hat je Einer einen Zweifel am Inhalt dieses Vorurteils gehegt, so geschah dies infolge einer philosophischen Reflexion, welche das Vorurteil zum ausdrücklichen Bewußtsein brachte, aber sich von den Mitteln, dasselbe zu rechtfertigen, entblößt fand. Der natürliche Mensch ist von einem solchen Zweifel ebenso fern, wie von der Ausdrücklichkeit seines Bewußtseins. Der Zweifel kann nicht ohne dieses ausdrückliche Bewußtsein entstehen, wiewohl er, sobald das Bewußtsein einen gewissen Grad der Reife erlangt hat, unfehlbar entsteht. Im guten Glauben an das Entsprechen des Seins zum Wissen, an die Erreichbarkeit allen Seins durch das Wissen werden wir geboren, in demselben Glauben leben, weben und sind wir. Kein, auch der einfachste Denkakt nicht, wäre ohne diesen Glauben möglich; der Glaube, unbewußt, wie er von vornherein war, setzt sich auch in den Zweifel hinein fort. Denn selbst dann, wenn wir die Erkennbarkeit des Seins oder allen Seins leugnen, denken wir es doch eben als  Seiendes,  setzen wir also nicht bloß ein Sein, sondern auch die Denkbarkeit, ja das wirkliche Gedachtwerden dieses Seins als Sein in uns voraus. So daß also, indem wir die Absolutheit des  Wissens  verleugnen, wir im Akt dieser Verleugnung selbst unser  Denken  als ein absolutes, das heißt als ein über alles Seiende sich erstreckendes unbewußterweise zu setzen genötigt sind.

Man hat, besonders ehemals, den Unterschied der vernünftigen Seele des Menschen von den unvernünftigen Seelen der Tiere darauf zurückführen zu können gemeint, daß der ersteren eine Erkenntnis, ein Wissen von der Gottheit, oder zumindest - dahin nämlich glaubten Andere diesen Satz beschränken zu müssen - daß ihr eine Fähigkeit zu einem solchen Wissen angeboren ist. Der Sinn dieser Behauptung ist, richtig verstanden, derselbe, den wir hier als den Ausgangspunkt unseres Philosophierens dargestellt haben. Wird das, was den Grund jenes Unterschiedes ausmacht, wird das  Wesen der Vernunft - was keineswegs falsch oder unberechtigt ist - als ein  wirkliches  Wissen und dann zwar notwendig als ein  angeborenes,  das heißt strenger ausgedrückt (denn angeboren in einem physischen Sinn wird uns auch die Vernunft nicht) als ein mit der Vernunft notwendig zugleich in uns erwachendes betrachtet: so kann es freilich, wenn man genau sprechen will, noch nicht als ein Wissen von der  Gottheit  bezeichnet werden. der Begriff der Gottheit schließt ganz andere, bei weitem reichere Bestimmungen in sich, solche, die keineswegs schon in einem Urwissen enthalten, oder mit ihm zugleich gegeben sind; ja zu deren Erkenntnis viele, übrigens vernunftbegabte Geschöpfe überhaupt nicht gelangen.  Das  Wissen, welches uns wirklich im angegebenen Sinn angeboren ist und das Wesen der Vernunft ausmacht, ist das Wissen eines Allgemeinbegriffs, der, so wie er gedacht wird, notwendigerweise mit dem Bewußtsein gedacht wird, daß alles in ihm enthalten ist, daß es  außer  ihm  (extra eum [außerhalb von ihm - wp], darum freilich nicht  praeter eum [vor ihm - wp]) kein Sein und keine Wahrheit gibt. Auch dieses Wissen freilich bleibt, wie bemerkt, in der natürlichen Vernunft ein selbstbewußtloses. Es wäre unrichtig, es ein  Erkennen,  eine  Erkenntnis  zu nennen, denn Erkenntnis ist nicht ohne eine Aktualität des Wissens, ohne  Denken (noein) und  Anschauen (theorein). Aber  Wissen (eidenai, epistasthai) (1) es zu nennen, ist keineswegs falsch, da  Wissen  auch sonst, wenn es von einzelnen und besonderen Gegenständen gesagt wird, überall zunächst nur jenen bewußtlosen, in die einfache Potenz, gleichsam in die Nacht des  Gedächtnisses (memoria) (2) vergrabenen Besitz bezeichnet, der, um zur Erkenntnis zu werden, einer ausdrücklichen Hervorhebung in das Selbstbewußtsein bedarf. - Wie man aber darauf kommen möchte, das Wissen dieses Allgemeinbegriffs ein Wissen von  Gott  zu nennen, ist auch nicht schwer zu finden. Man ist gewohnt, den Gegenstand des Wissens als etwas Fürsichseiendes,selbständig Wirkliches zu denken; denn die Gegenstände unseres sinnlichen, empirischen Wissens, desjenigen Wissens, über das wir uns am Häufigsten eine ausdrückliche Rechenschaft geben, sind in der Tat ein solches, oder werden für ein solches genommen. Wird nun der Inhalt jenes Urwissens in der Vorstellung, die sich seiner nach seinem Unterschied von einem anderen Inhalt bewußt werden will, solchergestalt hypostasiert [vergegenständlicht - wp], so kann das aus dieser Hypostase Hervorgehende allerdings nicht anders, als  Gott  genannt werden: denn nur Gott ist es, der auf reale Weise die Gesamtheit alles Seienden umfaßt, dder die Allheit des Daseienden zur Basis seines eigenen Daseins hat. Das Wahre aber ist freilich, daß jenes Urwissen, sofern es wirklich ein Wissen ist, keinen Gegenstand in diesem Sinne hat, sondern daß sein Gegenstand nur der Allgemeinbegriff als solcher ist. Die Absolutheit, die wir von diesem Wissen prädizieren, ist nicht als Prädikat seines Gegenstandes zu fassen, so daß sie diesem Gegenstand in demselben Sinn zukäme, wie wir Gott Absolutheit zuschreiben, nämlich als Eigenschaft eines Realen, dem eine solche Eigenschaft unabhängig von seinem Erkanntwerden durch ein Anderes zukommt. Soll die Absolutheit überhaupt als Prädikat gefaßt werden, so wird sie in diesem Zusammenhang vielmehr dem Wissen zuzuschreiben sein; dieses nämlich erhebt sich eben durch den Besitz des Allgemeinbegriffs über jene  Bedingtheit,  über jene Abhängigkeit vom sinnlich Einzelnen, in welcher das tierische Vorstellungsleben befangen bleibt. Sofern dann das Wissen durch diese  seine  Unbedingtheit instand gesetzt wird, sich denkend zur Unbedingtheit Gottes zu erheben, so heißt es dann mit einem buchstäblicheren Recht, daß die Fähigkeit zur Erkenntnis  Gottes  es ist, worin das Wesen der menschlichen Vernunft besteht.

Eine andere, der hier zuletzt erwähnten direkt entgegenstehende, aber noch verbreitetere Meinung ist, daß der denkende, erkennende Geist ursprünglich von aller und jeder Erkenntnis oder Willensinhalt völlig leer ist, und erst durch die sinnliche Wahrnehmung und durch eine Aneignung der Objekte dieser Wahrnehmung einen solchen Inhalt erwirbt. Wir haben in dem, was wir das  Urwissen  nannten, einen solchen Inhalt kennengelernt, der durch keine Wahrnehmung noch durch Erfahrung nicht nur erworben worden ist, sondern überhaupt nicht erworben werden kann, und dennoch jedem Menschen, der nur Vernunft besitzt, unleugbar gegeben ist. Oder wie ließe sich eine Erfahrung denken, die jene Allheit des Seienden in empirischer Weise umfaßt, die in der Weise des Begriffs durch den einfachen Gedanken des Seins und des Wissens vom Sein umfaßt wird? Was jene angebliche Leere der erkennenden Vernunft im gewöhnmlichen Wortsinn erfüllt, ist überall ein Besonderes und Einzelnes; denn nur Einzelnes und Besonderes fällt in die sinnliche Wahrnehmung und Vorstellung, die zu einer solchen Ausfüllung gefordert wird. Vom reinen Begriff aber, welcher der Inhalt des Unwissens ist, kann man sagen, daß er die Vernunft auf eine allgemeine und ewige Weise erfüllt; daß er sie überhaupt gar nicht zu jener Leere, welche, um aufzuhören Leere zu sein, einer Ausfüllung von Außen bedürfte, kommen läßt. Das Wesen der Vernunft ist von vornherein keine einseitige Subjektivität, wie das Wesen der bloß vorstellenden Seele dies ist, von der es allerdings seine Richtigkeit hat, daß sie ohne sinnliche Eindrücke leer, eine  tabula rasa [unbeschriebene Tafel - wp] bleiben würde, wiewohl hier richtiger zu sagen ist, daß sie ohne sinnliche Eindrücke überhaupt nicht ist, noch  Dasein hat;  sondern es ist eine Subjekt-Objektivität, und nur darin, daß es diese ist, hat es seine ideale Unendlichkeit und Unbedingtheit. - Diese der Vernunft innewohnende Objektivität darf jedoch nicht verwechselt werden mit der äußeren Objektivität, welche die Vernunft gleichfalls zu erkennen die Bestimmung hat, noch darf das Bewußtsein jener zur Einbildung einer Selbstgenügsamkeit der Vernunft führen, die der Beziehung auf äußere Objekte wohl auch ganz entbehren könnte. Die Bestimmung der Vernunft, auch mit äußeren Objekten sich zu durchdringen, wird charakteristisch angedeutet durch das Unvermögen, in welchem sich die Vernunft des Menschen findet, jenes ihr ursprüngliches Besitztum anders als durch die Vermittlung eines äußeren sinnlichen Wissens zur Aktualität des Erkennens, zum Selbstbewußtsein zu bringen. Auch von ihr muß man sagen, daß sie ohne äußeres Erkennen kein  Dasein  hat; doch hat sie allerdings ein  Sein nämlich ein Sein als Potenz, und zwar nicht als Potenz überhaupt, - denn dies hat auch die noch nicht zur sinnlichen Aktualität gelangte Tierseele, - sondern ausdrücklich als Potenz des Unendlichen und Unbedingten. Will man diese der Aktualität entbehrende Potentialität die  Leere  des Erkennens nennen, so hat jener Ausspruch von der ursprünglichen Leere der Vernunft seine volle Richtigkeit; nur bleibt zu bemerken, daß die Ausfüllung dieser Leere keine bloß äußerliche mechanische ist, sondern durch die innewohnenden Tätigkeit der Vernunft als ursprünglich zur Aktualisierung des ihr eingeborenen Inhaltes die Bestimmung habender Potenz erfolgt.

II. So haben wir also jetzt den wirklichen Anfang zur Philosophie als Wissenschaft mit der Aufzeigung einer Tatsache des Bewußtseins gemacht, deren Gewahrwerden recht eigentlich als der Grenzpunkt bezeichnet werden kann, auf welchem sich das philosophische Bewußtsein im menschlichen Geist von einem außerphilosophischen scheidet. In Bezug auf diese Tatsache selbst und ihr Bewußtsein können wir eine dreifache Steigerung des letzteren unterscheiden. Die Tatsache als solche, das einfache  Bewußtsein  des Wissens oder  Wissen  des Wissens unterscheidet den vernünftigen Geist des Menschen von der Tierseele; das Bewußtsein der Tatsache, das  Selbstbewußtsein  oder  Erkennen  des Wissens, unterscheidet die philosophierende Vernunft von der nicht philosophierenden; schließlich das Bewußtsein dieses Selbstbewußtseins, das Bewußtsein der ausdrücklichen Bedeutung, welche das Selbstbewußtsein oder die Erkenntnis der absoluten Natur des Wissens für die Philosophie als solche hat, unterscheidet diejenige Entwicklungsstufe der philosophischen Wissenschaft, von welcher aus wir dieselbe neu zu gestalten unternehmen, von allen vorangehenden Entwicklungsstufen. Das erste und dritte dieser drei Momente haben wir bereits erörtert: es ist übrig jetzt vom zweiten noch Einiges zu sagen; von der Art und Weise, wie dasjenige höhere Bewußtsein, welches in seiner vollen Klarheit wir in einem Gegenwärtigen gewonnen zu haben uns rühmen dürfen, an sich, wenn auch in einer anderen Stellung und eingewickelt in andersartige Erkenntnismomente, in aller und jeder Philosophie gegenwärtig ist und die Philosophie von der Nichtphilosophie unterscheidet.

Wie weit von einander abweichend, ja untereinander entgegenlaufend und sich widersprechend die philosophischen Lehren und Ansichten erscheinen mögen: in  einem  Punkt sind sie alle, zu allen Zeiten und auf allen Entwicklungsstufen zusammengetroffen, nämlich darin, daß sie in irgendeiner Weise  zu ihrem Objekt die Allheit des Seienden machten.  Es ist in dieser Beziehung kein Unterschied zwischen negativer und positiver, zwischen skeptischer und dogmatischer, ja nicht einmal zwischen bloß verständiger, ihrem Objekt äußerlich bleibender und wahrhaft spekulativer, immanenter Philosophie. Wer die Erkenntnis des Wesens der Dnig nur erst sucht, wer auf eine solche Erkenntnis ausdrücklich verzichtet, ja wer alle und jede Erkennbarkeit der Dinge schlechthin leugnet: sie alle  denken  doch, im Zweifel, im Leugnen selbst, den Begriff eines  Wesens,  einer Allheit, einer Allgemeinheit der Dinge. Sie denken ihn nicht nur, sondern sie wissen auch, daß sie ihn denken; denn wie könnten sie ohne ein solches Selbstbewußtsein die Wahrheit dieses Gedankens oder seine Erfüllbarkeit durch eine ihm entsprechende Anschauung in Frage stellen? Eben durch dieses Selbstbewußtsein aber unterscheiden sie sich von den Nichtphilosophierenden, welche den Gedanken dieser Allgemeinheit zwar auch denken, aber unbewußt in andere Gedanken eingehüllt, und ohne ihn zum Gegenstand einer ausdrücklich auf ihn gerichteten Reflexion zu machen. So wenig aber, wie im natürlichen Menschen der unbewußte Gedanke, so wenig hat im Philosophen der selbstbewußte aus irgendeiner Erfahrung entstehen oder äußerlich in ihn hineingebracht werden können; es sei denn, daß man jene Erfahrung des Denkens, welche das bloße Bewußtsein seines Inhalts zum Selbstbewußtsein vom Denken dieses Inhalts macht, mit der gewöhnlich so genannten, äußerlichen Erfahrung gleichstellen wollte. Die Quelle daher, woraus der Philosophierende, - worunter wir hier Jeden verstehen, der auch ohne geschichtliche Kenntnis der wissenschaftlichen Philosophie und selbstbewußte Aufnahme ihres Entwicklungsganges auf eigene Hand anhebt, über das Ganze und Allgemeine der Erkenntnisgegenstände nachzudenken: - die Begriffe schöpft, über die und durch die er denkt, - diese Quelle ist in ihm dieselbe, wie im natürlichen Menschen; nämlich jenes mit der Vernunft zugleich gegebene Urwissen des Allgemeinen, welches nur in ihm zum ausdrücklichen Selbstbewußtsein kommt. Der entschiedenste Zweifler, ja der zu einem  fruchtbaren  Festhalten jener Allgemeinbegriffe, zur eigentlich  spekulativen  Philosophie völlig unfähige Leugner dieser Allgemeinbegriffe gibt in seinem Zweifeln und Leugnen selbst den Begriffen die Ehre des Daseins in einem vernünftigen Denken. Mag er es wollen oder nicht, er zeigt  faktisch  dem wahrhaften Philosophen das Objekt, welches beide gemeinschaftlich aus dem Bewußtsein in das Selbstbewußtsein erhoben haben; wiewohl nur der Letztere die Fülle der Schätze entdeckt, die unter der äußerlich unscheinbaren Hülle dieses Objekts verborgen liegen.

Die eigentlich wissenschaftliche, die spekulative Philosophie unterscheidet sich nämlich von der bloß reflektierenden, mit der sie übrigens vom selben Grundbewußtsein ausgeht, welches beiden den gemeinschaftlichen Namen gibt, durch das Gewahrwerden des Inhalts, der in diesem Bewußtsein liegt, und der Bedeutung dieses Inhaltes. Sie erblickt im Gedanken der Allgemeinheit nicht bloß jene leere, subjektive Form des Denkens oder Vorstellens, welche die nicht spekulative Philosophie, obgleich auch sie sich ihrer ausdrücklich bewußt geworden ist, gleichgültig angafft, als verstehe sie sich von selbst und sei weiter keines besonderen Aufhebens wert. Sie wird gewahr, daß in dieser Form unmittelbar ein Inhalt, ein Gegenstand des Denkens gegeben ist, und zwar ein unendlicher, ein solcher, wie ihn schlechterdings keine sinnliche Wahrnehmung oder Erfahrung bieten kann. Während daher die bloße Reflexionsphilosophie durch diesen Gedanken nichts am sonstigen Inhalt und der Art und Weise des gemein menschlichen Vorstellens und reflektierenden Denkens geändert meint, sondern denselben neben dem übrigen, sinnlichen Inhalt gleichgültig einhergehen läßt, so findet jene mit diesem Gedanken und in ihm eine neue Welt eröffnet, eine Welt, mit der die Welt des sinnlichen Denkens auf keine Weise zusammen bestehen kann. Denn wenn  dort  im einfachen Gedanken sich unmittelbar ein Unbedingtes und Unendliches gegenwärtig zeigt; wenn dieser Gedanke in sich selbst seine Wahrheit und Beglaubigung hat und schlechterdings keinen Zweifel an der Realität seines Objekts zuläßt, da diese Realität nicht, wie bei anderen Gedanken,  außerhalb  von ihm, sondern unmittelbar  in  ihm ist: welche Wahrheit oder Gültigkeit wird denn noch jenen Gedanken beigemessen werden können, die auf sinnlich vorübergehender und nur dem endlichen Subjekt angehörender Empfindung und Vorstellung beruhen? Gedanken, die ihr Objekt, ein endliches als einzelnes, als außer ihnen vorhanden, voraussetzen, ohne über die Beschaffenheit dieses Objektes etwas weiter aussagen zu können, als eben nur solches, was in die Empfindung und Vorstellung gegeben ist, was also als nicht dem Objekt, sondern nur dem Empfindenden und Vorzustellenden anzugehören sich erweist?

So nun geschieht es, daß der natürliche und notwendige Gang der Philosophie als Wissenschaft in ihrer geschichtlichen Entwicklung dieser ist: von der  gegenständlichen  Betrachtung des im Wissen gegenwärtigen Absoluten anzuheben, und dem Begriff dieses Absoluten einen gegenständlichen Inhalt zu geben, den er im unbefangenen, natürlichen Bewußtsein nicht hat. Das Bewußtsein von der  absoluten  Natur des Denkens und Wissens, von der Gegenwart des Absoluten als Allgemeinbegriffs im Denken und Wissen, gestaltet sich für sie zur Aufgabe einer Erkenntnis des Absoluten nach seiner gegenständlichen Natur und Beschaffenheit. Die Stellung dieser Aufgabe ist nicht als eine Willkür des Denkens zu fassen, als ein Sichüberfliegen, ein "Transzendieren" (diesen Kunstausdruck hat man für einen solchen vermeintlichen Fehlgriff der Spekulation erfunden) über die der menschlichen Erkenntnis von der Natur angewiesene Sphäre. Ich fordere jeden Leser auf, sich mit aller Intensität seiner Denkkraft in jenen Moment hineinzuversetzen, wo dem denkenden Geist das Bewußtsein aufgeht, daß er in seinem Denken vermöge seiner Natur und ohne irgendeine Absicht oder künstliche Anstrengung die Allheit des Seienden umfaßt. Wer es über sich gewinnen kann, unbefangen zu beobachten und zuzusehen, was in diesem entscheidenden - zumindest für das Verhältnis des Individuums zur Philosophie entscheidenden - Moment in ihm vorgeht: der wird finden, daß jener Begriff, oder, - sofern wir die verschiedenen möglichen Ausdrucksweisen jenes Urwissens schon hier, wie wir später uns ohnehin genötigt finden werden, als eine Mehrheit unterschiedener Begriffe fassen wollen, - jene die Allgemeinheit des Denkens ausdrückenden Begriffe, deren wir uns früher nur als Hilfsbegriffe und Verbindungsmittel beim sinnlichen Denken bedienten, unvermerkt und ohne unsere Absicht eine Gegenständlichkeit gewinnen, welche uns, wenn überhaupt Denklust und reger Wissenstrieb in uns ist, zum weiteren Eindringen in ihre Natur und Beschaffenheit einlädt. Daß es  Begriffe  sind, welche wir solchergestalt zu Objekten unseres Nachsinnens machen,  subjektive Denkformen,  welche zwar einen realen Inhalt voraussetzen, aber ihn nicht in sich selbst schon gegenwärtig tragen; dies kann für uns, wenn wir von der Art und Weise, wie  wir  zu diesem Bewußtsein gekommen sind, abstrahieren, und uns rein den Inhalt der hier beschriebenen, aller geschichtlichen Voraussetzungen, von denen  wir  ausgingen, noch entbehrenden Denkstufe für sich festhalten wollen, eigentlich noch nicht vorhanden sein oder in Betracht kommen. Wir finden in unserem Bewußtsein den Denkbegriff des Absoluten, (so nämlich nennen wir ein für allemal die Allheit oder Allgemeinheit des Absoluten), wir finden ihn als unser  Besitztum als eine  Tatsache  unseres Bewußtseins. Nicht auf die Prüfung dieser Tatsache, nicht auf ein Nachforschen nach den Gründen oder Quellen dieser Tatsache kann jetzt  zunächst  und  unmittelbar  unser weiterer Wissenstrieb gerichtet sein; denn die Tatsache als solche hat sich uns mit einer Evidenz aufgedrängt, die zum Gedanken an eine Untersuchung solcher Art nicht den leisesten Gedanken erweckt. Nicht rückwärts, sondern vorwärts geht der Zug, den die Wahrnehmung der Tatsache mit sich bringt; vorwärts nach der Realität, nach der gegenständlichen Beschaffenheit jenes Absoluten hin, dessen Dasein, und zwar dessen Dasein ausdrücklich  für unser Denken,  jetzt in unser Bewußtsein getreten ist. Können wir das Allgemeine, das Absolute  denken,  so wird auch die  Erkenntnis  dieses Absoluten für uns nicht unerreichbar sein, oder zumindest die Aufforderung, diese Erkenntnis anzustreben, ist uns gegeben; kurz, das Absolute ist für uns zum  Gegenstand,  wenn nicht unmittelbar der Erkenntnis, so doch des Erkenntnistriebes, des wissenschaftlichen Forschens geworden.

Welchen Gang die Philosophie auf dem Wege dieser Forschung nach dem Absoluten als  unmittelbarem  Objekt wirklich gegangen ist, ist hier nicht unsere Absicht, ausführlich darzulegen. Es muß genügen, - denn nur darum war es uns hier zu tun, - bemerkbar gemacht zu haben, wie der Gedanke, auf den wir geschichtlich hingeführt sind, um mit ihm den Anfang zu unserem Philosophieren zu machen,  ansich  in aller Philosophie vorhanden ist, auch in derjenigen, die, wie alle ältere positive, und nicht bloß reflektierende oder skeptische Philosophie, sich das Absolute unmittelbar ohne vorangehende Verständigung über die die Tatsache des Bewußtseins, durch die wir zu seinem Begriff gelangen, zum Objekt macht. Von jenem uralten System an, - dem Eleatischen, - welches im Gedanken des  Seienden (auto to on) den Inbegriff aller Wahrheit und Wirklichkeit zusammenfaßt, und hiermit den reinsten Anspruch für das unmittelbar in seinem einfachen Objekt aufgehende philosophische Selbstbewußtsein fand, sind die Prinzipien oder Grundbegriffe aller positiven oder wahrhaft spekulativen philosophischen Systeme nichts anderes, als vielfach modifizierte, und mehr oder weniger zugleich mit dem Inhalt anderweitiger geistiger Erfahrung oder Glaubensanschauung geschwängerte Hypostasen jenes einfachen Urbegriffs, dessen Dasein das Denken zum Denken, dessen ausdrückliches Gewahrwerden den Philosophen zum Philosophen macht. Die Entfaltung dieser Prinzipien, der zeitliche Wechsel derselben und das allmähliche Aufgehen der niederen und einfacheren in höheren und inhaltsreicheren, erfolgt nach einer gewissen Gesetzmäßigkeit, erfolgt in der Stetigkeit eines Entwicklungsprozesses, dessen Gesetz die Geschichte der Philosophie, wenn sie selbst philosophisch behandelt wird, aufzuzeigen die Bestimmung hat. Daß aber die Philosophie auf diesem Weg nicht zur Vollendung kommen kann, hat seine Richtigkeit. Es kann dieses Verfahren, die Denkbegriffe unmittelbar als Gegenstände zu behandeln, um in ihnen ohne die ausdrückliche Rückbeziehung auf den Denkakt, dem sie angehören, als solchen, die Beschaffenheit des Absoluten in der Weise anderer gegenständlicher Erkenntnisaufzusuchen, es kann dasselbe als  Dogmatismus  bezeichnet werden; eine Bezeichnung, durch welche wir uns jetzt auf den Gegensatz, den dieses Verfahren bereits auch geschichtlich gefunden hat, hingeführt finden.

Wir sind nämlich durch den Gang, den unsere Betrachtung genommen hat, dazu gelang, die neue Wendung, welche wir jenem Grundproblem aller Philosophie und der an dieses Problem sich knüpfenden Forschung zu geben gedenken, unmittelbar an jenen großen Wendepunkt anknüpfen zu können, von welchem die philosophische Wissenschaft die neueste Hauptperiode ihres stetigen Fortschritts begonnen hat. Bekanntlich rührt jene Bezeichnung des Charakters aller älteren Philosophie als  Dogmatismus  von KANT her, und was KANT diesem Dogmatismus gegenüberstellt, war die Idee einer  Vernunftkritik,  einer Prüfung des Vermögens denkender Vernunft zur Erkenntnis des Wesens der Dinge und des Absoluten. Hiermit war der Anfang gemacht zur Erhebung des Urbewußtseins auf jene dritte Potenz, von der ich oben sagte, daß sie als bezeichnend die Stufe, auf welcher sich  unsere  Philosophie befindet, von der zweiten Potenz, von welcher alle Philosophie als solche abhängt, noch unterschieden werden muß. Wir erkennen jetzt die große Bedeutung, welche sogleich für den Anfang, für den Gesamtstandpunkt und das ganze Unternehmen der Philosophie des Kritizismus zu haben mit Recht sich rühmt; wiewohl wir auch andererseits die Berechtigung erkennen, welcher der Dogmatismus auf seiner Stufe in Anspruch nimmt, die Notwendigkeit der Richtung, die er verfolgt, ihrer selbst und ihres Vorangehens vor dem Kritizismus, der nur durch dieses Vorangehen des Dogmatismus Bedeutung gewinnt und von bloß negativer oder Reflexionsphilosophie sich unterscheidet.

Bei KANT selbst steht die Nichtanerkennung des Moments der Wahrheit, welches in den Prinzipien des Dogmatismus liegt, im engsten Zusammenhang mit den nicht geringen Mängeln, mit welchem bei ihm Fassung und Ausdruck des kritischen Prinzips als solchen behaftet bleibt. KANT hat keineswegs die Tatsache des Urwissens in derjenigen Reinheit gefaßt, in der wir sie hier zu fassen versucht haben, obgleich der Anlauf, den seine Vernunftkritik nimmt, sichtlich darauf hingeht, sie so zu fassen, und eine vollkommen gelungende Durchführung einer solchen Kritik diese Fassung unumgänglich voraussetzen würde. Was bei ihm die Stelle jener Urtatsache vertritt, ist die von ihm so genannte  transzendentale Einheit des Bewußtseins oder ursprünglich-synthetische Einheit der Apperzeption Diese nämlich besteht nach ihm darin, daß die Vorstellung: "Ich  denke,  alle meine Vorstellunge müsse begleiten können." Hiermit meinte der berühmte Denker nichts anderes, als daß in allen Denkakten ein Urgedanke, ein durch sich selbst evidentes Urwissen gegenwärtig ist, welches alle anderen Gedanken erst zu Gedanken macht. Die subjektive Wendung, die er zwar dem Ausdruck dieses Urwissens gibt, ist nicht so zu verstehen, als sei es das einzelne endliche Subjekt, das empirische Ich, dessen Vorstellung ganz in der Weise einer bloß empirischen "Ideenassoziation" zu den übrigen Vorstellungen hinzutreten soll. So verstanden würde jener Satz zu einer bloß empirisch-psychologischen Bemerkung, ohne alle Bedeutung für die allgemeine logische Natur des Denkens, die er bei KANT doch unstreitig hat. Der Sinn KANTs geht unverkennbar dahin, daß das Denken seine Kraft und sein Vermögen, das Vermögen, die Vorstellungen objektiv zu machen, zu gegenständlichen Begriffen zu erheben, wesentlich darin hat, daß ihm ein Objekt ursprünglich gegeben ist. Wenn er als dieses Objekt das Denken selbst nennt, so ist dies eine Ungeschicklichkeit des Ausdrucks, die sich im weiteren Verfolg seiner Kritik freilich schwer genug bestraft hat, die man aber, wenn man die Eigentümlichkeit und geschichtliche Stellung seiner Philosophie im Ganzen erwägt, allerdings wohl als unvermeidlich aussprechen muß.

Von KANT an finden wir nun in den Prinzipien all der neueren philosophischen Systeme, welche stufenweise aus dem kantischen Kritizismus hervor-, und über denselben hinausgingen, ein Element enthalten, welches einen gemeinschaftlichen Gegensatz gegen den älteren Dogmatismus begründet und auf den Einfluß und die, wenn auch verborgen bleibende, Gegenwart des kritischen Prinzips in ihnen hindeutet. KANT selbst und seine Anhänger betrachteten den Beginn der Richtung, welche diese Systeme verfolgen, als einen Rückfall in den Dogmatismus; sie selbst aber beharrten, besonders in ihrer früheren Zeit, in einem ausdrücklichen Protest gegen den Dogmatismus; später ist dieser gesamte Gegensatz mehr in den Hintergrund getreten (3). - Wir vom Standpunkt der für uns gewonnenen Einsicht aus können sagen, daß, war es Dogmatismus, es ein von dem noch unvollkommenen Standpunkt aus, auf den KANT die Kritik gestellt hatte, notwendig zu durchgehender Dogmatismus war, ebenso notwendig, wie wir zuvor den älteren Dogmatismus für eine keineswegs zufällige, sondern zur Begründung einer objektiven wissenschaftlichen Philosophie notwendige Erscheinung erkannten. Der nächste Fortschritt von KANT erzeugte FICHTEs  Idealismus  und in diesem das ausdrückliche Setzen der Immanenz desjenigen Begriffs, der als die  Wahrheit  des objektiven Daseins ausgesprochen wird, in der Subjektivität des Denkens und Erkennens. Der Idealismus verfährt dogmatisch, indem er die Möglichkeit des Sein  von vornherein  auf die Immanenz im Denken beschränkte; aber er unterscheidet sich vom anderen Dogmatismus dadurch, daß er sich dieses seines Tuns, welches ansich ein und dasselbe ist mit dem Tun der dogmatischen Philosophie, ausdrücklich bewußt ist. Aller Dogmatismus nämlich, indem er den im Denken ursprünglich gegenwärtigen Allgemeinbegriff des Seins zum Inbegriff alles Realen hypostasiert und mit den Attributen der ihm zum Opfer gebrachten empirischen Realität ihn überkleidet, tut nichts anderes, als was der Idealismus auch tut und mit Bewußtsein tut, indem er das Sein des solchergestalt hypostasierten Allgemeinbegriffs ausdrücklich für das Sein des dem Allgemeinbegriff setzenden, reinen Ich erklärt. Das Setzen aber dieses reinen Ich als Prinzips der Philosophie ist offenbar in ähnlicher Weise, wie jene kantische Apperzeption, ein Ausdruck für das Bewußtsein jenes Urwissens, also ein Schritt zur wissenschaftlichen Fassung dieses Bewußtseins in seiner Reinheit als Anfangs- oder Ausgangspunktes der philosophischen Spekulation. - Wenn weiter SCHELLING FICHTEs Prinzip der Subjektivität durch ein Prinzip der Objektivität ergänzte, und das Absolute als absolute Einheit und Identität des Subjekts und des Objekts aussprach: so sehen wir, wie auch hier die ausdrückliche Reflexion auf das subjektive Moment, die Anerkennung der Immanenz des Seins im Wissen an die Spitze der Philosophie gestellt blieb. Die damit verbundene Anerkennung, daß das subjektive Moment, obwohl ansich schon von der Natur des Absoluten und Unendlichen, und in der Weise des Begriffs, des Idealen, das Absolute und Unendliche in sich tragend, doch für sich allein nicht ausreicht zur vollständigen Darstellung des Absoluten, sondern nur als ein Moment im Absoluten begriffen werden muß: diese Anerkennung ist nur ein Schritt weiter in der Fassung des Denkprinzips nach seiner reinen, das heißt, obwohl absoluten, doch annoch [heute noch - wp] noch leeren und der eigentlichen Realität, die aber durch dasselbe als  seiend  gesetzt wird, entbehrenden Natur, und so in einer Entfernung vom Dogmatismus. - Von HEGEL schließlich haben wir gesehen, wie er den Begriff des  absoluten Wissens  zwar nicht zum Anfang, aber zum Endresultat seines philosophischen Systems hat. Die kann man nach einer Seite hin als den letzten Schritt bezeichnen, den die Philosophie in der dogmatischen Richtung tun mußte: denn der Dogmatismus, der sich, nicht an seinem Anfang, sondern an seinem Schluß, also ohne seine Eigentümlichkeit aufzugeben, über sein Tun vollkommen verständigt, kann nicht anders, als das Sein, welches er von vornherein als im Wissen gegenwärtig gesetzt hat, auch als im Wissen aufgehend, das Wissen also als die höchste Formbestimmung, als die allein erschöpfende Wirklichkeit dieses Seins setzen. Eben diese vollkommene Selbstverständigung aber, und der Begriff der dialektischen Methode, der sich mit derselben zugleich einfand, eben diese Erschöpfung aller Konsequenzen des Dogmatismus, muß andererseits als die letzte Wirkung des in den Dogmatismus eingedrungenen, obwohl noch nicht zum entscheidenden Sieg über den Dogmatismus gelangten kritischen Prinzips gelten. Denn offenbar ist dieselbe herbeigeführt durch eine ausdrückliche Reflexion nicht auf das Urwissen als solches - woraus, wie wir sehen, vielmehr die unmittelbar dogmatische Philosophie entsteht, - sondern auf die Gegenwart dieses Urwissens im Selbstbewußtsein; in welcher Reflexion das Selbstbewußtsein, das "absolute Subjekt", als die "übergreifende Macht" erkannt wurde, welche die Totalität des Objektiven beherrscht und auf substantielle Weise in sich faßt.

So nun sind wir zu der Einsicht gelangt, wie die abermalige Steigerung des philosophischen Selbstbewußtseins über jenen Standpunkt hinaus, welcher die Philosophie von der Nichtphilosophie unterscheidet, auf gewisse Weise schon als das unterscheidende Merkmal aller neueren Philosophie seit KANT betrachtet werden kann. Wir unsererseits suchten das Ergebnis dieser Steigerung in seiner Reinheit zu fassen, und glauben dadurch den Faden jener philosophischen Entwicklung, soviel zumindest diese Seite des Prinzips oder des Anfangs betrifft, noch um einen Schritt weiter, zunächst über HEGEL hinaus, fortgeführt zu haben. - Vom Bewußtsein des Urwissens aus, welches als solches, als Selbstbewußtsein der Vernunft über sich und über den ihr ursprünglich gegebenen Inhalt, das gemeinschaftliche Element aller Philosophie ausmacht, kann noch nicht  unmittelbar  zur Entwicklung des Inhalts, der in jenem Urwissen gegeben ist, fortgeschritten werden, sondern man hat sich erst über die Bedeutung des Urwissens selbst zu verständigen und durch eine solche Verständigung die Methode zu finden, mittels deren die Entwicklung des Inhalts erfolgen soll. Dies die Forderung, die bereits dem Unternehmen der Vernunftkritik zugrunde lag; durch deren Aufstellung die Vernunftkritik mit Recht das Bewußtsein von sich hegen durfte, eine Reform der Philosophie dem bisherigen Dogmatismus ebensosehre, wie der unspekulativen Reflexionsphilosophie gegenüber, eingeleitet und begonnen zu haben. Aber die Erfüllung dieser Forderung erfolgte dort nicht unmittelbar auf geradem Weg, sondern auf einem Umweg. Durch die einseitig negative Wendung, die er nahm, sank der Kritizismus auf den Standpunkt einer bloßen Reflexionsphilosophie zurück, und führte dadurch eine Reaktion im Sinne des Dogmatismus herbei, welche in einer längeren, die Gestaltenbildung des früheren Dogmatismus fortsetzenden Entwicklungsreihe zuletzt als  Resultat  der positiven philosophischen Wissenschaft hervortrieb, was der Kritizismus als  Vorbedingung  zur positiven Philosophie gesucht hatte. An uns ist es jetzt, von der Erfahrung Nutzen zu ziehen, welche die Philosophie in der angegebenen Weise an sich selbst gemacht hat. Wir haben danach zu trachten, daß wir auf direktem Weg von einem aufgefundenen wahrhaften Anfang aus dasjenige erreichen, was unsere Vorgänger bisher nur auf einem Umweg durch die gesamte übrige philosophische Wissenschaft hindurch zu erreichen vermocht haben. Was wir nämlich in unserer gegenwärtigen philosophischen Betrachtung anstreben, ist, obgleich es, wie gesagt, zugleich auf gewisse Weise als das Endergebnis alles bisherigen Philosophierens auftritt, doch keineswegs nur auf einen  gegenwärtigen  Zweck beschränkt, sondern soll seinerseits nur als das Organ dienen, dieselbe positive philosophische Wissenschaft, die bisher zum Organ für  seine  Findung dienen mußte, den Bedürfnissen gemäß, die ihr gegenwärtiger Standpunkt mit sich bringt, noch einmal umzugestalten.

III. Das Urwissen, dessen Bewußtsein uns den Anfang allen Philosophierens macht, haben wir mehrfach als eine  Tatsache,  als ein  Tatsächliches  bezeichnet. - Die Philosophie der neuesten Zeit hat öfters nachdrück Protest dagegen eingelegt, von "Tatsachen des Bewußtseins" zu sprechen und dieselben zu wissenschaftlichen Prinzipien zu erheben, auf die eine Philosophie begründet werden soll. Diesem Protest liegt von der einen Seite eine richtige Einsicht, von der andern aber ein Mißverhältnis zugrunde, und es lohnt der Mühe, in Bezug auf unser gegenwärtiges Beginnen über beides ins Klare zu kommen. Wahr ist, daß es sich in der Philosophie nicht um Tatsachen als solche handeln kann; daß die Aufgabe nicht ist, ein Gegebenes, sei es auch ein innerlich, ein geistig Gegebenes aufzufassen, mit einem anderen Gegebenen zu kombinieren, und Folgerungen daraus zu ziehen. Dies ist die Weise empirischer Wissenschaften, aber nicht der Philosophie, am wenigsten der Philosophie gleich an ihrem Anfang, beim ersten Einschritt in die philosophische Betrachtung. Das Tatsächliche kann für die Philosophie Bedeutung haben, kann sogar Prinzip für die Philosophie werden, nicht  darum, weil  es ein tatsächlich Gegebenes, eine Tatsache ist, sondern was ihm eine solche Bedeutung gibt, was es zu einem solchen Prinzip eignet, ist ganz etwas anderes, als sein Gegebensein, seine Tatsächlichkeit. - Allerdings aber ging jene Polemik gegen das Philosopieren, welche sich mit einer Aufzählung von "Tatsachen des Bewußtseins" beschäftigt, dazu fort, das Berufen auf Tatsächlichkeit, auf geistige  Wahrnehmung  überhaupt als fehlerhaft darzustellen. Man verlangt von der Philosophie die Einsicht in die  Notwendigkeit  ihrer Gegenstände; man läßt nur solche Erkenntnis als philosophisch gelten, welche - nicht etwa nur von der Voraussetzung eines Tatsächlichen zur Einsicht in die Notwendigkeit dessen übergeht, was diesem Tatsächlichen zugrunde liegt oder aus ihm folgt, sondern welche sogleich von apodiktischen Sätzen, von einem reinem Bewußtsein absoluter Notwendigkeit beginnt, so wie jene "Anschauung des Absoluten", welche namentlich das Identitätssystem an die Stelle jedes solchen Anfangs der Philosophie, der von der Anerkennung eines Faktischen ausgeht, hat setzen wollen. Dies nun ist es, was wir als mißverständlich, als Dogmatismus oder als einen Rückfall von demjenigen Bewußtsein, welches die Vernunftkritik eröffnet hatte, in den Dogmatismus bezeichnen müssen. Der Begriff der Notwendigkeit, das Bewußtsein des Notwendigen  als  Notwendigem ist für den menschlichen Geist überhaupt nichts Unmittelbares, sondern ein durch das Bewußtsein des Faktischen Vermitteltes. Diese Vermittlung selbst ist nun allerdings zum großen Teil und nach einer wesentlichen Seite hin das Werk der Philosophie (an anderen Seiten hin leisten Ähnliches auch die Mathematik und andere Wissenschaften). Aber so wenig, wie die philosophische Erkenntnis sich auf das Notwendige im strengsten und eigentlichsten Wortsinn, - in denjenigen Wortsinn, der sich uns weiterhin infolge usnerer Erörterung ergeben wird - beschränken darf: ebensowenig darf sie diese mit dem objektiven Setzen eines Notwendigen beginnen. Denn der Beginn enthält, wie wir sahen, bereits das Problem des Ganzen; in der Stellung des Problems aber schon durch eine kategorische Setzung objektiver Begriffsbestimmungen die Lösung vorausnehmen wollen, heißt eben dogmatisch verfahren, und führt notwendig auf Einseitigkeiten und Beschränkungen in der Fassung des Gegenstandes der Philosophie.

Wir scheuen uns also nicht, den Inhalt jener ersten philosophische Einsicht, die wir im Vorhergehenden festzustellen suchten, mit dem Namen einer  Tatsache des Bewußtseins  zu bezeichnen und den Anfang der Philosophie in das  Gewahrwerden  dieser Tatsache zu setzen. Von der Verwechslung mit jenem empirisch-psychologischen Verfahren, das auf das Geratewohl solche Tatsachen aufgreift und ihre Wahrnehmung als Philosophie gibt, schützt uns die Beschaffenheit sowohl jener Tatsache selbst, als auch ihrer Wahrnehmung. In beiden nämlich ist deutlich genug ausgesprochen, daß, was ihnen ihre Bedeutung für die Philosophie gibt, nicht ihre Tatsächlichkeit als solche, sondern ihr universaler Inhalt ist. So gehen wir als jetzt dazu fort, jene Tatsache bestimmt und ausdrücklich mit dem Namen zu bezeichnen, der sie in ihrer Tatsächlichkeit von anderen Tatsachen des Bewußtseins unterscheidet, mit dem Namen  Vernunft.  Wenn bisher die Bedeutung dieses Wortes trotz aller Bemühungen, sie wissenschaftlich festzustellen, so schwankend und unklar geblieben ist, so hat dies seinen Grund durchaus nur darin, daß man jenes Tatsächliche, welche zum Begriff, der durch das Wort ausgedrückt werden soll, die faktische Grundlage gibt, nicht zu einem hinreichend deutlichen Bewußtsein ausgebildet hatte. Vernunft soll, - dahin pflegt man den Gebrauch dieses Wortes im Allgemeinen zu bestimmen, - ein  Vermögen  des Geistes zu bezeichnen. Ein Vermögen aber als solches tatsächlich festzustellen und abzugrenzen fällt sehr schwer; weill man die Einheit eines solchen in der Gleichartigkeit dessen suchen, was durch das Vermögen erreicht oder bewirkt wird, zu  dem  also das Vermögen ein Vermögen ist: so wird man alsbald gewahr, daß dieselbe Kraft, die auf dieses gerichtet ist, ebensosehr auch die Richtung auf Anderes hat, und daß umgekehrt alle echte Wirkung ein Resultat nicht von  einer,  sondern von mehreren Kräften oder Vermögen ist. Die einzig sichere und feste tatsächliche Umgrenzung eines solchen Begriffs wird dann gefunden, wenn man von der Bestimmung dessen ausgeht, nicht was möglicherweise von dem Vermögen erreicht werden  kann,  sondern was notwendig und unfehlbar dadurch erreicht  wird,  wenn man also das Vermögen nicht als Vermögen, sondern als eine wirkliche Existenz, als ein wirkliches Geschehen in Betracht zieht, und die weitere Bestimmung dessen, was aus diesem Geschehen folgt oder dadurch vorausgesetzt wird, der eigentlich wissenschaftlichen Entwicklung anheim gibt. In diesem Sinne nun läßt sich nachweisen, daß mit dem Wort  Vernunft  die Sprache zunächst ein ganz bestimmtes Tatsächliches bezeichnet hat, aus dem sich zwar die umfassendsten und schwer zu begrenzenden Folgerungen über Kraft und Vermögen des Geistes ziehen lassen, die dann mehr oder weniger gleichfalls in jenen Namen einbegriffen werden, welches aber für sich selbst nicht als eine unbestimmte Fähigkeit zum Wissen oder zur Geistestätigkeit überhaupt, sondern als ein bestimmtes, existierendes Wissen zu fassen ist, - nämlich eben als jenes Urwissen, von welchem wir gezeigt haben, daß es in jedem anderen Wissen und Erkennen vorausgesetzt wird.

Der Begriff der  Vernunft  hat das Eigene, daß er zugleich das Unterste und das Oberste des Geistes zu bezeichnen scheint, zugleich als Ausdruck für das Allgemeinste gebraucht wird, was den Menschen vom Tier unterscheidet, und für das Seltenste und Ungewöhnlichste, für diejenige Energie der intellektuellen Tätigkeit, die nur in sehr wenigen Individuen zur Wirklichkeit kommt. Welche von diesen zwei Bedeutungen, - wenn man sie als zwei besondere unterscheiden will, die ursprüngliche ist, ist für den Unbefangenen nicht schwer zu sehen. Der ältere deutsche Sprachgebrauch, so entschieden er auch schon in der Erhebung der Vernunft über alles bloß Sinnliche und Animalische ist, will damit doch meist nur einen Vorzug des Menschen über das Untermenschliche, keineswegs auch einen Vorzug höherer, menschlicher Begabung vor dem gemeinen Maß derselben bezeichnen (4). Wo ein  solcher  Vorzug ausgedrückt werden soll, wird gewöhnlich das Wort  Geist  zu Hilfe genommen, welches in der deutschen Sprache sozusagen den umgekehrten Weg, den Weg von oben nach unten gegangen ist. In diesem Sinne sehen wir in der älteren vaterländischen Theologie fast durchgängig den Gegensatz  menschlicher Vernunft  und  göttlichen Geistes; - durch "Vernunft" etwa dem "Verstand" gegenüber, jenes Göttliche, oder auch nur eine spezifische über die Allgemeinheit der intellektuellen Kraft hinausgehende Empfänglichkeit für das Göttliche bezeichnen zu wollen, wie man neuerdings, nicht ohne der Sprache Gewalt anzutun, begonnen hat, ist jener altertümlichen Weise völlig fremd. Eben diese Bedeutung des Wortes  Vernunft  ist, trotz der entgegenlaufenden Bemühungen der Philosophen, auch im gegenwärtigen populären Sprachgebrauch allenthalben die vorherrschende geblieben. Noch jetzt bezeichnet man im gemeinen Leben mit Vernunft Etwas, das allen Menschen gemein ist, und das man von allen fordert. Der Gegensatz, das Unvernünftige oder Vernunftlose, bezeichnet die tierische Natur, die Bestialität, und wenn man demselben auch in vielen Fällen innerhalb der vernünftigen Natur einen Raum gibt, so geschieht dies doch in der Weise, daß dadurch ein Herabsinken unter diese Natur, ein Zurückbleiben hinter den allgemeinen Forderungen derselben in einzelnen Reden oder Handlungen, nicht aber ein mit der menschlichen Natur verträglich bleibender Zustand ausgedrückt wird. Sogar von einem Wahnsinnigen sagt man nicht, er habe die Vernunft, sondern erh habe den Verstand, oder auch, er habe den  Gebrauch  der Vernunft verloren; während man die Vernunft als etwas der Substanz des Menschen Wesentliches, Unverlierbares betrachtet (5).

Diesem nicht durch Absicht und Kunst, sondern durch den Genius der Sprache selbst begründeten Sprachgebrauch gegenüber kann es als willkürlich und unberechtigt erscheinen, wenn die neuere Philosophie seit KANT, oder eigentlich schon seit CHRISTIAN WOLFF, der zur Begründung der deutschen philosophischen Schulterminologie den ersten Anstoß gab, das Wort  Vernunft  zur Bezeichnung zunächst ihrer eigenen Tätigkeit, mittelbarerweise aber der auf das Absolute als solches gerichteten Tätigkeit des Geistes überhaupt ausgeprägt hat. Es ist diese Ausprägung im Gegensatz gegen den Begriff des  Verstandes  erfolgt, ein Begriff, der gleichfalls erst von der Philosophie mit dem Begriff der Vernunft als ein verwandter oder gleichartiger zusammengepaart, und dann als ein innerhalb dieser Gleichartigkeit entgegengesetzter gegenübergestellt wurde. Der Gegensatz von Verstand und Vernunft bildet eines der Themen, von denen die deutsche Philosophie der neueren Zeit ausging und auf die sie unaufhörlich wieder zurückkommt. Die Bedeutung dieser Begriffe und ihres Gegensatzes hat alle Metamorphosen dieser Philosophie geteilt, da dieselben eben nichts anderes ausdrückten, als das Bewußtsein, welches die Philosophie auf jeder ihrer Stufen und Durchgangspunkte über sich selbst gewann. Dabei aber ist es im Ganzen geblieben: daß durch "Vernunft" die auf das Unendliche und Unbedingte, durch "Verstand" die auf das Endliche und Bedingte gerichtete Tätigkeit ausgedrückt wird; die weiteren Verschiedenheiten, namentlich in Bezug auf die Bestimmungen der Begriffe der Vernunft, betreffen die Art und Weise der Erkenntnis oder überhaupt der Erfassung des Absoluten, welche in den verschiedenen Systemen eine verschiedene ist: so daß das eine dieser Systeme unter  Vernunft  die unmittelbare Erkenntnis Gottes, das andere eine rein formale Erkenntnis verstehen, das eine die Vernunft zunächst in das theoretische Erkennen, das andere entweder ausschließlich oder vornehmlich in die praktischen Geistestätigkeiten, oder in die theoretischen nur, sofern sie sich auf die praktischen beziehen oder durch dieselben ihren Inhalt gewinnen, setzen kann. Der Protest aber, den neuerdings einige unserer ersten Denker (6) gegen diese Hochstellung der Vernunft auf Unkosten des Verstandes erhoben haben, hat teils im allgemeineren Sprachgebrauch der philosophischen Schulen noch nicht durchdringen können; teils scheint auch seine Tendenz nicht sowohl dahin zu gehen, der Vernunft die Richtung auf das Absolute überhaupt abzusprechen, um sie auf jenes Niveau des gemeinen Vermögens, welches sie im Sprachgebrauch des gemeinen Lebens bezeichnet, herabzusetzen, als vielmehr nur innerhalb jener höheren Richtung selbst, deren Allgemeinheit auch Jene mit dem Namen der Vernunft bezeichnen, dem Verstand eine von dieser Allgemeinheit noch zu unterscheidende, inhaltvollere und intensivere Tätigkeit zu vindizieren [rechtfertigen - wp]. Das Faktische also bleibt, daß durch diese wissenschaftliche Sprache eine Bedeutung des Wortes  Vernunft  eingeführt ist, welche der ältere Sprachgebrauch nicht kennt, und welche ihm, wie es zumindest auf den ersten Blick so scheint, durchaus fremd ist.

Auch diese Anomalie im Gebrauch des fraglichen Wortes wird jedoch, wer auf unsere vorangehende Entwicklung zurückblickt, won nicht gerechtfertigt, doch jedenfalls motiviert und entschuldigt finden. Sie verhält sich, wie man sieht, zum Normalgebrauch desselben genauso, wie sich die philosophische Steigerung des Urbewußtseins zum ausdrücklichen Wissen und Selbstbewußtsein zu der einfachen Tatsache des Urbewußtseins als solcher verhält. Wenn als das charakteristische  Merkmal  der Vernunft jenes Urbewußtsein in seiner einfachen, den Charakter der Geistigkeit überhaupt bedingenden Gegebenheit betrachtet wird, so kann als die eigentümliche  Energie  und  Tätigkeit  der Vernunft gar wohl diejenige betrachtet werden, in welcher dieses Urbewußtsein, welches in allen anderen Geistestätigkeiten verborgen (latent) bleibt, ausdrücklich hervortritt und seinem bestimmten Inhalt nach zur Erscheinung und Entfaltung kommt. Es klingt vielleicht sonderbar, daß es ein und dieselbe Vernunft sein soll, welche den Menschen zum Menschen, und welche den Philosophen zum Philosophen macht; aber das Auffallende dieser Behauptung verschwindet, wenn man das erstemal die Vernunft als bloße Potenz, die in anderen Tätigkeiten (dem Verstand, dem Gewissen, der Einbildungskraft usw.) zur Aktualität kommt, das zweitemal selbst als ausdrückliche Tätigkeit, als Aktus faßt. Je bestimmter und ausdrücklicher dann das Bewußtsein jenes Urbewußtseins an die Spitze der Philosophie gestellt wird, desto deutlicher kommt der Grund dieses Sprachgebrauchs zutage, und man wird es z. B. bei dem von uns eingenommenen Standpunkt ungleich weniger befremdend finden, wenn wir die Philosophie als ausdrückliche Vernunfttätigkeit bezeichnen, als etwa wenn KANT von einer praktischen Vernunft, JACOBI von einer Vernunft, die im Gefühl und der Ahnung des Göttlichen bestehen, also etwa mit der Religion zusammenfallen soll, SCHELLING von einer Vernunftanschauung des Absoluten spricht. Zumal wenn wir zugleich darauf aufmerksam machen, wie auch in dieser höheren Sphäre, die wir, im Gegensatz zur Sphäre des endlichen Geistes, mit dem Namen des  absoluten Geistes  bezeichnen wollen, die Vernunft, obgleich in Gestalt des ausdrücklichen Bewußtseins ihrer selbst, noch nicht das Letzte und Höchste ist, sondern sich auf ganz entsprechende Weise, wie innerhalb des endlichen oder gemein menschlichen Geistes wiederum als Basis eines Höheren verhält. Dieses Höhere sind hier insbesondere die ästhetischen und religiösen Tätigkeiten, welche sämtlich auf der Voraussetzung der Vernunft nicht bloß in der Gestalt des gemein menschlichen, sondern des philosophischen Bewußtseins, desjenigen Bewußtseins, welches sich des Besitzes eines Absoluten  ausdrücklich  bewußt ist, beruhen. Ja, es kann innerhalb der Philosophie selbst schon Vernunft und Verstand auf ähnliche Weise unterschieden werden, wie sie außerhalb der Philosophie in der niederen Sphäre des gemein Menschlichen unterschieden sind.  Vernunft  würde dann die Allgemeinheit jenes philosophischen Bewußtseins eben in der Gestalt bezeichnen, wie die Voraussetzung dieser Allgemeinheit der philosophischen, mit den ästhetischen und religiösen Tätigkeiten gemeinsam ist,  Verstand  aber die ausdrückliche, auf jene Voraussetzung gebaute Tätigkeit des philosophischen Denkens, insofern dieselbe im dialektischen Unterscheiden, Auseinander- und Zusammenbringen besteht.

Im Gegenwärtigen aber, wo wir es, obgleich selbst philosophierend, doch nicht mit der Philosophie als solcher, sondern mit dem Denken und Erkennen überhaupt zu tun haben, wie dieses sich zur Philosophie als zu seiner Wahrheit erst erheben soll; trifft die Bedeutung, die wir dem Wort  Vernunft  anweisen, durchaus mit der Bedeutung, den ihm der Genius der Sprache und der Sprachgebrauch des gemeinen Lebens angewiesen hat, zusammen. Wir nennen das  Vermögen  des Denkens und Wissens Vernunft, und betrachten Vernunft mithin als eine Gabe, durch die sich der Mensch von den bloß sinnlichen Geschöpfen unterscheidet, die er dagegen mit allen Geschöpfen höherer Art, sofern es solche gibt, ja mit dem Schöpfer selbst gemein hat. Wenn wir zeigten, daß dieses Vermögen nicht  nur  ein Vermögen zum Wissen, sondern in der Tat schon ein wirkliches Wissen ist; wenn wir ausdrücklich dieses bestimmte, wirkliche Wissen mit dem Namen der Vernunft belegten: so ist dies keine Änderung, die wir uns mit dem Sprachgebrauch erlaubt hätten, sondern wir brachten das, was die Sprache allenthalben, wo sie das Wort  Vernunft  ausspricht, ansich schon meint und also zugleich mit, ja wesentlich und hauptsächlich ausspricht, nur zum ausdrücklichen Bewußtsein. Dieses Urbesitztum der Vernunft, welches der Tat und Wahrheit nach mit der Vernunft selbst für identisch anzusprechen ist, da überall, wo es sich findet und notwendigerweise auch jene Anlage zum Denken und Wissen auch den Besonderen und Einzelnen gegeben ist, welche man gemeinhin unter "der Vernunft selbst" versteht - dieses Urbesitztum ist es, welches dem Begriff der Vernunft seine bestimmte Stelle in der Wissenschaft anweist, eine solche, die nicht ohne offenbare Begriffsverwirrung ihm entzogen werden kann. Der Begriff der Vernunft hat, so gefaßt, zu seiner philosophischen Voraussetzung die gesamte  sinnliche Natur;  nach der Seite des Geistes aber ist er schlechthin voraussetzungslos, ist das absolut Erste, der absolute Anfang allen geistigen Lebens und Bewußtseins. Es ist, wie gesagt, eine Begriffsverwirrung, wenn man neuerdings auf HEGELs Vorgang (7) von einem  sinnlichen Bewußtsein  und von einem  Selbstbewußtsein,  welche der Vernunft als solcher vorangehen sollen, gesprochen hat. Das sinnliche Vorstellungsleben, welches ansich, so, wie es in den Tieren ist, kein Bewußtsein, sondern Bewußtlosigkeit ist, wird zum  Bewußtsein  eben nur durch die Vernunft, - auf welche Weise wird sich weiter unten in der Lehre vom  Begriff  zeigen, und dieselbe Vernunft ist es, die auf eine gleichfalls unten näher zu bezeichnende Weise den Vorstellungen von den Objekten gegenüber die Vorstellung eines Subjekts, eines  Selbst  oder Ich erzeugt. Selbstbewußtsein ohne Vernunft ist schlechthin undenkbar, denn das Subjekt muß, um sich als Selbst, als Einzelnes erfassen zu können, dem anderes Einzelnes als gleicherweise seiend und wirklich gegenübersteht, bereits im Besitz eines Allgemeinen sein, an das es jenes Einzelne halten, das ihm zum Maßstab dafür dienen kann. Nicht minder aber ist ein objektives Bewußtsein ohne Selbstbewußtsein undenkbar. Denn  Bewußtsein  der Objekte ist eben nichts anderes, als eine Unterscheidung ihrer selbst, ihres Seiens vom Moment der Sinnlichkeit, von der subjektiven Empfindung und Vorstellung, in welcher das Objekt wahrgenommen wird. Was daher in jenem Zusammenhang, im Unterschied von Bewußtsein und Selbstbewußtsein, Vernunft genannt wird, das kann nicht die Vernunft überhaupt, diejenige Vernunft, von der hier die Rede ist, sondern es kann etwa nur eine intensivere Tätigkeit der Vernunft, eine höhere Stufe des Vernunftbewußtseins sein.

Diejenigen Voraussetzungen aber, welche die Vernunft da, wo sie als ein tatsächlich Gegebenes auftritt, hat, welche inmitten der wirklichen Welt die Wirklichkeit der Vernunft bedingen, - die  psychologischen  Voraussetzungen der Vernunft, nehmen  als  Voraussetzungen an gegenwärtiger Stelle darum keine weitere Betrachtung in Anspruch, weil die Vernunft selbst nicht, sofern sie ein Gegebenes, ein Tatsächliches und Erscheinendes ist, sondern einzig ihr  Inhalt  für uns den Gegenstand der Betrachtung ausmacht. Als  in diesen Inhalt eingehende  werden diese Voraussetzungen sogleich im folgenden Abschnitt besprochen werden, aber die Betrachtung selbst ist von einer zuvor gefaßten wissenschaftlichen Einsicht in die Voraussetzung unabhängig; sie hat im Bewußtsein des Vernunftinhaltes als solchem ihren absoluten Anfang. Die Forderung, auf einen Anfang zurückzugehen, der auch seinem objektiven Dasein nach, oder vielmehr (denn ein solches Dasein hat ein solcher Anfang gar nicht, da "Dasein" selbst wesentlich das Voraussetzen eines Anderen ist) seinem reinen, allen Unterschied des Inhalts und der Erscheinung von sich ausschließenden Sein nach voraussetzungslos ist: diese Forderung kann erst  durch  Philosophie und  in  der Philosophie entstehen; ein solcher Anfang ist nicht der Anfang der Philosophie selbst.
LITERATUR - Christian Hermann Weiße, Über das Problem der Erkenntnis Zeitschrift für Philosophie und spekulative Theologie, Bd. 2, Bonn 1838
    Anmerkungen
    1) Ich erwähne diese griechischen Worte darum, weil sie von ARISTOTELES an vielen Stellen zur ausdrücklichen Bezeichnung des Unterschiedes gebraucht werden, um dessen Bezeichnung es mir hier zu tun ist. - Im deutschen philosophischen Sprachgebrauch pflegt der Unterschied zwischen  Wissen  und  Erkennen  neuerdings (besonders bei FICHTE, bei KANT noch nicht) vernachlässigt und  Wissen  in unzähligen Fällen da gesetzt zu werden, wo richtiger  Erkennen  gesetzt werden sollte.
    2) Auch dieses lateinische Wort erwähne ich darum, weil es von älteren christlichen Philosophen, z. B. von AUGUSTINUS, ausdrücklich in einer Bedeutung gebraucht wird, in welcher unser deutsches Wort nicht leicht gebraucht zu werden pflegt, nämlich für jenen bewußtlosen Besitz der Allgemeinbegriffe, der nicht auf sinnlichem Weg erworben ist. Im Gegensatz dazu heißt das ausdrücklich denkende und erkennende Wesen des Geistes:  intellectus. 
    3) Anfangs wurde, besonders durch KANT selbst, wirklich alle ältere Philosophie mit dem Namen des Dogmatismus bezeichnet; später, als die Philosophie, zumindest nach einer Seite hin, zu diesem Dogmatismus und damit auch zum Verständnis der älteren Philosophie zurückkehrte, nannte man Dogmatismus nur noch die die Vernunftideen ganz verdunkelnde und in den Hintergrund zurückdrängende Verstandesmetaphysik. So z. B. SCHELLINGs "Philosophie und Religion", Seite 2f.
    4) Allerdings mit Ausnahmen, zu denen zum Teil schon im Mittelalter der Einfluß der aristotelischen Philosophie im Gebrauch, den diese vom Wort  nous  macht, veranlassen mochte. So finden wir z. B. in der merkwürdigen altdeutschen Abhandlung bei DOCEN "Miszellanien zur Geschichte der deutschen Literatur", Bd. I, Seite 140f von einer wirkenden Vernunft ganz im Sinne des aristotelischen  nous o kai energeia [Verstand und Energie - wp] gesprochen.
    5) In fremden Sprachen gibt es kein dem deutschen "Vernunft" vollkommen entsprechendes Wort; kein Wort einer fremden Sprache entspricht so genau dem hier ausdrückenden Begriff, wie dieses deutsche, in welchem sich mithin die Bestimmung unserer Sprache für ein klarer ausgebildetes philosophisches Bewußtsein zu dokumentieren scheint. Das lateinische  ratio  und die davon abgeleiteten Worte in neueren Sprachen schwanken zwischen dem, was wir "Vernunft" und was wir "Verstand" nennen. Ebenso das griechische  nous. 
    6) SCHELLING und FRIEDRICH SCHLEGEL
    7) In der "Phänomenologie des Geistes" und in demjenigen Abschnitt der "Enzyklopädie" (§§ 413-439), welcher dieselbe Überschrift führt, und den Gedankengang der ersten Abschnitte jenes größeren Werkes ins Kurze zusammenfaßt.