tb-2Die kritische PhilosophieGrundprobleme der Philosophie     
 
ALOIS RIEHL
Beiträge zur Logik
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    I. Begriffe und Definitionen
II. Begriffliche Sätze und Urteile
III. Formen der Aussage
IV. Die Arten der Schlußfolgerung

"Eine bloße Nachricht, eine Erzählung oder Beschreibung bildet noch keine Aussgae, es sei denn, wir fügen stillschweigend oder ausdrücklich das Bewußtsein von der Richtigkeit des Inhaltes der Nachricht hinzu, um einem allfälligen Zweifel zu begegnen. Sonst müßte auch ein Märchen aus Aussagen bestehen."

II. Begriffliche Sätze und Urteile

1) Die Vorstellung eines Verhältnisses zwischen zwei Begriffen als rein gedanklichen Vorstellungen ergibt für sich allein ebenso wenig eine Aussage, wie eine solche aus der Zerlegung eines Gedankens in seine begrifflichen Elemente hervorgeht. Jede Aussage weist vielmehr über den Bereich des Vorstellens und Denkens hinaus. Sie fügt zum vorgestellten Inhalt, mag dieser sprachlich durch ein Wort oder durch einen ganzen Satz auszudrücken sein, eine gewisse Bestimmung hinzu, die nicht wieder in einer bloßen Vorstellung besteht und es ergibt sich für die Urteilslehre die Aufgabe, die Natur dieser Bestimmung zu ermitteln.

Eine Frage kann genau denselben Vorstellungsinhalt und diesen auch in der nämlichen Gliederung seiner Teile umfassen, wie die entsprechende Aussage selbst, die ihre Antwort bildet. Dasjenige, wonach gefragt wird, kann also wenigstens in diesem Fall keine Vorstellung sein, welche zu den bereits in der Frage enthaltenen Vorstellungen hinzukäme, es muß eine andersartige, besondere Auffassungsart des gesamten, in der Frage vorgestellten Inhaltes sein. Eine bloße Nachricht, eine Erzählung oder Beschreibung bildet noch keine Aussgae, es sei denn, wir fügen stillschweigend oder ausdrücklich das Bewußtsein von der Richtigkeit des Inhaltes der Nachricht hinzu, um einem allfälligen Zweifel zu begegnen. Sonst müßte auch ein Märchen aus Aussagen bestehen. So oft wir urteilen, fühlen wir uns nicht frei, sondern gebunden. Und die einzige Aussage über den Inhalt eines Märchens ist die Behauptung der Nichtwirklichkeit seines Inhaltes.

Eine Aussage ist sonach von jeder rein vorstellenden Tätigkeit des Bewußtseins verschieden, sie kann weder als Verknüpfung von Begriffen, noch als Zerlegung einer Gesamtvorstellung in Begriffe gefaßt werden, obgleich das eine oder das andere ihre Voraussetzung bilden mag. Sie erweist sich vielmehr jenen geistigen Akten verwandt, die wir mit dem allgemeinen Namen der Beurteilung bezeichnen. Alle diese Akte kommen darin überein, daß sie den Vorstellungsinhalt, auf den sie sich beziehen, als gegeben voraussetzen. So müssen wir eine Handlung in ihren Beweggründen und äußeren Umständen kennen, um ihre sittliche Beschaffenheit oder ihre Zweckmäßigkeit beurteilen zu können. Und in gleicher Weise setzt die ästhetische Wertschätzung einer Erscheinung in der Natur, eines Werkes der Kunst die vollendete Vorstellung dieser Objekte der Beurteilung voraus. Nicht anders verhält es sich mit der Aussage. Auch hier tritt der eigentliche Akt des Urteilens zur Vorstellung, über die er ergeht, hinzu. Nur beziehen wir dabei den vorgestellten Inhalt statt auf die ästhetische Empfänglichkeit unseres Gemüts oder die Normen unseres Willens auf das Bewußtsein entweder der Wirklichkeit oder der Wahrheit. Diese beiden theoretischen Prädikate des Wirklichen und des Wahren reihen sich den praktischen des Zweckmäßigen und Guten und den ästhetischen des Schönen, des Erhabenen, des Bedeutungsvollen als eine besodnere Klasse an. Sie bestimmen den Erkenntniswert eines Vorstellungsinhaltes. Wir schreiben mit ihnen dem Inhalt Unabhängigkeit von unserem Vorstellen zu, sofern dieses lediglich als subjektive Tätigkeit betrachtet wird. So oft wir urteilen, urteilen wir im Namen aller, sei es, daß wir den Inhalt unseres Vorstellens auf die gemeinschaftliche, von unserem Bewußtsein unabhängige Wirklichkeit beziehen oder ihm allgemeine, für jedes denkende Subjekt verbindliche Gültigkeit zuerkennen. Urteilen heißt, einen Vorstellungsinhalt als wirklich oder als wahr auffassen. Ohne Zweifel also besteht jeder, auch der einfachste Urteilsakt aus zwei Gliedern, nur ist das eine Glied niemals ein bloßer Begriff oder überhaupt nur eine Vorstellung.

Es gibt demnach zwei Gebiete von Aussagen. Das eine wird gebildet durch den Zusammenhang unserer Wahrnehmungen und die Bedeutung einer Aussage innerhalb dieses Gebietes ist die Einordnung des vorgestellten Inhaltes in diesem Zusammenhang, mit anderen Worten: die Behauptung von Existenz oder Wirklichkeit des Inhaltes. Das zweite besteht im Denkzusammenhang, dem Universum unserer begrifflichen Vorstellungen als solcher. Hier ist der Sinn einer Aussage die Unterordnung eines Begriffsverhältnisses unter die gesetzliche Form des Denkens und Anschauens. Eine Aussage dieser Art entscheidet die Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit einer Begriffsverbindung, sie unterscheidet subjektive Begriffskombinationen von objektiven, die als solche ihren Grund in der gemeinschaftlichen Natur des Denkens haben.

Die Aussagen dieses zweiten Gebietes sollen fortan als "begriffliche Sätze", diejenigen des ersten als "eigentliche Urteile" oder auch kurz als "Urteile" bezeichnet werden. Ein Urteil ist somit die Auffassung einer Vorstellung oder Vorstellungsverbindung als wirklich, d. i. in den Kontext der Wahrnehmungen gehörig, ein begrifflicher Satz die Auffassung eines Verhältnisses zwischen zwei oder mehreren Begriffen als allgemeingültig und notwendig, welche Eigenschaften die Wahrheit des Verhältnisses ausmachen.

Was uns befähigt, beide Gebiete, das der begrifflichen Sätze und das der eigentlichen Urteile zu trennen, ist die Sprache, welche, wie oben gezeigt wurde, überhaupt erst die Sonderung gedanklicher Vorstellungen von anschaulichen ermöglicht. Nur mit Hilfe der Sprache oder eines Zeichensystems für reine Bedeutungsvorstellungen sind wir in den Stand gesetzt, lange Gedankenreihen zu durchlaufen, zu ordnen und in Eins zusammenzufassen, wobei wir uns ausschließlich von der Folgerichtigkeit der Tätigkeit des Denkens und der Evidenz der Form des Anschauens leiten lassen. Die Sätze, die wir auf diesem Weg gewinnen, zeigen sich den Aussagen über Tatsachen insofern verwandt, als sie wie diese nicht zu erfinden oder nach subjektivem Ermessen aufzustellen sind. Man muß sie entdecken und feststellen wie etwas, das ansich gegeben ist. Das Gebiet der begrifflichen Sätze, das Gebiet der logischen und mathematischen Wahrheit, hat eine ihm eigene Realität oder Unabhängigkeit von unserem Vorstellen, die wir im Unterschied von der Wirklichkeit eines Wahrnehmungsdinges als Objektivität bezeichnen wollen. Die Wahrheit eines begrifflichen Satzes hängt nicht von seiner psychologischen Wirklichkeit ab, ein solcher Satz wird nicht dadurch wahr gemacht, daß wir ihn denken. Er ist wahr, er besitzt eine ihm eigentümliche, auf einem Denkzusammenhang beruhende Wahrheit, die ihn für jedes Subjekt, das ihn denkt, gültig und notwendig macht -, und die Anerkennung dieser Wahrheit bildet eben das Wesen der begrifflichen Aussage als solcher oder des abstrakten Wahrheitssatzes.

Die grammatische Zerlegung eines Satzes in Subjekt und Prädikat deckt sich somit keineswegs mit der logischen Unterscheidung dieser beiden Hauptbestandteile einer Aussage. Das logische oder besser das erkenntnistheoretische Prädikat ist vielmehr in der Kopula eingeschlossen. Daher bildet die Kopula, das Wörtchen.  ist den Kern der Aussage, sie ist Ausdruck der aussagenden Tätigkeit als solcher. Da aber die Kopula zugleich der Herstellung der Satzform dient, so erklärt sich leicht die oft bemerkte Zweideutigkeit des Wortes  Sein.  Man war gewiß im Recht zu erklären, als bloßes Bindewort schließe die Kopula keineswegs die Behauptung der Existenz des Subjektes (und der davon abhängigen des Prädikates) des Satzes ein. Allein ein dieser rein grammatischen Funktion ist die Kopula auch gar nicht Ausdruck einer Aussage, als Träger der Aussage dagegen ist sie nicht länger ein bloßes Bindeglied von Worten. Sie verwandetl sich in das Prädikat - nicht des Satzes - sondern der Aussage selbst und als Ganzes genommen. "Sein" bedeutet dann so viel als Wirklichsein oder Wahrsein.

Wir müssen unterscheiden zwischen dem Prädikat innerhalb einer Aussage und dem Prädikat der Aussage selbst. Jenes gehört zum Inhalt, dieses bewirkt die Form der Aussage. Daher kann das erstere so mannigfaltig und verschieden sein, wie es die vorgestellten Inhaltsbeziehungen selber sind, das zweite dagegen ist in allen Urteilen einerseits, allen begrifflichen Sätzen andererseits ein und dasselbe. Im Satz: "Die Menschheit ist sprachbefähigt" ist das Attribut  sprachbefähigt  Prädikat innerhalb der Aussage, die Behauptung: das nur sprachbefähigte Menschen existieren, also die ausschließliche Existenz solcher Menschen, das Prädikat der Aussage als Ganzes genommen. Diesem letzteren Prädikat gegenüber wird das ganze, im Satz ausgesprochene, attributive Begriffsverhältnis zum Subjekt der Aussage. Sonach besteht der logische Satz im Unterschied vom grammatischen jederzeit aus zwei Gliedern und nur aus zweien: dem Subjekt und dem Prädikat. Ein vorgestellter Inhalt mag so reich gegliedert sein, wie man will; so oft wir über ihn urteilen, ergeht über ihn als Ganzes die Aussage, entweder, daß er wirklich oder daß er wahr sei.

Die eben entwickelte Anschauung will nicht den Anspruch erheben, neu zu sein, was in der Logik auch nur ein zweifelhaftes Verdienst wäre. Schon ARISTOTELES teilte sie vielmehr, wenn er erklärt: nicht jeder Satz, sondern nur derjenige ist ein Aussagesatz, welchem die Möglichkeit zukommt, wahr oder falsch zu sein. Das Wahrsein, das ARISTOTELES nicht vom Wirklichsein trennt, bildet sonach auch nach ihm das positive Prädikat der Aussage als solcher. Unter ausdrücklicher Zurückweisung der gewöhnlichen Lehre vom Urteil als der Vorstellung eines Verhältnisses zwischen zwei Begriffen erklärt KANT das Urteil "für die Art gegebene Erkenntnisse zur objektiven Einheit der Apperzeption zu bringen."

Darauf zielt, wie er sagt, das Verhältniswörtchen: "ist" in demselben, um die objektive Einheit gegebener Vorstellungen von der subjektiven zu unterscheiden. Unter den gegebenen Erkenntnissen oder Vorstellungen sind, wie der Zusammenhang lehrt, sämtliche in einem Satz enthaltene und durch ihn verknüpfte Begriffe zu verstehen und da objektive Einheit bei KANT soviel als Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit bedeutet, so bringt auch nach ihm der Urteilsakt zur bloßen Vorstellung eines Begriffsverhältnisses die weitere Auffassung hinzu, daß dieses Verhältnis allgemeingültig und notwendig sei. Im Wesentlichen dieser Theorie KANTs sich anschließend gibt SIGWART derselben eine genauere Ausführung und sachlich eingehendere Begründung. MILL erklärt das Urteilen für die Zustimmung des Geistes zu einem Satz. Jeder Akt des Urteilens schließt nach ihm einen Akt des Glaubens, der Überzeugung ein, "wir können aber zwei Ideen zusammenstellen, ohne daß ein Glaubensakt stattfindet", wir können ein Verhältnis zwischen Begriffen vorstellen, ohne zu urteilen. Aus psychologischen Gesichtspunkten vertritt BRENTANO mit Nachdruck und Scharfsinn den Unterschied der urteilenden Tätigkeit des Geistes von jeder nur vorstellenden. Am nächsten jedoch steht die hier vertretene Ansicht der von BRADLEY in seinen Prinzipien der Logik entwickelten. Das Urteil in seiner eigentlichen Bedeutung, so wird hier erklärt, ist der Akt, welcher einen vorgestellten Inhalt auf eine Realität über diesen Akt hinaus bezieht. Die Bejahung oder das Urteil drückt sich darin aus, daß wir sagen, diese Vorstellung ist keine bloße Vorstellung, sondern eine Beschaffenheit des Wirklichen ... Das Urteil als solches stellt fest, daß  S-P  (die biden zum Satz vereinigten Begriffe) in Verbindung stehen mit einer Realität  x. Ist  kann niemals etwas anderes bedeuten als:  existiert.  - Nur an zwei Punkten sehen wir uns genötigt, von dieser Theorie BRADLEYs abzugehen. Die abstrakte, logische und mathematische Wahrheit bildet einen Zusammenhang eigentümlicher und selbständiger Art, der, obgleich im letzten Grund dazu bestimmt, den Zusammenhang tatsächlicher Art zu erklären, eben daher auch für sich und unabhängig von den Tatsachen zu erkennen sein muß. Er befaßt das Wissen, das der Geist, wie GALILEI sagt, von sich aus hat und das er als Instrument des Begreifens an die Tatsachen heranbringt. Die Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit, das Kennzeichen dieses Wissens, stellt sich sonach der Realität zur Seite und gibt einer besonderen Klasse von Aussagen: den begrifflichen Sätzen, ihren Ursprung, in welchen: "sein" allerdings etwas anderes bedeutet als "existieren". Fürs zweite kann man die Realität nicht zum Subjekt eines Urteils machen, wie BRADLEY will, ohne mit ihm zu einer metaphysischen Hypothese Ausflucht zu nehmen, für welche in der Logik kein Platz ist. Jenes Reale, von welchem nach BRADLEY die Aussage ergehe, soll nämlich ansich existieren als ein einziges allumfassendes und dennoch durchaus individuelles Sein - ein Begriff, der zumindes unbestimmt und transzendent ist, wogegen die Behauptung von Existenz im Sinne von zur Wahrnehmung gehörig bestimmt ist und den Bereich der Erfahrung nicht überschreitet. Nicht  von  der Realität also wird in einem Urteil ein Begriffsverhältnis ausgesagt,  die  Realität des Verhältnisses oder überhaupt eines vorgestellten Inhaltes wird mit einem solchen behauptet; die Realität ist nicht das Subjekt, sondern das Prädikat der Urteile, wie Objektivität (oder Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit) das Prädikat der begrifflichen Sätze ist.

LITERATUR - Alois Riehl, Beiträge zur Logik, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. XVI, Leipzig 1892