cr-2Carl StumpfWilhelm WundtBenno Erdmann     
 
AUGUST STADLER
Zur Klassifikation der Wissenschaften
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"Mit dem Suchen eines Urstoffes, aus dem alles gebildet wurde und in den sich alles wieder auflöst, hat überhaupt die Philosophie, soweit sie uns überliefert ist, begonnen. Der innere Grund dieser Überzeugung kam freilich erst spät zu klarem Bewußtsein: die Auffassung des Gegeben im Verhältnis  Ding und Eigenschaft  ist eine Bedingung der menschlichen Erkenntnis, das  Ding  aber enthält unverlierbar die Vorstellung des Beharrlichen, der Substanz."

Ebensowenig kann die Genauigkeit zum Einteilungsgrund erhoben werden. Die Definition der wissenschaftliche Aufgabe fordert möglichste Genauigkeit. Damit ist die Relativität dieses Merkmals festgestellt. Alle Wissenschaften können so genau sein, als es ihrer Natur nach möglich ist. Auch die Mathematik ist nicht absolut genau, auch die physikalischen Beobachtungen sind nur Annäherungen. Wenn die Naturforschung sich für exakt erklärt, wird sie durch diesen Ausspruch unexakt.

Die Definition fordert von der Wissenschaft Beschreibung. Beschreiben ist Benennen. Alles Benennen setzt die Tätigkeit der Abstraktion voraus. Also ist alle Wissenschaft abstrakt. Konkret ist nur die Anschauung: "das da", "jenes dort" usw. Aber Anschauung als solche enhält noch kein Denken, ist also nicht Wissenschaft. Wenn ich eine Ameise, eine Rose, einen Bergkristal beschreibe, bewege ich mich in lauter Abstraktionen; um die Eigenschaften eines Dreiecks zu beschreiben, muß ich mir eine Anschauung geben. So ist der Stoff jeder Wissenschaft konkret, das Ergebnis jeder Bearbeitung abstrakt. Somit kann auch der Grad der Abstraktheit einer Wissenschaft keinen Einteilungsgrund liefern, der irgendwo eine reinliche Grenze erzeugen würde.

Wenn also die Einzelwissenschaften Unterschiede in der Methode aufweisen, so sind diese nicht fundamental, sondern entstehen durch die Anwendung einer einheitlichen fundamentalen Methode auf verschiedenartigem Stoff. Der Unterschied der Stoffe kann den Unterschied der möglichen Genauigkeit bedingen, und die verschiedenen Seiten, die derselbe Stoff der Betrachtung darbietet, können der Beschreibung sehr verschiedenen Spielraum gewähren. Dann ist es aber eben nicht die Methode, sondern die Materie, die den Grundriß der Wissenschaft bedingt.

Somit hätte, wer die Wissenschaften klassifizieren will, nach den Arten des Gegebenen zu fragen.

Auf diese Frage kann selbstverständlich nur die Erfahrung eine Antwort geben. Sie lehrt unmittelbar, daß uns nicht vereinzelte Empfindungen, sondern Komplexe von Empfindungen gegeben werden, die räumlich und zeitlich voneinander unterschieden werden können. Wir nennen solche Komplexe Anschauungen, Erscheinungen, Dinge. Wir haben hier nicht zu fragen, was ein Ding sei; für unseren Zweck genügt die landläufige Bedeutung des Wortes. Die Anschauung der Natur bleibt ja dieselbe, ob wir sie in einem realistischen oder idealistischen Sinn deuten.

So stehen wir also vor der Frage: wieviele Arten von Dingen gibt es und von wievielen Gesichtspunkten aus läßt sich jedes Ding beschreiben?

Diese Frage können wir nicht anders beantworten, als indem wir in der Natur Umschau halten. Wenden wir den Blick zunächst nach außen.

Der Inbegrif aller äußeren Dinge, die uns gegeben werden können, ist das Weltall, der Kosmos. Das ist ein Ding, das, als Individuum, seine ganze Art ausmacht. Es ist uns kein anderes Ding gegeben, mit dem wir es vergleichen können. Trotzdem gibt es von ihm ein Wissen, einen Begriff. Denn einerseits läßt sich jedes Individuum mit sich selbst vergleichen, wie es in den verschiedenen Momenten seines Daseins gegeben ist; es erscheint als die Gattung seiner sukzessiven Existenzen. Andererseits ist das Individuum das Allgemeine seiner Teile. Was allen Teilen gemein ist, können wir vom Ganzen aussagen. Wenn ich z. B. finde, daß ich mir keinen Teil des Universums vorstellen kann, der nicht drei räumliche Abmessungen hätte, so sage ich: die Welt ist eine dreidimensionale Größe.

Eine zweite Art von Dingen bilden die Teile der Welt, die Himmelskörper, die Gestirne.

Von diesen ist für uns das wichtigste und inhaltreichste Objekt der Beschreibung der Planet, auf dem wir wohnen, die Erde.

Die Erscheinungen, die uns auf der Erde gegeben werden, gruppieren sich in die drei Arten der Mineralien, Pflanzen und Tiere, wobei wir letztere als Organismen zusammenfassen.

Die äußere Natur bietet also der wissenschaftlichen Betrachtung fünf Arten von Gegenständen dar. Diesem Stoffe entsprechend wird sich die Wissenschaft von der äußeren Natur in fünf Klassen gliedern.

Nun haben wir weiter zu fragen, ob sich das, was an diesem Stoff zu beschreiben ist, einteilen läßt, ob wir die verschiedenen Standpunkte, zu deren Fixierung er uns veranlaßt, hinreichend als Einteilungsgründe bestimmen können.

Bevor irgendetwas anderes unternommen werden kann, müssen die Eindrücke, die wir empfangen, für unser Bewußtsein festgehalten, d. h. benannt werden. Wir haben also in erster Linie die Erscheinungen und ihre Veränderungen so zu beschreiben, wie sie uns unmittelbar gegeben werden. Wir müssen angeben, mit was für Dingen oder Erscheinungen wir es in einem bestimmten Moment zu tun, was für Material wir gesammelt haben. Man kann dieses unmittelbar Gegeben, das wir in erster Linie an den Dingen beschreiben sollen, durch den Ausdruck Form oder Gestalt zusammenfassen. Dann läßt sich die hierbei in Betracht kommende wissenschaftliche Tätigkeit passend als Morphologie im weitesten Sinne des Wortes bezeichnen. Damit ist unserer Beschreibung ein erster Gesichtspunkt bestimmt.

Eine Morphologie des Weltalls ist nur möglich durch erkenntnistheoretische Betrachtungen und durch Analogieschlüsse. So können wir vom Universum aussagen, daß es ins Unbestimmte ausgedehnt, dreidimensional, ein Sonnensystem  n-ter  Ordnung ist, daß man nicht ausmachen kann, ob es ruht oder sich bewegt usw. Wenn auch diese Urteile dürftig erscheeinen und wenn sie sich auch auf Gestaltungen beziehen, so werden sie nichtsdestoweniger Äußerungen der eben erörterten Bewußtseinsfunktion. Die Morphologie des Weltganzen heißt Kosmologie.

Die Morphologie der Himmelskörper oder die Beschreibung ihrer Verteilung, Anordnung und Bewegung, Größe, Farbe, Helligkeit usw. bildet die Aufgabe der Astronomie.

Unserem Planeten gegenüber wird sie zur Erdkunde im weitesten Sinn des Wortes. Diese beschreibt in der Meteorologie die Verhältnisse der Atmosphäre, in der Geographie die Konfiguration der Erdoberfläche und die Verteilung der Naturprodukte auf derselben, in der Geologie die Gestaltung der Erdrinde und des Erdinnern.

Die Morphologie der unorganischen Naturprodukte ist die Mineralogie.

Die Morphologie der organischen Naturproduktke ist die Biologie. Der Unterschied zwischen anorganischen und organischen Wesen ist unmittelbar gegeben. Die anorganischen sind im allgemeinen ungegliedert, die organischen gegliedert. Die Teile der Organismen, die Organe, sind zu einer Einheit verbunden und müssen gewisse stetige Veränderungen aufweisen, damit das betreffende einheitliche Ding erhalten bleibt. Diese eigentümliche Daseinsart heißt Leben. Für die unmittelbare Auffassung gliedern sich diese Wesen in drei Gruppen: Pflanzen, Tiere und Menschen. Wenn auch in Fortschritt der Wissenschaft die scharfen Grenzen, die man früher zwischen ihnen ziehen konnte sich mehr und mehr verwischen, bieten sie immerin genügend Unterschiede, um die Sonderung der Biologie in die drei Wissenschaften der Botanik, Zoologie und physischen Anthropologie zu rechtfertigen. Alle diese Wissenschaften betrachten entweder den Bau und die Formeigenschaften der Organismen und heißen dann Anatomie (bei den Pflanzen sagt man gewöhnlich Morphologie schlechthin; es wäre zweckmäßiger, "Morphologie" für die Kennzeichnung der allgemeinen Funktion zu benutzen und die speziell als Anatomie zu bezeichnen); oder sie betrachten die Veränderungen der Organismen, auf denen ihr Bestand beruth, und heißen dann Physiologie im weiteren Sinn des Wortes.

Die Erfahrung zeigt ferner, daß alles um uns herum in steter Veränderung begriffen ist. Die Zustände der Dinge wechseln und die Dinge selbst entstehen und vergehen. Zu Zeiten hat ja die Erscheinung dieses unaufhörlichen Wechsels die Gemüter so sehr erfüllt, daß ihnen nichts Ruhendes mehr gegeben schien. So behauptete HERAKLIT den beständigen Fluß aller Dinge. Aber mächtiger erhebt sich dagegen immer wieder der durch erkenntnistheoretische Wurzeln gefestigte Glaube, daß alle Veränderung sich an einem beharrlichen, unveränderlichen Stoff vollzieht. Mit dem Suchen eines Urstoffes, aus dem alles gebildet wurde und in den sich alles wieder auflöst, hat ja überhaupt die Philosophie, soweit sie uns überliefert ist, begonnen. Der innere Grund dieser Überzeugung kam freilich erst spät zu klarem Bewußtsein: die Auffassung des Gegeben im Verhältnis "Ding und Eigenschaft" ist eine Bedingung der menschlichen Erkenntnis, das "Ding" aber enthält unverlierbar die Vorstellung des Beharrlichen, der Substanz.

So geben die Erscheinungen unserer Betrachtung einen neuen Gesichtspunkt auf, insofern sie Dinge sind. Von diesem Gesichtspunkt aus sollen wir die Erscheinungen als Substanzen beschreiben, sollen wir die letzten, unveränderlichen Bestandteile angeben, aus denen sie bestehen. Dies begründet die Absonderung einer Wissenschaft. Die Wissenschaft, welche die nicht weiter veränderlichen Bestandteile aller Dinge und die Arten ihrer Zusammensetzung beschreibt, ist die Chemie. Die Chemie koordiniert sich unter die Morphologie. Zwischen diesen beiden Betrachtungsweisen existiert nur eine völlig scharfe Grenze. Das Zusammengesetze und das Einfache, das, an welchem noch Teile unterschieden werden können, und das, woran es nicht mehr gelingt, sind klar und deutlich unterschieden.

Es leuchtet ein, daß die Beschreibung dieses anders gearteten Stoffes auch andere Methoden erfordert. Die Zergliederung muß hier bis ans Ende geführt werden. An diese Grenze vermögen die Sinne nicht unmittelbar zu folgen. Wohl lassen sich trotz ihrer elementaren Natur Stücke aus reinem Gold, Eisen usw. anschauen, nicht aber die Moleküle, aus denen sie bestehen. Diesen Dingen gegenüber müssen daher die Sinne durch geeignete Werkzeuge verstärkt oder zu mittelbarer Wahrnehmung befähigt werden. Die geschärften Sinne richten sich nun aber nicht mehr bloß auf Erscheinungskomplexe, wie sie in der Natur gegeben sind; vielmehr werden aus den zergliederten Komplexen einfachere Zusammenhänge herausgehoben, gewisse Nebenumstände weggelassen und andere hinzugefügt. Auf diese Weise wird ein durch unseren Willen bearbeitetes Naturprodukt beschrieben. Das ist die eigenartige Methode des Experimentes. Aber diese Methode ergibt sich aus dem Stoff und kann sich nicht selbst als Einteilungsgrund legitimieren. Wir treiben doch nicht Chemie, um die Experimentalmethode anzuwenden; sondern wir experimentieren, weil die Vernunft ein theoretisches und praktisches Interesse an der Chemie hat. Und gibt es überhaupt eine Wissenschaft, die nicht mit der Zeit den Anspruch erheben würde, soviel es ihr Stoffgebiet gestattet, die Experimentalmethode anzuwenden?

Aber die Chemie beschränkt sich nicht auf die Zergliederung gegebener Dinge. Schon der Wunsch nach einer Probe der Analse führt zu dem Versuch, die gefundenen einfacheren oder einfachsten Bestandteile wieder so zu verbinden, daß der ursprünglich gegebene Körper erhalten wird.

Die Chemie ist also nicht bloß Scheidekunst, sondern auch Kunst der Verbindung. Allein in dieser Kunst beschränkt sie sich nun nicht auf die Wiederherstellung der analysiertenn Naturprodukte, sondern sie sucht die Elemente auf alle überhaupt möglichen Arten zu kombinieren; sie hält sich also nicht bloß an das Gegebene, sondern schafft neue Dinge. In diesem Fall geht also die Beschreibung dem Ding vorher. Wir beschreiben zunächst ein Phantasieding, sagen, aus was für Bestandteilen es zusammengesetzt ist, was es für ein Gewicht besitzt, usw., und suchen dann das dieser Phantasievorstellung entsprechende Objekt wirklich herzustellen. Die Chemie nimmt also zwei verschiedene Standpunkte ein: auf dem einen betrachtet sie zunäcsht das in der Natur gegebene Ding, um von ihm zu seinen letzten Bestandteilen zurückzuschreiten; auf dem andern geht sie aus von den letzten Bestandteilen, um zu einem neuen Ding zu gelangen. Die Verschiedenheit dieser Standpunkte rechtfertigt die Einteilung der Chemie in analytische und synthetische Chemie.

Die Unterabteilungen der analytischen Chemie wird in der Anwendung auf die verschiedenen Naturobjekte zur kosmologischen Chemie, Astrochemie, Geochemie, Chemie der Mineralien und biologischen Chemie. Bei der synthetischen Chemie werden wir anorganische und organische zu unterscheiden haben. Die Verbindungen, aus denen sich der Pflanzen- und Tierkörper aufbaut, sind eben doch von solcher Eigenart, daß sie verdienen als ein eigenes Gebiet abgegrenzt zu werden.

Wegen dieser Eigenart der organischen Gebilde müssen wir ferner dem chemischen Gesichtspunkt noch den weiteren beiordnen. Zwar bestehen auch sie in letzter Linie aus chemischen Elementen. Allein diese Zerlegung gelangt an einen Punkt, an welchem das Leben aufhört; die Elemente sind keine Organismen mehr. Somit drängt sich die Frage auf: was sind die letzten Bestandteile der Organismen, sie selbst noch organisch, noch Träger von Lebenserscheinungen sind? Dann weiter: in welcher Art baut sich ein bestimmter Organismus aus den gefundenen Elementarorganismen auf? Hier liegt also wieder ein eigentümliches Erscheinungsgebiet vor, in welches wir freilich nur mit bewaffneten Sinnen eindringen können. Die Wissenschaft, welche diese Beschreibung liefert, heißt  Histologie  oder Gewebelehre. Als Elementarorgan betrachtet sie vorläufig die Zelle. Der Einteilung der Organismen entsprechend wird sie sich gliedern in die Lehre von den pflanzlichen und den tierischen Geweben.

Die Betrachtung der chemischen Elemente leitet zu einem vierten Gesichtspunkt. Jedes Element ist durch eine Anzahl wesentlicher Eigenschaften gekennzeichnet. Die Eigenschaften der zusammengesetzten Dinge werden Resultaten dieser elementaren Eigenschaften sein. Daraus ergibt sich die neue Aufgabe, zu beschreiben, in was für einfache, nicht weiter auflösbare Eigenschaften sich irgendein gegebener Zustand eines Dings zerlegen läßt und in welcher Weise er aus diesen gebildet wird. Alle Qualitäten der Objekte sind, erkenntnistheoretisch genommen, Zustände des Subjekts; rot, rund, kalt, hart, naß, süß, tönend usw. sind Vorstellungen. Aber die Erfahrung zeigt, daß alle diese Empfindungen sich gesetzmäßig verknüpfen mit der Vorstellung eines am Objekt haftenden Zustandes, und dieser ist die Bewegung. Alle Eigenschaften der Dinge beruhen auf Bewegungen oder Bewegungsänderungen, sie es der Dinge selbst, sei es ihrer einfachen Bestandteile. Die Beschreibung der Eigenschaften der Dinge ist also die Beschreibung eines sinnlichen Eindrucks und der mit ihm gegebenen Bewegung im Raum. Nur der letztere Teil der Beschreibung gehört in das Gebiet der äußeren Natur. Die Darstellung einer Eigenschaft als einer Kombination von Grundeigenschaften enthält also die Aufgabe, eine gegebene Bewegung in elementare Bewegungen zu zerlegen und die Art anzugeben, auf welche die letzteren die Gesamtbewegung zusammensetzen. Die Wissenschaft, welche die fundamentalen Bewegungsarten, die in der Natur gegeben sind, beschreibt und die Naturerscheinungen darauf zurückführt, ist die Physik. Auf diesem Gebiet findet nun die Beschreibung jenes Verhältnis vor, das man als das von Ursache und Wirkung bezeichnet, den Zusammenhang, daß eine Veränderung im Bewegungszustand eines Körpers stets begleitet ist von einer Veränderung des Bewegungszustandes eines bestimmten anderen Körpers. Die Tatsache nun, daß ein Körper die Rolle der Ursache spielt, kann ihm als Eigenschaft zugeschrieben werden. Dies geschieht mittels des Ausdruckes "Kraft". So sagen wir z. B., die Erde hat die Kraft, einem Körper eine bestimmte Beschleunigung in der Richtung ihres Mittelpunktes zu erteilen. Unter Verwendung dieses Terminus können wir auch sagen, Physik sei die Lehre von den in der Natur gegebenen Kräften und ihren Verhältnissen zu den nicht weiter reduzierbaren Grundkräften.

Aber die Zergliederung der Kräfte ist schwieriger als die der Substanzen. Daher konstruiert sich die Physik zunächst künstlich einfachere Erscheinungen. Hier geht also die Synthese voran; die Physik ist in erster Linie eine synthetische, d. h. die Erscheinungen erzeugende Physik. Als solche beschreibt sie zunächst einfachere Vorgänge und schreitet allmählich zu den komplizierteren vor. Und zwar wählt sie typische Vorgänge aus allen Klassen von Bewegungserscheinungen, welche uns die Erfahrung liefert, d. h. mechanische, optische, akustische, magnetische, elektrische und thermische. Da diese Erscheinungen Wirkungen sind, die zunächst auf unserem Planeten stattfinden, ordnet sie die Tabelle dem Titel  Erde  unter. Nachdem dann die Physik eine genügende Zahl solcher an Kunstprodukten beobachteten Regelmäßigkeiten beschrieben hat, kann sie es unternehmen die Naturerscheinungen zu beschreiben. In dieser Tätigkeit wird sie dann analytische Physik, und es ergeben sich die analogen Unterabteilungen, wie bei der Chemie.

Die bisher entworfenen Fächer umspannen ein Gebiet, welches ein Forscher übersehen würde, dem alles wahrnehmbar wäre, was in jedem Augenblick seiner Forschung in der äußeren Natur gegeben ist und geschieht. Trotzdem hätte er erst einen Teil der zu beschreibenden Naturerscheinungen erfaßt. Den Momenten seiner Beobachtung gingen andere Momente voraus, diesen wieder andere usw. Unabsehbar läuft die Zeitlinie in die Vergangenheit zurück und an jedem ihrer Punkte waren Erscheinungen gegeben. Unser Wissen bleibt unvollkommen, solange wir nicht angeben können, durch was für Dinge und Ereignisse irgendein Punkt der Zeitlinie bezeichnet war, in welchem Zustand sich das Weltall in irgendeinem Moment  X  befand und auf welche Weise sich sein heutiger Zustand aus jenem entwickelt hat. Das freilich, was zu allen Zeiten gewesen ist und immer sein wird, kennen wir aus den bisherigen Wissenschaften, das haben uns Chemie und Physik gelehrt: die Elemente und die Grundkräfte. Dagegen lehren uns Cheie und Physik nicht, was für Dinge und Ereignisse die Grundkräfte aus den Elementen im  n-ten  Jahrhundert gebildet haben. Die Wissenschaft, welche die Beschreibung übernimmt, ist die Geschichte. Die in der Vergangenheit gegebene Erscheinung heißt das Geschehene; Geschichte bedeutet sowohl das Geschehene überhaupt, als auch seine Beschreibung und die Beschreibung seiner zeitlichen Aufeinanderfolge. Die Unterabteilungen ergeben sich unmittelbar. Von der Geschichte des Weltalls können wir uns nur eine Phantasievorstellung machen, die Kosmologie besteht aus Hypothesen. Dagegen kann sich die Astrogonie oder die Geschichte der einzelnen Himmelskörper teilweise auf Beobachtung gründen. Noch mehr ist dies der Fall bei den Veränderungen unseres Planeten, welche die Erdgeschichte im weitesten Sinne des Wortes zu beschreiben hat. Zur Erdgeschichte gehört auch die historische Geographie: sie betrachtet, wie die Erde zu verschiedenen Zeiten als Wohnstätte der Menschen beschaffen war und was für Bedingungen sie ihrem Dasein bot. Die Geschichte der Organismen heißt vorzugsweise Entwicklungsgeschichte; sie ist entweder Ontogenie oder Entwicklungsgeschichte des pflanzlichen und tierischen Individuums von seinem Entstehen bis zu seinem Vergehen; oder Phylogenie, Stammesgeschichte, und beschreibt die Entwicklung der Arten, Gattungen usw. Beim Menschen kann man der Phylogenie auch den Namen der historischen Anthropologie geben.

Der Inbegrif der Erscheinungen zerfällt also in zeitlicher Hinsicht in drei große Klassen Sie sind gegeben
    1) in der Gegenwart, d. h. meinem Bewußtsein

    2) jederzeit, d. h. jedem Bewußtsein überhaupt;

    3) in der Vergangenheit, d. h. dem Bewußtsein der Vorfahren oder einem gedachten früheren Bewußtsein.
Die einen kann ich selbst sinnlich erfahren, wenn ich mich nur an den geeigneten Standort begebe; man könnte diese Beschreibung empirisch im engeren Sinne des Wortes nennen (Morphologie). Die zweiten kann ich nur mittelbar erfahren, wenn ich gewisse, zunächst gedachten Zusammenhänge künstlich herstelle; auf diese Weise kann sie aber auch jederzeit jedes andere Bewußtsein erfahren; man kann diese Beschreibungsart wegen der notwendigen Mithilfe der Vernunft zur Herstellung des Materials als rationale bezeichnen (Chemie, Physik, Histologie). Die dritten kann ich mir nur in einem beschränkten Maß meiner Erinnerung unmittelbar vorstellen; sonst nur auf Grund der Überlieferung oder der Erfahrung anderer; oder mit Hilfe von Vernunft und Phantasie, indem ich mich an gewisse Punkte der Zeitlinie hineinversetzt denke und die Erscheinungen so konstruiere, wie ich sie zur betreffenden Zeit empirisch oder rational erfahren hätte. Diese Betrachtungsweise ist die historische (Geschichte).

Durch die bisherige Einteilung ist der Inbegriff der Dinge erschöpft, die man durch den Ausdruck "Natur" im gewöhnlichen Sinne zusammenzufassen pflegt. Aber damit ist keineswegs der Bestand dessen erschöpft, was dem menschlichen Bewußtsein gegeben wird. Denn es erscheinen uns ja nicht bloß äußere Dinge, Anschauungen im Raum, sondern auch innere, d. h. Gebilde, die wir nicht an irgendeinem Ort wahrnehmen oder an irgendeinen Ort hinversetzen können, die nicht zusammen, sondern nacheinander, die also in bloß zeitlicher Form gegeben werden. Diese Gebilde heißen Vorstellungen. Die Vorstellungen sind Zustände des Bewußtseins. Aus diesem Ausdruck schon erhellt sich, daß wir durch den Mechanismus des Erkenntnisprozesses genötigt sind, auch die inneren Erscheinungen unter dem Verhältnis "Ding - Eigenschaft" aufzufassen, sie als Zustände auf einen beharrlichen Träger zu beziehen. Nun finden wir aber in der inneren Anschauung kein wirkliches Ding, die bloße Zeitanschauung enthält kein beharrliches Substrat; zur Objektivierung eines solchen bedürfen wir der Vorstellung des erfüllten Raums. Allein wenn wir auch im Inneren kein Objekt aufzeigen können, so ist uns doch ein Analogon der Beharrlichkeit von subjektiver Geltung in einem Identitätsbewußtsein gegeben. Vor der inneren Reflexion erscheinen alle Vorstellungen begleitet von dem Bewußtsein, daß es "meine" Vorstellungen sind, daß jee einen Bewußtseinsinhalt darstellt, welcher demselben Individuum angehört. Ich bringe diese Erfahrung zum Ausdruk durch das "Vorwort" ich; indem ich sage: ich denke, ich fühle, ich will usw., bringe ich zum Ausdruck, daß alle diese Zustände zum Inneren desselben äußeren Dings gehören. In dieser Beziehung auf das identische Innere gewinne ich nun die Form "Ding - Eigenschaft", ohne deren Anwendbarkeit ich meine Gedanken nicht zu ordnen vermag; allein diese Form enthält eben hier nur eine subjektive und nicht eine objektive Beschreibung. Ich besitze nun ein Subjekt für meine Urteile. Was ich aber auch diesem Subjekt für Namen gebe, "Ich" oder "Seele" oder "Selbstbewußtsein" usw., diese Namen können niemals ein Ding bezeichnen, sondern nur die Tatsache der inneren Erfahrung, daß allen gegebenen Vorstellungen eine gewisse Art der Bewußtheit gemeinsam ist.

Damit ist also ein weiteres Erscheinungsgebiet gekennzeichnet und die Wissenschaft, die es beschreibt, ist die Psychologie. Vorstellungen sind unmittelbar nur mir selbst gegeben. Die Psychologie ist daher in erster Linie subjektive Psychologie. Aber ich nehme wahr, daß sich die mir gegebenen inneren Erscheinungen regelmäßig mit körperlichen, also äußeren Erscheinungen, den Ausdrucksbewegungen, verbinden; ich nehme dann letztere auch bei anderen Individuen wahr; daraus schließe ich auf entsprechende innere Zustände auch bei diesen anderen Wesen. So werden uns mittelbar auch fremde Vorstellungen gegeben. Die Psychologie, welche diese fremden Vorstellungen beschreibt, können wir als objektive bezeichnen. Beschreibt die objektive Psychologie das Seelenleben nicht nur von Individuen, sondern gibt sie an, was dem Bewußtsein einer Mehrheit von Individuen gemein ist, so wird sie vergleichende Psychologie. Diese betrachtet das Geistesleben von Familien, Geschlechtern, Völkern, Rassen, Gattungen, Zeitaltern.

So entsprechen also die beiden großen Wissenschaftsklassen Naturwissenschaft und Psychologie den beiden großen Gebieten des Gegebenen, den Gebieten der äußeren und der inneren Erscheinungen.

Die Beschreibung der Vorstellungen nach ihren Intensitäten, Qualitäten und Zusammenhängen, die sich auf die Selbstbeobachtung und die mittelbare Beobachtung anderer gründet, entspricht der Morphologie auf dem Gebiet er Naturwissenschaft. Die Chemie dagegen findet kein Gegenstück auf psychologischem Gebiet, da eben im Bewußtsein keine Substanz gegeben ist. Die Analyse von Vorstellungskomplexen, ihre Zurückführung auf einfachste Bestandteile, auf Sinnesempfindungen, ist kein Analogon zur chemischen Betrachtungsweise, sondern durchaus morphologischer Natur; denn die einfachsten psychologischen Bestandteile müssen mir unmittelbar gegeben sein. Eine Empfindung, die ich als Faktor in einem psychologischen Prozeß nur vermuten oder voraussetzen würde, ist ein Unding.

Wie verhält es sich mit der Physik? Allerdings ist uns auf psychischem Gebiet eine Art von Bewegung gegeben im stetigen Ablauf von Vorstellungen. Allein die Psychologie kann lediglich beschreiben, was in jedem Augenblick der inneren Anschauung gegeben ist. Der innere Bewegungsvorgang läßt sich nicht in Komponenten auflösen. Wir haben es hier nur mit der eindimensionalen zeitlichen Ausdehnung zu tun, können also einen Vorgang lediglich in Zeitabschnitte teilen. Die intensive Größe der Vorstellung oder ihr Bewußtseinsgrade ist uns als Einheit gegeben; wir können wohl einen stärkeren oder schwächeren Grad als den gegebenen vorstellen, aber nicht in der gegebenen Größe Teile oder Faktoren entdecken. Von einem Schmerz läßt sich urteilen, daß er stärker oder schwächer ist, aber nicht, daß er aus so und so vielen Schmerzeinheiten besteht.

Dagegen kann die physikalische Betrachtungsweise eine mittelbare Anwendung auf die seelischen Prozesse gewinnen. Die Erfahrung macht es sehr wahrscheinlich, daß mit jeder psychologischen Erscheinung notwendig eine Bewegung von Hirnteilen verbunden ist. Diese zentralen Bewegungen werden ausgelöst durch äußere, physikalische Vorgänge, welche auf die Nervenenden wirken. Psychologische Prozesse sind also mittelbar in Verbindung mit physikalischen. Dieser Zusammenhang stellt der Beschreibung eine Reihe von neuen Aufgaben. Wir können fragen: was für Vorstellungen entsprechen den einfachsten physischen Reizen? Was für Veränderungen gehen mit den Vorstellungen vor, wenn wir die Reize allmählich verstärken oder komplizieren? Wie verhält sich der zeitliche Ablauf der psychologischen Prozesse zu dem der entsprechenden physikalischen? Durch diese Beschreibung wird das Seelenleben in den allgemeinen Naturlauf eingeordnet und in seiner Abhängigkeit von der Umgebung dargestellt. Dies aus Psychologie und Physik zusammengesetzte Wissenschaft ist die Psychophysik. Sie gehört zur Psychologie, weil der eigentliche Zweck der Beschreibung der Bewußtseinsvorgang ist. Die Psychophysik ist allgemein, experimentell, synthetisch, wenn sie die zu beschreibenden Erscheinungen unter willkürlich gewählten Bedingungen künstlich hervorruft. Sie ist speziell, analytisch, wenn sie bestimmte in der inneren Natur gegebene Vorgänge auf die gefundenen Regelmäßigkeiten zurückzuführen sucht.

Ebenso gewinnt der dritte, histologische Gesichtspunkt eine Bedeutung auf geistigem Gebiet. Drängt sich uns doch die Frage auf: was sind die einfachsten Organe, deren Bewegung noch mit Bewußtsein verknüpft ist? Was für Verschiedenheiten der organischen Struktur, Lage oder Bewegung entsprechen den Verschiedenheiten der Empfindung? Was für ein Zusammenhang der Organe entspricht der Einheit des Bewußtseins, die uns tatsächlich gegeben ist? Die Wissenschaft, die sich in diesen Beschreibungen versuchen muß, kann am treffendsten als Psycho-Anatomie oder psychophysische Anatomie bezeichnet werden.

Besonders ergiebig wird auf dem Gebiet des Seelenlebens der historische Gesichtspunkt Hier haben wir die individuelle und die generelle Geschichte zu unterscheiden. Jene ist entweder allgemein oder speziell. Die allgemeine Geschichte des Bewußtseins ist die geistige Lebensgeschichte des Individuums von der Entstehung bis zum Tod. Speziell dagegen ist die Lebensgeschichte eines bestimmten Individuums, und zwar entweder die des beschreibenden Subjekts: dann ist sie Autobiographie; oder die eines andere Individuums: dann heißt sie Biographie schlechthin. Die generelle Geschichte ist die Geschichte von Geschlechtern, Völkern und der ganzen Menschheit. Sie ist Kulturgeschichte im weitesten Sinn des Wortes. Die Kulturgeschichte enthält die Beschreibung des vom Menschen Vollbrachten in seinem zeitlichen Zusammenhang. Den Gebieten entsprechend, auf denen sich das Wirken der Menschheit äußert, gliedert sie sich in die Geschichte der Staaten, der Religionen, des Rechts, der Wissenschaften, der Literatur, der Künste, der Technik, des Handels, der Gewerbe, des Ackerbaus usw.

Werfen wir einen Blick auf das gewonnene Ganze. Die allgemeinste Aufgabe, welche die Wissenschaft vorfindet, ist also jedenfalls die Beschreibung der zeitlichen und räumlichen Ordnung der Dinge. Diese Einsicht hat dann auch die Wissenschaft schon früh zu einer gesonderten Betrachtung von Raum und Zeit geführt. Lange, bevor man sich logisch klar die Frage vorlegte, was denn eigentlich Raum und Zeit für Gebilde sind, ob Dinge oder Eigenschaften von Dingen oder bloße Eigenschaften des vorstellenden Bewußtseins, hat man gelernt, die Beschaffenheit von Raum und Zeit unabhängig von den in ihnen gegebenen Dingen zu studieren. Man sah, daß die Dinge wechselten, während Raum und Zeit sich fortwährend gleich blieben; daß man sich noch so große Dinge vorstellen konnte, ohne an eine Grenze von Raum und Zeit zu gelangen; daß, so kleine Abschnitte von Raum und Zeit man auch in Betracht zog, man sich immer noch kleinere vorstellen konnte, aber sich doch in Widersprüche verwickelte, wenn man annahm, Raum und Zeit bestehen aus unendlich vielen Teilen; usw. Man fühlte, daß man sich ohne den Raum kein Nebeneinander, kein Beisammen, keine Lage, keinen Ort und keine Bewegung der Dinge vorstellen kann, und ohne die Zeit kein Nacheinander, kein Früher oder Später, keine Geschwindigkeit usw. Raum und Zeit, was sie im übrigen auch sein mochten, erschienen als Bedingungen dieser Verhältnisse, die Dinge als bloße Einschränkungen von Raum und Zeit, als etwas in diese umfassenden Anschauungen Hineingezeichnetes. So fing man an, diese Bedingungen für sich zu untersuchen. Man fand freilich, daß an Raum und Zeit, für sich oder leer gedacht, nichts zu beschreiben war; sie offenbarten ihre Eigenschaften nur an einem Inhalt. Aber diesen Inhalt brauchten nicht die wirklichen Dinge, die Naturprodukte zu bilden; man konnte statt ihrer die bloßen Umrisse, die Grenzen betrachten, mit denen Raum und Zeit sie umgaben. Ja, man brauchte sie nicht einmal an die Grenzen wirklicher Dinge zu halten; man konnte sich beliebige Dinge erdenken und ganz allgemein fragen: was für verschiedene Arten von Gestalten lassen sich überhaupt im Raum vorstellen, in welcher Weise lassen sich die  einen  als zusammengesetzt aus den andern darstellen, was für Größenverhältnisse zeigen die Gestalten und ihre Teile, in was für Lagebeziehungen stehen sie usw. So entsteht ein eigener Stoff der Beschreibung und eine eigene Wissenschaft. Obwohl diese von der Materie gänzlich absieht, nennt sie doch ein solches, einen Raumteil abgrenzendes Gebilde einen Körper; das Grenzgebilde, welches den Körper vom übrigen Raum scheidet, nennt sie Fläche, die Grenze der Fläche Linie, und die Grenze der Linie Punkt. Aus diesen Gebilden lassen sich nun verschiedenartige Gestalten zusammensetzen, an denen dann die mannigfaltigsten Beziehungen nachzuweisen sind. Die Wissenschaft, welcher diese Beschreibung obliegt, ist die Geometrie. Die Geometrie hat es also nicht mit Naturerscheinungen zu tun, sondern mit Gebilden, die der Phantasie entspringen, mit Räumlichkeiten, welche die Vernunft in den allgemeinen Raum hineinzeichnet. Man nennt dieses Vorstellen selbsterzeugter Abgrenzungen im Raum Konstruieren. Man nennt den Raum, aus dem alle Materie weggedacht ist, reinen Raum. Die reinen Konstruktionen im Raum bilden also den Beschreibungsstoff der Geometrie, dessen Eigenart die Absonderung der Geometrie von der Naturwissenschaft rechtfertigt.

Die Erfahrung zeigt, daß man die Konstruktionen genauer beschreiben kann, wenn man irgendeine Größe als Element oder Einheit annimmt und dann angibt, aus wie vielen solchen Einheiten sich andere Größen zusammensetzen. Man nennt die Zeichen für die Einheiten und ihr Vielfaches  Zahlen.  Auch die Zahlen lassen sich auf das mannigfaltigste zusammensetzen und vergleichen. Eine Erklärung der Gleichwertigkeit verschiedener Zahlgebilde, eine Konstruktion; weil aber die Zahl das bloße Symbol eines wirklichen Verhältnisses ist, so nennt man die Gleichung symbolische Konstruktion. Die Wissenschaft, welche die symbolischen Konstruktionen beschreibt, ist die Zahlenlehre oder Arithmetik im allgemeinen Sinn des Wortes. Daß in der gemeinen Arithmetik die Zahlen durch Ziffern, in der allgemeinen durch Buchstaben ausgedrückt werden, bedeutet nicht eine stoffliche Verschiedenheit, sondern nur einen relativen Unterschied der Allgemeinheit.

Weiterhin können wir nun auch Bewegungen konstruieren, statt bloß die wirklich gegebenen der Naturkörper zu beobachten. Wir können uns Bewegungen unserer geometrischen Gebilde, des Punktes, der Linie, der Fläche und des Körpers im reinen Raum vorstellen und ihre Regelmäßigkeiten beschreiben. Die Wissenschaft, welche dies unternimmt, ist die allgemeine Bewegungslehre oder Kinetik.

Geometrie, Arithmetik und Kinetik beschreiben zusammen das Gebiet der reinen Konstruktionen oder der möglichen Formen der Erscheinungen. Sie bilden zusammen die Mathematik, die reine Verhältnislehre oder die Beschreibung der möglichen Formen der Erscheinungen. Der Mathematik können wir die ganze Gruppe der vorher behandelten Wissenschaften gegenüberstellen als Naturwissenschaft oder Beschreibung der Erscheinungen selbst. Natur bedeutet dann hier den Inbegriff der uns gegebenen äußeren und inneren Erscheinungen.

Unser Verzeichnis hat nunmehr Form und Inhalt der objektiven Welt erschöpft. Allein die objektive Welt erzeugt eine subjektive durch die Reaktion, welche sie im wahrnehmenden Bewußtsein hervorruft. Diese Reaktion heißt Gefühl. Das Subjekt empfindet den gegebenen Erscheinungen gegenüber Wohlgefallen oder Mißfallen. Dem entsprechend entwickelt sich in ihm das Streben, die einen Erscheinungen vor Veränderungen zu bewahren, die anderen umzugestalten. Aber die Natur geht ihren Gang ohne Rücksicht auf sein Wünschen. Wohl kann der Mensch verändernd in den Mechanismus der Natur eingreifen; aber bei weitem nicht genügend, um seinem Wünschen volle Befriedigung zu schaffen. nach allem Erreichten taucht in seinem Geist immer wieder die Vorstellung eines Zustands der Dinge auf, der ihm besser gefallen würde. Die Eigenschaft der Erscheinungen, daß sie einen Einfluß auf unser Gefühl ausüben, nennen wir ihren Wert. Die Tatsache, daß die Dinge Werte sind, eröffnet der Beschreibung ein neues Gebiet. Zunächst müssen die tatsächlichen Werte verglichen werden. Dann aber sind auch jene Vorstellungen eines höheren Wertes zu beschreiben, welchen die Dinge haben "sollten" und den sie unserer Meinung nach haben würden, wenn ihre Einrichtung in unserer Gewalt stände. Die Erfahrung zeigt unmittelbar, daß diese Vorstellungen nicht unabhängig voneinander bestehen, daß sie vielmehr im Bewußtsein einen Kampf ums Dasein kämpfen. Die einen verstärken sich, die andern heben sich auf; die einen entschwinden wie Träume, andere dagegen erheben sich immer wieder, sind beharrliche Begleiter jeder objektiven Beschreibung, heften sich an jeden Gedankengang und erscheinen bei näherer Betrachtung als notwendige Endglieder des Vernunftprozesses. Man nennt diese Vorstellungen höchster, unveränderlicher Werte Ideen. Die Idee ist keine Erscheinung; denn sie ist an keiner Materie verwirklicht. Sie ist auch keine Erscheinungsform; denn wir können sie nicht in Raum und Zeit konstruieren. Sie ist vielmehr der Gedanke eines bloßen Zusammenhangs der Erscheinungen, den wir nicht genau beschreiben können, von dem wir aber annehmen, daß er, falls er sich realisierte, in uns das Gefühl der Glückseligkeit erzeugen würde. Von diesem Zustand können wir uns nur allgemeine Gedanken machen. So begreifen wir, daß er sich nur verwirklichen kann, wenn die Gesetzmäßigkeit der Natur nicht durch einen Zufall hervorgebracht wurde, der im Hinblick auf das Wohl des Menschen indifferent ist. Nur dann kann die Stellung des Menschen in der Natur seinen eigenen Willen entsprechen, wenn er den obersten Zweck der Schöpfung bildet und alles andere nur als Mittel für ihn geschaffen wurde. Dieses Verhältnis ist aber nur unter der Bedingung realisierbar, daß das Weltall durch eine Intelligenz hervorgebracht worden ist, deren Willen mit dem menschlichen übereinstimmt. Diese Gedankengebilde werden freilich, wie alle anderen, in der Psychologie beschrieben; aber als Erscheinungen schlechthin, nicht als Werte. Die Psychologie kümmert sich weder um den Erkenntnis- noch um den Gefühlswert der Vorstellungen. Dieser neue Gesichtspunkt begründet eine eigene Wissenschaft. Wir nennen sie Teleologie oder Beschreibung der Welt als einer gedachten Stufenreihe von Zwecken. In diese Klasse gehört die Philosophie oder Weltweisheit im populären Sinn des Wortes, d. h. alles Denken, das sich mit dem Zweck oder Wert des Menschendaseins befaßt. Man hat dieses Denken Begriffsdichtung genannt, so daß es in eine Tabelle der Wissenschaften nicht aufgenommen werden könnte; allein die Ideen sind keine Produkte der unabhängigen, künstlerischen Phantasie, sondern sie stehen mit der objektiven Naturbeschreibung in einem subjektiv notwendigen, logischen Zusammenhang. Es leuchtet ein, daß die Theologie, soweit sie philosophische, d. h. wissenschaftliche Elemente enthält, in dieser Ableitung enthalten ist; denn hier sind die im Begriff einer schöpferischen Intelligenz enthaltenen Postulate zu beschreiben, deren Realität Bedingung ist für die Verwirklichung eudämonistischer Ideen. Insofern hier die Zwecke aus gewissen fundamentalen Voraussetzungen über die menschliche Organisation abgeleitet und nicht induktiv aus der Beobachtung zahlreicher Fälle gewonnen werden, kann diese Beschreibung reine Teleologie heißen.

Nachdem aber die Ideen beschrieben sind, wird die Vernunft von diesem Gesichtspunkt aus auf das Erscheinungsgebiet zurückgewiesen. Der Trieb, sie zu verwirklichen, nötigt sie, die gegebene Welt mit den aus der Seele geborenen Musterbildern zu vergleichen. So entsteht eine ganz neue Beurteilung oder Beschreibung der Natur. Die Natur wird im Lichte der Idee betrachtet und der Wert ihrer Erscheinungen gemessen am Maßstab der Idee. So gewinnen wir zunächst eine Übersicht über die Mittel, welche die Natur uns zur Erreichung unserer Zwecke liefert. Indem wir diese Beurteilung dann auch vom historischen Gesichtspunkt aus unternehmen, erkennen wir, auf welche Weise, mit welchem Erfolg und Mißerfolg diese Mittel von den Menschen verwertet wurden. Dadurch werden wir fähig, Methoden zur Verbesserung des menschlichen Daseins anzugeben. Die Beschreibung dieser Zusammenhänge liefert die angewandte Teleologie. Sie gliedert sich in zwei Teile; denn die Erfahrung zeigt, daß das empirische Dasein des Menschen von zweierlei Bedingungen abhängt: von subjektiven und von objektiven. Die subjektiven lehrt uns die Psychologie; sie besthen in einer bestimmten Beschaffenheit der Gemütskräfte. Während aber die Psychologie die inneren Prozesse ohne Rücksicht auf ihren Wert beschreibt, vergleicht sie die angewandte Teleologie nach der Norm der Idee und gibt zugleich die Mittel an, die das Dasein förderndenn Kräfte zu verstärken und die hemmenden zu schwächen. Man kann diesen Teil der Teleologie als eudämonistische Pädagogik bezeichnen. Hier gehört jedoch nicht nur die eigentliche Erziehungslehre, sondern auch ein Teil der Hygiene, der Kriegswissenschaft und der Strafrechtslehre.

Die objektiven Bedingungen bestehen im Vorhandensein aller äußeren Umstände, ohne welche die Fristung, Gesunderhaltung und Verschönerung des Lebens nicht denkbar ist. Die Zusammenhänge, welche stattfinden müssen, damit die Naturerscheinungen als Mittel zur Erhaltung des Daseins dienen können, beschreibt die Volkswirtschaftslehre, wenn wir das Wort im weitesten Sinne nehmen. Unter diesen Titel gehört die eigentliche Nationalökonomie, welche von der Produktion, der Verteilung und der Konsumtion der Güter handelt; der Teil der Gesundheitspflege, welcher die objektiven in der äußeren Natur liegenden Bedingungen der Gesunderhaltung angiebt, also die Beschaffenheit von Luft, Wasser und Nahrungsmitteln; die Medizin, welche die sämtlichen Mittel und Methoden vergleicht, die uns zur Wiederherstellung einer gestörten Gesundheit zu Geboten stehen; die technischen Wissenschaften, welche die mechanischen Hilfsmittel für die Dienstbarmachung der Naturkräfte zusammenstellen; derjenige Teil der Kriegswissenschaft, welcher von den objektiven Mitteln der Verteidigung handelt; schließlich derjenige Teil der Rechtswissenschaft, welcher die Dinge beschreibt, in deren Genuß jeder entweder schlechthin (öffentliches Recht) oder auf sein Verlangen (Privatrecht) geschützt werden soll.

Damit sind die Naturerscheinungen beschrieben als materielle Werte, d. h. als Mittel der Verbesserung des äußeren Daseins, der Verminderung der Unlustgefühle. Es bleibt übrig, sie als geistige Werte zu schildern. Die Naturerscheinungen sind geistige Werte, indem sie, abgesehen von allen anderen Zwecken, unmittelbar auf das Gemüt wirken und seine Kräfte, die Sinne, die Phantasie und das Denken zu einer Funktion veranlassen, die als solche mit Lust verbunden ist. Die Wissenschaft, welche sich dieser Beschreibung unterzieht, heißt Ästhetik. Die Ästhetik behandelt einerseits das Naturschöne oder die Naturerscheinungen, wie sie als unmittelbar gegebene auf den Geschmack wirken, andererseits die künstlichen Gebilde, die mit der Absicht dieser Wirkung durch Menschenhand erstellt wurden. (Die Kunst gehört so wenig wie die Technik ist eine Klassifikation der Wissenschaften. Beide sind nicht Wissen, sondern Können, d. h. eine Geschicklichkeit, die auf Grund des Wissens gewonnenen Ideen mit Hilfe der Phantasie zu einem Ideal, d. h. zu einer Anschauung zu machen und dieses Ideal an einem Stoff äußerlich zu verwirklichen.)

Unsere Tabelle faßt die Ästhetik mit der Wirtschaftslehre als Güterlehre zusammen und koordiniert sie mit der Pädagogik.

Aus der Überlegung über die mögliche Verwirklichung der Glückseligkeitsidee entspringt mit Notwendigkeit ein einschränkender Gedanke: der Einzelne darf durch seine Handlungen die Idee nur so weit realisieren, als es geschehen kann, ohne andere Vernunftwesen als bloße Mittel für seine Zwecke zu behandeln. Die teleologische Reflexion ergibt keinen Vorrang einzelner Menschen; nicht der Einzelne, nur die Gattung kann Selbstzweck sein. Nun wird nicht etwa dadurch der Wissenschaft ein neuer Stoff gegeben, daß sie die Wohlfahrt der Gattung zu studieren hätte. Es gibt nicht ein Glück der Gattung neben dem der Individuen. Aber das begründet eine neues Problem, daß der Charakter des Selbstzwecks ein Merkmal der Gattung ist und daß das Handeln des Einzelnen durch die Allgemeinheit dieses Merkmals Einschränkungen erleidet. Die Vorstellung dieser einschränkenden Gesetzmäßigkeit, die nicht in Bedingungen der äußeren Natur, sondern nur in unserem Denken begründet liegt und der wir uns nichtsdestoweniger zu unterwerfen haben, ist die Idee der Sittlichkeit. Die Wissenschaft, die sich mit der Beschreibung des Sittengesetzes und seiner Zusammenhänge mit dem übrigen Denken beschäftigt, ist die reine Ethik.

Daraus erfolgt nun wiederum die weitere Aufgabe, den tatsächlich handelnden, empirischen Menschen nach seinem Verhältnis zum idealen, ethischen zu beschreiben und die Bedingungen anzugeben, unter denen jener diesem angenähert werden kann. Diese Aufgabe löst die angewandte Ethik. Sie hat nur einen subjektiven Teil; denn diese Bedingungen liegen ausschließlich im Bereich der inneren Natur. Die angewandte Ethik deckt sich als mit der ethischen Pädagogik. Fassen wir nun die Teleologie und die Ethik zusammen, so bilden sie das Gebiet der Ideen, des Seinsollenden, der notwendigen Grenzbegriffe unseres Denkens. Dieses Gebiet umfaßt einen Stoff, der uns nicht ohne unser Zutun, ohne daß wir wissen, auf welche Art, gegeben wird, sondern den wir in der Funktion des Erkenntnisprozesses entstehen sehen. Die Wissenschaften, die ihn beschreiben, können wir unter dem Namen der Ideenlehre zusammenfassen. Im Gegensatz dazu stellt sich das gesamte übrige Gebiet dar als das Gebiet des Seienden, tatsächlich Gegebenen und zwar durch unsere Sinnlichkeit Gegebenen, oder als Gebiet des Erscheinenden. Denn auch da, wo das Bewußtsein selbsttätig ist, wie in der mathematischen und physikalischen Synthese, wird eine äußere und innere Natur beschrieben, wie sie erscheint, nicht wie sie erscheinen sollte. Man kann den Inbegriff dieser Wissenschaften der Ideenlehre als Erscheinungslehre gegenüberstellen.

Damit ist unser Stoff erschöpft. Außer Erscheinung und Idee ist überall nichts gegeben. Trotzdem ist unsere Klassifikation noch nicht zum Abschluß gebracht. Nachdem alles zu Beschreibende aufgezählt ist, bleibt noch das Faktum der Beschreibung übrig. Dieses gelangt freilich, wie jede Funktion des Bewußtseins, in der Psychologie zur Darstellung. Allein das genügt nicht; die Psychologie läßt eine wichtige Aufgabe ungelöst. Sie beschreibt lediglich den Gang der Funktion. Daneben muß es eine Wissenschaft geben, welche das Resultat der Funktion als Erkenntniswert würdigt, d. h. nach seinem Einfluß auf unsere Überzeugung. Wie wir in der Einleitung festgestellt haben, ist nicht jede Beschreibung Wissenschaft, sondern nur die, welche "so genau wie möglich" ist. Es erübrigt sich somit, die Bedingungen anzugeben, unter denen eine Beschreibung so genau wie möglich wird. Dies geschieht durch die Beschreibung der Modalität des Bewußtseins dem Bestand der Wissenschaft gegenüber. Wir vergleichen die verschiedenen Beschreibungsformen miteinander, wie sie in der Morphologie, der Physik, der Mathematik, der Psychologie vorliegen, und beobachten die Bewußtseinsmodalität, welche diesen verschiedenen Formen entspricht. So lernen wir die Bedingungen kennen, unter denen ein bestimmter Wissensbestand bestimmte Überzeugungsgrade hervorbringt. Unter diesen spielt der Grad der Notwendigkeit eine besondere Rolle, insofern er das Kriterium für das "so genau wie möglich" bildet. Wenn wir die Bedingungen kennen, unter denen das Bewußtsein der Notwendigkeit entsteht, so begreifen wir die Möglichkeit der Wissenschaft. Wenn wir aber die Bedingungen der Möglichkeit der Wissenschaft überhaupt kennen, so haben wir zugleich Normen gewonnen für die Kritik jedes einzelnen Wissens. Damit ist aber eine Wissenschaft gekennzeichnet, die sich von allen anderen Wissenschaften ein bestimmtes Mannigfaltiges, Erscheinungen oder Ideen, beschreiben, also Erkenntnisse sind, beschreibt sie das Verhältnis der Formen der Beschreibung zum Bewußtsein überhaupt. Wir nennen diese Wissenschaft Erkenntnistheorie.

Es gibt zweierlei Bedingungen der Möglichkeit des Erkennens, die einen beziehen sich auf das erkennende Subjekt, die andern auf den Gegenstand der Erkenntnis. Erkennen ist Beschreiben, Beschreiben ist benennen. Die Benennung muß so genau wie möglich sein. Das ist sie nur, sofern sie den Regeln genügt, unter deren Beobachtung sich das Bewußtsein der Notwendigkeit erzeugt. Die Prinzipien dieser Regeln seien zur Kennzeichnung dieser Wissenschaft angeführt.  A  muß gleich  A  sein, d. h. nur Identisches darf mit dem gleichen Namen bezeichnet werden. Was  A  genannt wird, kann nicht zugleich  Non-A  heißen. Alles muß entweder  A  oder  Non-A  sein. Wenn ich eine Gattung  A  nenne, muß ich wissen, daß alle Arten und Individuen, die zu dieser Gattung gehören, nunmehr ebenfalls  A  heißen. Ich darf keine Erscheinung  A  nennen, ohne mir einer Regel bewußt zu sein, nach der ich es tue. Diese Regel ergibt sich aus dem gesamten System meiner Bezeichnungen. Indem die Erkenntnistheorie diese Prinzipien und die daraus folgenden Regeln beschreibt, ist sie formale Logik.

Alles Benennen beruth auf einem Vergleichen. Also ist Erkenntnis nur möglich, wenn die gegebenen Erscheinungen vergleichbar sind. Alle Gesetze, welche sich aus dem Postulat der Vergleichbarkeit von Erscheinungen ergeben, sind Naturgesetze; denn Erscheinungen, die ihnen nicht genügen würden, könnte ich nicht beschreiben, also nicht erkennen; sie würden somit für mich nicht wirklich sein. Wirklich ist nur das Objektive, objektiv nur das Erkannte. Ich will durch ein paar Beispiele an die Art dieser Gesetze erinnern. Die Erscheinungen wären unvergleichbar, wenn sie sowohl keine Unterschiede, als auch keine Ähnlichkeiten zeigten. Es muß also eine Mannigfaltigkeit den Naturinhalt bilden, aber so, daß ihre Bestandteile gemeinsame Merkmale besitzen. Die Erscheinungen wären unvergleichbar, wenn sie nicht in Verhältnissen, nicht nacheinander und nebeneinander gegeben würden. Wenn jede isoliert aufblitzen, nicht an andere grenzen würde, so könnte die Aufmerksamkeit nicht von der einen zu anderen übergehen, könnte also auch nichts Gemeinsames an ihnen entdecken. Sie wären unvergleichbar, wenn im stetigen Fluß der Dinge nicht etwas Beharrliches gegeben wäre; denn ich könnte micht niemals von der Identität eines Objektes überzeugen; der Satz  A = A  fände keine legitime Anwendung. Daher können wir von vornherein behaupten, daß es Substanzen in der Natur geben muß; denn nur soweit sie substantiell ist, kann sie für uns existieren usw. Insofern nun die Erkenntnistheorie diese Bedingungen der Möglichkeit eines Naturinhaltes beschreibt, ist sie eine materiale Logik.

Und nun haben wir in der Tat das ganze Gebiet des menschlichen Wissens durchmessen. Erkenntnis und Erkenntnistheorie sind die höchsten Klassifikationen der Wissenschaft. Wer den alten Einwurf der unendlichen Reihe erhebt, sei es nun fernerhin die Möglickeit der Beschreibung der Möglichkeit des Beschreibens zu beschreiben etc. etc., hätte den Gedankengang dieses Versuchs nicht verstanden. Wir sind hier schlechterdings an die obere Grenze der Klassifikation gelangt. Beschreiben setzt Vergleichen voraus. Die Beschreibung der Möglichkeit des Beschreibens beruth auf der Vergleichung der einzelnen Wissenschaften. Das Resultat dieser Vergleichung ist die Erkenntnistheorie. Damit nun die Beschreibung noch weiter gehen kann, müßte eine Mehrheit von Erkenntnistheorien gegeben sein; sonst haben wir nichts zu vergleichen. Allein der Erkenntnistheorie läßt sich kein Vergleichungsobjekt zur Seite stellen, so wenig wie unter den Dingen dem Weltall. Wie das Weltall im Verhältnis zu den Dingen, so ist die Erkenntnistheorie im Verhältnis zu den Beschreibungen ein Inbegriff. Beide sind  Unica,  daher unvergleichbare Vorstellungen. So ist die Möglichkeit der Beschreibung der oberste Begrif, den wir uns von den Bedingungen der Vernunfttätigkeit machen können. Das Dasein und der Inhalt dieses Begriffs selbst aber ist für uns etwas ganz Zufälliges, wie jede Vorstellung einer Totalität.

LITERATUR - August Stadler, Zur Klassifikation der Wissenschaften, Archiv für systematische Philosophie, Bd. 2, Berlin 1896