tb-1von AsterF. HillebrandP. SternR. ShuteFrischeisen-Köhler     
 
IMMANUEL KANT
Über die Form und die Prinzipien
der sinnlichen und der Verstandeswelt

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"Der Raum ist nichts Gegenständliches und Wirkliches, weder eine Substanz noch eine Eigenschaft, noch eine Beziehung; sondern etwas Subjektives und Ideales, was aus der Natur der Seele nach einem festen Gesetz hervorgeht, wie ein Schema, um alles äußerlich Wahrgenommene zu ordnen. Die Verteidiger der Wirklichkeit des Raumes nehmen ihn entweder als für sich bestehend und als das schrankenlose Behältnis aller möglichen Dinge, welche Ansicht neben den Engländern meist den Geometern zusagt."

"Nur wenn der unendliche Raum oder die unendliche Zeit gegeben ist, kann durch  Beschränkung  jedweder bestimmte Raum oder Zeit angegeben werden, und weder der Punkt noch der Augenblick kann für sich gedacht werden, sondern sie können nur als Grenzen eines schon gegebenen Raumes oder Zeit vorgestellt werden. Deshalb sind alle ursprünglichen Bestimmungen dieser Begriffe außerhalb der Schranken der Vernunft und können deshalb in keiner Weise durch bloßes Denken erläutert werden. Trotzdem sind sie die  Unterlagen des Verstandes,  welcher aus ursprünglich sinnlich Gegebenem nach logischen Gesetzen die Folgen ableitet, und zwar mit der größtmöglichen Gewißheit."

"Da nun die Blendwerke des Verstandes mittels der Aufstellung eines sinnlichen Begriffs als eines Verstandesbegriffs ein  Fehler der Verwechslung  genannt werden können, so wird die Verwechslung der Verstandes- und sinnlichen Begriffe der  metaphysische  Fehler der Verwechslung und deshalb nenne ich einen solchen falschen Satz, welcher das Sinnliche für den Verstandesbegriff als notwendig anhängend ausgibt, den  Grundsatz der Verwechslung.  Aus solchen unechten Grundsätzen sind die den Verstand irreführenden Prinzipien hervorgegangen, welche durch die ganze Metaphysik schlimm gehaust haben."

"Ich nenne die Regeln der Beurteilung Grundsätze der Übereinstim- mung, denen man sich gern fügt, und an denen man wie an unzweifelhaften Grundsätzen hängt, bloß weil,  wenn man von ihnen abginge,  unserem Verstand beinahe  kein  Urteil über einen gegebenen Gegenstand gestattet wäre."


Erster Abschnitt
Über den Begriff der Welt überhaupt

§ 15.
Über den Raum

A.  Die Vorstellung des Raums wird nicht von den äußeren Empfindungen abgezogen.  Denn ich kann nichts als außer mir gesetzt vorstellen, wenn ich es nicht in einem von dem, wo ich bin, verschiedenen Ort vorstelle, und ebensowenig Sachen außer einander, wenn ich sie nicht in verschiedene Orte des Raumes stelle. Die Möglichkeit äußerer Wahrnehmungen als solcher setzt also die Vorstellung des Raumes  voraus  und  erzeugt  ihn nicht; sowie auch das im Raum Befindliche die Sinne erregt, während der Raum selbst mit den Sinnen nicht wahrgenommen werden kann.

B.  Der Begriff des Raumes ist eine Einzelvorstellung,  welche alles  in sich  enthält und nicht wie ein abgezogener und gemeinsamer Begriff es  unter  sich befaßt. Denn was man  mehrere  Räume nennt, sind es nur als Teile des unermeßlichen Raumes, die durch eine bestimmte Stellung sich aufeinander beziehen, und man kann sich keinen Kubikfuß vorstellen, als durch den ihn umgebenden Raum überall begrenzt.

C. Die Vorstellung des Raumes ist deshalb eine reine Anschauung,  da es eine Einzelvorstellung ist, die nicht aus Empfindungen zusammengeschmolzen ist, sondern die fundamentale Form jeder äußeren Empfindung.

Es ist leicht, diese reine Anschauung in den Grundsätzen der Geometrie und in jeder Konstruktion von Postulaten oder Aufgaben innerhalb der Seele zu bemerken. Denn daß es im Raum nur drei Richtungen gibt, daß zwischen zwei Punkten nur  eine  gerade Linie möglich, die Beschreibung eines Kreises mit einer gegebenen geraden Linie von einem Punkt einer Ebene aus usw. kann nicht aus einem etwaigen allgemeinen Begriff des Raumes abgeleitet werden, sondern nur in diesem selbst wie in einem Einzelnen angeschaut werden. Das, was in einem gegebenen Raum nach der einen Seite zu, und das, was nach der anderen liegt, kann trotz aller Schärfe des Verstandes nicht begrifflich beschrieben, d. h. auf Verstandesmerkmale zurückgeführt werden. Da sonach in festen, vollkommen gleichen und ähnlichen, aber gegeneinander liegenden Körpern, wie z. B. die rechte und linke Hand (wenn man sie bloß nach der Ausdehnung auffaßt), oder die sphärischen Dreiecke aus den beiden entgegengesetzten Halbkugeln, ein Unterschied besteht, welcher es unmöglich macht, daß die Grenzen der Ausdehnung ineinander fallen, obgleich sie in allem, was durch Merkmale, die der Seele mittels der Worte verständlich sind, sich sagen läßt, sich einander vertreten können, so ergibt sich, daß hier der Unterschied, nämlich die Nichtübereinstimmung, durch eine gewisse reine Anschauung bezeichnet werden kann. Deshalb bedient sich die Geometrie nicht bloß unzweifelhafter, begrifflicher Grundsätze, sondern auch solcher, die in die Anschauung der Seele fallen, und die Gewißheit der Beweise (welche die Klarheit und bestimmte Erkenntnis ist, soweit sie sich dem Wahrnehmbaren nähert) ist in ihr nicht allein die größte, sondern auch die einzige, die es in den reinen Wissenschaften gibt, und sie bildet das Muster und Mittel aller Gewißheit in den anderen. Da die Geometrie die Beziehungen des Raumes betrachtet, dessen Begriff die Form aller sinnlichen Anschauung in sich enthält, so kann in den Wahrnehmungen des äußeren Sinnes nur mittels der Anschauung, mit deren Betrachtung sich diese Wissenschaft beschäftigt, etwas klar und deutlich sein. Im Übrigen beweist die Geometrie ihre obersten Grundsätze nicht durch ein Denken des Gegenstandes mittels eines allgemeinen Begriffs, wie es bei den Begründungen geschieht, sondern indem sie sie mittels der einzelnen Anschauung vor Augen stellt, wie es beim Wahrnehmbaren geschieht. (5)

D.  Der Raum ist nichts Gegenständliches  und Wirkliches, weder eine Substanz noch eine Akzidenz, noch eine Beziehung; sondern etwas Subjektives und Ideales, was aus der Natur der Seele nach einem festen Gesetz hervorgeht, wie ein Schema, um alles äußerlich Wahrgenommene zu ordnen. Die Verteidiger der Wirklichkeit des Raumes nehmen ihn entweder als für sich bestehend und als das schrankenlose Behältnis aller möglichen Dinge, welche Ansicht neben den Engländern meist den Geometern zusagt, oder sie behaupten, daß er das Verhältnis selbst von den bestehenden Dingen sei, was mit Wegnahme der Dinge erlischt und nur an Wirklichem denkbar sei, wie nach LEIBNIZ die meisten der Unsrigen annehmen. Jene erste leere Erdichtung der Vernunft, welche unendliche wirkliche Verhältnisse ohne irgendwelche wirkliche aufeinander bezogene Dinge sich erdenkt, gehört in die Welt der Fabeln; allein die Anhänger der letzten Ansicht befinden sich in einem schlimmeren Irrtum. Denn während jene nur gewissen Begriffen, die zu denen des Verstandes gehören, ein Hindernis bereiten, welche überdies zu den dunkelsten gehören, wie z. B. die Frage nach der geistigen Welt, nach der Allgegenwart usw., so geraten diese mit den Erscheinungen selbst und mit dem zuverlässigsten Dolmetscher der Erscheinungen, der Geometrie, in einen offenen Widerspruch. Denn ohne den offenbaren Zirkel in ihrer Definition des Raumes, in den sie sich unvermeidlich verwickeln, zu erwähnen, stoßen sie die Geometrie vom Gipfel der Gewißheit und werfen sie zur Klasse der Wissenschaften, deren Grundlagen aus der Erfahrung entlehnt sind. Denn wenn alle Besonderungen des Raumes nur durch die Erfahrung aus äußeren Verhältnissen entnommen sind, so wohnt den geometrischen Grundsätzen nur eine vergleichsweise Allgemeinheit bei, wie sie durch Induktion erlangt wird, d. h. die nicht weiter geht als die Beobachtung; ebenso hat sie dann keine Notwendigkeit als nur nach den festgestellten Gesetzen der Natur und nur eine nach Belieben abgemessene Bestimmtheit, und man kann dann, wie bei den Erfahrungswissenschaften, hoffen, am Raum vielleicht noch zu entdecken, daß er andere ursprüngliche Eigenschaften hat und vielleicht auf zweilinig oder geradlinig ist.

E. Obgleich der Begriff des Raumes als eines gegenständlichen und wirklichen Wesens oder Eigenschaft nur eingebildet ist, so ist er doch in Betreff der sinnlichen Dinge von der höchsten Wahrheit und die Grundlage aller Wahrheit der äußeren Empfindung. Denn die Dinge können den Sinnen in irgendeiner Weise nur erscheinen mittels einer Kraft der Seele, welche alle Empfindungen nach einem festen und der Natur innewohnenden Gesetz ordnet. Da nun den Sinnen nichts gegeben werden kann, was nicht den ersten Grundsätzen des Raumes und ihren Folgesätzen (nach Anleitung der Geometrie) entspricht, so muß alles mit diesen Grundsätzen übereinstimmen, obgleich das Prinzip nur ein subjektives ist, weil es soweit mit sich selbst übereinstimmt, und die Gesetze der Sinnlichkeit sind die Gesetze der Natur,  soweit sie in die Sinne fallen kann.  Daher ist die Natur den Sätzen der Geometrie auf das Genaueste unterworfen, da alle dort bewiesenen Bestimmungen des Raumes nicht ursprünglich durch die Natur der Seele gesetzt (so daß der, welcher sich bemühte, irgendwelche andere Beziehungen, als die der Raum bietet, in Gedanken auszubilden, seine Mühe verschwendet, weil er diesen Begriff zur Stütze seiner Erdichtung zu benutzen gezwungen ist), so würde der Gebrauch der Geometrie in den Naturwissenschaften nur sehr unsicher sein; denn es bliebe zweifelhaft, ob dieser aus der Erfahrung entlehnte Begriff auch mit der Natur genügend übereinstimmt; indem man vielleicht die Bestimmungen, aus denen er abgenommen ist, nicht anerkennt, wie er Jemand wirklich in den Sinn gekommen ist. Der  Raum  ist also das unbedingt erste  formale Prinzip der sinnlichen Welt,  nicht bloß deshalb, weil nur durch seinen Begriff die Gegenstände des Weltalls wahrgenommen werden können, sondern hauptsächlich deshalb, weil er wesentlich nur  einer  ist, der überhaupt alles äußerlich Wahrnehmbare umfaßt, mithin das Prinzip des  Allumfassenden  bestimmt, d. h. des Alls, was nicht wieder Teil eines Anderen sein kann.


Folgesätze.

Hiermit sind  zwei Prinzipien der sinnlichen Erkenntnis  gegeben, die keine allgemeinen Begriffe, wie innerhalb der Verstandeserkenntnis, sondern  einzelne, aber reine Anschauungen  sind, in denen, nicht wie die Gesetze des Verstandes es erfordern, die Teile, und namentlich die einfachen, den Grund der Möglichkeit des Zusammengesetzten enthalten, sondern wo nach dem Muster der sinnlichen Anschauung  das Unendliche den Grund jedes  denkbaren und zuletzt einfachen  Teiles  oder vielmehr der  Grenze enthält.  Denn nur wenn der unendliche Raum oder die unendliche Zeit gegeben ist, kann durch  Beschränkung  jedweder bestimmte Raum oder Zeit angegeben werden, und weder der Punkt noch der Augenblick kann für sich gedacht werden, sondern sie können nur als Grenzen eines schon gegebenen Raumes oder Zeit vorgestellt werden. Deshalb sind alle ursprünglichen Bestimmungen dieser Begriffe außerhalb der Schranken der Vernunft und können deshalb in keiner Weise durch bloßes Denken erläutert werden. Trotzdem sind sie die  Unterlagen des Verstandes,  welcher aus ursprünglich sinnlich Gegebenem nach logischen Gesetzen die Folgen ableitet, und zwar mit der größtmöglichen Gewißheit. Von diesen Begriffen trifft der eine eigentlich die Anschauung des  Gegenstandes,  der andere den  Zustand,  insbesondere den  vorstellbaren.  Deshalb wird der Raum als das Vorbild für den Begriff der Zeit benutzt, indem man sie als eine  Linie  vorstellt und ihre Grenzen durch Punkte (Augenblicke). Die Zeit  nähert  sich aber mehr einem  allgemeinen  und  Vernunftbegriff,  indem sie in ihren Beziehungen überhaupt alles zusammenfaßt, auch den Raum selbst und außerdem die Akzidenzen, die in den Beziehungen des Raumes nicht enthalten sind, wie die Vorstellungen der Seele. Übrigens gibt die Zeit der Vernunft zwar keine Gesetze, aber  setzt doch wichtige Bedingungen, mit deren  Unterstützung  die Seele ihre Begriffe nach den Gesetzen der Vernunft vergleichen kann.  So kann ich über das Unmögliche nur urteilen, wenn ich von demselben Subjekt zu  derselben Zeit  das  A  und das  Nicht-A  aussage. Und hauptsächlich bedarf, wenn die Seele sich zur Erfahrung wendet, die Beziehung der Ursache und Wirkung in den äußeren Gegenständen der Verhältnisse des Raumes, und in allen, äußeren wie inneren, kann man nur mit Hilfe der Zeitbeziehung erkennen, was das Frühere und was das Spätere, d. h. das Bewirkte ist. Selbst die Größe des Raumes darf man nicht in eine reine gedachte Bestimmung auflösen, wenn man ihn nicht als bezogen auf ein Maß als Einheit, mittels der Zahl darstellt, die selbst nur durch Zahlen, d. h. in einer gegebenen Zeit durch allmähliche Hinzufügung des Einen zum Andern bestimmt erkannt wird.

Es erhebt sich hier schließlich gleichsam von selbst bei Jedem die Frage, ob beide Begriffe  angeboren  oder  erworben  sind. Das Letztere scheint zwar durch die Beweisführung bereits widerlegt; allein auch das Erstere darf nicht so leicht zugelassen werden, weil es der Philosophie der Faulen den Weg bahnt, welche jede weitere Untersuchung durch die Namhaftmachung der ersten Ursache für überflüssig erklärt. Jedoch sind  beide Begriffe  unzweifelhaft  erworben,  nicht in dem Sinn, daß sie von Gegenständen abgezogen worden sind (denn die Empfindung gibt nur den Stoff, aber nicht die Form der menschlichen Erkenntnis), sondern als die unveränderliche Grundform, welche durch die eigene Tätigkeit der Seele, die nach ewigen Gesetzen ihre Empfindungen ordnet, gleichsam mittels Anschauung erlangt werden muß. Denn die Empfindungen erwecken diese Tat der Seele, aber bestimmen nicht die Anschauung, und nur das Gesetz der Seele ist hier angeboren, nachdem sie ihr durch die Gegenwart des Gegenstandes Empfundenes in bestimmter Weise verbindet.


Vierter Abschnitt
Über das Prinzip der Form der Verstandeswelt

§ 16.

Wenn man den Raum und die Zeit für ein wirkliches und unbedingtes notwendiges Band aller möglichen Substanzen und Zustände hält, so hält man nichts weiter für nötig, um sie zu begreifen, da ja mehreren Daseienden eine gewisse ursprüngliche Beziehung zukommt oder eine erste Bedingung des möglichen Einflusses und ein Prinzip der wesentlichen Form des Weltalls. Da nach dieser Meinung das Daseiende notwendig irgendwo ist, so scheint es ihr überflüssig, zu untersuchen, weshalb sie in gewisser Weise füreinander da sind, weil dies durch die Allgemeinheit des Raumes, der alles umfaßt, von selbst bestimmt wird. Allein es ist schon dargetan, daß dieser Begriff mehr die sinnlichen Gesetze des Subjekts als die Bedingungen der Gegenstände selbst angeht, und wenn man ihn auch noch so sehr mit Wirklichkeit ausstattet, so bezeichnet er doch nur die anschaulich gegebene Möglichkeit der allgemeinen Beiordnung, und die nur vom Verstand lösbare Frage bleibt unberührt:  Auf welches Prinzip dieses Verhältnis aller Substanzen selbst sich stützt, was, anschaulich aufgefaßt, Raum genannt wird?  Hierin steckt die Angel der Frage  über das Prinzip der Form der Verstandeswelt;  es soll sich daraus ergeben, wie es möglich ist,  daß mehrere Substanzen in gegenseitigem Verkehr stehen  und deshalb zu demselben Ganzen gehören, welches die Welt heißt? Die Welt betrachte ich hier aber nicht nach ihrem Stoff, d. h. nicht nach der Natur der Substanzen, aus denen sie besteht, ob sie körperlich oder unkörperlich sind, sondern nach der Form, d. h. wie die Verbindung überhaupt unter mehreren und die Einheit des Ganzen unter allen stattfindet?


§ 17.

Wenn mehrere Substanzen gegeben sind, so folgt das  Prinzip ihres möglichen Verkehrs  miteinander nicht  aus dem bloßen Dasein derselben,  sondern es ist noch etwas Anderes dazu nötig, aus dem die gegenseitigen Beziehungen einzusehen sind. Denn des bloßen Daseins wegen beziehen sie sich nicht notwendig auf ein Anderes, ausgenommen etwa auf ihre Ursache; allein die Beziehung des Bewirkten auf die Ursache ist keine Gemeinschaft, sondern eine Abhängigkeit. Wenn also eine Gemeinschaft ihrer mit Anderen stattfindet, so bedarf es eines besonderen Grundes, der dies bestimmt.

Und hierin steckt das  proton pseudos (die erste Unwahrheit) des  physischen Einflusses,  in seinem gewöhnlichen Sinn; indem dreist angenommen wird, daß die Gemeinschaft der Substanzen und die übergehenden Kräfte durch ihr bloßes Dasein genügend erkennbar sind. Es ist deshalb diese Lehre kein System, sondern vielmehr die Vernachlässigung jedes philosophischen Systems, als wenn es in diesem Punkt völlig überflüssig wäre. Wenn ich diesen Begriff von diesen Flecken reinige, so gewinne ich eine Art der Gemeinschaft, die allein eine  wirkliche  genannt werden kann, und von welcher das  Ganze  der Welt ein  wirkliches  und kein bloß ideales oder vorgestelltes genannt zu werden verdient.


§ 18.

Ein Ganzes aus notwendigen Substanzen ist unmöglich.  Denn da für jede ihr Dasein genügend feststeht, frei von aller Abhängigkeit von jeder anderen, die gar nicht zum Notwendigen gehört, so erhellt sich, daß weder die Gemeinschaft der Substanzen (d. h. die Abhängigkeit ihrer gegenseitigen Zustände) aus ihrem Dasein folgt, noch daß sie ihnen überhaupt, als notwendigen, zukommen kann.


§ 19.

Das Ganze der Substanzen ist deshalb nur ein Ganzes von Zufälligem, und  die Welt besteht vermöge ihrer Wesenheit aus lauter Zufälligem.  Darüber hinaus ist jede Substanz in der Verknüpfung mit der Welt nur als Ursache zur Wirkung notwendig; aber nicht als Teil mit dem hinzutretenden Übrigen zu einem Ganzen (da die Verbindung der Teile eine gegenseitige Abhängigkeit ist, die in einem notwendigen Wesen nicht enthalten ist). Deshalb ist die Ursache der Welt ein Wesen außerhalb ihrer, was deshalb nicht die Seele der Welt ist, und seine Gegenwart in der Welt ist keine örtliche, sondern eine wirksame.


§ 20.

Die Substanzen der Welt sind Wesen durch ein Anderes;  aber nicht durch verschiedene, sondern  alle durch Einen.  Denn wenn sie die Wirkungen von mehreren notwendigen Wesen wären, so ständen die Wirkungen nicht in Gemeinschaft, wenn deren Ursachen jeder Beziehung zueinander fremd wären. Deshalb ist  die Einheit in der Verbindung der Substanzen des Weltalls eine Folge ihrer Abhängigkeit aller von Einem.  Deshalb weist die Form des Weltalls auf eine Ursache des Stoffes, und zwar ist nur eine  einzige Ursache für alle die Ursache ihrer Zusammengehörigkeit.  Deshalb ist der  Baumeister  der Welt zugleich ihr  Schöpfer. 


§ 21.

Wenn es mehrere erste und notwendige Ursachen mit den von ihnen Bewirkten gäbe, so wären ihre Werke  Welten,  nicht  eine Welt;  weil sie in keiner Weise zu demselben Ganzen verbunden wären und umgekehrt: wenn es mehrere wirkliche Welten unabhängig voneinander gibt, so bestehen mehrere erste und notwendige Ursachen, aber so, daß keine Welt mit der anderen und keine Ursache mit der von einer anderen bewirkten Welt in Gemeinschaft steht.

Deshalb sind mehrere wirkliche unabhängig voneinander befindliche Welten  nicht vermöge ihres Begriffs unmöglich  (wie WOLF aus dem Begriff der Zusammenfassung oder Menge fälschlich schloß, indem er glaubte, daß dieser als solcher zu einem Ganzen hinreicht), sondern nur unter der alleinigen Bedingung,  wenn nur eine einzige notwendige Ursache für alle besteht;  werden aber mehrere angenommen,  so sind auch mehrere Welten  im strengsten metaphysischen Sinn  unabhängig voneinander möglich. 


§ 22.

Sowie der Schluß von der gegebenen Welt zur einzigen Ursache aller ihrer Teile gilt, so wird auch umgekehrt der Schluß gelten von der gegebenen für alle gemeinsamen Ursache auf die Verbindung dieser unter sich, also zur Form der Welt (obgleich ich gestehe, daß mir dieser Schluß nicht so klar erscheint); die ursprüngliche Verbindung der Substanzen ist dann keine zufällige, sondern  vermöge der Erhaltung  aller durch ein  gemeinsames Prinzip  notwendig, und so würde die von ihrem bloßen Dasein ausgehende Harmonie sich als in ihrer gemeinsamen Ursache nach allgemeinen Regeln begründet ergeben. Eine solche  Harmonie  nenne ich die  allgemein festgestellte,  da jene, welche nur stattfindet, soweit die einzelnen Zustände einer Substanz dem Zustand einer anderen angepaßt werden,  eine besonders festgestellte Harmonie  ist. Die Gemeinschaft aus der ersten Harmonie ist  wirklich  und physisch; die aus der anderen ist ideal und  sympathetisch [auf Sympathie beruhend - wp]. Alle Gemeinschaft der Substanzen des Weltalls ist deshalb äußerlich festgestellt (durch eine Allen gemeinsame Ursache) und ist entweder allgemein festgestellt durch den physischen Einfluß (in seiner berichtigten Bedeutung § 17) oder besonders nach ihren Zuständen eingerichtet. Letztere ist entweder mit der ersten Begründung jeder Substanz  ursprünglich  festgestellt, oder  bei Gelegenheit  einer Veränderung beigefügt; jene ist die  vorherbestimmte Harmonie;  diese heißt  Okkasionalismus [Lehre von den Gelegenheitsursachen - wp]. Wenn daher durch die Erhaltung aller Substanzen von Einem die  Verbindung  aller  notwendig  wäre, wodurch sie eine Einheit bilden, so würde die allgemeine Gemeinschaft der Substanzen eine durch einen  physischen Einfluß  sein, und die Welt ist dann ein wirkliches Ganzes; wo nicht, so ist die Gemeinschaft nur sympathetisch (d. h. eine Harmonie ohne wahre Gemeinschaft), und die Welt ist nur ideal. Für mich ist das Erstere, wenn auch nicht bewiesen, doch durch andere Gründe genügend erhärtet.


Zusatz.

Wenn es gestattet wäre, den Fuß über die Grenze der apodiktischen [keinen Widerspruch duldenden - wp] Gewißheit, wie sie der Metaphysik geziemt, zu setzen, so wäre es der Mühe wert, Einiges, was nicht allein zu den Gesetzen, sondern auch zu den Ursachen der anschaulichen Erkenntnis gehört, und was nur durch den  Verstand  erkannt werden kann, weiter zu verfolgen. Die menschliche Seele wird nämlich von den äußeren Dingen nur soweit ohne Ende offen,  als sie mit allen anderen Dingen von derselben Kraft eines Einzigen erhalten wird.  Deshalb nimmt sie das Äußere nur durch die Gegenwart der gemeinsamen erhaltenen Ursache wahr; deshalb kann der Raum, welcher die allgemeine und notwendige Bedingung der Mitgegenwart von allem sinnlich Erkannten ist, die  erscheinende Allgegenwart  genannt werden. (Denn die Ursache des Weltalls ist für alle und für die Einzelnen nicht deshalb gegenwärtig, weil sie in deren Orten ist, sondern es gibt Orte, d. h. mögliche Beziehungen der Substanzen, weil die Ursache Allen auf das innigste gegenwärtig ist.) Da ferner die Möglichkeit aller Veränderung und Folge, deren Prinzip, soweit es anschaulich erkannt wird, im Begriff der Zeit enthalten ist, die Beharrlichkeit des Subjekts voraussetzt, dessen entgegengesetzte Zustände sich folgen, und das, dessen Zustände fließend sind, nicht beharrt, wenn es nicht von einem Anderen erhalten wird, so ist der Begriff der Zeit, als des einzigen Unendlichen und Unveränderlichen (6), in dem Alles ist und beharrt, die  erscheinende Ewigkeit  der gemeinsamen  Ursache.  Es ist jedoch ratsamer, sich an der Küste der bei der Mittelmäßigkeit unseres Geistes erreichbaren Kenntnisse zu halten, als auf das hohe Meer solcher mystischen Erforschungen sich zu wagen, wie MALEBRANCHE es getan hat, dessen Ansicht von der hier vorgetragenen weit ab liegt, da nach ihm  wir  Alles in Gott schauen.


Fünfter Abschnitt

Über das Verfahren der Metaphysik in Betreff des
Sinnlichen und des durch den Verstand Erkennbaren.


§ 23.

In allen Wissenschaften, deren Grundsätze entweder durch die empfindende Anschauung (Erfahrung) oder durch die zwar sinnliche, aber reine Anschauung (der Begriffe des Raumes, der Zeit und der Zahl) anschaulich gegeben sind, d. h. in der Naturwissenschaft und Mathematik,  gibt der Gebrauch auch die Verfahrensweise.  Durch Versuchen und Auffinden erhellt sich, nachdem die Wissenschaft zu einigem Umfang und Ordnung gelangt ist, der Weg und die Weise, wie vorzuschreiten ist, damit sie vollständig wird und nach einer Abwischung der Flecken der Irrtümer und der verworrenen Gedanken reiner erglänzt; ebenso, wie die Grammatik erst nach einem ausgedehnteren Gebrauch der Rede und die Schreibart nach den feinen Beispielen der Gedichte und Reden den Regeln und der Ordnung die Handhabe geboten haben. Dagegen ist der Gebrauch des Verstandes in solchen Wissenschaften, deren ursprüngliche Begriffe und Grundsätze durch Anschaung gegeben werden, nur ein logischer, wodurch die Erkenntnisse nur in Bezug auf das Ganze einander nach dem Satz des Widerspruchs untergeordnet werden, und zwar die Erscheinungen den allgemeinen Erscheinungen und die Folgesätze den anschaulichen Grundsätzen der reinen Anschauung. Allein in der reinen Philosophie, wozu die Metaphysik gehört, in der der  Gebrauch des Verstandes  für die Prinzipien ein  realer  ist, d. h. wo die ersten Begriffe und Verhältnisse und die Grundsätze selbst durch den reinen Verstand selbst ursprünglich gegeben werden, und wobei, da diese keine Anschauungen sind, der Irrtum nicht immer vermieden werden kann, geht die  Verfahrensweise aller Wissenschaft voraus,  und Alles, was vor der genauen Prüfung und sicheren Feststellung ihrer Grundsätze versucht wird, erscheint nur als ein voreiliges Denken und gehört zum leeren Spiel des Verstandes. Denn der rechte Gebrauch der Vernunft stellt hier die Grundsätze selbst fest, und sowohl die Gegenstände wie auch die von ihnen aufzustellenden Grundsätze werden durch deren Natur selbst zuerst bekannt. Deshalb ist die Darlegung der Gesetze der reinen Vernunft auch die Erzeugung der Wissenschaft selbst, und ihre Unterscheidung von bloß vorausgesetzten Gesetzen das Kennzeichen der Wahrheit. Da nun die Verfahrensweise dieser Wissenschaft nur soweit gerühmt wird, wie die Logik eine solche für alle Wissenschaften aufstellt, dagegen die der besonderen Natur der Metaphysik entsprechende ganz unbekannt ist, so kann es nicht auffallen, wenn die mit dieser Erforschung Beschäftigten ihren Stein des  Sisyphus  in Ewigkeit wälzen und kaum von der Stellen gekommen zu sein scheinen. Ich habe nun allerdings weder die Absicht noch die Gelegenheit, über eine so bedeutende und weit reichende Frage mich ausführlicher auszulassen; allein einen nicht unbedeutenden Teil dieser Verfahrensweise möchte ich doch in Kürze erörtern, nämlich die  Ansteckung der sinnlichen Erkenntnis durch die Erkenntnis des Verstandes,  wie sie nicht bloß den Unvorsichtigen bei der Anwendung der Grundsätze begegnet, sondern selbst falsche Grundsätze unter dem Schein selbstverständlicher Wahrheiten sich erdichtet.


§ 24.

Die ganze Verfahrensweise der Metaphysik in Betreff des Sinnlichen und des durch den Verstand Erkannten läuft vor allem auf den Satz hinaus: Man sorge,  daß die Grundsätze, welche der sinnlichen Erkenntnis eigentümlich sind, nicht ihre Grenzen überschreiten und nicht die Verstandeserkenntnisse anstecken.  Denn da das  Prädikat  in jedem Urteil des Verstandes die  Bedingung  ist, ohne welche das Subjekt nach deren Ausspruch nicht denkbar sein soll, und mithin das Prädikat ein Prinzip des Erkennens ist, so wird es bei einem sinnlichen Begriff nur die Bedingung der möglichen sinnlichen Erkenntnis sein, und wird deshalb vorzüglich für das Subjekt ein Urteil passen, dessen Begriff ebenfalls sinnlich ist. Wird es aber mit einem Verstandesbegriff verbunden, so wird das Urteil nur nach subjektiven Gesetzen gültig sein, und kann deshalb vom Verstandesbegriff selbst nicht ausgesagt und nicht als ein gegenständliches behauptet werden; sondern nur  als  die Bedingung, ohne welche eine sinnliche Erkenntnis des gegebenen Begriffs nicht stattfindet. (7) Da nun die Blendwerke des Verstandes mittels der Aufstellung eines sinnlichen Begriffs als eines Verstandesbegriffs ein  Fehler der Verwechslung  (nach Analogie der gewöhnlichen Bedeutung des Wortes) genannt werden können, so wird die Verwechslung der Verstandes- und sinnlichen Begriffe der  metaphysische  Fehler der Verwechslung (eine verstandesmäßig gemachte Erscheinung (phaenomenon intellectuatum), wenn man der Sprache Gewalt antun will), und deshalb nenne ich einen solchen falschen Satz, welcher das Sinnliche für den Verstandesbegriff als notwendig anhängend ausgibt, den  Grundsatz der Verwechslung.  Aus solchen unechten Grundsätzen sind die den Verstand irreführenden Prinzipien hervorgegangen, welche durch die ganze Metaphysik schlimm gehaust haben. Ich muß jedoch tiefer auf diese Frage eingehen, wenn man ein schnell und leicht erkennbares Kennzeichen dieser Urteile, also gleichsam einen Probierstein erlangen will, auf dem man sie von den echten unterscheiden kann, und wenn man, im Fall, daß sie der Seele zugleich fest anhängen sollten, eine Art Probierkunst erreichen will, mit deren Hilfe man sicher abschätzen kann, wieviel zum Sinnlichen und wieviel zu den Verstandesbegriffen gehört.


§ 25.

Hier ist nun ein solcher  Grundsatz für die Prüfung  jedes aus einer solchen Verwechslung gebildeten Satzes:  Wenn von irgendeinem Verstandesbegriff etwas allgemein ausgesagt wird, was zu den Beziehungen des Raumes und der Zeit gehört, so kann dies nicht gegenständlich ausgesagt werden und bezeichnet nur die Bedingung, ohne welche der gegebene Begriff nicht sinnlich erkennbar ist.  Daß eine Aussage dieser Art unecht ist, und wenn nicht fälschlich, so doch ohne Grund und nur bittweise aufgestellt ist, erhellt sich daraus, daß das Subjekt des Urteils als Verstandesbegriff aufgefaßt wird, also den Gegenstand betrifft, das Prädikat aber, weil es die Bestimmungen der Zeit und des Raumes enthält, nur zu den Bedingungen der sinnlichen Erkenntnis der Menschen gehört, welche nicht notwendig jeder Erkenntnis dieses Gegenstandes anhängt und deshalb von einem gegebenen Verstandesbegriff nicht allgemein ausgesagt werden kann. Wenn aber der Vrestand diesem Verwechslungsfehler so leicht verfällt, so kommt es daher, daß er mit Hilfe einer durchaus wahren Regel getäuscht wird. Denn man nimmt richtig an:  Was durch irgendeine Anschauung nicht erkannt werden kann, ist nicht denkbar,  und daher unmöglich. Da man sich aber keine andere Anschauung als die nach den Formen der Zeit und des Raums trotz aller Mühe ausdenken kann, so kommt es , daß man überhaupt jede an diese Gesetze nicht gebundene Anschauung für unmöglich hält (indem man die reine verstandesmäßige Anschauung, welche von den Gesetzen der Sinne befreit ist, welches die göttliche ist, und die PLATO die Idee nennt, übergeht), und deshalb alles Mögliche den sinnlichen Grundsätzen des Raumes und der Zeit unterwirft.


§ 26.

Alle Täuschungen der sinnlichen Erkenntnis, die sich mittels des Scheines der Verstandesbegriffe vollzieht, und aus denen die falschen Grundsätze hervorgehen, lassen sich auf  drei  Arten zurückführen, deren allgemeine Formeln hier folgen:
    1) die sinnliche Bedingung, unter der allein die  Anschauung  des Gegenstandes möglich ist, ist die Bedingung der  Möglichkeit des Gegenstandes  selbst;

    2) die sinnliche Bedingung, unter der allein  Gegebenes miteinander verglichen werden kann, um einen Verstandesbegriff vom Gegenstand zu bilden,  ist auch die Bedingung der Möglichkeit des Gegenstandes selbst;

    3) die sinnliche Bedingung, unter der die  Unterordnung eines vorkommenden Gegenstandes unter einen gegebenen Verstandesbegriff  allein möglich ist, ist auch eine Bedingung der Möglichkeit des Gegenstandes selbst.

§ 27.

Der erschlichene Grundsatz der ersten Klasse lautet:  Was ist, ist irgendwo und irgendwann. (8) Mittels dieses falschen Grundsatzes werden alle Dinge, auch wenn sie nur durch den Verstand erkannt werden, den Bedingungen des Raumes und der Zeit für ihr Dasein unterworfen. Deshalb werden über die Orte der unkörperlichen Substanzen (von denen es aus demselben Grund keine sinnliche Anschauung und keine Vorstellung unter dieser Form gibt) in einem körperlichen Weltall, über den Sitz der Seele und dergleichen leere Fragen verhandelt, und indem man das Sinnliche mit den Verstandesbegriffen fälschlich vermengt, wie das Viereckige mit dem Runden, so trifft es sich oft, daß der eine Wortführer den Bock zu melken und der andere das Sieb unterzuhalten scheint. Die Gegenwart des Unkörperlichen in der körperlichen Welt ist nämlich eine wirksame und keine örtliche (wenngleich sie fälschlich so ausgedrückt wird); der Raum enthält aber die Bedingungen der wechselseitigen möglichen Wirksamkeiten nur für den Stoff; dagegen ist der menschlichen Erkenntnis das ganz entzogen, was für die unkörperlichen Substanzen die äußeren Verhältnisse der Kräfte sowohl unter sich als gegen die Körper begründet, wie der scharfsinnige EULER, der tüchtige Forscher und Kenner des sonst in den Erscheinungen Enthaltenen (nach den an einen deutschen Fürsten geschriebenen Briefen), fein bemerkt hat. Nachdem man aber zum Begriff eines höchsten und außerweltlichen Wesens gelangt ist, läßt sich nicht sagen, wie sehr man von diesem vor dem Verstand herumflatternden Schatten zum Besten gehabt worden ist. Man hat sich die Gegenwart Gottes zu einer örtlichen gemacht und Gott in die Welt verwickelt, als wäre er mit im unendlichen Raum zugleich enthalten; dabei sucht man diese Schranke selbst wieder durch den Begriff einer gleichsam ausgezeichneten Örtlichkeit, d. h. einer unendlichen auszugleichen. Allein es ist unbedingt unmöglich, an mehreren Orten zugleich zu sein, weil verschiedene Orte gegenseitig auseinander sind, mithin das an mehreren Orten Befindliche außer sich selbst sein müßte und von außen sich selbst gegenwärtig, was einen Widerspruch enthält: In Bezug auf die Zeit hat man sich aber in ein unentwirrbares Labyrinth verwickelt, indem man sie nicht bloß von den Gesetzen der sinnlichen Erkenntnis befreit hat, sondern über die Grenzen der Welt auf das außerordentliche Wesen selbst, als zur Erkenntnis desselben dienend, übertragen hat. So kommt es, daß man seinen Verstand mit diesen verkehrten Fragen quält, z. B. weshalb Gott die Welt nicht viele Jahrhunderte früher geschaffen hat. Man meint leicht einzusehen, wie Gott das Gegenwärtige, d. h. das Wirkliche  der Zeit, in der er ist,  anschaut; aber sie halten es für schwer faßbar, wie Gott das Kommende, d. h. das Wirkliche  einer Zeit, in der er nicht ist,  voraussieht. (Als wenn das Dasein eines notwendigen Wesens durch alle Momente einer eingebildeten Zeit allmählich herabstiege, und nachdem es einen Teil seiner Dauer erschöpft hat, nun voraussieht, welche Ewigkeit es noch mit den gleichzeitigen Ereignissen der Welt zugleich durchleben wird.) Wenn der Begriff der Zeit richtig gefaßt ist, so verschwindet all das wie Rauch.


§ 28.

Die Vorurteile der  zweiten  Gattung verhüllen sich noch mehr, da sie den Verstand durch sinnliche Bedingungen belasten, an die die Seele geheftet ist, wenn sie in einzelnen Fällen zu den Verstandesbegriffen gelangen will. Eines davon betrifft allgemein die Erkenntnis der Größe, das andere die der Beschaffenheit. Das erstere lautet:  Jede wirkliche Menge kann in Zahlen gegeben werden,  deshalb ist jede Größe endlich; das andere lautet:  Alles, was unmöglich ist, widerspricht sich.  In beiden tritt zwar der Begriff der Zeit nicht in den Begriff des Prädikats selbst und wird auch nicht für ein Merkmal des Subjekts genommen, allein er dient als Mittel zum Verständnis des Begriffs des Prädikats und haftet deshalb wie eine Bedingung am Verstandesbegriff des Subjekts, da man nur mit seiner Unterstützung zu denselben gelangen kann.

Was nun den ersten Satz anlangt, so kann jede Größe und jede Reihe bestimmt nur erkannt werden durch eine nach und nach erfolgende Beiordnung und so entsteht der Verstandesbegriff der Größe und der Menge nur mit Hilfe des Zeitbegriffs und gelangt niemals zur Vollendung, wenn die Verbindung nicht in einer endlichen Zeit beendet werden kann. Daher kommt es, daß eine  unendliche Reihe  von beigeordneten Dingen wegen der Schranken unseres Verstandes nicht deutlich vorgestellt werden kann und somit, durch den Fehler der Verwechslung, als unmöglich erscheint. Denn nach den Gesetzen des reinen Verstandes hat jede Reihe Bewirkter ihr  Prinzip,  d. h. es gibt keinen Rückgang in der Reihe der Wirkungen ohne Grenze; aber nach den sinnlichen Gesetzen hat jede Reihe beigeordneter Dinge einen angebbaren  Anfang;  diese beiden Sätze, von denen der letztere die  Meßbarkeit  der Reihe, der erstere die  Abhängigkeit  der ganzen enthält, werden fälschlich für identisch gehalten. In gleicher Weise schließt sich dem Beweisgrund des Verstandes, wodurch dargelegt wird, daß mit einem gegebenen substantiellen Zusammengesetzten auch die Prinzipien der Zusammensetzung gegeben sind, d. h. das Einfache, die von der sinnlichen Erkenntnis ausgehende  Unterschiebung  an, daß in einem solchen Zusammengesetzten der Rückgang zu den Teilen desselben nicht ohne Ende stattfindet, d. h. daß in jedem Zusammengesetzten eine bestimmte Zahl der Teile besteht, dessen Sinn sicherlich nicht derselbe mit dem ersten ist, folglich nur leichtsinnig ihm untergeschoben wird. Daß also die Größe der Welt beschränkt (kein Größtes) ist, daß es als ein Grundsatz von ihr gilt, daß die Körper aus Einfachem bestehen, kann nach den Begriffen des Verstandes mit Sicherheit erkannt werden; daß aber das Weltall der Masse nach mathematisch begrenzt ist, daß sein verflossenes Alter nach Maß bestimmbar ist, sind Sätze, die offen ihren Ursprung aus der Natur der sinnlichen Erkenntnis verkünden, und die, wie weit sie auch sonst für wahr gehalten werden mögen, doch an unzweifelhaften Fehlern ihres Ursprungs leiden.

Was dagegen den  anderen  aus der  Verwechslung hervorgegangener Grundsatz  anlangt, so entsteht er durch eine leichtsinnige Umkehrung des Satzes des Widerspruchs. Diesem ursprünglichen Urteil hängt der Begriff der Zeit insofern an, daß, wenn die kontradiktorisch Entgegengesetzten  zu gleicher Zeit  in demselben Gegenstand gegeben werden, sich die Unmöglichkeit erhellt, was dann so ausgesprochen wird:  Es ist unmöglich, daß etwas zugleich ist und nicht ist.  Da hier durch den Verstand etwas in einem Fall ausgesagt wird, der nach den sinnlichen Gesetzen gegeben ist, so ist das Urteil vorzugsweise wahr und überzeugend. Wenn man aber den Satz umkehrt und sagt:  Alles Unmögliche ist und ist nicht zur selben Zeit,  oder: Alles Unmögliche enthält einen Widerspruch, so sagt man mittels der sinnlichen Erkenntnis allgemein etwas von einem Verstandesgegenstand aus und unterwirft somit den Verstandesbegriff des Möglichen und Unmöglichen den Bedingungen der sinnlichen Erkenntnis, nämlich den Verhältnissen der Zeit; was zwar nach den Gesetzen, an welche die menschliche Seele gebunden ist, ganz wahr ist, aber gegenständlich und allgemein in keiner Weise zugegeben werden kann. Unser Verstand nämlich  bemerkt die Unmöglichkeit nur,  wo er die gleichzeitige Aussage des Entgegengesetzten an demselben Gegenstand bezeichnen kann, d. h. nur, wo ein Widerspruch eintritt. Überall also, wo diese Bedingung nicht vorkommt, hat der menschliche Verstand kein Urteil über die Unmöglichkeit. Allein der Satz, der deshalb für keinen Verstand zulässig ist:  Was keinen Widerspruch einschließt, ist deshalb möglich,  wird fälschlich dadurch gewonnen, daß die subjektiven Bedingungen des Urteils für gegenständliche genommen werden. Daher kommen soviele eitle Erfindungen von  Kräften,  die beliebig gebildet werden, und die frei von einem Hemmnis des Widerspruchs aus jedem aufbauenden Kopf oder, wenn man lieber will, aus dem zu Chimären geneigten Kopf in Haufen hervorbrechen. Denn die Kraft ist nur die Beziehung der Substanz  A  zu etwas anderem  B (der Akzidenz), wie des Grundes zum Begründeten; deshalb stützt sich die Möglichkeit jeder Kraft  nur auf die Nichtidentität von Grund und Begründeten  oder der Substanz und der Akzidenz, und deshalb ist auch die Unmöglichkeit der fälschlich erdachten Kräfte  durch den Widerspruch nicht allein bedingt.  Man darf deshalb keine  ursprüngliche Kraft  als möglich annehmen, wenn sie nicht  von der Erfahrung gegeben  ist, und aller Scharfsinn des Verstandes kann ihre Möglichkeit vor der Erfahrung sich nicht vorstellen.


§ 29.

Die erschlichenen Sätze der  dritten  Klasse, welche aus den Bedingungen, die der Person eigen sind, hervorgehen und von da fälschlich auf die Gegenstände übertragen werden, sprossen nicht so hervor (wie es bei denen der zweiten Klasse geschieht), daß zum Verstandesbegriff nur durch ein sinnlich Gegebenes gelangt werden kann, sondern weil er nur mit ihrer Hilfe auf einen durch Erfahrung gegebenen Fall angewendet werden kann, d. h. nur erkannt werden kann, ob etwas unter einem gewissen Verstandesbegriff enthalten ist oder nicht. Derart ist der in einigen Schulen abgedroschene Satz:  Was zufällig besteht, besteht zu einer Zeit auch nicht.  Dieser erschlichene Satz entspringt aus der Armut des Verstandes, der die Wortmerkmale der Zufälligkeit und Notwendigkeit meistenteils, die wirklichen aber nur selten erfaßt. Hiernach könnte man nicht anders erkennen, ob das Gegenteil einer Substanz möglich sei, da es durch Merkmale, die dem ersteren entlehnt sind, kaum erfaßt werden kann, als wenn  feststände, daß die Substanz einmal nicht gewesen wäre,  und die Veränderungen bewiesen besser die Zufälligkeit, als die Zufälligkeit der Veränderlichkeit, so daß, wenn uns kein Fließendes und kein Vergängliches in der Welt begegnete, kaum der Begriff der Zufälligkei in uns entstehen würde. Da also der gerade Satz vollkommen wahr ist: Was einmal nicht gewesen ist, ist zufällig, so deutet der umgekehrte Satz nur die Bedingungen an, aus denen allein entnommen werden kann, ob etwas notwendig oder zufällig besteht; wenn er daher als subjektives Gesetz ausgesprochen wird (was er in Wahrheit ist) muß er so lauten:  Wovon nicht feststeht, daß es einmal gewesen ist, von dessen Zufälligkeit gibt es nach der gemeinen Erkenntnis keine zureichenden Merkmale;  ein Satz, der zuletzt sich stillschweigend in eine gegenständliche Bedingung umwandelt, als wenn ohne dieses Anhängsel die Zufälligkeit nicht stattfinden könnte. Daraus entsteht der verfälschte und irrige Grundsatz. Denn diese Welt ist, obgleich sie zufällig besteht,  ewig,  mit aller Zeit zugleich, so daß es eine falsche Behauptung ist, daß eine Zeit gewesen ist, wo sie nicht bestanden hat.


§ 30.

Zu diesen erschlichenen Grundsätzen treten einige anderen ihnen nahe verwandte, die zwar dem gegebenen Verstandesbegriff keinen Flecken sinnlicher Erkenntnis mitteilen, aber durch die doch der Verstand so zum Besten gehalten wird, daß er sie für Beweisgründe, die den Gegenständen entlehnt sind, hält, während sie doch bloß wegen ihrer Übereinstimmung mit dem vollen und freien Gebrauch des Verstandes nach dessen besonderer Natur sich uns empfehlen. Sie stützen sich deshalb ebenso wie die oben aufgezählten, auf  subjektive  Gründe, aber nicht auf die Gesetze der sinnlichen Erkenntnis, sondern der Verstandeserkenntnis, nämlich auf Bedingungen, deren Gebrauch ihm mit seinem Scharfsinn leicht und bequem scheint. Es sei mir gestattet, von diesen Sätzen, die, soviel ich weiß, noch nirgends genau erklärt worden sind, hier zum Schluß Einiges erwähnen. Ich nenne diese Regeln der Beurteilung  Grundsätze der Übereinstimmung,  denen man sich gern fügt, und an denen man wie an unzweifelhaften Grundsätzen hängt, bloß weil,  wenn man von ihnen abginge, unserem Verstand beinahe kein Urteil über einen gegebenen Gegenstand gestattet wäre.  Dahin gehören folgende: Zuerst der, wonach man annimmt,  daß alles in der Welt nach der Ordnung der Natur geschieht,  welchen Grundsatz EPIKUR ohne alle Einschränkung und alle Philosophen insoweit einstimmig anerkennen, daß Ausnahmen nur höchst selten und nicht ohne dringende Notwendigkeit zuzulassen sind. Man nimmt dies aber nicht deshalb an, weil man von den Ereignissen in der Welt nach den allgemeinen Gesetzen der Natur eine so ausgedehnte Erkenntnis besitzt, oder weil die Unmöglichkeit oder zumindest die bedingte Unmöglichkeit des Übernatürlichen uns klar wäre, sondern weil, wenn man die Ordnung der Natur verläßt, vom Verstand beinahe kein Gebrauch zu machen ist, und die leichtsinnige Herbeiziehung des Übernatürlichen nur das Ruhekissen des faulen Verstandes ist.

Aus demselben Grund hält man die  vergleichsweisen Wunder,  nämlich den Einfluß den Geister von der Erklärung der Erscheinungen ab, denn deren Natur ist uns unbekannt, und so würde der Verstand zu seinem großen Schaden vom Licht der Erfahrung, wodurch allein er Gelegenheit hat, sich Regeln für sein Urteil zu verschaffen, zu den Schatten unbekannter Dinge und Ursachen verwiesen werden. Der  zweite  Satz ist jene  Begünstigung der Einheit,  die dem philosophischen Geist so nahe liegt. Davon rührt jene allbekannte Regel her,  daß die Prinzipien nicht in einer größeren Anzahl anzunehmen sind, als die Notwendigkeit durchaus erfordert.  Man stimmt ihr bei, nbicht weil man die ursächliche Einheit in der Welt durch die Vernunft oder Erfahrung erkannt hat, sondern man sucht nach ihr durch einen Trieb des Verstandes, welcher nur soweit in der Erklärung der Erscheinungen fortgeschritten zu sein meint, als er von ein und demselben Prinzip zu mehreren Folgen herabzusteigen vermag. Ein  drittes  Prinzip derart ist:  daß vom Stoff nichts untergeht, nichts entsteht,  und daß aller Wechsel in der Welt nur die Form betrifft. Dieser Satz ist auf Antrieb des gemeinen Verstandes durch alle Philosophenschulen verbreitet, nicht weil man ihn durch Erfahrung oder durch Gründe vor derselben für bewiesen erachtet, sondern weil, wenn man den Stoff als fließend und vergänglich zuläßt, nichts Festes und Beharrliches übrigbleibt, was noch für die Erklärung der Erscheinungen nach allgemeinen und ewigen Gesetzen und somit dem Gebrauch des Verstandes dienen könnte.

Soviel über das Verfahren, vorzüglich in Betreff des Unterschiedes der sinnlichen und der Verstandeserkenntnis. Wenn es durch sorgfältigere Forschung einst zur genauen Ausbildung gelangt sein wird, so wird es statt der einleitenden Wissenschaft dienen können und Allen, die in die letzten Geheimnisse der Metaphysik eindringen wollen, von außerordentlichem Nutzen sein.

- Ende -

Anmerkung: Da in diesem letzten Abschnitt die Ermittlung des Verfahrens alles in Anspruch nimmt, und die Regeln, welche die wahre Form des Beweisens in Betreff des Sinnlichen lehren, durch ihr eigenes Licht glänzen und dieses Licht nicht von Beispielen, die zur Erläuterung beigebracht werden, borgen, so habe ich sie nur beiläufig erwähnt. Es kann deshalb nicht auffallen, wenn Manches von dem hierüber Gesagten den Meisten mehr verwegen als wahr erscheinen sollte; bei einem ausführlicheren Vortrag würde die Kraft dieser Beweise stärker werden. So kann, wenn das, was ich über die Örtlichkeit des Unkörperlichen gesagt habe, einer Erläuterung bedarf, diese bei EULER am angeführten Ort, Bd. II, Seite 49 und 52 nachgesehen werden. Denn die Seele ist nicht deshalb mit dem Körper in Verkehr, weil sie sich an einem bestimmten Ort desselben befindet, sondern es wird ihr ein im Weltall bestimmter Ort zugeteilt, weil sie mit dem Körper in einem gegenseitigen Verkehr steht; hört dies auf, so verschwindet ihre Stellung im Raum ganz. Deshalb ist ihre  Örtlichkeit  eine  abgeleitete,  die ihr nur zufällig zukommt, und  keine ursprünglich  und keine ihrem Dasein notwendig anhängende Bedingung; weil alles, was ansich kein Gegenstand der äußeren Sinne (wie der menschlichen) werden kann, d. h. das Unkörperlich, von der allgemeinen Bedingung des  äußerlichen Wahrnehmbaren,  nämlich vom Raum befreit ist. Deshalb kann man der Seele die unbedingte und unvermittelte Örtlichkeit absprechen und ihr doch eine bedingte und vermittelte zuteilen.
LITERATUR: Immanuel Kant, Über die Form und die Prinzipien der sinnlichen und der Verstandeswelt, [Dissertation] Sämtliche Werke, Bd. V, hg. von J. H. v. Kirchmann) Die kleineren Schriften zur Logik und Metaphysik, Berlin 1870
    Anmerkungen
    5) Daß der Raum notwendig als eine stetige Größe vorgestellt werden muß, diesen leichten Beweis lasse ich hier beiseite. Daher kommt es, daß das Einfache im Raum kein Teil, sondern nur die Grenze desselben ist. Grenze ist aber überhaupt bei einer stetigen Größe das, was den Grund der Schranken enthält. Ein Raum, der nicht die Grenze eines andern ist, ist  erfüllt (solid). Die Grenze des Soliden ist die  Oberfläche,  die der Oberfläche die  Linie,  die der Linie der  Punkt.  Deshalb gibt es drei Arten von Grenzen im Raum, so viel wie Richtungen. Zwei von diesen Grenzen sind selbst Räume (die Oberfläche und die Linie). Der Begriff der  Grenze  ist in keiner anderen Größe als dem Raum und der Zeit vorhanden.
    6) Die Momente der Zeit scheinen sich nicht zu folgen, weil sonst noch eine andere Zeit auf diese Weise für die Folge der Momente vorausgesetzt werden müßte; vielmehr scheint das Wirklihe mittels der sinnlichen Anschauung wie durch eine stetige Reihe der Momente herabzusteigen.
    7) Dieses Kennzeichen ist von fruchtbarem Gebrauch zwecks Unterscheidung der Sätze, welche nur Gesetze der sinnlichen Erkenntnis aussprechen, von solchen, die außerdem etwas von den Gegenständen selbst aussagen. Denn wenn das Prädikat ein Verstandesbegriff ist, so bezeichnet die Beziehung auf das Subjekt des Urteils, wenn es auch sinnlich vorgestellt wird, immer ein Merkmal, welches dem Gegenstand selbst zukommt. Ist aber das Prädikat ein sinnlicher Begriff, so kann es, weil die Gesetze der sinnlichen Erkenntnis nicht die Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände selbst sind, von einem verstandesmäßig aufgefaßten Gegenstand nicht gelten und deshalb nicht gegenständlich ausgesagt werden. So kann in dem allgebräuchlichen Satz,  was ist, ist irgendwo,  das Prädikat, weil es die BEdingung der sinnlichen Erkenntnis betrifft, vom Subjekt des Urteils, nämlich von jedem  Seienden  überhaupt nicht ausgesagt werden; wenn also diese Formel dies gegenständlich behauptet, so ist sie falsch. Wird aber der Satz umgekehrt, so daß das Prädikat ein Verstandesbegriff wird, so ist sie durchaus wahr, nämlich: Alles irgendwo Seiende existiert.
    8) Raum und Zeit werden so vorgestellt, als wenn sie alles den Sinnen je Vorkommende in sich fassen. Deshalb gibt es nach den Gesetzen der menschlichen Seele keine Anschauung eines Dings, das nicht  in Raum und Zeit  enthalten wäre. Mit diesem Vorurteil kann ein anderes verglichen werden, was eigentlich kein erschlichener Satz ist, sondern ein Spiel der Einbildungskraft, was sich allgemein durch die Formel ausdrücken läßt: Alles was ist,  in dem ist Raum und Zeit,  d. h. alle Substanzen sind  ausgedehnt  und in stetiger  Veränderung.  Obgleich Personen von gröberen Begriffen diesem Gesetz der Einbildung fest anhängen, so sehen sie doch selbst leicht ein, daß es zu den Bestrebungen der Einbildungskraft gehört, welche sich die Gestalten der Dinge ausbildet, aber nicht zu den Bedingungen des Daseins.