tb-1ra-2Prolegomena einer jeden künftigen Metaphysik     
 
IMMANUEL KANT
Kritik der reinen Vernunft
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    GeleitwortWidmungVorredeEinleitung
Transzendentale Elementarlehre
Teil 1:Transzendentale Ästhetik
1. Abschnitt: Vom Raum
2. Abschnitt: Von der Zeit
Teil 2: Transzendentale Logik
1. Abteilung: Transzendentale Analytik
2. Abteilung: Transzendentale Dialektik

"Was sind nun Raum und Zeit? Sind es wirkliche Wesen? Sind es zwar nur Bestimmungen, oder auch Verhältnisse der Dinge, aber doch solche, welche ihnen auch ansich zukommen würden, wenn sie auch nicht angeschaut würden, oder sind sie solche, die nur an der Form der Anschauung allein haften, und mithin an der subjektiven Beschaffenheit unseres Gemüts, ohne welche diese Prädikate gar keinem Ding beigelegt werden können?"

"Was es für eine Bewandtnis mit den Gegenständen ansich und abgesondert von all dieser Rezeptivität unserer Sinnlichkeit haben möge, bleibt uns gänzlich unbekannt. Wir kennen nichts, als unsere Art, sie wahrzunehmen, die uns eigentümlich ist, die auch nicht notwendig jedem Wesen, obwohl jedem Menschen zukommen muß. Mit dieser haben wir es lediglich zu tun. Raum und Zeit sind die reinen Formen derselben, Empfindung überhaupt die Materie. Jene können wir allein  a priori,  d. h. vor aller wirklichen Wahrnehmung erkennen, und sie heißen darum reine Anschauung; diese aber ist das in unserer Erkenntnis, was da macht, daß sie Erkenntnis  a posteriori,  d. h. empirische Anschauung heißt."

I.
Transzendentale Elementarlehre

Erster Teil
Die transzendentale Ästhetik

Auf welche Art und durch welche Mittel sich auch immer eine Erkenntnis auf Gegenstände beziehen mag, so ist doch diejenige, wodurch sie sich auf dieselbe unmittelbar bezieht, und worauf alles Denken als Mittel abzweckt, die Anschauung. Diese findet aber nur statt, sofern uns der Gegenstand gegeben wird; dieses aber ist wiederum nur dadurch möglich, daß er das Gemüt auf gewisse Weise affiziert. Die Fähigkeit (Rezeptivität), Vorstellungen durch die Art, wie wir von Gegenständen affiziert werden, zu bekommen, heißt Sinnlichkeit. Mittels der Sinnlichkeit werden uns also Gegenstände gegeben, und sie allein liefert uns Anschauungen, durch den Verstand aber werden sie gedacht, und von ihm entspringen Begriffe. Alles Denken aber muß sich, es sei gerade zu (direkt) oder in Umschweifen (indirekt) zuletzt auf Anschauungen, mithin, bei uns, auf Sinnlichkeit beziehen, weil uns auf andere Weise kein Gegenstand gegeben werden kann.

Die Wirkung eines Gegenstandes auf die Vorstellungsfähigkeit, sofern wir von demselben affiziert werden, ist Empfindung. Diejenige Anschauung, welche sich auf den Gegenstand durch Empfindung bezieht, heißt empirisch. Der unbestimmte Gegenstand einer empirischen Anschauung, heißt Erscheinung.

In der Erscheinung nenne ich das, was der Empfindung korrespondiert, die Materie derselben, dasjenige aber, welches macht, daß das Mannigfaltige der Erscheinung in gewissen Verhältnissen geordnet, angeschaut wird, nenne ich die Form der Erscheinung. Da das, worin sich die Empfindungen allein ordnen, und in gewisse Form gestellt werden können, nicht wiederum selbst Empfindung sein kann, so ist uns zwar die Materie aller Erscheinung nur  a posteriori  gegeben, die Form derselben aber muß zu ihnen insgesamt im Gemüt  a priori  bereit liegen, und daher abgesondert von aller Empfindung betrachtet werden können.

Ich nenne alle Vorstellungen rein (im transzendentalen Verstand) in denen nichts, was zur Empfindung gehört, angetroffen wird. Demnach wird die reine Form sinnlicher Anschauungen überhaupt im Gemüt  a priori  angetroffen werden, worin alles Mannigfaltige der Erscheinungen in gewissen Verhältnissen angeschaut wird. Diese reine Form der Sinnlichkeit wird auch selber reine Anschauung heißen. So, wenn ich von der Vorstellung eines Körpers das, was der Verstand davon denkt, als Substanz, Kraft, Teilbarkeit und dgl., was davon zur Empfindung gehört, als Undurchdringlichkeit, Härte, Farbe etc. absondere, so bleibt mir aus dieser empirischen Anschauung noch etwas übrig, nämlich Ausdehung und Gestalt. Diese gehören zur reinen Anschauung, die  a priori,  auch ohne einen wirklichen Gegenstand der Sinne oder Empfindung, als eine bloße Form der Sinnlichkeit im Gemüt stattfindet.

Eine Wissenschaft von allen Prinzipien der Sinnlichkeit  a priori  nenne ich die transzendentale Ästhetik. (1) Es muß also eine solche Wissenschaft geben, die den ersten Teil der transzendentalen Elementarlehre ausmacht, im Gegensatz mit derjenigen, welche die Prinzipien des reinen Denkens enthält, und transzendentale Logik genannt wird.

In der transzendentalen Ästhetik werden wir also zuerst die Sinnlichkeit isolieren, dadurch, daß wir alles absondern, was der Verstand durch seine Begriffe dabei denkt, damit nichts als empirische Anschauung übrig bleibe. Zweitens werden wir von dieser noch alles, was zur Empfindung gehört, abtrennen, damit nichts als reine Anschauung und die bloße Form der Erscheinungen übrig bleibe, welches das einzige ist, das die Sinnlichkeit  a priori  liefern kann. Bei dieser Untersuchung wird sich finden, daß es zwei reine Formen sinnlicher Anschauung, als Prinzipien der Erkenntnis  a priori  gibt, nämlich Raum und Zeit, mit deren Erwägung wir uns jetzt beschäftigen werden.


Erster Abschnitt
Vom Raum

Mittels des äußeren Sinnes, (einer Eigenschaft unseres Gemüts) stellen wir uns Gegenstände als außer uns, und diese insgesamt im Raum vor. Darin ist ihre Gestalt, Größe und Verhältnis gegeneinander bestimmt oder bestimmbar. Der innere Sinne, mittels dessen das Gemüt sich selbst, oder seinen inneren Zustand anschaut, gibt zwar keine Anschauung von der Seele selbst, als einem Objekt, allein es ist doch eine bestimmte Form, unter der die Anschauung ihres inneren Zustandes allein möglich ist, so daß alles, was zu den inneren Bestimmungen gehört, in Verhältnissen der Zeit vorgestellt wird. Äußerlich kann die Zeit nicht angeschaut werden, so wenig wie der Raum als etwas in uns. Was sind nun Raum und Zeit? Sind es wirkliche Wesen? Sind es zwar nur Bestimmungen, oder auch Verhältnisse der Dinge, aber doch solche, welche ihnen auch ansich zukommen würden, wenn sie auch nicht angeschaut würden, oder sind sie solche, die nur an der Form der Anschauung allein haften, und mithin an der subjektiven Beschaffenheit usneres Gemüts, ohne welche diese Prädikate gar keinem Ding beigelegt werden können? Um uns hierüber zu belehren, wollen wir zuerst den Raum betrachten.
    1) der Raum ist kein empirischer Begriff, der von äußeren Erfahrungen abgezogen worden ist. Denn damit gewissen Empfindungen auf etwas außer mich bezogen werden; (d. h. auf etwas in einem anderen Ort des Raumes, als in dem ich mich befinde,) oder damit ich sie als auseinander, nicht bloß verschieden, sondern als in verschiedenen Orten vorstellen könne, dazu muß die Vorstellung des Raumes schon zugrunde liegen. Demnach kann die Vorstellung des Raumes nicht aus den Verhältnissen der äußeren Erscheinung durch Erfahrung erborgt sein, sondern diese äußere Erfahrung ist selbst allererst nur durch eine gedachte Vorstellung möglich.

    2) Der Raum ist eine notwendige Vorstellung  a priori,  die allen äußeren Anschauungen zugrunde liegt. Man kann sich niemals eine Vorstellung davon machen, daß kein Raum sei, ob man sich gleich ganz wohl denken kann, daß keine Gegenstände darin angetroffen werden. Er wird also als die Bedingung der Möglichkeit der Erscheinungen, und nicht als eine von ihnen abhängige Bestimmung angesehen und ist eine Vorstellung  a priori,  die notwendigerweise äußeren Erscheinungen zugrunde liegt.

    3) Auf diese Notwendigkeit  a priori  gründet sich die apodiktische [logisch zwingende, demonstrierbare - wp] Gewißheit aller geometrischen Grundsätze, und die Möglichkeit ihrer Konstruktionen  a priori.  Wäre nämlich diese Vorstellung des Raums ein  a posteriori  erworbener Begriff, der aus der allgemeinen äußeren Erfahrung geschöpft wäre, so würden die ersten Grundsätze der mathematischen Bestimmung nichts als Wahrnehmungen sein. Sie hätten also alle Zufälligkeit der Wahrnehmung und es wäre eben nicht notwendig, daß zwischen zwei Punkten nur eine gerade Linie sei, sondern die Erfahrung würde es so jederzeit lehren. Was von der Erfahrung entlehnt ist, hat auch nur komparative Allgemeinheit, nämlich durch Induktion. Man würde also nur sagen können, soviel zur Zeit noch bemerkt wurde, ist kein Raum gefunden worden, der mehr als drei Abmessungen hätte.

    4) Der Raum ist kein diskursiver, oder, wie man sagt, allgemeiner Begriff von Verhältnissen der Dinge überhaupt, sondern eine reine Anschauung. Denn erstens kann man sich nur einen einigen Raum vorstellen, und wenn man von vielen Räumen redet, so versteht man darunter nur Teile eines und desselben alleinigen Raums. Diese Teile können auch nicht vor dem einigen allbefassenden Raum gleichsam als dessen Bestandteile, (daraus seine Zusammensetzung möglich sei) vorhergehen, sondern nur in ihm gedacht werden. Er ist wesentlich einig, das Mannigfaltige in ihm, mithin auch der allgemeine Begriff von Räumen überhaupt beruth lediglich auf Einschränkungen. Hieraus folgt, daß in Anbetracht seiner,  eine  Anschauung  a priori,  (die nicht empirisch ist) allen Begriffen von denselben zugrunde liegt. So werden auch alle geometrischen Grundsätze, z. B. in einem Triangel zwei Seiten zusammen größer sind, als die dritte, niemals aus allgemeinen Begriffen von Linie und Triangel, sondern aus der Anschauung und zwar  a priori  mit apodiktischer Gewißheit abgeleitet.

    5) Der Raum wird als eine unendliche Größe gegeben vorgestellt. Ein allgemeiner Begriff vom Raum (der sowohl einem "Fuß" als auch einer "Elle" gemeinsam ist,) kann in Anbetracht der Größe nichts bestimmen. Wäre es nicht die Grenzenlosigkeit im Fortgang der Anschauung, so würde kein Begriff von Verhältnisse ein Principium der Unendlichkeit derselben bei sich führen.

Schlüsse aus den obigen Begriffen
    a) Der Raum stellt gar keine Eigenschaft irgendwelcher Dinge ansich oder sie in ihrem Verhältnis aufeinander dar, d. h. keine Bestimmung derselben, die an Gegenständen selbst haftete und welche bliebe, wenn man auch von allen subjektiven Bedingungen der Anschauung abstrahierte. Denn weder absolute, noch relative Bestimmungen können vor dem Dasein der Dinge, welchen sie zukommen, mithin nicht  a priori  angeschaut werden.

    b) Der Raum ist nichts anderes, als nur die Form aller Erscheinungen äußerer Sinne, d. h. die subjektive Bedingung der Sinnlichkeit, unter der allein uns äußere Anschauung möglich ist. Weil nun die Rezeptivität des Subjekts, von Gegenständen affiziert zu werden, notwendigerweise vor allen Anschauungen dieser Objekte vorhergeht, so läßt sich verstehen, wie die Form aller Erscheinungen vor allen wirklichen Wahrnehmungen, mithin  a priori  im Gemüt gegeben sein könne, und wie sie als eine reine Anschauung, in der alle Gegenstände bestimmt werden müssen, Prinzipien der Verhältnisse derselben vor aller Erfahrung enthalten könne.
Wir können demnach nur aus dem Standpunkt eines Menschen vom Raum von ausgedehnten Wesen etc. reden. Sehen wir von der subjektiven Bedingung ab, unter welcher wir allein äußere Anschauung bekommen können, so wie wir nähmlich von den Gegenständen affziert werden mögen, so bedeutet die Vorstellung vom Raum gar nichts. Dieses Prädikat wird den Dingen nur insofern beigelegt, als sie uns erscheinen, d. h. Gegenstände der Sinnlichkeit sind. Die beständige Form dieser Rezeptivität, welche wir Sinnlichkeit nennen, ist eine notwendige Bedingung aller Verhältnisse, in denen Gegenstände als außer uns angeschaut werden, und wenn man von diesen Gegenständen abstrahiert, eine reine Anschauung, welche den Namen  Raum  führt. Weil wir die besonderen Bedingungen der Sinnlichkeit nicht zu Bedingungen der Möglichkeit der Sachen, sondern nur ihrer Erscheinungen machen könenn, so können wir wohl sagen, daß der Raum alle Dinge erfaßt, die uns äußerlich erscheinen mögen, aber nicht alle Dinge ansich, sie mögen nun angeschaut werden oder nicht, oder auch von welchem Subjekt man wolle. Denn wir können von den Anschauungen anderer denkender Wesen gar nicht urteilen, ob sie an die nämlichen Bedingungen gebunden sind, welche unsere Anschauung einschränken, und für uns allgemeingültig sind. Wenn wir die Einschränkung eines Urteils zum Begriff des Subjekts hinzufügen, so gilt das Urteil alsdann unbedingt. Der Satz: Alle Dinge sind nebeneinander im Raum, gilt nur unter der Einschränkung, daß diese Dinge als Gegenstände unserer sinnlichen Anschauung genommen werden. Füge ich hier die Bedingung zum Begriff, und sage: Alle Dinge, als äußere Erscheinungen, sind nebeneinander im Raum, so gilt diese Regel allgemein und ohne Einschränkung. Unsere Erörterungen lehren demnach die Realität (d. h. die objektive Gültigkeit) des Raumes in Anbetracht all dessen, was uns äußerlich als Gegenstand vorkommen kann, aber zugleich die Idealität des Raums in Anbetracht der Dinge, wenn sie durch die Vernunft ansich erwogen werden, d. h. ohne Rücksicht auf die Beschaffenheit unserer Sinnlichkeit zu nehmen. Wir behaupten also die empirische Realität des Raums (in Anbetracht aller möglichen äußeren Erfahrung) obwohl zugleich die transzendentale Idealität desselben, d. h. daß er Nichts ist, sobald wir die Bedingung der Möglichkeit aller Erfahrung weglassen, und ihn als etwas, was den Dingen ansich zugrunde liegt, annehmen.

Es gibt aber auch außer dem Raum keine andere subjektive und auf etwas äußeres bezogene Vorstellung, die  a priori  objektiv heißen könnte. Daher kann diese subjektive Bedingung aller äußeren Erscheinungen mit keiner anderen verglichen werden. Der Wohlgeschmack eines Weines gehört nicht zu den objektiven Bestimmungen des Weines, mithin eines Objekts sogar als Erscheinung betrachtet, sondern zu der besonderen Beschaffenheit des Sinnes am Subjekt, das ihn genießt. Die Farben sind nicht Beschaffenheiten der Körper, deren Anschauung sie anhängen, sondern auch nur Modifikationen des Sinnes des Gesichts, welches vom Licht auf gewisse Weise affiziert wird. Dagegen gehört der Raum als Bedingung äußerer Objekte, notwendigerweise zur Erscheinung oder Anschauung derselben. Geschmack und Farben sind gar nicht notwendige Bedingungen, unter welchen die Gegenstände allein für uns Objekte der Sinne werden können. Sie sind nur als zufällig beigefügte Wirkungen der besonderen Organisation mit der Erscheinung verbunden. Daher sind sie auch keine Vorstellungen  a priori,  sondern auf Empfindung, der Wohlgeschmack aber sogar auf Gefühl (der Lust und Unlust) als einer Wirkung der Empfindung gegründet. Auch kann niemand  a priori  weder eine Vorstellung einer Farbe, noch irgendeines Geschmacks haben: der Raum aber betrifft nur die reine Form der Anschauung, schließt also gar keine Empfindung (nichts empirisches) in sich, und alle Arten und Bestimmungen des Raumes können und müssen sogar  a priori  vorgestellt werden können, wenn Begriffe der Gestalten sowohl, als auch Verhältnisse entstehen sollen. Durch denselben ist es allein möglich, daß Dinge für uns äußere Gegenstände sind.

Die Absicht dieser Anmerkung geht nur dahin, zu verhüten: daß man die behauptete Idealität des Raumes nicht durch bei weitem unzulängliche Beispiele zu erläutern sich einfallen lasse, da nämlich etwa Farben, Geschmack usw. mit Recht nicht als Beschaffenheiten der Dinge, sondern bloß als Veränderungen unseres Subjekts, die sogar bei verschiedenen Menschen verschieden sein können, betrachtet werden. Denn in diesem Fall gilt das, was ursprünglich selbst nur Erscheinung ist, z. B. eine Rose, im empirischen Verstand für ein Ding ansich, welches doch jedem Auge in Ansehung der Farbe anders erscheinen kann. Dagegen ist der transzendentale Begriff der Erscheinungen im Raum eine kritische Erinnerung, daß überhaupt nichts, was im Raum angeschaut wird, eine Sache ansich, noch daß der Raum eine Form der Dinge sei, die ihnen etwa ansich eigen wäre, sondern daß uns die Gegenstände ansich gar nicht bekannt sind, und, was wir äußere Gegenstände nennen, nichts anderes als bloße Vorstellungen unserer Sinnlichkeit sind, deren Form der Raum ist, deren wahres Korrelatum aber, d. h. das Ding ansich dadurch gar nicht erkannt wird, noch erkannt werden kann, nach welchem aber auch in der Erfahrung niemals gefragt wird.


Zweiter Abschnitt
Von der Zeit
    1) Die Zeit ist kein empirischer Begriff, der von irgendeiner Erfahrung abgezogen wurde. Denn das Zugleichsein oder Aufeinanderfolgen würde selbst nicht in die Wahrnehmung kommen, wenn die Vorstellung der Zeit nicht  a priori  zugrunde läge. Nur unter deren Voraussetzung kann man sich vorstellen, daß einiges zu ein und derselben Zeit (zugleich) oder in verschiedenen Zeiten (nacheinander) ist.

    2) Die Zeit ist eine notwendige Vorstellung, die allen Anschauungen zugrunde liegt. Man kann in Anbetracht der Erscheinungen überhaupt die Zeit selbst nicht aufheben, obwohl man zwar ganz die Erscheinungen aus der Zeit wegnehmen kann. Die Zeit ist also  a priori  gegeben. In ihr allein ist alle Wirklichkeit der Erscheinungen möglich. Diese können insgesamt wegfallen, aber sie selbst, als die allgemeine Bedingung ihrer Möglichkeit, kann nicht aufgehoben werden.

    3) Auf diese Notwendigkeit  a priori  gründet sich auch die Möglichkeit apodiktischer Grundsätze von den Verhältnissen der Zeit, oder Axiomen von der Zeit überhaupt. Sie hat nur eine Dimension: verschiedene Zeiten sind nicht zugleich, sondern nacheinander (so wie verschiedene Räume nicht nacheinander, sondern zugleich sind). Diese Grundsätze können aus der Erfahrung nicht gezogen werden, denn diese würde weder strenge Allgemeinheit, noch apodiktische Gewißheit geben. Wir würden nur sagen können: so lehrt es die gemeine Wahrnehmung, nicht aber, so muß es sich verhalten. Diese Grundsätze gelten als Regeln unter denen überhaupt Erfahrungen möglich sind und belehren uns vor derselben, und nicht durch dieselbe.

    4) Die Zeit ist kein diskursiver, oder, wie man ihn nennt, allgemeiner Begriff, sondern eine reine Form der sinnlichen Anschauung. Verschiedene Zeiten sind nur Teile eben derselben Zeit. Die Vorstellung, die nur durch einen einzigen Gegenstand gegeben werden kann, ist aber Anschauung. Auch würde sich der Satz, daß verschiedene Zeiten nicht zugleich sein können, aus einem allgemeinen Begriff nicht herleiten lassen. Der Satz ist synthetisch, und kann aus Begriffen allein nicht entspringen. Er ist also in der Anschauung und Vorstellung der Zeit unmittelbar enthalten.

    5) Die Unendlichkeit der Zeit bedeutet nichts weiter, als daß alle bestimmte Größe der Zeit nur durch Einschränkungen einer einigen zugrunde liegenden Zeit möglich ist. Daher muß die ursprüngliche Vorstellung  Zeit,  als uneingeschränkt gegeben sein. Wovon aber die Teile selbst, und jede Größe eines Gegenstandes nur durch Einschränkung bestimmt vorgestellt werden können, da muß die ganze Vorstellung nicht durch Begriffe gegeben sein (denn da gehen die Teilvorstellungen vor), sondern es muß ihre unmittelbare Anschauung zugrunde liegen.

Schlüsse aus diesen Begriffen
    a) Die Zeit ist nicht etwas, was für sich selbst bestünde, oder den Dingen als objektive Bestimmung anhinge, mithin übrig bliebe, wenn man von allen subjektiven Bedingungen der Anschauung derselben abstrahiert: denn im ersten Fall würde sie etwas sein, was ohne wirklichen Gegenstand dennoch wirklich wäre. Was aber das zweite betrifft, so könnte sie als eine den Dingen selbst anhängende Bestimmung oder Ordnung nicht den Gegenständen, als ihre Bedingung vorhergehen, und  a priori  durch synthetische Sätze erkannt und angeschaut werden. Diese letztere findet dageen sehr wohl statt, wenn die Zeit nichts als die subjektive Bedingung ist, unter der alle Anschauungen in uns statt finden können. Denn da kann diese Form der inneren Anschauung vor den Gegenständen, mithin  a priori  vorgestellt werden.

    b) Die Zeit ist nichts anderes, als die Form des inneren Sinnes, d. h. des Anschauens unserer selbst und unseres inneren Zustandes. Denn die Zeit kann keine Bestimmung äußerer Erscheinungen sein. Sie gehört weder zu einer Gestalt oder Lage etc., dagegen bestimmt sie das Verhältnis der Vorstellungen in unserem inneren Zustand. Und, eben weil diese innere Anschauung keine Gestalt gibt, suchen wir auch diesen Mangel durch Analogien zu ersetzen, und stellen die Zeitfolge durch eine ins unendliche fortgehende Linie vor, in welcher das Mannigfaltige eine Reihe ausmacht, die nur von einer Dimension ist, und schließen aus den Eigenschaften dieser Linie auf alle Eigenschaften der Zeit, außer dem einen, daß die Teile der ersteren zugleich, die der letzteren aber jederzeit nacheinander sind. Hieraus erhellt sich auch, daß die Vorstellung der Zeit selbst Anschauung ist, weil alle ihre Verhältnisse sich an einer äußeren Anschauung ausdrücken lassen.

    c) Die Zeit ist die formale Bedingung  a priori  aller Erscheinungen überhaupt. Der Raum, als die reine Form aller äußeren Anschauung ist als Bedingung  a priori  bloß auf äußere Erscheinungen eingeschränkt. Dagegen weil alle Vorstellungen, sie mögen nun äußere Dinge zum Gegenstand haben, oder nicht, doch ansich, als Bestimmungen des Gemüts, zum inneren Zustand gehören: dieser innere Zustand aber, unter der formalen Bedingung der inneren Anschauung, mithin der Zeit gehört, so ist die Zeit eine Bedingung  a priori  von aller Erscheinung überhaupt, und zwar die unmittelbare Bedingung der inneren (unserer Seelen) und eben dadurch mittelbar auch der äußeren Erscheinungen. Wenn ich  a priori  sagen kann: alle äußeren Erscheinungen sind im Raum, und nach den Verhältnissen des Raumes  a priori  bestimmt, so kann ich aus dem Prinzip des inneren Sinne ganz allgemein sagen: alle Erscheinungen überhaupt, d. h. alle Gegenstände der Sinne, sind in der Zeit, und stehen notwendigerweise in Verhältnissen der Zeit.
Wenn wir von unserer Art, uns selbst innerlich anzuschauen, und mittels dieser Anschauung auch alle äußeren Anschauungen in der Vorstellungskraft zu befassen, abstrahieren, und mithin die Gegenstände nehmen, so wie sie ansich sein mögen, so ist die Zeit Nichts. Sie ist nur von objektiver Gültigkeit in Anbetracht der Erscheinungen, weil diese schon Dinge sind, die wir als Gegenstände unserer Sinne annehmen, aber sie ist nicht mehr objektiv, wenn man von der Sinnlichkeit unserer Anschauung, mithin derjenigen Vorstellungsart, welche uns eigentümlich ist, abstrahiert, und von Dingen überhaupt redet. Die Zeit ist also lediglich eine subjektive Bedingung unserer (menschlichen) Anschauung, (welche jederzeit sinnlich ist, d. h. sofern wir von Gegenständen affiziert werden) und ansich, außer dem Subjekt, nichts. Nichtsdestoweniger ist sie in Anbetracht aller Erscheinungen, mithin auch aller Dinge, die uns in der Erfahrung vorkommen können, notwendigerweise objektiv. Wir können nicht sagen: alle Dinge sind in der Zeit, weil beim Begriff der Dinge überhaupt von aller Art der Anschauung derselben abstrahiert wird, diese aber die eigentliche Bedingung ist, unter der die Zeit in die Vorstellung der Gegenstände gehört. Wird nun die Bedingung zum Begriff hinzugefügt und heißt es: alle Dinge, als Erscheinungen (Gegenstände der sinnlichen Anschauung) sind in der Zeit, so hat der Grundsatz seine gute objektive Richtigkeit und Allgemeinheit  a priori. 

Unsere Behauptungen lehren demnach empirische Realität der Zeit, d. h. objektive Gültigkeit in Anbetracht aller Gegenstände, die jemals unseren Sinnen gegeben werden mögen. Und da unsere Anschauung jederzeit sinnlich ist, so kann uns in der Erfahrung niemals ein Gegenstand gegeben werden, der nicht unter die Bedingung der Zeit gehört. Dagegen streiten wir der Zeit allen Anspruch auf absolute Realität ab, da sie nämlich, auch ohne auf die Form unserer sinnlichen Anschauung Rücksicht zu nehmen, schlechthin den Dingen als Bedingung oder Eigenschaft anhinge. Solche Eigenschaften, die den Dingen an sich zukommen, können uns durch die Sinne auch niemals gegeben werden. Hierin besteht also die transzendentale Idealität der Zeit, nach welcher sie, wenn man von den subjektiven Bedingungen der sinnlichen Anschauung abstrahiert, gar nichts ist, und den Gegenständen ansich (ohne ihr Verhältnis auf unsere Anschauung) weder subsistierend [bestehen bleibend - wp] noch inhärierend [innewohnend - wp] beigezählt werden kann. Doch ist diese Idealität, ebensowenig wie die des Raums, mit den Subreptionen der Empfindungen in Vergleichung zu stellen, weil man doch dabei von der Erscheinung selbst, der diese Prädikate inhärieren, voraussetzt, daß sie objektive Realität habe, die hier gänzlich wegfällt, außer, sofern sie bloß empirisch ist, d. h. den Gegenstand selbst bloß als Erscheinung ansieht: wovon die obige Anmerkung des ersteren Abschnitts nachzusehen ist.


Erläuterung

Wider diese Theorie, welche der Zeit empirische Realität zugesteht, aber die absolute und transzendentale bestreitet, habe ich von einsehenden Männern einen Einwurf so einstimmig vernommen, daß ich daraus entnehme, er müsse sich natürlicherweise bei jedem Leser, dem diese Betrachtungen ungewohnt sind, vorfinden. Er lautet so: Veränderungen sind wirklich (dies beweist der Wechsel unserer eigenen Vorstellungen, wenn man gleich alle äußeren Erscheinungen, samt deren Veränderungen leugnen wollte). Nun sind Veränderungen nur in der Zeit möglich, folglich ist die Zeit etwas wirkliches. Die Beantwortung hat keine Schwierigkeit. Ich gebe das ganze Argument zu. Die Zeit ist allerdings etwas Wirkliches, nämlich die wirkliche Form der inneren Anschauung. Sie hat also subjektive Realität in Anbetracht der inneren Erfahrung, d. h. ich habe wirklich die Vorstellung von der Zeit und meiner Bestimmung in ihr. Sie ist also wirklich nicht als Objekt, sondern als die Vorstellungsart meiner Selbst als Objekt anzusehen. Wenn aber ich selbst, oder ein anderes Wesen mich, ohne diese Bedingung der Sinnlichkeit, anschauen könnte, so würden eben dieselben Bestimmungen, die wir uns jetzt als Veränderungen vorstellen, eine Erkenntnis geben, in welcher die Vorstellung der Zeit, mithin auch der Veränderung gar nicht vorkäme. Es bleibt also ihre empirische Realität als Bedingung aller unserer Erfahrungen. Nur die absolute Realität kann ihr nach dem oben angeführten nicht zugestanden werden. Sie ist nichts, als die Form unserer inneren Anschauung. (2) Wenn man von ihr die besondere Bedingungen unserer Sinnlichkeit wegnimmt, so verschwindet auch der Begriff der Zeit, und sie hängt nicht an den Gegenständen selbst, sondern bloß am Subjekt, welches sie anschaut.

Die Ursache aber, weswegen dieser Einwurf so einstimmig gemacht wird, und zwar von denen, die gleichwohl gegen die Lehre von der Idealität des Raums nichts Einleuchtendes einzuwenden wissen, ist diese. Die absolute Realität des Raumes hofften sie nicht apodiktisch dartun zu können, weil ihnen der Idealismus entgegensteht, nach welchem die Wirklichkeit äußerer Gegenstände keines strengen Beweises fähig ist: Dagegen die des Gegenstandes unserer inneren Sinne (meiner selbst und meines Zustandes) unmittelbar durchs Bewußtsein klar ist. Jene konnten ein bloßer Schein sein, dieser aber ist, ihrer Meinung nach, unleugbar etwas wirkliches. Sie bedachten aber nicht, daß beide, ohne daß man ihre Wirklichkeit als Vorstellung bestreiten darf, gleichwohl nur zur Erscheinung gehören, welche jederzeit zwei Seiten hat, die eine, da das Objekt ansich betrachtet wird, (unangesehen der Art, dasselbe anzuschauen, dessen Beschaffenheit aber eben darum jederzeit problematisch bleibt) die andere, da auf die Form der Anschauung dieses Gegenstandes gesehen wird, welche nicht im Gegenstand ansich, sondern im Subjekt, dem derselbe erscheint, gesucht werden muß, gleichwohl aber der Erscheinung dieses Gegenstandes wirklich und notwendig zukommt.

Zeit und Raum sind demnach zwei Erkenntnisquellen, aus denen  a priori  verschiedene synthetische Erkenntnisse geschöpft werden können, wie vornehmlich die reinen Mathematik in Anbetracht der Erkenntnisse vom Raum und dessen Verhältnissen ein glänzendes Beispiel gibt. Sie sind nämlich beide zusammengenommen reine Formen aller sinnlichen Anschauung, und machen dadurch synthetische Sätze  a priori  möglich. Aber diese Erkenntnisquellen  a priori  bestimmen sich eben dadurch (daß sie bloß Bedingungen der Sinnlichkeit sind) ihre Grenzen, nämlich, daß sie bloß auf Gegenstände gehen, sofern sie als Erscheinungen betrachtet werden, nicht aber Dinge ansich darstellen. Jene allein sind das Feld ihrer Gültigkeit, woraus wenn man hinausgeht, weiter kein objektiver Gebrauch derselben stattfindet. Diese Realität des Raums und der Zeit läßt übrigens die Sicherheit der Erfahrungserkenntnis unangetastet: denn wir sind derselben ebenso gewiß, ob diese Formen den Dingen ansich, oder nur unserer Anschauung dieser Dinge notwendigerweise anhängen. Dagegen die, welche die absolute Realität des Raumes und der Zeit behaupten, sie mögen sie nun als subsistierend, oder nur inhärierend annehmen, mit den Prinzipien der Erfahrung selbst uneinig sein müssen. Denn, entschließen sie sich zum ersteren (welches gemeiniglich die Partei der mathematischen Naturforscher ist,) so müssen sie zwei ewige und unendliche für sich bestehende Undinge (Raum und Zeit) annehmen, welche da sind (ohne daß doch etwas Wirkliches ist), nur um alles wirkliche in sich zu erfassen. Nehmen sie die zweite Partei (von der einige metaphysische Naturlehrer sind), und Raum und Zeit gelten ihnen als von der Erfahrung abstrahierte, obwohl in der Absonderung verworren vorgestellte Verhältnisse der Erscheinungen (neben oder nacheinander) so müssen sie den mathematischen Lehren  a priori  in Anbetracht wirklicher Dinge (z. B. im Raum) ihre Gültigkeit, wenigstens die apodiktische Gewißheit streiten, indem diese  a posteriori  gar nicht stattfindet, und die Begriffe  a priori  von Raum und Zeit dieser Meinung nach, nur Geschöpfe der Einbildungskraft sind, deren Quell wirklich in der Erfahrung gesucht werden muß, aus deren abstrahierten Verhältnissen die Einbildung etwas gemacht hat, was zwar das Allgemeine derselben enthält, aber ohne die Restriktionen, welche die Natur mit denselben verknüpft hat, nicht stattfinden kann. Die ersteren gewinnen so viel, daß sie für die mathematische Behauptungen sich das Feld der Erscheinungen frei machen: Dagegen verwirren sie sich sehr durch eben diese Bedingungen, wenn der Verstand über dieses Feld hinausgehen will. Die zweiten gewinnen zwar in Anbetracht des letzteren, nämlich, daß die Vorstellungen von Raum und Zeit ihnen nicht in den Weg kommen, wenn sie von Gegenständen nicht als Erscheinungen, sondern bloß im Verhältnis zum Verstand urteilen wollen; können aber weder von der Möglichkeit mathematischer Erkenntnisse  a priori  (indem ihnen eine wahre und objektiv gültige Anschauung  a priori  fehlt) Grund angeben, noch die Erfahrungssätze mit jenen Behauptungen in notwendige Einstimmung bringen. In unserer Theorie von der wahren Beschaffenheit dieser zwei ursprünglichen Formen der Sinnlichkeit, ist beiden Schwierigkeiten abgeholfen.

Daß schließlich die transzendentale Ästhetik nicht mehr, als diese zwei Elemente, nämlich Raum und Zeit enthalten könne, ist daraus klar, weil alle anderen zur Sinnlichkeit gehörige Begriffe, selbst der der Bewegung, welcher beide Stücke vereinigt, etwas Empirisches voraussetzen. Denn diese setzt die Wahrnehmung von etwas beweglichem voraus. Im Raum, ansich betrachtet, ist aber nichts bewegliches: Daher das bewegliche Etwas sein muß, was im Raum nur durch Erfahrung gefunden wird, mithin ein empirisches Datum. Ebenso kann die transzendentale Ästhetik nicht den Begriff der Veränderung unter ihre Data  a priori  zahlen: denn die Zeit selbst verändert sich nicht, sondern etwas, das in der Zeit ist. Also wird dazu die Wahrnehmung von irgendeinem Dasein, und der Sukzession [Aufeinanderfolge - wp] seiner Bestimmungen, mithin Erfahrung erfordert.


Allgemeine Anmerkungen zur
Transzendentalen Ästhetik

Zuerst wird es nötig sein, uns so deutlich, als möglich, zu erklären, was in Ansehung der Grundbeschaffenheit der sinnlichen Erkenntnis überhaupt unsere Meinung sei, um aller Mißdeutung derselben vorzubeugen.

Wir haben also sagen wollen: daß alle unsere Anschauung nichts als die Vorstellung von Erscheinung sei: daß die Dinge, die wir anschauen, nicht das ansich sind, wofür wir sie anschauen, noch ihre Verhältnisse so ansich beschaffen sind, als sie uns erscheinen, und daß, wenn wir unser Subjekt oder auch nur die subjektive Beschaffenheit der Sinne überhaupt aufheben, all die Beschaffenheit, alle Verhältnisse der Objekte in Raum und Zeit, ja selbst Raum und Zeit verschwinden würden, und als Erscheinungen nicht ansich, sondern nur in uns existieren können. Was es für eine Bewandtnis mit den Gegenständen ansich und abgesondert von all dieser Rezeptivität unserer Sinnlichkeit haben möge, bleibt uns gänzlich unbekannt. Wir kennen nichts, als unsere Art, sie wahrzunehmen, die uns eigentümlich ist, die auch nicht notwendig jedem Wesen, obwohl jedem Menschen zukommen muß. Mit dieser haben wir es lediglich zu tun. Raum und Zeit sind die reinen Formen derselben, Empfindung überhaupt die Materie. Jene können wir allein  a priori  d. h. vor aller wirklichen Wahrnehmung erkennen, und sie heißen darum reine Anschauung; diese aber ist das in unserer Erkenntnis, was da macht, daß sie Erkenntnis  a posteriori,  d. h. empirische Anschauung heißt. Jene hängen unserer Sinnlichkeit schlechthin notwendig an, welcher Art auch unsere Empfindungen sein mögen; diese können sehr verschieden sein. Wenn wir diese unsere Anschauung auch zum höchsten Grad der Deutlichkeit bringen könnten, so würden wir dadurch der Beschaffenheit der Gegenstände ansich nicht näher kommen. Denn wir würden auf jeden Fall doch nur unsere Art der Anschauung, d. h. unsere Sinnlichkeit vollständig erkennen, und diese immer nur unter den, dem Subjekt ursprünglich anhängenden Bedingungen, von Raum und Zeit. Was die Gegenstände ansich sein mögen, würde uns durch die aufgeklärteste Erkenntnis der Erscheinung derselben, die uns allein gegeben ist, doch niemals bekannt werden.

Daß daher unsere ganze Sinnlichkeit nichts als die verworrende Vorstellung der Dinge sei, welche lediglich das enthält, was ihnen ansich zukommt, aber nur unter einer Zusammenhäufung von Merkmalen und Teilvorstellungen, die wir nicht mit Bewußtsein auseinandersetzen, ist eine Verfälschung des Begriffs von Sinnlichkeit und von Erscheinung, welche die ganze Lehre derselben unnütz und leer macht. Der Unterschied einer undeutlichen von einer deutlichen Vorstellung ist bloß logisch, und betrifft nicht den Inhalt. Ohne Zweifel enthält der Begriff von Recht, dessen sich der gesunde Verstand bedient, eben dasselbe, was die subtilste Spekulation aus ihm entwickeln kann, nur daß im gemeinen und praktischen Gebrauch man sich dieser mannigfaltigen Vorstellungen in diesen Gedanken, nicht bewußt ist. Darum kann man nicht sagen, daß der gemeine Begriff sinnlich sei, und eine bloße Erscheinung enthalte, denn das Recht kann gar nich erscheinen, sondern sein Begriff liegt im Verstand, und stellt eine Beschaffenheit (die moralische) der Handlungen dar, die ihnen ansich zukommt. Dagegen enthält die Vorstellung eines Körpers in der Anschauung gar nichts, was einem Gegenstand ansich zukommen könnte, sondern bloß die Erscheinung von Etwas, und die Art, wie wir dadurch affiziert werden, und diese Rezeptivität unserer Erkenntnisfähigkeit heißt Sinnlichkeit, und bleibt von der Erkenntnis des Gegenstandes ansich, ob man jene (die Erscheinung) gleich bis auf den Grund durchschauen möchte, dennoch himmelweit unterschieden.

Die 'LEIBNIZ-WOLFFische Philosophie hat daher allen Untersuchungen über die Natur und den Ursprung unserer Erkenntnisse einen ganz unrechten Gesichtspunkt angewiesen, indem sie den Unterschied der Sinnlichkeit vom Intellektuellen bloß als logisch betrachtete, da er offenbar transzendental ist, und nicht bloß die Form der Deutlichkeit oder Undeutlichkeit, sondern den Ursprung und den Inhalt derselben betrifft, so daß wir durch die erstere die Beschaffenheit der Dinge ansich nicht bloß undeutlich, sondern gar nicht erkennen, und, sobald wir unsere subjektive Beschaffenheit wegnehmen, das vorgestellte Objekt mit den Eigenschaften, die ihm die sinnliche Anschauung beilegte,, überall nirgends anzutreffen ist, noch angetroffen werden kann, indem eben diese subjektive Beschaffenheit die Form desselben, als Erscheinung bestimmt.

Wir unterscheiden sonst wohl unter Erscheinungen, das, was der Anschauung derselben wesentlich anhängt, und für jeden menschlichen Sinn überhaupt gilt, von demjenigen, was derselben nur zufälligerweise zukommt, indem es nicht auf die Beziehung der Sinnlichkeit überhaupt, sondern nur auf eine besondere Stellung oder Organisation dieses oder jenes Sinnes gültig ist. Und da nennt man die erstere Erkenntnis eine solche, die den Gegenstand ansich darstellt, die zweite aber nur die Erscheinung desselben. Dieser Unterschied ist aber nur empirische, bleibt man dabei stehen, (wie es gemeinhin geschieht), und sieht jene empirische Anschauung nicht wiederum (wie es geschehen sollte) als bloße Erscheinung an, so daß darin gar nichts, was irgendeine Sache ansich anginge, anzutreffen ist, so ist unser transzendentaler Unterschied verloren, und wir glauben alsdann doch, Dinge ansich zu erkennen, obgleich wir es überall (in der Sinnenwelt) selbst bis zur tiefsten Erforschung ihrer Gegenstände mit nichts als Erscheinungen zu tun haben. So werden wir zwar den Regenbogen eine bloße Erscheinung bei einem Sonnenregen nennen, diesen Regen aber als die Sache ansich, welches auch richtig ist, sofern wir den letzteren Begriff nur physisch verstehen, als das was in der allgemeinen Erfahrung unter allen verschiedenen Lagen zu den Sinnen, doch in der Anschauung so und nicht anders bestimmt ist. Nehmen wir aber dieses Empirische überhaupt, und fragen, ohne uns an die Einstimmung desselben mit jedem Menschensinn zu kümmern, ob auch dieses einen Gegenstand ansich (nicht die Regentropfen, denn die sind dann schon als Erscheinungen empirische Objekte) darstelle, so ist die Frage von der Beziehung der Vorstellung auf den Gegenstand transzendental, und nicht allein diese Tropfen sind bloße Erscheinungen, sondern selbst ihre runde Gestalt, ja sogar der Raum, in welchem sie fallen, sind nichts ansich, sondern bloße Modifikationen oder Grundlagen unserer sinnlichen Anschauung, das transzendentale Objekt aber bleibt uns unbekannt.

Die zweite wichtige Angelegenheit unserer transzendentalen Ästhetik ist, daß sie nicht bloß als scheinbare Hypothese einige Gunst erwerbe, sondern so gewiß und ungezweifelt sei, als jemals von einer Theorie gefordert werden kann, die als Organon dienen soll. Um diese Gewißheit völlig einleuchtend zu machen, wollen wir irgendeinen Fall wählen, woran dessen Gültigkeit augenscheinlich werden kann.

Gesetzt Raum und Zeit seien demnach ansich objektiv und Bedingungen der Möglichkeit der Dinge ansich, so zeigt sich erstens: daß von beiden  a priori  apodiktische und synthetische Sätze in großer Zahl vornehmlich im Raum vorkommen, welchen wir darum vorzüglich hier zum Beispiel untersuchen wollen. Da die Sätze der Geometrie synthetisch  a priori,  und mit apodiktischer Gewißheit erkannt werden, so frage ich: woher nehmt ihr dergleichen Sätze, und worauf stützt sich unser Verstand, um zu dergleichen schlechthin notwendigen und allgemein gültigen Wahrheiten zu gelangen. Es ist kein anderer Weg, als durch Begriffe oder durch Anschauungn; beides aber, als solche, die entweder  a priori  oder  a posteriori  gegeben sind. Die letztere, nämlich empirische Begriffe, desgleichen das, worauf sie sich gründen, die empirische Anschauung, können keinen synthetischen Satz geben, als nur einen solchen, der auch bloß empirisch, d. h. ein Erfahrungssatz ist, mithin niemals Notwendigkeit und absolute Allgemeinheit enthalten kann, dergleichen doch das Charakteristische aller Sätze der Geometrie ist. Was aber das erstere und einzige Mittel sein würde, nämlich durch bloße Begriffe oder durch Anschauungen  a priori  zu dergleichen Erkenntnissen zu gelangen, so ist klar, daß aus bloßen Begriffen gar keine synthetische Erkenntnis, sondern lediglich analytische erlangt werden kann. Nehmt nur den Satz: daß durch zwei gerade Linien sich gar kein Raum einschließen lasse, mithin keine Figur möglich sei, und versucht ihn, aus dem Begriff von geraden Linien und der Zahl Zwei abzuleiten, oder auch, daß aus drei geraden Linien eine Figur möglich sei, und versucht es ebenso, bloß aus diesen Begriffen. Alle eure Bemühung ist vergeblich, und ihr seht euch genötigt, zur Anschauung eure Zuflucht zu nehmen, wie es die Geometrie auch jederzeit tut. Ihr gebt euch also einen Gegenstand in der Anschauung; von welcher Art aber ist diese, ist es eine reine Anschauung  a priori  oder eine empirische? Wäre das letzte, so könnte niemals ein allgemeingültiger, noch weniger gar ein apodiktischer Satz daraus werden: denn Erfahrung kann dergleichen niemals liefern. Ihr müßt also euren Gegenstand  a priori  in der Anschauung geben, und auf diesen euren synthetischen Satz gründen. Läge nun in euch nicht ein Vermögen,  a priori  anzuschauen, wäre diese subjektive Bedingung der Form nach nicht zugleich die allgemeine Bedingung  a priori,  unter der allein das Objekt dieser (äußeren) Anschauung selbst möglich ist, wäre der Gegenstand (der Triangel) etwas ansich ohne Beziehung auf euer Subjekt, wie könntet ihr sagen, daß was in euren subjektiven Bedingungen einen Triangel zu konstruieren notwendig liegt, auch dem Triangel ansich notwendig zukommen müsse; denn ihr könntet doch zu euren Begriffen (von drei Linien) nichts neues (die Figur) hinzufügen, welches darum notwendig am Gegenstand angetroffen werden müßte, da dieser für eure Erkenntnis, und nicht durch dieselbe gegeben ist. Wäre also nicht der Raum (und so auch die Zeit) eine bloße Form eurer Anschauung, welche Bedingungen  a priori  enthält, unter denen allein Dinge für euch äußere Gegenstände sein können, die ohne diese subjektiven Bedingungen ansich nichts sind, so könntet ihr  a priori  ganz und gar nichts über äußere Objkte synthetisch ausmachen. Es ist also ungezweifelt gewiß, und nicht bloß möglich, oder auch wahrscheinlich, daß Raum und Zeit, als die notwendigen Bedingungen aller (äußeren und inneren) Erfahrung, bloß subjektive Bedingungen all unserer Anschauung sind, im Verhältnis auf welche daher alle Gegenstände bloße Erscheinungen und nicht für sich in dieser Art gegebene Dinge sind, von denen sich auch um deswillen, was die Form derselben betrifft, vieles  a priori  sagen läßt, niemals aber das Mindeste vom Ding ansich, das diesen Erscheinungen zugrunde liegen mag.

LITERATUR: Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, Erstausgabe, Riga 1781
    Anmerkungen
    1) Die Deutschen sind die einzigen, welche sich jetzt des Worts  Ästhetik  bedienen, um dadurch das zu bezeichnen, was andere Kritik des Geschmacks heißen. Es liegt hier eine verfehlte Hoffnung zugrunde, die der vortreffliche Analyst BAUMGARTEN faßte, die kritische Beurteilung des Schönen unter Vernunftprinzipien zu bringen, und die Regeln derselben zur Wissenschaft zu erheben. Allein diese Bemühung ist vergeblich. Denn gedachte Regeln oder Kriterien sind ihren Quellen nach bloß empirisch, und können also niemals zu Gesetzen  a priori  dienen, wonach sich unser Geschmacksurteil richten müßte, vielmehr macht das letztere den eigentlichen Probierstein der Richtigkeit der ersteren aus. Und deswegen ist es ratsam, diese Benennung wiederung eingehen zu lassen, und sie derjenigen Lehre vorzubehalten, die wahre Wissenschaft ist, wodurch man auch der Sprache und dem Sinn der Alten näher treten würde, bei denen die Einteilung der Erkenntnis in  aistheta kai noeta  [wahrnehmbar und geistig - wp] sehr berühmt war.
    2) Ich kann zwar sagen: meine Vorstellungen folgen einander, aber das heißt nur, wir sind uns ihrer, als in einer Zeitfolge, d. h. nach der Form des inneren Sinns bewußt. Die Zeit ist darum nicht etwas ansich, auch keine den Dingen objektiv anhängende Bestimmung.