tb-1Prolegomena einer jeden künftigen Metaphysik     
 
IMMANUEL KANT
Kritik der reinen Vernunft
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    GeleitwortWidmungVorredeEinleitung
Transzendentale Elementarlehre
Teil 1:Transzendentale Ästhetik
1. Abschnitt: Vom Raum
2. Abschnitt: Von der Zeit
Teil 2: Transzendentale Logik
1. Abteilung: Transzendentale Analytik
2. Abteilung: Transzendentale Dialektik

"Der Mangel an Urteilskraft ist eigentlich das, was man Dummheit nennt, und einem solchen Gebrechen ist gar nicht abzuhelfen. Ein stumpfer oder eingeschränkter Kopf, dem es an nichts, als an gehörigem Grad des Verstandes und eigenen Begriffen desselben mangelt, ist durch Erlernung sehr wohl, sogar bis zur Gelehrsamkeit, auszurüsten. So ist es nichts ungewöhnliches, sehr gelehrte Männer anzutreffen, die, im Gebrauch ihrer Wissenschaft, jenen nie zu bessernden Mangel häufig erblicken lassen."

"Von welchem Inhalt auch unsere Erkenntnis sei, und wie sie sich auf das Objekt beziehen mag, so ist doch die allgemeine, obwol nur negative Bedingung aller unserer Urteile überhaupt, daß sie sich nicht selbst widersprechen; widrigenfalls diese Urteile ansich (auch ohne Rücksicht auf das Objekt) nichts sind. Wenngleich aber auch in unserem Urteil kein Widerspruch ist, so kann es dessenungeachtet doch Begriffe so verbinden, wie es der Gegenstand nicht mit sich bringt, [...] und so kann ein Urteil bei all dem, daß es von allem inneren Widerspruch frei ist, doch entweder falsch oder grundlos sein."

I.
Transzendentale Logik
Erste Abteilung

Die transzendentale Analytik
[Fortsetzung]

Die Analytik der Grundsätze

Die allgemeine Logik ist über einem Grundriß erbaut, der ganz genau mit der Einteilung der oberen Erkenntnisvermögen zusammentrifft. Diese sind: Verstand, Urteilskraft und Vernunft. Jene Dokrtin handelt daher in ihrer Analytik von Begriffen, Urteilen und Schlüssen, gerade den Funktionen und der Ordnung jener Gemütskräfte gemäß, die man unter der weitläufigen Benennung des Verstandes überhaupt begreift.

Da gedachte, bloß formale Logik von allem Inhalt der Erkenntnis (ob sie rein oder empirisch sei) abstrahiert und sich bloß mit der Form des Denkens (der diskursiven Erkenntnis) überhaupt beschäftigt: so kann sie in ihrem analytischen Teil auch den Kanon für die Vernunft mit befassen, deren Form ihre sichere Vorschrift hat, die, ohne die besondere Natur der dabei gebrauchten Erkenntnis in Betracht zu ziehen,  a priori,  durch bloße Zergliederung der Vernunfthandlungen in ihre Momente eingesehen werden kann.

Die transzendentale Logik, da sie auf einen bestimmten Inhalt, nämlich bloß der reinen Erkenntnisse  a priori,  eingeschränkt ist, kann es ihr in dieser Einteilung nicht nachtun. Denn es zeigt sich: daß der transzendentale Gebrauch der Vernunft gar nicht objektiv gültig sei, mithin nicht zur Logik der Wahrheit, d. h. der Analytik gehört, sondern, als eine Logik des Scheins, einen besonderen Teil des scholastischen Lehrgebäudes, unter dem Namen der transzendentalen Dialektik, erfordert.

Verstand und Urteilskraft haben demnach ihren Kanon des objektiv gültigen, mithin wahren Gebrauchs, in der transzendentalen Logik, und gehören also in ihren analytischen Teil. Allein Vernunft in ihren Versuchen, über Gegenstände  a priori  etwas auszumachen, und die Erkenntnis über die Grenzen möglicher Erfahrung zu erweitern, ist ganz und gar dialektisch und ihre Scheinbehauptungen schicken sich durchaus nicht in einen Kanon, dergleichen doch die Analytik enthalten soll.

Die Analytik der Grundsätze wird demnach lediglich ein Kanon für die Urteilskraft sein, der sie lehrt, die Verstandesbegriffe, welche die Bedingung zu Regeln  a priori  enthalten, auf Erscheinungen anzuwenden. Aus dieser Ursache werde ich, indem ich die eigentlichen Grundsätzes des Verstandes zum Thema nehme, mich der Benennung einer Doktrin der Urteilskraft bedienen, wodurch dieses Geschäft genauer bezeichnet wird.


Einleitung
Von der transzendentalen
Urteilskraft überhaupt

Wenn der Verstand überhaupt als das Vermögen der Regeln erklärt wird, so ist Urteilskraft das Vermögen unter Regeln zu subsumieren, d. h. zu unterscheiden, ob etwas unter einer gegebenen Regel (casus datae legis) steht, oder nicht. Die allgemeine Logik enthält gar keine Vorschriften für die Urteilskraft, und kann sie auch nicht enthalten. Denn da sie von allem Inhalt der Erkenntnis abstrahiert, so bleibt ihr nichts übrig, als das Geschäft, die bloße Form der Erkenntnis in Begriffen, Urteilen und Schlüssen analytisch auseinanderzusetzen, und dadurch formale Regeln allen Verstandesgebrauchs zustande zu bringen. Wollte sie nun allgemein zeigen, wie man utner diese Regeln subsumieren, d. h. unterscheiden sollte, ob etwas darunter steht oder nicht, so könnte dies nicht anders, als wieder durch eine Regel geschehen. Diese aber erfordert eben darum, weil sie eine Regel ist, aufs neue eine Unterweisung der Urteilskraft, und so zeigt sich, daß zwar der Verstand einer Belehrung und Ausrüstung durch Regeln fähig, Urteilskraft aber ein besonderes Talent ist, welches gar nicht belehrt, sondern nur geübt sein will. Daher ist diese auch das Spezifische des sogenannten Mutterwitzes, dessen Mangel keine Schule ersetzen kann, weil, ob diese gleich einem eingeschränkten Verstand Regeln vollauf, von fremder Einsicht entlehnt, darreichen und gleichsam einpfropfen kann; so muß doch das Vermögen, sich ihrer richtig zu bedienen, dem Lehrling selbst angehören, und keine Regel, die man ihm in dieser Absicht vorschreiben möchte, ist, in Ermangelung einer solchen Naturgabe, vor Mißbrauch sicher. (1) Ein Arzt daher, ein Richter, oder ein Staatskundiger kann viel schöne pathologische, juristische oder politische Regeln im Kopf haben, in dem Grade, daß er selbst darin ein gründlicher Lehrer werden kann, und wird dennoch in der Anwendung derselben leicht verstoßen, entweder, weil es ihm an natürlicher Urteilskraft (obgleich nicht am Verstand) mangelt, und er zwar das Allgemeine  in abstracto  einsehen, ob ein Fall  in concreto  darunter gehört, nicht unterscheiden kann, oder auch darum, weil er nicht genug durch Beispiele und wirkliche Geschäfte zu diesem Urteil abgerichtet wurde. Dieses ist auch der eine und große Nutzen der Beispiele: daß sie die Urteilskraft schärfen. Denn was die Richtigkeit und Präzision der Verstandeseinsicht betrifft, so tun sie derselben vielmehr gemeinhin einigen Abbruch, weil sie nur selten die Bedingung der Regel adäquat erfüllen, (als  casus in terminis)  und zudem diejenige Anstrengung des Verstandes oftmals schwächen, Regeln im Allgemeinen, und unabhängig von den besonderen Umständen der Erfahrung, nach ihrer Zulänglichkeit, einzusehen, und sie daher zuletzt mehr wie Formeln, denn als Grundsätze zu gebrauchen angewöhnen. So sind Beispiele der Gängelwagen der Urteilskraft, welchen derjenige, dem es am natürlichen Talent desselben mangelt, niemals entbehren kann.

Obgleich nun aber die allgemeine Logik der Urteilskraft keine Vorschriften geben kann, so ist es doch mit der transzendentalen ganz anders bewandt, sogar daß es scheint, die letztere habe es zu ihrem eigentlichen Geschäft, die Urteilskraft im Gebrauch des reinen Verstandes, durch bestimmte Regeln zu berichtigen und zu sichern. Denn, um dem Verstand im Feld reiner Erkenntnisse  a priori  Erweiterung zu verschaffen, mithin als Doktrin scheint Philosophie gar nicht nötig, oder vielmehr übel angebracht zu sein, weil man nach allen bisherigen Versuchen, damit doch wenig oder gar kein Land gewonnen hat, sondern als Kritik, um die Fehltritte der Urteilskraft (lapsus iudici) im Gebrauch der wenigen reinen Verstandesbegriffe, die wir haben, zu verhüten, dazu (obgleich der Nutzen sodann nur negativ ist) wird Philosophie mit ihrer ganzen Scharfsinnigkeit und Prüfungskunst aufgeboten.

Es hat aber die Transzendentalphilosophie das Eigentümliche: daß sie außer der Regel (oder vielmehr der allgemeinen Bedingung zu Regeln), die im reinen Begriff des Verstandes gegeben wird, zugleich  a priori  den Fall anzeigen kann, worauf sie angewandt werden sollen. Die Ursache vom Vorzug, den sie in diesem Stück vor allen andern belehrenden Wissenschaften hat, (außer der Mathematik) liegt eben darin: daß sie von Begriffen handelt, die sich auf ihre Gegenstände  a priori  beziehen sollen, mithin kann ihre objektive Gültigkeit nicht  a posteriori  dargetan werden; denn das würde jene Dignität derselben ganz unberührt lassen, sondern sie muß zugleich die Bedingungen, unter welchen Gegenstände in Übereinstimmung mit jenen Begriffen gegeben werden können, in allgemeinen aber hinreichenden Kennzeichen darlegen, widrigenfalls sie ohne allen Inhalt, mithin bloße logische Formen und nicht reine Verstandesbegriffe sein würden.

Diese transzendentale Doktrin der Urteilskraft wird nun zwei Hauptstücke enthalten: das erste, welches von der sinnlichen Bedingung handelt, unter welcher reine Verstandesbegriffe allein gebraucht werden können, d. h. vom Schematismus des reinen Verstandes; das zweite aber von  den  synthetischen Urteilen, welche aus reinen Verstandesbegriffen, unter diesen Bedingungen  a priori  herfließen, und allen übrigen Erkenntnissen  a priori  zugrunde liegen, d. h. von den Grundsätzen des reinen Verstandes.


Die transzendentale Doktrin der Urteilskraft
(oder Analytik der Grundsätze)

Erstes Hauptstück
Vom Schematismus
der reinen Verstandesbegriffe

In allen Subsumtionen eines Gegenstandes unter einen Begriff mußt die Vorstellung des ersteren mit der letzteren gleichartig sein, d. h. den Begriff und dasjenige enthalten, was in dem darunter zu subsumierenden Gegenstand vorgestellt wird, denn das bedeutet eben der Ausdruck: ein Gegenstand ist in einem Begriff enthalten. So hat der empirische Begriff eines Tellers mit dem reinen geometrischen eines Zirkels Gleichartigkeit, indem die Rundung, die im ersteren gedacht wird, sich im letzteren anschauen läßt.

Nun sind aber reine Verstandesbegriffe, in Vergleichung mit empirischen (ja überhaupt sinnlichen) Anschauungen, ganz ungleichartig und können niemals in irgendeiner Anschauung angetroffen werden. Wie ist nun die Subsumption der letzteren unter die erste, mithin die Anwendung der Kategorie auf Erscheinungen möglich, da doch niemand sagen wird: diese, z. B. die Kausalität, kann auch durch die Sinne angeschaut werden und ist in der Erscheinung enthalten? Diese so natürliche und erhebliche Frage ist nun eigentlich die Ursache, welche eine transzendentale Doktrin der Urteilskraft notwendig macht, um nämlich die Möglichkeit zu zeigen: wie reine Verstandesbegriffe auf Erscheinungen überhaupt angewandt werden können. In allen anderen Wissenschaften, wo die Begriffe, durch die der Gegenstand allgemein gedacht wird, von denen, die diesen  in concreto  vorstellen, wie er gegeben wird, nicht so unterschieden und heterogen sind, ist es unnötig, wegen der Anwendung des ersteren auf den letzten eine besondere Erörterung zu geben.

Nun ist klar: daß es ein Drittes geben müsse, was einerseits mit der Kategorie, andererseits mit der Erscheinung in Gleichartigkeit stehen muß, und die Anwendung der ersteren auf die letzte möglich macht. Diese vermittelnde Vorstellung muß rein (ohne alles Empirische) und doch einerseits intellektuelle, andererseits sinnlich sein. Eine solche ist das transzendentale Schema.

Der Verstandesbegriff enthält die reine synthetische Einheit des Mannigfaltigen überhaupt. Die Zeit, als die formale Bedingung des Mannigfaltigen des inneren Sinnes, mithin der Verknüpfung aller Vorstellungen, enthält ein Mannigfaltiges  a priori  in der reinen Anschauung. Nun ist eine transzendentale Zeitbestimmung mit der Kategorie (die die Einheit derselben ausmacht) insofern gleichartig, als sie allgemein ist und auf einer Regel  a priori  beruth. Sie ist aber andererseits mit der Erscheinung insofern gleichartig, als die Zeit in jeder empirischen Vorstellung des Mannigfaltigen enthalten ist. Daher wird eine Anwendung der Kategorie auf Erscheinungen möglich sein, mittels der transzendentalen Zeitbestimmung, welche, als das Schema der Verstandesbegriffe, die Subsumtion der letzteren unter die erste vermittelt.

Nach demjenigen, was in der Deduktion der Kategorien gezeigt wurde, wird hoffentlich niemand im Zweifel stehen, sich über die Frage zu entschließen: ob diese reine Verstandesbegriffe von bloß empirischem oder auch von transzendentalem Gebrauch sein, d. h. ob sie lediglich, als Bedingungen einer möglichen Erfahrung sich  a priori  auf Erscheinungen beziehen, oder ob sie, als Bedingungen der Möglichkeit der Dinge überhaupt, auf Gegenstände ansich (ohne eine Restriktion auf unsere Sinnlichkeit) erstreckt werden können. Denn da haben wir gesehen, daß Begriffe ganz unmöglich sind, noch irgendeine Bedeutung haben können, wo nicht, entweder ihnen selbst, oder wenigstens den Elementen, daraus sie bestehen, ein Gegenstand gegeben ist, mithin auf Dinge ansich, (ohne Rücksicht, ob, und wie sie uns gegeben werden mögen) gar nicht gehen können: daß ferner die einzige Art, wie uns Gegenstände gegeben werden, die Modifikation unserer Sinnlichkeit ist, endlich, daß reine Begriffe  a priori,  außer der Funktion des Verstandes in der Kategorie, noch formale Bedingungen der Sinnlichkeit (namentlich des inneren Sinnes)  a priori  enthalten müssen, welche die allgemeine Bedingung enthalten, unter der die Kategorie allein auf irgendeinen Gegenstand angewandt werden kann. Wir wollen diese formale und reine Bedingung der Sinnlichkeit, auf welche der Verstandesbegriff in seinem Gebrauch restringiert ist, das Schema dieses Verstandesbegriffs, und das Verfahren des Verstandes mit diesen Schemata den Schematismus des reinen Verstandes nennen.

Das Schema ist ansich jederzeit nur ein Produkt der Einbildungskraft; aber indem die Synthesis der letzteren keine einzelne Anschauung, sondern die Einheit der Bestimmung der Sinnlichkeit allein zur Absicht hat, so ist das Schema doch vom Bild zu unterscheiden. So, wenn ich fünf Punkte hintereinander setze, ... ist dies ein Bild der Zahl  fünf.  Dagegen, wenn ich eine Zahl überhaupt nur denke, die nun fünf oder hundert sein kann, so ist dieses Denken mehr die Vorstellung einer Methode, einem gewissen Begriff gemäß eine Menge (z. B. Tausend) in einem Bild vorzustellen, als dieses Bild selbst, welches ich im letzteren Fall schwerlich würde übersehen und mit dem Begriff vergleichen können. Diese Vorstellung nun von einem allgemeinen Verfahren der Einbildungskraft, einem Begriff sein Bild verschaffen, nenne ich das Schema zu diesen Begriff.

In der Tat liegen unseren reinen sinnlichen Begriffen nicht Bilder der Gegenstände, sondern Schemata zugrunde. Dem Begriff von einem Triangel überhaupt würde gar kein Bild desselben jemals adäquat sein. Denn es würde die Allgemeinheit des Begriffs nicht erreichen, welche macht, daß dieser für alle, recht- oder schiefwinklige Triangel gilt, sondern immer nur auf einen Teil dieser Sphäre eingeschränkt sein. Das Schema des Triangels kann niemals anderswo als in Gedanken existieren, und bedeutet eine Regel der Synthesis der Einbildungskraft, in Anbetracht reiner Gestalten im Raum. Noch viel weniger erreicht ein Gegenstand der Erfahrung oder Bild desselben jemals den empirischen Begriff, sondern dieser bezieht sich jederzeit unmittelbar auf das Schema der Einbildungskraft, als eine Regel der Bestimmung unserer Anschauung, gemäß einem gewissen allgemeinen Begriff. Der Begriff vom Hund bedeutet eine Regel, nach welcher meine Einbildungskraft die Gestalt eines vierfüßigen Tieres allgemein verzeichnen kann, ohne auf irgendeine einzige besondere Gestalt, die mir die Erfahrung darbietet, odre auch jedes mögliche Bild, was ich  in concreto  darstellen kann, eingeschränkt zu sein. Dieser Schematismus unseres Verstandes, in Anbetracht der Erscheinungen und ihrer bloßen Form, ist eine verborgene Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele, deren wahre Handgriffe wir der Natur schwerlich jemals abraten, und sie unverdeckt vor Augen legen werden. Soviel können wir nur sagen: das Bild ist ein Produkt des empirischen Vermögens der produktiven Einbildungskraft, das Schema sinnlicher Begriffe (als der Figuren im Raum) ein Produkt und gleichsam ein Monogramm der reinen Einbildungskraft  a priori,  wodurch und wonach die Bilder allererst möglich werden, die aber mit dem Begriff nur immer mittels des Schemas, welches sie bezeichnen, verknüpft werden müssen, und ansich demselben nicht völlig kongruieren. Dagegen ist das Schema eines reinen Verstandesbegriffs etwas, was in gar kein Bild gebracht werden kann, sondern ist nur die reine Synthesis, gemäß einer Regel der Einheit nach Begriffen überhaupt, die die Kategorie ausdrückt, und ist ein transzendentales Produkt der Einbildungskraft, welches die Bestimmung des inneren Sinnes überhaupt, nach Bedingungen ihrer Form, (der Zeit) in Anbetracht aller Vorstellungen, betrifft, sofern diese der Einheit der Apperzeption gemäß  a priori  in einem Begriff zusammenhängen sollten.

Ohne uns nun bei einer trockenen und langweiligen Zergliederung dessen, was zu transzendentalen Schemata reiner Verstandesbegriffe überhaupt erfordert wird, aufzuhalten, wollen wir sie lieber nach der Ordnung der Kategorien und in Verknüpfung mit diesen darstellen.

Das reine Bild aller Größen (quantorum) für die äußeren Sinne, ist der Raum, aller Gegenstände der Sinne aber überhaupt, die Zeit. Das reine Schema der Größe aber (quantitatis) als eines Begriffs des Verstandes, ist die Zahl, welche eine Vorstellung ist, die die sukzessive Addition von Einem zu Einem (gleichartigen) zusammenbefaßt. Also ist die Zahl nichts anderes, als die Einheit der Synthesis des Mannigfaltigen einer gleichartigen Anschauung überhaupt, dadurch, daß ich die Zeit selbst in der Apprehension der Anschauung erzeuge.

Realität ist im reinen Verstandesbegriff das, was einer Empfindung überhaupt korrespondiert; dasjenige also, dessen Begriff ansich ein Sein (in der Zeit) anzeigt. Negation, dessen Begriff ein Nichtsein (in der Zeit) vorstellt. Die Entgegensetzung beider geschieht also im Unterschied derselben Zeit, als einer erfüllten oder leeren Zeit. Da die Zeit nur die Form der Anschauung, mithin der Gegenstände, als Erscheinungen ist, so ist das, was an diesen der Empfindung entspricht, die transzendentale Materie aller Gegenstände, als Dinge ansich (die Sachheit, Realität). Nun hat jede Empfindung einen Grad oder Größe, wodurch sie dieselbe Zeit, d. h. den inneren Sinn in Anbetracht derselben Vorstellung eines Gegenstandes, mehr oder weniger erfüllen kann, bis sie in Nichts (= O = negatio) aufhört. Daher ist ein Verhältnis und Zusammenhang, oder vielmehr ein Übergang von Realität zur Negation, welcher jede Realität, als ein Quantum vorstellig macht, und das Schema einer Realität, als der Quantität von etwas, sofern es die Zeit erfüllt, ist eben diese kontinuierliche und gleichförmige Erzeugung derselben in der Zeit, indem man von der Empfindung, die einen gewissen Grad hat, in der Zeit bis zum Verschwinden derselben hinabgeht, oder von der Negation zur Größe derselben allmächtig aufsteigt.

Das Schema der Substanz ist die Beharrlichkeit des Realen in der Zeit, d. h die Vorstellung desselben, als eines Substratums der empirischen Zeitbestimmung überhaupt, welches also bleibt, indem alles andere wechselt. (Die Zeit verläuft sich nicht, sondern in ihr verläuft sich das Dasein des Wandelbaren. Der Zeit also, die selbst unwandelbar und bleibend ist, korrespondiert in der Erscheinung das Unwandelbare im Dasein, d. h. die Substanz, und bloß an ihr kann die Folge und das Zugleichsein der Erscheinungen der Zeit nach bestimmt werden).

Das Schema der Ursache und der Kausalität eines Dinges überhaupt ist das Reale, worauf, wenn es nach Belieben gesetzt wird, jederzeit etwas anderes folgt. Es besteht also in der Sukzession des Mannigfaltigen, insofern sie einer Regel unterworfen ist.

Das Schema der Gemeinschaft (Wechselwirkung), oder der wechselseitigen Kausalität der Substanzen in Anbetracht ihrer Akzidenzien [Merkmale, Umstände - wp], ist das Zugleichsein der Bestimmungen der Einen, mit denen der Anderen, nach einer allgemeinen Regel.

Das Schema der Möglichkeit ist die Zusammenstimmung der Synthesis verschiedener Vorstellungen mit den Bedingungen der Zeit überhaupt, (z. B. da das entgegengesetzte in einem Ding nicht zugleich, sondern nur nacheinander sein kann), also die Bestimmung der Vorstellung eines Dings zu irgendeiner Zeit.

Das Schema der Wirklichkeit ist das Dasein in einer bestimmten Zeit.

Das Schema der Notwendigkeit das Dasein eines Gegenstandes zu aller Zeit.

Man sieht nun aus all dem, daß das Schema einer jeden Kategorie, als das der Größe, die Erzeugung (Synthesis) der Zeit selbst, in der sukzessiven Apprehension eines Gegenstandes, das Schema der Qualität die Synthesis der Empfindung (Wahrnehmung) mit der Vorstellung der Zeit, oder die Erfüllung der Zeit, das der Relation das Verhältnis der Wahrnehmungen untereinander zu aller Zeit (d. h. nach einer Regel der Zeitbestimmung), endlich das Schema der Modalität und ihrer Kategorien, die Zeit selbst, als das Korrelat der Bestimmung eines Gegenstandes, ob und wie er zur Zeit gehört, enthält und vorstellig macht. Die Schemata sind daher nichts als Zeitbestimmungen  a priori  nach Regeln, und diese gehen nach der Ordnung der Kategorien, auf die Zeitreihe, den Zeitinhalt, die Zeitordnung, endlich den Zeitinbegriff in Anbetracht aller möglichen Gegenstände.

Hieraus erhellt sich nun, daß der Schematismus des Verstandes durch die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft auf nichts anderes, als die Einheit alles Mannigfaltigen der Anschauung in einem inneren Sinn, und so indirekt auf die Einheit der Apperzeption, als Funktion, welche dem inneren Sinn (einer Rezeptivität) korrespondiert, hinausläuft. Also sind die Schemata der reinen Verstandesbegriffe die wahren und einzigen Bedingungen, diesen eine Beziehung auf Objekte, mithin Bedeutung zu verschaffen, und die Kategorien sind daher am Ende von keinem andern, als einem möglichen empirischen Gebrauch, indem sie bloß dazu dienen, durch Gründe einer  a priori  ntowendigen Einheit (wegen der notwendigen Vereinigung allen Bewußtseins in einer ursprünglichen Apperzeption) Erscheinungen allgemeinen Regeln der Synthesis zu unterwerfen, und sie dadurch zur durchgängigen in einer Erfahrung schicklich zu machen.

Im Ganzen aller möglichen Erfahrung liegen aber alle unsere Erkenntnisse, und in der allgemeinen Beziehung auf dieselbe besteht die transzendentale Wahrheit, die aller empirischen vorhergeht, und sie möglich macht.

Es fällt aber doch auch in die Augen: daß, obgleich die Schemata der Sinnlichkeit die Kategorien allererst realisieren, sie doch selbige gleichwohl auch restringieren, d. h. auf Bedingungen einschränken, die außerhalb des Verstandes liegen (nämlich in der Sinnlichkeit). Daher ist das Schema eigentlich nur das Phänomenon, oder der sinnliche Begriff eines Gegenstandes, in Übereinstimmung mit der Kategorie. Wenn wir nun eine restringierende Bedingung weglassen; so amplifizieren [verstärken - wp] wir, wie es scheint, den vorher eingeschränkten Begriff; so sollten die Kategorien in ihrer reinen Bedeutung, ohne alle Bedingungen der Sinnlichkeit, von Dingen überhaupt gelten, wie sie sind, anstatt, daß ihre Schemata sie nur vorstellen, wie sie erscheinen, jene also eine von allen Schemata unabhängige und viel weiter erstreckte Bedeutung haben. In der Tat bleibt den reinen Verstandesbegriffen allerdings, auch nach Absonderung aller sinnlichen Bedingung, eine, aber nur logische Bedeutung der bloßen Einheit der Vorstellungen, denen aber kein Gegenstand mithin auch keine Bedeutung gegeben wird, die einen Begriff vom Objekt abgeben könnte. So würde z. B. Substanz, wenn man die sinnliche Bestimmung der Beharrlichkeit wegließe, nichts weiter als ein Etwas bedeuten, das als Subjekt, (ohne ein Prädikat von etwas anderem zu sein) gedacht werden kann. Aus dieser Vorstellung kann ich nun nichts machen, indem sie mir gar nicht anzeigt, welche Bestimmungen das Ding hat, welches als ein erstes Subjekt gelten soll. Also sind die Kategorien, ohne Schemata, nur Funktionen des Verstandes zu Begriffen, stellen aber keinen Gegenstand dar. Diese Bedeutung kommt ihnen von der Sinnlichkeit, die den Verstand realisiert, indem sie ihn zugleich restringiert.


Zweites Hauptstück
System aller Grundsätze
des reinen Verstandes

Wir haben in dem vorliegenden Hauptstück die transzendentale Urteilskraft nur nach den allgemeinen Bedingungen erwogen, unter denen sie allein die reinen Verstandesbegriffe zu synthetischen Urteilen zu brauchen befugt ist. Jetzt ist unser Geschäft: die Urteile, die der Verstand unter dieser christlichen Vorsicht wirklich  a priori  zustande bringt, in systematischer Verbindung darzustellen, wozu uns ohne Zweifel unsere Tafel der Kategorien die natürliche und sichere Leitung geben muß. Denn diese sind es eben, deren Beziehung auf mögliche Erfahrung alle reine Verstandeserkenntnis  a priori  ausmachen muß, und deren Verhältnis zur Sinnlichkeit überhaupt deswegen alle transzendentalen Grundsätze des Verstandesgebrauchs vollständig und in einem System darlegen wird.

Grundsätze  a priori  führen diesen Namen nicht bloß deswegen, weil sie die Gründe anderer Urteile in sich enthalten, sondern auch weil sie selbst nich in höheren und allgemeineren Erkenntnissen gegründet sind. Diese Eigenschaft enthebt sie doch nicht einmal eines Beweises. Denn obgleich dieser nicht weiter objektiv geführt werden könnte, sondern vielmehr alle Erkenntnis seines Objekts zugrunde liegt, so hindert dies doch nicht, daß nicht ein Beweis, aus den subjektiven Quellen der Möglichkeit einer Erkenntnis des Gegenstandes überhaupt, zu schaffen möglich, ja auch nötig wäre, weil der Satz sonst gleichwohl den größten Verdacht einer bloß erschlichenen Behauptung auf sich haben würde.

Zweitens werdne wir uns bloß auf diejenigen Grundsätze, die sich auf die Kategorien beziehen, einschränken. Die Prinzipien der transzendentalen Ästhetik, nach welchen Raum und Zeit die Bedingungen der Möglichkeit aller Dinge als Erscheinungen sind, desgleichen die Restriktion dieser Grundsätze: daß sie nämlich nicht auf Dinge ansich bezogen werden können, gehören also nicht in unser abgestochenes Feld der Untersuchung. Ebenso machen die mathematischen Grundsätze keinen Teil dieses Systems aus, weil sie nur aus der Anschauung, aber nicht aus dem reinen Verstandesbegriff gezogen sind; doch wird die Möglichkeit derselben, weil gleichwohl synthetische Urteile  a priori  sind, hier notwendig Platz finden, zwar nicht, um ihre Richtigkeit und apodiktische [logisch zwingende, demonstrierbare - wp] Gewißheit zu beweisen, welches sie gar nicht nötig haben, sondern nur die Möglichkeit solcher evidenten Erkenntnisse  a priori  begreiflich zu machen und zu deduzieren.

Wir werden aber auch von einem Grundsatz analytischer Urteile reden müssen, und dieses zwar im Gegensatz mit der synthetischen, als mit welchen wir uns eigentlich beschäftigen, weil eben diese Gegenstellung die Theorie der letzteren von allem Mißverstand befreit, und sie in ihrer eigentümlichen Natur deutlich vor Augen legt.


Das System der Grundsätze des reinen Verstandes

Erster Abschnitt
Vom obersten Grundsatz
aller analytischen Urteile

Von welchem Inhalt auch unsere Erkenntnis sei, und wie sie sich auf das Objekt beziehen mag, so ist doch die allgemeine, obwol nur negative Bedingung aller unserer Urteile überhaupt, daß sie sich nicht selbst widersprechen; widrigenfalls diese Urteile ansich (auch ohne Rücksicht auf das Objekt) nichts sind. Wenngleich aber auch in unserem Urteil kein Widerspruch ist, so kann es dessenungeachtet doch Begriffe so verbinden, wie es der Gegenstand nicht mit sich bringt, oder auch, ohne daß uns irgendein Grund weder  a priori  noch  a posteriori  gegeben ist, welcher ein solches Urteil berechtigte, und so kann ein Urteil bei all dem, daß es von allem inneren Widerspruch frei ist, doch entweder falsch oder grundlos sein.

Der Satz nun: Keinem Ding kommt ein Prädikat zu, welches ihm widerspricht, heißt der Satz des Widerspruchs, und ist ein allgemeines, obwohl bloß negatives Kriterium aller Wahrheit, gehört aber auch darum bloß in die Logik, weil er von Erkenntnissen, bloß als Erkenntnissen überhaupt, unangesehen ihres Inhalts gilt, und sagt: daß der Widerspruch sie gänzlich vernichtet und aufhebt.

Man kann aber doch von demselben auch einen positiven Gebrauch machen, d. h. nicht bloß, um Falschheit und Irrtum (sofern er auf einem Widerspruch beruth) zu verbannen, sondern auch Wahrheit zu erkennen. Denn, wenn das Urteil analytisch ist, es mag nun verneinend oder bejahend sein, so muß dessen Wahrheit jederzeit nach dem Satz des Widerspruchs hinreichend können erkannt werden. Denn von dem, was in der Erkenntnis des Objekts schon als Begriff liegt und gedacht wird, wir das Widerspiel jederzeit richtig verneint, der Begriff selber aber notwendig von ihm bejaht werden müssen, darum, weil das Gegenteil desselben dem Objekt widersprechen würde.

Daher müssen wir auch den Satz des Widerspruchs, als das allgemeine und völlig hinreichende Prinzipium aller analytischen Erkenntnis gelten lassen; aber weiter geht auch sein Ansehen und Brauchbarkeit nicht, als eines hinreichenden Kriteriums der Wahrheit. Denn daß ihm gar keine Erkenntnis zuwider sein könne, ohne sich selbst zu vernichten, das mach diesen Satz wohl zur  conditio sine qua non  [Grundvoraussetzung - wp], aber nicht zum Bestimmungsgrund der Wahrheit unserer Erkenntnis. Da wir es nun eigentlich nur mit dem synthetischen Teil unserer Erkenntnis zu tun haben, so werden wir zwar jederzeit bedacht sein, diesem unverletzlichen Grundsatz niemals zuwider zu handeln, von ihm aber, in Anbetracht der Wahrheit von dergleichen Art der Erkenntnis, niemals einigen Aufschluß gewärtigen können.

Es ist aber doch eine Formel dieses berühmten, obwohl von allem Inhalt entblößten und bloß formalem Grundsatzes, die eine Synthesis enthält, welche aus Unvorsichtigkeit und ganz unnötigerweise in ihr gemischt worden. Sie heißt: Es ist unmöglich, daß etwas zugleich sei und nicht sei. Außerdem, daß hier die apodietische Gewißheit (durch das Wort unmöglich) überflüssigerweise angehängt worden, die sich doch von selbst aus dem Satz muß verstehen lassen, so ist der Satz durch die Bedingung der Zeit affiziert, und sagt gleichsam: Ein Ding  = A,  welches etwas  = B  ist, kann nicht zu gleicher Zeit  non B  sein, aber es kann gar wohl beides  (B  sowohl als  non B)  nacheinander sein. Zum Beispiel ein Mensch, der jung ist, kann nicht zugleich alt sein, eben derselbe kann aber sehr wohl zu einer Zeit jung, zur anderen nicht jung, d. h. alt sein. Nun muß der Satz des Widerspruchs, als ein bloß logischer Grundsatz, seine Aussprüche gar nicht auf die Zeitverhältnisse einschränken, daher ist eines solche Formel der Absicht desselben ganz zuwider. Der Mißverstand kennt bloß daher: daß man ein Prädikat eines Dings zuerst vom Begriff desselben absondert, und nachher sein Gegenteil mit diesem Prädikat verknüpft, welches niemals einen Widerspruch mit dem Subjekt, sondern nur mit dessen Prädikat, welches mit jenem synthetisch verbunden wurde, abgibt, und zwar nur dann, wenn das erste und zweite Prädikat zu gleicher Zeit gesetzt werden. Sage ich, ein Mensch, der ungelehrt ist, ist nicht gelehrt, so muß die Bedingung: zugleich dabei stehen; denn der, welcher zu einer Zeit ungelehrt ist, kann zu einer anderen gar wohl gelehrt sein. Sage ich aber, kein ungelehrter Mensch ist gelehrt, so ist der Satz analytisch, weil das Merkmal (der Ungelehrtheit) nunmehr den Begriff des Subjektes mit ausmacht, und alsdann erhellt sich der verneinende Satz unmittelbar aus dem Satz des Widerspruchs, ohne daß die Bedingung: zugleich hinzukommen darf. Dieses ist dann auch die Ursache, weswegen ich oben die Formel desselben so verändert habe, daß die Natur eines analytischen Satzes dadurch deutlich ausgedrückt wird.


Zweiter Abschnitt
Vom obersten Grundsatz aller synthetischen Urteile

Die Erklärung der Möglichkeit synthetischer Urteile, ist eine Aufgabe, mit der die allgemeine Logik gar nichts zu schaffen hat, die auch sogar ihren Namen nicht einmal kennen darf. Sie ist aber in einer transzendentalen Logik das wichtigste Geschäft unter allen, und sogar das einzige, wenn von der Möglichkeit synthetischer Urteile  a priori  die Rede ist, desgleichen den Bedingungen und dem Umfang ihrer Gültigkeit. Denn nach Vollendung desselben, kann sie ihrem Zweck, nämlich den Umfang und die Grenzen des reinen Verstandes zu bestimmen, vollkommen Genüge tun.

Im analytischen Urteil bleibe ich beim gegebenen Begriff, um etwas von ihm auszumachen. Soll es bejahend sein, so lege ich diesem Begriff nur dasjenige bei, was in ihm schon gedacht war; soll es verneinend sein, so schließe ich nur das Gegenteil desselben von ihm aus. In synthetischen Urteilen aber soll ich aus dem gegebenen Begriff hinausgehen, um etwas ganz anderes, als in ihm gedacht war, mit demselben in einem Verhältnis zu betrachten, welches daher niemals, weder ein Verhältnis der Identität, noch des Widerspruchs ist, und wobei dem Urteil an ihm selbst weder die Wahrheit, noch der Irrtum angesehen werden kann.

Also zugegeben: daß man aus einem gegebenen Begriff hinausgehen müsse, um ihn mit einem anderen synthetisch zu vergleichen; so ist ein Drittes nötig, worin allein die Synthesis zweier Begriffe entstehen kann. Was ist nun aber dieses Dritte, als dem Medium aller synthetischen Urteile? Es ist nur ein Inbegriff, darin alle unsere Vorstellungen enthalten sind, nämlich der innere Sinn, und die Form desselben  a priori,  die Zeit. Die Synthesis der Vorstellungen beruth auf der Einbildungskraft, die synthetische Einheit derselben aber (die zum Urteil erforderlich ist) auf der Einheit der Apperzeption. Hierin wird also die Möglichkeit synthetischer Urteile, und da alle drei die Quellen zu Vorstellungen  a priori  enthalten, auch die Möglichkeit reiner synthetischer Urteile zu suchen sein, ja sie werden sogar aus diesen Gründen notwendig sein, wenn eine Erkenntnis von Gegenständen zustande kommen soll, die lediglich auf der Synthesis der Vorstellungen beruth.

Wenn eine Erkenntnis objektive Realität haben, d. h. sich auf einen Gegenstand beziehen, und in demselben Bedeutung und Sinn haben soll, so muß der Gegenstand auf irgendeine Art gegeben werden können. Ohne das sind die Begriffe leer, und man hat dadurch zwar gedacht, in der Tat aber durch dieses Denken nichts erkannt, sondern bloß mit Vorstellungen gespielt. Einen Gegenstand geben, wenn dieses nicht wiederum nur mittelbar gemeint sein soll, sondern unmittelbar in der Anschauung darstellen, ist nichts anderes, als dessen Vorstellung auf Erfahrung (es sei wirkliche oder doch mögliche) beziehen. Selbst der Raum und die Zeit, so rein diese Begriff auch von allem Empirischen sind, und so gewiß es auch ist, daß sie völlig  a priori  im Gemüt vorgestellt werden, würden doch ohne objektive Gültigkeit und ohne Sinn und Bedeutung sein, wenn ihr ein notwendiger Gebrauch an den Gegenständen der Erfahrung nicht gezeigt würde, ja ihre Vorstellung ist ein bloßes Schema, das sich immer auf die reproduktive Einbildungskraft bezieht, welche die Gegenstände der Erfahrung herbei ruft, ohne die sie keine Bedeutung haben würden; und so ist es mit allen Begriffen ohne Unterschied.

Die Möglichkeit der Erfahrung ist also das, was allen unseren Erkenntnissen  a priori  objektive Realität gibt. Nun beruth Erfahrung auf der synthetischen Einheit der Erscheinungen, d. h. auf einer Synthesis nach Begriffen vom Gegenstand der Erscheinungen überhaupt, ohne welche sie nicht einmal Erkenntnis, sondern eine Rhapsodie von Wahrnehmungen sein würde, die sich in keinen Kontext nach Regeln eines durchgängig verknüpften (möglichen) Bewußtseins, mithin auch nicht zur transzendentalen und notwendigen Einheit der Apperzeption zusammenschicken würden. Die Erfahrung hat also Prinzipien ihrer Form  a priori  zugrunde liegen, nämlich allgemeine Regeln der Einheit in der Synthesis der Erscheinungen, deren objektive Realität, als notwendige Bedingungen, jederzeit in der Erfahrung, ja sogar ihrer Möglichkeit gewiesen werden kann. Außer dieser Beziehung aber sind synthetische Sätze  a priori  gänzlich unmöglich, weil sie kein Drittes, nämlich reinen Gegenstand haben, an dem die synthetische Einheit ihrer Begriffe objektive Realität dartun könnte.

Obgleich wir daher vom Raum überhaupt, oder den Gestalten, welche die produktive Einbildungskraft in ihm verzeichnet, so vieles  a priori  in synthetischen Urteilen erkennen, so, daß wir wirklich hierzu gar keiner Erfahrung bedürfen, so würde doch diese Erkenntnis gar nichts, sondern die Beschäftigung mit einem bloßen Hirngespinst sein, wäre der Raum nicht, als Bedingung der Erscheinungen, welche den Stoff zur äußeren Erfahrung machen, anzusehen: daher sich jene reinen synthetischen Urteile, obwohl nur mittelbar, auf eine mögliche Erfahrung, oder vielmehr aus dieser ihre Möglichkeit selbst beziehen, und darauf allein die objektive Gültigkeit ihrer Synthesis gründen.

Da also Erfahrung, als empirische Synthesis, in ihrer Möglichkeit die einzige Erkenntnisart ist, welche aller anderen Synthesis Realität gibt, so hat diese als Erkenntnis  a priori  auch nur dadurch Wahrheit, (Einstimmung mit dem Objekt), daß sie nichts weiter enthält, als was zur synthetischen Einheit der Erfahrung überhaupt notwendig ist.

Das oberste Prinzipium aller synthetischen Urteile ist also: ein jeder Gegenstand steht unter den notwendigen Bedingungen der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung in einer möglichen Erfahrung.

Auf solche Weise sind synthetische Urteile  a priori  möglich, wenn wir die formalen Bedingungen der Anschauung  a priori,  die Synthesis der Einbildungskraft und die notwendige Einheit derselben in einer transzendentalen Apperzeption auf eine mögliche Erfahrungserkenntnis überhaupt beziehen, und sagen: die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt sind zugleich Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung, und haben darum objektive Gültigkeit in einem synthetischen Urteil  a priori. 

LITERATUR: Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, Erstausgabe, Riga 1781
    Anmerkungen
    1) Der Mangel an Urteilskraft ist eigentlich das, was man Dummheit nennt, und einem solchen Gebrechen ist gar nicht abzuhelfen. Ein stumpfer oder eingeschränkter Kopf, dem es an nichts, als an gehörigem Grad des Verstandes und eigenen Begriffen desselben mangelt, ist durch Erlernung sehr wohl, sogar bis zur Gelehrsamkeit, auszurüsten. Da es aber gemeiniglich alsdann auch an jenem (der secunda Petri [Urteilslehre des Petrus Ramus - wp]) zu fehlen pflegt, so ist es nichts ungewöhnliches, sehr gelehrte Männer anzutreffen, die, im Gebrauch ihrer Wissenschaft, jenen nie zu bessernden Mangel häufig erblicken lassen.