p-4Wilhelm Wundt    
 
THEODOR LIPPS
Die Aufgabe der Erkenntnistheorie
und die Wundt'sche Logik

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"Wilhelm Wundt bezeichnet das Denken schon in seinen ersten Anfängen ausdrücklich als eine  unmittelbare innere Willenshandlung. 

"Das Bewußtsein des Sollens ist ein Willensphänomen, wenn auch nicht ein Phänomen des frei wählenden, sondern des gebundenen Willens. Mithin bestätigt sich uns, daß das Eigentümliche des Denkens im Gegensatz zum bloßen Vorstellungsspiel in begleitenden Willensakten zu suchen sei."

II.

Indem ich mich nach dem Gesagten zu dem in der Überschrift genannten Werk wende, habe ich zunächst nicht nötig zu konstatieren, daß wir es in demselben mit erkenntnistheoretischer, nicht lediglich formaler Logik zu tun haben. Bezeichnet sich ja der vorliegende erste Band ausdrücklich als Erkenntnislehre. Für die Zurückweisung einer bloß formalen Logik führt weiterhin die Einleitung den doppelten Grund an, daß dieselbe die Denkgesetze nur aufstelle, ohne ihr Entstehen und die Gründe ihrer Gültigkeit zu zeigen und daß sie es unterläßt, die wissenschaftlichen Verfahrungsweisen auf ihre logischen Regeln zurückzuführen. Freilich werden nun trotz dieser Erklärung, der zufolge offenbar Logik in ihrem ersten und grundlegenden Teil nichts anderes wäre, als ein Stück Psychologie, - denn wie anders als auf dem Weg psychologischer Untersuchung sollten die Grundlagen des Erkennens gefunden werden können? - es werden, sage ich, trotzdem gleich Eingangs Logik und Psychologie der Art einander gegenübergestellt, daß der ersteren ausschließlich die Aufgabe zufällt, festzustellen, wie sich der Verlauf unseres Gedanken entwickeln  solle,  während diese zu zeigen hat, wie sich derselbe wirklich vollzieht. Es erklärt sich aber dieser scheinbare Widerspruch leicht, wenn man bemerkt, daß die Aufstellung der Denknormen immerhin als das eigentliche Ziel der logischen Wissenschaft erscheint und darum auch wohl (Seite 7) für und abgesehen von der Erkenntnislehre als Logik bezeichnet wird. Damit soll dann doch nicht die erkenntnistheoretische Begründung für auch entbehrlich erklärt, das Sollen seiner notwendigen Wirklichkeitsbasis beraubt werden.

Sollte an der Richtigkeit dieser Auffassung aufgrund der Einleitung noch Zweifel bestehen können, so würde derselbe völlig gehoben durch den ersten Abschnitt des Werkes ("von der Entwicklung des Denkens"), der die erkenntnistheoretische Logik aus der Psychologie durchaus hervorwachsen läßt, der Art, daß erst im dritten und letzten Kapitel desselben das Logische diejenigen Bestimmungen erhält, die es ihm möglich machen, vom allgemein Psychologischen sich zu sondern und fernerhin selbständigere Wege zu wandeln.

Gehen wir auf den genannten Abschnitt etwas näher ein. Wir haben dann zunächst zu konstatieren, daß als die erste Stufe in der Entwicklung des Denkens die der assoziativen Verbindungen (Kap.I) zu gelten hat, daß dieser als zweite Stufe die der apperzeptiven Verbindungen folgt, die bereits ausdrücklich als Denkverbindungen bezeichnet werden, daß endlich hierzu im dritten Kapitel die Dreizahl von Merkmalen kommt, die den eigentümlichen Wert des Denkes vor sonstigen geistigen Vorgängen allererst vollständig begreiflich macht.

Es führen aber den Namen der assoziativen diejenigen Verbindungen, "die vermöge irgendwelcher Beziehungen der Vorstellungen zueinander ohne die unmittelbare Mitwirkung der Apperzeption hergestellt werden", während als apperzeptive diejenigen bezeichnet werden, bei deren Zustandekommen jene den Vorstellungsverlauf begleitende Willenstätigkeit aktiv eingreift. Damit ist weder gesagt, daß jene lediglich den assoziativen Gesetzen ihr Dasein verdanken, noch daß bei diesen die Assoziation gar nichts zu tun hätte. Vielmehr entscheidet überall erst der Akt der Apperzeption, welche von den vielen aufgrund der Assoziation möglichen Verbindungen wirklich ausgeführt wird. (Seite 25) und umgekehrt muß überall Assoziation vorhanden sein, wo eine Verbindung geschehen soll. Es ist aber von der aktiven Apperzeption, die unter verschiedenen sich darbietenden Verbindungen eine bestimmte selbsttätig auswählt, wohl jene andere passive Willenstätigkeit zu unterscheiden, die entweder nur die an und für sich schon herrschenden Empfindungen in den Blickpunkt des Bewußtseins hebt, oder in ihrer Auswahl durch irgendwelche Dispositionen des Bewußtseins bestimmt ist. Ist bei den assoziativen Verbindungen jene Apperzeption niemals entbehrlich, so sind apperzeptive Verbindungen solche, bei denen die aktive Apperzeption vorherrscht.

Man könnte hier schon die Beantwortung zweier Fragen vermissen, die doch von entscheidender Wichtigkeit scheinen. Die eine geht dahin, ob man denn mit dem Verfasser eine besondere, den Vorstellungsverlauf auf besondere Weise beeinflussende Apperzeptionstätigkeit überhaupt annehmen dürfe; die andere lautet, ob nicht, falls sie existiert, auch die aktive Appezeption, wie die passive von irgenwelchen nicht dem Wollen angehörigen Faktoren derart beeinflußt zu denken sei, daß ein tatsächlicher Unterschied der beiden im Grunde nicht bestehe. In der Tat denke ich wenigstens hinsichtlich der ersten Frage nicht wie der Verfasser. Wo ein  a  ein  b  beständig oder in vielen Fällen begleitet, so, daß ein Kausalzusammenhang zwischen beiden feststeht und doch nicht  b  für die Ursache des  a  gehalten werden kann, da besteht immer noch die doppelte Möglichkeit, einmal daß  a  Ursache des  b  sei und dann, daß  a  nur als ein Nebenerfolg der wahren, vielleicht der unmittelbaren Wahrnehmung sich verbergenden Ursache des  b  zu gelten habe. So ist der Blitz, diese Lichterscheinung, nicht die Ursache des Donners, sondern ein zweites Produkt eben des Naturvorgangs, der auch den Donner erzeugt. So ist das eigentümliche Spannungsgefühl, das wir haben, wenn wir Gegenstände heben, nicht die Ursache der Bewegung, sondern das begleitende Phänomen, in dem sich die Auslösung so mancher, unserem unmittelbaren Bewußtsein unzugänglichen mechanischen Vorgänge, deren schließliches Resultat die Bewegung ist, unserer Empfindung verrät. Ich meine nun, daß wir auch in den eigentümlichen inneren Spannungen, die wir bei gewissen Vorstellungsvorgängen empfinden, nichts anderes zu sehen haben, als die Phänomene, durch welche gewisse Weisen der Vorstellungen sich gegenseitig zu beeinflußen und gegeneinander zu arbeiten, von ihrem Vorhandensein Kunde geben. Sie brauchen dann doch mit diesen ihrer eigensten Eigentümlichkeit nach unbekannten Momenten des psychischen Geschehens nicht mehr Ähnlichkeit zu haben, als das Spannungsgefühl im Arm mit den molekularen Vorgängen, die der Bewegung des Gliedes voraufgehen.

Ich bin aber auch weiterhin der Meinung, daß, wenn der vom Verfasser statuierte Willenseinfluß existierte, dennoch immer etwas in der Seele existieren müßte, das den Willen veranlaßte, diesen und nicht jenen Vorstellungen auf diese und nicht jene Weise zugute zu kommen und daß dieses Etwas in jedem Falle in einer besonderen Beschaffenheit der Vorstellungen selbst oder in irgendwelcher sonstigen "Disposition" des Gemüts - der Ausdruck ist allgemein genug - bestehen müßte, daß demnach allerdings der Vorgang der aktiven Apperzeption mit dem der passiven, wie ihn der Verfasser beschreibt, im Wesentlichen zusammenstimmen würde.

Daraus folgt ein Doppeltes. Haben überhaupt die apperzeptiven Vorgänge, ich meine diejenigen psychischen Akte, die nicht ohne begleitende Wollungen zustande kommen, eine besondere erkenntnistheoretische Bedeutung, dann darf man, vorausgesetzt daß Erkenntnis wirklich aus ihren letzten zugänglichen Gründen erklärt werden soll, sich in keinem Falle damit begnügen, für diese Vorgänge entsprechende Willensakte einfach verantwortlich zu machen, vielmehr muß man suchen - sei es auch nur im Allgemeinen - die Faktoren aufzuzeigen, die nach der einen Ansicht den Willen veranlassen, diese oder jene Leistung zu vollziehen, nach der anderen die Vorstellungsvorgänge und mit ihnen zugleich das begleitende Willensphänomen zuwege bringen. Sind zweitens gewisse "apperzeptive" Vorgänge  a vor  anderen  b  erkenntnistheoretisch bedeutsam, dann kann der Vorzug der  a  in keinem Fall auf einem tatsächlichen Unterschie der Aktivität und Passivität der Apperzeption beruhen, da ja die Apperzeption, wenn sie überhaupt ein Besonderes ist, immer gleich aktiv und passiv heißen muß, vielmehr besteht auch hier die Forderung, weiter zurückzugehen auf den Unterschied derjenigen psychischen Faktoren, die die aktive oder passive Apperzeptioni machen, bzw. das  Bewußtsein  der Aktivität oder Nichtaktivität allererst in uns erzeugen.

Dem Verfasser nun sind die aktiven Apperzeptionen von derart besonderer erkenntnistheoretischer Bedeutung, daß sie im Grunde das Denken im Unterschied vom bloßen Verknüpfen und Aneinanderreihen von Vorstellungen machen. Oder vielmehr - es  scheint  nur, als solle mit dem Gegensatz der beiden Apperzeptionen eine scharfe Scheidung der Denkakte von sonstigen Vorstellungsleistungen gewonnen sein. In Wirklichkeit tritt im weiteren Verlauf der Untersuchung jener Gegensatz in den Hintergrund und es bleiben nur abgeleitete Bestimmungen, die keineswegs mit ihm zugleich stehen und fallen.

Ich hebe von diesen Bestimmungen hier schon eine hervor. Es hat nämlich ohne Zweifel das Denken vor dem gewöhnlichen Verlauf des assoziativen Vorstellens den Vorzug, von bestimmten Punkten aus nach bestimmten Zielen hin sich zu bewegen, mithin geregelt zu verlaufen. Überall aber, wo dies der Fall ist, wo in unserem Vorstellungsleben derart herrschende Punkte sich finden, die anderes nach sich bestimmen, Vorgänge in Bahnen lenken, die sie sonst nicht eingeschlagen haben würden, da entsteht in uns ein Bewußtsein der Tätigkeit, Aktivität, Spontaneität. Folglich wird das Denken von einem solchen Bewußtsein notwendig begleitet sein. Das ist aber nicht alles. Nähere Untersuchung zeigt auch, daß in gewissen Phänomenen des Wollens, in gewissen unserem Aktivitätsbewußtsein angehörigen Erscheinungen also - denn auf Willensphänomenen, die unser Vorstellen begleiten, beruth das Bewußtsein der inneren Aktivität - das spezifisch Eigentümliche besteht, das das Denken von allen sonstigen Bewußtseinsvorgängen unterscheidet.

Der Verfasser nun ist es, der die Spontaneität des Denkens deutlich ins Licht stellt und das Denken schon in seinen ersten Anfängen ausdrücklich als eine "unmittelbare innere Willenshandlung" bezeichnet. Daß und wie er das tut, scheint mir im höchsten Maß wertvoll. Immerhin bleibt, wie ich meine, zu bedauern, daß er darauf verzichtet, die besondere Art der Willensphänomene, die das Eigentümlich des Denkens ausmachen, vor anderen zu bezeichnen und den psychologischen Gründen dieses, wie des Aktivitätsbewußtseins überhaupt weiter nachzugehen; da nicht nur Aktivität überall ist, wo Vorstellen ist und insbesondere das "willenloseste" Phantasiespiel unter Umständen ebenso spontan sein kann, wie das spontanste Denken, sondern auch das  Bewußtsein  der Spontaneität möglicherweise ebenso stark und sogar stärker vorhanden ist, wo wir nicht denken, sondern aus bloßer Laune oder weil ein vom logischen weit abliegendes Interesse uns treibt, jetzt auf dies dann jenes Objekt oder Teilobjekt unsere Aufmerksamkeit konzentrieren. Muß ja doch allgemein zugestanden werden, daß ebenso die bloße Abgrenzung eines von  a  von einem nahestehenden  b,  wie die Erkenntnis der besonderen Gesetzmäßigkeit, die jenes vor diesem beherrscht, zu um so größerer Klarheit gelangen wird, je weiter die Aufdeckung der letzten Elemente und Gründe der beiden gediehen ist.

Wir sind hier einer eigentümlich mittleren, die psychologische Erklärung nur bis zu einem gewissen Punkt herbeiziehenden erkenntnistheoretischen Stellung des Verfassers begegnet. Wir werden derselben weiterhin begegnen.

Innerhalb der assoziativen Verbindungen werden die simultanen von den sukzessiven unterschieden und ihnen vorangestellt. Wiederum zerfallen jene in assoziative Synthesen, Assimilationen [Anpassungen - wp] und Komplikationen, derart, daß die Synthese "durch die Verschmelzung elementarer Empfindungen zusammengesetzte Vorstellungen zustande bringt", die Assimilation "in der simultanen Verschmelzung einer neu eintretenden mit einer bereits befestigten Vorstellung besteht", und endlich unter Komplikation "die simultane Verbindung zusammengesetzter Vorstellungen verschiedener Sinne" verstanden wird. Alle diese Verbindungen haben das Gemeinsame, daß bei ihnen die sich verbindenden Vorstellungen immer "mehr oder minder verändernd aufeinander einwirken". Eben das unterscheidet sie von den sukzessiven Assoziationen, bei denen "im Allgemeinen jede einzelne Vorstellung diejenige Beschaffenheit behält, die sie auch im isolierten Zustand besitzen würde".

Analog den assoziativen zerfallen auch die apperzeptiven oder Denkverbindungen in simultane und sukzessive; und zwar sind jene entweder Vorstellungsagglutinationen oder Verschmelzungen (apperzeptive Synthesen der Vorstellungen) oder endlich Begriffsbildungen, während diese nacheinander den einfachen und den zusammengesetzten Gedankenverlauf zuwege bringen. Alle simultanen Verbindungen der Apperzeption erzeugen Gesamtvorstellungen, d. h. "solche Erzeugnisse des Denkens, in denen sich mehrere Vorstellungen zu einer neuen vereinigen, die von zusammengesetzter Beschaffenheit ist". Sie unterscheiden sich aber dadurch voneinander, daß bei der Agglutination [Wortherkunft - wp] die neue durch Verbindung aufeinander folgender Vorstellungen entstandene Gesamtvorstellung jene noch als ihre Elemente in sich enthält, während bei Verschmelzung und Begriffsbildung ein solcher Fortbestand der Elemente nicht mehr stattfindet. Speziell ist der  Begriff  "die durch aktive Apperzeption vollzogene Verschmelzung einer herrschenden Einzelvorstellung mit einer Reihe zusammengehöriger Vorstellungen". Von allen simultanen Verbindungen des Denkens sondern sich - freilich ohne scharfe Grenze - die sukzessiven dadurch, daß bei ihnen "die miteinander verknüpften Vorstellungen stets ihre Selbständigkeit bewahren, niemals also in eine einzige Vorstellung verschmelzen können."

Im einzelnen geben diese Erörterungen der verschiedenen Stufen und Unterstufen zunächst zu zwei Bemerkungen Veranlassung. Die eine ist mehr psychologisch-erkenntnistheoretischer Natur, die andere bezieht sich auf des Verfassers Stellung zum Sprachlichen.

Unter die assoziativen Synthesen der Vorstellungen fallen neben anderen Vorgängen die Verschmelzungen der Grundtöne mit ihren Obertönen zu einem einzigen Klang. In dieser Unterordnung liegt eine Zweideutigkeit. Verschiedenartige Erregungen  α1 α3 α3,  die unter gewissen Bedingungen jede für sich eine Tonempfindung  a1 a2 a3  erzeugen würden, erzeugen unter anderen Bedingungen tatsächlich nicht diese Einzelempfindung, sondern eine davon verschiedene Empfindung  A,  die nur mit einer jener nicht zustande kommenden a1 a2 a3 gleiche Höhe besitzt. Das ist doch wohl der tatsächliche Vorgang. Soll derselbe als Verschmelzung bezeichnet werden, so kann er höchstens eine Verschmelzung an sich unbewußter und darum ihrer Eigentümlichkeit nach psychologisch völlig unbekannter psychischer oder physiologischer Erregungen zu einem und demselben Empfindungs- oder Vorstellungseffekt  A  heißen, niemals aber im eigentlichen Sinn eine Verschmelzung von Empfindungen zu einer davon verschiedenen anderen Empfindung. Ich empfinde nicht einen Grundton und daneben mehrere Obertöne, indem ich den Trompetenton  t  höre und ich empfand nichts dergleichen, ehe ich zur Wahrnehmung on  t  überging, sondern was ich empfand, war immer nur der eine so oder so nuancierte Ton  t.  Freilich kann ich bei angestrengter "Aufmerksamkeit" oder Hinzuziehung mechanischer Hilfsmittel dazu kommen, einen der Töne  a1 a2,  die den einzelnen Erregungen  α1 α2  entsprechen, für sich wahrzunehmen. Dann beweist das doch nicht, daß die a1 a2 etc. in  A  stecken, sondern nur, daß in der  Gesamterregung,  deren Resultat  A  ist, ein  α  steckt und daß es Mittel gibt, dies so zu steigern, daß es statt weiter mit den anderen  α  zusammenzuwirken, für sich einen psychischen Erfolg zuwege bringt.

Wie bei der Synthese, so findet auch bei der Assimilation der Begriff der Verschmelzung Anwendung. Wir sind "zur Voraussetzung gezwungen, daß mit der Einwirkung des Sinneneindrucks in einem für unser Bewußtsein untrennbaren Akt die Reproduktion der älteren Vorstellung stattfindet, welche dann sofort mit der neuen in eine einzige Vorstellung verschmilzt." In der Tat ist der Vorgang hier im wesentlichen derselbe, nur daß nicht verschiedene, sondern gleiche Erregungen zu einem Vorstellungsobjekt zusammenwirken. Die Vorstellung  R = abc  sei aus dem Bewußtsein verschwunden. Nun gelange an die Seele ein Reiz, dem die Vorstellung  R1 = ade  entspricht. Dann erregt dieser Reiz zugleich die von  R  zurückgelassene Spur zur Wiedererzeugung zunächst des in  R  enthaltenen  a.  Statt daß aber das ganze  R  neben dem ganzen  R1,  also  abc  neben  ade  erzeugt wird, vereinigt sich das, was in der reproduktiven Erregung dem  a  entspricht, mit der auf ein gleiches Empfindungsresultat gerichteten Tätigkeit des Reizes zur gemeinsamen Hervorbringung eines einzigen  a.  Da dem Reiz außer  a  ein  de  entspricht und die reproduktive Erregung vermöge einfacher Assoziation sich der Spur von  b  und  e  mitteilt, so ist das Gesamtresultat  A = abcde. 

Damit ist nicht gesagt, daß nicht auch wirkliche Vorstellungen in eine einzige übergehen oder ihr Platz machen könnten; vielmehr findet dergleichen beispielsweise immer da statt, wo Objekte, die erst doppelte Bilder ergaben, nachträglich fixiert werden. Sie nähern sich einander, um schließlich in einem einzigen zu verschwinden. Aber auch hier ist es unratsam, von Verschmelzung zu sprechen, als steckten die beiden Vorstellungen in der einen, wenn auch unselbständig und nicht mehr unterscheidbar, wie zwei Metalle  m1  und  m2,  die zu einem  M  verschmolzen wurden. Übrigens denkt der Verfasser weder bei der Synthese, noch bei der Assimilation an ein solches nachträgliches Übergehen zweier Vorstellungen in eine. Unmittelbar erscheint dort der als Vorstellung absolut einfache Klang, hier die zusammengesetzte Vorstellung  a b c d e.  Dann meine ich, könne er auch nicht umhin, alles, was Verschmelzung zu heißen ein Recht hat, den unbewußten und unbekannten Erregungen zu überlassen und den wirklichen Vorstellungen keine Weise der Verbindung zuzugestehen, als die einfache raumzeitliche Aneinanderfügung. Die Freiheit, der Kürze halber und nach Analogie der latenten Wärme dasjenige, was nicht Vorstellung ist, aber unter günstigen Bedingungen Vorstellungen erzeugt, auch schon als Vorstellung zu bezeichnen und in dem Sinne auch von Vorstellungsverschmelzungen zu sprechen, diese Freiheit ist damit nicht ausgeschlossen, nur daß sie die Verpflichtung in sich schließt, darüber zu wachen, daß nicht der Gleichheit der Namen die Gleichheit der Sachen sich unterschiebe.

Nur in einem Fall scheint mir die Annahme, eine Mehrheit von Vorstellungen, gleichgültig ob verschmolzen oder nicht, könne da zugegen sein, wo wir nur eine Vorstellung in uns finden, einen verständlichen Sinn zu geben, dann nämlich, wenn man allen Ernstes von solchen wirklichen Vorstellungen glaubt, sprechen zu dürfen, die trotz ihrer Wirklichkeit nicht Gegenstand unseres Bewußtseins seien; oder vielmehr die Verständlichkeit hat für mich dann erst recht ein Ende. Ich unterlasse es aber, meine Gründe für diese Behauptung auseinanderzusetzen und begnüge mich, zu konstatieren, daß demselben Urteil, wie die unbewußten, auch die halb- oder dunkelbewußten Vorstellungen verfallen und daß die Sache um nichts besser wird, wenn man statt des Bewußtseins von einer Vorstellung diese selbst dunkler oder schwächer werden, sich steigern oder verdeutlichen läßt. Oder vielmehr überlasse ich auch hier die Frage der Möglichkeit oder Unmöglichkeit sich selbst, um nur darauf zu dringen, daß die genannen Seelenzustände und Vorgänge wenigstens nicht Gegenstände unmittelbarer Wahrnehmung sein, also auch da, wo es sich um unmittelbar bewußte Unterschiede zwischen Geistesinhalten handelt, nicht in Betracht kommen können. Wir nehmen in uns außer den Vorstellungsinhalten gar nichts wahr, kein Bewußtsein, also auch kein Verhältnis der Inhalte zu diesem Bewußtsein, keine vorstellende Tätigkeit, also auch keine Steigerung oder Minderung dieser Tätigkeit.

Ich leugne damit nicht, daß alle jene Ausdrücke Erfahrungstatsachen bezeichnen, ich leugne nur, daß sie dieselben auf exakte Weise bezeichnen. Immerhin brauchte daraus kein allzu großer Schaden zu erwachsen, wenn es immer dieselben genau bestimmten Vorgänge wären, die man als Steigerung oder Herabstimmung des Vorstellens, als Hervor- oder Zurücktreten im Bewußtsein etc. bezeichnet. Aber das ist keineswegs der Fall. Zwar haben die Vorgänge, die diese uneigentlichen Namen tragen, das Gemeinsame mit einer Verstärkung oder Abschwächung des Einflusses der Vorstellungsinhalte auf den sonstigen Verlauf des geistigen Geschehens, einer Erhöhung bzw. Verminderung ihrer psychischen Bedeutung verbunden zu sein. Aber diese Verstärkung oder Schwächung, Erhöhung oder Verminderung kann auf die verschiedenste Weise zustande kommen. Vorstellungen können intensiv oder qualitativ sich verändern, hinsichtlich ihrer Dauer oder der Zahl ihrer Elemente gewinnen, bzw. Einbuße erleiden, ihnen selbst fremdartige Zusätze der mannigfaltigsten Art erlangen respektive verlieren, immer wird, vorausgesetzt, daß damit jener Erfolg verknüpft ist, der Sprachgebrauch bereit sein, mit den Universalnamen der Hebung und Zurückdrängung im Bewußtsein, der Beleuchtung oder Verdunkelung, oder wie sonst die Ausdrücke lauten mögen, dem Benennungsbedürfnis entgegen zu kommen. Ja, er wird die Ausdrücke gelegentlich selbst da anwenden, wo Vorstellungen völlig neu entstehen, bzw. als Vorstellungen gänzlich verschwinden, mithin von Hervor- und Zurücktreten eines in seinem Bestand unveränderten Inhalts sicher  gar  keine Rede ist.

Unbewußte, dunklere oder dunkler bewußte Vorstellungen dienen dem Verfasser vor allem zur Verdeutlichung des Verschmelzungsprozesses der assoziativen Synthese. Er bezeichnet sogar, ohne in Widerspruch zu fallen, - da  beide  Ausdrücke nicht den Wert einer Erklärung haben können, - das Verhältnis der den Obertönen entsprechenden Erregungen zu dem aus ihnen und der Grundtonerregung gemeinsam resultierenden Klang das eine Mal damit, daß er die Obertöne dunkler vorgestellt sein (Seite 14), das andere Mal damit, daß er sie im Resultat völlig unbewußt vorhanden sein läßt (Seite 31). Weiter geschieht es dem Verfasser zufolge bei der Gliederung unmittelbar gehörter oder reproduzierter Takte durch Betonung einzelner Schläge - einem Fall von Agglutionation - lediglich durch die Tätigkeit der aktiven Apperzeption, daß wir einzelne Töne "stärker gehoben denken". Überhaupt ist es eine Erscheinung, die bei jeder Apperzeption stattfindet, daß sie einige oder wenige Vorstellungen "bevorzugt", "während die übrigen im dunkleren Umfang des Bewußtseins bleiben" etc.

Vergleicht man die einzelnen Erörterungen, so findet man in der Tat die Befürchtung, des Verfassers Verzichtleistung werde es zu einer durchgehend sachgemäßen Sonderung nicht kommen lassen, bestätigt. Mir wenigsten scheint solches gleich bei der assoziativen Synthese der Fall zu sein. Es wird nämlich diesem Begriff neben der Verschmelzung der Tonerregungen zu Klängen auch die Lokalisation der Gesichtsempfindungen aufgrund der Lokalzeichen und der Bewegungs- oder Innervationsempfindungen [Nervenimpulse - wp]) untergeordnet, obgleich hier, was wenigstens die Innervation angeht - mit den Lokalzeichen scheint mir die Sache  wiederum  eine andere - der Hergang ein völlig verschiedener ist. Denn während dort die einzelnen Obertonerregungen,  anstatt  die ihnen entsprechenden Empfindungen zu erzeugen, mit dem Grund zur Erzeugung eines eigentümlich gefärbten Klanges zusammenwirken und das nur zu tun vermögen,  indem  sie auf selbständige Hervorbringung von Obertönen verzichten, entstehen hier die Innervationsempfindungen tatsächlich, sie können sogar - man denke nur an das Stereoskopieren [raumgetreues Abbilden - wp] mit bloßem Auge - geradezu empfindlich sich bemerkbar machen, ohne daß dadurch der Erfolg, das Bewußtsein einer gewissen Entfernung  α  vom Beschauer etwa, im mindesten beeinträchtigt würde. Demnach ist die Lokalisation etwas  neben  den Bewegungsempfindungen, nicht ein  anstatt  ihrer zustande kommendes und es braucht ihr Verhältnis zu diesen kein anderes zu sein, als dasjenige, das auch zwischen ihr und der Perspektive besteht, d. h. das Verhältnis der landläufigen Assoziation. Der ganze Vorgang aber fiele, wenn man ihn unter eine der Kategorien des Verfassers unterbringen wollte, unter die Assimilation. Mit einem Innervationsgefühl hat sich das Bewußtsein der Entfernung  α  erfahrungsmäßig verknüpft. Nun entsteht, indem ich ein Objekt binokular [mit beiden Augen - wp]fixiere, dasselbe Innervationsgefühl. Dann verschmelzen die beiden - ich gebrauche wissentlich den imgenauen Ausdruck - und an die resultierende Innervation schließt sich eben das Entfernungsbewußtsein, das ehemals damit verbunden war.

Ich unterlasse es, die ausgesprochene Befürchtung weiter zu rechtfertigen. Daß bei der Agglutination von gleich starken und in ihrer Stärke trotz der "Apperzeption" verharrenden Tönen  a b c a1 b1 c1  zu Taktganzen ( abc  und  a1 b1 c1)  die Bevorzugung einzelnen Töne  a  und  a1,  soweit sie zu Bewußtsein kommt, lediglich darin besteht, daß mit ihnen (den  a  und  a1)  auf irgendwie zu erklärende Weise ein besonderes Interesse, eine Willensempfindung, vielleicht außerdem noch ein körperliches Innervationsgefühl sich verbindet, daß also die Agglutination - ich meine den bewußten Vorgang - in diesem Fall als ein Beispiel eigentümlicher Assoziation zu gelten hat, - gegen diese Behauptung, meine ich, kann die allgemeine Erfahrung nichts einzuwenden haben. So spielen überhaupt die Assoziationen mit subjektiven Vorstellungselementen, Wollungen, Lust- und Unlustgefühlen, Empfindungen eines so oder so beschaffenen Interesses, die dem Verfasser in den Allgemeinnamen der Apperzeption, Verschmelzung, Hebung etc. verschwinden, in der Erkenntnistheorie eine hervorragende Rolle.

Man verzeihe die Weitläufigkeit, die ich mir bei Besprechung eines einzelnen Punktes gestattet habe. Ich tat es, weil es sich dabei nicht um den einzelnen Punkt, sondern um einen für die ganze Psychologie und damit auch die Erkenntnistheorie bedeutsamen Gegensatz der Verfahrungsweisen handelt. Wir sind, so meine ich, im Begriff, in diesen Wissenschaften mehr und mehr der Erklärung durch Abstraktionen, Anthropomorphismen, Bilder zu entsagen und uns nur da auf festem Boden zu glauben, wo wir die letzten auffindbaren Tatsachen in greifbarer Bestimmtheit vor Augen sehen. Wir haben aber noch nicht völlig mit jenen Eindringlingen gebrochen, so daß noch gar manche ihr Wesen treiben, denen eine genauere Prüfung ihres Heimatrechtes zu völligem Verderben ausschlagen müßte. Und doch werden und müssen wir zu jenem Ziel gelangen, um so sicherer, je deutlicher uns durch die hervorragenden Erkenntnistheorien und Psychologien unserer Tage, insbesondere die Werke des Verfassers, der Weg dazu vorgezeichnet ist.

Ebenso prinzipieller Natur ist der Punkt, mit dem es die zweite der oben angekündigten Bemerkungen zu tun hat. Daß die Erkenntnislehre sich zunächst von der Sprache möglichst unabhängig zu verhalten habe, um dann erst die Frage nach dem Verhältnis der beiden zu erörtern, diese Forderung meinte ich schon im ersten dieser Aufsätze aussprechen zu müssen. Der Verfasser nun steht auch in dieser Hinsicht auf jenem eigentümlich mittleren Standpunkt, der den Unterschied des Sprachlichen und Logischen nicht verkennt und dennoch die beiden enger miteinander verkettet, als es für die Erkenntnis der logischen Vorgänge einerseits und der Bedeutung der sprachlichen Formen und Gesetze andererseits wünschenswert erscheinen kann. Das zeigt sich, wie später, so auch schon im Abschnitt der Erkenntnislehre, mit dem wir es hier zu tun haben.

"Für die (apperzeptive) Verschmelzung bieten sich vorzugsweise auf dem Gebiet der Sprache charakteristische Beispiele dar". Diese allgemeine Erklärung muß, so will mir scheinen, von vornherein befremden. Wie können für rein psychologische Tatsachen Belege in der Sprache gefunden werden? Freilich, wir sehen bald, wie solches gemeint ist. "Während wir in einem Wort wie "Heerführer" noch deutlich die beiden Elemente Heer und Führer als gesonderte Vorstellungen auffassen, daher auch das Bewußtsein sich zunächst die Elemente vergegenwärtigen wird, ehe es die aus ihnen resultierende zusammengesetzte Vorstellung bildet, sind in Worten wie "Herzog", "Marschall" und anderen, diese Elemente vollständig unselbständig geworden. Nur das Wort als Ganzes hat noch eine Bedeutung, so daß hier in einem Kat die gesamte Vorstellung vor unser Bewußtsein tritt, ohne daß wir vorher die Elemente zu apperzipieren brauchen, aus denen sie ursprünglich hervorgegangen ist." - Es handelt sich demnach um die Bezeichnung eines vielfältigen Inhaltes durch ein Wort, um ihre Vereinigung, wenn wir so wollen, in einem einzigen Akt der Benennung. Es ist aber auch deutlich, daß man den Vorgang eine  Verschmelzung von Vorstellungen  nur dann nennen kann, wenn man nicht nur den Unterschied zwischem dem Verhältnis der Vorstellungsinhalte untereinander und dem Verhältnis derselben zum bezeichnenden Wort gänzlich zur Seite läßt, sondern auch außerdem das Wort Verschmelzung in einem noch viel unbestimmteren Sinn nimmt, als es bei der assoziativen Synthese vom Verfasser genommen wurde.

Setzen wir mit Beiseitelassung des Herzogs und Marschalls dem Wort Heerführer das gleichbedeutende General entgegen, dann ändert sich das Verhältnis der Vorstellungselemente  a b c d,  deren Einheit ich als Heerführer oder General bezeichne, untereinander selbstverständlich in keiner Weise, wenn ich von der einen Benennung zur anderen übergehe. Dagegen erleidet allerdings das Verhältnis eben dieser Elemente zum bezeichnenden Wort eine gewisse Modifikation. Indem ich mir den Sinn des Wortes Heerführer zu Bewußtsein brachte,  konnte  ich wenigstens so verfahren, daß ich zunächst die Urteile fällte:  a  und  b  gehören dem Wort Heer an und  c  und  d  stehen im selben Verhältnis zum Wort Führer, um dann erst zum Gesamturteil überzugehen,  ab  und  cd  geben zusammen den Sinn des Wortes Heerführer; wogegen mein Verständnis des Wortes General im unmittelbaren Bewußtsein von der Zusammengehörigkeit von  a b c d  zum betreffenden Wort besteht, ohne daß ich Veranlassung hätte, dieses eine Urteil durch irgendwelches Doppelurteil vorzubereiten. Nun ist es ohne Zweifel eine wichtige Frage der Erkenntnistheorie, wie es zugehe, daß ein Wort viele Vorstellungselemente, ohne sie in ihrem Bestand und gegenseitigen Verhältnis zu beeinträchtigen, also auch ohne sie zu verschmelzen, dennoch in gewissem Sinne in eins zusammenfassen könne; aber dieses Problem ist nur ein spezieller Fall des allgemeineren, wie es zugehe, daß überhaupt ein Prädikat mehrere Vorstellungen zusammenfassen, auf sie als Ganzes sich beziehen könne. Denn das Bewußtsein, daß  a b c d  zusammen den Sinn des Wortes General ausmachen, ist hinsichtlich seines erkenntnistheoretischen Wertes vom Urteil, daß Sauerstoff und Wasserstoff zusammen Wasser geben, nicht verschieden. Will man das objektive Tatsachenurteil eine Verschmelzung der Vorstellungen Sauerstoff und Wasserstoff nennen, so kann man auch jenem Benennungsurteil den Namen Verschmelzung der Vorstellungselemente  a b c d  zugestehen. Scheut man sich dort den Namen anzuwenden, dann steht fest, daß bei den Vorgängen, die der Verfasser als apperzeptive Verschmelzungen bezeichnet, von Verschmelzung  in keiner Weise  die Rede sein kann. In jedem Fall aber scheint mir, was jene "Verschmelzungen" besonderes bieten, nicht in die Lehre von den Vorstellungsverbindungen, die noch nicht Urteile sind, zu gehören, sondern mitten in der Urteilslehre selbst seine Stelle zu finden.

Es ist nicht die Absicht dieser Aufsätze, die Leistungen der WUNDTschen Erkenntnislehre, die nicht immer mit dem Standpunkt der Betrachtung zugleich stehen und fallen, im Einzelnen darzulegen und zu beurteilen. Worauf es mir im Wesentlichen ankommt, ist nur eben jener Standpunkt der Betrachtung. Ich unterlasse es darum, die weiteren Erörterungen über die Bedeutung jener apperzeptive Verschmelzungen über Verschiebung, Verdichtung und Zerfließung der Vorstellungen, die nicht aufhören, von Interesse zu sein, mögen sie nun diesem oder jenem Kapitel der Erkenntnislehre angehören, nach Gebühr zu würdigen. Ich unterlasse es ebenso, den lichtvollen Erörterungen über Entstehung der Begriffe, insbesondere der Zurückweisung der "verworrenen Gesamtvorstellungen", die nirgends auffindbar, dennoch den Begriffen zugrunde liegen sollen, im Einzelnen zu folgen, um nur zu zeigen, wie auch in der Definition des Begriffs einerseits die unbestimmte Allgemeinheit der Verschmelzung von Vorstellungsinhalten, andererseits die Neigung, Sprachliches und Gedankliches innerhalb der Darstellung in eins "verschmelzen" zu lassen, sich bemerkbar macht.

Alles, was unser Geist von Vorstellungen besitzt, findet sich in der mannigfachsten Weise direkt und indirekt verknüpft und verflochten und mögen zwei Vorstellungen  a  und  b  im übrigen noch so wenig miteinander gemein haben, so wird es doch niemals an einem Mittelglied  c  fehlen, das sie verbindet und insofern als zusammengehörig erscheinen läßt. Die Begriffe haben ohne Zweifel die Bedeutung, in diesem Gewebe, da alles mit allem zusammenhängt, Grenzen zu stecken und einheitliche Gebiete zu schaffen; vielmehr, sie sind selbst solche einheitliche Gebilde, durch deren Zustandekommen das sonst Ordnungslose geordnet und gegliedert wird. Es scheint aber nur einen Weg zu geben, wie solche Einheiten entstehen können, wenn nämlich Elemente sich finden, die mit jedem Glied einer Vorstellungsmenge  a, b, c, d  etc. in durchgängiger direkter Verknüpfung stehen, während sie dem Versuch anderer Vorstellungen  a1, b1, c1, d1  etc- in ein gleich unmittelbares Verhältnis zu ihnen treten, sich entgegensetzen. Es fragt sich, wo in unserem Geist diese einheitlich festen Mittelpunkte gefunden werden können.

Des Verfassers Definition des Begriffs gibt des Verfassers Antwort. Die festen Punkte finden sich in den zu vereinigenden Vorstellungen selbst, als deren "herrschend" gewordene, gemeinsame Bestandteile. Der Begriff ist "die durch aktive Apperzeption vollzogene Verschmelzung einer herrschenden Einzelvorstellung mit einer Reihe zusammengehöriger Vorstellungen". Nicht als ob, wenn ein Begriff, der der Pflanze etwa, tatsächlich vollzogen, als die herrschende Vorstellung  h  - in unserem Beispiel = Ernährung, Fortpflanzung, Mangel animalischen Lebens - ins Bewußtsein erhoben wird, nun auch die ganze Reihe der zusammengehörigen Vorstellungen  A1, A2, A3  etc. (Rose, Eiche, Flechte, etc.) zugleich mit ins Bewußtsein trete. Vielmehr wird dieser Vorzug immer nur einer einzigen derselben zuteil. Aber während sonst die Vorstellung eines einzelnen Gegenstandes jeder willkürlichen Veränderung Hindernisse entgegensetzt, ist es bei dieser Vorstellung der Apperzeption gestattet, "beliebig zu einer anderen Vorstellung der Reihe abzuschweifen". Eben das macht dieselbe zur Stellvertreterin des ganzen, an sich unvorstellbaren Begriffs.

Halten wir uns zunächst an die letzte Bestimmung. Sie ist offenbar von entscheidender Wichtigkeit. Wir dürfen bei der Vorstellung des Begriffs - so wird die Vollziehung der repräsentativen Vorstellung geradezu genannt - beliebig zu einer anderen Vorstellung abschweifen. Und wir dürfen es nicht bloß, sondern wir sind uns dessen auch bewußt. Sonst würde sich ja der Begriff von jeder beliebigen Einzelvorstellung für unser Bewußtsein gar nicht unterscheiden. Dies gesteht denn auch der Verfasser ohne weiteres zu. Dem Wahlakt, durch den die repräsentative Vorstellung ins Bewußtsein gehoben wird, ist das begleitende Bewußtsein wesentlich, "daß eine andere Handlung statt der vollzogenen möglich gewesen wäre." Nun kann dieses begleitenden Bewußtsein sicher auf keine andere Weise zustande kommen, als dadurch, daß neben der repräsentativen Vorstellung  A1,  wenn für mein Bewußtsein ein solches anderes  A  gar nicht existiert? Zwar scheint der Verfasser dieser Selbstverständlichkeit zu widersprechen, wenn er ausdrücklich erklärt, wer sich von den Eigenschaften eines Dreiecks im Allgemeinen Rechenschaft geben wolle, fixiere ein bestimmtes Dreieck durch die Aufmerksamkeit und von anderen Dreiecken sei "weder deutlich noch undeutlich die Rede". Es leuchtet aber ein, daß wir nach dieser Aufgabe nur verfahren, so lange wir an die allgemeinere Bedeutung unserer Urteile und Schlüsse nicht denken. Tun wir das, werden wir uns bewußt, unser Raissonement gelte auch für andere Dreiecke, so heißt das nichts anderes, als: wir ersetzen das Dreieck, sei es auch nur in einem momentanen Akt, durch ein beliebiges anderes und konstatieren zugleich, daß daraus der Richtigkeit unseres logischen Verfahrens kein Schaden erwachse. Wodurch sollte sich denn auch die stellvertretenden Vorstellung von jeder anderen, die nur sich selbst repräsentiert, der Nachweis, daß dem Dreieck  überhaupt  die Eigenschaften  a b c  zukommen, vom Nachweis, daß dieses bestimmte Dreieck sie besitzt, für unser Bewußtsein unterscheiden, wenn nicht durch diesen begleitenden Bewußtseinsvorgang. Freilich fehlt beim Verfasser ein Unterschied überhaupt keineswegs. Er läßt sogar eine doppelte Möglichkeit offen. Entweder man hat sich die mit A1 zusammengehörigen Vorstellungen vermöge veränderter Assoziationsbedingungen "leichter disponibel" zu denken, als wenn  A1  auf einen einzelnen Gegenstand sich bezieht oder man muß annehmen, daß die Apperzeption "mehr geneigt ist, auf dieselben überzugehen." Aber damit ist doch, wie es scheint, auch nach des Verfassers Meinung, nur erklärt, wie das Abschweifen von repräsentativen Vorstellung zu einer anderen damit zusammenhängenden  tatsächlich geschehen könne,  nicht aber, wie wir vom Recht, die Abschweifung zu verwirklichen, ein  Bewußtsein  haben können. Die leichtere Disponibilität der Vorstellungen  A2 A3  und die besondere Geneigtheit der Apperzeption zu A2 oder A3 überzugehen, sind an sich  überhaupt nicht  Bewußtseinsinhalte, können also auch an sich nicht Inhalte  des  Bewußtseins heißen, das die repräsentative Vorstellung für uns zur repräsentativen macht. Werden sie aber zu Bewußtseinsinhalten, dann kann das nur dadurch geschehen, daß in meinem Bewußtsein  A2  einem beliebigen Inhalt  B wirklich  den Vorrang abläuft oder die Apperzeption wirklich mit größerer Leichtigkeit auf A2 übergeht, als auf ein sonstiges  C.  Ich meine, den Verfasser täuscht die Allgemeinheit des Ausdrucks: wir sind uns bewußt, daß auch "eine andere Handlung" möglich sei. Dann dürfen  wir  uns doch nicht dadurch täuschen lassen. Auch der Möglichkeit oder Erlaubtheit einer Handlung können wir uns nicht bewußt sein, ohne uns eine Handlung vorzustellen und dann sie als möglich zu denken. Die Handlung aber, worum es sich hier handelt, ist der Akt der "Apperzeption" und nicht der Apperzeption überhaupt, sondern der Apperzeption eines  A2  oder  A3  etc.

Das letztere führt uns aber weiter. Dem Wahlakt, wodurch die repräsentative Vorstellung  A1  entsteht, ist das Bewußtsein wesentlich, daß an die Stelle von  A1  eine andere Vorstellung treten könne. Aber nicht jede beliebige Vorstellung. Vielmehr beschränkt sich die Freiheit auf die mit der stellvertretenden zusammengehörigen, d. h. diejenigen Vorstellungen, die durch das herrschende Element  h  untereinander und mit ihr verschmolzen sind. Dann ist, da ich unmöglich mir bewußt sein kann, unter einer gewissen Bedingung etwas tun zu dürfen, wenn ich nicht auch die Bedingung selbst im Bewußtsein trage, dem Wahlakt auch das Bewußtsein eben dieser Zusammengehörigkeit oder Verschmelzung durch  h  wesentlich und es erhebt sich, ehe das Wesen des Begriffs völlig klar gemacht werden kann, notwendig die Frage, worin das Bewußtsein der Verschmelzung bestehen könne.

Da ergibt sich nun, daß unter Verschmelzung hier wiederum etwas wesentlich anderes verstanden sein muß, als bei der assoziativen Synthese und Assimilation. Natürlich kann und damit bestätigt und erweitert sich das oben Gesagte, das Bewußtsein der durch  h  zustande kommenden Verschmelzung zwischen  A1  und  A2  ohne ein Bewußtsein von  A1, A2  und  h  nicht gedacht werden. Es muß also die aufgeworfene Frage genauer lauten, in welcher gegenseitigen Beziehung stellen wir  A1, A2  und  h  vor, wenn wir uns der repräsentativen Natur von  A1  bewußt sind. Darauf könnte man sich zunächst versucht fühlen, zu antworten: Mit dem  A1  und  A2  gemeinsamen, nur einmal vorhandenen  h  ist einerseits der Rest von  A1,  andererseits der von  A2  in unserem Bewußtsein verbunden. Aber das ist unmöglich. Eine herrschende Vorstellung  h  in diesem Sinne ist eine Jllusion. Nur so kann die Sache gedacht werden, daß mit einem  h  = h1 das  A1  mit einem  h = h2  des  A2  verschmolzen erscheint. Oder sollte es angehen, zwei Dreiecke von verschiedener Gestalt und Größe so  vorzustellen,  daß die herrschende Vorstellung der Begriffs Dreieck, die Dreizahl der Winkel, nur einmal in uns zugegen wäre und auf diese Weise die beiden Exemplare der Gattung verschmölze? Nur in Worten kann derartiges - und noch viel mehr - möglich erscheinen. Die psychologische Wirklichkeit widerstrebt. So scheint es, als wäre mit der "herrschenden" Vorstellung  h  gar nichts ausgerichtet. denn spaltet sich diese auch wiederum in ein  h1, h2, A3  etc., so entsteht die Frage, wie diese  h  miteinander verschmolzen oder untereinander verbunden seien.

In der Tat würden trotz der  h  die  A1 A2  ewig einander fremd bleiben, wenn es nicht neben dem bloßen Vorstellen von Objekten ein Denken gäbe, das zwischen Objekten Beziehungen knüpft, die in ihnen - zwar begründet, aber keineswegs enthalten sind. Die Gleichheit ist eine dieser Beziehungen und sie bildet auch in unserem Fall das sonst nicht vorhandene verbindende Element. Zwar spricht man auch von  Vorstellungen  der Gleichheit, behauptet gelegentlich, Objekte  als  einander gleich  vorzustellen,  aber dieser Sprachgebrauch kann uns doch nicht hindern, aufgrund einfacher Erfahrung dabei zu bleiben, daß ein mit jenem Namen zu bezeichnender Vorstellungsinhalt, der zwischen die Objekte tretend sie verbände, so wie Raum und Zeit das allerdings vermögen, nirgends in unserem Bewußtsein angetroffen werden kann. Das Bewußtsein dieses Verhältnisses entsteht vielmehr immer erst in unserem beziehenden Denken,ist, genauer gesprochen, ein Bestandteil, ein Prädikat gewisser Urteile oder Urteilskombinationen.  Wir  setzen die Objekte urteilend einander gleich, wir, die denkenden Subjekte, sind es auch, die in unserem Falle die  A1  und  A2 urteilend  in die Gleichheitsbeziehung  einfügen,  aufgrund zwar der  h1 h2,  aber ohne daß in  h1  oder  h2  oder zwischen ihnen die Gleichheit als verbindendes Vorstellungselement angetroffen werden könnte. Somit besteht - und das ist das Ergebnis, auf das ich hinaus will, - der Begriff zum Teil in Urteilen, ja es sind die Urteile dasjenige, was den Begriff von bloßen Assoziationen erst macht und es ist unmöglich, über sein Wesen Klarheit zu erlangen, ehe jenes bezeichnende Denken, jene besondere Art von Urteilskombinationen, in denen das Gleichheitsbewußtsein als untrennbares Element enthalten ist, - nicht mit Worten umschrieben, sondern mit greifbarer Bestimmtheit erkannt worden ist - Daß dem Begriff außerdem noch Urteile  vorangehen,  ist etwas, das hier nicht in Betracht kommt.

Wie wenig den zum Begriff zu vereinigenden Vorstellungen angehörige Bestandteile geeignet sind, die Einheit des Begriffs und damit seinen Bestand zu sichern, das muß natürlich um so deutlicher in die Augen fallen,  je weniger  von  gemeinsamen  Bestandteilen der Art die Rede sein kann. Von verschiedenen Dreiecken kann man am Ende in gewissem Sinne sagen, es komme ihnen dieselbe Dreiheit von Winkeln zu, von den verschiedenen gelben Dingen kann man dagegen sicher nicht mehr behaupten, sie seien durch die eine Vorstellung "gelb" vereinigt, da zu deutlich einleuchtet, daß es eine solche Vorstellung nicht gibt. Von vornherein zerfällt hier  h  (= gelb) in verschiedene  h1 h2 h3  (goldgelb, schwefelgelb etc.), und was die gelben Objekte verknüpft, ist vielmehr die Beziehung der  Ähnlichkeit,  als die der Gleichheit. Es gilt aber auch von der Ähnlichkeitsbeziehung, daß sie erst im beziehenden Denken, in Urteilskombinationen entsteht.

Ich gehe aber noch einen Schritt weiter. Nicht einmal die in Rede stehenden Vorstellungseinheiten  einschließlich  der verknüpfenden Gleichheits- oder Ähnlichkeits-Urteile scheint mir der Sprachgebrauch als Begriffe zu bezeichnen. Angenommen, ich habe bei Betrachtung von Objekten  R, S, T  jedesmal einen Prozeß der Ernährung und Fortpflanzun, der doch die den Tieren eigene Empfindungsfähigkeit ausschloß, vorgefunden und vermöge irgendwelchen Interesses zum Gegenstand besonderer "Aufmerksamkeit" gemacht, habe auch die  R, S, T  miteinander verglichen und die Ähnlichkeit hinsichtlich jener Vorgänge entdeckt und so eine Reihe von zusammengehörigen Vorstellungen in mir zuwege gebracht. Nun erwache das Interesse an den in Rede stehenden Vorgängen gelegentlich von Neuem, ich stelle also eines der Objekte, ein  R  (eine Rose) etwa, vor, verbinde aber damit das Bewußtsein, daß ich eben so gut ein  S  oder  T  (eine Eiche oder Flechte) hätten wählen können, dann scheint es mir, als fehle damit dem Begriff der  Pflanze  noch ein wesentliches Element, ja die eigentliche Hauptsache. Dieses Element ist aber kein anderes, als - die Pflanze selbst, der Name also, allgemein gesprochen, genauer das Bewußtsein der Zugehörigkeit aller jener Objekte zum Sinn eines bestimmten Wortes. In der Tat schreiben wir allgemein dem einen Begriff von einem  P  zu, der weiß, was man unter einem Wort versteht, während wir schwerlich von Begriffen reden werden, wo jede gemeinsame Bezeichnung fehlt.

Man wird sich erinnern, daß ich eingangs dieser Auslassung über den Begriff die Forderung aufstellte, daß  ein  Element mit den zum Begriff zu vereinigenden Vorstellungen in durchgängiger direkter Beziehung stehe. Nachher ließ ich - im Widerspruch mit dem Verfasser - diese Forderung fallen und begnügte mich mit den mannigfaltigen zwischen den Vorstellungen geknüpften Beziehungen der Gleichheit und Ähnlichkeit. Jetzt wiederum scheint es, als müsse doch ein solcher fixer Mittelpunkt zugestanden werden und als verlange der Sprachgebrauch, daß der  Name  denselben abgebe. Ist dem so, dann hat der Sprachgebrauch einen Vorzug der Worte vor sonstigen Vorstellungen richtig erkannt. Es ist nämlich in der Tat nichts so wie sie zum festen Mittelpunkt einer Vielheit von Vorstellungen geeignet. Fälle ich die Bezeichnungsurteile:  R, S, T  usw., sie alle tragen den Namen  P,  dann ist eben damit jedes Objekt in gleicher Weise mit  P  verknüpft und infolge davon auch mit jedem anderen zu einem alles Fremde ausschließenden Ganzen verbunden.

Diese Annahme der Notwendigkeit des Wortes zum Begriff wird noch bestätigt durch ein weiteres Moment. Der Begriff schließt das Bewußtsein der Notwendigkeit einiger, der bloßen Möglichkeit anderer Elemente in sich. Dieses Bewußtsein entsteht aber erst mit der Bezeichnung. Nicht überhaupt, nicht weil das Merkmal durch die Vorstellung der Ernährung und Fortpflanzung mit gefordert wäre, sondern nur, weil das, was ich denke, den Namen Pflanze tragen soll, muß ich mit den genannten Elementen den Mangel der Empfindung verbinden.

Wenn ich nun aber die beiden Urteile:  R, S, T  usw. tragen den Namen  P  und: Zum Sinn des Wortes  P  gehören notwendig die Elemente  a, b, c  und keine anderen, miteinander verbinde, was fehlt dann noch zur Vollkommenheit des Begriffes  P? 

Wie dem aber sei, jedenfalls bleibt das bestehen, daß bei Entstehung unserer Begriffswelt - ich rede nicht von den Anfängen der Begriffsbildung überhaupt, die erst in zweiter Linie in Frage kommen sollten - die Bezeichnung in der Regel sogar den Ausgangspunkt bildet. Ich hörte erst dies, dann jenes Objekt als Pflanze bezeichnen. Dadurch entstand eine Einheit mannigfaltiger Vorstellungen, in der das Wort Pflanze den Mittelpunkt bildete. Allmählich lernte ich erkennen, welches die letzten und unerläßlichen Bedingungen seien, unter denen der Sprachgebrauch das Wort anwende. Damit gewann ich, was der Verfasser die herrschende Einzelvorstellung nennt. Wo diese Bedingungen erfüllt wären, glaubte ich nun jedesmal von einer Pflanze sprechen zu dürfen. Damit war ich in den vollen Besitz des Begriffes gelangt. Der Weg aber, auf dem ich zum allgemeinen Benennungsurteil und damit zum Begriff gelangte, ist kein anderer, als der der Induktion. Ins Kapitel von der Induktion gehört - wenigstens  auch  - die Lehre von der Entstehung der Begriffe.

Der Verfasser nun ist weit davon entfernt, den Namen als etwas dem Begriff Irrelevantes zu betrachten. Nur daß ihm sein Vorhandensein mehr wie eine selbstverständliche, besondere Untersuchung nicht erfordernde Tatsache zu gelten scheint. Zwar spricht er die Überzeugung aus, daß den Worten einen "ursprüngliche innere Affinität zu den Vorstellunge" zugestanden werden müsse der Art, daß in der Urzeit der Sprache den Menschen "der Sprachlaut irgendwie ein akustisches Bild der Vorstellung selbst" gewesen sei. Er gibt aber damit keinen Aufschluß über die Frage, wie jetzt und für uns die "Symbole der Sprache" psychologisch begreiflich seien und er gibt selbst für die "Urzeit" keine Antwort auf die Frage, was die Worte zu Symbolen der Gegenstände machen könne, sondern sagt nur, welche Voraussetzungen erfüllt gewesen sein müssen, wenn sie zu Symbolen sollten  werden  können. Es macht sie aber zu Symbolen das Benennungsurteil, das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit also und das kann durch kein noch so enges Zusammen sein  ersetzt werden. Nehmen wir an, mir wäre das eigentümliche Klappern der Mühle so aufgefallen, daß ich an keine Mühle denken könne, ohne jene Töne vor allem mitvorzustellen, so würde das Klappern für mich doch noch nicht die Bedeutung einer Bezeichnung des Gegenstandes haben. Es wird mir aber dazu, sobald irgendjemand, um mich an die Mühle zu erinnern, den eigentümlichen Ton nachahmt und ich sein Tun verstehe, d. h. mir sage, ich  solle  nach der Meinung des Jemand an die Mühle denken, es bestehe als zwischen den beiden Vorstellungen in diesem Fall ein Verhältnis der Zusammengehörigkeit, statt des schon vorher stattfindenden gleichgültigen  Zusammenseins.

Wie sehr der Verfasser das Wort mit zum Begriff rechnet, das wird besonders deutlich, wo es sich um die weitere Entwicklung handelt, der der Begriff fähig sei. Er bezeichnet nämlich als solche weitere Entwicklung die Verdunklung der mit den herrschenden Elementen verschmolzenen repräsentativen Vorstellung und die damit parallel laufende der herrschenden Elemente selbst und ihre Ersetzung durch ihr äußeres Zeichen, den Sprachlaut. Lassen wir hier die Verdunklung, die, wenn sie stattfindet, doch wohl besser als ein völliges Verschwinden und zwar selbstverständlich gleich der ganzen repräsentativen Vorstellung  einschließlich  der herrschenden Elemente zu bezeichnen wäre, zur Seite, dann bezeichnet allerdings die Ersetzung des Begriffs durch das Wort, das Denken in Worten, eines der interessantesten Probleme der Erkenntnislehre. Was unterscheidet für unser Bewußtsein das sinnvolle einzelne Wort auch dann noch vom bloßen Klang, wenn von dem, was es bezeichnet, sich gar nichts mehr in uns findet, was unterscheidet ebenso das sinnvolle Sprechen auch dann noch vom bloßen Aneinanderreihen von Klängen, wenn weder die den Worten, noch die ihrer Zusammenstellung entsprechenden Vorstellungen in uns tatsächlich gegenwärtig sind; was mit anderen Worten heißt es, wenn wir uns dort bewußt sein,  etwas  gesagt und nicht bloß Töne hervorgebracht, hier Wahrheiten ausgesprochen, wohl gar logisch richtig geschlossen und bewiesen, nicht bloß Wortvorstellung an Wortvorstellung gefügt zu haben? Das sind die Fragen, um die es sich dabei handelt. Und sie werden nicht beantwortet, indem man sich in den dunklen Raum des Bewußtseins flüchtet oder "unbildliche Gedanken" zu Hilfe nimmt, (1) denen man zumutet, mit unglaublicher Geschwindigkeit den Worten zur Seite zu laufen, sondern nur dadurch, daß man deutlich zeigt, welche Elemente sich in Begriff und Urteil finden oder damit in Zusammenhang stehen, die nicht den durch die Worte bezeichneten Vorstellungsinhalten angehörig, eben deswegen von ihnen ablösbar und nach irgendwelchen Gesetzen der Assoziation auf bloße Worte übertragbar sind.

Der Begriff ist das letzte Erzeugnis der simultanen Apperzeptionsverbindung. Es folgen die sukzessiven und damit dasjenige, was der Verfasser speziell als Gedankenverlauf bezeichnet. Der apperzeptive Vorstellungsverlauf unterscheidet sich vom lediglich assoziativen durch das Gesetz der Zweigliederung. Von einer Vorstellung geht die  Apperzeption  immer nur zu  einer  anderen über. Die einfachste Form eines Gedankens ist im einfachen Urteil gegeben, worunter man den Akt der Zerlegung einer Gesamtvorstellung in zwei miteinander verbundene Teile zu verstehen hat. Das Verhältnis der beiden Teile ist das prädikative. In diese prädikative Verbindung gehen aber, wenn man sie isoliert nimmt, alle apperzeptiven Verbindungen, die sich in zusammengesetzten Denkakten finden, die attributive, objektive und adverbiale, über, so daß die zwischen ihnen bestehenden Unterschiede "lediglich durch die Stellen veranlaßt werden". - Es folgen auf diese Grundbestimmungen Auseinandersetzungen über Komplikationen der apperzeptiven Gliederungen mit Assoziationen, über die mannigfachen Weisen der Verkettung der Gedanken, endlich über die Wechselwirkung zwischen Begriffsbildung und Gedankenverlauf.

Wiederum begnüge ich mich, mit Übergehung der eben genannten, wie mir scheint höchst wertvollen Erörterungen,  einen  Punkt herauszuheben, ich meine die Bestimmung des Urteils. Man nehme folgenden Fall: Ich erinnere mich des Anfangs, sagen wir der ersten  n - 1  Töne eines einmal gehörten, aus  n  Tönen  t1 t2 ... tn  bestehenden musikalischen Motivs, während das fehlende  n-te  Glied mir nicht einfallen will. Da ich Zeit und an dergleichen Phantasiespiel aus irgendwelchen Gründen Gefallen habe, so beginne ich das Motiv für mich zu ergänzen. Ich verbinde zu diesem Zweck nacheinander alle möglichen Töne  θ1, θ2, θ3  mit der Reihe  t1 t2 ... tn-1  zu einem Ganzen und fasse jedesmal erst die  n - 1  Töne ins "Auge", um dann zu dem von mir hinzugefügten  θ  in Gedanken überzugehen. Dann vollziehe ich lauter apperzeptive Zweigliederungen nach WUNDTscher Vorschrift. Trotzdem wird, so lange ich keinen anderen Zweck habe, als zu Spielen, höchstens die Gefühlswirkung, die mein Tun zur Folge hat, zu beobachten, niemand die Vorgänge Urteile nennen. Nun ändert sich aber die Sache. Ich fange an ein Tatsacheninteresse an der Tonfolge zu nehmen. Dann wiederholt sich zunächst, scheinbar wenigstens, das alte Spiel. Ich fahre fort, bald diese, bald jene Gesamtvorstellung zu bilden, um innerhalb derselben vermöge aktiver Apperzeption jetzt den meiner Erinnerung präsenten Torso, dann meine Ergänzung, mein  θ1  oder  θ2  etc. also, hervortreten zu lassen. Plötzlich aber springe ich auf - wäre es auch nur innerlich - und erkläre: So und nicht anders lautete der letzte Ton. Dann gebe ich damit zu erkennen, daß ich ein, gleichgültig ob richtiges oder falsches, Urteil gefällt habe. Und worin besteht dieses? In nichts anderem offenbar, als darin, daß ich nach mannigfachem Suchen zu einem  θn  gekommen bin, dessen Verknüpfung mit  t1 ... tn-1  vom Bewußtsein begleitet ist, sie sei nicht so wie ihre Vorgängerinnen bloß Sache der Willkür, dürfe darum auch nicht ebenso wie sie beliebig wieder aufgelöst werden, sie setze, anders ausgedrückt, dem Versuch der Wiederauflösung einen Widerstand entgegen, sei mit einem Wort eine Zusammengehörigkeit, nicht ein bloßes tatsächliches Zusammensein von Vorstellungen in meinem Bewußtsein; denn die Zusammengehörigkeit ist eben die Notwendigkeit des Zusammenseins. Wenigstens steht fest, daß ich sonst keinen Unterschied zwischen dem ehemaligen Phantasiespiel und dem jetzt gewonnenen Urteil, der jetzt in meinen Besitz gelangten wirklichen oder vermeintlichen Erkenntnis aufzufinden vermag. Auf völlig gleiche Weise wie  θn  hatte ich auch die  θ1 θ2  etc. mit  t1 ... t2-1  und den sonstigen Elementen, die mit dieser Tonreihe verbunden gewesen sein mögen, der Erinnerung an die zeitlichen, örtlichen und sonstigen Umstände, die mein Hören des Motivs begleiteten, verknüpft und niemals hatte die apperzeptive Zweigliederung gefehlt. - Nun nennen wir wirklich, was unserer Freiheit vorzustellen und das Vorgestellte wieder aufzuheben, um es durch ein anderes zu ersetzen, Schranken auferlegt, sich uns eben darum als etwas relativ Selbständiges, nicht bloß von uns Gemachtes zu erkennen gibt, anders und bestimmter ausgedrückt, wir nennen so, was wir uns bewußt sein, unter gewissen Umständen oder an einer gewissen Stelle der Welt unseres Vorstellens vorstellen zu sollen. Somit kann ich das Eigenartige jenes Urteils und des Urteils überhaupt auch so bezeichnen, daß ich sage, es sei ein Bewußtsein, es nicht mehr mit einem subjektiven Spiel, sondern mit objektiver Wirklichkeit zu tun zu haben. Urteilen heißt dann überhaupt, Verknüpfungen von Vorstellungen für wirklich halten, daran glauben, sie logisch anerkennen oder welche Ausdrücke man sonst für das Bewußtsein des Gebundenseins an gewisse Verknüpfungen, des so und nicht anders vorstellen Sollens wählen mag. Das Bewußtsein des Sollens ist aber ein Willensphänomen, wenn auch nicht ein Phänomen des frei wählenden, sondern des gebundenen Willens. Mithin bestätigt sich uns, was wir früher dem Verfasser zugestanden, daß das Eigentümliche des Denkens im Gegensatz zum bloßen Vorstellungsspiel in begleitenden Willensakten zu suchen sei.

Es kann kein Zweifel bestehen, daß das hier weniger beschriebene, als im Allgemeinen gekennzeichnete Bewußtsein, das in den mannigfaltigsten gleichbedeutenden oder doch nur zur Bezeichnung verschiedener Stufen und Arten dienenden Namen, als Wahrheitsgefühl, Überzeugung, Glauben, Wissen, Meinen usw. auch im täglichen Leben wiederkehrt, für die Erkenntnistheorie von großer Wichtigkeit ist, so wichtig, daß man sagen kann, die Logik habe gar kein anderes Thema, als dieses Bewußtsein, keine andere Aufgabe, als die Untersuchung seines Wesens und seiner Gesetzmäßigkeit, seiner Arten und Modifikationen, seiner Bedingungen und schließlichen Leistungen. Um so auffallender muß es erscheinen, daß in der Erkenntnislehre unseres Vaterlandes - in der englischen verhält es sich seit *HUME teilweise anders - die Frage, worin das Glauben, Überzeugtsein, worin das Bewußtsein der Wirklichkeit und Wahrheit bestehe, welche genau bestimmten Tatsachen wir in uns finden, wenn wir behaupten, ein solches Bewußtsein zu haben, fast keine Rolle spielt, obgleich man doch nicht umhin kann, mit jenen Begriffen zu rechnen und eine bestimmte Bedeutung derselben überall vorauszusetzen. Es steht aber auch der Verfasser auf dem Standpunkt, die Beantwortung der Frage nicht für unumgänglich zu halten.

Zwar erfahren wir im dritten Kapitel des ersten Abschnitts, der es mit der Entwicklung der logischen Normen zu tun hat, daß Spontaneität, Evidenz und *Allgemeingültigkeit die Kennzeichen des *logischen Denkens sind. Wir begegnen aber bei Behandlung des zweiten Punktes nirgends der Frage, welcher Bewußtseinsinhalt denn dieser Evidenz entspreche, vielmehr begnügt sich die Auseinandersetzung mit der Erklärung, jede Art der Evidenz komme zustande durch beziehendes und vergleichendes Denken, nur daß bei der unmittelbaren die unmittelbar in der Anschauung gegebenen Elemente verknüpft werden, während bei der mittelbaren die in den unmittelbar entstandenen Verbindungen selbst wiederum als Elemente weiterer Verknüpfungen dienen. So werden in einem späteren Kapitel die Arten des Wahrheitsgefühls, Meinen, Glauben, Wissen unterschieden und Fälle ihres Vorkommens bezeichnet, ohne daß doch auch hier die Frage auftauchte, was denn diese Verhaltungsweisen des menschlichen Geistes ihrem Wesen nach sein könnten. Und doch leuchtet ein, daß diese Fragen gestellt werden müssen. Die Evidenz ist ja nicht ein einfacher Geistesinhalt neben dem Rot, Sauer, Süß, der Lust und Strebung usw., das Glauben, Wissen etc. nicht eine besondere seelische Tätigkeit neben dem Vorstellen, Fühlen, Wollen, - vorausgesetzt, daß man es für erlaubt hält, diese beiden letzteren jener ersteren "Tätigkeit" zu koordinieren. Dann muß es doch auch möglich sein, die genannten Inhalte oder Tätigkeiten ihrer geheimnisvollen Natur zu entkleiden, zu sagen, was in aller Welt man denn mit den Worten sagen wolle. Unterläßt man die Beantwortung solcher fundamentaler Fragen oder beantwortet man sie in Ausdrücken, von denen selbst wiederum zweifelhaft bleibt, welchen Sinn sie haben, d. h. welcher bestimmt aufzeigbare Geistesinhalt ihnen zukomme, dann können sich die sonstigen erkenntnistheoretischen Untersuchungen, selbst die über Prinzipien und allgemeine Richtungen, auf keinem festeren Boden bewegen, als etwa die Ethik es tut, wenn sie über Eudämonismus oder Pflichtbewußtsein streitet und nur darum nicht sieht, daß sie größtenteils um Worte sich ereifert, weil es ihr nicht in den Sinn kommt, Worte wie "Sollen", "*Pflicht" usw. auf ihre eigentliche Bedeutung zu prüfen.

Kehren wir aber zurück zu dem, wovon wir ausgingen. Es steht uns fest, daß eine bloße apperzeptive Zweigliederung nicht dasjenige ist, was man insgeheim als Urteil bezeichnet. Trotzdem muß dem Verfasser unverwehrt bleiben, den Namen auch in jenem Sinne anzuwenden, vorausgesetzt, daß er der weiteren Fassung des Begriffs getreu bleibt. Dies scheint denn auch zunächst der Fall zu sein. Wir wissen, daß nach ihm die attributive Verbindung innerhalb eines Urteils mit der prädikativen an sich übereinstimmt und sich nur durch die Stelle unterscheidet, die ihr in einem zusammengesetzten Denkvorgang zukommt. So ist die attributive Verbindung "guter Mann" an sich äquivalent dem Urteil "der Mann ist gut". Offenbar trifft das aber nicht zu, wenn man das Urteil im gewöhnlichen Sinn faßt, nämlich als Behauptung einer wirklichen oder vermeintlichen Wahrheit. Denn das Urteil: absolut gute Menschen können keine Mißgunst empfinden, kann ich fällen und mir dabei deutlich bewußt sein, daß Mensch und absolut gut - tatsächlich, nicht in der bloßen Vorstellung - sich ausschließen. Nun geht aber der Verfasser an anderer Stelle ebenso deutlich über seine Definition hinaus, so daß es doch scheint, als verstehe er unter einem Urteil eine Zweigliederung, der das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit der Teile nicht fehle. So ist ihm im Urteil "Petrus und Paulus predigten" Petrus und Paulus nur assoziativ verknüpft, die Verbindung ist keine Urteil äquivalent, obgleich bei Fällung dieses Urteils der predigende Petrus und der predigende Paulus ebensogut in eine Gesamtvorstellung vereinigt sein können, als das nach des Verfassers Anschauung beim Urteil "der predigende Petrus stand neben dem predigenden Paulus" der Fall sein müßte und obgleich demnach das "Petrus und Paulus" in jenem Urteil ebensowohl eine apperzeptive Zweigliederung repräsentieren kann, als das "Petrus stand neben Paulus" in diesem. Allerdings ist ja ein psychologischer Unterschied zwischen beiden Verbindungen. Aber der besteht nur darin, daß ich dort Petrus und Paulus in irgendwelche Beziehung setzen kann, auch in die des räumlichen Nebeneinander, während ich hier das Bewußtsein habe, sie als nebeneinanderstehend vorstellen zu  müssen.  Hat demnach die Verbindung "Petrus und Paulus" im ersten *Urteil nicht selbst den Wert eines Urteils, so kann das nur davon kommen, daß zum Urteil noch etwas anderes gehört, als das bloße Zweigliedern von Gesamtvorstellungen, nämlich das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit.
LITERATUR - Theodor Lipps, Die Aufgabe der Erkenntnistheorie und die Wundt'sche Logik, Philosophische Monatshefte 17, Leipzig 1880
    Anmerkungen
    1) OTTO LIEBMANN, "Analysis der Wirklichkeit" in der Abhandlung über abstrakte Begriffe.