p-4 BernheimGersterBergmannForelKochsHirschlaffMendelEnnemoser    
 
WILLIAM THIERRY PREYER
Die Entdeckung des Hypnotismus
[ 3 / 3 ]

"Wenn die Aufmerksamkeit völlig in Anspruch genommen ist durch eine mit einer Bewegung verbundene Vorstellung, dann wird ein Impuls in die Nerven und Muskeln gesendet, welcher eine entsprechende Bewegung veranlaßt, nicht nur ohne irgendeine bewußte Anstrengung des Willens, sondern in vielen Fällen sogar entgegen dem Willen. Daher scheinen Menschen wie Tiere unwiderstehlich angezogen zu werden oder wie gebannt zu sein. Der Wille liegt darnieder."

Braids theoretische Bemerkungen

Während der Entdecker des Hypnotismus den größten Wert auf die Anerkennung und immer aufs neue wiederholte Bestätigung der von ihm gefundenen Tatsachen legt, versucht er eine Erklärung derselben nicht. Nur ganz verstreute, theoretische Notizen finden sich in seinen Schriften bezüglich der wichtigen Frage, worin die organische und psychische Veränderung in der Hypnose besteht.

Diese Aussprüche sind aber von Interesse, weil sie deutlich die Selbständigkeit des Verfassers zeigen und bis zum heutigen Tag nicht viel besseres an ihre Stelle gesetzt worden ist.


a) Gewöhnlicher Hypnotismus
    "Die merkwürdige Tatsache, daß sämtliche Sinne in einem tiefen Torpor [Starre - wp] verharren, die Glieder starr sein können und doch durch einen sehr sanften Druck auf die Haut über den Augäpfeln der Patient sofort geweckt wird, wach wird in Bezug auf alle Sinne und die Beweglichkeit des Kopfes und Nackens, kurz alle die Teile, welche von den oberhalb des Ursprungs des fünften (Hirnnerven-) Paares entspringenden und den mit diesen anastomosierenden [vernetzenden - wp] Nerven versorgt werden, dagegen nicht affiziert wird durch eine einfache mechanische Einwirkung auf andere Sinnesorgane, ist ein schlagender Beweis für die eigentümliche Beziehung des Zustandes der Augen zum Gehirn und Rückenmark in der Hypnose."
Einen wesentlichen Anteil am veränderten Gehirnzustand im natürlichen wie künstlichen Hypnotismus schreibt BRAID einer "unvollkommenen Arterialisation" des Blutes zu. Er behauptet, "daß ein solcher Zustand des Blutes existiert und die  Ursache des gewöhnlichen Schlafes  ist und daß der noch intensivere Torpor in einem gewissen Stadium des Hypnotismus von einem noch weniger purifiierten Blut herrührt, sowie daß andererseits der traumhafte und exaltierte Zustand von verschiedenen Graden der erregenden Eigenschaften des Blutes herkomme (indem es mehr arterialisiert sei in verschiedenen Stadien) und zusammenhänge mit der Geschwindigkeit der Zirkulation, dem Blutdruck oder der auf das Gehirn ausgeübten Tension [Spannung - wp] während des kataleptischen Zustandes." Jedoch:
    "In Bezug auf die nächste Ursache der Erscheinungen meine ich, der beste Plan beim gegenwärtigen Stand unseres Wissen sei der, weitere Tatsachen zu sammeln und für die Heilung von Krankheiten zu verwerten und in einer künftigen Zeit zu theoretisieren, wenn wir größere Vorräte von Tatsachen haben, um daraus Schlüsse zu ziehen."
Einen Hauptunterschied des Hypnotismus vom gewöhnlichen Schlaf sieht BRAID nämlich darin, daß jener außerordentliche Heilwirkungen in akuten, Besserungen in chronischen Nervenkrankheiten bewirke, ein Gebiet, das er dem der Theorie vorzog und mit Enthusiasmus kultivierte. Eine Übereinstimmung mit dem gewöhnlichen Schlaf bildet dagegen der Mangel an absichtlichen oder überlegten (bewußten) Muskelkontraktionen. Daß bei den letzteren der (willkürliche) Impuls anfangs am stärksten ist und allmählich nachläßt, worauf Ermüdung folgt, ist wieder ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal vom wachen Zustand. Denn in der Hypnose tritt die Katalepsie allmählich zunehmend ein, erreicht und behält lange ein Maximum und es folgt kein Ermüdungsgefühl nach.


b) Phreno-Hypnotismus

Zum Verständnis dieses eigentümlichen Zustandes können zwei Wege führen.
    "Es ist bekannt, daß jede Art Leidenschaft und Emotion im Geist durch Musik erweckt werden kann. Aber wie entstehen sie? Einfach durch die verschiedenen durch ungleiche Geschwindigkeiten, Kräfte, Arten und Kombinationen der Luftschwingungen auf die Hörnerven ausgeübten Effekte, welche wieder dem Gehirn mitgeteilt werden, so daß dieses auf Geist und Körper wirkt, die entsprechenden psychischen und körperlichen Äußerungen erzeugend. Jedermann hat die durch dieses Mittel auf die Physiognomie ausgeübten merkwürdigen Wirkungen wahrnehmen müssen und der kritischere Beobachter muß bemerkt haben, daß bei empfänglichen Individuen auch eine sehr deutliche Änderung der Atmung und Körperhaltung vorhanden ist. Er muß auch erfahren haben, an sich und anderen, wie geneigt wir sind, eine psychisch und physisch sympathisierende Verfassung anzunehmen von denen, mit welchen wir zusammen sind, auch schon während einer temporären Zusammenkunft. Diese physischen Veränderungen scheinen von einem geistigen Einfluß her zu rühren, der von den Augen und Ohren her mitgeteilt und dann von innen reflektiert wurde durch die Atmungs-, Gesichts- und Rückenmarksnerven auf die äußere Gestalt und Miene. Wenn das nun der Fall ist, ist es dann sehr unwahrscheinlich, daß mittels Erregung der Muskeln in der Hypnose, durch Reizung gewisser Nerven, der Eindruck des Gefühls, mit dem so eine Äußerung gewöhnlich verbunden ist, auf das Gehirn reflektiert wird und im Gemüth die entsprechende Leidenschaft oder Emotion erweckt? Ich halte es für höchst wahrscheinlich, daß das die wahre Ursache der  phrenologischen Manifestationen  in der Hypnose ist. Und da es die Eigentümlichkeit dieses Zustandes ist, daß alle Energien der Seele auf die hervorgerufene Emotion konzentriert sind, wird die Manifestation natürlich sehr entschieden. Ich mutmaße, daß das Drücken verschiedener Stellen, durch den mannigfaltigen Nervenbündeln erteilten Reiz, gewisse Gruppen von Muskeln des Gesichts und ganzen Körpers in Tätigkeit setzt und auch die Atmungsorgane beeinflußt; so wird das Gemüt  indirekt  beeinflußt durch die Organe des Gemeingefühls und den Sympathicus, wie Niesen bei einigen hervorgerufen wird, wenn ein zu helles Licht die Sehnerven reizt. Zwei sehr intelligente Patienten, welche teilweise ihr Bewußtsein behielten und bekennen, alles in ihrer Macht getan zu haben, um dem durch die Manipulatioin am Kopf gesetzten Einfluß zu widerstehen, sagen aus, das erste Gefühl sei ein Ziehen der Muskeln des Gesichts gewesen, eine Affektion des Atmens und dann  ein unwiderstehlicher Impuls  so zu tun, wie sie taten, aber warum, das konnten sie nicht sagen."
Ebenso konnten diejenigen Patienten, welche nach der ersten Hypnose nichts von dem Vorgefallenen behalten, aber in der zweiten Hypnose die Erinnerung an die Vorfälle während der ersten vollständig wiedergewonnen hatten, nichts in dieser aussagen, was zum Verständnis ihres Zustandes diente, aber auch nichts was gegen diese Auffassung spräche.

Wenn aber dieselbe nicht für zulässig erachtet werden sollte, dann hat BRAID nur noch eine Meinung als allenfalls befriedigend vorzubringen, daß nämlich "die verschiedenen sensiblen Nervenfasern  direkt  die entsprechenden Punkte des Gehirns erregen und diese wieder die physischen Äußerungen hervorrufen."

Die Magnetiseure behaupten nicht mehr, daß ihr Wille notwendig sei. ELLIOTSON erklärt ausdrücklich 1842, daß er "niemals eine Wirkung durch das bloße Wollen hervorgerufen habe" und fügt hinzu: "Ich habe nie zu der Annahme Grund gehabt (und ich habe unzählige vergleichende Experimente darüber angestellt), daß die Wirkungen meiner Prozeduren durch die größte Willensanstrengung erhöht würden, oder daß sie durch Denken an andere Dinge abnähmen oder dadurch, daß ich versuchte nur ebensoviel Aufmerksamkeit auf das, was ich vorhatte, zu verwenden, als eben zur Fortsetzung der Prozedur notwendig war. Soweit war ich vom Wollen entfernt, daß ich anfangs keine Vorstellung davon hatte, was die Wirkung meiner Prozeduren sein werde." Derselbe magnetisierte sogar erfolgreich, wenn er vorübergehend  vergaß,  was er vorhatte und leugnet eine Sympathie des Patienten mit dem Gehirn des Operateurs. BRAID stimmt ihm in beidem bei und wußte, daß Berührung oder Annäherung unbelebter Objekte ebenso wie die Berührung durch die Finger eines Skeptikers wirken kann.

Dem Einwand, daß die Kopfhaut nicht empfindlich genug sei und nur von Nervenfasern versorgt werde, welche nicht direkt durch den Schädel in das Gehirn gehen, entgegnet BRAID, man kenne den Zusammenhang der sensiblen Nerven (der Haut) des Kopfes mit den verschiedenen Hirnteilen noch nicht genau und wenn sie auch auf Umwegen zu den funktionell differenten Hirnteilen gelangten, so sei eine direkte Beeinflussung doch nicht unmöglich.

Jedenfalls kann, so behauptet er schon 1843 mit großer Entschiedenheit,  weil die Gehirnfunktionen lokalisiert  sind, durch Erregung der in die funktionell ungleichen Hirnteile einmündenden sensorischen Nerven von jedem Teil des ganzen Körpers aus der eine oder andere Hirnteil erregt werden, gleichviel, ob man die Stellen, besonders des Kopfes und Halses, von denen aus häufig dieselben oder ähnliche Äußerungen bei verschiedenen Individuen - durch sanften Druck in tiefer Hypnose - ausgelöst werden, korrespondierende oder sympathische Punkte nennt oder sonstwie den Einfluß der Annäherung und Berührung deuten will.
    "Die hier zu entscheidende Frage ist nicht, wozu Patienten gegen den natürlichen Verlauf dressiert werden können, indem man ihnen ein stärkeres Motiv künstlich beibringt, als der aus dem natürlichen Gefühl entspringende Impuls ist. Was nach dieser Richtung erreicht werden kann, weiß ich nicht, da ich derartige Experimente in Bezug auf den vorliegenden Teil der Frage nicht angestellt habe. Es ist aber allgemein bekannt, daß ich schon seit Dezember 1841 die merkwürdige Gelehrigkeit der Patienten im Hypnotismus hervorhob, welche sie besorgt erscheinen ließ, jedes passende Verlangen, jeden vermuteten Wunsch anderer zu erfüllen. Ich zweifle daher jetzt nicht mehr, daß sie in der Hypnose dressiert werden könnten, entgegengesetzte Neigungen zu äußern, im Einklang mit konventionellen Bestimmungen, gerade wie sie im Wachsein es zu tun gelehrt werden können, daß sie z. B. Weiß schwarz und Schwarz weiß, die Nacht Tag und den Tag Nacht nennten und dgl. in Bezug auf jede Sitte, Redeweise, Handlung.

    "Die eigentliche Frage, welche entschieden werden muß, scheint mir diese zu sein: Können die Leidenschaften und Emotionen und intellektuellen Vermögen im Hypnotismus einfach durch Berührung oder Reibung gewisser sympathetischer Stellen des Kopfes und Gesichts ohne vorherige Kenntnis der Phrenologie [Kopfwissenschaft - wp], Dressur oder Flüstern oder solche suggestive Fragen, welche naturgemäß solche Leidenschaften, Emotionen oder geistige und körperliche "Manifestationen" hervorrufen, sich äußern? Meine eigene Erfahrung berechtigt mich bejahend zu antworten."
Nichtsdestoweniger zweifelte BRAID so sehr, daß er die andere Möglichkeit wiederholt betont und experimentell zu untersuchen sich vornahm, die Möglichkeit, daß gar kein Zusammenhang zwischen den berührten Stellen und den hervorgerufenen Äußerungen stattfindet, daß vielmehr diese ganz auf Assoziationen beruhen, die von irgendeiner unvollständigen Kenntnis der Phrenologie herrühren, von willkürlichen Einrichtungen oder zufälligen Umständen stammen oder von Ursachen, welche gänzlich übersehen oder vergessen worden waren und nachher die Resultate zutage fördern durch "das Gesetz des Geistes, welches bestimmt, daß die Wiederholung einer deutlichen Empfindung die Erneuerung der vergangenen früher mit ihr assoziierten Gefühle mit sich bringt" (HIBBERT).

Eine Frau hatte im Schlafwandeln korrekt lange Bibelstellen Hebräisch und andere Auszüge aus Büchern in Sprachen, die sie nie gelernt hatte, öfters hergesagt, ohne nach dem Erwecken etwas davon zu wissen. Schließlich fand man heraus, daß sie als Mädchen bei einem Geistlichen gewohnt hatte, der die Stellen für sich laut las und den sie hörte.

So, meint BRAID, könnte auch die phreno-hypnotischen Erscheinungen durch unbewußte Assoziation "automatisch" zustande kommen. Zugunsten dieser Auffassung spricht vor allem seine Entdeckung, daß dann die Manipulation jedesmal dem (phrenologisch supponierten) Teil nach dem Berühren entsprach, wenn er vorher dem hypnotischen Patienten "das Vermögen", z. B. Ehrfurcht, genannt und dieser seine Aufmerksamkeit darauf gerichtet hatte. Hier an ein abgekartetes Spiel nicht zu glauben, ist in der Tat schwer für jeden, der keine eigenen hypnotischen Erfahrungen gemacht hat. Wer aber die außerordentliche Macht der Suggestionen kennt, wird darin nichts Unwahrscheinliches finden.

Im gewöhnlichen Schlaf kann unbewußt eine unbequeme Lage mit einer bequemen vertauscht werden. Dabei wird der Muskelzustand Ursache der neuen Bewegung. Beim Hypnotischen kann ähnlich durch eine künstliche Einwirkung auf gewisse Muskeln der Teil des Gehirns in Tätigkeit gesetzt werden, welcher gewöhnlich die Bewegung derselben veranlaßt. "In diesem Fall würde die gewöhnliche Folge umgekehrt werden, indem, was natürlicherweise die Konsequenz ist, eine Ursache der zerebralen und physischen Erregung wird."
    "Man kann sich leicht vorstellen, daß das Hineinlegen einer Feder oder eines Bleistiftes in die Hand die Vorstellung des Schreibens oder Zeichnens erweckt oder daß die Reizung des Wadenmuskels, der uns auf die Zehen stellt, natürlicherweise die Vorstellung des Tanzens erregt, ohne irgendein andere Suggestion, als die aus der Stellung und der Tätigkeit jener Muskeln resultierende, welche natürlicherweise und notwendig beim Ausüben solcher Funktionen tätig sind. Dagegen würde ich gar sehr bezweifeln, daß die Reizung der Beinmuskeln die Vorstellung des Schreibens erweckt oder daß das Hineinleigen einer Feder oder eines Bleistifts in die Hand die Vorstellung des Tanzens erweckt, ohne vorherige Verständigung und Absprache."
Nach demselben Grundsatz faßt BRAID die oben erwähnten auffallenden Wirkungen von künstlicher Muskelreizung im Traumstadium des Hypnotismus auf und geht sogar so weit, anzunehmen, daß die Erregung der Nackenmuskeln die wiegende Bewegung hervorrufend die Vorstellung des Wiegens erzeuge, d. h. sich die Kinderliebe betätigen läßt. "Ein Druck auf den Scheitel, alle Muskeln zur Aufrechterhaltung des Körpers in Tätigkeit setzend, erregt die Vorstellung von unnachgiebiger Festigkeit." Gibt man dem Patienten die gebeugte Stellung, ihm das Atmen etwas erschwerend, dann würden Ehrfurcht und Wohlwollen dargestellt.

Endlich ist noch zu Erklärung des Phreno-Hypnotismus zu beachten, daß viele wegen der erregten und angespannten Gemütsverfassung und gesteigerten Sinnestätigkeit viel leichter Eindrücke von außen erhalten, sich dadurch leichter bestimmen lassen, in gewisser Weise zu agieren und sich in der Hypnose darum wie das willenlose Werkzeug des Operateurs gerieren, ohne es zu wissen.


c) Faszination

Eine dem Hypnotismus nahe verwandte Veränderung des Gehirns, mit Aufhebung des Willens, tritt bei Menschen und Tieren in Augenblicken großer Gefahr ein, sie sind wie "verzaubert" oder "fasziniert". Die Faszination, welche auch künstlich herbeigeführt werden kann, nennt BRAID eine Art  Monodeismus  [Konzentration auf eine Idee - wp]. Wird jemand mondeisiert, so heißen ferner die organischen und physischen Veränderungen, welche eintreten,  mono-ideo-dynamisch . Diese Ausdrücke decken sich nicht mit den lediglich zur Bezeichnung des durch einen unerwarteten starken Sinneseindruck herbeigeführten Zustandes dienenden neuen Namen  Kataplexie  [kurzzeitiger Verlust des Muskeltonus - wp], kataplegisch, da sich letztere nur auf Zustände der Willenlosigkeit  ohne  Bewegungen beziehen.

Monodeismus umfaßt vielmehr den Hypnotismus, die Kataplexie, die Faszination und noch andere Zustände, welche alle eine temporäre Störung der Tätigkeit nervöser Zentren durch eine ungewöhnliche Erregung oder Vorstellung, auf welche die ganze Aufmerksamkeit sich ursprünglich konzentriert hatte, gemeinsam haben.

Die Annäherung des Vogels an die ihn anstarrende Schlange ist für BRAID ein Fall von mono-ideo-dynamischer oder unbewußter Muskeltätigkeit, welche daher rührt, daß  eine  Vorstellung allein herrscht, wie beim Tischrücken.

Wenn die Aufmerksamkeit völlig in Anspruch genommen ist durch eine mit einer Bewegung verbundene Vorstellung, dann wird ein Impuls in die Nerven und Muskeln gesendet, welcher eine entsprechende Bewegung veranlaßt, nicht nur ohne irgendeine bewußte Anstrengung des Willens, sondern in vielen Fällen sogar entgegen dem Willen. Daher scheinen Menschen wie Tiere unwiderstehlich angezogen zu werden oder wie gebannt zu sein. Der Wille liegt darnieder. Das Individuum ist mono-ideisiert oder unter dem Einfluß der herrschenden Vorstellung, so daß es dieser nicht hinreichend Zurückhaltung oder Widerstand entgegensetzen kann. Und beim Vogel und der Schlange ist es zunächst Erstaunen, welches die Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt, dann verursacht Furcht jenen mono-ideo-dynamischen Zustand der Muskeln, welcher unwillkürlich mit der Annäherung und Gefangennahme des Vogels endet. Im Gedränge werden bisweilen einzelne Menschen, wenn sie quer über die Straße gehen zwischen die Wagen hindurch, nicht nur wie gebannt durch ein Gefühl von Gefahr, so daß sie den Ort der Gefahr nicht verlassen können, sondern manchmal scheint es sogar, daß sie gezwungen werden, sich vorwärts in die größere Gefahr zu begeben, welche sie vermeiden wollen und welche Individuen mit der Selbstbeherrschung oder Geistesgegenwart genötigt werden können zu vermeiden, etwa durch einen unglaublichen Sprung, indem ihre gewöhnlichen Kräfte durch das lebhafte Vertrauen zu ungewohnter Höhe steigen, das sich ihrer bemächtigte, sie würden die Fähigkeit haben, eine solche Leistung zu vollbringen.

Dasselbe Prinzip gilt für das Tischdrehen, welches viele täuschte, indem sie glaubten, der Tisch ziehe sie, während sie ihn selbst schoben oder zogen, ohne es zu wissen. So können auch einzelne Menschen unabsichtlich in Abgründe springen, sich von Türmen herabstürzen usw.

Hier, wie beim Huhn im  Experimentum mirabile  wird durch das Vorherrschen einer einzigen Vorstellung oder Fixierung der Aufmerksamkeit, die kontrollierende Kraft, der  Wille außer Tätigkeit gesetzt. (Dasselbe ist der Fall, wenn ein Wandervogel, z. B. ungemein scharfsichtige und scharfhörende kanadische Wildgans, durch Schiffe oder Lärm erschreckt, die Fassung verliert, wie AUDUBON berichtet und gegen den Leuchtturm bei hellem Tage anstürmt oder hunderte von Meilen wieder zurückfliegt oder sich zu Boden setzt, wo sie "verdutzt" sich widerstandslos ergreifen läßt. Ähnlich die Motte, welche in die blendende Flamme einer Kerze fliegt.


Die hypnotischen Wunderkuren

Nur mit dem Ausdruck "Wunderkuren" lassen sich die zahlreichen, zum Teil unglaublich klingenden, von BRAID beschriebenen, durch viele Atteste belegten hypnotischen Heilungen bezeichnen. Wäre der von vornherein und noch im Jahre 1841, also etwa in seinem 46. Lebensjahr, gegen den tierischen Magnetismus eingenommene treffliche Arzt und Wundarzt nicht ein so nüchterner Beobachter und kritischer Kopf gewesen, auch als er später den Hypnotismus praktisch verwertete, dann würde man ebenso über seine Wunderkuren zur Tagesordnung übergehen, wie es bei den Scheinkuren der Mesmeristen geschah. Der Braidismus ist aber etwas ganz anderes. BRAID verfährt methodisch. Jedem einzelnen Krankheitsfall wird die Art des Hypnotismus rationell angepaßt, was der Arzt leicht erlernt. Er steigert hier die Erregbarkeit, setzt sie dort herab, läßt hier die Muskeln sich zusammenziehen, dort erschlaffen, im einen Fall das Blut schneller, im andern langsamer strömen, den Erschöpften, von Schmerzen gequälten, bald lange, bald kurz, tief oder leise schlafen. Er gewinnt den größten Einfluß auf seine Patienten durch Suggestionen.

Hier ist der Lethetrunk, welcher nicht nur den Jammer des Tages und der Nacht in Vergessenheit hüllt, sondern oft die schlimmsten Leiden ganz und gar beseitigt! Dadurch, daß man ohne weiteres immer wieder und wieder sagte: "Das ist nicht wahr!" wird an der Notwendigkeit die behaupteten, teils beglaubigten, teils zweifelhaften Heilungen aufs neue durch die Erfahrung zu prüfen, nichts geändert. Die Wunderdoktoren haben viel Zulauf und wirkliche Erfolge; beruhen diese nicht zum Teil darauf, daß sie ihre Patienten hypnotisieren? Der wissenschaftliche praktische Arzt hypnotisiert nicht gern, weil er während seines vier- oder fünfjährigen akademischen Studiums fast nichts über den Hypnotismus gelernt hat und fürchtet für einen Quacksalber gehalten zu werden, wenn er so wie der Wunderdoktor verführe, sei es auch nur in  einem  Fall. Das ist der wahre Grund des Mißerfolgs BRAIDs gewesen und ist immer noch der durchschlagenden Grund dafür, daß man die Kranken lieber mit Morphium behandelt, als sie hypnotisiert, um ihre Schmerzen zu lindern. In Wahrheit aber ist das was man in ärztlichen Kreisen psychische Behandlung nennt, zum Teil nichts anderes, als was BRAID unter Suggerieren oder suggestiver Therapie versteht. Hat erst der Arzt den Glauben an seine Kraft erweckt, sich das volle Vertrauen des Patienten erworben, dann erzielt er viel mehr Heilungen durch Befehle, Überredungen, Ablenkung der Aufmerksamkeit des Kranken von sich selbst und Erweckung freundlicher und beruhigender Vorstellungen auch ohne zu hypnotisieren, als durch Rezepte.

Die Regeln, wie zwecks Behandlung Kranker während der Hypnose zu verfahren sei, um die Atmungs- und Pulsfrequenz zu steigern oder herabzusetzen, um krampfhafte Muskelkontratkonen zu lösen, untätige Nerven und Muskeln zu erreigen usw., sind von BRAID für einzelne Krankheitsfälle aufgrund eigener Erfahrungen genau angegeben worden.

Die Anzahl der pathologischen Zustände, welche von ihm  durch Hypnotisieren allein,  teils ganz beseitigt, teils erheblich gebessert wurden, ist groß. Es gehören dahin nach den sorgfältigen kasuistischen Belegen: Schwachsichtigkeit, Schwerhörigkeit, Anosmie [Fehlen des Geruchssinns - wp], Tic douloureux [Trigeminusneuraligie, schmerzhafte Reizung des 5. Hirnnerven - wp], Anästhesie, Gedächtnisschwund, Muskelschwäche, Facialisparese [Gesichtslähmung - wp], Kontrakturen, hemiplegische Lähmungen, Aphonie [Stimmlosigkeit - wp], Rheumatismus, Kopfschmerzen, Muskelschmerzen, Chorea, Stottern, Epilepsie, Neuralgien, Zahnschmerzen, Spasmen, Zittern, Schlaflosigkeit, Verdauungsstörungen und einige Frauenkrankheiten.

Daß öfters am krankhaften Zustand durch wiederholtes Hypnotisieren nichts geändert wurde, nimmt den Heilerfolgen, namentlich der dauernden Beseitigung heftiger Schmerzen der verschiedensten Art in sehr zahlreichen Fällen nicht von ihrem Wert.

Von praktischer Wichtigkeit ist ferner die schon erwähnte schmerzstillende Wirkung des Hypnotisierens bei Operationen, z. B. beim Zahnziehen. Einige Patienten hatten dabei gar keinen Schmerz, andere einen so unbedeutenden, daß sie nicht wußten, ob ein Zahn gezogen wurde oder nicht.

Bei anderen chirurgischen Operationen zieht jedoch für England BRAID das Chloroformieren als sicherer und schneller wirkend vor, wenn das Chloroform ganz rein ist.

Für diejenigen, welche meinen, BRAID sei nur einer der gewöhnlichen Magnetiseure gewesen, die sich selbst nicht magnetisieren ließen, ist noch hervorzuheben, daß er im Jahre 1844 von den heftigsten rheumatischen Schmerzen drei Tage lan und drei schlaflose Nächte hindurch gequält, sich mit ausgestreckten Extremitäten in Gegenwart zweier Freunde hypnotisierte, die ihn nach 9 Minuten weckten. Die Schmerzen waren verschwunden, was ihn trotz seines Glaubens an die Heilkraft des Hypnotismus selbst überraschte, weil sie so überaus heftig und anhaltend gewesen waren und er nur eine Abnahme, nicht ein völliges Aufhören derselben erwartet hatte. Nach einer Woche erschien der Rheumatismus wieder, aber nach nochmaliger Hypnose innerhalb acht Jahren nicht mehr. Während der Hypnose hatte BRAID das Bewußtsein nicht ganz verloren, woraus er schon damals folgerte, daß zu Heilzwecken die Herbeiführung der Katalepsie nicht jedesmal erforderlich sei.

Auch andere Ansichten BRAIDs über die Beteiligung der Einbildungskraft und sonstiger psychischer Erregung bei Erzielung der beispiellosen Heilerfolge sind bemerkenswert:
    "Manche werden geneigt sein, die wohlbekannte Tatsache heranzuziehen, daß mannigfaltige Leiden plötzlich geheilt worden sind durch eine rein geistige Erregung, in der Hoffnung, dadurch die Heilwirkungen des Hypnotismus zu diskreditieren. Indem ich die Prämisse zugebe, leugne ich die Berechtigung des Schlusses. Ein Marine-Offizier war durch einen heftigen Gichtanfall völlig unfähig sich zu bewegen und längere Zeit an seine Kabine gebunden, als er benachrichtigt wurde, daß das Schiff brennt. In wenigen Minuten war er auf Deck und der tätigste Mann an Bord. Eine Frau, seit vielen Jahren gelähmt, erhielt den Gebrauch ihrer Glieder wieder, als sie während eines Gewitters sehr erschrocken war und heftige Versuche machte, aus einem Zimmer zu entfliehen, in welchem man sie allein gelassen hatte. Ein Mann in derselben Weise affiziert, war ebenso plötzlich wiederhergestellt, als sein Haus in Brand geriet; ein anderer, seit 6 Jahren krank, erhielt den Gebrauch seiner gelähmten Gliedmaßen wieder während eines heftigen Zornanfalls.

    "Diesen Fällen könnte man den Einfluß des Anblicks einer Zange oder eines Schlüssels hinzufügen oder nur den der Annäherung an das Haus eines Zahnarztes, auf die Heilung von Zahnschmerzen."

    "Welcher Schluß darf aus solchen Fällen gezogen werden? Ist es nicht einfach dieser, daß solche Resultate  möglich sind,  und daß sie durch  verschiedene Mittel  erzielt werden können? Da es nun offenkundig ist, daß ähnliche Resultate durch den Hypnotismus herbeigeführt werden können, so möchte ich fragen, ob nicht der Hypnotismus ein ebenso passendes und erwünschtes Heilmittel ist, wie etwa den Patienten in einen heftigen Zorn-Paroxysmus [Anfall - wp] zu versetzen?"

    "Und diejenigen, welche so viel von der Macht der Einbildungskraft sprechen, möchte ich fragen: was ist sie? Wir wirkt sie, um solch außerordentliche und widersprechende Resultate herbeizuführen? Zum Beispiel, Freude und Trübsal, Liebe und Haß, Furcht und Mut, Wohlwollen und Zorn, sie können nämlich sämtlich sowohl aus  wirklichen,  wie aus  eingebildeten Ursachen allein  entstehen und können ernstlich die Physis affizieren. In vielen Fällen haben sich diese verschiedenen und entgegengesetzten Emotionen fast sofort als verhängnisvoll, in anderen als heilsam erwiesen. Wie kommt das zustande? Werden nicht sämtliche Emotionen von auffallenden physischen Veränderungen begleitet, welche sowohl die Respiration und Zirkulaton, als auch die Sensibilität betreffen? Sind erstere nicht in der einen Klasse erheblich gesteigert, in der anderen herabgesetzt? Und kann nicht hierin die nächste Ursache der dauernden günstigen Wirkungen des Hypnotiseurs liegen? Wie schon dargetan wurde, können analoge physische Resultate durch den Hypnotismus erzielt werden; und darin liegt kein triftiger Grund, ihn nicht bei der Behandlung von Krankheiten zu verwenden, daß wir nicht entschieden seinen  modus operandi  [Verhaltensweise - wp] angeben können. Es scheint ganz einleuchtend, daß wir durch das Hypnotisieren eine schnellere und zuverlässigere Beherrschung der erwähnten physischen Erscheinungen erlangt habe, als durch irgendeine der bis jetzt angeratenen Verfahrensweisen auf die Einbildungskraft einzuwirken".
Aus mehreren Beobachtungen ergibt sich sogar, daß die tätige Phantasie selbst bei leicht hypnotisierbaren Individuen die Herbeiführung eines Zustandes der Schmerzlosigkeit verhindert, wenn nämlich der Patient sich die Schrecknisse der Operation vorher ausmalt.


Schlußfolgerungen

BRAID selbst formuliert einige Resultate, zu denen er gelangte (1843), kurz folgendermaßen:
    1) Die anhaltende Fixierung des geistigen und körperlichen Auges in der angegebenen Weise und mit den hervorgehobenen begleitenden Umständen, bewirkt einen neuen Zustand des Nervensystems, welcher mit einer Schläfrigkeit einhergeht und mit einer Tendenz, je nach dem Verfahren, mannigfaltige weder beim gewöhnlichen Schlaf noch beim Wachsein vorhandene Erscheinungen entstehen zu lassen.

    2) In diesem Zustand ist die Erregbarkeit aller Sinnesorgane, außer der des Sehorgans bedeutend erhöht und die Muskelkraft erheblich gesteigert, jedoch nur anfangs; nachher werden die Sinne in einem höheren Grad abgestumpft, als im natürlichen Schlaft.

    3) In diesem Zustand haben wir die Macht in bemerkenswertem Grad nach unserem Willen, lokal oder allgemein, die Nervenerregungen zu dirigieren oder zu konzentrieren, zu steigern und herabzusetzen.

    4) In diesem Zustand können wir in überraschender Weise die Kraft und Frequenz der Herztätigkeit und die Zirkulation, lokal oder allgemein, steigern oder herabsetzen.

    5) In diesem Zustand können wir den Muskeltonus und die Muskelkraft in erheblichem Grad regulieren und kontrollieren.

    6) So erhalten wir auch das Vermögen schnelle und wichtige Veränderungen im Zustand des kapillaren Blutkreislaufs herbeizuführen und die Absonderungen und Ausscheidungen des Körpers zu ändern, wie chemische Prüfungen beweisen.

    7) Diese Macht kann zur Heilung mannigfaltiger Krankheiten dienen, welche sehr schwer zu behandeln oder völlig unheilbar waren bei gewöhnlicher Behandlung.

    8) Dieses Agens kann dazu dienen, den Schmerz der Patienten bei chirurgischen Operationen zu lindern oder ganz zu beseitigen.

    9) Während des Hypnotismus können wir durch Berührung gewisse psychische und körperliche Äußerungen veranlassen je nach den berührten Teilen.

Schicksale der Entdeckungen Braids

Alle diese Behauptungen sind mehr oder weniger lebhaft angegriffen worden und BRAID hatte, solange er lebte, Angriffe, Verdächtigungen und Verleumdungen zu ertragen. Doch wurde ihm noch kurz vor seinem Tod die Freude zuteil, daß berühmte Pariser Ärzte, namentlich BELPEAU und BROCA, sich seiner annahmen, nachdem AZAM seine Entdeckungen in umfassender Weise bestätigt hatte. Im Jahre 1860 stellten bereits viele Ärzte hypnotische Versuche mit ungleichen Erfolgen an.

Das gedruckte Hauptwerk aus dem Jahr 1843 sollte zwar neu aufgelegt und 1860 in das Französische übersetzt werden (bei MASSON), aber es geschah weder das eine noch das andere. So wurde das Buch mi dem wenig einladenden Titel (Neurypnology) bald vergessen. Wenigstens hat bis 1880 von britischen Physiologen außer CARPENTER (1853) und BENNETT (1859) keiner sich die Mühe genommen, den Braidismus experimentell zu untersuchen, worauf es in erster Linie ankommt. Daher sei hier noch angegeben, wie es zuging, daß BRAIDs Entdeckungen endlich in Deutschland in physiologischen Laboratorien auftauchten.

Es ist das Verdienst des durch Einführung des Kehlkopfspiegels in weite Kreise bekannten, im September 1873 verstorbenen Physiologen J. N. CZERMAK, Ende 1872 an Tieren hypnotische Experimente methodisch zuerst angestellt zu haben. Er wurde in Karlsbad durch einen Kurgast dazu angeregt, der ihn fragte, ob er jemals vom Magnetisieren der Krebse etwas gehört habe. Im Februar 1873 erschien eine kurze Mitteilung von mir, die den Hypnotismus in CZERMAKs Versuchen nicht als Schlafzustand, sondern als Wirkung des Erschreckens der ergriffenen Tieren aufgrund eigener Experimente hinstellte. Dann begründete sich (1877) in meiner Schrift "Die Kataplexie und der tierische Hypnotismus" (Jena 1878) diese Ansicht auch gegen HEUBEL näher. Letzterer hatte nämlich (1876) behauptet, es handle sich bei den Tieren nur um gewöhnlichen Schlaf, nicht Kataplexie und nicht Hypnose.

Inzwischen waren von CHARLES RICHET in Paris 1875 zahlreiche hypnotische Versuche an Menschen angestellt worden, welche die größte Ähnlichkeit mit denen BRAIDs haben. Aber RICHET, dessen Werke damals nicht kennend, behauptet, BRAID habe nur ältere Versuche wiederholt, was nicht der Fall ist. Nun folgt CHARCOT (1878), der in verschiedener Weise, auch durch bloßes Anstarren, Nervenkranke hypnotisierte und viele neue Tatsachen entdeckte, aber gleichfalls von BRAID damals nicht viel wußte.

In Deutschland erregten CHARCOTs Beobachtungen enormes Aufsehen, doch wurden erst, als ein dänischer Kaufmann, namens HANSEN, öffentlich, zum Teil genau so wie 30 Jahr früher DARLING und STONE in England es getan hatten, hypnotische Vorstellungen gab, Naturforscher veranlaßt Experimente am Menschen anzustellen zunächst darüber, ob ein physischer Einfluß vom Operateur ausgehe oder nicht, was BRAID schon 1843 und 1846 verneint und experimentell entschieden hatte. Der Physiker WEINHOLD (1879), dann der Physiologe HEIDENHAIN (Anfang 1880) und eine Reihe von anderen namhaften Breslauer Medizinern, besonders O. BERGER, stellten zahlreiche Versuche an, ohne damals, wie aus ihren Schriften hervorgeht, BRAIDs Werke im Original zu kennen. Die Gesamtheit dieser mühevollen Untersuchungen hat bezüglich des Verständnisses der Erscheinungen nicht viel weiter geführt als BRAIDs Arbeiten, welche in allen wesentlichen faktischen Punkten durch dieselben bestätigt worden sind. Sogar die am meisten bestrittene Heilkraft des Hypnotismus hat wieder in streng wissenschaftlichen Kreise genau im Sinne BRAIDs Vertreter gefunden, wie z. B. folgende Parallele beweist.

Braid 1843
"Im Ganzen halte ich es für sehr wichtig, die Kenntnis erlangt zu haben, wie diese Effekte hervorgebracht, allgemein angewandt und mit Vorteil benutzt werden können zum Heilen von Krankheiten, auch wenn wir niemals die nächste Ursache oder das Prinzip feststellen sollten, wodurch wir unsere Wirkungen hervorbringen. Wer kann sagen, wie oder weshalb Chinin und Arsen das Wechselfieber heilen? Es ist nichtsdestoweniger wohlbekannt, daß sie es tun und sie werden demgemäß verschrieben."

"Während ich sicher bin, daß wir hierin ein wichtiges Heilmittel für eine gewisse Gruppe von Krankheiten erlangt haben, wünsche ich es durchaus nicht als Universalmittel aufgestellt zu sehen. Ich halte dafür, daß es imstande ist, bei  kritischer  Anwendung viel Gutes zu schaffen. Krankheiten zeigen total verschiedene pathologische Zustände, und die Behandlung muß entsprechend variieren. Wir haben daher kein Recht, in dieser oder irgendeiner anderen Behandlung ein Universalmittel zu erwarten."
O. Berger 1880
"Wenn ich von  magnetischen Kuren  Günstiges berichtet habe, so dürfte ich wohl auf die Zustimmung aller Praktiker rechnen, wenn ich behaupte, daß es mir als Arzt zunächst ganz gleichgültig ist, in welcher Weise und auf welchem Weg sich die vorgenommene therapeutische Prozedur als wirksam erweist; ebensowenig, wie wir uns von der Verordnung eines Medikaments abhalten lassen, auch wenn uns das  Wie  seiner physiologischen Wirksamkeit unbekannt geblieben ist."

Die moralische Behandlung zahlreicher Nervenkranker scheint mir durch die hypnotischen Versuche in ein neues Stadium gerückt; sie muß in geeigneten Fällen gewissermaßen zur Methode erhoben werden. Bei streng  individualisierter  Modifikation derselben wird die Praxis des wissenschaftlich gebildeten Arztes dann mindestens ebensoviele  Wunderkuren  zu verzeichnen haben, wie die Schar der zahllosen Heilkünstler täglich zu berichten weiß."

Solche Parallelen lassen sich in Menge ziehen, wenn man die neuen Schriften über den Hypnotismus mit den alten im Original sehr wenig gelesenen, zum Teil in Deutschland unbekannten von BRAID vergleicht.

Vielleicht geht die Zeit an, in der die hypnotische Behandlung einzelner Krankheiten, wie es BRAID aussprach, sich als eine der größten Erleichterungen des Loses der leidenden Menschheit erweisen wird. Hauptsächlich kommt es dabei auf verständige Suggestionen an.

Wenn man freilich die neuesten Schriften über den Hypnotismus liest, so gewinnt man leich die Überzeugung, daß die ärztliche Verwertung des Braidismus noch wenig Anklang findet. Als ich, einer ehrenvollen Aufforderung der  British medical Association  folgend, in der physiologischen Sektioni derselben zu Cambridge am 12. August 1880 eine Diskussion über den Schlaf und den Hypnotismus mit Demonstrationen eröffnet hatte, zeigte sich zwar ein unverkennbares Interesse für die Angelegenheit auch unter den praktischen Ärzten und es war erfreulich, zu konstatieren, daß BRAIDs Arbeiten, welche 38 Jahr früher die "British Association for the advancement of science" nicht zum Vortrag zuließ, allgemeine Zustimmung fanden; aber der Schritt von der akademischen Billigung des Verfahrens zur Ausübung desselben wird wohl noch darauf zu warten haben, daß die Patienten selbst ihre Ärzte bitten sich in ihrer Gegenwart hypnotisieren zu dürfen. Denn daß nur unter verantwortlicher ärztlicher Aufsicht das Hypnotisieren vorgenommen werde, halte ich mit Professor Dr. HERMANN FRIEDBERG und aus denselben Gründen wie dieser, für notwendig, seit ich Mißhandlungen öffentlich hypnotisierter Individuen beigewohnt habe. Wenn der Operateur sich auf den Leib des zwischen zwei Stühlen befindlichen Hypnotisierten stellt, so ist das Verfahren ganz richtig von der Wiener medizinischen Fakultät als eine Brutalität gebrandmarkt worden.


Gegenwärtiger physiologischer Standpunkt

In Bezug auf den theoretischen Teil der Untersuchungen darf glücklicherweise schon jetzt behauptet werden, daß BRAIDs Wunsch erfüllt ist. Er hegte trotz des  odium mesmericum  und des  odium theologicum,  welche vereinigt seiner Sache zäh anhafteten, 1855 die zuversichtliche Hoffnung, daß die Zeit, der große Reformator, schließlich ihr Urteil zugunsten seiner psycho-physiologischen Lehre abgeben werde.

In unzweideutiger Weise ist dieses geschehen. Kein Physiologe, der selbst experimentiert hat, nimmt jetzt noch an, daß von ihm auf die Patienten ein "magnetisches Fluidum" oder dergleichen überströme, jeder wird nach gewissenhafter Prüfung der Experimente BRAIDs ihm schließlich auch darin bestimmen müssen, meine ich, daß für die Herbeiführung der Hypnose unbedingt eine einseitig anhaltenden Konzentration der Aufmerksamkeit notwendig ist. Daß dagegen nicht, wei die meisten annehmen, die Kenntnis des Hypnotismus, die Erwartung seines Eintritts, die Erregung der Phantasie, der Glaube an die Macht des Operateurs oder die Gegenwart und der Wille des letzteren  notwendig  sind, folgt aus BRAIDs vorstehend mitgeteilten und vielen neueren Erfahrungen. Ich habe völlig Ungläubige, welche jedoch versprechen mußten, streng die Vorschriften zu befolgen, ebenso hypnotisiert, wie Gläubige, auch solche, bei denen ich selbst schon alle Hoffnung auf Erfolg aufgegeben hatte. Ich habe einzelne allein in einem dunklen Zimmer mit ausgestreckten Armen einen elektrischen Funken oder eine kleine Flamme anstarren lassen und vorzügliche Resultate erzielt, auch durch bloßes Ansehen den Patienten, der über die Prozedur anfangs lachte, aber in meine weit offenen unbewegten Augen sehen mußte, hypnotisiert. Hierbei geschah es sogar einmal, daß ich selbst einen Augenblick fast die Augen nicht mehr offen halten konnte, aber in eben diesem Moment schlossen sich die des Patienten, wodurch der Eintritt des hypnotischen Zustandes bei mir durch Ablenkung der Aufmerksamkeit wahrscheinlich noch eben verhindert wurde.

Nur solche (gesunde) Individuen, welche ohne die geringste Kenntnis des Hypnotismus, wie der Diener BRAIDs, durch Starren zu einem anderen ihnen vorgespielten Zweck hypnotisch gemacht werden könnten, habe ich trotz vieler Bemühungen bis jetzt nicht zur Beobachtung erhalten, weil eben die meisten schon etwas vom Hypnotismus wissen. Doch wird diese Lücke einigermaßen ausgefüllt durch die Erfahrungen der Photographen, welche mir versichern, daß öfter die photografierten Individuen, nachdem längst die negative Platte präpariert und das Bild fixiert worden war, noch genau in der früheren Position sitzen bleiben, regungslos und geistesabwesend, so daß sie förmlich geweckt werden müssen. Hier ist keine Erwartung der Hypnose, kein Glaube, keine Phantasie tätig gewesen, sondern der hypnotische Zustand nach einseitiger Konzentration der Aufmerksamkeit in ganz anderer Richtung eingetreten, wie bei dem Diener. Der letztere wurde - so erzählte mir Dr. BRAID, der Sohn, welcher bei dem Versuch zugegen war - angewiesen, darauf zu achten, ob ein Flämmchen aus der Flasche hervorkomme oder nicht.

Beim ersten Versuch, den BROCA (1859) anstellte, ließ er eine 40-jährige (ein wenig hysterische) Dame ein vergoldetes Fläschen anstarren, indem er sie glauben machte, er wolle nur ihre Augen untersuchen. Nach etwa 3 Minuten war sie hypnotisiert und wurde kataleptisch.

Es kann in der Tat nicht bezweifelt werden, daß hochgradie Hypnose nur durch ungewöhnliche einseitige Anspannung der Aufmerksamkeit zustande kommt. Wie? ist die Frage.

Durch BRAIDs beiläufige Bemerkung, er halte die mangelhafte Arterialisation des Blutes für die Ursache des Hypnotismus und des natürlichen Schlafes, wird dieselbe nicht beantwortet, da er nicht angibt, warum denn weinger Sauerstoff im Blut sein soll. Aber was schon A. E. DURHAM in seiner berühmten Abhandlung über die Physiologie des Schlafes 1860, dann 1871 OBERSTEINER in Wien und BINZ in Bonn im Jahre 1874 aussprachen, kommt hier wesentlich in Betracht, daß nämlich die Ganglienzellen des Gehirns, im wachen Zustand die geistigen Vorgänge vermittelnd, ermüden, sich chemisch verändern und gewisse Ermüdungsprodukte liefern - wahrscheinlich zum Teil Säuren - welche die Unterbrechung der höheren Gehirnfunktionen. d. h. den natürlichen Schlaf, herbeiführen. Ich habe unabhängig davon im folgenden Jahr und 1876 die Theorie aufgestellt und durch Versuche gestützt, daß die Ermüdungsstoffe als leicht verbrennliche Produkte der Ganglienzellen- und Muskel-Aktion, wie z. B. die Laktate, dem Blut im Gehirn beim Einschlafen und im Schlaf den zum Wachsein erforderlichen Sauerstoff rasch entziehen. Im Jahre 1880 stellte ich ferner die Ansicht als wahrscheinlich hin, daß bei den Hypnotischen  durch die ungewöhnliche anhaltende einseitige Anspannung der Aufmerksamkeit lokal im Gehirn eine sehr rasche Anhäufung von Ermüdungsstoffen stattfindet,  welche dem eben den einen (nicht in jedem Fall denselben) Hirnteil versorgenden Blut den Sauerstoff rasch entziehen. Da sauerstoffreiches Blut im Gehirn zum Wachsein erforderlich ist, so würde da, wo er fehlt, die das Wachsein charakteristische Gehirntätigkeit ausfallen und demnach wäre  der Hypnotismus ein partieller Schlaf,  wie der Schlaf des Nachtwandlers.

Nicht nur der alte Satz ist wahr, daß durch die willkürliche Richtung des Denkens auf ein Objekt, welche immer sehr anstrengend ist, alle anderen geistigen Tätigkeiten beeinträchtigt werden, sondern auch der neue, daß durch Wegfall eines Teils der Gehirnfunktionen die übrigen gesteigerte werden können. Letzteres ist in gewissen Formen der Hypnose der Fall.

Auch die ungleiche Hypnotisierbarkeit der Menschen, welche gleichmäßig gewissenhaft die Vorschriften befolgen, mögen sie nun glauben oder nicht glauben, wollen oder nicht wollen, erregt oder ruhig sein, erhält durch meine Auffassung eine natürliche Erklärung. Denn diejenigen, welche die Entziehung des Sauerstoffs bei der Ermüdung gewisser Hirnteile nach dem Starren oder sonstigen Anspannen der Aufmerksamkeit leicht durch reichliche und rasche Zufuhr von frischem Blut neutralisieren, werden darum nicht hypnotisch, weil die Ermüdungsstoffe rasch oxidiert und entfernt werden, also das Wachsein nicht hindern. Diejenigen aber, welche die rasche Abnahme des Sauerstoffs durch eine schnelle Anhäufung von Ermüdungsprodukten in gewissen Hirnteilen nicht kompensieren können (durch gesteigerte Blutzufuhr oder beschleunigte Wegschaffung derselben), werden das partielle Einschlafen, d. h. den Ausfall gewisser Hirnfunktionen und zwar gerade der höchsten, nicht verhindern können, sie werden hypnotisch. Auch beim gewöhnlichen Schlaf sind es die höchsten psychischen Tätigkeiten, welche zuerst erlöschen, dieselben, welche dem Kind mit seinen unentwickelten Gehirn fehlen. In der Tat verhalten sich wache Kinder oft ganz wie hypnotische Erwachsene, wenn sie sinnlos nachahmen, gehorchen, sich einreden lassen, sie seien nicht hungrig, nicht müde, wenn sie es doch sind und und wohlschmeckende Speisen seie unschmackhaft usw.

Doch ist auch bei geistesschwachen Erwachsenen im wachen Zustand manchmal Ähnliches zu beobachten. Die allergrößte Ähnlichkeit mit Hypnotischen bieten aber manche Schlafende dar, an welchen ich Beobachtungen von derselben Art, wie an Hypnotisierten, machte. Nicht alle Schlafenden werden bekanntlich, wenn man sie nach mehrstündigem Schlaf leise anredet, wach. Manche geben sogar deutliche Antworten auf Fragen, ohne zu erwachen und ohne nach dem Aufwachen etwas davon zu wissen oder bei sofortigem Wecken mit einer unklaren Erinnerung. Solche (weibliche) Individuen habe ich, während sie schliefen, auch dadurch zum Sprechen gebracht, ohne sie zu wecken, daß allerlei osmische, akustistische, taktile, thermische Eindrücke künstliche hervorgerufen wurden. So geschah es z. B., daß die Benetzung der Oberlippe mit einem Tropfen Wasser die Äußerung: "O meine Nase blutet!" zur Folge hatte. Ein Blasen gegen den Kopf bewirkte die Bedeckung desselben mit der Decke und einen Ausruf in dem "Wind - Fenster zumachen" - deutlich waren und so vieles andere. Einmal hörte ich zu meiner Überraschung, wie eine fest schlafende Frau, welche niemals hypnotisiert worden war, als ihr Kind in ihrer Nähe in ungewöhnlicher Weise laut durch die Nase ausatmete, damit aber sogleich wieder aufhörte, in genau derselben Weise einige Male ihre Stimme ertönen ließ, ohne nach dem Erwachen das Geringste davon zu wissen. Und doch waren die eigentümlichen Laute nie zuvor geäußert worden und denen des Kindes vollkommen ähnlich.

Solche mit den unbewußten Nachahmungen Hypnotischer identische Erscheinungen zeigen, wie nahe verwandt der natürliche Schlaf und der Hypnotismus sein können. Der erstere Zustand ist ebensowenig wie der letztere ein sich immer gleichender; abgesehen von seiner wechselnden Tiefe und Dauer, von seinen Symptomen, variiert er namentlich darin, daß nicht alle Teile des Großhirns zugleich ruhen, dann doch einige leichter als andere wieder in Tätigkeit geraten können. Umgekehrt beim Einschlafen. Da werden einige Hirnteile leichter funktionslos als andere. Welche? hängt jedenfalls von den äußeren Umständen, unter denen man einschläft, mit ab. Doch ist für den gewöhnlichen Schlaf ein festeres Schlafen der motorischen Zentren im Vergleich zu den sensorischen gewiß; beim Nachtwandler schlafen die ersteren leiser als normal, so daß auch Traumvorstellungen schon wirkliche Bewegungen und Ortsveränderungen des ganzen Körpers verursachen.

Auch bezüglich der ungleichen Disposition, hypnotisch zu werden, kommt nach meinen Erfahrungen an ganz Gesunden mindestens ebenso viel auf die Art des Verfahrens, als auf eine angeborene oder konstitutionelle Beschaffenheit, sogenannte Individualität an und ich halte es für ganz ungerechtfertig, zu behaupten, eine pathologische oder psychopathische Prädisposition sei in jedem Fall notwendig, um die Hypnose eintreten zu lassen. Sie ist ihr nur günstig. Nicht die schlechterdings nicht zu hypnotisierenden, sondern die hypnotisierbaren Menschen bilden die Majorität. Und wenn man bis jetzt das Gegenteil fast allgemein behauptet hat, so beruth dieser Irrtum darauf, daß man nicht mit der notwendigen Sorgfalt alle und jede Übertretung der erforderlichen Vorschriften verhütete. Die Tatsache der individuell ungleichen Resistenz des Gehirns gegen Sauerstoffentziehung (Luftmangel) ist für Menschen und Tiere derselben Art erwiesen. Sie kommt aber nicht einmal zuerst in Betracht, sondern zuer ist festzustellen, daß die angeblich nicht hypnotisierbaren Menschen sämtlich genau die Vorschriften befolgt haben.

Von zwölf gesunden, eigens hierauf geprüften jungen Männern, welche niemals hypnotisierte worden waren, der Mehrzahl nach Studierende aller Fakultäten, wurden an verschiedenen Tagen unter meinen Augen in meinem Laboratorium nicht weniger als neun hypnotisch und zwar einzeln. Dieser hohe Prozentsatz ist aber keineswegs auffallend. Er würde wohl noch höher sein, wenn die drei nicht Hypnotisierten öfter geprüft worden wären. Vielmehr beruth er darauf, daß ich in jedem einzelnen Fall mit der größten Strenge darauf achtete, die Vorschriften BRAIDs in keinem Punkt unbefolgt zu lassen. Der statistisch geringere Erfolg anderer hat wahrscheinlich seinen Grund darin, daß die Augen bewegt wurden, die Aufmerksamkeit erlahmte, Nebengedanken entstanden, nicht in konstitutioneller geringerer Hypnotisierbarkeit oder hysterischer Anlage. Es gibt in der Tat nur wenige Männer und wahrscheinlich, wie RICHET betont, keine Frau, welche nicht nach wiederholten "Sitzungen" hypnotisiert werden könnten. Einen facettierten Glasknopf oder einen ideellen Punkt zehn Minuten lang regungslos anstarren, ohne an etwas anderes zu denken, das erfordert Übung und gelingt nur selten das erste Mal. Wenn aber trotz der gewissenhaften und konsequenten Richtung des Geistes auf ein Objekt während 30 bis 40 Minuten, trotz absoluter Enthaltung aller Nebengedanken und Augenbewegungen und trotz des Wunsches, hypnotisch zu werden, bei völliger Körperruhe keine Hypnose eintritt, wie es bei einigen wenigen auch nach vielen Sitzungen der Fall war, so erscheint eine solche Tatsache vom Standpunkt der Ermüdungstheorie aus interessanter, als die zahlreichen positiven Fälle. Denn hier wäre wohl eine große Resistenz des Gehirns gegen Sauerstoffentziehung anzunehmen.

Die sehr reichliche Tränenabsonderung, die Bindehautentzündung, die häufigen Schluckbewegungen, die Änderungen der Hauttätigkeit, der Atmung und des Pulses, die subjektiven Gefühle von Brennen und Schmerz in den Augen, welche bei derartigen Fixier-Experimenten von mir regelmäßig beobachtet wurden, auch an mir selbst, beweisen, wie stark die anhaltende Konzentration eines Sinnes physisch wirkt, aber die  größere Tiefe und längere Dauer des gewöhnlichen Schlafes  in der Nacht nach einem solchen selbstquälerischen Versuch zeigt, daß die Ermüdung keine geringe gewesen sein kann. Ich habe diese Beobachtung an mehreren vollkommen zuverlässigen Männern gemacht, die sich selbst darüber wunderten, daß sie, nachdem wir vergebens experimentiert hatten, traumlos zehn Stunden lang schliefen oder viel später als sonst erwachten. Ich erfuhr das Resultat, ohne gefragt zu haben, ohne es zu erwarten.

Eine Reihe von anderen, auch praktisch zu berücksichtigenden Erfahrungen an Hypnotisierten habe ich in besonderen an der Berliner Universität im Winter 1888/89 gehaltenen Vorlesungen über den Hypnotismus und verwandte Zustände mitgeteilt und da auch auf die Gefahren des leichtfertigen Hypnotisierens zur Ergötzung in Laienkreisen nachdrücklich aufmerksam gemacht. Menschen ohne hysterische oder psychopathische Anlagen können durch wiederholtes Hypnotisieren "nervös", ja sogar hysterisch gemacht werden und wenn ich die neueren Erfahrungen namentlich CHARCOTs und anderer französischer Ärzte zusammenfasse, komme ich immer mehr zu der in jenen Universitätsvorträgen begründeten Überzeugung, daß überhaupt  der ganze Hypnotismus eine künstlich erzeugte Hysterie ist. 

Schließlich wird allerdings durch den Nachweis vom physiologischen Zusammenhang des Hypnotismus mit dem gewöhnlichen Schlaf einerseits, der Hysterie andererseits nicht viel erklärt, aber die sehr große Übereinstimmung hysterischer und hypnotischer Erscheinungen legt es nahe, nach einer beiden gemeinsamen Veränderung der Großhirnrinde zu suchen. Ich finde für beide charakteristisch in erster Linie eine mangelhafte Tätigkeit zentraler Hemmungsapparate, welche erworben und erblich sein kann.

Man muß die unvermittelten Tatsachen nicht ignorieren oder leugnen, weil sie noch unvermittelt sind.

"Unbegrenzter Zweifel ist ebenso das Kind der Geistesschwäche wie unbedingte Leichtgläubigkeit." So lautet das Motto des Entdeckers.

LITERATUR - William Thierry Preyer, Die Entdeckung des Hypnotismus, Berlin 1889