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THOMAS PAINE
Common Sense
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"Die Ungerechtigkeiten und Nachteile, die wir durch diese Verbindung erleiden müssen, sind ohne Zahl; unsere Verpflichtung der ganzen Menschheit wie auch uns selbst gegenüber verlangt von uns, die Verbindung aufzugeben."

Gedanken über den gegenwärtigen
Stand der Sache Amerikas

Auf den folgenden Seiten trage ich nichts anderes vor als einfache Tatsachen, klare Argumente und gesunden Menschenverstand; und alles, worum ich den Leser zuvor bitten möchte, ist, daß er Vorurteile und jegliche Voreingenommenheit ablegt und seinen Verstand und sein Gefühl allein entscheiden läßt, daß er den wahren Charakter eines Menschen  annimmt  bzw. nicht  ablegt  und seinen Horizont über den heutigen Tag hinaus erweitert.

Über den Kampf zwischen England und Amerika sind bereits viele Bücher geschrieben worden. Männer jeden Standes haben sich an der Diskussion beteiligt, aus verschiedenen Motiven und mit unterschiedlichen Absichten; aber all dies war fruchtlos, und die Zeit des Redens ist jetzt vorbei. Die Waffen werden nun, als letzter Ausweg, den Streit entscheiden. Der König hat diesen Weg gewählt, und der Kontinent hat die Herausforderung angenommen.

Man erzählt von dem verstorbenen Herrn PELHAM (15) (einem fähigen Minister, aber nicht ohne Fehler), daß er, im Unterhaus angegriffen, weil seine Maßnahmen nur provisorischen Charakter trügen, antwortete:  Für meine Zeit werden sie ausreichen.  Sollte ein solch verhängnisvoller und feiger Gedanke die Kolonien im gegenwärtigen Streit beherrschen, so werden künftige Generationen sich nur mit Verachtung an die Namen ihrer Vorfahren erinnern.

Die Sonne schien noch nie auf eine Sache von größerer Bedeutung. Dies ist nicht die Angelegenheit einer Stadt, eines Landes, einer Provinz oder eines Königreiches, sondern die eines Kontinents - von mindestens einem Achtel des bewohnbaren Erdkreises. Dies betrifft nicht einen Tag, ein Jahr oder ein Zeitalter: die Nachwelt ist unmittelbar in diesen Kampf verwickelt, und sie wird mehr oder weniger bis ans Ende der Zeit von den jetzigen Vorgängen beeinflußt werden. Jetzt ist die Saatzeit für die kontinentale Einheit, für Glauben und Ehre gekommen. Der kleinste Riß jetzt wird wie ein Name sein, der mit einer Nagelspitze in die zarte Rinde einer jungen Eiche geritzt wurde: die Wunde wird mit dem Baum wachsen, und die Nachwelt kann ihn in großen Lettern lesen.

Nachdem man nun in dieser Sache von den Argumenten zu den Waffen übergegangen ist, hat die Stunde für eine neue Ära der Politik geschlagen, eine neue Denkweise ist entstanden. Alle Pläne, Vorschläge usw., die vor dem 19. April entstanden (dem Beginn der offenen Feindseligkeiten), (16) gleichen den Kalendern von letztem Jahr, die da noch brauchbar waren, jetzt aber überholt und wertlos sind. Was auch immer damals von den Advokaten zu allen Aspekten dieser Frage vorgebracht wurde, endete in ein und demselben Punkt, nämlich der Vereinigung mit Großbritannien; der einzige Unterschied zwischen den Parteien war die Methode, mit der man diese erreichen wollte. Die einen schlugen Gewalt vor, die anderen Freundschaft; aber jetzt ist es so gekommen, daß die einen gescheitert sind und die anderen ihren Einfluß zurückgezogen haben.

Da nun so viel über die Vorteile einer Versöhnung geredet wurde, die wie ein schöner Traum vorbeizog und uns auf dem harten Boden der Realität zurückließ, ist es nur gerecht, einmal die Gegenargumente zu betrachten und einige der vielen gravierenden Ungerechtigkeiten zu untersuchen, unter denen diese Kolonien leiden und unter denen sie immer leiden werden, solange sie mit Großbritannien verbunden und von ihm abhängig sind. Es gilt, diese Bindung und diese Abhängigkeit auf der Grundlage der Prinzipien der Natur und des gesunden Menschenverstandes zu analysieren, um zu sehen, worauf wir bauen können, wenn wir uns lossagen, und was wir zu erwarten haben, wenn wir abhängig bleiben.

Ich habe gehört, wie einige behauptet haben, daß Amerika während der früheren engen Bindungen an Großbritannien aufgeblüht sei und daß dieselben Bindungen auch für sein weiteres Gedeihen notwendig seien und auch immer dieselbe Wirkung haben würden. Nichts kann trügerischer sein als diese Art der Argumentation. Man könnte dann ebenso behaupten, daß ein Kind, das bisher bei Milch bestens gedieh, niemals Fleisch essen dürfe oder daß die ersten zwanzig Jahre unseres Lebens die nächsten zwanzig vorherbestimmten. Aber selbst dies geht schon über die Tatsachen hinaus, denn ich antworte darauf ohne Umschweife, daß Amerika genauso aufgeblüht wäre - und wahrscheinlich sogar noch besser -, wenn keine europäische Macht etwas damit zu tun gehabt hätte. Der Handel, durch den es so reich geworden ist, entspricht den Lebensbedürfnissen und wird immer Märkte finden, solange man in Europa noch ißt.

Aber Großbritannien hat uns doch beschützt, sagen einige. Daß es uns aufgekauft hat, ist wahr, und den Kontinent auf unsere und seine Kosten verteidigt hat, wird zugegeben, aber es hätte die Türkei aus denselben Gründen ebenso verteidigt, nämlich um des Handels und der Oberherrschaft willen.

Ach, wir sind lange genug durch alte Vorurteile irregeführt worden und haben dem Aberglauben großen Tribut gezollt. Wir haben uns des Schutzes Großbritanniens gerühmt, ohne zu überlegen, daß sein Motiv der  Eigennutz  war und nicht die  Treue,  daß es uns nicht vor  unseren Feinden in unserem Interesse,  sondern vor  seinen Feinden in seinem eigenen Interesse  geschützt hat; vor denen nämlich, die mit uns aus  keinem anderen Grund  Streit hatten, aber die immer aus  demselben Grund  unsere Feinde bleiben werden. Sobald Großbritannien seine Ansprüche gegenüber dem Kontinent aufgibt oder der Kontinent die Abhängigkeit abschüttelt, werden wir mit Frankreich und Spanien in Frieden leben, auch wenn sie sich mit Großbritannien im Kriegszustand befinden. Die Not, die Hanover (17) im letzten Krieg erlitt, sollte uns eine Warnung vor solchen Bindungen sein.

Es ist vor kurzem im Parlament behauptet worden, daß die Kolonien nur über das Mutterland in Beziehung zueinander stünden; das heißt, daß Pennsylvania und New Jersey (18) usw., auch alle anderen, nur über den Umweg über England Schwesterkolonien sind. Dies ist sicher ein umständlicher Weg, um Beziehungen zu schaffen, aber es ist der kürzeste und einzig sichere Weg, um Feindschaft zu wecken, wenn ich es so nennen darf. Frankreich und Spanien waren nie (und werden es vielleicht auch nie sein) unsere Feinde wegen unserer Eigenschaft als  Amerikaner,  sondern als  Untertanen  Großbritanniens.

Aber Großbritannien ist das Mutterland, sagen einige. Dann verdient sein Verhalten um so mehr. Abscheu. Nicht einmal Tiere verschlingen ihre jungen, noch bekriegen Wilde ihre eigenen Familien; deshalb wird diese Behauptung, wenn sie wahr ist, zum Vorwurf. Aber zufällig ist sie nicht wahr, oder jedenfalls nur teilweise, und der Ausdruck  Ursprungs- oder Mutterland  ist vom König und seinen Parasiten in jesuitischer Manier übernommen worden, mit der niederen papistischen Absicht, in der leichtgläubigen Schwäche unserer Seelen eine unrechte Befangenheit zu wecken. Europa, und nicht England, ist das Mutterland Amerikas. Diese neue Welt ist zum Asyl für die verfolgten Freunde der bürgerlichen und religiösen Freiheit aus  allen Teilen  Europas geworden. Hierher sind sie geflohen, nicht aus den zärtlichen Umarmungen der Mutter, sondern vor der Grausamkeit eines Ungeheuers, und bisher kann man von England sagen, daß dieselbe Tyrannei, die die ersten Emigranten aus der Heimat vertrieben hat, deren Nachkommen immer noch verfolgt.

In diesem ausgedehnten Teil des Erdballs vergessen wir die engen Grenzen von 360 Meilen (der Ausdehnung Englands) und übertragen unsere Freundschaft auf eine höhere Ebene; wir fordern Brüderschaft mit jedem europäischen Christen, und wir triumphieren im Edelmut dieser Gesinnung.

Es ist erfreulich zu beobachten, mit welch regelmäßigen Schritten wir die Macht lokaler Vorurteile überwinden, in dem Maße, wie wir unsere Kenntnis der Welt erweitern. Ein Mensch, der in irgendeiner Stadt in England, die in Pfarrbezirke eingeteilt ist, auf die Welt kommt, wird sich natürlich meistens an seine Mitbürger aus dem Bezirk anschließen (weil sie in vielen Fällen gemeinsame Interessen haben) und sie als Nachbarn (neighbour) bezeichnen; wenn er sie nur ein paar Meilen von zu Hause entfernt trifft, vergißt er die engen Grenzen einer Straße und grüßt sie als  Mitbürger  [townsmen]. Wenn er die Grafschaft verläßt und sie in einer anderen trifft, vergißt er die unwichtige Aufteilung in Straße oder Stadt und nennt sie  Landsleute  [countrymen], d. h.  Mitbürger  aus der Grafschaft [countymen]; aber wenn sie sich bei einer Reise ins Ausland, in Frankreich oder einem anderen Teil  Europas  treffen sollten, so würde ihre lokale Bekanntschaft zu einer von  Engländern  werden. Und nach dem gleichen Gedankengang sind dann alle Europäer, die sich in Amerika oder in einem anderen Teil der Erde treffen,  Landsleute  [countrymen]; denn England, Holland, Deutschland oder Schweden stehen, wenn man sie mit dem Ganzen vergleicht, an derselben Stelle auf einer größeren Skala wie die Einteilung nach Straße, Stadt und Grafschaft auf einer kleineren, wobei dies alles Unterscheidungen sind, die in kontinentaler Sicht zu einengend sind. Nicht einmal ein Drittel der Einwohner, auch in dieser Provinz (19), sind englischer Abstammung. Deshalb verwerfe ich den Ausdruck Ursprungs- oder Mutterland, wenn er nur auf England bezogen wird, als falsch, selbstsüchtig, beschränkt und unedel.

Aber selbst wenn wir alle englischer Abstammung wären: Was würde das bedeuten? Nichts. Da Großbritannien jetzt ein offener Feind ist, hat es jeden anderen Namen und Anspruch ausgelöscht; und es ist wirklich absurd, wenn behauptet wird, die Wiederversöhnung sei unsere Pflicht. Der erste englische König der jetzigen Linie (WILHELM der Eroberer) war ein Franzose, und die Hälfte der Peers stammt aus demselben Land; deshalb müßte, wenn man in dieser Weise argumentiert, England von Frankreich regiert werden.

Es ist viel darüber gesagt worden, daß die vereinten Kräfte von Großbritannien und den Kolonien der ganzen Welt trotzen könnten. Aber das ist eine reine Vermutung; das Kriegsglück ist unsicher, und außerdem bedeutet diese Erklärung nichts, denn der Kontinent würde es niemals zulassen, daß seine Einwohner abgezogen werden, um die britischen Truppen in Asien, Afrika oder Europa zu unterstützen.

Außerdem, was haben wir davon, der Welt zu trotzen? Unsere Pläne zielen auf den Handel, und dieser wird, wenn er ordentlich betrieben wird, uns den Frieden und die Freundschaft mit ganz Europa sichern; denn es liegt im Interesse ganz Europas, Amerika als  Freihafen  zu haben. Unser Handel wird immer unser Schutz sein, und das Fehlen von Gold- und Silbervorkommen wird uns vor Angreifern schützen.

Ich fordere den eifrigsten Vertreter der Wiederversöhnung auf, einen einzigen Vorteil aufzuzeigen, den dieser Kontinent durch die Verbindung mit Großbritannien erlangen kann. Ich wiederhole die Aufforderung; nicht ein einziger Vorteil kann hieraus gezogen werden. Unser Getreide wird auf jedem europäischen Markt seinen Preis erzielen, und unsere importierten Waren müssen bezahlt werden, bei wem wir sie auch kaufen.

Aber die Ungerechtigkeiten und Nachteile, die wir durch diese Verbindung erleiden müssen, sind ohne Zahl; unsere Verpflichtung der ganzen Menschheit wie auch uns selbst gegenüber verlangt von uns, die Verbindung aufzugeben: Denn jede Unterwerfung unter Großbritannien, jegliche Abhängigkeit von ihm führt unmittelbar zu einer Verwicklung dieses Kontinents in europäische Kriege oder Streitigkeiten und bringt uns in Konflikte mit Nationen, die sonst unsere Freundschaft suchen würden und gegen die wir weder Zorn hegen noch Klage führen. Da ganz Europa der Absatzmarkt für unseren Handel ist, sollten wir keine parteiische Verbindung mit einem Teil davon eingehen. Es liegt im wahren Interesse Amerikas, sich aus europäischen Streitigkeiten herauszuhalten, was es niemals tun kann, solange es durch die Abhängigkeit von Großbritannien zum Zugewicht in der Waagschale der britischen Politik wird.

In Europa gibt es einfach zu viele Königreiche, als daß es lange in Frieden leben könnte, und sobald zwischen England und irgendeiner fremden Macht ein Krieg ausbricht, wird der amerikanische Handel  wegen seiner Bindung an Großbritannien  ruiniert. Der nächste Krieg muß nicht wie der letzte (20) ausgehen, und sollte er es tatsächlich nicht, dann werden die jetzigen Verfechter der Wiederversöhnung die Trennung wünschen, denn in diesem Fall wäre die Neutralität ein sichererer Schutz als ein Kriegsschiff. Alles was wahr und naturgemäß ist, spricht für die Trennung. Das Blut der Getöteten, die klagende Stimme der Natur schreien: ES IST ZEIT, SICH ZU TRENNEN. Sogar die Entfernung voneinander, in der der Allmächtige England und Amerika geschaffen hat, ist ein starker und natürlicher Beweis dafür, daß die Herrschaft des einen über den anderen niemals im göttlichen Plan lag. Auch die Zeit, in der dieser Kontinent entdeckt wurde, verleiht dem Argument Gewicht, und die Art und Weise, wie er bevölkert wurde, verstärkt es noch. Der Reformation voraus ging die Entdeckung Amerikas, ganz so, als ob der Allmächtige in seiner Gnade einen Zufluchtsort für die Verfolgten künftiger Jahre schaffen wollte, für die ihre Heimat weder Freundschaft noch Schutz bieten sollte.

Die Macht Großbritanniens über diesen Kontinent stellt eine Form der Regierung dar, die früher oder später enden muß, und ein ernsthafter Mensch kann sich nicht wirklich freuen, wenn er mit der schmerzhaften und sicheren Überzeugung in die Zukunft blickt, daß die sogenannte gegenwärtige Verfassung nur provisorischen Charakter trägt. Als Eltern empfinden wir keine Freude, wenn wir wissen, daß diese Regierung nicht lange genug Bestand hat, um unser Vermächtnis an die Nachwelt zu sichern, und da wir so die kommende Generation belasten würden, sollten wir, das folgt aus einer einfachen Argumentation, ihr Werk selbst tun, sonst würden wir sie gemein und kläglich behandeln. Um unsere Pflichten richtig zu erkennen, sollten wir unsere Kinder bei der Hand nehmen und uns ein paar Jahre weiter in die Zukunft denken; dieser Gipfel wird uns eine Aussicht gewähren, die einige momentane Besorgnisse und Vorurteile vor uns verbergen.

Obwohl ich sonst unnötige Kränkungen vermeide, bin ich doch geneigt zu glauben, daß auf all jene, die für die Versöhnung eintreten, folgende Beschreibungen passen: eigennützige Menschen, denen man nicht vertrauen kann; schwache Menschen,  die nicht sehen können;  voreingenommene Menschen, die nicht sehen wollen; und einige gemäßigte Menschen, die über die europäische Welt besser denken, als sie es verdient. Und diese letzte Gruppe wird mit ihren fehlgeleiteten Überlegungen diesem Kontinent größeres Unheil bringen, als die anderen drei.

Viele haben das Glück, weit entfernt vom Schauplatz des Elends zu wohnen. Das Unglück spielt sich nicht so direkt vor ihrer Haustür ab, als daß sie die Unsicherheit spüren würden, die dem gesamten amerikanischen Eigentum droht. Aber wir wollen uns für einen Augenblick nach Boston versetzen (21); diese Stätte des Elends wird uns eines Besseren belehren und uns dazu bringen, uns für immer von einer Macht loszusagen, der wir nicht vertrauen können. Die Einwohner dieser unglücklichen Stadt, die vor wenigen Monaten noch in Bequemlichkeit und Überfluß lebten, haben heute keine andere Wahl, als entweder zu bleiben und zu verhungern oder wegzuziehen und zu betteln. Wenn sie bleiben, bedrohen sie die Feuersbrünste ihrer Freunde, wenn sie die Stadt verlassen, werden sie von der Soldateska ausgeraubt. Unter den gegenwärtigen Umständen sind sie Gefangene, ohne Hoffnung auf Erlösung; und bei einem großen Angriff zu ihrer Befreiung wären sie dem Feuer beider Armeen ausgesetzt.

Untätige Menschen schauen leichtfertig über die Vergehen Großbritanniens hinweg und sind geneigt auszurufen (da sie immer noch das Beste erhoffen): Kommt, laßt uns trotz alledem wieder Freunde sein. Aber untersucht doch die Leidenschaften und Gefühle der Menschheit! Bringt die Doktrin der Wiederversöhnung auf den Prüfstein der Natur, und sagt mir dann, ob ihr danach noch die Macht, die Feuer und Schwert über euer Land gebracht hat, lieben, verehren und ihr treu dienen könnt? Wenn ihr das nicht fertigbringt, täuscht ihr euch nur selbst und bringt durch euer Zögern Verderben über die Nachwelt. Eure künftige Verbindung mit Großbritannien, das ihr weder lieben noch verehren könnt, wird gezwungen und unnatürlich sein, und da sie allein auf eurer gegenwärtigen Bequemlichkeit beruht, wird sie in Kürze einen Rückfall erleiden, der noch unglücklicher sein wird als der erste. Aber wenn ihr sagt, daß ihr noch immer über die Gewalttätigkeiten hinweggehen könnt, dann frage ich euch: Ist euer Haus niedergebrannt worden? Ist euer Eigentum vor euren Augen zerstört worden? Haben eure Frauen und Kinder noch ein Bett, in dem sie schlafen, und Brot, von dem sie leben können? Habt ihr ein Elternteil oder ein Kind durch eurer Feinde Hände verloren, und seid ihr der ruinierte und unglückliche Überlebende? Wenn nicht, so dürft ihr nicht über die richten, die solches erlitten haben; aber wenn ja, und wenn ihr dann immer noch den Mördern die Hand geben könnt, seid ihr des Namens Gatte, Vater, Freund oder Geliebter, oder was auch immer euer Rang und Titel im Leben war, unwürdig, dann habt ihr das Herz eines Feiglings und den Geist eines Kriechers.

Ich will damit die ganze Sache nicht anheizen oder übertreiben, sondern sie nur an den Gefühlen und Neigungen messen, die die Natur rechtfertigt und ohne die wir unfähig wären, die gesellschaftlichen Pflichten zu erfüllen oder ihre Freuden zu genießen. Ich beabsichtige nicht, Schrecken zu verbreiten, um Rachegefühle zu wecken, sondern uns aus dem unheilvollen und feigen Schlaf zu schrecken, damit wir entschlossen ein bestimmtes Ziel verfolgen können. Großbritannien oder Europa haben nicht die Macht, Amerika zu erobern, es sei denn, es besiegt sich selbst durch Zögern und Furcht. Der gegenwärtige Winter kann, wenn er richtig ausgenutzt wird, ein ganzes Zeitalter wert sein; aber wenn er verloren oder versäumt wird, leidet der ganze Kontinent unter dem Unglück. Und es gibt keine Strafe, die ein Mann nicht verdient hätte - gleich wer oder was er ist oder will -, der dazu beiträgt, eine solch kostbare und nützliche Zeit zu opfern.

Es ist unvereinbar mit der Vernunft, mit der universalen Ordnung der Dinge, mit allen Beispielen, die uns früher Zeiten geben, daß dieser Kontinent länger einer auswärtigen Macht unterworfen bleibt. Nicht einmal der größte Optimist in Großbritannien denkt so. Selbst unter äußerster Anstrengung des menschlichen Geistes kann man in der gegenwärtigen Zeit keinen Plan ersinnen, der - ohne die Trennung - dem Kontinent wenigstens ein Jahr der Sicherheit bieten würde. Wiederversöhnung ist heute ein trügerischer Traum. Die Natur hat diese Verbindung aufgegeben, und keine Kunst kann ihren Platz ersetzen. Denn, so hat Milton einmal sehr weise gesagt, "Nie kann eine wahre Versöhnung gedeihen, wo die Wunden eines tödlichen Hasses so tief gedrungen sind." (22)

Jeder ruhige Weg zum Frieden war unwirksam. Unsere flehenden Bitten wurden mit Verachtung zurückgewiesen und haben uns zur Überzeugung gebracht, daß nichts der Eitelkeit der Könige mehr schmeichelt oder sie in ihrer Hartnäckigkeit bestärkt als wiederholtes Bitten; nichts hat mehr dazu beigetragen, die Könige Europas absolut zu machen: Seht nur nach Dänemark oder Schweden. Da nun einmal nur noch Schläge helfen, so laßt uns um Gottes willen zu einer endgültigen Trennung kommen und verhindern, daß unsere kommende Generation im Namen dieser entweihten und bedeutungslos gewordenen Eltern-Kind-Beziehung abgeschlachtet wird.

Es ist müßig und illusorisch, wenn man sagt, daß sie dies nie mehr versuchen werden; das haben wir noch bei der Aufhebung des Stempelgesetzes (23) geglaubt, aber der Verlauf eines oder zweier Jahre hat uns die Augen geöffnet. Genauso könnte man vermuten, daß Nationen, die einmal geschlagen wurden, niemals mehr den Kampf aufnehmen werden.

Was die Regierungsgeschäfte betrifft, so liegt es nicht in der Macht Großbritanniens, diesem Kontinent Gerechtigkeit widerfahren zu lassen: Seine Angelegenheiten werden bald zu gewichtig und zu kompliziert sein, als daß sie mit einem erträglichen Maß an Bequemlichkeit von einer Macht verwaltet werden könnten, die so weit entfernt von uns liegt und die so wenig von uns weiß; denn wenn sie uns nicht besiegen können, dann können sie uns auch nicht regieren. Für einen Bericht oder eine Petition immer drei- oder viertausend Meilen zu segeln, dann vier oder fünf Monate auf eine Antwort zu warten, die, wenn sie erteilt wurde, weitere fünf oder sechs Monate für ihre Auslegung erfordert - dies wird in ein paar Jahren als töricht und kindisch angesehen werden. Es gab eine Zeit, in der dies passend war, und es gibt auch eine passende Zeit, um damit aufzuhören.

Kleine Inseln, die nicht in der Lage sind, sich selbst zu schützen, können von Königreichen gut unter ihre Obhut genommen werden; aber es ist wirklich absurd, wenn man sich vorstellt, daß ein Kontinent auf die Dauer von einer Insel regiert werden sollte. In keinem Fall hat die Natur den Satelliten größer gemacht als den Mutterplaneten, und da England und Amerika in ihrem Verhältnis zueinander die allgemeine Ordnung der Natur umkehren, so ist es offensichtlich, daß sie verschiedenen Systemen angehören müssen : England, Europa, Amerika sich selbst.

Ich trete nicht aus Stolz, Parteilichkeit oder Empfindlichkeit für die Doktrin der Trennung und der Unabhängigkeit ein; ich bin klar, eindeutig und gewissenhaft davon überzeugt, daß es im wahren Interesse unseres Kontinents liegt, daß es so kommt, daß alles, was weniger bringt, reines Flickwerk bleibt, das kein dauerhaftes Glück erlaubt, das Schwert in die Hände unserer Kinder legt und ein Zurückstecken zu einer Zeit bedeutet, in der ein wenig mehr, ein wenig weiter diesem Kontinent allen Ruhm dieser Erde eingebracht hätte.

Da Großbritannien nicht die geringste Neigung zu einem Kompromiß gezeigt hat, können wir versichert sein, daß keine Bedingungen erreicht werden können, die einer Annahme durch den Kontinent wert sind oder die in irgendeiner Weise unser vergossenes Blut oder die Schätze aufwiegen, die wir bereits aufgebracht haben.

Das Ziel, für das man kämpft, sollte immer in einem gesunden Verhältnis zu dem Aufwand stehen, den man dafür erbringt. Die Absetzung von North (24) oder der ganzen verabscheuenswerten Clique ist die Millionen nicht wert, die wir ausgegeben haben. Der zeitweise Handelsstop war eine Unbequemlichkeit, die zur Genüge die Aufhebung all der Gesetze aufgewogen hätte, über die wir uns beklagt haben - gesetzt den Fall, eine solche Aufhebung wäre erreicht worden; aber wenn der ganze Kontinent zu den Waffen greifen muß, wenn jeder Mann Soldat sein muß, dann lohnt es sich für uns kaum, nur gegen ein verächtliches Kabinett zu kämpfen. Teuer, sehr teuer würden wir für die Aufhebung der Gesetze (25) bezahlen, wenn das alles ist, wofür wir kämpfen; wenn man es recht überlegt, ist es ebenso töricht, für Gesetze einen Bunker-Hill-Preis (26) zu bezahlen wie für Land. Da ich immer die Unabhängigkeit dieses Kontinents als ein Ereignis angesehen habe, das früher oder später eintreten muß, so kann nach den jüngsten, raschen Fortschritten des Kontinents dieses Ereignis nicht mehr fern sein. Deshalb war es beim Ausbruch der Feindseligkeiten nicht der Mühe wert, sich über eine Sache zu streiten, die sich im Laufe der Zeit von selbst erledigt hätte, wenn es uns nicht wirklich ernst gewesen wäre; andernfalls wäre es doch so, als ob man ein Grundstück wegen eines Rechtsstreites aufs Spiel setzt, bei dem man das unbefugte Betreten durch einen Pächter verbieten lassen will, dessen Vertrag gerade ausläuft. Keiner war ein eifrigerer Verfechter der Wiederversöhnung, als ich vor dem fatalen 19. April 1775 (27), aber als das Ereignis jenes Tages bekannt wurde, verdammte ich diesen gefühllosen, übellaunigen Pharao von England (28) für alle Zeiten, und ich verachte diesen Schurken mit dem vorgetäuschten Titel VATER SEINES VOLKES, der ungerührt von dessen Abschlachtung hört und der bei all dem Blut, das er auf sein Gewissen geladen hat, noch ruhig schlafen kann.

Aber gesetzt den Fall, der Streit würde jetzt beigelegt: Was wären die Folgen? Ich antworte darauf: der Ruin des Kontinents, und das aus verschiedenen Gründen.

Erstens:  Da ja die Regierungsgewalt immer noch in Händen des Königs bleibt, wird er das Vetorecht gegenüber der gesamten Gesetzgebung dieses Kontinents haben; und da er sich als ein so hartnäckiger Feind der Freiheit entpuppt und ein solches Verlangen nach unumschränkter Macht gezeigt hat, ist ihm dann etwa nicht zuzutrauen, daß er diesen Kolonien sagt: Ihr dürft keine Gesetze erlassen außer solchen, die ich billige? Und gibt es in Amerika Einwohner, die so unkundig sind und nicht wissen, daß gemäß der sogenannten gegenwärtigen Verfassung dieser Kontinent keine Gesetze machen kann außer solchen, die der König erlaubt? Und gibt es einen Menschen, der so töricht ist und nicht sieht, daß (wenn man berücksichtigt, was geschehen ist) der König kein Gesetz dulden wird, das hier gemacht wurde, außer solchen, die seinen Zwecken dienen? Wir können genausogut mangels amerikanischer Gesetze versklavt werden wie durch Unterwerfung unter Gesetze, die für uns in England gemacht wurden. Wenn der Streit beigelegt würde (wie man es ausdrückt), kann es dann irgendeinen Zweifel daran geben, daß die ganze Macht der Krone aufgeboten wird, um diesen Kontinent so schwach und gedemütigt zu halten wie irgend möglich? Anstatt vorwärts zu gehen, würden wir Rückschritte hinnehmen und ewig streiten oder lächerlich betteln müssen. Wir sind bereits größer, als es der König gern hätte; würde er dann nicht hinterher versuchen, uns wieder kleiner zu machen? Um die Sache auf einen Punkt zu bringen: Ist die Macht, die eifersüchtig auf unseren Reichtum ist, geeignet, uns zu regieren? Wer auch immer auf diese Frage mit  Nein  antwortet, ist ein  Unabhängiger  [Independant], denn Unabhängigkeit bedeutet nichts anderes, als daß entweder wir unsere eigenen Gesetze machen werden, oder der König, der größte Feind, den dieser Kontinent hat oder haben kann, uns sagen wird:  es soll keine anderen Gesetze geben als solche, die mir gefallen. 

Aber der König, werdet ihr sagen, hat doch auch in England das Vetorecht, ohne seine Zustimmung kann das Volk dort keine Gesetze machen. In bezug auf Recht und Ordnung ist es etwas sehr Lächerliches, daß ein Jüngling im Alter von 21 Jahren (was oft vorkam) einigen Millionen Leuten, die älter und weiser sind als er, sagen kann: "Ich verbiete euch, daß diese oder jene Gesetzesvorlage zum Gesetz wird." Aber hier an dieser Stelle möchte ich eine solche Erwiderung nicht geben - obwohl ich niemals aufhören werde, diese Absurdität aufzudecken -, und ich antworte nur, daß dies ein ganz anderer Fall ist, da England die Residenz des Königs ist und nicht Amerika. Das Vetorecht des Königs ist hier zehnmal gefährlicher und fataler, als es in England sein kann, denn  dort  wird er kaum einer Gesetzesvorlage seine Zustimmung verweigern, die England in eine möglichst starke Verteidigungsposition versetzt, während er es in Amerika niemals zulassen würde, daß eine solche Vorlage durchgeht.

Amerika ist im System der britischen Politik nur ein zweitrangiges Objekt. England berücksichtigt das Wohl dieses Landes nur insoweit, als es seinen eigenen Zwecken entspricht. Deshalb wird die Rücksicht auf seine eigenen Interessen in jedem Fall, der nicht dem eigenen Vorteil dient oder mit ihm kollidiert, dazu führen, daß die Förderung unserer Interessen verhindert wird. Ein schöner Zustand, in dem wir uns unter einer solchen Regierung aus zweiter Hand befinden würden, berücksichtigt man, was bereits geschehen ist! Keiner wird aus einem Feind zum Freund, wenn er nur seinen Namen über den gegenwärtigen Stand der Sache Amerikas ändert; und um zu zeigen, daß die Wiederversöhnung jetzt eine gefährliche Doktrin darstellt versichere ich,  daß es dieses Mal eine sehr geschickte Politik des Königs wäre, wenn er die Gesetze widerrufen würde, um seine Regierungsgewalt über die Provinzen wiederherzustellen.  SO KÖNNTE ER DURCH LIST UND TÜCKE AUF DIE DAUER DAS ERREICHEN, WAS ER DURCH ZWANG UND GEWALT KURZFRISTIG NICHT DURCHFÜHREN KONNTE. Wiederversöhnung und Ruin sind nahe verwandt.

Zweitens:  Da sogar die besten Bedingungen, die wir erreichen können, nur einen vorläufigen Ausweg bedeuteten oder eine Art Regierung der Vormundschaft, die nicht länger dauern kann, als bis die Kolonien erwachsen sind, wird in der Zwischenzeit die allgemeine Lage unsicher und aussichtslos sein. Reiche Auswanderer werden es vorziehen, nicht in ein Land zu kommen, dessen Regierungsform am seidenen Faden hängt und das tagtäglich am Rande des Aufruhrs und des Tumults steht; und viele der jetzigen Einwohner werden diese Zwischenzeit ausnutzen, um sich von ihrem Hab und Gut zu trennen und den Kontinent zu verlassen.

Aber das schlagkräftigste aller Argumente ist, daß nur die Unabhängigkeit, d. h. eine kontinentale Regierung, den Frieden auf dem Kontinent bewahren und ihn vor Bürgerkriegen schützen kann. Ich fürchte eine mögliche Wiederversöhnung mit Großbritannien jetzt auch, weil es mehr als wahrscheinlich ist, daß sie irgendwann das Ausbrechen eines Aufstandes nach sich ziehen würde, dessen Folgen weit verhängnisvoller wären als alle Bosheit Großbritanniens.

Tausende wurden bereits durch britische Barbarei ruiniert (und Tausende werden wahrscheinlich dasselbe Schicksal erleiden); diese Menschen fühlen anders als wir, die wir noch nichts erleiden mußten. Alles, was sie jetzt noch besitzen, ist die Freiheit; was sie vorher besaßen wurde in ihrem Dienst geopfert, und da sie jetzt nichts mehr zu verlieren haben, verschmähen sie jegliche Unterwerfung. Außerdem wird die allgemeine Stimmung in den Kolonien gegenüber der britischen Regierung wie die eines jugendlichen sein, der beinahe erwachsen ist: Sie werden sich recht wenig um sie kümmern. Eine Regierung, die den Frieden nicht erhalten kann, ist keine Regierung, und in dem Fall bezahlen wir unser Geld umsonst; und sagt mir, was Großbritannien, dessen Macht nur noch auf dem Papier steht, tun kann, wenn am Tag nach der Wiederversöhnung ein Bürgeraufstand ausbrechen sollte? Ich hörte einige sagen die meisten von ihnen ohne zu überlegen, glaube ich daß sie vor der Unabhängigkeit Angst hätten und befürchteten, daß sie Bürgerkriege hervorrufen könnte. Aber nur selten sind die ersten Gedanken gleich die richtigen, und das ist auch hier der Fall; denn es gibt zehnmal mehr Gründe, sich vor einer verpfuschten Verbindung als vor der Unabhängigkeit zu fürchten. Ich mache die Sache der Leidtragenden zu meiner eigenen, und ich versichere, daß ich, wenn man mich von Haus und Hof vertrieben, mein Eigentum zerstört und meine Verhältnisse ruiniert hätte, als ein Mensch, der sich des Unrechts bewußt ist, niemals die Doktrin der Wiederversöhnung billigen oder mich an sie gebunden fühlen würde.

Die Kolonien haben gegenüber der kontinentalen Regierung einen solch guten Geist der Ordnung und des Gehorsams bewiesen, der ausreicht, jeden vernünftigen Menschen in dieser Hinsicht erleichtert und glücklich zu machen. Keiner kann den geringsten Vorwand für seine Befürchtungen anbringen, daß eine Kolonie nach der Vorherrschaft über andere streben könnte, außer aus Gründen, die wirklich kindisch und lächerlich sind.

Wo es keine Unterschiede gibt, kann es auch keine Vorherrschaft geben; vollkommene Gleichheit führt nicht in Versuchung. Die Republiken in Europa leben alle (und man kann sagen: immer) in Frieden. Holland und die Schweiz führen keinen Krieg, haben auch keine Bürgerkriege. Monarchische Regierungen, das ist wahr, kommen nie lange zur Ruhe: Die Krone selbst stellt eine Versuchung für wagemutige Schurken aus dem eigenen Land dar; und dieser Grad an Stolz und Anmaßung, der der königlichen Autorität immer anhaftet, führt in solchen Fällen zum Bruch mit fremden Mächten, in denen eine republikanische Regierung, die auf natürlichen Prinzipien beruht, das Mißverständnis durch Verhandlungen ausgeräumt hätte.

Wenn es einen wirklichen Grund für die Furcht vor der Unabhängigkeit gibt, dann deshalb, weil noch kein Plan ausgearbeitet wurde. Die Menschen sehen noch nicht den richtigen Weg. Daher gebe ich, als erste Anhaltspunkte dafür, die folgenden Hinweise; gleichzeitig möchte ich bescheiden versichern, daß ich sie allein als Anstoß für andere betrachte, etwas Besseres zu erarbeiten. Könnte man die verstreuten Gedanken einzelner sammeln, würden sie oft genug das Material bilden, aus dem weise und fähige Männer nützliche Gedanken formen könnten.

Die Versammlungen [assemblies) sollten jährlich stattfinden, mit nur einem Präsidenten an der Spitze. Die Repräsentation sollte auf breiterer Grundlage stehen als bisher, ihr Aufgabenbereich sich nur auf die Innenpolitik beschränken und der Autorität eines Kontinentalkongresses [Continental Congress] unterworfen sein.

Jede Kolonie sollte in sechs, acht oder zehn geeignete Bezirke eingeteilt werden, von denen dann jeder eine bestimmte Anzahl von Delegierten an den Kongreß entsendet, und zwar so, (daß jede Kolonie mindestens dreißig Vertreter hat. Die Gesamtzahl der Kongreßmitglieder wird dann mindestens 390 betragen. Der Kongreß soll auf folgende Art seine Sitzungen abhalten und einen Präsidenten wählen: Nachdem sich die Delegierten versammelt haben, soll eine Kolonie von den dreizehn durchs Los bestimmt werden; danach wählt der gesamte Kongreß (in geheimer Wahl) aus den Delegierten dieser Provinz einen Präsidenten. Beim nächsten Kongreß sollte dann eine aus den restlichen zwölf Kolonien durchs Los bestimmt werden (die Kolonie, aus der der Präsident beim letzten Kongreß gewählt wurde, fällt weg), und so weiter, bis alle dreizehn einmal an der Reihe waren. Und damit nur zum Gesetz wird, was einigermaßen gerecht ist, sollten für das Zustandekommen einer Mehrheit mindestens drei Fünftel des Kongresses erforderlich sein. - Wer dann trotz einer Regierung, die auf solch breiter Basis wie diese gebildet wurde, noch Zwietracht säen will, hätte sich wohl auch *LUZIFERs Empörung angeschlossen.

Aber da es in der Frage, von wem oder in welcher Weise diese Aufgabe zuerst angegangen werden soll, besonderen Feingefühls bedarf und da es sehr angenehm und auch folgerichtig scheint, daß dies von einer dazwischengeschalteten Körperschaft, zwischen Regierten und Regierenden, ausgehen sollte, halte man eine KONTINENTALE KONFERENZ [Continental Conference) ab, und zwar auf folgende Weise und zu folgendem Zweck.

Ein Komittee von 26 Mitgliedern des Kongresses, also zwei für jede Kolonie; zwei Mitglieder aus jeder Körperschaft [house of assembly) bzw. Provinzialversammlung [Provincial Convention), und fünf Repräsentanten des gesamten Volkes, die in der Hauptstadt jeder Provinz als Vertreter der jeweiligen Kolonie gewählt werden, und zwar von all den Wahlberechtigten, die es für richtig halten, aus allen Teilen der Provinz zu diesem Zweck zusammenzukommen; oder wenn es bequemer ist, können die Abgeordneten auch in den zwei oder drei am dichtesten besiedelten Teilen der Provinz gewählt werden. In dieser Konferenz, die dann so zusammentritt, werden die zwei großen Prinzipien einer Geschäftsführung vereint sein: *Wissen und *Macht. Die Mitglieder des Kongresses und der Versammlungen oder Provinzialparlamente, die in nationalen Angelegenheiten dann Erfahrungen gesammelt haben, werden fähige und nützliche Ratgeber sein, und das ganze System, vom Volk ermächtigt, wird eine wahrhaft gesetzliche Autorität darstellen.

Wenn die gewählten Mitglieder zusammengekommen sind, soll ihre Aufgabe der Entwurf einer kontinentalen Charta oder einer Charta der vereinigten Kolonien sein (in Entsprechung zu der sogenannten Magna Charta von England (29), in der die Anzahl, der Wahlmodus und die Sitzungstermine der Kongreß- und Versammlungsmitglieder festgelegt und ihre Geschäftsordnung und ihre Rechtsbefugnis geregelt werden. Wobei immer daran zu denken ist, daß unsere Stärke kontinental und nicht provinzial ist. Sie soll gemäß den Geboten des Gewissens Freiheit und Eigentum aller Menschen und vor allem die freie Religionsausübung sichern, und auch alle anderen Dinge regeln, die eine solche Charta beinhalten muß. Unmittelbar danach soll die besagte Konferenz aufgelöst werden, und die Körperschaften, die dann gemäß der Charta gewählt werden, sollen zunächst Gesetzgeber und Herrscher dieses Kontinents sein: dessen Frieden und Glück Gott bewahren möge, Amen.

Wenn jetzt tatsächlich eine solche Körperschaft für einen solchen oder ähnlichen Zweck delegiert werden sollte, möchte ich ihr die folgenden Auszüge aus DRAGONETTI (30) ans Herz legen, dem weisen Betrachter der Regierungen: "Das Geschick des Politikers", so sagt er, "besteht darin, das wahre Maß an Glück und Freiheit zu bestimmen. Männer, denen es gelänge, eine Regierungsart zu finden, die das größtmögliche individuelle Glück beim geringsten staatlichen Aufwand ermöglicht, verdienten die Dankbarkeit aller Zeiten." (Dragonetti, über Tugend und Belohnungen.)

Aber wo bleibt, sagen einige, der König von Amerika? Ich sage dir, mein Freund, er regiert oben im Himmel und richtet keine Gemetzel unter der Menschheit an so wie der königliche Unmensch aus Großbritannien. Aber damit es nicht so aussieht, als ob es uns an irdischen Ehren mangelt, soll man einen Tag bestimmen, an dem feierlich die Charta proklamiert wird: Sie soll dann auf das göttliche Gesetz, das Wort Gottes, gelegt und herbeigebracht werden, darauf eine Krone, an der die Welt erkennen mag, daß, wenn wir eine Monarchie anerkennen, in Amerika ALLEIN DAS GESETZ KÖNIG IST. Denn wie in absoluten Regierungen der König das Gesetz ist, sollte in freien Ländern das Gesetz König sein und nichts anderes. Aber damit nicht später Mißbrauch betrieben wird, sollte die Krone nach der Zeremonie zerstört und unter das Volk verstreut werden, das ein Recht darauf hat.

Eine eigene Regierung ist unser natürliches Recht; und wenn man ernsthaft über die Vergänglichkeit menschlicher Dinge nachdenkt, wird man zur Überzeugung kommen, daß es sehr viel sicherer und weiser ist, uns gelassen und überlegt eine eigene Verfassung zu schaffen, solange wir noch die Möglichkeit dazu haben, als ihre Entstehung der Zeit und dem Zufall anzuvertrauen. Wenn wir es jetzt unterlassen, könnte später irgendein MASSANELLO (31) auftauchen, der unter Ausnutzung allgemeiner Unruhen die Verzweifelten und Unzufriedenen um sich sammelt, mit ihnen die Regierungsgewalt übernimmt und damit die Freiheiten des Kontinents wie eine Sintflut hinwegschwemmt. Wenn die Herrschaft über Amerika wieder in britische Hände kommen sollte, wird die unsichere Situation eine Versuchung für verzweifelte Abenteurer sein, ihr Glück zu versuchen; und welche Hilfe könnte uns Großbritannien in einem solchen Fall geben? Bevor es überhaupt Nachricht erhielte, könnte das fatale Vorhaben schon geglückt sein, und wir müßten, wie einst die unglücklichen Briten selbst, unter der Tyrannei eines Usurpators leiden. Ihr, die ihr euch der Unabhängigkeit jetzt widersetzt, wißt nicht, was ihr tut; ihr öffnet ewiger Tyrannei die Tür, wenn ihr keine eigene Regierung zulaßt. Es gibt Tausende und Zehntausende, die es für ruhmreich halten, diese barbarische und höllische Macht, die Indianer und Neger aufgehetzt hat, (32) uns zu vernichten, vom Kontinent zu vertreiben; diese Grausamkeit macht sie doppelt schuldig: Sie handelt brutal an uns und verräterisch an jenen.

Es ist verrückt und töricht, mit denen von Freundschaft zu reden, zu denen Vertrauen zu haben uns die Vernunft verbietet und die zu hassen uns unsere Gefühle raten, die tausendfach verletzt wurden. jeden Tag werden die geringen Überbleibsel der Verwandtschaft zwischen uns und ihnen noch weniger, es gibt keinen vernünftigen Grund für die Hoffnung, daß, wenn die Beziehung abbricht, die Zuneigung zunimmt, oder daß wir uns besser verstehen, wenn es zehnmal mehr und bedeutendere Streitpunkte gibt als je zuvor.

Ihr, die ihr uns von Harmonie und Versöhnung erzählt, könnt ihr uns in die vergangene Zeit zurückversetzen? Könnt ihr einer Entehrten ihre frühere Unschuld wiedergeben? Genausowenig könnt ihr Großbritannien und Amerika versöhnen. Der letzte Faden ist gerissen; die Einwohner von England veröffentlichen schon Bittschriften gegen uns. Es gibt Beleidigungen, die die Natur nicht vergeben kann, sie würde aufhören, Natur zu sein, wenn sie es täte. Sowenig ein Liebhaber dem Schänder seiner Geliebten vergeben kann, kann der Kontinent die britischen Morde vergeben. Der Allmächtige hat uns diese unauslöschlichen Gefühle für gute und weise Vorsätze eingepflanzt. Sie sind die Hüter seines Bildes in unseren Herzen. Sie unterscheiden uns von einer Herde gemeiner Tiere. Der Gesellschaftsvertrag würde aufgelöst und die Gerechtigkeit von der Erde getilgt werden oder nur noch gelegentlich existieren, wären wir verhärtet gegenüber den Berührungen dieser Gefühle. Räuber und Mörder würden oft ungestraft entkommen, trieben uns nicht die Ungerechtigkeiten, die unser Gemüt ertragen muß, zur Gerechtigkeit. 0 ihr, die ihr die Menschheit liebt! Ihr, die ihr es wagt euch nicht nur der Tyrannei, sondern auch dem Tyrannen zu widersetzen, tretet vor! Jeder Fleck in der alten Welt ist von der Unterdrückung heimgesucht! Die Freiheit ist über den ganzen Globus gejagt worden. Asien und Afrika haben sie schon lange vertrieben. Europa betrachtet sie wie eine Fremde, und England hat ihr befohlen zu gehen. Oh! Empfangt den Flüchtling, und bereitet rechtzeitig ein Asyl für die Menschheit.
LITERATUR - Thomas Paine, Common Sense, Stuttgart 1892
    Anmerkungen
    15) Unklar. Entweder HENRY PELHAM, 1743-54 Premierminister, oder sein Bruder THOMAS PELHAM, Herzog von Newcastle, 1754-56 und 1757-62 Premierminister.
    16) Am 19. April 1775 begannen mit dem Gefecht bei Lexington und Concord in Massachusetts die offenen Feindseligkeiten zwischen englischen Truppen und amerikanischen Milizen.
    17) Hanover, eine Kleinstadt im heutigen Bundesstaat New Hampshire, wurde während des Siebenjährigen Krieges (1756-63), gleichzeitig Kolonialkrieg zwischen England und Frankreich, mehrmals von französischen Truppen geplündert.
    18) PAINE spricht hier im Plural von den "Jerseys". Dies rührt wohl von der Gründungsgeschichte der Kolonie her, die 1676 zwischen den Quäkern und puritanischen Neueinwanderern aufgeteilt wurde.
    19) Pennsylvania.
    20) Gemeint ist der Siebenjährige Krieg (vgl. Anm. 18).
    21) Nach der Bostoner "Tea Party" von 1773 erließ das Parlament eine Reihe von Strafgesetzen gegen Boston und Massachusetts: Der Hafen der Stadt wurde geschlossen, Truppen in Boston einquartiert, die Freiheitsakte für die Kolonie aufgehoben und die šbeltäter vor englische Gerichte gestellt.
    22) Zitat aus MILTONs Paradise Lost IV, 98 f.
    23) "Stamp Act" von 1765
    24) FREDERICK LORD NORTH, Premierminister 1770-82: viele Amerikaner erhofften sich von einer Entlassung Norths eine Verbesserung der Lage.
    25) Die englischen Zollgesetze für die Kolonien.
    26) Gefecht von Bunker Hill bei Boston am 17. Juni 1775, bei dem die Amerikaner unterlagen, die Engländer aber für ihren Sieg sehr hohe Verluste in Kauf nehmen mußten.
    27) Massaker bei Lexington.
    28) Gemeint ist GEORG III., König von England 1760-1820.
    29) Magna Charta von 1215, mit der König JOHANN OHNELAND seinen Baronen gewisse Freiheitsrechte garantierte.
    30) GIACINTO (Hyacinthe), Marquis de DRAGONETTI (1738-1818) italienischer Rechtsgelehrter, veröffentlichte 1766 seine Abhandlung  Della Virtu e de Premi,  die 1768 unter dem Titel  A Treatise on Virtues and Rewards  in England erschien.
    31) THOMAS ANELLO, auch MASSANELLO genannt, war ein Fischer aus Neapel, der seine Landsleute auf dem Marktplatz gegen die Unterdrückung durch die Spanier aufwiegelte, denen damals diese Stadt gehörte, sie zur Revolte anstachelte und innerhalb eines Tages König wurde.
    32) Kurz vor Erscheinen von  Common Sense  hatte der königliche Gouverneur von Virginia die schwarzen Sklaven zu Revolte gegen ihre weißen Herren aufgerufen; indianische Hilfstruppen kämpften auf beiden Seiten.