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HEINRICH RICKERT
Die Grenzen der
naturwissenschaftlichen Begriffsbildung

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Einleitung
Erstes Kapitel - Die begriffliche Erkenntnis der Körperwelt
I. Die Mannigfaltigkeit der Körperwelt
II. Die Bestimmtheit des Begriffs
III. Die Geltung des Begriffs
IV. Dingbegriffe und Relationsbegriffe
V. Die mechanische Naturauffassung
VI. Beschreibung und Erklärung

Zweites Kapitel - Natur und Geist
Drittes Kapitel - Natur und Geschichte
Viertes Kapitel - Die historische Begriffsbildung
Fünftes Kapitel - Naturphilosophie und Geschichtsphilosophie

"Wenn wir nun aber das Recht haben, die naturwissenschaftliche Begriffsbildung, mit Rücksicht auf ihre letzten und allgemeinsten Ziele, unter dem Gesichtspunkt zu betrachten, daß sie die Beseitigung von Dingbegriffen anstrebt und die Bildung von Relationsbegriffen vorbereitet, so ist es auch kein prinzipieller Einwand mehr gegen unsere Ausführungen, daß Begriffe, die aus Urteilen bestehen, immer Relationsbegriffe sein müssen."

"Die folgende Betrachtung will die Bedingungen aufzeigen, unter denen eine logisch vollkommene Überwindung der unendlichen körperlichen Mannigfaltigkeit durch die Naturwissenschaft möglich wird. Nichts als ein Ideal will sie konstruieren, von dem sie gar nicht entscheidet, ob es erreichbar ist. Wir meinen allein, daß die Naturwissenschaft sich nach diesem Ideal hin bewegen muß, wenn von einem Fortschritt in ihren Begriffen die Rede sein soll."

"Wohl ist auch der moderne Naturforscher Platoniker, insofern als sein Interesse immer auf das Allgemeine gerichtet ist. Aber wir kennen keine allgemeinen Dinge mehr neben oder in den einzelnen. Die einzelnen Dinge sind für uns die Wirklichkeit und zwar die einzige Wirklichkeit, die wenigstens für die empirischen Wissenschaften in Betracht kommt. Das Allgemeine ist daher für uns nicht, wohl aber gilt es, das heißt, wir wollen, wenn wir uns recht verstehen, nicht die Dinge erkennen, sondern jene unbedingt allgemein gültigen Urteile vollziehen, in den wir das auffassen, was wir die die Natur beherrschenden Gesetze nennen."

"Ein Ding, das für die naive Metaphysik eine Eigenschaften tragende Substanz ist, wurde für Kant zu einer Regel der Vorstellungsverbindung. Die Regeln der Vorstellungsverbindung sind dementsprechend der Gegenstand unserer Erkenntnis. Es ist von vornherein klar, daß wir uns diese Regeln niemals durch abbildende anschauliche Vorstellungen, sondern nur durch Urteile zu Bewußtsein bringen können, die angeben, wie die Vorstellungen zusammengehören. Der Auflösung des Dings in die notwendigen Beziehungen, in denen seine Eigenschaften zueinander stehen, entspricht die Auflösung des Begriffs in Urteile. Erkenntniswert können diese Urteile natürlich nur haben, wenn sie wirklich Urteile, d. h. wenn sie wahr sind."

Erstes Kapitel
Die begriffliche Erkenntnis der Körperwelt

IV.
Dingbegriffe und Relationsbegriffe

Je entschiedener wir nun aber hervorheben, daß nur mit Begriffen, die Gesetze enthalten, also unbedingt allgemeingültigen Urteilen logisch äquivalent sind, die geforderte Überwindung der unübersehbaren körperlichen Mannigfaltigkeit zu erreichen ist, umso deutlicher muß eine bisher absichtlich unbeachtet gelassene Schwierigkeit zutage kommen. SIGWART hat sie gegenüber unserer unter anderen Gesichtspunkten bereits früher vertretenen Meinung, daß der wissenschaftliche Begriff aus Urteilen bestehe, hervorgehoben. (1) Seine Ausführungen beziehen sich auf die Begriffslehre im Allgemeinen. Soviel Richtiges darin liege, daß der Begriff als Vereinigungspunkt von Urteilen zu fassen sei, so gehe doch diese Theorie zu weit. Was sollen, wenn jeder Begriff nur ein Komplex von Urteilen ist, die Subjekte und Prädikate dieser Urteile sein? Mögen auch für die wissenschaftliche Bearbeitung anstelle der Merkmale der unmittelbaren Anschauung Kausalgesetze treten, so müssen diese Gesetze doch von irgendetwas gelten. Zugegeben, daß z. B. der Begriff der Gravitation identisch ist mit dem Gravitationsgesetz, so ist er es nur darum, weil er kein Dingbegriff, sondern ein Relationsbegriff ist. Auch er setzt aber stets gravitierende Massen, also Dingbegriffe voraus, so gut wie der früher als Beispiel bereits erwähnte Begriff der Ehe Mann und Weib voraussetzen mußte. Unsere Theorie würde demnach nur für die Relationsbegriffe gelten. Die Dingbegriffe könnten niemals zu logisch vollkommenen Begriffen in unserem Sinne gemacht werden, obwohl sie doch notwendige Voraussetzungen der Relationsbegriffe sind. - Ist dieser Einwand nicht berechtigt?

Wir beschränken und in diesem Zusammenhang natürlich auf das, was aus diesen die allgemeine Begriffslehre betreffenden Ausfürhungen für den naturwissenschaftlichen Begriff in Frage kommt. (2) Aber auch bei dieser Beschränkung muß zugegeben werden, daß die von SIGWART geforderte Scheidung der Dingbegriffe von den Relationsbegriffen durchaus notwendig ist. Wir haben den Einwand, der sich hieraus gegen unsere Theorie herleiten läßt, bereits gestreift, als wir darauf hinwiesen, daß in der Naturwissenschaft schon jede rein formale Begriffs bestimmung, so lange es sich dabei um Begriffe von anschaulichen Dingen handelt, nur mit selbst unbestimmten Elementen vorgenommen werden kann, daß also der naturwissenschaftliche Begriff in unserem Sinne dann aus Elementen besteht, die nicht einmal formal-logisch vollkommene Begriffe sind. Schon aus dem damals Gesagten konnten wir also ersehen, daß eine vollständige Auflösung aller Vorstellungen von der gegebenen Körperwelt, auch nur in die Form von Urteilen, unmöglich ist. Jetzt, wo es sich nicht nur um die Form, sondern auch um den Gehalt der Begriffe handelt, tritt in der Tat diese Schwierigkeit von Neuem auf und wir müssen zu ihr Stellung nehmen.

Zunächst können wir im Anschluß an das früher Gesagte dem Einwurf SIGWARTs noch eine allgemeinere Formulierung geben. Die Schwierigkeit, auf die wir stoßen, läuft der bei der bloß formalen Bestimmung der Begriffe sich ergebenden vollkommen parallel. Dinge sind anschaulich. Die Begriffe von ihnen enthalten daher immer die im ursprünglichen Stadium des Begriffs durch Anschauungen vertretenen Wortbedeutungen. Lösen wir nun die anschaulichen Dinge in die Beziehungen auf, in denen ihre Teile zueinander stehen und verwandeln dementsprechend die durch Vorstellungen repräsentierten Wortbedeutungen in Urteile, welche die Elemente des Begriffs angeben, so brauchen wir dazu wiederum Vorstellungen von anschaulichen Dingen usw. und so scheinen wir auch in diesem Zusammenhang vor die Aufgabe gestellt, eine unendliche Reihe von immer neuen Begriffsbildungen, d. h. Auflösungen der Vorstellungen in Urteile zu vollziehen. Wir werden die Dinge nicht los und mit ihnen auch die empirische Anschauung nicht, die wir durch die Begriffsbildung überwinden wollen.

Indem wir jedoch den Einwurf so formulieren, sind wir, wieder aufgrund unserer früheren Ausführungen, auch bereits auf dem Weg, seine Bedeutung für die Theorie der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung wenigstens erheblich einzuschränken. Allerdings spielen Begriffe von anschaulichen Dingen in den Naturwissenschaften eine große Rolle und es kann dies bei vielen Wissenschaften nicht anders sein. Dieser Umstand aber beweist noch nichts gegen unsere Theorie. Es könnte sein, daß solche Begriffe vor alle dort vorhanden sind, wo es der Wissenschaft entweder noch nicht gelungen ist, ihre Begriffe zur logischen Vollkommenheit durchzubilden oder wo eine solche Durchbildung für die besonderen Zwecke einer Wissenschaft überhaupt nicht notwendig ist. Hier können und müssen wir nur fragen, wie es mit Dingbegriffen in der Naturwissenschaft steht, wenn es sich um das logische Ideal des naturwissenschaftlichen Begriffs handelt.

Allerdings müssen wir auch zugeben, daß die Naturwissenschaft, selbst wenn wir sie uns noch so weit vorgeschritten denken, an der Meinung, daß die Körperwelt aus Dingen besteht, unter allen Umständen festhalten muß, zumindest solange sie den Boden des empirischen Realismus nicht verläßt und sich von erkenntnistheoretischen Deutungen ihrer Begriffe fernhält, d. h. wir lassen hier sogar die Voraussetzung gelten, daß niemals ein naturwissenschaftlicher Begriff von der Körperwelt wird gebildet werden können, in dem ein Begriff von Dingen gänzlich fehlt. Aber auch dieser Umstand hebt unsere Theorie noch nicht auf. Es könnte nämlich erstens die Rolle, die der Begriff von Dingen in einer logisch vollkommen gedachten Naturwissenschaft spielt, nur sehr klein sein und es sich dabei wieder nur gewissermaßen um einen Grenzfall handeln und es könnte ferner auch im Grenzfall nur noch ein Begriff in Betracht kommen, der von solcher Art ist, daß er, obwohl Dingbegriff, unserer Theorie doch nicht widerspricht. Wir werden diese beiden Möglichkeiten zu erwägen haben, ehe wir uns über die Bedeutung des angeführten Einwurfs entscheiden.

Denken wir, um zunächst zu sehen, in welchem Umfang eine logisch vollkommene Naturwissenschaft mit Dingbegriffen arbeiten müßte, wieder an die früher erwähnte Anordnung der verschiedenen Zweige der Naturwissenschaft, bei der wir von Wissenschaften, die hauptsächlich mit relativ unbestimmten allgemeinen Wortbedeutungen arbeiten, zu solchen aufsteigen, in denen diese primitiven Begriffe immer mehr zurücktreten und durch solche ersetzt werden, deren Bestandteile in der Form von Urteilen genau anzugeben sind. Jetzt, wo es sich nicht nur um die formale Bestimmtheit der Begriffe, sondern darum handelt, wie weit der Inhalt der naturwissenschaftlichen Begriffe aus Urteilen bestehen kann und wie weit er Vorstellungen von Dingen beibehalten muß, können wir dem Gedanken einer Anordnung der Naturwissenschaften noch eine andere Wendung geben.

Wie wir wissen, enthält jeder Begriff von anschaulichen Dingen stets noch eine unübersehbare Mannigfaltigkeit. Es steckt also darin etwas, das nur hingenommen, aber nicht in seiner naturgesetzlichen Notwendigkeit erfaßt werden kann, ein dunkler Kern gewissermaßen, der noch der "Erklärung", der Auflösung in die Beziehung seiner Elemente zueinander harrt. Wenn daher auch viele Wissenschaften mit Dingbegriffen arbeiten, so ist doch zu sagen, daß je mehr Dingbegriffe eine Wissenschaft benutzen muß, sie desto weiter von dem Ziel entfernt ist, dem jede Naturwissenschaft zustrebt: der Einsicht in den naturgesetzlichen Zusammenhang der Dinge. Welche Rolle also schließlich die Kategorie des Dings auch in einer abgeschlossen gedachten Theorie der Körperwelt noch spielen würde, so unterliegt es jedenfalls doch keinem Zweifel, daß die Naturwissenschaft danach strebt und streben muß, die starren und festen Dinge immer mehr aufzulösen und sie als nach Gesetzen entstehende und vergehende Vorgänge zu begreifen.

Dieser Umstand aber ist bis zu einem gewissen Grade für die Frage, um die es sich hier handelt, bereits entscheidend, denn er bedeutet nichts anderes, als daß die Naturwissenschaft die Tendenz haben muß, die Dingbegriffe so weit wie möglich in Relationsbegriffe umzuwandeln. Ist sie auch tatsächlich von diesem Ziel noch recht weit entfernt, ist eine solche Umwandlung auf manchen Wissenschaftsgebieten heute für viele Begriffe noch nicht einmal in den ersten Ansätzen möglich, müssen z. B. alle Wissenschaften, die es mit Organismen zu tun haben, bei einer Fülle von Dingbegriffen stehen bleiben, die bis jetzt keine Wissenschaft in Relationsbegriffe umwandeln kann, so hat doch die Logik keinen Grund, diesen Zustand als einen endgültigen, dem logischen Ideal bereits entsprechenden anzusehen. Wenn auch dieser Zustand für die Zwecke einer Spezialwissenschaft genügen mag, so muß er jedenfalls als eine Unvollkommenheit empfunden werden, sobald wir die verschiedenen Naturwissenschaften als Zweige eines einheitlichen Ganzen auffassen. Gerade das aber wollen wir hier tun und unter diesem Gesichtspunkt läßt sich dann als logisches Ideal ein System der verschiedenen Naturwissenschaften so angeordnet denken, daß die Dingbegriffe, mit denen der eine Zweig arbeitet und, so lange er über die besondere Aufgabe, die er sich stellt, nicht hinaussieht, auch arbeiten muß, von einem anderen Zweig, der sich umfassendere Aufgaben stellt, übernommen und in Relationsbegriffe umgewandelt werden, daß dieser Zweig dann seine Dingbegriffe einer noch umfassenderen Wissenschaft übergibt usw., bis schließlich eine die ganze Körperwelt umfassende Theorie die Arbeit der Begriffsbildung vollendet. Wäre dieses Ziel erreicht, so würde die ander Spitze des angedeuteten Systems stehende Naturwissenschaft, mit einer einzigen sogleich noch zu erörternden Ausnahme, nur noch mit Relationsbegriffen arbeiten. Die Dingbegriffe, die die anderen Wissenschaften innerhalb ihres Gebietes beibehalten können und müssen, würden sich in dieser Wissenschaft, die wir als die letzte Naturwissenschaft bezeichnen wollen, in Relationsbegriffe auflösen. (3)

Wir werden diesen Gedanken im Einzelnen noch etwas genauer verfolgen, wenn wir zusehen, wie weit ein solches logisches Ideal in der Wissenschaft bereits verwirklicht ist. Hier können wir rein formal diesen Gedanken so zusammenfassen, daß zwar in der Tat Begriffe, die aus Urteilen bestehen, immer auch Relationsbegriffe sein müssen und nicht mehr Begriffe von anschaulichen Dingen sein können, daß aber gerade deswegen die Relationsbegriffe die logisch vollkommensten Begriffe sind. Was in den Naturwissenschaften an Dingbegriffen vorhanden ist, hängt - von der einen angedeuteten Ausnahme abgesehen - lediglich damit zusammen, daß von verschiedenen Seiten her dier Körperwelt von verschiedenen Wissenschaften in Angriff genommen wird und daß die Spezialwissenschaften, selbstverständlich mit Recht, sich immer nur eine beschränkte Aufgabe in der Erkenntnis der Körperwelt stellen. Wenn sie das tun, so brauchen sie auch nicht alle ihre Begriffe zur denkbar höchsten logischen Vollkommenheit durchzubilden und sie können überall dort ruhig bei Dingbegriffen stehen bleiben, wo für ihre begrenzten Ziele keine Probleme mehr vorliegen. Sobald wir jedoch an den Zusammenhang der Naturwissenschaften denken und im Auge behalten, daß alle einzelnen Zweig zu einer allgemeinen Theorie der Körperwelt in Beziehung gebracht werden können, so müssen wir sagen: Begriffe von anschaulichen Dingen sind immer noch naturwissenschaftliche Probleme, erst Relationsbegriffe bahnen die Lösung dieser Probleme an und wenn sie unbedingt allgemeine Urteile, d. h. Natur-Gesetze enthalten, so sind sie Problemlösung. (4)

Wenn wir nun aber das Recht haben, die naturwissenschaftliche Begriffsbildung, mit Rücksicht auf ihre letzten und allgemeinsten Ziele, unter dem Gesichtspunkt zu betrachten, daß sie die Beseitigung von Dingbegriffen anstrebt und die Bildung von Relationsbegriffen vorbereitet, so ist es auch kein prinzipieller Einwand mehr gegen unsere Ausführungen, daß Begriffe, die aus Urteilen bestehen, immer Relationsbegriffe sein müssen. Für das logische Ideal wenigstens der bei weitem meisten naturwissenschaftlichen Begriffe bleibt unsere Theorie dann gültig, denn es handelt sich bei diesem Ideal im Wesentlichen um Relationsbegriffe. Die Rolle, welche in einer logisch vollkommen gedachten Naturwissenschaft die Dingbegriffe noch spielen würden, ist also zumindest sehr klein. Damit ist die erste Frage, win welchem Umfang auch eine logisch vollkommen gedachte Naturwissenschaft noch mit Dingbegriffen arbeiten muß, im Prinzip erledigt.

Aber, wie gesagt, es gibt eine Ausnahme. Ebenso, wie bei der Erörterung über die formale Bestimmtheit der Begriffe, so muß auch hier wieder gerade die Erinnerung an den Zusammenhang und an die Rangordnung der Naturwissenschaften uns darauf führen, daß der Gedanke an eine nur vorläufige Verwendung der Dingbegriffe in den einzelnen Wissenschaften und an ihre immer weiter fortschreitende Umsetzung in Relationsbegriffe uns schließlich doch nicht zu befriedigen vermag. Diese Umsetzung läßt sich nicht bis ins Unendlich durch eine Reihe von immer neuen Wissenschaften fortführen. Wie im früheren Zusammenhang, so werden wir auch hier zur Forderung einer Wissenschaft gedrängt, die am Ende der Reihe steht und daher ihre Dingbegriffe keiner anderen Wissenschaft mehr zur Auflösung in Relationsbegriffe zuschieben kann. Diese letzte Wissenschaft hätte als logische Idealwissenschaft alle naturwissenschaftlichen Probleme zu lösen, welche die anderen Naturwissenschaften als für ihre besonderen Zwecke unwesentlich zurückschieben, sie würde also, wie früher schon alle anschauliche Mannigfaltigkeit, so jetzt alle Dingbegriffe ohne jede Ausnahme beseitigen müssen, falls wirklich die Lösung aller Probleme mit der Bildung von Relationsbegriffen zusammenfiele. Weil wir aber voraussetzen wollen, daß eine vollständige Beseitigung der Dingbegriffe in einem naturwissenschaftlichen Weltbegriff nicht einmal als logisches Ziel des wissenschaftlichen Strebens aufzustellen ist, so bedarf in der Tat unsere Theorie noch einer Erweiterung. Da auch die letzte Naturwissenschaft, selbst wenn wir sie in höchster Vollendung denken, noch immer mit Begriffen von Dingen arbeiten würde, so muß es, wenn eine logisch vollkommene allgemeine Theorie der Körperwelt möglich sein soll, auch logisch vollkommene allgemeine Theorie der Körperwelt möglich sein soll, auch logisch vollkommene naturwissenschaftliche DIngbegriffe geben. Insofern ist der Einwand, mit dem wir uns hier abzufinden haben, durchaus berechtigt, aber auch nur insofern.

Wir könnten nun zwar auch hier sagen, daß es sich beim Gedanken einer letzten Naturwissenschaft und der für sie notwendigen logisch vollkommenen Dingbegriffe nur um einen Grenzfall handelt, der unsere Theorie im Allgemeinen unberührt läßt. Zu völligen Klarlegung unseres Gedankenganges wird es jedoch gut sein, auch diese Frage nach der Begriffsbildung in der letzten Naturwissenschaft, die wir bei Erörterung der Bestimmtheit der Begriffe zurückgeschoben haben, ausdrücklich zu behandeln. Wir haben dazu umso meh Veranlassung, als dadurch nicht nur die Frage nach der Begriffs bestimmung endgültig erledigit ist, sondern unsere gesamte Theorie, wonach das Wesen der Naturwissenschaftlichen Begriffsbildung in einer Vereinfachung der gegebenen körperlichen Mannigfaltigkeit besteht, erst hierdurch vollkommend überzeugend und abschließend entwickelt werden kann. Wir werden sehen, daß es eine Überwindung der unübersehbaren Mannigfaltigkeit nicht nur durch Gesetzesbegriffe, sondern auch durch eine neue Gattung von Begriffen gibt, die als Dingbegriffe von besonderer Art an die Stelle der Gesetzesbegriffe treten. Dann werden wir auch die Frage beantworten können, ob die zweite der oben angedeuteten Möglichkeiten erfüllt ist, d. . ob diese Dingbegriffe, die auch die letzte Naturwissenschaft nicht entbehren kann, von solcher Art sind, daß sie sich unserer Theorie der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung einordnen lassen. Es wird sich zeigen, daß auch diese Begriffe unsere Theorie lediglich bestätigen.

Nehmen wir an, es sei der Naturwissenschaft gelungen, die allgemeinsten Gesetze zu finden, die ausnahmslos alles körperliche Geschehen beherrschen, es seien die Dingbegriffe so weit wie möglich zurückgedrängt und in Relationsbegriffe aufgelöst, es sei also durch die letzte Naturwissenschaft ein Begriff der Körperwelt gebildet, in dem nur noch die Dingbegriffe vorkommen, die durch keinen weiteren Fortschritt der empirischen Wissenschaft mehr beseitigt werden können. Die Dinge, aus denen nach diesem Weltbegriff die Körperwelt dann eigentlich besteht und von denen all die Gesetze gelten, welche die letzte Naturwissenschaft gefunden hat, wollen wir als die "letzten Dinge" bezeichnen. Wir haben nun zu fragen, wie die Begriffe von ihnen gestaltet sein müßten, wenn die höchste Aufgabe der Naturwissenschaft, eine vollkommen allgemeine Theorie der Körperwelt, als gelöst betrachtet werden soll.

Wir suchen diese Frage lediglich aus den bisher gemachten Voraussetzungen über die Aufgabe des naturwissenschaftlichen Begriffs zu beantworten und lassen es dabei zumächst ganz dahingestellt, ob Dinge, die dem von uns konstruierten logischen Ideal entsprechen, auch wirklich existieren. Die folgende Betrachtung will nur die Bedingungen aufzeigen, unter denen eine logisch vollkommene Überwindung der unendlichen körperlichen Mannigfaltigkeit durch die Naturwissenschaft möglich wird. Nichts als ein Ideal will sie konstruieren, von dem sie gar nicht entscheidet, ob es erreichbar ist. Wir meinen allein, daß die Naturwissenschaft sich nach diesem Ideal hin bewegen muß, wenn von einem Fortschritt in ihren Begriffen die Rede sein soll.

Gehen wir zu diesem Zweck von der zeitlichen Natur der uns gegebenen körperlichen Vorgänge aus. Alle Dinge, die wir kennen, veränderns sich. Jede Veränderung aber durchläuft eine unübersehbare Anzahl verschiedener Stadien. Die hiermit notwendig verbundene anschauliche Mannigfaltigkeit darf den "letzten" Dingen nicht anhaften. Sie müssen vielmehr unveränderlich sein. Und sie müssen das natürlich nicht nur für eine begrenzte Zeit sein, sondern auch in Vergangenheit und Zukunft, denn eine allgemeine Theorie der Körperwelt soll für alle Zeiten gelten. Wir haben also anzunehmen, daß die "letzten" Dinge auch ungeworden und unvergänglich sind, da jedes Werden oder Vergehen Veränderung in Vergangenheit oder Zukunft einschließt. Mit der Unveränderlichkeit ist selbstverständlich auch die Unteilbarkeit der letzten Dinge gegeben, denn jede Teilung wäre Veränderung. Und wenn die Dinge unteilbar sind, so kann schließlich eines vom andern nicht quantitativ verschieden sein, denn dann wäre das eine größer als das andere und das größere wäre noch teilbar. Die letzten Dinge also sind untereinander quantitativ vollständig gleich, soweit von Quantität beim Unteilbaren noch geredet werden kann.

Diese quantitative Gleichheit der letzten Dinge untereinander und ihre Unveränderlichkeit läßt sich auch aus der räumlichen Natur der Körperwelt herleiten. Alle uns in der empirischen Anschauung gegebenen Dinge im Raum sind teilbar und ihre Teilbarkeit schließt unübersehbare Mannigfaltigkeit ein. Die letzten Dinge aber müssen, wenn diese Mannigfaltigkeit begreiflich sein soll, als unteilbar angenommen werden. Damit ist dann wieder auch ihre quantitative Gleichheit gegeben, wie wir das soeben gesehen haben. Doch hat es keinen Zweck, die verschiedenen Wege zu verfolgen, auf denen sich dieselben Bestimmungen über die Natur der letzten Dinge gewinnen lassen. Es handelt sich dabei ja um ganz einfache und nahezu selbstverständliche Sätze.

Nur einen Punkt müssen wir noch ausdrücklich ins Auge fassen. Die Qualität der letzten Dinge bedarf noch einer Erörterung. Selbstverständlich ist es zwar, daß jedes einzelne letzte Ding nicht nur alle quantitative, sondern auch alle qualitative Mannigfaltigkeit von sich ausschließen muß. Jede qualitative Mannigfaltigkeit an einem Ding würde ja notwendig mit Veränderung oder wenigstens Teilbarkeit verbunden sein, die, wie wir wissen, nicht vorhanden sein darf. Wäre es aber dabei nicht noch möglich, daß die verschiedenen "letzten" Dinge sich voneinander qualitativ unterschieden? Es läßt sich leicht zeigen, daß auch diese Mannigfaltigkeit der letzten Dine ausgeschlossen werden muß und daß wir also zur Ausschließung jeder Verschiedenheit in den letzten Dingen genötigt sind.

Zunächst könnte man ja meinen, daß für unseren Zweck die Annahme einer begrenzten und übersehbaren Anzahl von Klassen letzter Dinge genügte, von denen jede Klasse eine besondere Qualität zeigte. Es ließe sich dann die unübersehbare Fülle von Qualitäten der gegebenen Welt aus dieser übersehbaren Anzahl von Qualitäten begreifen. Das ist richtig und in der Tat ist unter dieser Voraussetzung eine Naturwissenschaft möglich, die bereits eine sehr hohe logische Vollkommenheit ihrer Begriffe besitzt. Aber sobald wir an das Ideal einer vollkommen allgemeinen Theorie der Körperwelt denken, können wir uns mit dieser immerhin sehr großen Vereinfachung der gegebenen Mannigfaltigkeit doch nicht begnügen. Denn es ist nicht nur nötig, daß uns eine begrenzte Anzahl von verschiedenen Qualitäten der letzten Dinge lediglich als eine empirische Tatsache gegeben ist, bei der wir stehen bleiben, sondern wir müssen eine Theorie erstreben, bei der wir sicher sind, daß wir niemals irgendwo im Raum und irgendwann in der Zeit auf neue, eventuell unübersehbar viele neue Qualitäten treffen, die sich unter keinen unserer Begriffe bringen lassen. Eine solche Sicherheit ist jedoch nur dann erreichbar, wenn sich alle qualitativ voneinander verschiedenen Dinge unter einen Begriff bringen lassen, der jede denkbare Qualität umfaßt. Dieser Begriff darf natürlich keine Bestandteile mehr enthalten, die Begriffe qualitativ voneinander verschiedener Dinge sind, weil sonst für diese Dinge ein neuer Begriff notwendig wäre usw. Das aber heißt nichts anderes, als daß schließlich der Begriff einer letzten unauflösbaren Qualität gebildet werden muß, als dessen Arten sich alle Begriffe der verschiedenen Qualitäten auffassen lassen. Dinge, die noch untereinander irgendwie verschieden sind, können also niemals "letzte Dinge" in dem Sinne sein, daß durch den Begriff von ihnen die Körperwelt vollkommen zu begreifen ist. Es müssen sich vielmehr alle voneinander verschiedenen Dinge als zusammengesetzt aus Dingen begreifen lassen, die untereinander in jeder Hinsicht gleich sind.

Das Resultat, zu dem wir gelangt sind, läßt sich auch so darstellen. Wenn jede Mannigfaltigkeit der Körperwelt übersehbar werden soll, so müssen die letzten Dinge, aus denen sie besteht, als in jeder Hinsicht einfach angenommen werden. Weil einfache Dinge uns aber niemals in der empirischen Anschauung gegeben sind, sondern die bisher betrachteten Dingbegriffe immer Begriffe von anschaulichen, also unübersehbar mannigfaltigen Dingen waren, so mußte schon aus diesem Grund der vorher betrachtete Prozeß der Vereinfachung mit einer Beseitigung der Dingbegriffe zusammenfallen. Sobald es sich nun um die letzten Dinge handelt, also eine Beseitigung des Dingbegriffs ausgeschlossen ist, so muß der Prozeß der Vereinfachung zur Bildung von Begriffen einfacher Dinge führen. Dingbegriffe muß also auch die "letzte" Naturwissenschaft noch annehmen, aber es dürfen das nicht mehr Begriffe von anschaulichen Dingen sein. Darin besteht die neue Art der Vereinfachung und Begriffsbildung, die wir hier kennen lernen. In einfache, nicht anschauliche Dinge müssen sich alle mannigfaltigen, anschaulichen Dinge auflösen lassen.

Die letzte Naturwissenschaft behält demnach nur noch einen Dingbegriff übrig, den Begriff des einfachen Dinges. Dieses Resultat entspricht genau dem, wozu wir bei der Betrachtung der Gesetzesbegriffe gelangten und auch der Grund ist derselbe, der uns im früheren Zusammenhang nicht bei einer Mehrheit letzter Gesetzesbegriffe stehen bleiben ließ. Ein Gesetzesbegriff war notwendig, unter den alle anderen Gesetzesbegriffe als seine Arten fallen. Ein Dingbegriff allein darf bleiben, unter den sich alle verschiedenen körperlichen Dinge in der Welt bringen lassen müssen. Beides sind rein logische Forderungen, denn nur in einem solchen Weltbegriff wäre alle Mannigfaltigkeit der anschaulichen Wirklichkeit vollkommen überwunden und die Körperwelt wirklich im Ganzen und im Einzelnen begreiflich gemacht.

Nur auf einen Punkt müssen wir noch hinweisen, um den so gewonnenen Weltbegriff zu vervollständigen und das Wesen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung in ihrer vollkommensten Form klarzulegen. Es enthält nämlich auch dieser Weltbegriff noch immer eine Mannigfaltigkeit, ja sie ist sogar in doppelter Hinsicht vorhanden. Wenn auch jedes letzte Ding für sich vollkommen einfach und jedem anderen gleich ist, so bleibt doch zunächst die Anzahl der letzten Dinge unbegrenzt oder falls das bestritten werden sollte, weil der Begriff einer unbegrenzten Anzahl einen Widerspruch enthält, so bleibt diese Anzahl jedenfalls empirisch unübersehbar und ferner können die unübersehbar vielen Dinge in unübersehbar viele Beziehungen zueinander treten. In diese Anzahl der letzten Dinge und der Beziehungen, in denen sie zueinander stehen, hat sich die Unendlichkeit der Körperwelt gewissermaßen zurückgezogen. Das war notwendig, denn irgendwo mußte sie doch ihren Platz finen. Wir würden es ja als eine Fälschung der Welt durch die naturwissenschaftliche Begriffsbildung ansehen, wenn das unübersehbare All sich in den Begriffen als eine begrenzte Wirklichkeit darstellte. Warum aber stört diese Mannigfaltigkeit der letzten Dinge und die ihrer Beziehungen zueinander uns nicht mehr?

Die Beantwortung dieser Frage führt uns auf ein Problem, das in diesem Zusammenhang erschöpfend zu behandeln, nicht unsere Aufgabe ist, auf das wir aber, um diese Auseinandersetzung zu einem Abschluß zu bringen, wenigstens hindeuten müssen. Es handelt sich um die Bedeutung der Mathematik für die Begriffsbildung der Naturwissenschaft. Wir haben bisher die mathematischen Begriffe absichtlich nicht berücksichtigt, weil ihre logischen Eigentümlichkeiten für unseren Zweck ohne Bedeutung sind. Hier kommt jedoch auch die Mathematik als Mittel zur Vereinfachung der Körperwelt in Frage und soweit das der Fall ist, müssen wir wenigstens auf sie hinweisen. Doch begnügen wir uns mit der Feststellung einer Tatsache, ohne ihre Gründe näher zu untersuchen. Die Mathematik gehört ja nicht zu den Naturwissenschaften in unserem Sinne. Sie hat es nicht mit wirklichen Körpern zu tun und ihren Objekten fehlt daher die Art der Mannigfaltigkeit, welche jede empirische Anschauung besitzt.

Jedenfalls ist, um zunächst die Anzahl der letzten Dinge zu erörtern, ihre Mannigfaltigkeit deshalb kein störendes Element im Begriff von der Körperwelt mwhr, weil die bloße Zahlenreihe niemals in dem Sinne unübersehbar ist, wie eine empirische Anschauung. Wir kennen das Gesetz dieser Zahlenreihe, d. h. wir wissen, daß wie weit wir auch zählen mögen, uns niemals etwas prinzipiell Neues in der Zahlenreihe begegnen kann. (5) Es genügt daher, wenn die Vereinfachung soweit vollzogen ist, daß nur noch die Mannigfaltigkeit der Zahlenreihe übrig bleibt. Wenn aber die letzten Dinge einfach und untereinander vollkommen gleich sind, so ist das der Fall. Dann kann ihre Anzahl, die das Weltganze oder irgendeinen Teil der Körperwelt bildet, jede beliebige Größe haben, denn jede Anzahl fällt unter einen Begriff, der die Eigenschaft hat, jede beliebige Größe zu umfassen. Jeder Vorgang der Körperwelt läßt sich dann, wie wir jetzt sagen können, unter den Begriff von Komplexen letzter Dinge bringen, die sich, was diese Dinge begrifft, nur durch deren Anzahl voneinander unterscheiden und daher mathematisch begreiflich sind.

Jedoch nicht nur in der Anzahl der Dinge bleibt eine Mannigfaltigkeit in der Welt übrig, sondern, wie bereits angedeutet, ist sie auch in der Verschiedenheit der Beziehungen, in denen die letzten Dinge zueinander stehen und im Wechsel dieser Beziehungen vorhanden. Zwar haben wir das Mittel zur Überwindung einer solchen Mannigfaltigkeit bereits in den Gesetzesbegriffen gefunden. Aber erst nachdem wir die Natur der letzten Dinge kennen, läßt sich genauer zeigen, in welchem Sinn auch die Vielheit ihrer Beziehungen nicht unübersehbar und unbegreiflich ist und dadurch also das, was wir über die zur Überwindung der empirischen Mannigfaltigkeit notwendigen Relations- und Gesetzesbegriffe gesagte haben, nocht etwas ergänzen.

Es handelt sich, wie wir wissen, um eine Körperwelt in Raum und Zeit. Da qualitative Verschiedenheiten in den letzten Dingen nicht vorhanden sein können, so muß sich auch alle Verschiedenheit und aller Wechsel in den Beziehungen dieser letztne Dinge auf verschiedene räumliche und zeitliche Bestimmungen zurückführen lassen, d. h. es muß auch aus den Beziehungen der Dinge zueinander jede qualitative Mannigfaltigkeit entfernt gedacht werden. Oder: das Unveränderlichen kann seine Lage nur in Raum und Zeit verändern, also aller Wechsel in den Beziehungen der letzten Dinge zueinander muß Bewegung sein.

Nun ist zwar eine unübersehbar große Anzahl von verschiedenen Bewegungen anzunehmen. In diese Mannigfaltigkeit zieht sich die Unübersehbarkeit des empirischen Wechsels der Dinge in demselben Sinn zurück, wie vorher die Mannigfaltigkeit der unendlich vielen Einzelgestaltungen in die unübersehbar große Anzahl der letzten Dinge. Aber diese Mannigfaltigkeit der Bewegungen ist wieder nicht in dem Sinne unübersehbar, wie die anschauliche Wirklichkeit. Die Bewegungen der letzten Dinge sind vielmehr darstellbar als mathematische Größen, denen die Mannigfaltigkeit der empirischen Anschauung fehlt. Sie lassen sich in Reihen so angeordnet denken, daß sie ein Kontinuum bilden und daß der Begriff eines solchen Kontinuums die Bewegungen jeder denkbaren oder beliebigen Größe umfaßt. Auch hier kommen wir also dazu, daß jede Beziehung letzter Dinge zueinander unter den Begriff einer kontinuierlichen Reihe zu bringen ist. Es löst sich auch unter diesem Gesichtspunkt die unübersehbare Mannigfaltigkeit der Welt wieder in eine mathematische und daher übersehbare Mannigfaltigkeit auf. So weit wir nämlich auch eine solche Reihe verfolgen mögen, es kann uns in ihr ebenso wenig wie in der Zahlenreihe etwas prinzipiell Neues oder Unbekanntes begegnen. Die Fülle der verschiedenen Bewegungen ist vielmehr in einem System mathematisch formulierter Bewegungsgesetze vollkommen begreiflich.

Damit sind wir endlich zu einem Abschluß des Weltbegriffs gelangt, den wir als logisches Ideal der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung aufstellen müssen und dem sich anzunähern die logische Aufgabe der "letzten Naturwissenschaft" ist.

Kehren wir, nachdem wir diesen Begriff gewonnen haben, noch einmal zu einem Gedanken zurück, den wir zu Beginn dieser Untersuchung andeuteten. Wir mußten dort dem Mißverständnis vorbeugen, daß die von uns behauptete unendliche Mannigfaltigkeit der anschaulichen Wirklichkeit nichts anderes sei, als der Begriff eines in unendlich viele mathematische Punkte zerlegbaren Kontinuums. Jetzt können wir vollkommen deutlich sehen, wie wenig diese beiden Arten von Unendlichkeit, von denen wir die eine als die der empirischen Anschauung, die andere als die mathematisch-begriffliche bezeichnen können, miteinander zu tun haben. Wir müssen sie vielmehr geradezu in einen Gegensatz zueinander bringen, denn die eine schließt die andere aus. Durch die mathematische Behandlung der Naturwissenschaften verdrängen wir die Unendlichkeit, welche die anschauliche Wirklichkeit uns bietet und die wir in unserer Unfähigkeit, die Mannigfaltigkeit der Wirklichkeit uns in all ihren Einzelheiten zum ausdrücklichen Bewußtsein zu bringen, als Tatsache erleben. Wir setzen an ihre Stelle den mathematischen Begriff eines aus beliebig vielen Teilen bestehenden Kontinuums, um so die gegebene Wirklichkeit vollständig zu vereinfachen. Wir können es daher geradezu als die letzte und abschließende Aufgabe der begrifflichen Bearbeitung der Körperwelt bezeichnen, aus jeder unübersehbaren Unendlichkeit der empirischen Anschauung eine übersehbare mathematische Unendlichkeit zu machen. Unübersehbar ist die Unendlichkeit der Wirklichkeit deshalb, weil jeder ihrer Teile seine eigenartige Gestaltung besitzt und von allen anderen verschieden ist. Übersehbar ist die mathematische Unendlichkeit eines Kontinuums deswegen, weil wir jedes beliebig Glied herausgreifen können und in ihm bereits alles haben, was für sämtliche Glieder der Reihe in Betracht kommt.

Zum Schluß dieses Abschnittes müssen wir uns jetzt noch der Frage zuwenden, wie weit der gefundene Begriff der letzten Dinge, den auch eine logisch vollkommene allgemeine Theorie der Körperwelt nicht entbehren kann, sich unserer Theorie einordnen läßt, nach der das logische Ideal des naturwissenschaftlichen Begriffs aus Urteilen besteht, die ihn bestimmen und zugleich durch ihre Geltung ihm die notwendige unbedingte Allgemeinheit verleihen.

Für die Beantwortung dieser Frage kommt vor allem in Betracht, daß der Inhalt eines Begriffs, der sich nicht auf anschauliche Dinge bezieht, auch niemals aus Vorstellungen bestehen kann, ja daß sich sogar nicht einmal eine vorstellungsmäßige Stellvertretung für einen solchen Begriff der letzten Dinge finden läßt. Zunächst können wir daraus ersehen, inwieweit mit solchen Dingbegriffen das abschließende Ideal einer vollständigen Begriffs bestimmung zu erreichen ist. So lange aus dem Begriffsinhalt die anschauliche Stellvertretung, die immer eine unbestimmte Wortbedeutung sein muß, nicht beseitigt werden konnte, war eine vollständige Begriffsbestimmung unausführbar. Vergegenwärtigen wir uns aber den Begriffsinhalt der letzten Dinge, so müssen wir dabei alles das verneinen, was uns von den in der empirischen Anschauung gegeben mannigfaltigen Dingen bekannt ist. Die letzten Dinge sind nicht teilbar, nicht veränderlich, nicht geworden, nicht vergänglich usw. Das scheinbar positive Merkmal der Einfachheit ist, auf Körper angewendet, ebenfalls nur eine Negation. So ist aus dem Begriffsinhalt der letzten Dinge alles ausgeschlossen, was Unbestimmtheit mit sich führen könnte. Die Bestimmung ist zwar durchweg negativ, aber doch vollkommen eindeutig, denn es handelt sich hier, wie bei allen brauchbaren "negativen Begriffen", um zweigliedrige Disjunktionen. Alle Dinge, die uns gegeben sind, sind mannigfaltig und zeigen alles, was die letzten Dinge nicht haben sollen. Es ist daher ganz ausgeschlossen, daß der Begriff des letzten Dings jemals mit dem Begriff eines anderen Dings verwechselt wird. Was aber sonst im logisch vollkommen gedachten Begriff von der Körperwelt übrig bleibt, sind lauter mathematische Mannigfaltigkeiten, die, weil sie keine empirische Anschuung enthalten, nicht nur übersehbar, sondern auch von Unbestimmtheit ebenfalls vollkommen frei sind. Die Unbestimmtheit ergab sich uns ja nur als eine Folge der empirischen Anschauung. Der Begriff der letzten Dinge vollendet also zunächst unsere Theorie insofern, als mit seiner Hilfe eine vollkommene formale Bestimmtheit der Begriffe gewonnen werden kann.

Noch wichtiger aber ist etwas anderes. Wenn der Begriff der letzten Dinge seinem Inhalt nach nicht dadurch zu vergegenwärtigen ist, daß wir irgendetwas anschaulich vorstellen, sondern nur dadurch, daß wir vom letzten Ding alles das verneinen, was wir von der empirischen Anschauung kennen, so setzt sich dieser Begriff, sobald wir ihn wirklich denken, ebenso wie die anderen logisch vollkommenen Begriff der Naturwissenschaft aus lauter Urteilen zusammen. Als das Ding, von dem diese Urteile etwas aussagen, bleibt nur etwas übrig, das vorzustellen wir uns vergeblich bemühen und das wir, auch wenn wir uns den Inhalt des Begriffes vollständig vergegenwärtigt haben, gar nicht vorzustellen brauchen. So können wir sagen, daß wir auch hier im Grunde genommen einen Relationsbegriff vor uns haben und nur dadurch unterscheidet sich dieser Relationsbegriff von anderen Relationsbegriffen, daß wir ihn so behandeln, als ob er ein Dingbegriff wäre. Wir müssen von einem Ding sprechen, weil wir uns die Welt nicht anders als aus Dingen bestehend denken können, aber lediglich der Inhalt der Urteile, die wir über das Ding fällen und ihre Geltung hat in einem wissenschaftlichen Zusammenhang einen Wert. Wie die Geltung dieser Urteile zu begründen ist, läßt sich aus formal logischen Gesichtspunkten natürlich nicht entscheiden. Aber es kommt ja nur darauf an, daß überhaupt Urteile und ihre Geltung auch beim Begriff des letzten Dinges das Wesentliche sind.

So geht es der Naturwissenschaft mit ihren letzten Dingen nicht anders, wie es ihr mit allen Dingen geht: sie löst die Begriffe von ihnen in Urteile auf. Ja, gerade dieser unserer Theorie scheinbar widersprechende Grenzfall der Begriffsbildung macht die Sache am allerdeutlichsten. Ist die Naturwissenschaft bei ihren letzten Dingbegriffen angelangt, so kann sie bei ihrer Bildung nur noch Urteile vollziehen und nicht einmal eine vorstellungsmäßige Stellvertretung ist hier wie bei anderen Dingbegriffen zu gewinnen. Die Dinge, aus denen nach einer logisch vollkommenen Theorie die Körperwelt allein bestehen kann, kommen lediglich als ein leeres Etwas in der Wissenschaft vor. Eigentlich sind nur die Beziehungen, in welche diese Dinge zueinander treten, von Bedeutung. Diese Beziehungen aber werden ebenfalls stets durch Urteile angegeben. So ordnet sich also auch dieser Grenzfall unserer Theorie durchaus ein. Der Inhalt aller logisch vollkommenen naturwissenschaftlichen Begriff besteht aus Urteilen.

Wenn so die Wissenschaftslehre im Gegensatz zur traditionellen Auffassung, die im Begriff eine Vorstellung sieht, Urteilsakte als das eigentliche Wesen wenigstens des naturwissenschaftlichen Begriffs betrachtet, so tut sie damit im Grunde nichts anderes, asl daß sie die Auffassung der modernen Wissenschaft zum Ausdruck bringt, im Gegensatz zur antiken Auffassung, auf deren Boden die traditionelle Logik erwachsen ist. Ein kurzer historischer Rückblick wird das bisher Gesagte vielleicht noch klarer machen.

Wie die Begriffslehre beschaffen war, die SOKRATES vortrug, werden wir mit absoluter Sicherheit schwerlich feststellen können. Für die Zukunft entscheidend war die Wendung, die PLATOs Ideenlehre dem Nachdenken über logische Fragen gab. ARISTOTELES ist in dieser Hinsicht durchaus von PLATO abhängig. (6) Das einzelne Ding ist für die Erkenntnis ohne Bedeutung, es existiert nach PLATO eigentlich gar nicht. Die wahre Wirklichkeit ist für PLATO eine Welt von allgemeinen und zugleich anschaulichen Gestaltungen; diese "Ideen" sind allgemeine Dinge, und diese Dinge sind der Gegenstand der Erkenntnis. Mochte man nun diese Dinge mehr transzendent oder mehr immanent auffassen, das Ziel des Erkennens konnte nur darin bestehen, die Urbilder in anschaulichen Vorstellungen zu reproduzieren. Auch für ARISTOTELES ist der Gegenstand der Erkenntnis ein Ding. Die Begriffe mußten dementsprechen, um ihren Zweck zu erfüllen, bildartige, anschauliche, jedenfalls vorstellungsmäßige Gebilde sein. Ihre Aufgabe bestand darin, den Gegenstand der Erkenntnis abzubilden. Ganz gewiß ist es daher unrichtig, wenn LOTZE in einem der tiefsinnigsten Kapitel seiner Logik (7) die platonische Idee als das interpretiert, was gilt im Gegensatz zu dem, was ist. Gerade dieser Gedanke ist vielmehr völlig unplatonisch: die Ideen sind nach PLATO das wirklich Seiende.

Umso wertvoller dagegen ist die LOTZEsche Unterscheidung zwischen Sein und Gelten für eine Wissenschaftslehre, in der die Tendenzen der modernen Naturwissenschaft, wie sie sich seit den Zeiten der Renaissance entwickelt hat, zum Ausdruck kommen sollen. Vorstellungen sind, Urteile gelten. Wohl ist auch der moderne Naturforscher Platoniker, insofern als sein Interesse immer auf das Allgemeine gerichtet ist. Aber wir kennen keine allgemeinen Dinge mehr neben oder in den einzelnen. Die einzelnen Dinge sind für uns die Wirklichkeit und zwar die einzige Wirklichkeit, die wenigstens für die empirischen Wissenschaften in Betracht kommt. Das Allgemeine ist daher für uns nicht, wohl aber gilt es, das heißt, wir wollen, wenn wir uns recht verstehen, nicht die Dinge erkennen, sondern jene unbedingt allgemein gültigen Urteile vollziehen, in den wir das auffassen, was wir die die Natur beherrschenden Gesetze nennen. Für uns ist das Ding nur ein bestimmtes Stadium eines gesetzmäßigen Vorganges, die Einzeldinge interessieren uns in der Naturwissenschaft nur insofern, als sie Ausdruck eines allgemeinen, immer gültigen Verhaltens sind. Unsere naturwissenschaftlichen Begriffe müssen dementsprechend etwas anderes sein, als die antiken. Sie können nicht mehr vorstellungsmäßige Abbilder von Dingen, sondern nur das Wissen von Gesetzen oder wenigstens die Vorstufen zu einem solchen Wissen enthalten. Jedes Wissen aber ist ein Urteil. Nur als einer besonderen Form des Urteils kommt daher dem Begriff eine wesentliche Bedeutung im modernen wissenschaftlichen Erkenntnisprozeß zu.

Und nicht nur die Tendenz der modernen Naturwissenschaft, Gesetze zu erkennen, rechtfertigt unsere Umbildung der herkömmlichen Begriffstheorie, sondern sie steht auch im Zusammenhang mit den Gedanken, die, von KANT ausgehend, unseren modernen erkenntnistheoretischen oder metaphysischen Bestrebungen, trotz manches Widerspruchs im Einzelnen, doch das charakteristische Gepräge verleihen. Es ist bekannt, daß KANT in der zweiten Auflage seiner Vernunftkritik den Satz geschrieben hat, die Logik habe seit ARISTOTELES keinen Schritt rückwärts tun dürfen. Es ist ebenso bekannt, daß durch das Werk, in dem dieser Satz steht, eine Bewegung eingeleitet wurde, welche die Logik des Aristoteles in ihren wesentlichen Grundlagen erschütterte. Die von KANT angebahnte Zerstörung des Dingbegriffs, wie er im naiven Bewußtsein herrscht und herrschen wird, ist es, die hier für uns in Frage kommt. Ein Ding, das für die naive Metaphysik eine Eigenschaften tragende Substanz ist, wurde für KANT zu einer Regel der Vorstellungsverbindung. (8) Die Regeln der Vorstellungsverbindung sind dementsprechend der Gegenstand unserer Erkenntnis. Es ist von vornherein klar, daß wir uns diese Regeln niemals durch abbildende anschauliche Vorstellungen, sondern nur durch Urteile zu Bewußtsein bringen können, die angeben, wie die Vorstellungen zusammengehören. Der Auflösung des Dings in die notwendigen Beziehungen, in denen seine Eigenschaften zueinander stehen, entspricht die Auflösung des Begriffs in Urteile. Erkenntniswert können diese Urteile natürlich nur haben, wenn sie wirklich Urteile, d. h. wenn sie wahr sind.

So gliedert sich unsere Begriffstheorie leicht in einen größeren Zusammenhang ein. Die weitere Verfolgung dieses Zusammenhangs würde uns jedoch zu einer erkenntnistheoretischen Deutung des Weltbegriffs führen, den die Naturwissenschaft bilden muß, um die Mannigfaltigkeit der empirischen Anschauung zu überwinden. Es würde dann auch gefragt werden müssen, wie weit von einer "Realität" der letzten, nicht mehr anschaulichen Dinge der Naturwissenschaft geredet werden kann. Eine solche Deutung gehört jedoch nicht mehr in diese Gedankenreihe. Hier handelt es sich nur um Feststellung und Begründung der naturwissenschaftlichen Methode und um Aufzeigung der Ideale, denen sich die Naturwissenschaft auf dem Boden des empirischen Realismus mit Hilfe dieser Methode zu nähern suchen muß. An der Meinung, daß die Körperwelt aus Dingen besteht und daß diese Dinge Eigenschaften tragende körperliche Substanzen sind, halten wir in diesem Abschnitt der Untersuchung, um die verschiedenen Probleme voneinander zu sondern, vorläufig noch sorgfältig fest.
LITERATUR - Heinrich Rickert, Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung [Eine Einleitung in die historischen Wissenschaften], Freiburg i. Br./Leipzig 1896
    Anmerkungen
    1) Vgl. Sigwart, Göttingische gelehrte Anzeigen 1890, Nr. 2, Seite 54f
    2) Der Begriff der Ehe, an dem wir früher zeigen konnten, wie jeder Begriff auch durch Angabe von unbestimmten Elementen bestimmter werden kann, hat hier kein Interesse mehr, da er ein juristischer und kein naturwissenschaftlicher Begriff ist.
    3) Wer diese absichtlich rein logisch gehaltenen Ausführungen sich jetzt schon an einem Beispiel zu verdeutlichen wünscht, möge an die heute vorhandene Tendenz in den Naturwissenschaften denken, das gesamte körperliche Sein und Geschehen als Mechanismus zu begreifen. Die Mechanik würde dann der "letzten Naturwissenschaft" logisch am nächsten stehen.
    4) Unter dem Gesichtspunkt der soeben erwähnten Tendenz, die gesamte Körperwelt als Mechanismus zu begreifen, wird z. B. der Dingbegriff des Organismus zu einem Problem, dessen Lösung nur durch einen Begriff mechanischer Relationen zu gewinnen wäre.
    5) Hierbei ist allerdings die Voraussetzung gemacht, daß gewisse neuere mathematische Begriffe, wie der der "transfiniten Zahlen", auf die Wirklichkeit nicht anwendbar sind. Doch wird wohl auch niemand meinen, es habe einen Sinn zu sagen, daß ein Körper aus ω + n letzten Dingen besteht. Vgl. Georg Cantor, Grundlagen einer allgemeinen Mannigfaltigkeitslehre und Benno Kerry, System einer Theorie der Grenzbegriffe, Seite 38f: Die Unendlichkeit der Anzahlenreihe.
    6) Vgl. Wilhelm Windelband, Geschichte der alten Philosophie, 2. Auflage, München 1894, Seite 149
    7) Vgl. Lotze, System der Philosophie, 2. Auflage, Bd. I, Die Ideenwelt, Seite 505f.
    8) Die außerordentlich große Tragweite gerade dieses kantischen Gedankens hat niemand überzeugender dargestellt, als Wilhelm Windelband. Vgl. besonders seine Präludien, Seite 112f