p-4p-4A. MeinongM. SchlickR. AvenariusTh. ElsenhansJ. G. Dreßler    
 
WILHELM WUNDT
Psychologismus und Logizismus
[3/4]
    I. Einleitende Betrachtungen
II. Der Psychologismus in der Logik
III. Der Logizismus in der Psychologie
IV. Das Problem der reinen Logik
V. Psychologismus und Logizismus in der Erkenntnistheorie

"Während die Nativisten einfach den Standpunkt der populären Reflexion akzeptierten, ohne sich irgendwelche Skrupel darüber zu machen, ob denn alle diese logischen Überlegungen, die hier gewöhnlich einer nachträglichen Korrektur der angeborenen Sinnesdata durch die Erfahrung aufgebürdet wurden, wirklich in der zu Hilfe gerufenen Erfahrung nachzuweisen seien, konnte sich der sinnesphysiologische Empirismus, eben weil er vom Prinzip der logischen Erklärung in weit umfassenderem Maße Gebrauch machte, auf die Dauer nicht der Erwägung entziehen, von allen diesen bei der Entstehung der Wahrnehmung vorauszusetzenden logischen Prozessen sei in unserem Bewußtsein tatsächlich nichts aufzufinden. So entstand die dieser physiologischen Seite der neueren Psychologie spezifisch eigentümliche Theorie der  unbewußten Schlüsse.  Man kann sie wohl ein Erzeugnis populärer Reflexionspsychologie nennen auf einer Stufe, auf der sich diese zu einer gewissen kritischen Besonnenheit durchgerungen hat, dabei aber auf halbem Weg stehen geblieben ist."

III. Der Logizismus in der Psychologie

1. Die Vermögenspsychologie

Der Logizismus, wie er die ungleich ältere philosophische Richtung ist, hat insbesondere auch in der Psychologie ein uraltes Heimatrecht. Wenn auf allen Gebieten, nicht bloß des geistigen Lebens, sondern auch des Naturgeschehens eine naive Reflexion, die ohne Bedenken ihre eigenen Erzeugnisse in die Welt selbst verlegt, die früheste Stufe wissenschaftlicher Interpretation ist, so breitet sich erst recht in der Auffassung der Vorgänge des eigenen Bewußtseins diese reflektierende Überlegung über die Gesamtheit der inneren Erlebnisse aus. Und dieser primitive, schon das vorwissenschaftliche Denken beherrschende Logizismus begegnet hier umso weniger einem Widerstand, als es sich ja in diesem Fall immerhin nur um die Übertragung einer Klasse innerer Erlebnisse auf andere handelt, die mit jenen tatsächlich in mancherlei Beziehungen und Verbindungen stehen. Diese Übertragung, die schon in der vulgären Beurteilung der menschlichen Handlungen und ihrer Motive einen breiten Raum einnimmt, wird aber nicht, wie bei der ihr analogen anthropomorphen, eben darum aber zugleich mythologisierenden Deutung der Naturvorgänge, von der beginnenden Wissenschaft überwunden. Vielmehr knüpft diese, da die Zusammenhänge des logischen Denkens zu den scheinbar klarsten und unbestreitbarsten Tatsachen des Bewußtseins selbst gehören, ohne weiteres an die Tendenzen des vorwissenschaftlichen Denkens an. Nur daß nun die planmäßiger vorgehende philosophische Reflexion jene wild wachsende Logik des populären Denkens bestimmten Regeln zu unterwerfen sucht, die nach den sonstigen philosophischen Anschauungen orientiert sind. So wird hier der ungebundene Trieb der Reflexion nicht, wie in den objektiven Erkenntnisgebieten, durch eine reifere kritische Betrachtung zurückgedrängt, sondern die Wissenschaft selbst geht darauf aus, jener primitiven logischen Erklärungsweise eine festere Grundlage zu geben, indem sie das Einzelne einem planmäßigen systematischen Zusammenhang einordnet. So kommt es, daß die Herrschaft des Logizismus in der Psychologie, die im populären Denken vorbereitet, aber hier noch durch andere Motive, besonders auch durch Ausläufer der mythologischen Seelenvorstellungen durchkreuzt wird, nunmehr uneingeschränkt sich entfalten kann.

In  zwei  Formen hat sich der auf solche Weise aus der planmäßigen Ausgestaltung der vulgären psychologischen Reflexion hervorgegangene psychologische Logizismus ausgebildet: die eine lehnt sich an die systematische Subsumtion der Syllogistik, die andere an die dialektische Methode der immanenten Begriffsentwicklung an. Beide beherrschen bereits die aristotelische Psychologie. Aus der Anwendung der logischen Subsumtion auf die im gewöhnlichen Denken und in der Sprache vorgebildeten Unterscheidungen psychischer Fähigkeiten ist der systematische Aufbau der Seelenvermögen hervorgegangen, wie er von ARISTOTELES an bis auf CHRISTIAN WOLFF und dessen Schule das Grundschema für die Auffassung des seelischen Lebens abgegeben hat und in den Nachwirkungen dieser langen Vergangenheit zum Teil noch abgibt. Denn wo immer das Streben nach logischer Gliederung der seelischen Tätigkeitsgebiete vorherrscht, da äußert es sich nicht bloß in einer Aneinanderreihung nach unterscheidenden Merkmalen, sondern in einer systematischen Begriffsordnung, die sich bemüht, je eine Anzahl speziellerer Funktionen unter gewissen allgemeineren Gesichtspunkten zusammenzufassen und in der so entstehenden Stufenfolge schließlich zu einem allgemeinsten Oberbegriff zu gelangen, der sich nun mit dem metaphysischen Begriff der Seele selbst deckt. So gliedert sich bei ARISTOTELES die Seele in ernährende, empfindende und denkende Tätigkeiten. Sie alle stehen wieder unter dem allgemeinen Oberbegriff der zweckvollen Lebenskraft der Entelechie des lebenden Körpers und sie zerfallen in gewisse Unterfunktionen: so die Ernährung in Assimilation und Reproduktion, die Empfindung in Sensation und Lokomotion, das Denken in passives und tätiges Denken. Diese bilden die nächsten Sammelbegriffe für die Erscheinungen der konkreten Wirklichkeit. Aber in diesen Unterteilungen der aristotelischen Seelenkräft bemerkt man zugleich jene Neigung zu dualen Gliederungen, die, wo immer möglich, eine Teilung nach Gegensätzen ist, und in der sich als ein wichtiges Grundmotiv aller Dialektik die Aufhebung eines gegebenen Begriffs durch die Macht der Verneinung und die hierdurch vermittelte Entwicklung eines neuen Begriffs herausstellt. So ist schon diese erste systematische Darstellung der Psychologie von beiden Formen des Logizismus beherrscht. Auch ist schon hier das Übergewicht der Dialektik deutlich erkennbar. Mag noch so sehr die formale Außenseite des Systems das Ganze als eine fortgesetzte Folge logischer Distinktionen und Subsumtionen erscheinen lassen, die größere Macht liegt doch auf der Seite des die gesonderten Glieder zur Einheit verknüpfenden dialektischen Denkens. So ist es das dialektische Motiv, das überhaupt erst die Zusammenfassung der verschiedenen Seelenkräfte zu einer Einheit zustande bringt. In der Begriffsbestimmung dieser Einheit, der Seele selbst, kommt daher die in jeder einzelnen ihrer Tätigkeiten latent liegende Dialektik nur zum allgemeinsten Ausdruck; und sie vermittelt nicht minder den Zusammenhang der seelischen Funktionen untereinander, indem hier überall die niederen Tätigkeiten als die Grundlagen der höheren erscheinen und diese wieder im zweckvollen Aufbau des menschlichen Organismus der höchsten, der des aktiven Denkens, zustreben. So ist diese Psychologie ein dialektisches Kunstwerk ersten Ranges, in welchem der logische Aufbau der Vermögensbegriffe das äußere Gerüst abgibt, hinter dem sich die dem allgemeinen Seelenbegriff immanente dialektische Bewegung verbirgt. Mit nicht geringerer Kunst werden nun aber in diesen logischen Aufbau die realen psychologischen Tatsachen eingefügt, so daß die Begriffe ebensowohl als Abstraktionen aus der psychologischen Erfahrung, wie die Tatsachen dieser als Entfaltungen des begriffsmäßigen Wesens der Seele erscheinen. So sehen wir hier die rationale und die empirische Psychologie künftiger Zeiten schon deutlich vorgebildet; aber noch sind sie - und darin sind sie der pedantischen Sonderung beider im 18. Jahrhundert überlegen - zu einer unlösbaren Einheit verbunden. Was dieser Ineinsbildung logischer und psychologischer Motive vor allem ungemein fördernd entgegenkommt, das ist übrigens eine psychologische Tatsache, die wohl zu allen Zeiten ein latentes Motiv des dialektischen Denkens gewesen ist, hier jedoch, beim großen Logiker, der darum nicht minder ein tiefblickender psychologischer Beobachter war, als ein beiden Gebieten gemeinsames und sie daher umso mehr aneinander kettendes Motiv offen vor Augen liegt. Das ist das Prinzip des Gegensatzes, das psychologisch, vom Gefühlsleben ausgehend, alle Gebiete des Seelenlebens überschattet und so auch einerseits in Affekt und Wille, andererseits in Denken und Erkennen hineinreicht. Wie hoch ARISTOTELES dieses Prinzp des Gegensatzes als Psychologe zu schätzen wußte, zeigt nicht weniger die Rolle, die es in den dualen Gliederungen seiner Psychologie spielt, wie die fruchtbare Anwendung, die er von ihm in der Affektenlehre seiner Ethik gemacht hat. Sind es ursprünglich die Gefühlsgegensätze der Lust und der Unlust, des Gefallens und Mißfallens, der Billigung und Mißbilligung, die, indem sie sich mit anderen Vorgängen verbinden, jene Ausbreitung über das gesamte Seelenleben veranlassen, die der logischen Zweiteilung willfährig entgegenkommt, so findet nun dieses vom Gefühl ausgehende zweigliedrige Schema schließlich doch seine Hauptstütze innerhalb der Funktionen des logischen Denkens selbst, wo die Gegensätze des bejahenden und des verneinenden Urteils denen der sinnlich, moralischen und ästhetischen Erregungen als deren intellektuelle Vorbilder entsprechen. Darum, sobald diese emotionalen Bestandteile des Seelenlebens auf das intellektuelle Gebiet verlegt werden, bieten sich von selbst das zustimmende und das ablehnende Urteil als die ihnen adäquaten Formen. Hier findet dann diese Übertragung zugleich an jener im vulgären Denken vorbereiteten und von der Philosophie nur planmäßiger durchgeführten Reflexionspsychologie eine Stütze. Die Auffassung, daß sich hinter dem Lustgefühl eine Bejahung, hinter der Unlust eine Verneinung verberge, und daß nicht minder Gefallen und Mißfallen, sittliche Billigung und Mißbilligung auf diese fundamentalen logischen Funktionen zurückführen, durchzieht so von ARISTOTELES bis auf WOLFF die ganze Geschichte der Psychologie, und sie ist noch heute nicht aus dieser verschwunden. So sehr darum die duale Gliederung der psychischen Vorgänge ursprünglich in einem Boden wurzeln mag, der ansich weit abseits von den Normen des logischen Denkens zu liegen scheint, so sind es doch die Beziehungen, die durch das gemeinsame Prinzip des Gegensatzes vermittelt werden, die der unaufhörlich wiederkehrenden Herrschaft des psychologischen Logizismus den mächtigsten Vorschub geleistet haben. Wo immer sich daher der Trieb zu einer Befreiung der psychologischen Betrachtungsweise aus dieser altüberlieferten Herrschaft der logischen Deutung über die unmittelbare psychologische Auffassung und mit jener die des Intellekts über die Gefühls- und Willensseite des Seelenlebens regen mochte, da pflegte im Stillen schon wieder eine neue Form des Logizismus bereit zu stehen, die alte in der Herrschaft abzulösen. Und dabei sind die neuen Formen keineswegs den älteren überlegen gewesen. Vielmehr bestand diese Entwicklung zunächst weniger in einer Fortbildung als in einer Veräußerlichung der überkommenen Anschauungen, - eine natürliche Folge jener Neigung zur dogmatischen Fixierung der Begriffe, die sich überall einstellt, wo diese nicht mehr im lebendigen Fluß der Entwicklung begriffen sind, und des damit verbundenen zunehmenden Wohlgefallens an einem äußerlichen Schematismus, der einem oberflächlichen Ordnungsbedürfnis genügt, dabei aber freilich der Erkenntnis der inneren Beziehungen eher schädlich als förderlich ist.

Das ist in der Tat das Schauspiel, das im wesentlichen die Geschichte der metaphysischen Psychologie von der Scholastik an bis auf CHRISTIAN WOLFF bietet. Die dialektische Entwicklung der Begriffe, die fortan nur noch in der Theologie und Ontologie ihre Kraft verbraucht, läßt für die Psychologie wenig mehr als das äußerliche Schema der Seelenvermögen übrig. Die Subsumtionslogik hat so die Dialektik, von der jenes Schema ursprünglich getragen und durch die es zusammengehalten war, völlig verdrängt. Der Seelenbegriff, der, latent in den einzelnen Gliedern wirksam, diese zur Einheit verbunden hatte, erscheint so in der Vermögenspsychologie späterer Tage selbst nur wie eine zufällige äußere Zugabe zu den nach verschiedenen Richtungen gehenden Tätigkeiten. Ja gerade das, was in anderer Beziehung als ein Fortschritt der neueren Gestaltungen des Seelenbegriffs gegenüber dem aristotelischen erscheinen mag, die Beschränkgung auf die Bewußtseinsvorgänge oder auf das was man im Anschluß an die moderne empirische Erkenntnistheorie die "innere Erfahrung" nannte, beförderte nur jene schematisierende Veräußerlichung, die den Spott HERBARTs, der dieses Verhältnis der Seelenvermögen ein "Bellum omnium contra omnes" [Krieg aller gegen alle - wp] nannte, herausforderte. Dieser Vergleich war eben deshalb ein so treffender, weil die einzelnen Gebiete des Seelenlebens ihre inneren Beziehungen verloren hatten, so daß, wo sie je einmal doch ineinander eingriffen, kein anderes Verhältnis als das äußerliche der wechselseitigen Hilfeleistung oder Bekämpfung übrig blieb, während die Vermögen selbst durch dieses Nebeneinander nicht im geringsten alteriert wurden und genetische Beziehungen zwischen ihnen darum von vornherein ausgeschlossen waren. Gegenüber der aristotelische Vermögenslehre, die es, so weit sie vermochte, an der Aufzeigung dieser genetischen Beziehungen nicht fehlen ließ, wäre die Polemik HERBARTs gegenstandslos gewesen. Aber die moderne, von DESCARTES' Seelenbegriff getragene Gestaltung dieser Lehre ließ für die verschiedenen Funktionsgebiete nur noch Klassenbegriffe zu, die zu ihrem gemeinsamen Oberbegriff bloß in einem Verhältnis äußerer Unterordnung bei im übrigen völliger Selbständigkeit der einzelnen standen. So traten sich bei WOLFF Erkenntnis- und Begehrungsvermögen als zwei von Grund auf verschiedene, höchstens zu gleichzeitiger Tätigkeit äußerlich vereinte seelische Kräfte gegenüber, und selbst die Untergliederungen dieser Hauptvermögen boten ein ziemlich buntes Nebeneinander, das höchstens durch die Wertunterscheidung in niedere und höhere in eine notdürftige Ordnung gebracht war. Der LEIBNIZschen Metaphysik, der WOLFF seine Einteilung entnahm, hatte die innere Beziehung, die das Ganze wie seine Teile als eine der Monade immanente einheitliche Kraft erscheinen ließ, nicht gefehlt. Denn die vorstellende Kraft schloß, wie jede Kraftäußerung, ein Prinzip der Tätigkeit, des Übergangs von einem Zustand zum andern und damit das Streben ein. Daneben konnte gemäß dem Prinzip der Stetigkeit die Vorstellung die verschiedensten Grade der Klarheit und Vollkommenheit durchlaufen. Indem aber diese metaphysischen Begriffe von der Vermögenspsychologie in Klassenbegriffe umgewandelt wurden, die der Orientierung in der Mannigfaltigkeit der psychologischen Erfahrung dienen sollten, verschwanden ihre inneren Beziehungen. Die von LEIBNIZ als lebendiges Geschehen gedachte vorstellende Kraft wurde zum Generalbegriff des Erkenntnisvermögens; das Streben, das aus jener Kraft hervorgeht, wandelte sich in das Begehrungsvermögen. Beide standen sich fremd gegenüber, da bei der Fixierung solcher Allgemeinbegriffe naturgemäß nur auf die unterscheidenden Merkmale Rücksicht genommen wird. Ebenso trat an die Stelle der stetigen Abstufung der seelischen Vorgänge schablonenhaft der solche Übergänge im Grund ausschließende Gegensatz der niederen und der höheren Vermögen.

Wohl hat sich dann schon in der WOLFFschen Schule und besonders bei einigen ihr freier gegenübertretenden Philosophen der folgenden Zeit das Bedürfnis geregt, die durch jene Zweiteilung entstandene Kluft wieder zu überbrücken. So stellte man das Gefühlsvermögen als eine Art Mittelglied zwischen das Erkennen und das Begehren. Aber indem das klassifikatorische Bemühen wiederum darauf gerichtet bleiben mußte, auch diesen Mittelbegriff gegenüber den beiden anderen zu fixieren, konnte eine solche Vermehrung der Einteilungsglieder für die verloren gegangene metaphysische Verbindung der Teile untereinander und mit dem Ganzen keinen Ersatz schaffen. Ihren sprechenden Ausdruck fand endlich diese Veräußerlichung der Betrachtung in der Veränderung, die der Seelenbegriff selbst im Laufe seiner Wanderung aus der Cartesianischen in die LEIBNIZsche Metaphysik und dann wieder von dieser aus zu der die LEIBNIZschen Begriffe schematisierenden Vermögenspsychologie erfuhr. DESCARTES hatte dem aus seiner dualistischen Weltansich entsprungenen Bedürfnis der strengen Scheidung des Materiellen und Geistigen Genüge geleistet, indem er die Seele, im Unterschied und zugleich im Gegensatz zum ausgedehnten Körper, das "denkende Wesen" nannte. LEIBNIZ mit seinem zur Einheit von Natur und Geist zurückgehenden philosophischen Tiefblick, und ausgerüstet zugleich mit einem von den vagen psychologischen Allgemeinbegriffen zu den Elementen vordringenden analytischen Scharfsinn, setzte an die Stelle des "Denkens" die "Vorstellung", die nun die Kraft in sich trug, das Ganze des geistigen Lebens aus sich zu erzeugen. Damit war der in der Definition des denkenden Wesens in robusterer Form ausgesprochene Intellektualismus nicht beseitigt, aber er wurde, indem jener an die vulgäre Reflexionspsychologie sich anschließende populäre Ausdruck entfernt war, auf eine höhere philosophische Stufe gehoben, auf der sich die Gefühls- und Willensseite des Seelenlebens nicht mehr in ein Gewebe von Reflexionen auflöste, sondern in der Ableitung aus den allerdings immer noch als das Primäre gedachten intellektuellen Kräften eine relative Selbständigkeit bewahrte. Die darauf folgende Vermögenspsychologie dagegen bediente sich zwar gelegentlich noch der LEIBNIZschen Ausdrucksformen, im ganzen aber bevorzugte sie wieder, wie sie ja auch metaphysisch auf den cartesianischen Dualismus zurückging, den Begriff des "denkenden Wesens", und dabei nahm das "Denken" nunmehr jene unbestimmte, alle möglichen seelischen Erlebnisse umfassende Bedeutung an, die es sich in der populären Sprache zumeist bis zum heutigen Tag bewahrt hat. Hier wie dort war aber diese Erweiterung des Begriffs nicht etwa bloß eine nachlässige Übertragung von einem Gebiet auf ein anderes, sondern ein adäquater Ausdruck der Herrschaft, die, wie in der populären Psychologie noch heute, so in der Vermögenspsychologie überhaupt die Logik über die Psychologie ausübte. Wo immer WOLFF und seine Nachfolger im einzelnen eingehender, als es durch die Subsumtion unter die Vermögensbegriffe geschah, über die psychischen Prozesse Rechenschaft zu geben suchten, da griffen sie eben ganz auf die populäre Reflexionspsychologie zurück. Die Vermögen selbst walteten gelegentlich, ähnlich wie eine beratschlagende Götterversammlung über den Schicksalen der Menschen, so über den Ereignissen des individuellen Bewußtseins. Dies hat dann auch wieder auf die Philosophie zurückgewirkt, wie man aus der Stellung sehen kann, die noch bei KANT die theoretische Vernunft zur praktischen und zu der zwischen beiden vermittelnden Urteilskraft einnimmt.


2. Vorstellungsmechanik und Assoziationspsychologie

Hier kommt nun HERBART unzweifelhaft das Verdienst zu, daß er diesen rohen Intellektualismus der Aufklärungsphilosophie beseitigte, um ihn durch eine vertiefte, wieder an LEIBNIZ anknüpfende Form der gleichen Denkweise zu ersetzen. So wurde all das, was die Vermögenspsychologie äußerlich geschieden hatte, von ihm zu einem System innerer Beziehungen verarbeitet, das im einfachen Begriff der Vorstellung seinen Einigungspunkt fand. Aber war bei LEIBNIZ die Verbindung der Begriffe mehr eine dialektische, aus den allgemeinen metaphysischen Voraussetzungen entwickelte gewesen, so wurde für HERBART die exakte Mechanik, die zu seiner Zeit ihre höchsten Triumphe feierte, zum Vorbild. In seiner Statik und Mechanik der Vorstellungen waren die starren Begriffe der Vermögenspsychologie in seelische Prozesse aufgelöst, die aus dem Fluß des inneren Geschehens auftauchten. An die Stelle des rohen Mechanismus der Seelenvermögen war so der verfeinerte der Vorstellungsbewegungen getreten, ein Tausch, dessen Vorzüge allerdings durch die gänzlich problematische Natur dieser imaginären Mechanik erkauft waren. Dem gegenüber besaßen immerhin die alten Vermögen als Verallgemeinerungen aus der Erfahrung einen gewissen Wirklichkeitswert. Auch lauerte hinter dieser psychischen Mechanik, aus der scheinbar jede Spur überkommener Reflexionspsychologie beseitigt war, schließlich doch wiederum der bestrickende Dämon der Begriffsdialektik, der diese innere Welt zwar nachträglich dem Zwang eines sinnreich erdachten Mechanismus preisgab, dabei aber diesen selbst sich auf dem metaphysischen Gerüst einer dialektischen Begriffskonstruktion erheben ließ. Mochten sich die Vorstellungen, auf die dieser verfeinerte Intellektualismus zurückging, immerhin, sobald sie erst da waren, nach den Gesetzen psychischer Mechanik verbinden oder bekämpfen, - auch das war ein "Bellum omnium contra omnes", analog dem von Herbart verspotteten der Seelenvermögen, nur daß er nicht regellos wie dieser, sondern nach zuvor festgesetzten Spielregeln geführt wurde. Um die Vorstellungen selbst, als die Akteure des Spiels, herbeizuschaffen, bedurfte es der Auflösung der nun einmal als das ursprünglich Gegebene geltenden Vorstellung des "Ich" in eine unendliche Reihe. Dann erst konnten sich die Glieder dieser Reihe schließlich in lauter unendlich kleine psychische Größen auflösen, um nun die Mannigfaltigkeit der "Vorstellungen" als der wirklichen Akteure in diesem Schauspiel hervorzuzaubern. Eine wunderbare Phantasmagorie des realistisch gesinnten Philosophen, die ihre Herkunft aus der Dialektik FICHTEs, des Idealisten, gleichwohl nicht verleugnen konnte!

So steht dann auch dieses System, das in so merkwürdiger Weise eine kühn alle Schranken der Erfahrung übersteigende Begriffsdialektik im ganzen mit nüchterner Konsequenz des Denkens im einzelnen verbindet, tatsächlich in der Mitte zwischen zwei Anschauungen, die vom Beginn des 19. Jahrhunderts an als diametrale Gegensätze einander gegenübergetreten waren: der spekulativen, die, von FICHTE ausgehend, schließlich in HEGEL kulminierte, und der empirischen, die in der "Assoziationspsychologie", weiterbauend auf der englischen Erfahrungsphilosophie, eine allmählich wachsende Verbreitung gewann. Konnte HEGELs Lehre vom "subjektiven Geist" allenfalls als ein die Psychologie repräsentierender Teil des spekulativen Systems angesehen werden, welcher die bei HERBART auf die metaphysischen Grundlagen beschränkte dialektische Methode auf den Gesamtinhalt der Psychologie selbst anwandte, so bildete die "Vorstellungsmechanik" HERBARTs insofern ein Seitenstück zur Assoziationspsychologie, als beide von dem gleichen Streben erfüllt waren, eine feste Gesetzmäßigkeit an die Stelle des planlosen und zufälligen Wirkens der alten Vermögen treten zu lassen. Nur daß freilich bei HERBART die mathematische Methode äußerlich der Ausführung ein exakteres Gepräge verlieh. Immerhin erstrebten die Vertreter der Assoziationspsychologie im Prinzip eigentlich das Gleiche, wie man deutlich an der Äußerung JOHN STUART MILLs erkennt, die Assoziationsgesetze besäßen für die psychische Welt die nämliche Bedeutung wie das Gravitationsgesetz (also, wie man wohl hier ergänzen darf, die mechanischen Gesetze) für die physische. Mochte nun aber in der äußeren Exaktheit des HERBARTschen Systems ein gewisser Vorzug liegen, so wurde dies auf Seiten der Assoziationslehre durch den engeren Anschluß an die Erfahrung reichlich aufgewogen. Auch bedurfte man hier keiner dialektischen Begründung der fundamentalen Begriffe, wie sie bei HERBART die Anlehnung an die Metaphysik mit sich brachte. Denn die Assoziationspsychologie entnahm ihre Begriffe anscheinend unmittelbar der Erfahrung. Übrigens blieb auch sie intellektualistische in jenem verfeinerten, von den allgemeinen Begriffen auf die Elemente zurückgehenden Sinne, indem sie durchweg die "Vorstellungen" als Substrate des Assoziationsmechanismus festhielt. Nur glaubte sie diese Elemente ebenfalls der Erfahrung entnehmen zu können, während HERBART sich verpflichtet fühlte, deren Wesen erst durch die dialektische Ableitung des einfachen Seelenbegriffs verständlich zu machen. So stimmten schließlich alle diese Richtungen in ihrer intellektualistischen Tendenz überein. Der Hegelschen Dialektik entsprangen die verschiedenen Gebiete des geistigen Lebens aus der logischen Selbstbewegung des Begriffs. Für HERBART und die Assoziationspsychologen bildeten die Vorstellungen die psychischen Elemente, aus deren Wechselbeziehungen sie alles seelische Geschehen abzuleiten suchten.

Dennoch waren, wie die Formen, in denen der Intellektualismus in diesen drei Fällen auftrat, so seine weiteren Schicksale sehr verschiedene. Daß HERBARTs Mechanik der Vorstellungen den Boden der Erfahrung völlig unter den Füßen verlor und nur auf dem Weg nachträglicher künstlicher Umdeutungen des Wirklichen in seine imaginäre Mechanik über diesen fundamentalen Mangel hinwegtäuschen konnte, wurde oben schon angedeutet. Völlig anders endete der Versuch der spekulativen Psychologen, im Geiste HEGELs die Psychologie selbst aus ihrem Allgemeinbegriff heraus dialektisch zu konstruieren. Betrachtet man die einzelnen Stufen näher, in die hier die Entwicklung des subjektiven Geistes zerfällt, so begegnet man den alten wohlbekannten Seelenvermögen, Sinnlichkeit, Wahrnehmung, Verstand, Vernunft usw. Höchstens sind sie in strengerer logischer Ordnung in eine Entwicklungsreihe gebracht. Wichtiger aber ist es, daß dieses Vorwalten des Entwicklungsgedankens innere Beziehungen zwischen den einzelnen Stufen und Vorbereitungen der höheren in den niederen hervortreten läßt, die das äußerliche Schema der Vermögenspsychologie zumeist vermissen ließ. Darin kommt immerhin die philosophische Überlegenheit der Begriffsdialektik über die reine Begriffssubsumtion zur Geltung. Umso stärker kontrastiert jedoch diese dialektische Ableitung mit jeder erfahrungsmäßigen Bearbeitung der psychologischen Probleme, und umso mehr entzieht sie sich demzufolge jeder praktischen Anwendung. Wie die Basis der dialektischen Methode ein aufs höchste gesteigerter Intellektualismus ist, so bleiben auch ihre Erzeugnisse ganz in der Sphäre einer in sich selbst ruhenden Begriffswelt, die der psychologischen Vertiefung in die Tatsachen unzugänglich bleibt. Nirgends machte sich dieser Mangel mehr geltend als in der Psychologie selbst. Im weiteren Bereich des geistigen Lebens mochten die reichen Ergebnisse der historischen Geisteswissenschaften der dialektischen Verknüpfung immerhin günstigere Angriffspunkte bieten. In der Psychologie fand die Spekulation nichts vor als die Lehre von den Seelenvermögen, bei der der Versuch, zwischen den einzelnen Gliedern ein logisches Band herzustellen, über den Mangel psychologischer Erkenntnis nicht hinwegtäuschen konnte.

So erschien dann vielen, denen das Ungenügende oder der positiven Erfahrung Vorgreifende solcher Konstruktionen widerstrebte, die Assoziationspsychologie als die Retterin in der Not. In ihr schien sich endlich die Psychologie auf die Tatsachen selbst zu besinnen, deren Interpretation ihre Aufgabe ist. Wollten doch die Assoziationsgesetze nichts anderes sein als Verallgemeinerungen aus der Erfahrung. Wohl war auch diese Richtung durchaus intellektualistisch angelegt, da jene Gesetze lediglich als gesetzmäßige Verbindungen der Vorstellungen, der "Ideen" nach der Bezeichnung der englischen Psychologen, aufgefaßt wurden. Aber der Logizismus wenigstens schien hier endgültig überwunden. Denn weder die Subsumtionslogik noch irgendeine Form dialektischer Begriffsentwicklung schien auf dem Gebiet rein auf die Tatsachen gestellter Assoziationen übrig geblieben. Doch der Schein trügt. Beruth doch jede Verallgemeinerung auf einer logischen Tätigkeit des reflektierenden Beobachters: und wo sich eine solche irgendeines empirischen Stoffes bemächtigen mag, da lauert auch schon im Hinterhalt jener logische Trieb, der die Begriffe unbedingt nach den objektiv gegebenen Tatsachen ordnet, sondern umgekehrt die aus dem eigenen Denken geschöpften logischen Motive in die Erscheinungen hineinträgt.

Nichts anderes geschah in der Tat bei der Aufstellung der bekannten vier "Gesetze" der klassischen Assoziationspsychologie, die zu mTeil noch in der heutigen Psychologie einen kanonischen Ansehens genießen. Selbst die historische Tatsache, daß diese Gesetze nicht erst neu gefunden, sondern aus den vier schon von ARISTOTELES aufgestellten Formen des "Erinnerns" auf den Assoziationsbegriff übertragen worden sind, ohne damit ihre Bedeutung wesentlich zu ändern, wird meist übersehen. Daß der große Schöpfer der Subsumtionslogik die Unterscheidungen hier wesentlich nach logischen Gesichtspunkten ausführte, ist bei ihm selbstverständlich, und deutlich genug sind in der Tat  zwei  logische Motive zu erkennen, die bei der Aufstellung der bekannten Formen  Ähnlichkeit und Kontrast, Gleichzeitigkeit und Aufeinanderfolge  wirksam waren. Einerseits entspricht jedes dieser beiden Begriffspaare dem dialektischen Prinzip der Bewegung der Begriffe in Gegensätzen, und andererseits erfüllen sie a priori die logische Forderung des ausgeschlossenen Dritten. Was nicht ähnlich ist, das ist notwendig verschieden, und da der äußerste Grad des Unterschiedes der Gegensatz ist, so lassen sich nötigenfalls dem Schema Ähnlichkeit-Gegensatz alle möglichen innerhalb eines und desselben Begriffsumfangs liegenden Stufen qualitativer Beziehungen einordnen. Ebenso steht alles, was nicht gleichzeitig ist, notwendig im Verhältnis der Aufeinanderfolge, und wenn auch die tatsächlichen Bedingungen der Assoziation im allgemeinen dazu nötigen, das Gesetz der Sukzession auf die unmittelbare Zeitfolge einzuschränken, so ist das nur eine empirische Limitation, aber keine prinzipielle Aufhebung dieses Gegensatzes. Demnach ist es unzutreffend, wenn man die sogenannten Assozisationsgesetze als empirische bezeichnet. In Wahrheit sind sie schematische Begriffsformen bei deren Erzeugung Dialektik und Subsumtionslogik zusammen wirksam gewesen sind, und in die man dann nachträglich, so gut es ging, die Erscheinungen, die die Erinnerungsphänome bieten, einordnete. So ist es dann auch wohl ein dunkles Gefühl dieses logischen Zwanges gewesen, das bei den Assoziationspsychologen der letzten Jahrzehnte ein steigendes Mißtrauen gegenüber dieser Tetratomie [Vierteilung - wp] erweckte.

Doch man würde irren, wollte man nun den Widerspruch, der sich gegen die vier Formen erhob, etwa auf einen Sieg der rein empirischen Betrachtung zurückführen. Vielmehr war es umgekehrt nur ein anderes, von jenem Streben nach symmetrischer Gliederung abweichendes logisches Motiv, das entscheidend wurde: das war das logische Motiv  der Begriffseinheit,  das sich noch außerdem mit dem ihm verwandten methodologischen der Einfachheit verband. Die Assoziation ist ein einheitlicher Begriff, - also, so lautet der Wahlspruch dieser Unitarier [Einheitslehre - wp]: "Weg mit der Vielheit der Assoziationsgesetze!" Sie alle müssen durch ein einziges ersetzt werden. Daß dies ein logisches und kein empirisches Postulat war, ist einleuchtend. Die Wirklichkeit zeigt ja tatsächlich überaus mannigfaltige Erscheinungen, die man dem Begriff der Assoziation unterordnen kann, und damit, daß man diese Erscheinungen in einen und denselben Begriff der Verbindung oder Verknüpfung zusammenfassen kann - das Wort Assoziation bedeutet ja nichts anderes - ist keineswegs gegeben, daß nun auch alle Erscheinungen nur eine einzige Ursache haben müßten. Im Gegenteil, man wird von vornherein vermuten dürfen, daß dies nicht der Fall ist. Hier hatte also offenbar der logische Einheitstrieb der in der Subsumtionslogik seine wissenschaftliche Stütze findet, über die empirische Wahrscheinlichkeit den Sieg davongetragen. Dies offenbarte sich dann auch darin, daß nicht bloß die Ansichten über das Prinzip, das als letzte Einheit anzuerkennen ist, nach diametral entgegengesetzten Richtungen auseinandergingen, sondern daß auch von keiner Seite eine empirische Begründung der eingenommenen Position versucht wurde. Vielmehr beschränkte man sich auf eine logische Interpretation aus möglicherweise denkbaren Zusammenhängen, deren Wirklichkeit ganz und gar dahingestellt bliebt. Zunächst glaubte man einen wesentlichen Fortschritt über die Verteilung hinaus gemacht zu haben, wenn man sie in eine Zweiteilung zusammenzog. Der Gegensatz wurde also zur Ähnlichkeit geschlagen, weil er ein extremer Spezialfall der Subsumtion unter einen gemeinsamen Oberbegriff ist, und Gleichzeitigkeit und Aufeinanderfolge wurden unter dem Generalbegriff der "Berührung" zusammengefaßt. Aber dieser Fortschritt liegt, wenn es einer ist, durchaus nur auf logischer, nicht auf empirischer Seite. Die logische Subsumtion ist natürlich eine umfassendere, wenn sie sich bloß auf zwei, statt auf vier Begriffe verteilt: und wenn man dann außerdem noch die Ähnlichkeit als ein inneres, die Berührung als ein äußeres Verhältnis der Begriffe auffaßte, so bildete dieser Gegensatz des Äußeren und Inneren wieder der dialektischen Entwicklung der Begriff in Gegensätzen ein willkommenes Feld der Betätigung. Vom empirischen Standpunkt aus kann man aber natürlich zweifeln, ob es zweckmäßig sei, den Gegensatz unter der Ähnlichkeit zu verstecken, und noch mehr, ob man nicht dem in diesem Fall trotz des bildlichen Ausdrucks abstrakteren Begriff der Berührung die konkreteren, der Anschauung näherliegenden der Gleichzeitigkeit und der Zeitfolge vorziehen solle. Nun gab sich aber der logische Einheitstrieb mit dieser Zweiteilung noch nicht zufrieden. Manche Assoziationspsychologen suchten nachzuweisen, daß man aus den Berührungs- die Ähnlichkeitsassoziationen ableiten könne. Ihnen trat jdeoch gelegentlich auch die entgegengesetzte Ansicht gegenüber, nach der alle Berührungen eigentlich Ähnlichkeiten seien. Seinen klassischen Ausdruck hat dieser Streit in einer kritischen Auseinandersetzung zwischen HÖFFDING und LEHMANN gefunden. (1 Als typische Beispiele der von beiden Seiten geübten Argumentationen mögen hier die für die Assoziation "Alexander der Große - Friedrich der Große" benützten erwähnt werden. Der eine Begriff erweckt, so erklärt HÖFFDING, den andern, weil beide Personen als große Feldherren einander ähnlich sind. Umgekehrt behauptet LEHMANN, das für beide vielgebrauchte Prädikat "der Große" habe zwischen ihnen eine gewohnheitsmäßige Berührungsassoziation erzeugt. Wer Recht hat, oder ob am Ende beide Recht haben, da das eine das andere nicht ausschließt, mag hier dahingestellt bleiben. Aber gewiß ist, daß beide Interpretationen rein hypothetisch sind. Niemand hat hier die Subsumtion unter einen Oberbegriff, der den ihm untergeordneten Begriffen ähnliche Merkmale verleiht, wirklich beobachtet, und niemand vermag tatsächlich festzustellen, ob der Beiname des Großen es gewesen ist, der die Vorstellungen, von der dahingestellt bleibt, ob sie auch eine wirkliche sei. So bewegt sich die sogenannte Assoziationstheorie überhaupt lediglich auf dem Feld der Begriffsmöglichkeiten oder, wie man es vom Standpunkt einer kritischen Erfahrungsanalyse wohl auch nennen kann, im Gebiet logischer Fiktionen.


3. Die Psychologie als unbewußte Logik

Da ist es nun eine sehr merkwürdige Erscheinung, daß die letzte bedeutsame Einwirkung, die die Psychologie im vorangegangenen Jahrhundert erfahren hat, nämlich die in der neueren Sinnesphysiologie aus der unmittelbaren Beschäftigung mit den konkreten Problemen der Sinneswahrnehmung hervorgegangene Richtung, im Endergebnis zu einem ähnlichen Resultat führte, so sehr die Ausgangspunkte andere waren. Auch hier griff man nämlich durchweg zu logischen Fiktionen, die als Interpretationsmittel dienen sollten. Das ist umso bemerkenswerter, weil die Physiologen die bei ihrer Beschäftigung mit den Sinnesfunktionen auf das Wahrnehmungsproblem stießen, diesem im allgemeinen völlig unabhängig, unbeeinflußt von den vorangegangenen oder gleichzeitigen Richtungen der Psychologie gegenübertraten. Selbst die Assoziationspsychologie, von der man denken sollte, sie sei dem naturwissenschaftlichen Denken am nächsten verwandt, ging im wesentlichen spurlos an dieser von ERNST HEINRICH WEBER bis auf HELMHOLTZ herabreichenden Sinnesphysiologie vorüber. Aber man würde fehlgehen, wollte man hieraus schließen, die Sinnesphysiologie sei darum von dem die gleichzeitigen psychologischen Strömungen beherrschenden Logizismus verschont geblieben. Im Gegenteil, sie nahm ihn nun erst recht, nur in einer ursprünglicheren, robusteren Form in sich auf. Der Physiologe, der sich um den Streit der philosophischen und psychologischen Lehrmeinungen wenig oder gar nicht kümmerte, trat den Erscheinungen umso unbefangener mit dem Rüstzeug der vulgären Reflexionspsychologie gegenüber, die ihm aus dem praktischen Leben geläufig war. Wo er in den Sinneswahrnehmungen auf nicht abzuleugnende psychische Vorgänge stieß, da verwandelten sich ihm daher diese unversehens in allerlei Urteile und Schlüsse, die er in richtige und falsche einteilte, je nachdem die Wahrnehmung mit den durch die objektive Messung bekannten wirklichen Eigenschaften der Dinge übereinstimmte oder nicht. Die bekannten Gegensätze des sogenannten "Nativismus" und "Empirismus" standen in dieser Beziehung völlig auf gleichem Boden. Denn diese Gegensätze selbst bezogen sich nur auf die Frage, ob man die logische Reflexion erst bei einem möglichst späten Punkt beginnen lassen sollte, wie der Nativismus forderte, oder ob es unumgänglich sei, sie schon auf die frühesten Stufen des Wahrnehmungsprozesses zurückzuverlegen. Für beide Richtungen löste sich die Psychologie da, wo man ihrer überhaupt nicht entraten zu können glaubte, eigentlich von Anfang bis zum Ende in Logik auf. Neben jener Differenz der Meinungen über den Anfangspunkt dieser psychologischen Logik bestand nur noch  ein  charakteristischer Unterschied. Während die Nativisten einfach den Standpunkt der populären Reflexion akzeptierten, ohne sich irgendwelche Skrupel darüber zu machen, ob denn alle diese logischen Überlegungen, die hier gewöhnlich einer nachträglichen Korrektur der angeborenen Sinnesdata durch die Erfahrung aufgebürdet wurden, wirklich in der zu Hilfe gerufenen Erfahrung nachzuweisen seien, konnte sich der sinnesphysiologische Empirismus, eben weil er vom Prinzip der logischen Erklärung in weit umfassenderem Maße Gebrauch machte, auf die Dauer nicht der Erwägung entziehen, von allen diesen bei der Entstehung der Wahrnehmung vorauszusetzenden logischen Prozessen sei in unserem Bewußtsein tatsächlich nichts aufzufinden. So entstand die dieser physiologischen Seite der neueren Psychologie spezifisch eigentümliche Theorie der "unbewußten Schlüsse" (2. Man kann sie wohl ein Erzeugnis populärer Reflexionspsychologie nennen auf einer Stufe, auf der sich diese zu einer gewissen kritischen Besonnenheit durchgerungen hat, dabei aber auf halbem Weg stehen geblieben ist. Für die Herrschaft dieses immer noch einigermaßen naiven Logizismus in der Sinnesphysiologie ist es charakteristisch, daß HELMHOLTZ, der durch seine bahnbrechenden Arbeiten die neuere Psychologie im einzelnen wohl mehr als irgendein anderer Physiologe gefördert hat, als er seine Auffassung über die Vorgänge bei der Sinneswahrnehmung wissenschaftlich zu begründen suchte, nicht daran dachte, sich etwa bei den Psychologen der gleichen Zeit oder auch bei den Philosophen um Hilfe umzusehen. Sogar SCHOPENHAUER, bei dem er am ehesten verwandte Anschauungen hätte finden können, blieb ihm zunächst unbekannt. Vielmehr war das Werk, zu dem er griff, um seinen Anschauungen eine wissenschaftliche Form zu geben, JOHN STUART MILLs "System der Logik". Der Physiologe nimmt das verbreitetste Lehrbuch der Logik zu Hilfe, um sich über die Psychologie zu orientieren! Wahrlich, ein sprechenderes Zeugnis für die Herrschaft des Logizismus könnte es kaum geben. Die Unzuträglichkeit und Widersprüche, zu denen dieser Logizismus der Wahrnehmungstheorien führte, mögen hier unberührt bleiben. Bedeutsam für die Würdigung der allgemeinen Stellung dieser aus der Sinnesphysiologie entsprungenen Richtung ist es vor allem, daß sie ganz so, wie die auf anderem Boden erwachsene Assoziationspsychologie, an die Stelle der empirischen Wirklichkeit logische Konstruktionen setzte. Immerhin liegt ein nicht unerheblicher Unterschied darin, daß in diesem Fall nicht rein logische Abstraktionen mit empirischen Generalisationen verwechselt, sondern daß die konkreten psychischen Vorgänge unmittelbar in logische umgedeutet und dann, um jedem vom Standpunkt der Erfahrung zu erhebenden Einspruch zuvorzukommen, unter die Schwelle des Bewußtseins verlegt werden. Ist so diese Einführung des Begriffs unbewußter Vorgänge zweifellos ein wirksames Mittel zur Abwehr empirischer Einwände, so verleiht andererseits diese Verlegung ins Unbewußte allen möglichen, noch so willkürlichen Hypothesen einen unbeschränkten Freibrief. Hypothesen verwandeln sich aber in Fiktionen, sobald ihre Motive nicht den Tatsachen, die durch sie erklärte werden sollen, selber, sondern einem ihnen fremden Gebiet entnommen und willkürlich auf die Tatsachen übertragen werden. Nun sind die Prozesse des logischen Denkens Bewußtseinsfunktionen im strengsten Sinne des Wortes. Sie sind nicht bloß in aller Erfahrung an den Zusammenhang der Bewußtseinsvorgänge gebunden, sondern sie setzen sogar, besonders in ihren komplexeren Formen, wie in den logischen Induktionen und Analogieschlüsen, die HELMHOLTZ bei seiner Theorie der Sinneswahrnehmung herbeizog, ein hoch entwickeltes Bewußtsein voraus. Diese Denkprozesse, die in ihrer tatsächlichen Entwicklung sogar wesentlich erst dem wissenschaftlichen Denken angehören, in ein unbewußtes Seelenleben zurückzuverlegen, sit also bestenfalls eine Fiktion, durch die man zu verdeutlichen sucht, wie die Prozesse zustande kommen könnten, wenn sie logische Denkakte wären, was sie aber ihrer eigensten Natur nach nicht sind. Ähnlich wie man etwa durch eine analoge Fiktion deutlich machen kann, daß ein Organismus zweckmäßig gebaut ist, indem man annimmt, die Anpassung der Teile aneinander sie aufgrund einer verstandesmäßigen Überlegung zustande gekommen.


4. Die Psychologie auf der Grundlage der Existenziallogik

Daß dieser reflektionsmäßige Logizismus gleichwohl aus der Physiologie auch in die neuere Psychologie eingedrungen ist und in dieser weitere Blüten getrieben hat, ist wohl nicht bloß auf die Autorität der Physiologen auch in die neuere Psychologie eingedrungen ist und in dieser weitere Blüten getrieben hat, ist wohl nicht bloß auf die Autorität der Physiologen zurückzuführen, die sich dieser logischen Umdeutung bedienten, sondern es kam hier der Umstand zuhilfe, daß ältere philosophische Lehren, wie die HERBARTsche Mechanik der Vorstellungen, die sich ja ebenfalls auf ein unbewußt bleibendes Spiel psychischer Kräfte beziehen ließ, oder die durchaus auf einen solchen unbewußten Hintergrund aufgebauten metaphysischen Lehren SCHOPENHAUERs und EDUARD von HARTMANNs die Ausbildung dieser Theorien unterstützten. Besonders gehört aber der Versuch FRANZ BRENTANOs und seiner Schule hierher, sich der Bedenken, die sich gegen die gewöhnliche Reflexionspsychologie erhoben, dadurch zu entledigen, daß man die Grundfunktion des logischen Denkens, das Urteil, selbst in eine einfache psychische Funktion umwandelte. Indem BRENTANO den gesamten Bewußtseinsinhalt in Vorstellungen, Urteile und Gemütsbewegungen, und unter ihnen die Urteile wieder in bejahende und verneinende, die Gemütsbewegungen in die Affekte von Liebe und Haß zerlegte, geschah es nun von selbst, daß in diesem Fünfgestirn seelischer Kräfte das Urteil alle andern überstrahlte. Allerdings bilden, wie BRENTANO übereinstimmend mit den meisten Psychologen der Gegenwart annimmt, die Vorstellungen das allgemeine Substrat des Seelenlebens, und Vorstellungen können nach ihm auch als völlig indifferente Zustände, ohne Begleitung von Urteilen und Gemütsbewegungen, vorkommen. Aber eine Bedeutung für den Zusammenhang des Seelenlebens gewinnen sie doch immer erst dadurch, daß sie sich mit jenen andern, in Gegensätze auseinandergehenden Inhalten verbinden, und unter diesen dominiert wieder das Urteil. Denn durch das bejahende Urteil werde das Objekt der Vorstellung ohne weiteres als existierend anerkannt, durch das verneinende geleugnet. Nicht minder stehen aber Liebe und Haß zu beiden Formen des Urteils in naher Affinität. Denn Streben und Widerstreben, in denen sich Liebe und Haß betätigen, können eine Beziehung auf reale Objekte erst dadurch erhalten und so zu aktuellen Affekten werden, daß der Gegenstand der Vorstellung als existierend anerkannt wird. So ruht jeder seelische Vorgang, sobald er die Vorstellungen zu Gegenständen der Außenwelt in Beziehung setzt, auf logischen Urteilsakten, und die Gefühle und Willensregungen können wiederum nur indem sie sich gleichzeitig mit Urteilen verbinden, eine Beziehung zu wirklichen Gegenstände und damit selbst Wirklichkeit gewinnen. (3

Indem so das Urteil nicht, wie in der an die geläufigen Formen des logischen Denkens sich anlehnenden Reflexionspsychologie, als ein zusammengesetzter Vorgang, sondern als ein elementares psychisches Geschehen betrachtet wird, das allgegenwärtig die psychischen Vorgänge begleite, verbindet sich in dieser Theorie der psychologische Logizismus auf das engste mit einem logischen Psychologismus. Deutet jener alle psychischen Vorgänge als logische Denkhandlungen, so läßt dieser wieder alle logischen Denkakte mit den allgemeinen Bewußtseinsvorgängen zusammenfließen. Diese Verbindung entgegengesetzter Standpunkt ist freilich nur infolge jener Allgegenwart des logischen Denkens möglich, bei der jedes Psychische ein Logisches und demnach in der natürlichen Umkehrung dieser Wechselbeziehungen jedes Logische zugleich ein Psychisches ist. Hier nimmt dann aber die Theorie wieder eine eigentümliche Wendung, in der sie mit dem Logizismus der Sinnesphysiologie zusammentrifft. Auch BRENTANO kann sich der Tatsache nicht verschließen, daß das Urteil, dessen Allgegenwart er behauptet, doch nur in einer beschränkten Zahl von Fällen deutlich erkennbar sei. Er muß zugeben, daß gerade die von ihm vorausgesetzten einfachsten Urteile latent bleiben, also einer Ergänzung durch eine eigene nachträgliche Selbstbesinnung bedürfen. Da hilft ihm dann ein Begriff aus der Verlegenheit, den er der scholastischen Philosophie entnimmt. Schon die Scholastik hatte im Interesse der von ihr geübten logischen Begriffszerlegungen die Annahme nötig gefunden, bei einem Gedankeninhalt dürfe man sich nicht auf das im Begriff und dem ihm zugehörigen Wort unmittelbar Gegebene beschränken, sondern man müsse stets auch die "Intention" in Rechnung ziehen, in der der Begriff gebraucht werde. Diese intentionale Ergänzung zieht nun BRENTANO heran, um den Urteilscharakter auch solchen Vorstellungen zusprechen zu können, die ihn an und für sich nicht besitzen. Scheinbar soll in unserem Bewußtsein nur eine Vorstellung sein ohne jedes sie begleitende Urteil, aber intentional soll gleichwohl ein solches Urteil die Vorstellung begleiten, wie das schon da hervortrete, wo wir eine Vorstellung auf einen Gegenstand beziehen. Denn hier bestehe die intentionale Ergänzung eben darin, daß wir den Gegenstand als einen existierenden auffassen. Nun ist klar, daß diese intentionale Ergänzung der Sache nach genau dasselbe ist wie das unbewußte Urteilen und Schließen in der neueren Sinnesphysiologie. Beide Begriffe bezeichnen logische Akte, die tatsächlich nicht existieren, die aber fingiert werden, um gewisse Tatsachen des Bewußtseins logisch interpretieren zu können. In beiden Fällen sind Urteile die wesentlichen Formen dieser fingierten Prozesse. So schließen sich hier im Werk dieses in Scholastik wie in neuerer Psychologie gleicherweise orientierten Philosophen beide zur Einheit zusammen, vielleicht mehr als er sich selbst bei der Konzeption seiner geistreichen Theorie bewußt gewesen ist. Dennoch konnte er die Verwandtschaft dieser nach ihren Entstehungsbedingungen so weit voneinander abliegenden Richtungen nicht ganz verborgen bleiben. Die Schüler BRENTANOs haben nicht bloß die tatsächlichen Ergebnisse der sinnesphysiologischen Arbeiten von HELMHOLTZ, sondern fast mehr noch die logisch-psychologischen Theorien dieses großen Gelehrten als grundlegend für die neuere Psychologie gepriesen. Indem nun aber in den psychologischen Arbeiten, die aus dieser Allianz alter Traditionen und moderner Theorien hervorgingen, die Hilfsbegriffe einer unbewußten Logik oder einer intentionalen logischen Ergänzung, die zur Rechtfertigung der nicht existierenden und doch als existierend gedachten logischen Akte angenommen wurden, mehr und mehr im Drang der alltäglichen psychologischen Bedürfnisse in den Hintergrund traten, ließen sie in der Erklärung der einzelnen Erscheinungen jener naiven Reflexion, aus der sie ursprünglich hervorgegangen waren, wiederum freie Bahn. So ist diese neueste Entwicklungsphase intellektualistischer Psychologie abermals auf dem Standpunkt angelangt, mit dem der Logizismus überhaupt begonnen hatte: auf dem der populären Reflexionspsychologie. Das Ende kehrt zum Anfang zurück, um, wenn auch mit mancherlei Zugaben aus den Rückständen vorangegangener Philosophie ausgerüstet, die naive logische Reflexion über die Tatsachen als das Beständige in der Flucht der Erscheinungen zurückzulassen.


5. Die Psychologie als Anwendungsgebiet der reinen Logik

Mochte man sich nun aber auch bei der Behandlung der einzelnen psychologischen Probleme in dem befriedigten Gefühl der Übereinstimmung mit den verbreiteten populären Anschauungen über dieses negative Ergebnis hinwegsetzen, die Unhaltbarkeit dieses Zustandes konnte, sobald sich der Blick auf das Ganze richtete, nicht verborgen bleiben. Da lag es dann für den, der von irgendeiner Richtung des bisherigen Logizismus herkam, nahe genug, den Grund eines solchen Mißerfolgs eben in jener Vermengung psychologischer und logischer Element zu sehen, die aus der populären Psychologie auf den wissenschaftlichen Logizismus übergegangen war, und die schließlich in BRENTANOs systematischer Verschmelzung beider Denkweisen kulminiert hatte. So ist es dann auch vornehmlich ein Schüler BRENTANOs gewesen, der mit der Vertreibung des Psychologismus vollen Ernst machte: EDMUND HUSSERL. Den Psychologismus nicht bloß aus der Logik, sondern aus der Psychologie selbst zu verbannen, das ist das Programm, das er sich im letzten Teil seiner "reinen Logik" stellt, der es auf nichts geringeres als auf eine mit den bloßen Mitteln der Syllogistik und Dialektik errichtete Psychologie absieht.

Auf verschiedenen Wegen hat sich HUSSERL den Zugang zu diesem Unternehmen zu eröffnen gesucht. Der einfachste und, weil er sich nicht auf vorangehende logische Begriffserörterungen gründet, allgemein verständlichste geht von einem Parallelismus zweier Begriffe aus, der, wie HUSSERL meint, schon in der bisherigen Psychologie und Erkenntnistheorie dann und wann aufgetaucht, noch niemals aber folgerichtig durchgeführt worden sei. Das seien die Begriffe der "Psychologie ohne Seele" und der "Naturwissenschaft ohne Körper". Wie die erstere alle metaphysischen Präsumtionen betreffs der Seele, so lehne die letztere alle Theorien über die metaphysische Natur des Physischen ab, um rein phänomenologisch die Tatsachen ihres Gebiets zu betrachten. Nur gelte freilich als "psychisches Phänomen" im gewöhnlichen Sinne des Wortes nur die Summe jener Bewußtseinstatsachen, die von uns unmittelbar als psychische Erlebnisse wahrgenommen werden, nicht aber der Bewußtseinsinhalt in jenem weiteren und richtigeren Sinne, in dem er den gesamten Inhalt möglicher Icherlebnisse umfasse. Von diesen sei uns vielmehr der allergrößte Teil unbewußt. Er bestehe aus Akten und deren "intentionalen Beziehungen", wobei unter "Akt" die Bedeutung eines psychischen Inhalts, sofern sie als seelisches Erlebnis gedacht wird, unter "intentionalem Erlebnis" die Beziehung des erlebten Aktes auf Gegenstände, insbesondere also ihre Objektivierung in der Form von Vorstellungen verstanden wird. Nennt man alle diese im gewöhnlichen Sinne unbewußten Erlebnisse "psychische Phänomene", so ergibt sich damit zugleich ein anderer Begriff des Phänomenologischen. Nach ihm sind die psychischen Phänomene diejenigen Erlebnisse, die  nicht  erscheinen, die aber aufgrund der unmittelbar gegebenen Tatsachen, also der Phänomene im engeren Sinne, zu erschließen sind. Da nun jedes Schließen ein logischer Akt ist, so liegt darin die Forderung, die unmittelbar gegebenen Inhalte seien überall nur als Zeichen zu betrachten, die auf die nicht unmittelbar gegebenen logischen Denkakte hinweisen, womit daher die letzteren als der einzige eigentliche Gegenstand der Psychologie zurückbleiben. (4

Wir lassen hier die spezifisch logische Seite dieser Theorie, die uns in nächsten Abschnitt beschäftigen soll, vorläufig beiseite. Hier haben wir es nur mit der Begründung zu tun, die HUSSERL diesem seinem Unternehmen einer Umwandlung der Psychologie in ein Anwendungsgebiet der "reinen Logik" zu geben sucht, und mit den Folgerungen, die er aus diesem Prinzip bei der Interpretation einzelner psychologischer Tatsachen zieht. Da ist nun in ersterer Beziehung der Analogiebeweis bemerkenswert, von dem er ausgeht, und der für ihn selbst allerdings nach dem Inhalt der vorangegangenen rein logischen Erörterungen nur den Wert einer nachträglichen psychologischen Bestätigung besitzen mag, der aber immerhin das Recht, das er auf dem eigensten Boden der psychischen Phänomene für eine streng logizistische Theorie dieser Phänomene in Anspruch nimmt, darzutun hat. Nun liegt der Nerv jenes Analogiebeweises darin, daß Seele und Körper beide als Begriffshypostasen [einem Gedanken gegenständliche Realität unterschieben - wp] betrachtet werden, von denen die erste durch die neuere Psychologie ebenso beseitigt sei, wie die zweite für die Naturwissenschaft längst keine Geltung mehr besitze. Aber "si duo faciunt idem, non est idem" [Wenn zwei das Gleiche tun, ist es nicht das Gleiche. - wp] In Wahrheit sind ja, wie jedem bekannt ist, der die Geschichte der metaphysischen Begriffsbildungen verfolgt hat, Seele und Körper Begriffe ganz verschiedener Art und Herkunft, und das Geschäft des Naturforschers, der den Begriff Körper in einen Komplex von Erscheinungen auflöst, die der näheren physikalischen Analyse bedürfen, ist daher auch von dem des Psychologen, der den metaphysischen Begriff der substantiellen Seele beseitigt, nicht nur überhaupt verschieden, sondern beide repräsentieren hier einen Gegensatz, der mit den grundsätzlich verschiedenen Aufgaben der Naturwissenschaft und der Psychologie auf das engste zusammenhängt. Der "Körper" ist ein empirischer Begriff. Die sämtlichen Merkmale eines Körpers, auch diejenigen, durch die er sich von seiner Umgebung und von anderen Körpern unterscheidet, sind in der Erfahrung gegeben; und insoweit bei seiner Auffassung "transzendentale Funktionen" im Kantischen Sinne wirksam werden, können diese immer nur durch jene in der Empfindung gegebenen empirischen Merkmale ausgelöst werden. Dem gegenüber ist der Begriff der "Seele" in seinen Anfängen ein mythologischer und in seiner philosophischen Weiterbildung ein metaphysischer. Alles was in unserem Seelenleben der Erfahrung angehört, unsere Empfindungen, Gefühle, Vorstellungen usw., werden als Wirkungen der ansich transzendenten Seelensubstanz gedacht. So ist dann auch der Weg, den der Physiker zurücklegt, um von einem Körper zu dem zu gelangen, was er an dessen Stelle setzt, dem Unternehmen des Psychologen, der den Seelenbegriff über Bord wirft, um die tatsächlich in der Erfahrung gegebenen psychischen Erlebnisse allein zurückzubehalten, völlig entgegengesetzt. Die Elemente, die jener dem in der Wahrnehmung gegebenen Körper substituiert, die Atom- oder Molekularbewegungen oder die Transformationen der Energie usw., sind selbst nicht in der unmittelbaren Wahrnehmung gegeben. Sie können günstigenfalls durch die Beziehungen, in die die Tatsachen der Wahrnehmung zueinander treten, empirisch gerechtfertigt werden; ansich sind sie aber transzendent und metaphysisch. Der Psychologe geht also, wenn er den Seelenbegriff beseitigt, vom Metaphysischen zum Empirischen, der Physiker beginnt umgekehrt mit der unmittelbaren Erfahrung, um bei metaphysischen Begriffen zu enden, mit deren Hilfe er das Empirische zu interpretieren sucht. Nur der oberflächliche Dogmatismus der Scholastik und der hierin ihren Spuren folgenden Aufklärungsphilosophie mit seiner heillosen Vermengung von Metaphysischem und Empirischem konnte diesen Gegensatz verwischen, um Körper und Seele als die zwei Substanzen zu definieren, die trotz ihrer entgegengesetzten Eigenschaften durch irgendein metaphysisches Band, wenn nicht durch ein ursprüngliches Wunder aneinander gebunden seien. In der empirischen Forschung hat dieser Gegensatz nie existiert. Da hat sich vielmehr stets bei der physikalischen Analyse der Naturerscheinungen die Nötigung ergeben, von den in der Wahrnehmung gegebenen Körpern aus auf ein Substrat von Vorgängen zurückzugehen, die nicht unmittelbar gegeben, sondern aus dem Wahrgenommenen erschlossen sind, während dagegen auf den Gebieten, wo die psychologische Interpretation der Erscheinungen eine Rolle spielt, also nicht bloß in der empirischen Psychologie, sondern insbesondere auch in den sogenannten Geisteswissenschaften, überall die Tatsachen des Bewußtseins selbst als Erklärungsmittel dienen.

Neben der logischen Gleichsetzung zweier Begriffe, die in Wahrheit gegensätzliche Pole auf der vom Empirischen zum Metaphysischen führenden Begriffsleiter bilden, nimmt nun aber dieser radikalste aller Versuche, die darauf ausgehen, das Psychische in Logisches zu transformieren, noch eine Begriffsverschiebung zuhilfe, die eigentlich jene Analogie wieder aufhebt. Dem Begriff "Seele" soll keineswegs die Gesamtheit der wirklich gegebenen seelischen Erlebnisse, analog wie dem Begriff Körper die Gesamtheit der als wirklich zu denkenden objektiven Vorgänge, substituiert werden, sondern für jenen sollen hier im Gegenteil nur die nach der gewöhnlichen Auffassung des Bewußtseins  unbewußten  Prozesse reserviert bleiben, die nun als logische Akte und mit diesen verbundene "intentionale Erlebnisse" gedacht werden. Eine derartige Substitution nennt die Scholastik, nach deren Vorbild HUSSERL seine Begriffe prägt, einen "Sprung im Schließen" oder ein Sophisma nach dem Schema "pars pro toto" [der Teil steht für das Ganze - wp], und zwar ist in diesem Fall der Sprung ein doppelter. Zunächst wird das Unbewußte, nachdem es als notwendige Ergänzung des im gewöhnlichen Sinne "Bewußten" eingeführt ist, der Totalität der psychischen Erlebnisse untergeschoben, sodann werden logische Prozesse, die sich nur bei einer relativ kleinen Zahl solcher Erlebnisse nachweisen lassen, als die notwendigen Grundlagen eines jeden psychischen Inhalts eingeführt. Dazu dient erstens der ansich rein formale Begriff der logischen Setzung oder, wie ihn HUSSERL nennt, des "Aktes", der lediglich aussagt, daß irgendetwas im allgemeinen Bewußtsein, also in diesem gesetzt ist; und zweitens ein diese formale Bedingung realisierender Hilfsbegriff, der jenen in seiner Abstraktheit völlig inhaltsleeren Aktbegriff näher determinieren und ihm so sachliche Wirklichkeit verleihen soll. Dieser Hilfsbegriff ist der bereits von BRENTANO der scholastischen Terminologie entlehnte der "Intention". Zum abstrakten logischen Akt muß die konkrete Absicht hinzukommen, in der dieser Akt im einzelnen Fall verwendet wird, um ihn zu einem wirklichen Erlebnis zu machen. Dies geschieht, indem jene Intenteion den Akt in der  Vorstellung  auf einen Gegenstand bezieht. Die Vorstellung ist also auch hier - darin bleibt die Verbindung mit BRENTANOs Psychologie bestehen - der zunächst gegebene psychische Inhalt. Aber sie ist nicht mehr, wie bei BRENTANO, das  primäre  Element, sondern ein logisches Produkt aus  zwei  Elementen, aus der abstrakten logischen Setzung und aus der diese ergänzenden Zweckbeziehung, der logischen Intention, durch die der abstrakte Akt zum konkreten Erlebnis wird. Deshalb nennt HUSSERL diesen zweiten Bestandteil des die gegenständliche Vorstellung fundierenden logischen Prozesses das "intentionale Erlebnis" - ein Begriff, der in seiner Zurückverlegung der psychischen Folge in den für sie postulierten logischen Grund die hier stattgehabte Absorption des Psychischen durch das Logische besonders deutlich vor Augen führt. Ein wirkliches Erlebnis ist ja im physiologischen Sinne jedenfalls nicht die spezifische Intention eines einzelnen Aktes, sondern das Resultat derselben, die Vorstellung. Aber für die rein logische Betrachtung bleibt die Intention, die logische Absicht, dem abstrakten Denkakt eine bestimmte Bedeutung zu geben die Hauptsache, womit dann die psychische Seite des Vorgangs, die nämlich, daß er irgendwie im Bewußtsein erlebt wird, von selbst gegeben ist.

Zweierlei ist an dieser Auflösung der psychischen Vorgänge in logische Elemente vor allem bemerkenswert: der Fortgang vom Abstrakten zum Konkreten, der im Wesen jeder logischen Begriffsordnung liegt, und der zu dem im wirklichen Erkennen sich betätigenden Fortschritt von den einzelnen Erscheinungen zu den sie zusammenfassenden abstrakten Begriffen den Gegensatz bildet; und sodann die Verlegung all dieser angeblich die reale Grundlage der psychischen Phänomene bildenden logischen Vorgänge ins Unbewußte. Wird doch die Forderung, solche Vorgänge überhaupt anzunehmen, nicht nur im allgemeinen mit der Existenz des Unbewußten begründet, sondern die Rekonstruktion der hier wirksam gedachten fundamentalen hypothetischen Prozesse besteht in nichts anderem als in dem Versuch die Bedingungen nachzuweisen, die erfüllt sein müßten, wenn eine Vorstellung als gegenständlicher Inhalt unseres Bewußtseins aufgrund logischer Forderungen entstehen sollte. Die Antwort auf eine in diesem Sinne gestellte Frage lautet dann: erstens muß überhaupt irgendetwas geschehen, - das sagt der abstrakte Begriff des "Aktes"; und zweitens, was in unserem Bewußtsein geschieht, muß eine bestimmte Bedeutung haben, die es von anderen Inhalten unterscheidet, - das liegt in dem jenen abstrakten Begriff des Aktes konkretisierenden Begriff des "intentionalen Erlebnisses".

Durch die Verlegung dieser logischen Prozesse ins Unbewußte nähert sich übrigens dieser Logizismus wiederum jenen Theorien, die aus unbewußten Analogieschlüssen und Induktionen oder aus irgendwie sonstigen hypothetischen Vorgängen unbewußter Art Tatsachen der Wahrnehmung abzuleiten suchen. Nur daß man sich hierbei meist das Unbewußte nach dem Vorbild der Bewußtseinsvorgänge zu denken pflegt. Nund ist aber das Unbewußte selbstverständlich immer zugleich ein  Unbekanntes;  und damit ist der Willkür in der hypothetischen Einführung unbewußter Vorgänge Tür und Tor geöffnet. Ihre Möglichkeit läßt sich ebensowenig wie ihre Unmöglichkeit beweisen. Höchstens läßt sich dartun, daß sie für die Erklärung der psychologischen Wirklichkeit eben deshalb nichts leisten und niemals etwas leisten können, weil sie allezeit leere Möglichkeiten bleiben, ohne zur Interpretation der Erscheinungen irgendetwas beizutragen, wie das die heuristischen Hypothesen der Naturwissenschaft zu tun pflegen. Denn wenn z. B. in der logizistischen Theorie der räumlichen Ordnung der Netzhautempfindungen die Verlegung eines auf der Nasalseite einwirkenden Reizes in die der Schläfenseite entsprechende Region des Sehfeldes durch einen Analogieschluß aus früheren Erfahrungen und aus der Übereinstimmung mit den Tasteindrücken, oder wenn die Klangharmonie nach LEONHARD EULER aus einem unbewußten Zählen und dem Wohlgefallen an regelmäßigen Zahlenverhältnissen oder nach einer neueren, von THEODOR LIPPS vorgeschlagenen Verbesserung dieser Theorie aus einer unbewußten Rhythmik der Empfindungen erklärt wird, so machen die dabei angenommenen unbewußten Operationen die Erscheinungen selbst nicht im geringsten verständlicher, als sie es vorher waren. Mag es sein, daß wir neue Netzhauteindrücke nach früheren beurteilen oder mit der Lokalisation von Tasteindrücken in Übereinstimmung bringen, - wären diese anderen Eindrücke nicht bereits in der entsprechenden Weise lokalisiert worden, so würden uns alle diese Schlüsse nichts helfen. Ist aber einmal irgendwie eine solche Raumbeziehung zustande gekommen, so erklärt sich die Übertragung auf andere Fälle gleicher Art ohne weiteres aus den im Bewußtsein selbst nachweisbaren Assoziationen. Darum ist es entweder terminologischer Mißbrauch oder fehlerhafte Begriffsvermengung, wenn gelegentlich selbst von Psychologen "unbewußt" und "dunkelbewußt" als wesentlich gleichbedeutende Ausdrücke angesehen werden. Wer von dunkelbewußten psychischen Vorgängen redet, verpflichtet sich damit zugleich, solche Vorgänge als wirkliche Bewußtseinsvorgänge nachweisen zu können. Wer irgendwelche unbewußte Vorgänge annimmt, der erklärt damit, daß ihr Nachweis unmöglich ist. Darum hat der Begriff des Unbewußten nur in der einen Bedeutung einer  Anlage  zu künftigen Bewußtseinsvorgängen, die auf früher dagewesene, aber inzwischen dem Bewußtsein entschwundene hinweisen, seine Berechtigung. Unbewußte  Vorgänge  aber sind bloße Fiktionen, mögen sie nun als solche offen eingestanden oder aber in der Form willkürlicher Hypothesen eingeführt werden. In die Klasse dieser Fiktionen gehören vor allem auch die unbewußten Denkakte. Sie bilden Zugaben zu den wirklichen Erlebnissen, zu deren psychologischer Interpretation sie nicht das geringste beitragen. Dies liegt aber mit innerer Notwendigkeit darin begründet, daß die logizistischen Theorien überhaupt nur Produkte einer nachträglichen Subsumtion der Erscheinungen unter allgemeine logische Kategorien sind. So wenig man die Unterschiede zwischen den Empfindungen Blau und Gelb begreiflicher macht, wenn man sie der Kategorie der Qualität unterordnet, geradesowenig hat man die Beziehungen zwischen Netzhauteindruck und Lokalisation erklärt, wenn man in die dabei stattfindenden psychologischen Prozesse logische Urteils- und Schlußformen hineinträgt. Der naive Beobachter, der da sagt "der Gegenstand ist blau" und der reflektierende Philosoph, der behauptet "ich urteile, daß der Gegenstand blau ist", sagen tatsächlich ein und dasselbe. Nur fügt der zweite im angeblichen Urteil einen Akt des Denkens zum unmittelbaren Erlebnis hinzu, der weder, wenn er als bewußter, noch wenn er als unbewußter Denkakt angenommen wird, irgendetwas zum Verständnis des Gegebenen beiträgt. Was ansich kein logischer Bewußtseinsinhalt ist, das kann natürlich jederzeit in einen solchen umgedeutet werden, indem man dem Inhalt selbst das Urteil beifügt, dieser Inhalt existiere. Logisch läßt eine solche Ergänzung die Tatsachen unverändert, psychologisch aber werden diese durch die Hinzunahme solcher Fiktionen gefälscht, ohne daß die der Interpretation irgendeinen Dienst leistet, weil sich aus fingierten Urteilen nie etwas anderes als höchstens wiederum ein fingiertes Urteil folgern läßt.

Zu dieser allen Arten der Reflexionspsychologie eigenen Bewegung in fingierten Denkakten bringt nun der radikale Logizismus noch ein weiteres Moment hinzu. Er läßt nicht, wie die gewöhnliche Reflexionspsychologie und ihre Abarten, die psychischen Inhalte selber neben den willkürlich eingefügten logischen Zwischengliedern unverändert bestehen, sondern er  löst jene Inhalte selbst in logische Denkakte auf.  Das hierbei vorgezeichnete Verfahren besteht aber darin, daß man sich zunächst jeden Inhalt in eine logische Denkhandlung transformiert denkt und diese dann in ihre abstrakten Momente zerlegt. Das typische Vorbild einer solchen Analyse ist die oben erwähnte Zerlegung des Begriffs der "Vorstellung". Die Vorstellung zerfällt logisch betrachtet in einen im Bewußtsein gegebenen Inhalt, den "Akt", und in die Beziehung dieses Inhalts auf einen Gegenstand, die "Intention". Es ist nicht zufällig, daß hier der abstraktere "Actus" der schon eine konkretere Begriffsfärbung an sich tragenden "Actio" vorgezogen wird. Jener bezeichnet den Vorgang ohne Rücksicht auf ein hinter ihm stehendes handelndes Subjekt. Diese, die Handlung, setzt das handelnde Subjekt voraus. Die "Actio" würde daher beide Momente, den Akt und die hinzutretende Absicht, die Intention, schon in sich schließen; der im Begriff der Vorstellung gegebene Denkakt fordert aber die Zerlegung in eben jene beiden Teilbegriffe des Gesetzwerdens oder des "Actus" und der ergänzenden "Intentio".

Nach dem Muster dieses grundlegenden Begriffs der Vorstellung werden nun alle anderen in der herkömmlichen Terminologie der Psychologen vorkommenden Begriffe zergliedert. Nur stellen sich hier durchweg zugleich "Aktkomplexionen" ein, d. h. ein einzelner Akt zerfällt sofort wieder in mehrere Teilakte mit ihren intentionalen Ergänzungen; solche Teilakte können dann abermals zusammengesetzt sein usw. So ist z. B. der Akt der "Freude", wie jedes andere intentionale Erlebnis, ein Vorstellungsakt. Denn die Freude fordert einen Gegenstand, auf den sie sich bezieht, also eine Vorstellung, als Inhalt. Aber der Begriff Vorstellung hat in diesem Fall zugleich eine andere, komplexere Bedeutung als dort, wo wir von einer Vorstellung außerhalb des Zusammenhangs mit anderen Begriffen reden. Wenn ich mich z. B. wahrnehmend freue, so gründet sich der Aktcharakter der Freude auf ein Wahrnehmungsurteil usw. Danach lassen sich alle diese komplexen Akte wieder in zwei Bestandteile unterscheiden: in Qualität und Materie. So sind je nach den Umständen Wahrnehmung, Erinnerung, Einbildung usw. die Materie der Freude. Dann ist diese selbst die spezifische Qualität, die zu jener wechselnden Materie hinzukommt. (5 Nur  einen  Fall gibt es, wo Materie und Qualität eins sind: das geschieht bei der "bloßen Vorstellung", wenn sie losgelöst von allen besonderen intentionalen Beziehungen gedacht wird. Darum sind Materie und Qualität auf der einen, Akt und intentionale Ergänzung auf der anderen Seite äquivoke Begriffe, und jeder komplexe Vorgang läßt sich schließlich in eine Mehrheit solcher Akte und der sie ergänzenden Intentionen zerlegen. Als letzte, allen diesen intentionalen Akten gemeinsame Materie oder als der grundlegende Akt aller intentionalen Erlebnisse bleibt so die "bloße Vorstellung" zurück. Was die einzelnen psychischen Erlebnisse unterscheidet, das ist demnach nicht die Vorstellung, die als solche die gemeinsame Materie vieler Erlebnisse ist, sondern die Intention und das sie begleitende Bewußtsein. So ist z. B. der Wunsch,  S  möge  P  sein, vom Urteil  S  ist  P  der Materie nach nicht verschieden; denn diese Materie ist jedesmal irgendeine Vorstellung. Erst der Hinzutritt der spezifischen Form der Intention gibt dem Erlebnis den Charakter des "intendierenden Aktes" mit dem ihn begleitenden Erfüllungsbewußtsein, dem dem Wunsch eigen ist, wogegen dem Urteilserlebnis lediglich die Bedeutung einer Identifizierungsintention verbleibt. Nach den verschiedenen Richtungen der Intention zerfallen daher die Akte selbst in verschiedene Aktklassen. So stehen den Bedeutungssynthesen der Urteilsintentionen die Erfüllungssynthesen der Wunsch- und Willensintentionen gegenüber, und jede dieser Aktklassen zeigt wieder einzelne Abschattungen, in denen sich die besonderen Akte, z. b. die des Wünschens und des Wollens, unterscheiden. (6

Nach dem hier angedeuteten Schema geht die Analyse überall vor sich. Zuerst werden die psychischen Erlebnisse in die ihnen zugrunde liegenden abstrakten Akte und die den letzteren zur Verwirklichung verhelfenden Intentionen zerlegt, und dann wird das konkrete Erlebnis selbst, wie es in der unmittelbaren Erfahrung gegeben ist, als die spezifische Form der Intention zuhilfe genommen. In der Tat können ja spezifische Unterschiede, wie z. B. die der Bedeutungs- und der Erfüllungsintention, unmöglich logisch begründet werden, sondern es können immer nur jene abstrakten logischen Bestandteile, in die sich der allgemeine Begriff eines Bewußtseinsinhaltes zerlegen läßt, den besonderen Inhalten, die in der Wirklichkeit gegeben sind, irgendwie äußerlich angepaßt werden. Als die letzte spezifische Qualität, die keiner weiteren Zerlegung mehr zugänglich ist, bleibt dabei aber stets wieder der erlebte psychische Vorgang selbst zurück, der auf diesem Weg über die an ihn angelegte Begriffsleiter weder etwas gewonnen noch verloren hat, sondern der gleiche, der populären Psychologie und dem mehr oder minder zufälligen Wortschatz der Sprache entnommene Begriff geblieben ist, der er vorher war. HUSSERL selbst hat es darum nicht überall für nötig befunden, dieses auch ohne den Umweg über die verschiedenen Akt- und Intentionsbegriffe zu gewinnende Resultat zu verhüllen, sondern sich mit Wortdefinitionen begnügt, die als solche, da ihnen nur die wissenschaftlich ungeprüften Begriffe der Vulgärpsychologie zugrunde liegen, auf diesem Umweg über eine rein logische Begriffszergliederung psychologisch nicht im geringsten wissenschaftlicher geworden sind. (7

Das logische Gerüst, das diesen Inhalt von Nominaldefinitionen psychologischer Vulgärbegriffe umschließt, setzt sich nun im allgemenien wieder aus  zwei  Bestandteilen zusammen: aus dialektischen Begriffsgliederungen und aus syllogistischen Begriffssubsumtionen. Jeder Bewußtseinsinhalt muß logisch betrachtet irgendwie gegeben sein, und er muß irgendwie auf einen Gegenstand bezogen werden. Diese dialektische Gliederung liefert die Begriffe des Aktes und der Intention. Ihnen wird dann jeder besondere Inhalt subsumiert, und dieses Verfahren wird endlich nach dem Prinzip der Superposition der Akte solange wiederholt, bis man bei der spezifischen Qualität des einzelnen Erlebnisses angelangt ist. Für dieses ist eine weitere Zerlegung nicht mehr möglich, und es tritt so die der allgemeinen Sprache entnommene Wortbezeichnung des betreffenden Inhalts ergänzend ein. Es ist dieselbe Methode kombinierter Dialektik und Syllogistik, die im Anschluß an die aristotelische Physik und Metaphysik die Scholastik ausgebildet hat. Nur ist der logizistische Standpunkt strenger festgehalten. Während es die scholastische Psychologie, der ein geflissentlicher Kampf gegen den Psychologismus noch fern lag, neben ihren Begriffsdistinktionen und Wortdefinitionen immerhin nicht ganz an Versuchen einer psychologischen Analyse der Erscheinungen fehlen ließ, verfährt der moderne Scholastizismus radikaler. Er läßt in der Psychologie überhaupt nur die Logik gelten. Darin erinnert er an die dialektische Begriffspsychologie HEGELs und seiner Schule. Nur ist ihm die Idee der Entwicklung, die diese belebt, in einem einförmigen System seiner Begriffssubsumtionen verloren gegangen. So zerstört der radikale Logizismus die Psychologie, ohne dafür in metaphysischen Ideen einen Ersatz zu bieten. Seine Psychologie ohne Seele ist zugleich eine Psychologie ohne Psychologie.


6. Rückblick und Ergebnis

Hiermit ist der Gang einer Entwicklung zurückgelegt, deren Ende möglicherweise noch irgendwie anders orientiert sein könnte, als es in dieser rückläufigen Bewegung zur Scholastik geschehen ist, das aber prinzipiell kaum mehr überschritten werden dürfte. Mit den bescheidenen logischen Interpretationen der populären Reflexionspsychologie beginnend, endet hier der psychologische Logizismus mit der völligen Umwandlung der Psychologie in angewandte Logik, die sich vornehmlich innerhalb der Wortbezeichnungen der Sprache bewegt.

Welche Lehre dürfen wir aus dieser Geschichte ziehen? Bestätigt sich etwa auch hier, was in so manchen anderen Fällen zutreffen mag, daß das Beständige auch das Richtige sei? Und bildet nicht die prinzipielle Übereinstimmung sonst abweichender Richtungen mindestens ein Zeugnis dafür, daß der Logik in ihren Herrschaftsansprüchen im Reich der Psychologie ein Recht zur Seite stehe? In der Tat mag es sein, daß eine solche Übereinstimmung hier, wie in anderen Fällen, gelegentlich als ein Beweis der Wahrheit oder wenigstens der Wahrscheinlichkeit angesehen wird. Doch darf man wohl auch der Worte BACONs gedenken, nach denen das Alter einer Meinung so wenig wie ihre Verbreitung einen solchen Beweis liefern kann. Und auch das sollten wir nicht vergessen, daß die Psychologie zwar eine alte Wissenschaft ist, daß sie sich jedoch, am Maßstab exakter Methoden gemessen, vielleicht erst in ihren Anfängen befindet, wenn auch der Charakter der Exaktheit nicht etwa bloß, wie KANT meinte, nach dem Umfang zu bestimmen ist, in dem Mathematik zur Anwendung kommen kann, sondern in jener weiteren Bedeutung, in welcher der Historiker, der Philologe oder Jurist ebenfalls Exaktheit für ihre Forschungsweise beanspruchen. Hier aber besteht das erster Erfordernis der exakten Methode überall darin, daß man sich in der Interpretation der Tatsachen durch die Tatsachen selbst leiten läßt und nicht Motive in sie hineinträgt, die ihnen fremd sind. In diesem Sinne ist es nun außerdem die Aufgabe der Psychologie, die Beschreibung und Erklärung der Bewußtseinsvorgänge auf diese in ihrem  ganzen  Umfang und nicht auf einen beschränkten Teil zu gründen, der noch dazu einer von metaphysischen Voraussetzungen verschiedener Art abhängigen Bearbeitung unterworfen war, wie das zumeist von den logischen Formen gilt, die der Logizismus auf die Gesamtheit der seelischen Vorgänge hinüberträgt. Das Verhältnis einer selbständige Psychologie zu allen diesen nach logischen Gesichtspunkten orientierten Richtungen läßt sich wohl am deutlichsten kennzeichnen, wenn wir die Forderungen zu formulieren suchen, die beide, die logisch gerichtete und die auf sich selbst gestellte Psychologie, zu befolgen haben. Dann lautet der Wahlspruch des psychologischen Logizismus etwa folgendermaßen: "Projiziere deine logische Reflexion über die seelischen Erscheinungen in diese selbst, ordne sie außerdem so viel als möglich nach den von der syllogistischen Subsumtionslogik und von der philosophischen Dialektik aufgestellten Prinzipien und dann nimm an, daß die so gewonnenen logischen Verallgemeinerungen zugleich empirische Gesetze des Seelenlebens seien!" Dem gegenüber wird die Maxime einer selbständige Psychologie zu lauten haben: "Halte dich ausschließlich an die Bewußtseinsvorgänge selbst, die, um sie gegen die trügerischen Einflüsse einer ungeregelten Selbstbeobachtung sicherzustellen, durch die experimentelle Analyse der Erscheinungen in ihren wechselseitigen Beziehungen fixiert werden müssen! Laß keine Gesetze oder Prinzipien gelten, die nicht unmittelbar aus den Erscheinungen abstrahiert sind. Insbesondere nimm diesen Standpunkt auch denjenigen Vorgängen gegenüber ein, die dem Gebiet des logischen Denkens angehören! Statt die in der Philosophie ausgebildeten logischen Formen auf das natürliche Bewußtsein zu übertragen, suche vielmehr aus diesem natürlichen Bewußtsein selbst und seinen Erzeugnissen in Ausdrucksbewegungen und Sprache die wirkliche Entwicklung des menschlichen Denkens zu erschließen!"

Der Logizismus ist der Vater des Intellektualismus. Dieser sucht in die Tat umzusetzen, was jener vorbereitet hat. Indem er die von ihm geübte Herrschaft der Logik in eine Alleinherrschaft umzuwandeln strebt, gelten ihm nicht bloß das theoretische Erkennen, sondern auch Fühlen und Wollen, der Genuß des Schönen und die Motive des Sittlichen ausschließlich als intellektuelle Erzeugnisse, die demnach ihrem Wesen nach mit dem als zweckmäßig und als nützlich Erkannten zusammenfallen. Der Verbrecher wird gebessert, indem man ihn über seine eigenen Interessen aufklärt, Wille und Charakter können bei der Erziehung nur durch die Vervollkommnung der Intelligenz ausgebildet und gefestigt werden. Wie sich die praktische Erfahrung zu diesen Doktrinen verhält, scheint mir umso weniger zweifelhaft, als die meisten theoretischen Intellektualisten immerhin Bedenken tragen, sich zu allen diesen praktischen Konsequenzen zu bekennen. Dennoch kommt auch in der Praxis die leichtere Zugänglichkeit der Bildungsmittel des Wissens der durch eine lange Tradition gefestigten Herrschaft des Intellektualismus zu Hilfe. Für eine Psychologie, die sich von der Last der logischen Vorurteile der Vergangenheit befreien will, dürfte es darum eine der wichtigsten, aber auch eine der schwierigsten Zukunftsaufgaben sein, den einzelnen Geisteswissenschaften die Wege zu zeigen, auf denen sie zur Überwindung der so lange Zeit von Psychologie selbst genährten Vorurteil gelangen können.

LITERATUR - Wilhelm Wundt, Psychologismus und Logizismus, Kleiner Schriften I, Leipzig 1910
    Anmerkungen
    1) Als Hauptakten dieses Streites vgl. man die Aufsätze von LEHMANN und HÖFFDING in "Philosophische Studien", Bd. 5, Seite 96f und Bd. 7, Seite 169f (LEHMANN, Bd. 8, Seite 86f (HÖFFDING)
    2) Ich glaube umso eher über die in der damaligen Sinnesphysiologie verbreiteten Motive, die zu dieser Theorie drängten, Rechenschaft geben zu können, als ich diese, soviel ich weiß, in meinen 1858 - 62 erschienenen "Beiträgen zur Theorie der Sinneswahrnehmung" zuerst allgemeiner durchzuführen versucht und dabei selbst den Ausdruck "unbewußte Schlüsse" wohl zum erstenmal gebraucht habe.
    3) BRENTANO, Psychologie vom empirischen Standpunkt I, Seite 346f
    4) HUSSERL, Logische Untersuchungen II, Seite 322f
    5) HUSSERL, a. a. O. Seite 413f
    6) HUSSERL, a. a. O. Seite 421, 522f
    7) Man vergleiche z. B. die Definitionen der Vorstellung, Wahrnehmung, Imagination usw. "Logische Untersuchungen II" Seite 468, 530f.