ra-2Gide / RistWesen und Preis der Arbeit    
 
ANTON MENGER
Das Recht auf den
vollen Arbeitsertrag

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    Vorrede / Einleitung
§ 1a Das Recht auf den vollen Arbeitsertrag
§ 1b Das Recht auf Existenz
§ 1c Das Recht auf Arbeit
§ 2. Die deutsche Rechtsphilosophie
§ 3. William Godwin
§ 4. Charles Hall
§ 5. William Thompson
§ 6. Der Saint-Simonismus
§ 7. Pierre-Joseph Proudhon
§ 8. Rodbertus
§ 9. Marx
§ 10. Louis Blanc und Lassalle

"Wie notwendig eine gründliche Ausbildung der sozialistischen Staatslehre von einem juristischen Gesichtspunkt aus, sowohl im Interesse der besitzenden als auch der arbeitenden Klassen ist, zeigt der Verlauf der französischen Revolution des Jahres 1848, die ja doch durchgreifend einen sozialen Charakter an sich trug. Ich verkenne nicht, daß die Machtverhältnisse bei dieser Umwälzung im Allgemeinen für die arbeitenden Klassen ungünstig lagen und daß deshalb eine durchgreifende soziale Reform überhaupt nicht durchzusetzen war."

§ 9. Marx

Während RODBERTUS im Wesentlichen die Gedanken der französischen Sozialisten, namentlich der Saint-Simonisten und PROUDHONs wiedergibt, steht MARX vollständig unter dem Einfluß des älteren englischen Sozialismus, insbesondere WILLIAM THOMPSONs. Sieht man von den zahlreichen mathematischen Formeln ab, die MARX in die Darstellung einmischt und welche die Sache mehr verdunkeln als aufklären, so ist die ganze Mehrwertstheorie: der Begriff des Mehrwerts, seine Bezeichnung und die Ansichten über die Höhe desselben im Wesentlichen den Schriften THOMPSONs entnommen. Nur zieht MARX, dem Zweck seines Werkes entsprechend, vorzugsweise die eine Form des arbeitslosen Einkommens (den Kapitalgewinn) in Betracht und es fehlt auch die notwendige Ergänzung der Mehrwerttheorie, nämlich eine rechtsphilosophische Kritik des Privateigentums an den Produktionsmitteln und den benützbaren Sachen, ferner eine gründliche Darlegung des Rechts auf den vollen Arbeitsertrag. In allen diesen Richtungen wird MARX von THOMPSON weit übertroffen, weshalb die Schrift des Letzteren als das Fundamentalwerk des Sozialismus gelten kann.

In Beziehung auf die praktischen Maßregeln zur Beseitigung des Mehrwerts steht dagegen MARX und sein Freund ENGELS auf einem eigentümlichen Standpunkt. Im kommunistischen Manifest, welches noch der Epoche vor der Revolution des Jahres 1848 angehört, machen beide eine Reihe von Vorschlägen, welche fast ohne Ausnahme der älteren sozialistischen Literatur entlehnt sind. Einzelne dieser Maßregeln, namentlich die Expropriation des Grundeigentums, die Abschaffung des Erbrechts, die Konzentration des Kredit- und Transportwesens, dann eines Teils der Industrie in den Händen des Staates verfolgen auch augenscheinlich den Zweck, das arbeitslose Einkommen wenigstens der Hauptsache nach zu beseitigen. Später haben MARX und ENGELS einzelne dieser Vorschläge wiederholt, z. B. wenn MARX vorhersagt, daß die Reichen, wenn die Konzentration der Produktionsmittel in ihren Händen den höchsten Grad erreicht hat, ihrerseits durch eine revolutionäre Schilderhebung des Volkes expropiiert werden. Dieselbe Ansicht spricht auch ENGELS aus, indem er es als eine Notwendigkeit bezeichnet, daß das Proletariat nach Eintreten der ökonomischen Vorbedingungen die Staatsgewalt ergreift und die Produktionsmittel in Staatseigentum verwandelt. Beide Schriftsteller stehen also, in Beziehung auf den wichtigsten Punkt, noch auf demselben Standpunkt wie im Jahr 1848, nur hat sich inzwischen die Expropriation des Grundeigentums in eine Konfiskation aller Produktionsmittel verwandelt.

Im Wesentlichen dieselben Ansichten werden von jenen Schriftstellern und Körperschaften vertreten, welche man zu der Partei der beiden genannten Sozialisten zählen kann. So beschloß der Kongress der Internationale von Brüssel im Jahre 1868, daß die wichtigsten Zweige der Urproduktion, nämlich der Acker- und der Bergbau, kommunistisch betrieben, d. h. daß die Bergwerke und das Ackerland im Eigentum des Staates sich befinden und von Arbeiterassoziationen bewirtschaftet werden sollen (gemeinsames Eigentum und gemeinsame Nutzung). Andererseits aber beschloß der Kongress - und dieser Beschluß steht mit dem vorhergehenden, wie sich weiter unten (§ 13) ergeben wird, nicht im vollen Einklang - daß der Arbeit ihr volles Recht und ihre ganze Belohnung bleiben muß und daß demgemäß alle im Namen des Kapitals beanspruchten Abzüge, sei es in der Form von Rente, Zinsen, Gewinn oder in irgendeiner anderen Weise, zu verwerfen sind.

Auf dem Kongress der Internationale von Basel im Jahre 1869 wurde die Frage nochmals einer Erörterung unterzogen. Auch dieser Kongress erklärte, daß die Gesellschaft das Recht hat, das Privateigentum an Grund und Boden aufzuheben und diesen der Gemeinschaft zuzuweisen. Diese Zuweisung des Bodens an die Gemeinschaft wurde ferner als eine Notwendigkeit erklärt. Dagegen konnte man sich nicht über die Frage einigen, ob das gemeinsame Eigentum auch gemeinsam benutzt werden soll, oder ob die Gesellschaft Stücke des gemeinschaftlichen Bodens Privatpersonen und einzelnen Arbeiterassoziationen zur temporären Sondernutzung zuweisen darf. Diese Frage wurde auf den nächsten Kongress verschoben, kam jedoch nicht mehr zur Entscheidung, weil auf dem Kongress in Haag (1872) die bekannte Spaltung der Internationale eintrat.

Die Beschlüsse der Internationale waren auch für die Arbeiterkongresse der einzelnen Länder von maßgeblicher Bedeutung. Der allgemeine deutsche sozialdemokratische Arbeiterkongreß, welcher in Eisenach vom 7. - 9. August 1869 (also vor der Versammlung der Internationale in Basel) abgehalten wurde, beschränkte sich noch darauf, auszusprechen, daß die "ökonomische Abhängigkeit des Arbeiters von den Kapitalisten die Grundlage der Knechtschaft in jeder Form bildet und daß deshalb die sozialdemokratische Partei unter Abschaffung der jetzigen Produktionsweise (Lohnsystem), durch genossenschaftliche Arbeit den vollen Arbeitsertrag für jeden Arbeiter erstrebt". Das sogenannte Eisenacher Programm sprach sich also, obgleich der Kongress von Brüssel bereits ein Jahr früher stattgefunden hatte, nur für das Recht auf den vollen Arbeitsertrag und für die genossenschaftliche Arbeit im Allgemeinen aus, ohne jedoch in die Mittel, durch welche dieses Ziel erreicht werden soll, näher einzugehen. Erst der Kongress der sozialdemokratischen Arbeiterpartei in Stuttgart vom 4. - 7. Juni 1870 erklärte im Anschluß an die Beschlüsse der Internationale in Brüssel und Basel, "daß die ökonomische Entwicklung der modernen Gesellschaft es zu einer gesellschaftlichen Notwendigkeit machen wird, das Ackerland in ein gemeinschaftliches Eigentum zu verwandeln und den Boden von Staats wegen an Ackerbaugenossenschaften zu verpachten, welche verpflichtet sind, das Land in wissenschaftlicher Weise auszubeuten und den Ertrag der Arbeit nach kontraktlich geregelter Übereinkunft unter die Genossenschafter zu verteilen. ... Als Übergangsstadium von der Privatbewirtschaftung des Ackerlandes zur genossenschaftlichen Bewirtschaftung forderte der Kongress, mit den Staatsdomänen, Schatullengütern, Fideikommissen, Kirchengütern, Gemeindeländereien, Bergwerken, Eisenbahnen usw. zu beginnen und er erklärte sich deshalb gegen jede Verwandlung des oben angeführten Staats- und Gemeindebesitzes in Privatbesitz."

Daß diese Kundgebungen der sozialistischen Partei den angestrebten Gesellschaftszustand klar und bestimmt erkennen lassen, wird man schwerlich behaupten können. Selbst die Fundamentalfrage des Sozialismus, ob das Recht auf den vollen Arbeitsertrag oder das Recht auf Existenz die Grundlage der künftigen Rechtsordnung bilden soll, erscheint durch diese Beschlüsse nicht beantwortet. Erst das sogenannte Gothaer Programm, welches in dem am 23. - 26. Mai 1875 abgehaltenen Kongress beschlossen wurde und das noch gegenwärtig die Grundlage der sozialistischen Bewegung in Deutschland bildet, ist mit größerer wissenschaftlicher Präzision abgefaßt. Der wesentliche Inhalt dieses Programms läßt sich so zusammenfassen, daß die deutsche sozialistische Partei das Recht auf Existenz, die Verteilung nach dem Bedürfnis als Grundlage der künftigen sozialen Ordnung betrachtet.

Als Fundamentalsatz stellt nämlich das Gothaer Programm die Ansicht auf, daß die Arbeit die Quelle allen Reichtums und aller Kultur ist und daß  das gesamte Arbeitsprodukt,  da allgemein nutzbringende Arbeit nur durch die Gesellschaft möglich ist,  der Gesellschaft, d. h. allen ihren Gliedern, bei allgemeiner Arbeitspflicht, nach gleichem Recht, jedem nach seinen vernunftgemäßen Bedürfnissen gehört.  Das Arbeitsprodukt soll also nicht, wie in der notwendigen Konsequenz des Rechts auf den vollen Arbeitsertrag liegt, dem Arbeiter, sondern der Gesellschaft gehören und von dieser jedem Einzelnen nach Maßgabe seiner vernunftgemäßen Bedürnisse zugewiesen werden.

Um die Lösung der sozialen Frage  anzubahnen,  fordert die sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands im Gothaer Programm die Errichtung von sozialistischen Produktivgenossenschaften mit Staatshilfe unter der demokratischen Kontrolle des arbeitenden Volkes. Die Produktivgenossenschaften sind für Industrie und Ackerbau in solchem Umfang ins Leben zu rufen, daß aus ihnen die sozialistische Organisation der Gesamtarbeit entsteht. Als Übergangsregel zur rein kommunistischen Gesellschaftsordnung wird also die Durchführung der von LOUIS BLANC und FERDINAND LASSALLE gemachten Vorschläge empfohlen.

Auf dem ersten Kongress der sozialdemokratischen Partei Deutschlands, welcher nach Aufhebung des Sozialistengesetzes vom 12. - 18. Oktober 1890 in Halle stattfand, wurde die Reformbedürftigkeit der soeben dargestellten Bestimmungen wie auch des ganzen Programms von allen Seiten anerkannt, jedoch die Vornahme der erforderlichen Veränderungen auf den nächsten Parteikongress verschoben.

Die französische Arbeiterbewegung nahm gleich von vornherein den Faden dort auf, wo ihn die deutsche hatte fallen lassen. Der dritte französische Arbeiterkongress in Marseille (1879) verlangte die Einbeziehung des Bodens, der Maschinen, Transportwege, Gebäude und angesammelten Kapitalien zugunsten des Menschengeschlechts und erklärte ferner, daß diese Einziehung der Arbeitsmittel und Produktivkräfte mit allen möglichen Mitteln angestrebt werden muß. (1)

Faßt man diese Darstellung zusammen, so kann Folgendes als die gemeinsame Ansicht des modernen Sozialismus gelten. Die sozialistischen Parteien der Gegenwart bekämpfen das Privateigentum an den Produktionsmitteln und den benützbaren Sachen ebenso wie das arbeitslose Einkomen (Rente, Mehrwert) und sie erkennen ganz allgemein das Recht auf den vollen Arbeitsertrag in der negativen Bedeutung dieses Wortes an, nämlich so weit als dadurch die Berechtigung von Grundrente und Kapitalgewinn verneint wird. Eine bloße Konsequenz dieser Ansichten ist, daß der moderne Sozialismus die Verwandlung des Privateigentums an den Produktionsmitteln und den benützbaren Sachen in gemeinsames Eigentum verlangt.

Dagegen sind die sozialistischen Parteien der Gegenwart über das Fundamentalprinzip des Sozialismus, ob die Grundlage der künftigen Gesellschaftsordnung das Recht auf den vollen Arbeitsertrag oder das Recht auf Existenz bilden soll, noch zu keiner festen, übereinstimmenden Überzeugung gelangt. Ebensowenig besteht Übereinstimmung über die Frage, wer in Zukunft das Subjekt dieses gemeinsamen Eigentums sein soll. Sollen im sozialistischen Staat Arbeiterassoziationen das Eigentum der Produktionsmittel und der benützbaren Sachen haben und dasselbe gemeinsam benützen (Gruppensozialismus)? Oder soll dieselbe Aufgabe der Gemeinde, dem Staat oder gar, wie der Kongress von Marseille will, der gesamten Menschheit zufallen (Gemeinde-, Staats, Weltsozialismus)? Oder soll eine Kombination dieser verschiedenen Standpunkte stattfinden, z. B. in der Weise, daß der Staat oder die Gemeinde das Eigentum der Produktionsmittel hat, diese aber einzelnen Personen oder Assoziationen zur individuellen Benutzung und Bewirtschaftung gibt? Auf alle diese Fragen geben die neueren sozialistischen Schriften und die Beschlüsse der sozialistischen Kongresse nur unbestimmte, vielfach in Widerspruch stehende Antworten.

Dieser Mangel wird gewiß zum Teil durch die Schwierigkeit jener Fragen verursacht, weil es sich hier um vorherrschend juristische Probleme handelt, während die Durchforschung des sozialistischen Gedankenkreises vom juristischen Standpunkt bisher noch nicht einmal versucht worden ist. Aber von noch größerem Einfluß auf diese Haltung des modernen Sozialismus waren ohne Zweifel die Ansichten von MARX und ENGELS, welche das Wesen des wissenschaftlichen Sozialismus (im Gegensatz zum utopistischen von SAINT-SIMON (2), FOURIER und OWEN) in einer kritischen Darlegung des gegenwärtigen ökonomischen Zustandes in seinem geschichtlichen Zusammenhang und der daraus sich ergebenden prinzipiellen Maßregeln erkennen, dagegen jede nähere Darlegung der zu erstrebenden Gesellschaftsordnung als Utopie verwerfen. Die des gegenwärtigen ökonomischen Zustandes in seinem geschichtlichen Zusammenhang und der daraus sich ergebenden prinzipiellen Maßregeln erkennen, dagegen jede nähere Darlegung der zu erstrebenden Gesellschaftsordnung als Utopie verwerfen. Die Aufgabe des wissenschaftliche Sozialismus, sagt ENGELS, war nicht mehr, ein möglichst vollkommenes System der Gesellschaft zu verfertigen, sondern den geschichtlichen Verlauf zu untersuchen, dem das Proletariat und die Bourgeoisie und ihr Widerstreit mit Notwendigkeit entsprungen und in der dadurch geschaffenen ökonomischen Lage die Mittel zur Lösung des Konflikts zu entdecken ... Der bisherige Sozialismus (vor MARX) kritisierte zwar die bestehende kapitalistische Produktionsweise und ihre Folgen, konnte sie aber nicht erklären, also auch nicht mit ihr fertig werden. All das habe erst MARX durch seine "Entdeckung" des Mehrwerts geleistet.

Ich halte eine solche Darstellung eines vollkommenen Gesellschaftszustandes nicht nur für durchaus wissenschaftlich, sondern geradezu für unerlässlich, wenn die sozialistische Bewegung ihre Ziele auch nur zum Teil erreichen soll. Eine unwissenschaftliche Utopie ist nur dann vorhanden, wenn man bei der Entwerfung des künftigen sozialen Systems von der Ansicht ausgeht, daß die Menschen nach Einführung der neuen sozialen Ordnung von wesentlich anderen Triebfedern geleitet oder daß eine andere Verkettung von Ursache und Wirkung stattfinden wird, als in unserem gegenwärtigen Zustand. Diese zwei Grundregeln haben nun freilich ältere und neuere Sozialisten - ENGELS (3) selbst nicht ausgenommen - vielfach außer Acht gelassen. Ich erinnere nur an CABET (4), welcher das Gefühl der Brüderlichkeit als die einzige Triebfeder wie auch als den einzigen Zweck seines sozialen Systems erklärte, obgleich er sich doch unmöglich verhehlen konnte, daß die bisher gemachten Erfahrungen von der menschlichen Natur eine solche unbedingte Herrschaft der Brüderlichkeit auch im kommunistischen Staat nicht erwarten lassen. Oder ich erinnere an FOURIER und an PIERRE LEROUX, welche die sonst in der Erfahrung gegebene Verkettung von Ursache und Wirkung so sehr verkennen, daß sie, als die unmittelbare Folge der Verwirklichung ihrer Vorschläge, die Vervierfachung oder die Verfünffachung des wirtschaftlichen Produkts in Aussicht stellen. Selbstverständlich sind diese Systeme (z. B. die von FOURIER und CABET) praktisch erprobt wurden, niemals wirklich erfüllt worden.

vMARX und ENGELS meinen freilich, daß die Zentralisation der Produktionsmittel und die Vergesellschaftung der Arbeit allmählich einen Punkt erreichen werden, wo dadurch notwendig das Privateigentum gesprengt werden muß. Aber wie wenig die größten sozialen Mißstände geeignet sind, eine Umgestaltung der Gesellschaftsordnung herbeizuführen, wenn den Nationen nicht ein klares, von aller Überschwenglichkeit freies Bild des künftigen Zustandes vorschwebt, zeigt ein Blick auf das sinkende römische Reich. Noch nie waren die Produktionsmittel so zentralisiert, wie zu der Zeit, da sich die Hälfte der afrikanischen Provinz im Eigentum von sechs Personen befand; niemals waren die Leiden der arbeitenden Klassen größer als in der Zeit, wo fast jeder produktive Arbeiter ein Sklave war. Es fehlte damals auch nicht - namentlich bei den Kirchenvätern - an heftigen Kritiken des bestehenden Gesellschaftszustandes, die sich mit den besten sozialistischen Schriften der Gegenwart messen können. Dennoch folgte auf den Sturz des weströmischen Reiches nicht etwa der Sozialismus, sondern - die mittelalterliche Rechtsordnung.

Wie notwendig eine gründliche Ausbildung der sozialistischen Staatslehre von einem juristischen Gesichtspunkt aus, sowohl im Interesse der besitzenden als auch der arbeitenden Klassen ist, zeigt der Verlauf der französischen Revolution des Jahres 1848, die ja doch durchgreifend einen sozialen Charakter an sich trug. Ich verkenne nicht, daß die Machtverhältnisse bei dieser Umwälzung im Allgemeinen für die arbeitenden Klassen ungünstig lagen und daß deshalb eine durchgreifende soziale Reform überhaupt nicht durchzusetzen war. Aber die wenigen Maßregeln, welche damals ergriffen wurden, vollzogen sich nicht etwa im Sinne von MARX und ENGELS kraft einer den wirtschaftlichen Verhältnissen immanenten geschichtlichen Notwendigkeit, sondern sie waren schon vorher in Büchern und Zeitschrifen vorgeschlagen und besprochen worden. Ich verweise auf die oben (§ 1) gegebene Darstellung der historischen Entwicklung des Rechts auf Arbeit, dessen Anerkennung durch eine vieljährige, sehr "utopische" Diskussion vorbereitet worden war.

Eine zweite Maßregel, deren sozialistische Tendenz unzweifelhaft ist, war die Einsetzung einer Kommission der Regierung für die Arbeiter, welche von der provisorischen Regierung durch das Dekret vom 28. Februar 1848 verfügt wurde. Das Pariser Volk hatte am 28. Februar 1848 ein Arbeits- und Fortschrittsministerium verlangt, d. h. eine Behörde, welche zur Wahrung der Arbeiterinteressen eine wirkliche Vollziehungsgewalt besessen hätte. LOUIS BLANC ließ sich jedoch von seinen Kollegen in der provisorischen Regierung bestimmen, statt des Arbeits- und Fortschrittsministeriums eben jene Regierungskommission zu akzeptieren, welche einen rein theoretischen Charakter hatte und eine Art Akademie zur Diskussion der Arbeiterinteressen war. - Das Fortschrittsministerium war aber ebenso wie das Recht auf Arbeit ein alter Plan der fourieristischen Schule.

Endlich bestimmte ein Dekret der konstituierenden Versammlung vom 5. Juli 1848 einen Betrag von drei Millionen zur Unterstützung von Arbeiterassoziatioinen, welche in der Weise verwendet wurden, daß Kredite unter 25 000 Franken mit drei Pronzent, Kredite in einem höheren Betrag zu fünf Prozent zu verzinsen waren. Die drei Millionen Franken wurden auch von den Arbeiterassoziationen in Paris und in der Provinz fast vollständig in Anspruch genommen und manche derselben erfreuten sich einer großen Blüte, bis sie infolge des Staatsstreichs vom 2. Dezember 1851 wegen der republikanischen Gesinnung ihrer Mitglieder aufgelöst wurden. Man wird in diesen Maßregeln die Vorschläge, welche LOUIS BLANC schon früher in seiner Schrift über die Organisation der Arbeit und dann während der Februarrevolution selbst in der Luxemburger Kommission gemacht hatte, leicht wieder erkennen.

Fragt man aber, was die Führer der sozialistischen Bewegung bestimmt, trotz dieser geschichtlichen Tatsachen, die ja bekannt genug sind, eine wissenschaftliche Detaildarstellung des angestrebten Gesellschaftszustandes oder mit anderen Worten die Ausbildung einer sozialistischen Staatslehre zu vermeiden, so dürften wohl zwei Punkte die Erklärung für diese an sich befremdende Erscheinung bieten. Zunächst die Tatsache, daß die hervorragenden sozialistischen Theoretiker in der Regel auch einflußreiche Führer der sozialistischen Parteien sind. Unter politischen und ökonomischen Parteien ist aber erfahrungsgemäß die Einigkeit viel leichter durch die Negation bestehender Zustände, als durch Aufstellung positiver Ziele zu erreichen.

Dann aber mag zu jener Haltung einer wichtigen Gruppe sozialistischer Theoretiker eine Verkennung der Unterschiede zwischen den theoretischen und den praktischen Disziplinen beitragen. In den theoretischen Wissenschaften ist schon der bloße Nachweis eines Irrtums von Bedeutung, auch wenn es dem Forscher noch nicht möglich sein mag, die wahre Einsicht an die Stelle des beseitigten Irrtums zu setzen. So hätte sich KOPERNIKUS schon durch die Widerlegung des ptolemäischen Weltsystems unsterblichen Ruhm erworben, auch wenn er sein eigenes nicht hätte aufstellen oder begründen können.

Anders verhält es sich auf dem Gebiet der praktischen Disziplinen. Hier ist keine noch so wahre Kritik bestehender Einrichtungen berechtigt, solange nicht die Möglichkeit eines besseren Zustande genügend erwiesen wird. So groß auch der Druck sein mag, den das arbeitslose Einkommen (die Rente, der Mehrwert) auf die arbeitenden Klassen ausübt, so werden sich doch die Völker niemals zu einem eingreifenden sozialen Experiment entschließen, wenn nicht zuvor eine nur von erfahrungsmäßigen Gesichtspunkten geleitete sozialistische Staatslehre geschaffen ist. Auch die politischen Reformbestrebungen des 18. und 19. Jahrhunderts hätten keinen dauernden Erfolg gehabt, wenn den Nationen in den Schriften von MONTESQUIEU und ROUSSEAU nicht schon ein Abriss des künftigen politischen Zustandes vorgelegen wäre.


§ 10. Louis Blanc und Ferdinand Lassalle

LOUIS BLANC und LASSALLE sind die zwei hervorragendsten Vertreter derjenigen Form des Sozialismus, welche ich oben den Gruppensozialismus genannt habe. Der Grundgedanke dieses sozialistischen Systems besteht darin, daß größere oder kleinere Assoziationen von Arbeitern desselben Berufes einesteils das Eigentum an den Produktionsmitteln haben und andererseits diese gemeinsam benützen sollen. Dem steht selbstverständlich nicht entgegen, daß zwischen den verschiedenen Arbeitergruppen desselben Zweiges oder vielleicht sogar zwischen allen Arbeitergruppen eine einheitliche Organisation besteht. Es genügt, daß die Arbeitergruppe oder -Assoziation Subjekt des Eigentums und der Wirtschaft ist, um den Gruppensozialismus von den übrigen sozialistischen Grundformen (dem Gemeinde-, Staats- und Weltsozialismus) scharf zu unterscheiden.

Das Verhältnis zwischen LOUIS BLANC und LASSALLE läßt sich etwa so bestimmen: Die philosophische und historische Grundlegung des Gruppensozialismus ist bei LOUIS BLANC sehr dürftig, während LASSALLE nicht nur die historischen und philosophischen Seiten der Frage beherrscht, sondern auch einen Teil der früheren Literatur über das Grundproblem des Sozialismus: das arbeitslose Einkommen kennt. Dagegen ist LASSALLE in seinen praktischen Vorschlägen von LOUIS BLANC vollständig abhängig.

LOUIS BLANC gehörte zu einer Gruppe von jungen Leuten, welche sich nach der Julirevolution (1830) um PHILIPP BUONAROTTI, den Genossen BABEUFs und den Geschichtsschreiber der BABEUFschen Verschwörung gesammelt hatten. Die Beziehungen LOUIS BLANCs zum alten kommunistischen Jakobiner blieben nicht ohne Einfluß auf seine sozialistischen Schriften. Es fehlt namentlich in seinem System die national-ökonomische Verbrämung, mit welcher die Sozialisten seit RICARDO und THOMPSON die sozialistischen Probleme, die im Grunde doch Macht- und Rechtsfragen sind, zu umgeben pflegen. Für die entschlossenen Revolutionäre, welche sich mit BABEUF zur Herbeiführung einer neuen sozialen Ordnung auf dem Weg der Gewalt verbunden hatten, genügte eben der Hinweis auf die ewige Gerechtigkeit, welche nach ihrer Auffassung neben der politischen Gleichheit auch die ökonomische (égalité de fait, égalité réelle) erheischt.

LOUIS BLANC geht deshalb bei seinem System nicht von einer bestimmten Auffassung des Wertes aus, er vernachlässigt den bei den meisten Sozialisten so sehr hervorgehobenen Gegensatz zwischen Arbeitslohn und Arbeitsertrag und er behauptet auch nicht das Recht des Arbeiters auf den vollen Ertrag seiner Arbeit. Allerdings untersucht er in der neunten Auflage seiner Hauptschrift ("Organisation du travail") auch die Berechtigung des arbeitslosen Einkommens - eine Frage, welche durch die während der Februarrevolution erschienenen Schriften von PROUDHON und BASTIAT auf die Tagesordnung gesetzt worden war. LOUIS BLANC vertritt die Ansicht, daß das arbeitslose Einkommen, speziell der Darlehenszins an sich ungerecht ist (gegen BASTIAT), daß es aber in unserer Rechtsordnung, welche den Boden und die anderen Produktionsmittel an einzelne Privatpersonen verteilt, als eine unbedingte Notwendigkeit betrachtet werden muß (gegen PROUDHON). Aber er verfolgt diese Gedanken nicht so weit, um ein Recht des Arbeiters auf den vollen Arbeitsertrag aufzustellen, vielmehr behauptet er ein Recht jedes Menschen auf Existenz und stellt als Grundsatz für die Einrichtung der sozialen Ordnung die Regel auf, daß jeder nach seinen Fähigkeiten produzieren und nach seinen Bedürfnissen konsumieren soll. Es ist daraus klar, daß der Mittelpunkt des sozialistischen Systems von LOUIS BLANC nicht das Recht auf den vollen Arbeitsertrag, sondern das Recht auf Existenz ist, daß dessen Grundlage nicht ein volkswirtschaftliches Prinzip, sondern der philantropische Grundsatz der Brüderlichkeit bildet.

Um jenes Ziel zu erreichen, schlägt LOUIS BLANC eine lange Reihe von Maßregeln vor, aus welchen ich folgende hervorhebe. Es soll, wie auch die Schule FOURIERs vorgeschlagen hat, ein Ministerium des Fortschritts gebildet werden, dessen Hauptaufgabe in der allmählichen Beseitigung des Proletariats auf dem Weg der Reform besteht. Dieses Ministerium hätte die Eisenbahnen und Bergwerke, die Zettelbank, die Versicherungsanstalten in seine Verwaltung zu übernehmen und Bazars für Klein-, Entrepots [Warenhäuser - wp] für den Großhandel zu errichten, letztere mit dem Recht, aufgrund der deponierten Waren eine Art Warengeld herauszuheben. Vom Gewinn, welcher aus allen diesen Anstalten dem Staat zufließen würde, wären zunächst Kapital und Zinsen der zu diesen Operationen erforderlichen Einlösungsssummen zu berichtigen, der verbleibende Rest würde das Budget der Arbeiter bilden.

Aus dem Arbeiterbudget wären nun landwirtschaftliche und industrielle Arbeiterassoziationen zu begründen und zwar in der Weise, daß ihnen zur Anschaffung der Produktionsmittel Staatskredit gewährt wird. Doch müssen die Arbeiterassoziationen, welche auf den Staatskredit Anspruch erheben, in ihre Statuten folgende Bestimmungen aufnehmen. Aus dem Gewinn der Assoziation sind zunächst alle Auslagen der Produktion, einschließlich der Arbeitslöhne, ferner die Interessen der vom Staat vorgeschossenen Kapitalien zu bestreiten; vom Rest ist ein Viertel auf die Amortisierung der vorgeschossenen Kapitalien selbst, das zweite Viertel zur Gründung eines Unterstützungsfonds für die Arbeitsunfähigen, das dritte Viertel zur Verteilung unter den Genossenschaftern zu verwenden. Das letzte Viertel soll endlich in einen allgemeinen Reservefonds fließen, der alle Arbeiterassoziationen im Falle einer Krisis unterstützen soll.

Zwischen den Betriebsstätten der Assoziationen desselben Berufs (Ateliers sociaux) (5) Soll nämlich eine Organisation bestehen, indem alle Betriebsstätten derselben Art von einer Zentralbetriebsstätte abhängig sein sollen. Diese Organisation würde es ermöglichen, die Preise für die verschiedenen Betriebsstätten festzusetzen und dadurch die Konkurrenz zwischen den einzelnen Ateliers zu verhindern. An der Spitze sämtlicher landwirtschaftlicher und industrieller Arbeiterassoziationen würde ein oberster Rat stehen, der auch den früher erwähnten Reservefonds zu verwalten hätte.

Fragen wir nun nach dem Verhältnis, in welchem der zweite der oben genannten Vertreter des Gruppensozialismus zu LOUIS BLANC steht, so ist zunächst hervorzuheben, daß LASSALLE zur Begründung seiner Vorschläge einen großen Teil des philosophisch-nationalökonomischen Ideenkreises vorträgt, welcher seit GODWIN von den englischen, französischen und deutschen Sozialisten herausgearbeitet worden ist. Direkt schöpft allerdings LASSALLE aus PROUDHON, MARX und RODBERTUS, ohne, wie es scheint, die eigentlichen Quellen jener Theorien zu kennen. Gleich im "Offenen Antwortschreiben an das Zentralkommitee zur Berufung eines allgemeinen deutschen Arbeiterkongresses zu Leipzig" vom 1. Mai 1863, womit LASSALLE seine sozialistische Agitation eröffnete, stellte er "das eherne ökonomische Gesetz" auf, "daß der durchschnittliche Arbeitslohn nur auf den notwendigen Lebensunterhalt reduziert bleibt, der in einem Volk gewohnheitsmäßig zur Fristung der Existenz und zur Fortpflanzung erforderlich ist". Vom gesamten Arbeitsertrag werde deshalb zunächst so viel abgezogen und unter die Arbeiter verteilt, als zu ihrer Lebensfristung erforderlich ist (Arbeitslohn); der ganze Überschuß der Produktion - des Arbeitsertrages - fällt auf den Unternehmeranteil. Die Arbeiter seien deshalb auch von jeder Teilnahme an der durch die Fortschritte der Zivilisation gesteigerten Produktivität ihrer eigenen Arbeit ausgeschlossen.

Alle späteren sozialistischen Schriften LASSALLEs, namentlich das Arbeiterlesebuch und die Streitschrift gegen SCHULZE-DELITZSCH verfolgen im Wesentlichen nur den Zweck, diese wenigen Sätze historisch, philosophisch und nationalökonomisch zu erweisen und zu erläutern.

Die praktischen Vorschläge LASSALLEs schließen sich überall jenen LOUIS BLANCs an, nur fehlt ihnen die Ausarbeitung im Detail, wie sie übrigens auch bei LOUIS BLANC erst infolge seiner Stellung an der Spitze der Luxemburger Kommission eingetreten war. LASSALLE steht mit seinen Vorschlägn, die er niemals genauer präzisiert hat, ungefähr auf demjenigen Standpunkt, welchen LOUIS BLANC in den älteren Auflagen seiner Schrift über die Organisation der Arbeit und das Dekret der französischen Nationalversammlung vom 5. Juli 1848 einnimmt. In seinem "Offenem Antwortschreiben" resümiert er seine Vorschläge in folgender Weise: "Noch einmal also, die freie individuelle Assoziation der Arbeiter, aber die freie Assoziation, ermöglicht durch die stützende und fördernde Hand des Staates - das ist der einzige Weg aus der Wüste, der dem Arbeiterstand gegeben ist." In seiner Streitschrift gegen SCHULZE bezeichnet er die vorgeschlagenen Arbeitervereinigungen kurz als Produktivassoziationen der Arbeiter mit Staatskredit. Regelmäßig würde an jedem Ort für einen Berufszweig nur eine Assoziation bestehen, sämtliche Assoziationen derselben Art aber durch einen Assekuranz- und Kreditverband vereinigt sein. Zu den Vorschüssen an die Arbeiterassoziationen, welche selbstverständlich nur allmählich zu bilden wären, erachtete LASSALLE für ganz Deutschland vorläufig 100 Millionen Taler für genügend.

LASSALLE hielt seine Vorschläge nur für eine Übergangsregel, welche die Lösung der sozialen Frage vorbereiten sollte und hat dieselben nicht einmal bis in ihre nächsten Konsequenzen durchdacht. Aber selbst bis in ihre nächsten Konsequenzen durchdacht. Aber selbst die Vorschläge LOUIS BLANCs, die doch ungleich besser durchgearbeitet sind, erscheinen nicht geeignet, das von ihm angestrebte Ziel zu erreichen, d. h. die Konkurrenz zu beseitigen und der Masse der Arbeiter ein befriedigendes Dasein zu schaffen. Zwischen den Betriebsstätten desselben Produktionszweiges könnte möglicherweise durch die Verfügungen der Zentralbetriebsstätte die Konkurrenz beseitigt werden; aber dafür würde der Interessenkampf zwischen den einheitlich organisierten Produktionszweigen nur umso lebhafter entbrennen. Denn man vergesse nicht, daß nur innerhalb der einzelnen Produktivassoziationen eine sozialistische Rechtsordnung hergestellt würde; für das gesamte Gebiet der Konsumtion, ferner für das Verhältnis der einzelnen Berufszweige untereinander würde das Privatrecht mit seinen unvermeidlichen Konsequenzen: der Vertragsfreiheit und der Konkurrenz fortbestehen.

Noch weniger würde aber das arbeitslose Einkommen durch den Gruppensozialismus beseitigt werden. LASSALLE hat freilich in seinem Offenen Antwortschreiben gemeint, wenn der Arbeiterstand (durch die Produktivassoziationen) sein eigener Unternehmer würde, so müßte an die Stelle des Arbeitslohnes als Vergeltung der Arbeit der  Arbeitsertrag  treten. Allein wer sieht nicht, daß durch die Vorschläge LOUIS BLANCs und LASSALLEs an die Stelle des individuellen Eigentums nur Korporationseigentum tritt, wobei letzteres auch in unserer heutigen Rechtsordnung in ausgedehntestem Maße besteht; daß folglich das Grund- und Kapitaleigentum und die diesem gesetzlich eingeräumte Machtstellung fortbesteht und deshalb auch Grundrente und Kapitalgewinn nicht beseitigt werden können. Ja, wenn man nicht von der utopischen Voraussetzung ausgeht, daß die Arbeiterassoziationen sich ausschließlich vom Gefühl der Brüderlichkeit leiten lassen werden, so muß man im Gegenteil annehmen, daß die einheitlich organisierten Berufsgenossenschaften (namentlich jene, welche wie die Landwirtschaft unentbehrliche Lebensbedürfnisse erzeugen), kraft ihrer Machtstellung aus der Gesamtheit noch mehr arbeitsloses Einkommen erpressen würden, als heute den einzelnen Individuen auf dem offenen Markt möglich ist.
LITERATUR Anton Menger, Das Recht auf den vollen Arbeitsertrag in geschichtlicher Darstellung, Stuttgart 1891
    Anmerkungen
    1) Bis zum Kongreß von Marseille standen die Arbeiterkongresse in Bezug auf das Privateigentum auf einem konservativen Standpunkt; noch der Kongress von Lyon (1878) hatte einen Beschluß, welcher sich für die Anerkennung des Rechts auf den vollen Arbeitsertrag und für das Kollektiveigentum an den Produktionsmitteln aussprechen sollte, mit großer Majorität abgelehnt.
    2) Durchaus unrichtig ist es, wenn ENGELS SAINT-SIMON (der von seiner Schule genau unterschieden werden muß) als Utopisten bezeichnet, vgl. die Streitschrift gegen DÜHRING, Seite 219, 223, "Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft", Seite 11f. In den Schriften SAINT-SIMONs finden sich zwar, gerade so wie bei MARX und ENGELS, einzelne Vorschläge zur Reform der Gesellschaft, aber eine Utopie, d. h. eine ins einzelne gehende Darstellung des künftigen Gesellschaftszustandes, wird man bei ihm vergebens suchen. Erst der Saint-Simonismus hat in der Exposition de la doctrine Saint-Simonienne ein solches Bild der künftigen sozialen Ordnung geschaffen. Auch OWEN kann man nur sehr uneigentlich einen Utopisten nennen.
    3) So äußert sich ENGELS in seiner Streitschrift gegen DÜHRING, Seite 235 über den wahrscheinlichen Erfolg der Einführung der sozialistischen Ordnung folgendermaßen: "Die Möglichkeit, um der gesellschaftlichen Produktion alles Gesellschaftsgliedern eine Existenz zu sichern, die nicht nur materiell vollkommend ausreichend ist und von Tag zu Tag reicher wird, sondern  die ihnen auch die vollständige freie Ausbildung und Betätigung ihrer körperlichen und geistigen Anlagen garantiert,  diese Möglichkeit ist jetzt zum erstenmal da, aber sie ist da." Ich glaube, daß diese Versicherungen, welche das letzte Ziel aller menschlichen Bestrebungen schon jetzt als erreichbar hinstellen, viel utopischer sind als alle die Versprechungen von auserlesenen gastronomischen, geschlechtlichen und geistigen Genüssen, mit welchen FOURIER seine dicken Bände füllt.
    4) Man hatte CABET vorgeworfen, daß seine "Reise nach Ikarien" keine zusammenhängende wissenschaftliche Theorie des Sozialismus enthalte. Darauf gab CABET in der von ihm redigierten Monatsschrift "Le Populaire" Nr. 4 vom November 1844, Seite 3) die schöne, aber phantastische Antwort: "Was ist unsere Wissenschaft? Wir antworten: Brüderlichkeit! - was ist ihr Grundsatz? Brüderlichkeit! - Was ist ihre Doktrin? Brüderlichkeit! - Was ist ihre Theorie? Brüderlichkeit! - Was ist ihr System? Brüderlichkeit.
    5) Die Ateliers sociaux nach den Vorschlägen von LOUIS BLANC und die Ateliers nationaux, welche die provisorische Regierung nach der Februarrevolution einrichtete, sind genau zu unterscheiden, wie denn auch LOUIS BLANC gegen eine Identifikation beider stets auf das Nachdrücklichste protestiert hat. Tatsächlich ist auch der Unterschied zwischen beiden Einrichtungen groß genug. Die Ateliers sociaux sind nach der Absicht von LOUIS BLANC Genossenschaften von Arbeitern desselben Berufes, welche auf eigene Rechnung arbeiten und deshalb durch das Band einer gewissen Solidarität verbunden sind. Die Ateliers nationaux waren dagegen turbulente Vereinigungen von beschäftigungslosen Proletariern aller Berufszweige, welche militärisch organisiert waren und nur deshalb zu Erdarbeiten verwendet wurden, um den Schein des Almosens zu vermeiden.