ra-2L. Brentanovon BelowR. Liefmann    
 
HUGO EISENHART
Geschichte der
Nationalökonomik


"Während die öffentliche Meinung des Altertums alles Gewerbswesen mit einem Schimpf belegte, der von der Staatsgemeinde, vom Bürgertum ausschloß, hatte der alte Bund die Arbeit als ein Erziehungsmittel zu jeder ernsteren Tugend geheiligt: Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen! Während nach antiker Ansicht die Natur selber einen Artunterschied zwischen den Menschen gesetzt hat, der den einen Teil zum Ideal und zur Herrschaft im Genuß ethischer Muße beruft, den anderen zum beseelten Werkzeug im Dienste einer unentbehrlichen aber schimpflichen Arbeit, hat das Evangelium die Gleichheit der Menschen vor Gott verkündet, d. h. die Gleichheit ihrer sittlichen Bestimmung, die frohe Botschaft, welche den Sklaven von der Kette gelöst hat."

"Ihr Gewerbefleiß machte die Städte zu Stapelplätzen einer neuen Vermögensart, des beweglichen bürgerlichen Reichtums, des sogenannten Kapitals, d. h. aufgesammelter, mehr oder weniger fertiger und für den unmittelbaren Gebrauch bereit gehaltener fungibler Güter. Von nun an ist es nicht mehr nötig, die arbeitenden Kräfte der Gesellschaft mit Landnutzungen zu besolden; nunmehr können dieselben unmittelbar mit einer Anweisung auf das zirkulierende Kapital fertiger, zu Verkauf gestellter Gebrauchsartikel besoldet werden, öffentliche wie private. Eine solche Anweisung aber ist das Geld, das nunmehr erst in seinen ganzen Gebrauchsfähigkeit und Bedeutung hervortritt, nicht bloß als das unentbehrliche Tauschmittel einer in Handel und Wandel verflochtenen Volkswirtschaft, sondern zugleich als Repräsentant und Disponent über den gesamten gesellschaftlichen Reichtum."


Vorwort

In einer gärenden Zeit, die nicht das Glück hat, von einem allgemein anerkannten System volkswirtschaftlicher Erkenntnisse geleitet zu werden, wohl aber mit allen Kräften nach einem solchen ringt, habe ich es unternommen, durch eine geschichtliche Darstellung der schwankenden Wissenschaft eine Stütze zu gewähren. Denn die Geschichte einer Wissenschaft ist mit GOETHE zu reden die Wissenschaft selbst, in ihrem selbsteigenen Entwicklungsgang zur Wahrheit; wie Pflanzenwachstum nimmt sie ihre Bildungsstoffe aus der Beobachtung des sie umgebenden Lebens auf und ist dabei durch fortlaufende kritische Ausscheidungen bemüht, nur das Homogene, der innewohnenden Idee Entsprechende anzueignen und zur reifen Frucht der Erkenntnis und des Lebens zu bilden. Der Geschichtsschreiber aber darf sich glücklich preisen, dem es vergönnt ist, einem solchen Bildungsprozeß seiner Wissenschaft in einem Moment zu begegnen, wo die Idee, die in ihr zur Erscheinung kommen soll, durchdringt und bereits ihren Silberblick zeigt. Denn wenn die Geschichtsschreibung nach einem anderen schönen Wort wie die Kunst zur Ruhe führen soll, so darf er hoffen, nach seinem Teil an der Beruhigung des Zeitalters mitgearbeitet zu haben.

Bei einer solche Auffassung, welche nicht bloß Geschichte erzählen, sondern durch Geschichtserzählung zugleich wirksam werden möchte, kam es nicht sowohl auf ein forschendes, denn auf ein darstellendes Werk an. Nicht daß der Forschung auf einem kaum angebrochenen Gebiet bereits genug geschehen wäre, aber es mußte ihr eine dem Zweck entsprechende Grenze gesteckt werden. Denn es galt vor allem aus der Vergleichung der Zeiten und Meinungen den leitenden Faden zu finden, in dem sich die Entwicklung bewegt, das Gesetz und die Perioden derselben festzustellen und danach das Einzelne zu bestimmen und einzuordnen. Sodann aber waren, als der eigentliche Mittelpunkt einer zugleich forschenden Tätigkeit, die epochemachenden Systeme, die man bisher nur zu bereden gewohnt war, zu einer möglichst objektiven dogmatischen Darstellung zu bringen, sowohl nach ihren leitenden Grundgedanken als auch deren Erfolgen im Leben. Denn das ist die Eigentümlichkeit dieser Geschichte als einer praktischen Wissenschaft, daß sie sich nicht bloß am theoretischen Faden fortspinnt, sondern immer zugleich in lebendigster Wechselwirkung mit der Praxis des Lebens gestanden hat. Von seinen Bedürfnissen zuerst angeregt und fortlaufend getragen hat dasselbe seitdem niemals aufgehört, bildend auf dieselbe zurückzuwirken und während sie hier die Probe der Erfahrung zu bestehen hatte, hat sie immer zugleich die Motive zu einer neuen und berichtigten Auffassung aus ihm zurückgenommen. Und so gilt es denn auch wohl schließlich, wie die Wissenschaft mehr, als man sich gemeinhin bewußt ist, die gegenwärtige Gestalt des Lebens geschaffen hat, aus der Unbefriedigung desselben, sei es auch nur andeutend, die Elemente zu einem neuen und glücklichen Aufbau herzuleiten.

Im übrigen wird kein Kenner dieser bereits zur Unermeßlichkeit angeschwollenen Weltliteratur dem Verfasser seine Nachsicht versagen, wenn er sich für diesen ersten Versuch einer darstellenden Geschichte derselben an die epochemachende Schriftsteller und deren leitende Gedanken gehalten hat, die Fortpflanzung derselben aber in das Detail der Lehren und die Scheidemünze der Schüler der Zukunft glaubt überlassen zu dürfen. Auf diesem so umschränkten Gebiet aber, hofft er, wird niemand eine gesunde Gründlichkeit vermissen, insbesondere von demjenigen Mann an gerechnet, den man als den eigentlichen Vater der Wissenschaft zu verehren pflegt; und für die von ihm gewählte Methode, seine organische Anschauung dieser Geschichte als einer immanenten Vernunftentwicklung denkt er allerdings in einem epigonischen Zeitalter mechanischer Tendenzen und reiner Kausalerklärungen völlig einzustehen. Sie, diese teleologische Auffassung war ihm neben dem technisch Belehrenden die eigentlich erbauliche und im höheren Sinne fesselnde Seite der Arbeit, und er bedauert nur, ihr nicht vollkommener entsprochen zu haben. Denn diese Geschichte ist nicht in einem Zug geschrieben, sondern hat sich ihm langsam von System zu System im Laufe seines eigenen Bildungsganges aneinander gereiht; und während sich ihm die leitende Idee in ihrer größeren Bestimmtheit erst am Ziel ergab, entbehrt die historische Auffassung der voraufgegangenen Stufen vielfach der kategorischen Schärfe und gibt sich mehr unbefangen im Sinne der Autoren selbst, die immer im guten Glauben gestanden haben, die ganze Wahrheit für sich zu haben. Ist er sich deshalb auch vollkommen bewußt, daß er diese Geschichte im Grunde erst hätte schreiben sollen, nachdem sie geschrieben war, so darf er sich doch vielleicht getrösten, daß sie ums unbefangener den wirklichen Verlauf widerspiegeln wird.



Erstes Buch
Naive Periode

Kapitel 1
Moderner Entwicklungsboden der Wissenschaft

Künste und Wissenschaften sind gewohnt, die Muster ihres hohen Stiles vom klassischen Altertum zu entlehnen, und bei näherer Betrachtung wird man sich auch auf diesem Gebiet in seinen Erwartungen von der bildenden Kraft desselben nicht getäuscht finden; wohl aber sieht man sich vergebens nach der Formulierung einer besonderen nationalökonomischen Wissenschaft um. Drei Momente scheinen dem am meisten entgegengestanden zu haben. Das eine finde ich bereits im allgemeinen Charakter ihrer Wissenschaft. Die Wissenschaft der Alten bleibt bei all ihrem Glanz im Großen und Ganzen noch eine allgemeine, im Keim verschlossene, abstrakt philosophische. Sie entbehrt noch der Beobachtung der vielgestaltigen Tatsachen, um ihren Ideen Körper und den größeren stofflichen Inhalt zu geben. Darum fehlt ihr aber auch noch jede Veranlassung zu einer Teilung der Arbeiten, welche auch auf diesem Gebiet den Hebel der modernen Erfolge bildet. So gibt es für die Auffassung der gesellschaftlichen Erscheinungen nur erst eine Gesamtwissenschaft, die sogenannte Politik [politik episteme] und zwar im Sinne einer Staatsphilosophie; und selbst die mehr empirisch gehaltene aristotelisch ist von einem Philosophen geschrieben. Vergebens sucht man nach einem besonderen Naturrecht, besonderen Statistik, Nationalökonomik, Polizeiwissenschaft, Finanzwissenschaft. Alle diese besonderen Staatswissenschaften der Gegenwart liegen noch im Embryo der einen platonichen Politeia, der einen aristotelischen Politik; höchstens daß Ethik und Politik bei ARISTOTELES bereits auseinander getreten sind, während selbst diese im platonischen Dialog mit seinem Janustitel (peri politeias sive dikaiosynes) noch in der Vermischung liegen. Aber freilich dürfte es keine Staatswissenschaft geben, welche sich nicht bereits in diesem Ganzen als Keim geregt hätte; wie alles, was aus den Händen der großen Alten hervorgegangen ist, Urbild und Muster für ein wahrhaft freies wissenschaftliches oder künstlerisches Streben.

Nicht minder aber lag in der realen Beschaffenheit der antiken Volkswirtschaft selbst keine besondere Aufforderung zu ihrer wissenschaftlichen Beachtung. Es ist bereits von anderer Seite hervorgehoben worden, daß dieselbe im Grunde niemals ganz über die primitiven Formen der Grundherrlichkeit und Naturalwirtschaft hinausgekommen ist. Die herrschende Gemeinde, die regierende Klasse, der Damos (populus) bestand über all in diesen kleinen Gemeinwesen aus einer geringen Anzahl aristokratischer Geschlechter, welche das Land mit dem Speer erworben und unter sich aufgeteilt hatten: in Lakedaimon aus den spartanischen Homoien, Peers oder Gleichen, den Enkeln des HERAKLES, in Attika aus den Eupatriden, den Söhnen JONs. Diese Staatsgemeinde lebte auf dem Fuß einer Grundaristokratie vom Ertrag ihrer Landbeute, ihres Kleros oder Losteils, welches sie wie der germanische Grundherr sein Rittergut von einer unterworfenen zur Hörigkeit herabgedrückten Urbevölkerung bauen ließ, in Sparta von den Heloten, in Attika von den Theten. Jedes Gut liefert den Naturalbedarf der Familie; der in der Hauptstadt, der polis, verzehrt wird, wo die herrschende Gemeinde, mit PLATON zu reden, auf der Wacht des Staates zusammenhielt. Zinspflichtige Periöken [Anrainer - wp] im übrigen in privativer Freiheit, deckten je länger je mehr den Staatsbedarf. Jede Familie genügte sich also noch wirtschaftlich selbst, Niemand produzierte für den Absatz und auch seinen Bedarf an verarbeiteter Ware, an Gewerkserzeugnisse ließ der Familienvater, der despotes, noch innerhalb der vier eigenen Wände durch Sklavenarbeit herstellen, welche ein barbarisches Kriegsrecht lieferte. Man hatte seinen Weber und Schneider, wie seinen Waffenschmied und selbst seinen Pädagogen unter den Haussklaven. Es war also im Grunde nur eine Reihe von wirtschaftlichen Inseln vorhanden, ein Aggregat von Privatwirtschaften, die untereinander in keinem weiteren Zusammenhang wirtschaftlichen Verkehrs standen. So formulierten die Alten zwar den Begriff einer Hauswirtschaft  oiko-nomia,  mit namentlicher Unterordnung der Landwirtschaft unter dieselbe und haben darüber ein namhaftes Schrifttum entwickelt, qui graece de re rustica scripserunt [der schrieb in griechischer Sprache vom Hauswesen - wp] sagt der römische Agronom VARRO, plus quam quiquaginta sunt [es gibt mehr als fünfzig - w]; aber zu demjenigen einer Volkswirtschaft, einer nationalen oikonomia haben sie sich niemals erhoben.

In Athen, wie auch im späteren Rom ging man allerdings über diese kargen, ursprünglichen Formen aristokratischer Grundherrlichkeit und Naturalwirtschaft hinaus. Schon der bürgerlich gesinnte SOLON hob, ein anderer Stein, in dieser ganz für den Verkehr gebildeten Landschaft die Untertänigkeitsverältnisse der Hintersassen auf und erteilte den Gemeinen in Stadt und Land, Bauern und Techniten [Handwerker - wp] eine wiewohl noch graduell (nach der Schätzung) abgestufte Isopolitie, welche KLEISTHENES nachmals zu allgemeinen und gleichen Stimmrecht erweitert. Aber die attischen Philosophen erblickten darin nur den Keim des Verderbens und den Abfall von den altgriechischen Formen der Sittlichkeit und wir sehen darin den letzten und entscheidenden Grund, welcher die Entwicklung einer höheren Wirtschaftslehre in diesen Kreisen zurückhielt. Denn ihnen haftete am gesamten Betrieb des Nahrungswesens noch ein sittlicher Makel wie bei unserem Adel im Mittelalter und später. Es schickt sich nicht für den freien Mann um des Leibes Nahrung und Notdurft den Rücken zu krümmen, am wenigsten aber dieselbe auf dem Weg einer "lohndienerischen" Kunst (misthotike) im Handel und Wandel zu suchen. Die Staatsgeschäfte, die Waffen sind sein allein wohlanständiger aristokratischer Beruf, aufs höchste Künste und Wissenschaften, wiewohl selbst diese, wie ARISTOTELES anmerkt, nur mit Maß, damit sie die schöne Einheit der menschlichen Bildung nicht stören. Die gewerbliche Arbeit, erklärt selbst XENOPHON, verwüstet Leiber und Seelen, dergestalt daß ein solcher schlecht befähigt erscheint dem Vaterland zu dienen, oder seinen Freunden zu nützen. Und selbst CICERO findet noch, daß alle gewerbliche Arbeit schmutzig, sordidus, sei, denn was könne in einer Werkstatt, Fabrik Edles gefunden werden! In diesem Gedankengang war die Sklaverei eine notwendige sittliche Institution, wie ARISTOTELES ausspricht: es muß ein Teil der Bevölkerung mit der Schmach der Arbeit belastet bleiben, so lange die Weberschiffchen nicht selber weben, damit der andere in ethischer Muße dem sittlichen Ideal nachgehen und dieses überhaupt im Staat erreicht werden könne. Und zwar hat die Natur selber zu diesem Zweck die Menschen unterschieden gebildet und dem einen Teil zwar die Leiber, aber nicht zugleich die Seele der Freien verliehen, so daß die Sklaverei für den materiellen Dienst nur das ihnen Zukommende, Gerechte ist.

In diesem Sinne stehen die attischen Philosophen nicht an, selbst das Verbot der Erwerbsarbeit für die herrschende Gemeinde zu fordern, nötigenfalls Bestrafung und selbst Ausstoßung aus derselben, wie ein solches ursprünglich überall bestand und im konservativen Sparta durch die Lykurgische Verfassung zu allen Zeiten aufrechterhalten blieb. Am wenigsten aber schien ihnen der Erfolg für den Abfall ihres Staates von den altgriechischen Grundsätzen zu sprechen. Zwar entwickelte sich auf dem Boden der entfesselten Demokratie alsbald ein reiches sinnliches Leben, als dessen beredter Lobredner in der Tat der große THUKYDIDES auftritt; aber je länger je mehr gewann auch eine wilde Pöbelherrschaft die Obmacht, welche den herrlichen Staat in die Hände der Lampenmacher und Lohgerber brachte oder, wie ARISTOPHANES spöttelt, der Wurstmacher: um endlich, nachdem alles entwürdigt, ihn gleichwohl unter die Obmacht des beharrlichen Sparta zu beugen. Was Wunder, wenn seine Philosophen ihre Blicke sehnsüchtig nach dem Heraklidenstaat richteten und von ihm ihre politischen Muster entlehnten, wie wir unter ähnlichen Erfahrungen am demokratischen Frankreich vom aristokratischen England, das Nahrungswesen aber niemals zum Lieblingsgegenstand ihrer Betrachtungen machten! Mit den Gewerbetreibende sich zu beschäftigen, sagt PLATON am Ende seines Staatsideals, nachdem er sie sorgfältig von seiner Verfassung ausgeschlossen hat, verlohnt sich der Mühe: er nennt ihre verknüpfende Ordnung, also die Volkswirtschaft geradezu den Staat der Schweine! Und selbst der viel bürgerlicher gesinnte ARISTOTELES kennt doch nur  eine  naturgemäße Erwerbskunst (ktetike), die Bewirtschaftung des angestammten Bodens, die auch in den Augen der martialischen Römer allein Gnade fand, weil sie nach den Worten des alten CATO die besten Bürger und wackersten Soldaten erziehe, vorausgesetzt immer, daß sie durch Sklavenhände betrieben würde. Dagegen schilt ARISTOTELES in gleicher Weise wie PLATON als eine unnatürliche und wucherische Erwerbskunst, als chrematitistike allen professionellen, des Geldgewinns wegen betriebenen Handel und Wandel, der als eine gesellschaftliche Krankheit am wenigsten den Gegenstand einer legitimern Wissenschaft zu bilden verdiene. Soweit ist es also richtig, wenn einer neuerer Nationalökonom sein Urteil dahin zusammenfaßt, daß die alten Philosophen und ihre Schüler den Reichtum viel mehr verachten denn hervorzubringen gelehrt hätten.

Erst auf dem Boden des gesegneten Christentums waren die Bedingungen für eine freiere und vorurteilslosere Würdigung der materiellen Interessen gegeben, wie der Glaube, die sittliche Ansicht der Völker und Zeiten mehr als man gewöhnlich beachtet ihren ganzen gesellschaftlichen Zustand bedingt und erklärt. Zwar hatten auch die modernen Völker zuvor einen weiten Weg ursprünglich feindlicher Verhältnisse und sittlicher Vorurteile zurückzulegen und zu überwinden, ehe sich die Wissenschaft des Nationalreichtums in ihrem Schoß bilden konnte. Auch im ganzen Mittelalter behaupteten die Wissenschaften noch eine durchaus aprioristische spekulative Haltung und zwar im ausschließlichen Dienst der Kirche, der civitas dei [Gottesstaat - wp] und in Unterordnung unter den Buchstaben ihrer gegebenen Glaubenssätze - Scholastik. Dabei ist die sittliche Ansicht in ihrer ursprünglichen, katholischen (ultramontanen) Fassung des christlichen Lehrstoffes den wirtschaftlichen Interesse womöglich noch abgewendeter als der Geist der griechischen Philosophen. Die sittliche Aufgabe liegt nicht in der Überwindung der Welt durch Wachen und Arbeiten sondern in der Entsagung auf ihre Freuden und in der Flucht vor ihren Versuchungen. Armut, Zölibat und Einsamkeit sind die drei großen überirdischen Tugenden der Heiligen, welche den Himmel erwerben und für welche der Kleriker dem Volk das Beispiel zu geben hat. Und schließlich bewegt sich auch das reale Staats- und Gesellschaftsleben durchaus noch in den Formen der Grundherrlichkeit und Naturalwirtschaft und wird durch solche Ansichten nur umsomehr in deren Bann zurückgehalten. Wie im Altertum ist es auf Eroberung und Aufteilung des Landes unter die Gefolgschaft siegreicher Heerführer gegründet und nachmals der geistlichen Hierarchie entsprechend zu einem starren Feudalsystem der Über- und Unterordnung ausgebaut. Auch hier ist also ursprünglich nichts vorhanden als ein Aggregat von einzelnen Hofwirtschaften, landwirtschaftlichen Plantagen, deren jede den Gesamtbedarf des aristokratischen Grundherrn und seiner Hörigkeit herabgedrückten Bauern erzeugt und verbraucht, ohne untereinander zu einem größeren volkswirtschaftlichen Ganzen verflochten zu sein. Aber die germanische Welt hatte einen Ausweg aus diesen primitiven Verhältnissen und diesen bahnte gleichwohl der höhere, ebensoviel ernstere als humanere Geist des unverfälschten Evangeliums, je mehr derselbe durch den Mut reformatorischer Geister in ein reineres Verständnis gerückt wurde.

Während die öffentliche Meinung des Altertums alles Gewerbswesen mit einem Schimpf belegte, der von der Staatsgemeinde, vom Bürgertum ausschloß, hatte der alte Bund die Arbeit als ein Erziehungsmittel zu jeder ernsteren Tugend geheiligt: Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen! Während nach antiker Ansicht die Natur selber einen Artunterschied zwischen den Menschen gesetzt hat, der den einen Teil zum Ideal und zur Herrschaft im Genuß ethischer Muße beruft, den anderen zum beseelten Werkzeug (organon empsychon) im Dienste einer unentbehrlichen aber schimpflichen Arbeit, hat das Evangelium die Gleichheit der Menschen vor Gott verkündet, d. h. die Gleichheit ihrer sittlichen Bestimmung, die frohe Botschaft, welche den Sklaven von der Kette gelöst hat. Während endlich das Altertum das Wesen der Ehre und der Schmach, des Liberalen und Jlliberalen in das Äußerliche setzt, in die Gegenstände der Beschäftigung, währenddessen wird dasselbe vom Evangelium in das Innerliche der Gesinnung verlegt: den Reinen ist alles rein, während vom Unreinen auch Künste und Wissenschaften, Waffen und Staatsmänner, ja die Kirche selber zum Werkzeug seiner schnöden Lüste mißbrauch und ausgebeutet werden können. Das war also eine Emanzipation des Gewerbswesens durch die sittliche Ansicht. Nun konnte sich zum ersten Mal ein freies Gewerbe mit gleicher staatsbürgerlicher Ehre neben die aristokratische Grundherrlichkeit, neben die geistliche Hierarchie stellen, ein freier Bürgerstand, ein Stand der Gemeinen. Das ist die Bedeutung des germanischen Städtwesens. Denn Städte nach der äußeren Erscheinung hat es auch im Altertum gegeben, aber nicht in ihrer modernen spezifischen Bedeutung als die geheiligten Sitze für die Ehre der Arbeit. Und während mit ihnen die bürgerliche Hantierung aus der Knechtschaft der Frohnhöfe heraustritt, bildet sich zum ersten Mal ein freier wirtschaftlicher Gegensatz von Urproduktion und Verarbeitung, von Land- und Stadtwirtschaft, die in aller Weise zur gegenseitigen Ergänzung aufeinander angewiesen und in unauflöslicher Wechselwirkung miteinander verknüpft sind. Der bloße Aggregatzustand feudaler Hofwirtschaften und Sklavenplantagen, deren jede sich selbst genügt in Urproduktion und Verarbeitung, hört auf, die ganze Bevölkerung nimmt die Natur einer handelnden Gesellschaft, einer wirklichen Volkswirtschaft an.


Kapitel 2
Äußere Veranlassung der Wissenschaft,
die Entfaltung der Geldwirtschaft.

Kein Zweifel, daß die ersten Untersuchungen volkswirtschaftlicher Art durch das Hervortreten eines stärkeren Geldbedürfnisses angeregt wurden, wie es durch den Übergang der Gesellschaft zu einem allgemeinen Verkehrs- und Handelssystem bedingt war. Und zwar scheinen sie ihren rechten Impuls erst empfangen zu haben, seitdem auch die Staatsverwaltungen ein lebhafteres Interess am neu hervorgetretenen Verkehrswerkzeug bezeugten, um gleichzeitig aus alten und überlebten Formen herauszukommen. Das Mittelalter hatte nach der Natur seiner primitiven Wirtschaftsverhältnisse nur Grundeigentum als Zahlungsmittel für öffentliche wie privative Dienstleistungen gekannt. Der Fürst, der Beamte und Kriegsleute, die Kirche, welche ihre geistlichen Amts- und Würdenträger zu unterhalten hatte, sie alle hatten bis dahin in Ermangelung eines liquideren Zahlmittels mit dem Nießbrauch einer Domäne, mit der Überlassung eines sogenannten Lehngutes gezahlt. Man hat dies einen Ackersold genannt; aber auch die Belehnten wie jeder Privatmann, der Arbeiter zum Anbau seiner Ländereien bedurfte, Kolonen also oder Bauern, sie hatten kein anderes Zahlmittel, sie wiesen Teile ihres überflüssigen Bodens, Bauerngüter zum Gebrauch an gegen die Verpflichtung von Diensten und Naturalleistungen an den Herrenhof. Auf einer solchen primitiven Grundlage hatte sich das gesamte Gefüge des germanischen Lehnstaates aufgebaut. Mit der Entstehung des Städtewesens änderte sich dagegen diese gesellschaftliche Zahlungsverfassung und lockerte zugleich den ganzen darauf begründeten Staatsbau. Ihr Gewerbefleiß machte die Städte zu Stapelplätzen einer neuen Vermögensart, des beweglichen bürgerlichen Reichtums, des sogenannten Kapitals, d. h. aufgesammelter, mehr oder weniger fertiger und für den unmittelbaren Gebrauch bereit gehaltener fungibler Güter. Von nun an ist es nicht mehr nötig, die arbeitenden Kräfte der Gesellschaft mit Landnutzungen zu besolden; nunmehr können dieselben unmittelbar mit einer Anweisung auf das zirkulierende Kapital fertiger, zu Verkauf gestellter Gebrauchsartikel besoldet werden, öffentliche wie private. Eine solche Anweisung aber ist das Geld target="_blank", das nunmehr erst in seiner ganzen Gebrauchsfähigkeit und Bedeutung hervortritt, nicht bloß als das unentbehrliche Tauschmittel einer in Handel und Wandel verflochtenen Volkswirtschaft, sondern zugleich als Repräsentant und Disponent über den gesamten gesellschaftlichen Reichtum. Kaum haben darum die Städte auf das liquidere Zahlmittel einen neuen freien Arbeiterstand, das Gesellentum gegründet, als auch die Fürsten sich desselben bemächtigen, um darauf ein neues Verwaltungssystem, ja eine neue Staatsform zu gründen, die absolute Monarchie mit Bürokratie und stehenden Söldnerheeren.

Sie haben die dringendste Veranlassung zu diesem Umbildungsprozeß die Fürsten auf der Scheide der neuen Zeit. Je länger je mehr sind die alten Soldgüter einer unaufhaltsamen Tendenz des Grundeigentums folgend in den Händen der belehnten Dienerschaft erblich geworden und zwar samt den an dieselben geknüpften Ämtern und Staatsrechten, Gerichtsbarkeit und Polizei. Aus Staatsbeamten ist eine unabhängige und aussätzige Aristokratie erwachsen, die mehr als einen Staat zerrissen und unter sich aufgeteilt hat. Aber mit Hilfe des neuen liquideren Soldmittels konnte nunmehr ein neuer abhängigerer Kriegs- und Beamtenstand aufgestellt werden. Seine terminweise Auszahlung gestattete demselben nicht ferner, sich von einem gemeinsamen Soldherren unabhängig zu machen und selbst wider ihn zu kehren. Seit der Zeit wird dann die Kraft der Regierungen in ein blühendes Finanzwesen gesetzt. Das Geld wird gegen das zurücktretende Grund- und Domanialwesen zum sprichwörtlichen  nervus rerum gerendarum  [Haupttriebfeder - wp] (Reipublicae nervos in pecunia consistere: Bodinus de republica, Parisiis 1586). Wer hier am besten versehen war, durfte das stärkste Söldnerheer, den geordnetsten Beamtenstaat aufstellen, um mit ihrer Hilfe jeden aristokratischen Widerstand niederzuschlagen und die Souveränität, d. h. die Einheit des modernen Staates, nach einem Ausdruck des großen Kurfürsten als einen  rocher de bronce  [Sinnbild von Standhaftigkeit - wp] zu stabilisieren. Hatte man früher wie ein Privatmann aus dem Eigenen gewirtschaftet, so werden nun Steuern aus dem Allgemeinen, Geldsteuern die regelmäßige Versorgungsquelle des Staatsbedarfes. So entstand in einer gährenden neuen Bahnen suchenden Zeit der Gedanke, daß man die Quellen des neuen Herrschermittels, das Volksvermögen pflegen müsse, um aus ihnen schöpfen zu dürfen und daß man dieselben studieren müsse, um sie pflegen zu können. Das unersättliche Geldbedürfnis der Fürsten des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts gibt die nächste Veranlassung zu regelmäßigen professionellen Untersuchungen über die Natur und Ursachen des nationalen Reichtums. Die politische Ökonomik ist in ihren ersten Keimen eine sogenannte Kameralwissenschaft, Wissenschaft der fürstlichen Schatzkammer, an die sich in einem weiteren Gedankengang für die Pflege des Nationalreichtums die sogenannte Polizeiwissenschaft anschließt.

Indessen, wie es zu geschehen pflegt, daß eine längst vorbereitete Gestalt, um ins Leben zu treten, noch eines äußeren Anstoßes bedarf, so gab hier einen solchen nach allgemeiner Übereinstimmung die ungeheure Vermehrung der europäischen Zahlmittel, welche die Entdeckung Amerikas wie in einer providentiellen Fügung dem gesteigerten Bedarf entgegenbrachte. Während man den gesamten europäischen Münzschatz zur Zeit der Entdeckung nach einer bekannten Schätzung HUMBOLDTs auf 170 Millionen Piaster á 6 Mark veranschlagen zu dürfen glaubt, betrug der jährliche Zufluß nach Ausweis der spanischen Ausfuhrregister von 1492 - 1500 250.000 spanische Piaster, von 1500 - 1545 3 Millionen, von 1545 - 1614 11 Millionen, im siebzehnten Jahrhundert 16 Millionen usf., mußte deshalb jener bereits um 1600 auf 624 Millionen oder das Vierfache angeschwollen sein. Eine so enorme und plötzliche Vermehrung konnte nicht anders als eine vollständige Preisrevolution in Europa hervorrufen. Hatte man bis dahin unter dem Druck eines vollständigen Geldmangels gestanden, infolgedessen einer übermäßigen Wertsteigerung des Geldes, aber sinkender Güterpreise, so trat nunmehr umso greller die entgegengesetzte Bewegung ein. In seinem discours sur l'excessive cherté vom Jahre 1574 konstatiert derselbe BODIN, daß die Preise in Frankreich seit siebzig Jahren auf den zehn- bis zwölffachen Betrag gegen früher gestiegen seien, diejenigen der Liegenschaften aber auf den sechsfachen. Nicht so unglaublich trotz der viel geringeren Vermehrung, weil sich der ganze Geldstrom zunächst auf das westliche Europa warf und hier aufstaute, ehe er sich allgemeiner und in einem gleichen Verhältnis zu seinem Quantum von Land zu Land verteilen konnte. Ähnliche Klagen erschollen aus anderen Ländern. Bischof Latymer beklagt in seinen  sermons  1575, daß er für dasselbe kleine Landgut mit Weide für 100 Schafe und 30 Kühe, welches von seinem Vater für 3- 4 Pfund erpachtet gewesen sei, nunmehr 16 Pfund jährlich zu zahlen habe. Erst seit dem zweiten Drittel des siebzehnten Jahrhunderts bemerkt man beiläufig einen allmählichen Stillstand der Preissteigerung; nicht zwar weil die amerikanischen Zuflüsse zu ebben begonnen hätten, sie schlugen vielmehr noch ein stärkeres Tempo ein, sondern weil sich gleichzeitig der europäische Verkehr unermeßlich erweiterte und der entsprechenden größeren Zahlungsmittel bedurfte.

Das Phänomen einer so unerhörten und allgemeinen Preissteigerung wurde vom europäischen Volk mit einem dumpfen Schrecken entgegen genommen. Geht das so weiter, so LATYMER, so werden wir wirklich noch für ein Schweinchen ein Pfund zahlen müssen! Und es war nur zu natürlich bei der gänzlichen volkswirtschaftlicehn Naivität des Zeitalters, daß man dieselbe mit der Natur einer wirklichen Teuerung verwechselte: sei es, daß man ihre Erklärng in den wucherishen Manipulationen der großen Handelshäuser suchte, weshalb der Deutsche Reichstag schon 1522 jedes Kompaniegeschäft mit mehr als 50 000 Gulden verbietet, sei es wie in England in der Austreibung der Bauern und der Niederlegung ihrer Ackergründe zu Viehtriften. Es war daher in der Tat ein erster Lichtblick nationalökonomischer Einsicht, wenn JEAN BODIN in der drückenden Preissteigerung nur ein ungewöhnliches Sinken des Geldwertes sah. "Je mehr der Zufluß einer Ware steigt, erklärt er, desto mehr sinkt ihr Preis. Dies gilt auch von den edlen Metallen. Je mehr der Preis des Geldes sinkt, desto höher steigt vice versa derjenige der Waren." Eine wirkliche Teuerung, d. h. ein Mangel an den wirklichen Lebensgütern ist also gar nicht eingetreten, es wird noch ebensoviel Getreide, Fleisch, Wolle usw. erzeugt, wie bevor und mit demselben Aufwand hervorbringender Kräfte, an Arbeit und Bodennutzung: nur eine Verteuerung von alledem gegen die Geldware und einzig und allein gegen sie ist eingetreten, und zwar sie wohlfeiler erzeugt wird und uns in größeren Massen zufließt. Man hat daher auch heute wohl, wo diese Begriffe zum Gemeingut geworden sind, jener Steigerung der Güterpreise alle Bedeutung absprechen und die Aufregung des Zeitalters und seine sich daran anschließenden Bemühungen um ein Gut, von dem man bereits mehr als zuviel hatte, für einen großen Irrtum erklären wollen! Stieg der Geldpreis aller Güter in's Vierfache, so hatte zwar jedermann viermal mehr Geld für Fremdes zu zahlen, aber auch ebenso vielmehr für das Eigene einzunehmen, und deshalb zum Kauf zu verwenden. Nur der Nennwert der Güter, ihr Geldpreis war gestiegen, ihr Sachwert war derselbe geblieben.

Gleichwohl war die eingetretene Geldkrise für eine lange Übergangsperiode keine gültige Sache, nämlich bis zu demjenigen Zeitpunkt, wo sich die Steigerung der Geldpreise über alle Gebiete der volkswirtschaftlichen Produktion und alle Länder fortgepflanzt und ausgeglichen hatte. Bis dahin aber mußte die außerordentliche Vermehrung ihrer metallischen Zahlmittel die ersten glücklichen Besitzer derselben in den Stand setzen, die europäischen Märkte zu beherrschen und ihre Produkte vorweg zu kaufen: wie einem Mann, der mit der dreifachen Kaufkraft aller Übrigen auf einem lokalen Markt erscheint, drei Vierteile des Warenangebotes zufallen müssen. Die außerordentliche Vermehrung der europäischen Zahlmittel bewirkte also gleichwohl zunächst eine andere Verteilung der zirkulierenden Gütermenge und zwar zugunsten der spanischen Nation. Getragen von diesem Reichtumg erscheint dieselbe alsbald im Zeitalter CARLs V. auf der Höhe der Weltherrschaft, selbst im Besitz des römischen Kaiserthrones Deutscher Nation. Alljährlich zweimal segelt die Silberflotte von Sevilla nach der neuen Welt und schüttet die Schätze POTOFIs in den Schoß der Halbinsel aus. Die spanischen Söldner unterwerfen die Welt vom Aufgang bis zum Niedergang. Sie bedrohen selbst Holland und England und mit ihnen Schritt hält die Niederwerfung des Feudalstaates, der CORTES und die Etablierung des absoluten Regimentes in seiner strengsten Gestalt unter seinem finsteren Nachfolger. Was Wunder, wenn unter dem Eindruck dieser Tatsachen Fürsten und Völker sich vom gemeinsamen epidemischen Streben ergriffen zeigen, in den Besitz dieses einzigen Herrschaft- und Machtmittels zu gelangen. Wie schon der Entdecker des Goldlandes selber 1948 an seine Königin schrieb: "Gold ist ein wunderbares Ding! Wer dasselbe besitzt, ist Herr von Allem, was er wünscht, durch Geld kann man sogar Seelen aus dem Fegefeuer erlösen."

Die praktische Frage war von nun an nur noch, wie in Volk ohne eigene gleich ergiebige Bergwerke in seinen Besitz zu gelangen vermöchte. Zunächst wurden alle die alten Praktiken, die man bereits seit einem Jahrhundert und länger unter dem Einfluß eines wachsenden Geldbedürfnisses wie tastend ausgeübt hatte, nunmehr unter dem Einfluß so enormer Preissteigerungen in verdoppeltem Maße angestrengt. Zuerst, was am nächsten lag, um wenigstens die eigenen Barschätze zu hüten, die Geldausfuhrverboten. Schon 1453 war in Frankreich in einem berüchtigten Kabalprozeß JAQUES COEUR, der Schatzmeister des Königs und erste Kaufherr des Reiches, wegen Silber- und Kupfer ausfuhr in großen Quantitäten verurteilt. In Deutschland verfügt ein Reichsabschied von 1524, es solle gebührende Einsehung geschehen, daß kein gemünzt Gold oder Silber aus dem heiligen Reich geführt werde. In England war darauf die  poena dupli  [das Versprechen des Schuldners bei Verzug die doppelte Strafe zu zahlen- wp], in Frankreich Galeerenstrafe gesetzt. Es wird mit den Kapitalverbrechen in eine Linie gestellt. Aber das Gold liebt es, wie der römische Dichter sagt, seinen Weg mitten durch die Satelliten zu nehmen. Ein anderes Mittel war die Verschlechterung des Münzfußes. Sie beginnt sogar schon im zwölften Jahrhundert: DANTE läßt PHILIPP den Schönen deshalb in der Hölle braten. Aber ihr klassisches Zeitalter ist doch erst das sechzehnte und siebzehnte Jahrhundert. Ursprünglich wurde das Pfund sein Feinsilber überall im germanischen Europa zu 20 solidi á 12 Denare ausgebracht, und noch heute rechnet das konservative England nach Pfunden Sterling á 12 Denare. Aber bereits 1300 (28 EDUARD I.) beginnt hier die Verschlechterung in leisen Ansätzen, bis ihr allerdings bereits 1601 ELISABETH eine definitive Grenze setzt. Noch immer rechnet man nach Pfunden Sterling: aber es werden aus einem Pfund Feinsilber 62 Schillinge ausgebracht, das Pfund Sterling à 20 Schilling begreift also nur noch ein Drittel seines ursprünglichen Wertes. In Frankreich bringt bereits PHILIPP der Schöne den Livre auf ein Viertel seines ursprünglichen Gewichts herab, im sechzehnten Jahrhundert ist er auf 1/39 gesunken! Man nannte das Geldvermehrung, während der Handel schließlich die Münzen doch nicht nach ihrem Gepräge, sondern nach ihrem Feingehalt würdigt. Selbst die abenteuerlichsten Wege werden versucht. Das epidemische Goldfieber, die  auri sacra fames  [verfluchter Hunger nach Gold - wp], treibt Fürsten und Völker, transatlantische Dorados aufzusuchen und macht sie zu Seefahrern. Selbst die verständige ELISABETH verschmäht es nicht, eine solche Expedition unter WALTER RALEIGH auszurüsten. Und als die Dorados sich gleichwohl sparsamer verteilt zeigen, sucht man den Stein der Weisen im Schmelztiegel. Bereits im 14. Jahrhundert tritt die Alchemie auf, ruft aber noch päpstliche wie fürstliche Verbote hervor; aber im 16. feiert sie unter dem Schutz und der Beteiligung der goldgierigen Fürsten ihr klassisches Zeitalter und ragt bis tief in das 17. hinein. Während aber alle diese Projekte einer abenteuerlichen Phantasie scheitern, begreift man endlich, daß der Nationalreichtum ein Problem der Staatskunst sei. Mit dieser Ernüchterung wird er zum ersten Mal zu einem Gegenstand wissenschaftlicher Bemühungen.
LITERATUR Hugo Eisenhart, Geschichte der Nationalökonomik, Jena 1881