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KARL LAMPRECHT
(1856 - 1915)
Die kulturhistorische Methode
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"Das, was mein Buch Neues gebracht hat, ist nur die volle und bewußte Einführung dieses neuen Denkens in die Praxis; und das, was die an dieses Buch anschließende, von mir bewußt hervorgerufene Polemik erzielt hat, ist die erste volle und klare Aussprache der neuen Auffassung und der allgemeine Zwang über sie nachzudenken und zu ihr Stellung zu nehmen. Denn ignorieren lassen sich jetzt die erkenntnistheoretischen Fragen der Geschichtswissenschaft zumindest nicht mehr."

"So wenig wie es zwei Entwicklungen des naturgeschichtlichen Universums und darum zwei Erdgeschichten gibt, so wenig gibt es eine doppelte Menschheitsgeschichte. Folglich muß es einen, nur  einen  Maßstab geben, nach dem die Leistungen der einzelnen Völker in diesm singulären Prozeß eingeordnet werden. Der geographische Maßstab kann es nicht sein, denn die geographischen Grundlagen bilden wohl starke Verursachungen der einzelnen Völkergeschichten, nicht aber den Kern dieser selbst."

Neben dem Griff ins Große, den man mit der Aufstellung universalgeschichtlicher Zeitalter wagte, hat man aber im vorigen Jahrhundert noch einen bescheideneren Weg beschritten, anscheinend rein induktiven Charakters, um über die einfachen Tatsachen und Tatsachenreihen hinweg zu einer wissenschaftlichen Bewältigung des historischen Geschehens zu gelangen. Er liegt vor in der sogenannten Ideenlehre. Die Ideenlehre läuft darauf hinaus, Tatsachenreihen, die sich vom Standpunkt der Betrachtung des Singulären an denselben ungezwungen um irgendein hervorragendes, anschauliches Konkretum der Geschichte konzentrieren, sei dieses Konkretum nun eine Einrichtung oder eine Person, als ein Ganzes anzusehen, den diesem Ganzen gemeinsamen Gedankeninhalt als seine Idee zu bezeichnen und diese Idee als das in einem gegebenen Zusammenhang eigentlich Wirkende zu betrachten. So spricht man z. B. von einer Idee der preußischen Monarchie: es ist der in den Handlungen der preußischen Monarchen nachweisbare besondere, ihnen gemeinsam eignende Gedankeninhalt; er wird als das Agens für die Entwicklung der preußischen Monarchie betrachtet. Oder man spricht im gleichen Sinn von der Idee des Jesuitismus, die mit LOYOLA in die Welt getreten ist. Man sieht, es ist ein den mannigfachsten Verhältnissen anpaßbares Schema; je nachdem man große oder kleine Summen von Tatsachenreihen vom Gesichtspunkt des in diesen zur Erscheinung gelangenden Singulären aus unter einem als durchlaufend nachweisbaren Gedankeninhalt zusammenfaßt, kann man die Ideenlehre auf große und kleine Verhältnisse anwenden; man kann da von einer Idee des Papsttums sprechen, aber auch die Annahme einer Idee der Friderizianischen Monarchie wiederum innerhalb der Idee der preußischen Monarchie als solcher ist noch zulässig. Nur eins ist notwendig: Trägerin der Idee muß eine konkrete Erscheinung der Geschichte sein, diese Erscheinung einseitig nach dem Einzigartigen, Singulären in ihrem Wesen betrachtet. So geht es z. B. nicht an, von einer Idee des individualistischen Zeitalters des 16. Jahrhunderts zu sprechen unter der Voraussetzung, daß es auch in anderen Kulturen, etwa der antiken, analoge individualistische Zeitalter gegeben hat, vom Individualismus des 16. Jahrhundertes also eine "Idee" zu konstruieren unter dem Gesichtspunkt seiner typischen Erscheinungen; und noch weniger hat man jemals von einer Idee des Hirtenzeitalters oder auch der Geldwirtschaft oder des Lehnwesens schlechthin (nicht eines konkreten und individuelle Lehnwesens) gesprochen, weil diese Erscheinungen sich zu evident in der Geschichte der Menschheit wiederholen. Es tritt in diesem Gebrauch der erkenntnistheoretische Charakter der Idee, so wie das Wort in der historischen Ideenlehre angewandt wird, klar zutage: sie geht auf das nur einmal Dagewesene,  Singuläre  der Erscheinungen; "Hirtenzeitalter", "Geldwirtschaft", "Lehnwesen" dagegen sind  Begriffe denn sie sind Abstraktionen des  Typischen  aus wiederholt vorgekommenen historischen Erscheinungen.

Die Entstehung der Ideenlehre im einzelnen liegt noch im Dunkel. Wir können bisher nur sagen, daß sie in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts auftaucht, daß sie Fühlung zeigt mit der Identitätsphilosophie seit der Wende des Jahrhunderts, und daß sie dann die wissenschaftliche Auffassung der Geschichte bis zur Gegenwart beherrscht, obwohl sie in der letzten Zeit steigende Angriffe, so mit am frühesten von seiten LORENZs erfahren hat, und daß ihr größter Theoretiker WILHELM von HUMBOLDT, ihr größter Praktiker LEOPOLD von RANKE gewesen ist. Gerade bei RANKE tritt sie vielleicht am reinsten hervor; jedenfalls läßt sich aus seiner Praxis und seinen mehr theoretischen, wenn auch fast stets etwas unbestimmten Äußerungen ihr ursprünglicher erkenntnistheoretischer Charakter am reinsten erkennen. RANKE findet seine Ideen stets induktiv; sie ergeben sich ihm aus der Zusammenfassnung des Einzigartigen gewisser reiner Tatsachenreihen. Aber er behauptet andererseits ebenso bestimmt, daß sich ihr Auftreten wie ihr Verfall in der Geschichte nicht begreifen läßt. Sie kommen und verschwinden, kämpfen miteinander und besiegen sich nach ihren eigenen Gesetzen; sie sind der Kausalität enthoben; sie sind Emanationen des Göttlichen, Gedanken Gottes in der Geschichte; sie sind transzendent. Das ist RANKEs völlig ausgesprochene Lehre; sie ergibt sich naturgemäß aus dem singulären Charakter der Idee; denn das Einzigartige ist unableitbar.

Nun hat freilich eine spätere Generation von Historikern, die noch in die Gegenwart hineinragt, die der sogenannten Jungrankianer, die erkenntnistheoretische Lage der Ideenlehre verbessern wollen, indem sie, getrieben von einem allmählich auch in die Geisteswissenschaften eindringenden absoluten wissenschaftlichen Kausalitätsbedürfnis, gleichwohl die Ableitbarkeit der Ideen behauptete. Allein es liegt auf der Hand, daß das unmöglich ist. Denn entweder müßten in diesem Fall die Ideen auseinander ableitbar sein, was ihnen eben den Charakter des Singulären nehmen würde, oder sie müßten aus einem ideenlosen, dunklen Untergrund der Geschichte abgeleitet werden, - was die Unauflösbarkeit des gesamten geschichtlichen Geschehens in Ideen und damit die Unzulänglichkeit der Ideenlehre beweisen würde. Es liegt eben in der ganzen Entstehungsgeschichte der Ideenlehre beschlossen, daß sie die Annahme einer ausnahmslos wirkenden geschichtlichen Kausalität ausschließt; das ist, nach dem heutigen Charakter des wissenschaftlichen Denkens, ihr Kardinalfehler, und wer ihn beseitigen will, uß auf die Ideenlehre überhaupt verzichten.

Freilich kann man der Ideenlehre noch von einer anderen Seite zu Hilfe kommen. Man kann dogmatisch erklären, die singuläre Seite der Vorgänge sei in der Geschichte unter allen Umständen die wesentliche; da ihr Erfassen nur auf dem Weg der Idee erfolgen kann und die Ideen die Annahme einer historischen Kausalität ausschließen, so sei eben die gewöhnliche herkömmliche Logik, welche auf dem Kausalitätsgesetz beruth, für die Geschichte nicht anwendbar, und es müsse deshalb deren Gültigkeit bestritten und eine neue, der Geschichte in einer Singulärauffassung und damit allen Geisteswissenschaften genügende Logik erst erfunden werden. Diesen Ausweg hat neuerdings ein Philosoph in der Tat vorgeschlagen; er braucht wohl nicht erst kritisiert zu werden.

Der Fehler der Ideenlehre ist, daß sie nur zu Anschauungen führt und nicht zu Begriffen. Ein Begriff ist der Niederschlag von Urteilen, die durch einen Vergleich gewonnen wurden. Wenn ich den Begriff "braun" oder "Baum" habe, dann habe ich ihn mir durch einen Vergleich mit mehreren Vorstellungen, die  braun  oder  Bäume  sind, gebildet. Zur Begriffsbildung bedarf es also einer Mehrheit der Erscheinungen, auf die sich der Begriff bezieht. Aber gerade diese Mehrheit steht für die Ideenbildung nicht zur Verfügung; die Ideen beziehen sich ausgesprochenermaßen nur auf das Singuläre an den Erscheinungen und führen darum nur auf Anschauungen.

Nun ist aber eine Wissenschaft niemals ein Gebäude von Anschauungen, sondern immer nur von Begriffen; die Anschauung führt zur Kunst, zur Wissenschaft nur der Begriff. Darum kann die Ideenlehre der Absicht einer  wissenschaftlichen  Bewältigung der historischen Tatsachenreihen niemals genügen, sondern höchstens zu deren klareren künstlerischen Veranschaulichung beitragen.

Mit diesen Bemerkungen ist die Ideenlehre als  wissenschaftliche  Methode gerichtet. Gewiß war sie ein prächtiges Hilfsmittel für eine erstmalige Scheidung der durch die kritische Methode im einzelnen bereinigten, ungeheuer ausgedehnten und in ihrer Ausdehnung unübersichtlichen und wüsten historischen Stoffmassen, sobald man nur deren allgemeinere  künstlerische  Darstellung beabsichtigte, und sie hat in dieser Hinsicht vorzügliche Dienste geleistet und wird sie noch leisten: zu einer  wissenschaftlichen  Durchdringung des historischen Stoffes aber führt sie nicht.

Um eine solche Durchdringung durchzuführen, dazu bedarf es  gewisser Begriffe  und nicht  anschaulicher Ideen.  Wie aber ein Begriffssystem finden, das die erforderlichen Dienste leistet?

Hier setzt nun das ein, was man die neue historische Methode getauft hat, und was ich kulturhistorische Methode nennen möchte.

Wir haben im Verlauf dieser Auseinandersetzungen schon historische  Begriffe  kennengelernt: Lehnwesen, Geldwirtschaft bzw. Naturalwirtschaft, individualistisches Geistesleben, - Begriffe, die alle das gemein haben, daß sie aus analogen Kulturzuständen verschiedener menschlicher Gesellschaften als zusammenfassend, als deren Gemeinsames, Typisches enthaltend abgeleitet sind. Sind sie nun brauchbar als Begriffe, unter die als oberste leitende Normen das geschichtliche Geschehen in seiner Totalität subsumiert werden könnte? Nehmen wir die Begriffe Lehnwesen und Naturalwirtschaft, die insofern zusammengehören, als das Lehnwesen das politische Korrelat der Naturalwirtschaft ist, so ist klar, daß sie zu einer solchen Absicht nicht taugen: denn es gibt über ihnen einen Oberbegriff, dem sie beide eingeordnet sind: den der allgemeinen wirtschaftlich-sozialpolitischen Zustände im Gegensatz zur spezifisch geistigen Kultur. Allein auch dieser Oberbegriff ist noch nicht allgemein genug; wie wir soeben sahen, umfaßt er die geistigen Zustände nicht, und so läßt sich ihm dann eben der Begriff des individualistischen Geisteslebens, jenes Geisteslebens, aus dem bei uns Renaissance und Reformation entsprungen sind, nicht einordnen. Wir müssen also noch höher hinaufsteigen, um eine wirklich umfassende Begriffswelt zu erhalten, und wir gelangen dann zu einem Begriff der Kultur im Sinne des jeweils eine Zeit beherrschenden seelischen Gesamtzustandes, eines Diapasons [sämtliche Register - wp], der alle seelischen Erscheinungen der Zeit und damit alles geschichtliche Geschehen derselben durchdringt, denn alles geschichtliche Geschehen ist seelischen Charakters. Und hier finden wir dann in der Tat die Begriffe, die umfassend genug sind, um alles Geschehen eines bestimmten Zeitalters in sich zu begreifen, ihm den charakteristischen Ton zu geben. Es sind die Begriffe gewisser Kulturzeitalter als der bestimmten psychischen Diapasons einer gewissen Zeit.

Meine  Deutsche Geschichte  ist das erste historische Werk, das nach den Begriffen solcher Kulturzeitalter disponiert ist und damit die Entwicklung des deutschen Volkes nach den Forderungen der kulturhistorischen Methode darstellt. Es versteht sich aber, daß ich weit davon entfernt gewesen bin, die neue Methode auf dem Weg jener wissenschaftsgeschichtlichen und systematisch-logischen Betrachtung zu erreichen, der eben eingeschlagen worden ist. Der ursprüngliche Weg, auf dem ich die neue Methode gefunden habe, war vielmehr ein durchaus induktiver und praktischer. Schon früh während meines historischen Studiums fiel mir ein, bei eingehenderer Lektüre sämtlicher Quellen eines Zeitalters, als sie gewöhnlich getrieben wird, und zwar eines ziemlich von uns abliegenden Zeitalters, des 10. und teilweise 11. Jahrhunderts, auf, daß die seelische Gesamthaltung der Menschen, die in diesen Quellen denkend, empfindend, handelnd eingeführt werden, daß die psychische Basis, auf der sie sich bewegen, eine ganz andere ist als die unserer Tage und unseres Zeitalters. Ich versuchte nun diese Differenz zu bestimmen, und sah dabei bald ein, daß das nur möglich war, indem ich die Abwandlung dieser allgemeinen seelischen Basis bis zur Gegenwart hinab verfolgte. Bei dieser Gelegenheit ergaben sich nun eine Anzahl Zeitalter wechselnden psychischen Diapasons (die aber natürlich durch allmähliche Übergänge verbunden waren); und es war möglich, alle Empfindungen und Handlungen eines bestimmten Zeitalters als durchgängig durch diesen Diapason bestimmt nachzuweisen.

Es war aber damit nicht nur eine zum erstenmal alles geschichtliche Geschehen der deutschen Vergangenheit gleichmäßig, und zwar allein gleichmäßig umfassende Disposition gefunden; es ergab sich bald noch mehr. Die für den Verlauf der deutschen Geschichte aufgedeckten Zeitalter bestimmten Seelenlebens ließen sich auch in der Entwicklung anderer großer menschlicher Gemeinschaften nachweisen; ja es kann schon jetzt behauptet werden, daß jede menschliche Gemeinschaft, die den Kreis der Kulturentwicklung von Anbeginn durchlaufen hat und nicht etwa sofort als Abzweiger einer höheren Kultur ins Leben getreten ist, auch ihre Kulturzeitalter mittelalterlich gebundenen und neuzeitlich freieren Seelenlebens mit deren für die deutsche Entwicklung nachweisbaren Unterabteilungen durchlebt hat. Damit erschienen dann die Kulturzeitalter der deutschen Geschichte nicht mher als etwas Singuläres, das in einer Idee nur künstlerisch veranschaulicht werden konnte, sondern sie erschienen in der Mehrzahl und typisch, und daher als wohldefinierbare klare wissenschaftliche Begriffe.

Und noch mehr. Es stellte sich heraus, daß die Abfolge dieser Kulturzeitalter keine willkürliche war. Nirgends, weder in der deutschen noch in der griechischen oder römischen oder sonst einer Geschichte folgen auf die Zeitalter freieren Seelenlebens die Zeitalter der Gebundenheit, sondern immer ist es umgekehrt; und auch wenn man die beiden großen soeben charakterisierten Gruppen der Kulturzeitalter in ihre einzelnen Zeitalter unterdisponiert, zeigt sich allenthalben eine ganz bestimmte und sich gleich bleibende Ordnung. Das Prinizip dieser Ordnung aber ist das, daß sich die seelische Gesamtentwicklung von anfänglich stärkster Gleichheit aller Individuen einer menschlichen Gemeinschaft (seelischer Gebundenheit) vermöge immer gesteigerterer seelischer Tätigkeit zu immer größerer Differenzierung dieser Individuen (seelischer Freiheit) vollzieht. Im Verlaufe dieses Prozesses treten dann in bestimmter Reihenfolge eine große Anzahl bestimmter seelischer Erscheinungen nacheinander ein, durch die es möglich wird, die Kulturzeitalter begrifflich voneinander abzugrenzen und in sich zu definieren.

Sind nun unter diesen Umständen die Kulturzeitalter untereinander kausal verbunden, - geht das eine allemal kausal aus dem hervorgehenden hervor? Die Frage muß nach den allgemeinen Vorstellungen von Ursache und Wirkung alsbald bejaht werden; es lassen sich aber auch die Gründe, warum dem so ist, noch spezifizieren, da der Verlauf der ganzen Erscheinung auf zwei der einfachsten psychologischen Gesetze zurückgeführt werden kann. Zunächst kann keine Vorstellung spurlos verschwinden; sie muß nachwirken. Es kann also auch das Vorstellungsleben einer Generation niemals erlöschen; es muß vielmehr, bewußt oder unbewußt, auf die nächstfolgenden Geschlechter Einfluß haben. Zweitens aber ist alles seelische Leben Veränderung, Erwerb neuer Inhalte, im Individuum sowohl wie in einer Gesamtheit. Diese neuen Inhalte können wegen des Beharrens der alten nicht alleinherrschend werden, sondern es muß sich eine Synthese des Alten und Neuen ergeben, deren Charakter bei genügend langer Wirkung der geschilderten psychischen Vorgänge der eines neuen Kulturzeitalters ist.

Was hat sich uns also ergeben? Wir sehen jetzt: die Kulturzeitalter sind höchste Begriffe zur ausnahmslosen Subsumtion aller seelischen Entwicklungserscheinungen menschlicher Gemeinschaften, und das heißt: zur ausnahmslosen Subsumtion des historischen Geschehens überhaupt, denn ohne seelische Entwicklung innerhalb menschlicher Gemeinschaften keine Geschichte. Und wir sehen weiter: der Ablauf dieser Zeitalter entspricht der unerbittlichen Forderung jeder Wissenschaft auf rückhalt- und ausnahmslose Zulassung kausalen Denkens. Die Kulturzeitalter erfüllen damit zum erstenmal die Forderung einer wahrhaft wissenschaftlichen Gruppierung und denkhaften Durchdringung der Welt der geschichtlichen Tatsachen; die kulturhistorische Methode ist die erste wirklich wissenschaftliche Methode der Historie über die bloß kritische Bearbeitung der Einzeltatsache und der einzelnen Tatsachenreihe hinaus.

Man sieht jetzt wohl, welche Revolution die Einführung der kulturhistorischen Methode bedeutet, und zwar nicht blooß für die Geschichtswissenschaft im weitesten Sinne des Wortes, sondern, bei der vielfach beherrschenden Stellung der Geschichtswissenschaft innerhalb der Geisteswissenschaften, für die Geisteswissenschaften überhaupt. Anstelle der Ideenlehre, die nur einen  künstlerischen Betrieb  der höheren geschichtlichen Zusammenfassung gestattete, tritt jetzt eine auf Begriffen beruhende wahrhaft  wissenschaftliche Methode:  der Rahmen ist gefunden, innerhalb dessen es den geschichtlichen Stoff nur immer eingehender ein- und anzuordnen gilt, um zu weiteren wissenschaftlichen Ergebnissen vorzudringen, die den ganzen Bereich der Geisteswissenschaften beeinflussen werden.

Aber, wird man hier in Erinnerung an die anfangs gegebenen Auseinandersetzungen über Künst und Wissenschaft in der Historie ausrufen: bleibt denn die Geschichts schreibung  nicht immer eine Darstellung des Singulären, und bleibt sie damit nicht immer Kunst? Hierauf ist zu erwidern, daß dem für die Geschichts schreibung  tatsächlich immer so sein wird, genau wie für die Natur beschreibung  und noch mehr für die Natur schilderung,  - daß aber diese Künste, wie ebenfalls oben gezeigt ist, in ihrer Ausbildung abhängig sind von der Durchbildung des Materials von Begriffen, mit denen sie arbeiten. Was es unter diesen Umständen für eine Bedeutung hat, wenn der Geschichtsschreibung für ihre singulären Schilderungen Begriffe von der Macht der Begriffe der Kulturzeitalter nebst dem ganzen Heer der sich ihnen anschließenden und aus ihnen zu entwickelnden Unterbegriffe zugeführt werden, das bedarf keiner weiteren Auseinandersetzung. So wie sich die Geschichtsschreibung schon dem gewaltigen Begriff des individualistischen Kulturzeitalters nicht hat entziehen können, wie dieser bereits heute alle Darstellungen der Renaissance und Reformation durchdringt, so wenig wird sie sich der Begriffe der anderen Kulturzeitalter erwehren können: diesen gehört auch in der Kunst der Geschichtsschreibung als beherrschenden, oberste Einteilungen und Erwägungen verursachenden Mächten die Zukunft.

Die Durchbildung der Begriffe selbst wird freilich auf die Dauer nicht in der künstlerischen Hülle der Geschichtsschreibung erfolgen können. Vielmehr wird hierfür eine besondere, rein wissenschaftlich-historische Disziplin begründet werden müssen, eine Lehre von den Kulturzeitaltern, die sich zur Geschichtsschreibung verhalten wird wie die Ethnologie zur Ethnographie, die Völkerkunde zur Völkerbeschreibung: man könnte sie geradezu eine historische Ethnologie nennen wollen. In ihr wird es vor allem darauf ankommen, genaue Definitionen der einzelnen Kulturzeitalter aufgrund eines vergleichenden Studiums der historischen Völker aufzustellen und unter ihnen die wahrhaft wesentlichen, typischen Züge jedes Kulturzeitalters klarzulegen und zusammenzufassen.

Ist diese Arbeit einmal getan, dann, und erst dann, wird es auch möglich werden, jedem Volk seinen individuellen Anteil am weltgeschichtlichen Geschehen anzuweisen durch den Nachweis, was es innerhalb des Typus denn Besonderes gewirkt hat, und damit eine der wichtigsten Voraussetzungen zu schaffen für eine wahrhaft wissenschaftliche Auffassung des universalhistorischen Verlaufs.

Ich will diese Andeutungen in Richtung auf eine künftige Weltgeschichte hier jedoch nicht weiter ausführen (1); es genügt, hier betont zu haben, was bis auf heute gewonnen ist. Ist aber dieser Gewinn, der jetzt langsam, teils willig, zumeist aber widerwillig, anerkannt zu werden beginnt, von der Art, daß er nur meiner  Deutschen Geschichte  und den von mir an diese geknüpften Auseinandersetungen verdankt wird? Niemand kann mehr davon überzeugt sein, daß die Bejahung dieser Frage eine Ungeheurlichkeit sein würde, als ich. Formulierungen wie die der  Kulturzeitalter  werden nicht aus dem Boden gestampft; sie wachsen langsam heran, und ihre geistige Unterlage wird vom Denken ganzer Zeitalter gebildet. So finden sich auch Spuren der Theorie schon seit dem ersten vollen Erwachen subjektivistischen Denkens, seit etwa der Wende des 18. Jahrhunderts, und in der Praxis der Geschichtsschreibung beginnt eine Richtung auf den Gedanken der "Kulturzeitalter" auch schon seit spätestens Mitte unseres Jahrhunderts einzusetzen, wenngleich ohne das Bewußtsein seiner Tragweite.

Das, was mein Buch Neues gebracht hat, ist nur die volle und bewußte Einführung dieses neuen Denkens in die Praxis; und das, was die an dieses Buch anschließende, von mir bewußt hervorgerufene Polemik erzielt hat, ist die erste volle und klare Aussprache der neuen Auffassung und der allgemeine Zwang über sie nachzudenken und zu ihr Stellung zu nehmen. Denn ignorieren lassen sich jetzt die erkenntnistheoretischen Fragen der Geschichtswissenschaft zumindest nicht mehr.

Als vorbereitend für die kulturgeschichtliche Methode nach der praktischen Seite hin ist vor allem die Ausbildung der Theorie der Wirtschaftsstufen (Urwirtschaftsformen in Jagd, Fischerei usw., Naturalwirtschaft, Geldwirtschaft, Kreditwirtschaft) in Betracht gekommen. Die Anfänge dieser Theorie, deren Durchbildung und etwa heute noch fortdauernde Bedeutung hier im einzelnen nicht zur Erörterung steht, liegen in den vierziger Jahren. Die Wirtschaftsstufen waren schon Abstraktionen, also Begriffe, und traten insofern in einen Gegensatz zur Ideenlehre. Weiter noch führte dann auf praktisch-historischem Gebiet die Aufstellung des Begriffs eines individualistischen Geisteslebens vornehmlich durch BURCKHARDT. Zunächst auf die Zeit der Renaissance und deren geistige und gesellschaftliche Formen bezogen, wurde er doch bald allgemeiner angewandt und auch zur Erklärung tiefer Wandlungen anderer als nur der Renaissancekulturen, z. B. für die Antike, herangezogen; mit ihm war der merkbarste Wendepunkt im Verlauf der stufenweise aufeinander folgenden Kulturzeitalter überhaupt gekennzeichnet. Daß es sich auch hier um keine "Idee" handelte, sondern um etwas ganz anderes, nämlich einen Begriff, hat man dunkel insofern gefühlt, als man das Wort "Idee" wohl niemals auf den Begriff des individualistischen Zeitalters angewandt hat; charakterisiert wird der zugrundeliegende, wenn auch noch latente sachliche Unterschied zwischen Ideenlehre und Kulturzeitaltern in diesem Zeitpunkt auch durch den Gegensatz zwischen den Hauptvertretern beider Systeme in dieser Phase der Entwicklung, BURCKHARDT und RANKE.

Neben der eigentlichen historiographischen Praxis aber wurde die kulturgeschichtliche Methode auch noch durch die Entwicklung einer großen Anzahl analog und parallel verlaufender wissenschaftlicher Vorgänge gefördert: durch die Ausgestaltung der Völkerpsychologie und Soziologie sowie verwandter Wissenschaften, die, wenn auch vielfach noch unklar und anfangs teilweise von der Ideenlehre befangen, verwandten Zielen zustrebten, und nicht minder durch die biologischen Forschungen auf naturwissenschaftlichem Gebiet, insofern diese den Entwicklungs- und Involutionskanon pflanzlicher und tierischer Lebewesen aufhellten.

Theoretisch aber hat die kulturgeschichtliche Methode eine noch viel weiter zurückreichende Vorgeschichte: wir können sie hier geradezu bis in die volle Entfaltung der ersten großen Blütezeit des modernen, subjektivistischen Geisteslebens zurückverfolgen, bis in die letzten Jahre des vorigen Jahrhunderts. In Deutschland hat damals WILHELM von HUMBOLDT, zum großen Teil der geisteswissenschaftliche Theoretiker GOETHEscher Weltanschauung, neben seiner Theorie der Ideenlehre, deren Wurzeln bis in die neunziger Jahre des 18. Jahrhunderts zurückreichen, doch auch schon sporadische, mit dieser Theorie freilich gänzlich unvereinbare Ahnungen der kulturhistorischen Methode, und ihm folgen dann in Deutschland eine Anzahl weiterer freier Geister bis auf BERNHEIM hinab, wenngleich zumeist nur im Sinne eklektischer Äußerungen; in Frankreich aber entwickelt, in ihrer Vorgeschichte bis auf *CONDORCET zurückreichend, die positivistische Philosophie COMTEs seit Ende der dreißiger Jahre die kulturhistorische Methode prinzipiell schon vollständig, ohne sie freilich in die richtigen konkreten Formen zu fassen und in den Geisteswissenschaften und namentlich auf dem Gebiet der Geschichtswissenschaft in größerem Umfang praktisch anzuwenden.

Unter diesen Umständen konnte sogar die Frage auftauchen, ob die neue Methode nicht eine einfache Übertragung des COMTEschen Denkens auf die historiographische Tätigkeit ist. Diese Frage ist jedoch, wie schon BERNHEIM gesehen hat, soweit die direkte Ableitung aus COMTE in Betracht kommt, zu verneinen; und auch irgendwie bewußte indirekte Zusammenhänge mit COMTE bestehen, wie ich versichern kann, nicht. Es ist hier gegangen wie sonst oft genug: aus gleichen geistigen Voraussetzungen desselben Zeitalters sind unabhängig voneinander eng verwandte Methoden zum Verständnis der Erscheinungswelt und daraufhin ähnliche Auffassungen von deren Zusammenhängen entwickelt worden.

In diesem Augenblick taucht nun aber alsbald die Frage auf: wenn ein so enger tatsächlicher Zusammenhang des Positivismus, also eines philosophischen Systems, und der kulturgeschichtlichen Methode zu bestehen scheint, - ist dann diese Methode nicht irgendwie "metaphysisch" bedingt, irgendwie selbst von den Voraussetzungen eines philosophischen Systems abhängig, so wie die Ideenlehre mit ihrer Transzendenz der Ideen von gewisser Seite her als ein unzweifelhafter Sprößling der Identitätsphilosophie der nachkantischen Philosophien betrachtet werden muß? Hierauf ist folgendes zu antworten. Die kulturhistorische Methode ist - darüber besteht nicht der geringste Zweifel - induktiv, aus der reinen Lektüre der Quellen heraus gefunden worden; ihrer Genesis lag in keiner Weise eine bestimmte Weltanschauung zugrunde. Gewiß aber operiert sie andererseits mit einer bestimmten Voraussetzung, nämlich mit der Annahme, daß alles, was sich im Lauf der Geschichte ereignet, unter sich in einem ununterbrochenen Zusammenhang von Ursache und Wirkung steht. Sie steht also und fällt mit der Annahme einer absoluten Kausalität auch auf geistigem Gebiet. Wer diese zugibt, der muß ihr bei konsequentem Denken zufallen, wer nicht, der wird sie dauernd bekämpfen müssen. Und eben in diesem Zusammenhang finde ich ihren endlichen Sieg gewiß. Die Ideenlehre geht von der umgekehrten Voraussetzung aus, vom Gedanken göttlicher Eingriffe in die Welt des geschichtlichen Geschehens; die Ideen werden - das ist die ursprüngliche und reine Auffassung der Ideenlehre - als Emanation des Absoluten der Geschichte einverleibt, die Genies sind in diesem Sinne überirdisch befruchtet. Hat sich nun diese Konstruktion im Laufe des 19. Jahrhunderts halten lassen? Keineswegs. Auch die Jungrankianer haben sich dem Einfluß des kausalen Gedankens nicht entziehen können. Statt aber unter diesem Einfluß konsequent durchzudenken - wobei sich die kulturhistorische Methode ergeben haben würde -, sind sie bei der unlogischen Halbheit stehen geblieben, die Ideen als kausal entwickelt ansehen zu wollen, - eine Halbheit, die, wie jede Inkonsequenz, den Fluch rascher Vergänglichkeit in sich trägt. Werden sie aber, nachdem sie dem kausalen Denken einmal Zugang gestattet haben, nun zur Transzendenz der reinen Ideenlehre zurückgelangen können? Schwerlich; es wird ihnen nichts übrig bleiben, als unter der Überwindung so mancher Selbsttäuschung und unter Absolvierung manchen Übergangsstadiums den Weg der kulturhistorischen Methode einzuschlagen.

Denn daran kann kein Zweifel bestehen: eine  Wissenschaft,  die wirklich Ernst macht mit ihren Aufgaben, ist heutzutage ohne eine Durchführung des kausalen Denkens nicht mehr denkbar (2).

Und hiermit ist dann auch die Frage nach dem Abhängigkeitsverhältnis der kulturhistorischen Methode von irgendeiner Weltanschauung erledigt. Schreibt eine Weltanschauung vor, daß dür die Behandlung wissenschaftlicher Dinge der Transzendenz, und das heißt dem Wunder, Tür und Tor offen gehalten werden, oder baut sie die Wissenschaft, wie das die der alten Ideenlehre zugrundeliegende Weltanschauung tut, geradezu auf dem Wunder auf, - dann allerdings hat die kulturhistorische Methode zu dieser Weltanschauung keinerlei Beziehungen. Im übrigen aber ist sie mit jeder Weltanschauung verträglich und durch keine derselben spezifisch bedingt.

Ich wäre am Schluß meiner Ausführungen, wenn sich nicht noch ein Problem stellen würde, dessen Behandlung wenn nicht nötig, so doch wünschenswert erscheinen kann. Welches ist denn nun in der Praxis der Geschichts schreibung  (nicht der Geschichts wissenschaft)  das Verhältnis der kulturgeschichtlichen Methode und der Ideenlehre? Hebt die neue Methode den Gebrauch der Ideen auf als zusammenfassender Momente solcher Tatsachenreihen, die auf die Bedeutung des Singulären in ihnen angesehen und dementsprechend dem geschichtlichen Verlauf eingereiht werden?

Hier ist zu antworten: Keineswegs: Höchstens wäre zu wünschen, daß zur Vermeidung von Mißverständnissen anstelle des Wortes "Idee" eine andere Bezeichnung, etwa das schon oft in einem gleichen oder verwandten Sinn gebrauchte "Tendenz", trete, um Verwechslungen mit der bisherigen Ideenlehre auszuschließen und zugleich den Eindruck einer transzendenten Bedingtheit abzuwehren, der, wie wir sehen werden, nicht mehr aufrechterhalten werden kann.

Diese Antwort ergibt sich aus folgenden Erwägungen, die zugleich die Grenzen kennzeichnen, innerhalb derer die Einführung von Tendenzen noch als möglich erscheint. Die Geschichts schreibung  bleibt nach wie vor ein künstlerisches Geschäft, denn sie wirkt auf die Anschauung und beschäftigt sich gewöhnlich mit dem, was an den geschichtlichen Vorgängen als singulär erscheint. Nur daß sie, ebenfalls wie bisher, sich zur Veranschaulichung dieses Singulären des Materials der sprachlichen und wissenschaftlichen Begriffe zu bedienen hat und darum auch an die Benutzung der obersten Begriffskategorie der kulturgeschichtlichen Methode, der Kulturzeitalter, sowie aller unter ihr weiter zu entwickelnden oder entwickelten Begriffskategorien gebunden ist. Durch alle diese Begriffskategorien ist also die Geschichte des Singulären, der einzelnen Institutionen, der Einwirkungen großer Männer usw. zu umgrenzen, so daß z. B, um das vielleicht größte und jedenfalls schwierigste Beispiel zu wählen, die Geschichte des Papsttums, einer viele Kulturzeitalter durchdauernden Institution, in den verschiedenen Entwicklungsphasen als vom Charakter des jeweiligen Kulturzeitalters durchdrungen erscheint: das Papsttum des 10. und 11. Jahrhunderts durch die Askese und die cluniazensische Reform [von Cluny ausgehend - wp] als charakteristischen Ausdruck der Frömmigkeit gerade dieses Zeitalters, das Papsttum des 12. und 13. Jahrhunderts durch die Mystik und Scholastik dieser Zeit, das Papsttum des 15. und 16. Jahrhundertes durch die individualistischen Bestrebungen dieser Periode (Renaissance) usw. Die meisten Institutionen und sonstigen in einer Tendenz zusammenzufassenden Tatsachenzusammenhänge und großen persönlichen Leistungen der Geschichte jedoch gehören ja überhaupt nur einem Kulturzeitalter an und ordnen sich daher dessen Charakter noch viel einfacher unter. Ist nun die Einordnung von Vorgängen, wie sie ihrer singulären Seite nach in je einer Tendenz zusammengefaßt werden, in das betreffende Kulturzeitalter erfolgt, sind sie dem Typus dieses Zeitalters einverleibt, so ist damit zugleich ihre generelle kausale Erklärung gegeben, und es bleibt der Darstellung überlassen, wie weit sie bei einer künstlerischen Erfassung der singulären Seite zugleich noch weiter zur kausalen - freilich bei der unendlichen Bedingtheit des singulären historischen Geschehens nie restlos möglichen - Erklärung dieser Seiten fortschreiten will und kann.

Es versteht sich freilich, daß mit einer solchen Verwendung der Ideenlehre ihr alter Charakter in Wahrheit aufgelöst ist. Die Ideen sind jetzt nicht mehr die eigentlich treibenden Kräfte der Geschichte; die im Grunde treibende Kraft ist vielmehr die allgemeine seelische Arbeit der menschlichen Gemeinschaft, um die es sich handelt, und zwar sowohl der Großen wie der Kleinen, der Mächtigen wie der Schwachen in ihr; eben sie und die entsprechende Arbeit der vorhergegangenen Geschlechter bestimmen die Kultur der Zeit und damit den allgemeinen geschichtlichen Habitus. Die Ideen sind auch nicht mehr transzendente Kräfte, sondern sie sind ein einfaches logisches Hilfsmittel, ein einfaches Expediens [Hilfsmittel - wp] zur Hervorhebung derjenigen Momente an den innerhalb eines Kulturzeitalters wirkenden Kräften, welche neben den typischen als singulär bemerkenswert und dem besonderen Verlauf gerade dieses Falles eine besondere Farbe gebend erscheinen, eine künstlerische Handhabe also zur Veranschaulichung des begrifflich nicht faßbaren Singulären.

Und nun noch, um die Kette der Darlegungen zu schließen, zwei Worte über die allgemeine Bedeutung der kulturhistorischen Methode für den Fortschritt der Wissenschaften. Während die Naturwissenschaften sich im Ganzen sehr rational, im Aufstieg von der Mechanik über Physik und Chemie hin zu den biologischen Problemen entwickelt haben - zumindest ist das der Weg ihrer dauernden Errungenschaften gewesen, wenn man sich auch schon früh biologischen Spekulationen hingegeben hat -, ist den Geisteswissenschaften ein verhältnismäßig so grader Weg nicht beschieden gewesen. Der Grund hierfür liegt in der späten Entwicklung einer selbständigen wissenschaftlichen Psychologie, die beim ganzen Charakter des individualistischen Zeitalters aus Ursachen, deren Angabe hier zu weit führen würde, erst nach Ablauf dieses Zeitalters, also nach 1750, beginnen konnte. Damit werden die Versuche zu dieser grundsätzlich konstituierenden Wissenschaft der Geisteswissenschaften zu gelangen, nicht früher aufgenommen als die Bestrebungen, das historische Material der Geisteswissenschaften kritisch zu sichten und wissenschaftlich zu durchdringen. Ja, diese Bestrebungen treten zeitlich in den Vordergrund; wenigstens die Prinzipien der kritischen Sichtung wurden schon gegen die Wende des 18. Jahrhunderts so sicher festgestellt, daß die kritische Arbeit selbst mit dem 19. Jahrhundert beginnen konnte.

Im 19. Jahrhundert sind dann, nachdem die  wissenschaftliche  Durchdringung des kritisch bearbeiteten Geschichtsmaterials durch die Ideenlehre, wie sie allein dem  künstlerischen  Charakter der Geschichts schreibung  gerecht wurde, auf Abwege geraten war, Psychologie und Geschichtswissenschaft ziemlich gleichmäßig entwickelt worden: beide haben es, wenn auch noch unter Widerspruch und unter mancher Unklarheit, zur Entwicklung oberster Prinzipien einer autonomen wissenschaftlichen Methode gebracht. Und schon zeigt sich hier der Zusammenschluß ihrer Betrachtungsweise und ihrer Ergebnisse: die Kulturzeitalter lassen sich nach Reihenfolge und Charakter auf das Wirken einfacher seelischer Gesetze zurückführen, deren Entwicklung der psychologischen Wissenschaft gelungen ist. Für die praktischen Geisteswissenschaften aber ergibt sich, daß ihre Systeme auch in deren tieferer Veranlagung nur Geltung haben für die Dauer eines Kulturzeitalters, daß sie sich mit dessen Emporkommen ausgestalten und mit seinem Verblühen zugrunde gehen. Und so werden dann die praktischen Geisteswissenschaften dem Verlauf der seelischen Entwicklung selbst eingefügt und bei umfassenderer Selbstbetrachtung selber gleichsam zu geschichtlichen Disziplinen.

Bei diesem Verlauf ist klar, was die kulturgeschichtliche Methode bedeutet: Sie gibt den geschichtswissenschaftlichen Studien im weitesten Sinn und mit ihnen auch den praktischen Geisteswissenschaften, soweit diese sich als geschichtlich bedingt erkennen - und das heißt dann den Geisteswissenschaften überhaupt mit Ausnahme der nicht historisch erfaßten Psychologie - gegenüber den bisher überwiegend gepflegten  künstlerischen  Interessen ein starkes und dauerndes  wissenschaftliches, begriffliches  Ferment und damit den bisher fehlenden Pol in der Flucht der singulären Erscheinungen; und sie beginnt damit, diese Wissenschaften, soweit es sich nicht um die kritische Säuberung des einfachen Stoffens, sondern um dessen  Verständnis  handelt,  erst wirklich zu Wissenschaften machen. 


ANHANG Eine Weltgeschichte
nach neuen Grundsätzen
(3)

Eine Weltgeschichte nach neuen Prinzipien? Ist denn die bisherige Weltgeschichte im Veralten begriffen oder gar veraltet? Mit diesen Fragen wird vielleicht mancher Leser die Überschrift dieser Zeilen begrüßen.

Weltgeschichte kann zweierlei sein: entweder nichts als die bloße, wesentlich chronistische Zusammenstellung der wichtigsten Ereignisse der Menschheitsgeschichte, soweit man sie überhaupt kennt - von dieser Art Weltgeschichte wird im folgenden wenig die Rede sein -, oder aber der Versuch, in das Chaos dieser Ereignisse irgendeinen Verstand, eine gewisse Ordnung zu bringen und sie nach dieser als dem leitenden Faden, der "immanenten", menschlichen oder auch der "transzendenten", göttlichen "Vernunft" des Ganges der Ereignisse zu erzählen.

Natürlich stehen diese beiden Arten, die Weltgeschichte zu behandeln, miteinander in Wechselwirkung. Und das zeigt sich besonders bei der wichtigsten aller welthistorischen Fragen, bei der Frage nach der Erweiterung des welthistorischen Stoffes. Die Meinung, daß die Weltgeschichte in ihrem tiefsten Grund diesen oder jenen Verlauf genommen habe, kann zu dem Bestreben führen, den Stoff durch Aufsuchen noch unbenutzter Quellen und unerforschter Zusammenhänge nach bestimmten Richtungen zu erweitern. Und noch mehr kann eine Ausdehnung des Materials, wie sie sich durch einen größeren Erdhorizont, Entdeckungen, eine Vermehrung des Verkehrs und dgl. ergibt, ganz neue Anschauungen über die tieferen Zusammenhänge alles menschlich-geschichtlichen Geschehens nötig machen. Diese beiden Möglichkeiten liegen vor. Man ersieht jedoch ohne weiteres, daß die zweite die weitaus wirksamere ist: Ausdehnung des tellurischen Horizonts vor allem hat auch regelmäßig einen Wandel der weltgeschichtlicen Anschauungen zur Folge gehabt.

Aus diesen Zusammenhängen heraus läßt sich schon ermessen, was das 19. Jahrhundert mit seinem "Seid umschlungen, Millionen", mit seinem gedanklichen Kosmopolitismus im Beginn, seinem praktischen im Beschluß für die Weltgeschichte bedeutet. Wir mögen wollen oder nicht: wir sehen weiter als die Altvordern, und darum sehen wir anders.

Blicken wir rückwärts in der Geschichte der west- und mitteleuropäischen Völkerfamilie, so finden wir die erste große weltgeschichtliche Anschauung erwachsen aus den Lehren des Christentums und aus der Begrenzung des historisch-geographischen Horizonts auf die abendländische Welt, so wie diese noch von der Grundlage des römischen Imperiums aus entwickelt war. Es ist die augustinische Welthistorie; die Lehre vom weltgeschichtlichen Beruf des Christentums, alle Völker unter den weitschattenden Ästen jenes Baumes zu vereinigen, dessen Keime einst in Palästiina gepflanzt worden waren; ein erhabener Mythos, der das Ende der menschlichen Welt in einem tausendjährigen Reich und der Hinaufläuterung aller Völker zum Christengott erblickte. Diese weltgeschichtliche Anschauung hat noch bis ins 16. und 17. Jahrhundert hinein die Geister beherrscht: so lange, als ihre geographische Grundlage nicht in der Anschauung der abendländischen Völker gänzlich erschüttert war.

Freilich, ließ sie sich im Grunde aufrechterhalten, wurden ihr nicht wenigstens starke Zweifel erweckt, als man schon während der Kreuzzüge, dann aber namentlich während des Verlaufs des Entdeckungszeitalters anere Weltreligionen kennen und anerkennen lernte? Die bis dahin vermeintlich wissenschaftliche Basis schwand, als Grundlage blieb nur der Glaube an den dennoch sicheren Endsieg des Christentums. Aber auch dieser wurden in vielen und zwar teilweise führenden Köpfen des 16. bis 18. Jahrhunderts erschüttert oder wenigstens als konstituierendes Moment weltgeschichtlicher Anschauung zurückgedrängt. Neben die Religion trat die Philosophie, und diese beanspruchte auch ihre Weltgeschichte, seitdem sie sozial frei wurde mit dem neuen geistigen Zeitalter seiter der Mitte des vorigen Jahrhunderts, in dessen weiterer Entwicklung wir uns noch heute befinden. Das umso eher und dringlicher, als zur selben Zeit mit den großen Reisen etwa COOKs und den ethnographischen Interessen KANTs und der beiden FORSTER bei uns in Deutschland das Fazit des Entdeckungszeitalters gezogen zu werden begann und eine weitausgedehnte Popularisierung der Reiseliteratur der Nation einen neuen geographischen Horizont gab, dem die alte Begrenzung der Weltgeschichte auf die abendländischen Völker und deren Nachbaratmosphäre nicht mehr genügte.

Erst seit JSELIN und HERDER und noch mehr in gewissem Sinne seit der Entwicklung der Identitätsphilosophie wurde die Losung eine Weltgeschichte, welche das Ganze der bekannten Welt umfaßte, das Ganze aber zugleich als einen Entwicklungsprozeß eines einzigen, durchgehenden Geistes der Menschheit ansah. Die Folge dieser Anschauung war, daß man universalgeschichtliche Entwicklungsperioden des menschlichen Geistes konstruierte, Perioden, in denen z. B. den Griechen und Römern etwa die besondere Entwicklung der ästhetischen oder der politisch-juristischen Beanlagung zufiel, und dgl. mehr. Die großartigsten hierhergehörigen Systeme sind wohl die HERDERs und HEGELs; in sich, wenn auch aufgrund der gleichen geschilderten Basis, sehr verschieden, sind sie die Marksteine eben dieser ganzen Periode weltgeschichtlicher Anschauung.

Denn länger als bis zu einer wirklich realkosomopolitischen Kenntnis der Welt haltbar war diese Anschauung nicht. Sie geht von der mehr oder minder deutlich hervortretenden, den Anhängern selbst freilich meist unbewußten Annahme aus, daß das geschichtliche Geschehen sich synchronistisch bewegt hat. Was zur selben Zeit allenthalben geschieht, trägt im Grunde denselben Charakter: das war eine Annahme, die bei der Begrenzung der Weltgeschichte auf die abendländische Welt so ziemlich richtig gewesen war: da hatte es ein Zeitalter der Griechen, ein Zeitalter der Römer usw. gegeben, und man hatte mit einigem Recht sagen können, daß, was in einem diesem Zeitalter sich Wichtiges zutrug, im Großen und Ganzen griechischen oder römischen Charakter zeigte. Aber galt das noch nach der jetzt einsetzenden Erweiterung des Horizonts über Europa und die Mittelmeerländer hinaus auf die fünf Weltteile? Offenbar waren hier die Konsequenzen des neuen, seit ca. 1750 emportauchenden kosmopoligischen Horizonts noch nicht gezogen; erst der reale Eintritt in einen wahrhaft kosmopolitischen Verkehr hat sie leise seit etwa 1840, unwiderstehlich deutlich seit 1870 uns Deutschen zu Bewußtsein gebracht.

Damit war aber auch das Schicksal dieser philosophischen, oft überaus gedankenreichen Weltgeschichte besiegelt; hat sie unsere Auffassung auch mit tausend Ideenzusammenhängen bereichert, die ansich einen noch heute andauernden Wert besitzen, so ist sie doch als Ganzes zugrunde gegangen; seit mindestens den fünfziger Jahren bereits hat man ihrer zu spotten begonnen.

Hat man aber bisher etwas Neues an ihre Stelle gesetzt? Keineswegs. Es ergaben sich ungeheure Schwierigkeiten.

Zunächst mußte der holde Wahn aufgegeben werden, daß das historische Geschehen auf der Welt synchronistisch verläuft, etwa wie die geologischen Zeitalter, die, überall auf dieser Erdrinde von denselben großen astronomischen und atmosphärischen Einflüssen abhängig, im Tiefsten einen vollen Synchronismus aufweisen. Nahm man und nimmt man einen gemeinsamen Ursprung des Menschengeschlechts von einer geographischen Stelle aus an, so war man doch gezwungen, einzusehen, daß längst vor allen einer historischen Kenntnis zugänglichen Zeiten der Stammbaum des Urpaares sich über alle Lande verbreitet hatte, daß seine Zweige selbständig Wurzel getrieben hatten, und daß aus diesem Vorgang Entwicklungen sehr abweichender Art und sehr verschiedener Reife hervorgegangen waren, die in irgendeinen Synchronismus zu bringen eine echte Unmöglichkeit ist.

Was folgt nun aus dieser Lage? Vor allem so aufdringlich wie nur möglich die Bedeutung des geographischen Elements im allgemeinen Verlauf der Geschichte. Denn es ist klar, daß das Los der einzelnen Völker von diesem Element vor allem, von Klima und Landeskonfiguration, von Seelage und Küstenbildung und tausend anderen Momenten in weitestem Sinn geographischen Charakters abhängig war: oft genug haben diese Elemente die Wirkungen einer hohen seelischen Beanlagung eines Volkes mehr oder minder aufgehoben.

Da ist es nun sehr verwunderlich, daß dieser so einfache Tatsachenzusammenhang bisher auf dem Gebiet der Geschichtswissenschaft noch sehr wenig anerkannt oder zumindest ausgenutzt ist. Die Historie hat sich seit jetzt etwa zwei Menschenaltern von den universalgeschichtlichen Problemen mehr als billig zurückgezogen; sie lebte der europäischen Geschichte in immer eingeschränkterem Maß; sie ging - wer beklagt es jetzt nicht? - zu sehr im Detail auf, kulturgeschichtlichem wie politischem: sie hat den Blick für das große Ganze erst wieder zu gewinnen. Wo sind unter diesen Umständen die Anregungen geblieben, die RITTER für die Verbindung der historischen und der geographischen Gedankenwelt in so reichem Maße gegeben hat? In historischen Werken haben sie wenig Frucht getragen, obgleich mit Händen zu greifen ist, daß ihre Anwendung selbst auf die begrenzten Probleme der europäischen Staatengeschichte, ja sogar auf die Aufgaben der deutschen Territorialgeschichte alsbald reiche Ergebnisse zeitigen würde. Erst neuerdings wieder seit RITTER ist es versucht worden - und auch diesmal von geographischer Seite her -, den Zusammenhang wiederherzustellen: in den gedankenreichen neuesten Arbeiten RATZELs, seiner "Politischen Geographie" und seinem kleinen Buch über Deutschland, das jeder erwachsene Deutsche kennen sollte. Wir müssen hoffen, daß diese auf geographischer Fülle geschöpften Anregungen die Historie endlich mobil machen werden.

Allein ist nun eine Weltgeschichte flott gemacht, wenn sie auf eine geographische Grundlage gestellt ist? Es fehlt noch ein Weiteres. Die Weltgeschichte ist ein einzigartiger, singulärer Prozeß; so wenig wie es zwei Entwicklungen des naturgeschichtlichen Universums und darum zwei Erdgeschichten gibt, so wenig gibt es eine doppelte Menschheitsgeschichte (4). Folglich muß es einen, nur  einen  Maßstab geben, nach dem die Leistungen der einzelnen Völker in diesm singulären Prozeß eingeordnet werden. Der geographische Maßstab kann es nicht sein, denn die geographischen Grundlagen bilden wohl starke Verursachungen der einzelnen Völkergeschichten, nicht aber den Kern dieser selbst. Der Maßstab kann nur in den in jedem Völkerschicksal sich wiederholenden gemeinsamen Momenten aller Entwicklungen menschlicher Gemeinschaften gefunden werden: der Typ der Völkerwerdens muß entwickelt werden: dann kann man, indem man diesen Typ an das eigene Volksschicksal und die einzelnen Volksleistungen hält, entscheiden, was denn die Eigentümlichkeiten gerade dieser Volksleistungen waren, inwiefern sie von Bedeutung waren für den Entwicklungsprozeß aller Völker, für den Charakter der universalgeschichtlichen Entwicklung.

Die Entwicklung des Völkertyps ist nun Aufgabe der vergleichenden Völkergeschichte, deren Methode auf die Auffindung und immer umfassendere und eingehendere Definition der Kulturstufen oder Kulturzeitalter hinausläuft, in denen sich erfahrungsgemäß das Schicksal der einzelnen Völker abspielt. Die Aufgabe dieser vergleichenden Kulturgeschichte besteht also in der Entwicklung einer Lehre der typischen Kulturstufen, und in der Anwendung der Ergebnisse dieser Lehre auf das Einzelschicksal jeder Nation liegt die Möglichkeit vor, deren besondere und damit auch der weltgeschichtliche Bedeutung zu bestimmen und demgemäß ihre Einordnung in ein wirklich wissenschaftliches System der Weltgeschichte zu vollziehen.

Dies etwa wären die allgemeinsten Forderungen, die heute an eine Weltgeschichte zu stellen wären. Wie gern würde ich auch noch auf einige weitere Forderungen eingehen, namntlich auf die Lösung des Problems, das mit der Übertragung nationaler Errungenschaften von Volks zu Volk gegeben ist (Renaissancen, Rezeptionen usw.), und dessen verschiedene Seiten so überaus wichtig sind für die konkrete weltgeschichtliche Eroberung eines Volkes: was wären z. B. die Griechen gewesen ohne Asiaten und Ägypter, was wären wir ohne die Griechen und Römer, was die Japaner ohne die Chinesen usw. Allein mit der Behandlung dieser Fragen würde ich die Raumökonomie dieses Aufsatzes durchbrechen und schließlich auch nichts beitragen zur - Rezension des Buches, das ich ja hier eigentlich besprechen soll. Denn um eine Buchrezension handelt es sich.

Das zu besprechende Buch ist der erste Band einer neuen "Allgemeinen Weltgeschichte", unter der Mitarbeit von 30 Gelehrten herausgegeben von HANS F. HELMOLT (5).

Wie stellt sich die neue, glänzend ausgestattete, auch illustrierte Erscheinung nun zu unseren soeben vorgetragenen Erwägungen? Die Antwort kann in einem Satz gegeben werden. Sie verläßt die alte philosophische Weltgeschichte; sie stellt sich auf den geographischen Standpunkt; aber sie bringt noch nicht den kulturgeschichtlichen Maßstab zur Anwendung, sondern erzählt, in einem kosmopolitischen Rahmen alle Weltteile umfassend, die Völkerschicksale innerhalb der geographischen Anordnung doch noch wesentlich chronistisch. Sie ist also ein wesentlicher Fortschritt gegenüber der alten universalhistorischen Auffassung; sie bildet einen notwendigen Übergang zur zukünftigen kulturhistorischen, aber sie ist noch nicht diese selbst.

Also eine Abschlagszahlung? Gewiß. Aber wer da weiß, wie unendlich langsam und schwierig wirklich große Fortschritte in den Wissenschaften gemacht werden, der wird auch über diese Abschlagszahlung höchst erfreut sein. Das umso mehr, als soweit sich bisher nach dem ersten Band urteilen läßt, auch im einzelnen des Guten und Unbekannten oder wenigstens sonst an tausend Orten Verstreuten und schwer Auffindbaren überaus viel geboten wird. Wenn also auch noch nicht zufrieden, so doch froh begrüßen wir darum die Weltgeschichte "nach neuen Grundsätzen" und wünschen ihr zahlreiche und fleißige Leser.
LITERATUR Karl Lamprecht, Die kulturhistorische Methode, Berlin 1900
    Anmerkungen
    1) Man vgl. hierzu den Anhang weiter unten.
    2) Man vgl. hierzu F. WAGNER, Freiheit und Gesetzmäßigkeit in den menschlichen Willensakten, Tübingen 1898, insbesondere Seite 11.
    3) Die folgenden Bemerkungen wurden zuerst in der  Frankfurter Zeitung,  Nr. 265 vom 24. September 1899 gedruckt. Hinzugefügt ist die nächste Anmerkung.
    4) Muß hierzu noch besonders ausgeführt werden, daß die Tatsache eines singulären weltgeschichtlichen Prozesses natürlich nicht eine singuläre Methode der Geschichtswissenschaft zur Folge hat, - so wenig, wie die singuläre Entwicklung des naturgeschichtlichen Universums singuläre Methoden der Naturwissenschaften? Die Aufgabe der Wissenschaft ist die ökonomische, die ungeheuer verwickelte Welt der Erscheinungen dadurch unserem Denken und hiermit unserer Herrschaft zu unterwerfen, daß sie deren Zusammenhang auf vereinfachende, typisierende Kategorien bringt; die volle Wiedergabe der Erscheinungswelt bedingt ihre ganze Reproduktion und liegt außerhalb des menschlichen Denkvermögens, ja auch außerhalb der menschlichen Kunst, denn auch diese kann nur einzelne, uns besonders wichtig dünkende Erscheinungen in eben der Richtung dieser subjektiven Wichtigkeit abkürzend und symbolisierend wiedergeben.
    5) HELMOLT, "Allgemeine Weltgeschichte", Bibliographisches Institut, Leipzig 1899. Dieser erste Band gibt Allgemeines und behandelt Amerika. Weitere sieben Bände werden das Werk vollenden.