ra-2von NeumannR. Stammlervon WieserI. KornfeldR. Stolzmann    
 
EUGEN BÖHM-BAWERK
Macht oder ökonomisches Gesetz?
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"Nach der Schulformel, die die nach der modernen Theorie des Grenznutzens orientierte Lohntheorie für die Lohnhöhe bei beiderseitiger freier und vollwirksamer Konkurrenz entwickelt, sollte die Lohnhöhe bestimmt werden durch die  Grenzproduktivität der Arbeit;  das will sagen, durch den Wert des Produktes, welches der  letzte,  entbehrlichste Arbeiter der Branche seinem Unternehmer noch einbringt. Der Lohn würde nicht  mehr  ausmachen können, weil sonst der Unternehmer aus der Anstellung des  letzten  Arbeiters keinen Vorteil, sondern Verlust hätte und daher vorziehen würde, seine Arbeiterzahl um einen Kopf zu verringern."

III.

Ich glaube, das was ich zu sagen habe, am besten an der Betrachtung eines konkreten typischen Falles entwickeln zu können, der die Merkmale einer Entscheidung durch soziale Macht in besonders drastischer und sinnfälliger Weise an sich trägt: es ist der Fall der Entscheidung eines Lohnkampfes durch Streik.

Nach der Schulformel, die die nach der modernen Theorie des Grenznutzens orientierte Lohntheorie für die Lohnhöhe bei beiderseitiger freier und vollwirksamer Konkurrenz entwickelt, sollte die Lohnhöhe bestimmt werden durch die "Grenzproduktivität der Arbeit"; das will sagen, durch den Wert des Produktes, welches der "letzte", entbehrlichste Arbeiter der Branche seinem Unternehmer noch einbringt. Der Lohn würde nicht  mehr  ausmachen können, weil sonst der Unternehmer aus der Anstellung des "letzten" Arbeiters keinen Vorteil, sondern Verlust hätte und daher vorziehen würde, seine Arbeiterzahl um einen Kopf zu verringern; der Lohn würde aber unter der Voraussetzung einer vollwirksamen beiderseitigen Konkurrenz auch nicht wesentlich niedriger sein können, weil sonst auch noch die Anstellung des letzten Arbeiters mit einem merklichen Extragewinn verknüpft wäre und, solange das der Fall ist, ein Antrieb zu einer noch weiteren Ausdehnung der Unternehmungen, zur Anstellung noch weiterer Arbeiter gegeben wäre, welcher Antrieb bei vollwirksamer Konkurrenz der Unternehmung auch ausgenützt würde und nicht verfehlen könnte, die bestehende Marge zwischen dem Wert des Grenzprodukts und dem Arbeitslohn von zwei Seiten her aufzuzehren: durch eine Erhöhung des Arbeitslohnes infolge der Nachfrage nach  mehr  Arbeitern und durch eine leise Senkung des Wertes des Produktzuwachses durch ein gesteigertes Angebot der in noch größerer Menge produzierten Ware. Diese Momente würden, ganz rein und störungslos ausgeprägt, die Lohnhöhe nicht nur "einengen", sondern wegen der Nähe der eingrenzenden Schranken geradezu  bestimmen;  z. B. mit dem Betrag von 5K 50h [Kronen / Heller - wp] für den Arbeitstag fixieren.

Nun sei aber die Konkurrenz nicht auf beiden Seiten vollwirksam, sondern, wie wir zunächst annehmen wollen, auf der Seite der Unternehmer eingeengt oder ausgeschlossen; entweder dadurch, daß in einem weiten Distrikt eine einzige Unternehmung derselben Branche besteht, die daher eine Art natürlichen Monopols gegenüber den in dieser Branche Arbeit suchenden Arbeitern besitzt oder durch eine Koalition der Unternehmer derselben Branche, die sich darauf einigen, den Arbeitern keinen höheren Lohn als z. B. 4K 50h zu bezahlen. In beiden Fällen wird sicher das Hineinspielen von Macht, bzw. Übermacht der Unternehmer dazu führen können, den Arbeitslohn bei sonst völlig gleicher Sachlage  unter  5K 50h, z. B. auf 4K 50h festzustellen.

Wie paßt diese Tatsache in das Erklärungsschema der Grenzwerttheorie? - Das ist unschwer zu zeigen und ist wohl auch in der verhältnismäßig gut ausgearbeitete Theorie der Monopolpreise schon des öfteren gezeigt worden. Ich will die bekannten Momente nur sorgfältig sammeln und übersichtlich zusammenzustellen versuchen.

Es liegt der Fall eines "Einkaufsmonopols" vor. Der weiteste Spielraum, innerhalb dessen der Monopolpreis festgesetzt werden kann, liegt zwischen dem Wert der zu kaufenden Arbeit für den in Monopolstellung befindlichen Unternehmer als Obergrenze und dem Werte der unverkauften Arbeit für den Arbeiter selbst als Untergrenze. Die Obergrenze wird durch den Wert des Produktes bestimmt, das der Arbeiter erzeugt; und zwar durch den Wert des Produktes des  letzten  Arbeiters, da der Unternehmer auch am letzten von ihm angestellten Arbeiter nicht verlieren und der Lohn für gleiche Arbeit nicht ungleich ausgemessen werden kann. Nach unserer Beispielsannahme liegte diese obere Marke des möglichen Lohns bei 5K 50h.

Über die Untergrenze ist mehr zu sagen. Die äußerste Untergrenze wird durch den Vorteil bezeichnet, der dem Arbeiter verbleibt, wenn er seine Arbeit überhaupt nicht verkauft. Also zunächst durch den Gebrauchswert der Arbeit für ihn selbst, falls er seine Arbeitskraft auf eigene Rechnung ausnützt. Das mag in dünn bevölkerten Kolonialländern mit Überfluß an unbebautem Boden, wo jeder nach Belieben Farmer werden kann, eine respektable Größe sein. In dicht bevölkerten "alten" Ländern steht diese Marke dagegen äußerst tief, weil ohne Kapitalbesitz, der dem Lohnarbeiter zumeist fehlt, eine Verwertung der Arbeit in selbständiger Unternehmerstellung fast nicht möglich ist. Bei Arbeitern, die noch etwas zuzusetzen haben, mag der Vorteil des Nichtverkaufs der Arbeit mindestens noch in der Vermeidung der Anstrengung und Arbeitsplage, im Genuß der Ruhe und Muße liegen: wer überhaupt noch zu leben hat, mag kalkulieren, welches Lohnminimum ihm die Arbeitsplage aufwiegt. Für denjenigen, der nichts zuzsetzen hat, ist aber der Grenznutzen des zu erwerbenden Lohnes so überaus hoch, daß auch schon ein äußerst niedriger Lohn das Übergewicht über den Genuß der Ruhe erlangen wird. Nehmen wir, um mit konkreten Beispielsziffern operieren zu können, an, die auf den Gebrauchswert der Arbeit und den Genuß der Ruhe aufgestützte äußerste Untergrenze stehe außerordentlich niedrig, z. B. auf 1K 50h. Sie wird mutmaßlich noch erheblich tiefer liegen als das Existenzminimum, welches klar aus bekannten Gründen  auf die Dauer,  aber keineswegs im Augenblick und in jedem einzelnen Fall eine Untergrenze der möglichen Lohnhöhe bezeichnet.

Aber es können sich auch noch andere eingrenzende Zwischenmarken einschalten. Wir haben durch unsere Beispielsannahme zwar jede Konkurrenz der Unternehmer im betreffenden speziellen Produktionszweig ausgeschlossen - die, wenn sie stattgefunden hätte, den Lohn bis an die Obergrenze von 5K 50h hätte hinaufdrängen müssen - aber es bleibt noch eine Art Konkurrenz der Unternehmer aller übrigen Beschäftigungszweige. Das will sagen, es bleibt für die Arbeiter unseres Produktionszweiges die Möglichkeit, einem allzuniedrigen Lohnsatz, der ihnen in ihrem eigenen Berufszweig unter dem Druck des Unternehmermonopols angeboten würde, sich durch den Übertritt in andere Berufe zu entziehen. Freilich unter Nebenumständen, die den Vorteil dieser Auskunft empfindlich einengen. Wer aus dem Beruf, in dem er geübt und für den er ausgebildet war, in einen anderen produktiven Beruf übertritt, für den ihm diese Voraussetzungen fehlen, wird im letzteren voraussichtlich eine weniger ergiebige Arbeit leisten: die im neuen Beruf nach seiner Produktivität mögliche Obergrenze im alten Beruf, also unter 5K 50h liegen. Und zwar verschieden tief für die verschiedenen einzelnen Arbeiter, die in andere Berufe übertreten; verschieden je nach der individuellen größeren oder kleineren Anpassungsfähigkeit oder Anstelligkeit sowie nach der zufällig vorhandenen annähernden Vorbildung für einen anderen Zweig geschulter Arbeit. Am empfindlichsten wird die Differenz für jenen - wahrscheinlich ansehnlichsten - Bruchteil der Arbeiter sein, der mangels der Vorbedingungen zum Eintritt in einen anderen arbeitsteilig geschulten Beruf unter Deklassierung vom "geschulten" zum "ungeschulten" Arbeiter einen schlecht gelohnten Zweig gemeiner oder gemeinster Arbeit aufsuchen müßte. Eine noch weitere leise Verschiebung der neuen Obergrenze nach unten könnte auch noch darin ihren Grund finden, daß in den neuen Berufszweigen durch den Zutritt einer neuen, zusätzlichen Zahl von Arbeitern auch das Niveau des "letzten" Arbeiters und seiner "Grenzproduktivität" um etwas nach abwärts verrückt werden könnte.

Unter dem Einfluß aller dieser Umstände hätten wir uns nun vorzustellen, daß sich für die verschiedenen Arbeiter eine Reihe individuell gestufter Untergrenzen einschalten würde, unter die sie ihren Lohnsatz auch unter monopolistischen Druck der Unternehmer nicht hinabdrücken lassen würden. Setzen wir Beispielswerte für diese gestuften Untergrenzen ein. Nehmen wir an, das Existenzminimum - welches nach dem Gesagten allerdings nicht im Moment, sondern nur auf die Dauer als Untergrenze wirken könnte - stünde auf 3K; der in gemeinster Lohnarbeit erhältliche Lohnsatz betrüge ganz nahe daran 3K 10h; der Lohnsatz anderer, je einer immer kleineren Gruppe von Arbeitern zugänglicher Berufe betrüge in aufsteigender Reihe 3K 50h, 3K 80h, 4K, 4K 20h, 4K 50h, 4 K 80h bis 5K, wobei dieser obere Endpunkt der Reihe aber jedenfalls noch unter dem Grenzprodukt des Stammberufes, also unter 5K 50h läge.

Welche Einwirkungen oder Eingrenzungen ergeben sich aus diesem Tatbestand für die monopolistische Lohnfestsetzung innerhalb der weitesten Urzone zwischen 1K 50h und 5K 50h?

Nehmen wir vorläufig an, die in Monopolstellung befindlichen Unternehmer machen von ihrer Machtstellung im Sinne einer rücksichtslos, aber rationell egoistischen Monopolistenpolitik Gebrauch, unbeirrt durch irgendwelche Gefühle des Altruismus, unbeirrt durch irgendwelche Gefühle des Altruismus, unbeirrt durch Rücksichten auf die öffentliche Meinung, aber auch unbeeinflußt durch irgendeine Sorge, daß die Arbeiter sich durch Gegenkoalition oder Streik zur Wehr setzen könnten: die Monopolisten seien einer atomisierten wirksamen Konkurrenz der Arbeiter untereinander völlig sicher. Unter diesen Umständen wird die Lohnhöhe entschieden werden nach der schon früher in einem anderen Zusammenhang erwähnten allgemeinen Formel der klug egoistischen Monopolpolitik: an demjenigen Punkt, der bei klug egoistischer Erwägung aller Umstände die größte Gewinnsumme unter Beachtung der unvermeidlichen Tatsache verspricht, daß mit der Preishöhe die Menge der Ware, an der ein Profit erzielt werden kann, sich verschiebt. Nur daß beim Einkaufsmonopol hier alles umgekehrt steht wie beim Verkaufsmonopol. Ganz konkret dargestellt: Je  niedriger  die Unternehmermonopolisten den Lohnsatz stellen, desto weniger Arbeiter werden sie zu diesem Lohnsatz erhalten und an einer desto geringeren Zahl von Arbeitern können sie daher den vergrößerten Gewinnsatz einstreichen, der sich aus der Differenz des gedrückten niedrigeren Lohnsatzes gegenüber dem Wert des Grenzproduktes von 5K 50h ergibt - wobei sich der letztere Wert unter Umständen bei einem verringerten Umfang der Produktion durch Preissteigerung der Ware noch erhöhen könnte, wogegen freilich auch wieder Gegentendenzen der Erhöhung der Kosten bei Restringierung der Betriebsausdehnung, Erhöhung der Zentralregiequote und dergleichen sich einstellen können. Bei Höherstellung des Lohnes - der aber doch noch unter dem Grenzprodukt von 5K 50h stünde - vermindert sich der Gewinnsatz per Arbeiter, aber dafür wird wieder die Zahl der Arbeiter, an denen dieser Gewinn gemacht werden kann, schwächer oder gar nicht vermindert. Aus disen Erwägungen wäre es äußerst unwahrscheinlich, daß die Unternehmermonopolisten einen unter dem Existenzminimum von 3K befindlichen Lohnsatz, z. B. einen Satz von 1K 80h oder von 2K in ihrem wohlverstandenen Interesse finden könnten; nicht so sehr deshalb, weil dieser Lohnsatz keine Aussicht auf Dauer hätte, sondern weil derselbe auch noch unter dem Lohn der gemeinsten Arbeit stünde und daher schon im Augenblick den Verlust des größten Teils der Arbeiter an die in unserem Beispiel mit 3K 10h gelohnten Zweig ungelernter Arbeit gewärtigen ließe. Diese Gefahr verringer sich stufenweise für jedes höher gegriffene Lohnniveau und verschwindet fast völlig an jenem Punkt, für den nur ganz ausnahmsweise und für wenige Arbeiter noch die Möglichkeit bestünde, höhere Lohnsätze in anderen ihnen aus zufälligen individuellen Gründen zugänglichen Zweigen geschulter Arbeit zu erlangen. Bei einem Lohnsatz von z. B. 4K 50 würde unter der Tatsachenannahme unseres Beispiels diese Gefahr schon fast völlig geschwunden sein, und es könnte daher ein erfolgreicher Versuch der Unternehmermonopolisten gemacht werden, an diesem Punkt den Lohnsatz zu fixieren ohne Gefahr einer irgendwie wesentlichen durch Arbeitermangel aufgezwungenen Betriebseinschränkung. Im Sinne einer "genügsamen" Ausnützung der Monopolstellung dürften noch zwei weitere Erwägungen beim klug egoistischen Monopolisten ins Gewicht fallen. Erstens, daß ein tief unter dem Lohnsatz anderer geschulter Produktionszweige stehender Lohnsatz zwar nicht so sehr im Moment, aber doch auf die Dauer mit Arbeitermangel bedroht, indem dann zwar die im Beruf bereits eingewöhnten Arbeiter sich durch die Übergangsschwierigkeiten vom Berufswechsel abhalten ließen, aber der Nachwuchs ausbliebe; zweitens, daß ein allzu großer Gewinnsatz per Kopf des Arbeiters eine allzu starke Belastungsprobe der Unternehmerkoalition bilden und teils den Bruch der Koalition durch ausdehnungslustige Genossen, teils die Gründung neuer, außerhalb der Koalition stehender Unternehmungen und damit das Auftauchen einer die Warenpreise nach abwärts und die Lohnsätze nach aufwärts treibenden Konkurrenz hervorrufen könnte - wie denn überhaupt die Furcht vor Outsiderkonkurrenz vielleicht noch das wirksamste Sicherheitsventil gegen allzu skrupellose und die Allgemeinheit bedrückende Ausnutzung der Monopolstellungen bildet.

Ich brauche kaum nochmals zu betonen, daß, falls unter diesen Umständen der Lohnsatz durch die "Macht" der Unternehmermonopolisten auf 4K 50h statt auf 5K 50h festgestellt wird, es von Anfang bis zu Ende die in der Preisformel der Grenzwerttheorie entwickelten Momente sind, deren Erwägung und Berücksichtigung durch die Marktparteien den Preis, indem sie nach unten und oben "eingrenzen", jenem Satz zuführt. Wenn dabei vielleicht nicht, wie bei durchsichtiger beiderseitiger Massenkonkurrenz, ein ganz bestimmter Preissatz, sondern nur eine breitere Preiszone bezeichnet wird, indem z. B. die Entscheidung der Monopolisten ebensogut auf 4 K 20h oder 4K 80h als auf 4K 50h fallen könnte, so erklärt sich das daraus, daß eine Reihe der für den Monopolistenkalkül maßgebenden tatsächlichen Momente den Monopolisten eben nicht genau bekannt sind, sondern nur schätzungsweise veranschlagt werden können, wie z. B. die Zahl der bei einer bestimmten Lohnhöhe abfallenden Arbeiter, der Grad der Wahrscheinlichkeit des Auftauchens einer Outsider-Konkurrenz und dergleichen. Das Bestreben der Monopolisten würde sicher dahin gehen, den Optimum punkt  der Lohnhöhe herauszugreifen, aber wegen der Unsicherheit vieler Prämissen für die Berechnung dieses Optimumpunktes ergibt sich ein mehr oder weniger breiter Spielraum für die schätzungsweise Bestimmung seiner Lage - so wie ja auch bei Konkurrenzpreisen, falls die Preisverhandlungen auf dem Markt mit verdeckten Karten geführt werden, von weniger kundigen und geschickten Marktparteien Irrtümer in der Beurteilung der undurchsichtigen Marktlage begangen werden und die vorkommenden Preisabschlüsse sich über eine ganze Zone um den idealen "Marktpreis" herum zerstreuen können.

Wenden wir uns jetzt der anderen, zugleich interessanteren und schwierigeren Komplikation zu: dem "Machteinfluß", der aus der Arbeiterkoalition und dem Gebrauch ihres Machtmittels  Streik  entspringt.

Behalten wir alle bisherigen Beispielsannahmen samt den dafür eingesetzten Beispielswerden bei: also einen Wert des Produktes des "letzten" Arbeiters von 5K 50h, Eigenwert der unverkauften Arbeit für den Arbeiter selbst 1K 50h, Existenzminimum 3K usw. und führen wir als neue Annahme nur ein, daß die Arbeiter des in Frage kommenden Beschäftigungszweiges sich nicht atomisierte Konkurrenz machen, sondern koaliert sind und ihrer gemeinsamen Lohnforderung auch durch Streik Nachdruck zu geben imstande und gewillt sind. Es besteht nun für mich gar kein Zweifel, daß dieses Einspielen der "Macht" auf Seiten der Arbeiter den Arbeitspreis wesentlich zu beeinflussen, ihn nicht nur über den bei einseitigem Monopol der Unternehmer in Frage kommenden Lohnsatz von 4K 50h, sondern auch über den bei beiderseitiger Konkurrenz zu erwartenden Lohnsatz von 5K 50h emporheben konnte. Letzteres ist besonders auffallend und bemerkenswert: denn der Wert des Grenzproduktes der Arbeit - also eben diese 5K 50h - galten uns bisher als die Obergrenze der überhaupt ökonomisch möglichen Preisbildung und es sieht daher zunächst so aus, als ob in diesem Falle die "Macht" etwas  gegen  die in der Preisformel der Grenzwerttheorie entwickelten Bestimmgründe vermöchte, daß sie die ökonomische Preisformel nicht erfüllt, sondern stört.

Hier spielt nun der Unterschied von Grenznutzen und Gesamtnutzen, bzw. die Tatsache erklärend ein, daß der (subjektive) Wert einer geschlossenen Gesamtheit von Gütern größer ist als der Grenznutzen der Gutseinheit, multipliziert mit der Zahl der in der Gesamtheit enthaltenen Gutseinheiten. Der grundlegenden Gedanke für die Bewertung eines Gutes oder eines Güterkomplexes ist immer, wieviel an Nutzen von der Verfügung über das zu bewertenden Objekt abhängt. Im bisher betrachteten Fall der atomisierten Konkurrenz der Arbeiter was das Objekt, um dessen Bewertung es sich dem Unternehmer handelte, immer die Arbeit eines einzelnen Arbeiters. Wenn der Unternehmer z. B. einen Arbeiterstand von 100 Arbeitern hatte, so handelte es sich bei der Lohnverhandlung mit jedem einzelnen der hundert Arbeiter darum, wieviel an Nutzen der Unternehmer durch die Anstellung dieses  einen  Arbeiters hinzugewinen, wieviel er durch die Nichtanstellung dieses einen, "letzten" Arbeiters verlieren würde; und da kamen wir mit vollem Recht auf den Grenznutzen der Arbeitseinheit, auf den Produktzuwachs, den die Arbeit des letzten von 100 Arbeitern dem Gesamtprodukt der Unternehmung noch hinzufügt; und das war die Größe 5K 50h.

Anders aber jetzt. Bei Streiks oder Streikdrohung der geschlossenen vorgehenden sämtlichen 100 Arbeiter handelt es sich für den Unternehmer nicht darum, ob er mit 100 oder mit 99 Arbeitern den Betrieb führen soll - was für ihn auf die Produktdifferenz von 5K 50h hinausliefe -, sondern darum, ob er den Betrieb mit 100 Arbeitern oder aber gar nicht führen kann. Und davon hängt nicht 100 x 5K 50h, sondern jedenfalls mehr ab.

Mehr von allem schon deshalb, weil die Arbeit ein sogenanntes komplementäres Gut ist; ein Gut, das man selbst nicht nutzen kann, ohne über die zugehörigen anderen komplementären Güter - die zu bearbeitenden Roh- und Hilfsstoffe, die zugehörigen Werkzeuge, Maschinen und dergleichen - zu verfügen und ohne das  vice versa  [umgekehrt - wp] auch diese anderen komplementären Güter nicht genutzt werden können. Wenn nur ein Kopf von hundert Köpfen aus der kompletten Betriebsorganisation wegfällt, so wird die Ausnutzung der komplementären Faktoren in der Regel nur wenig gestört werden: man wird eine einzige und zwar die entbehrlichste Arbeitsfunktion ausfallen lassen oder aber auch sie durch eine leichte Änderung in der Arbeitsteilung so gut als möglich zu ersetzen suchen, so daß mit  einem  Kopf in der Tat nicht mehr als das Grenzprodukt eines Arbeitstages, unsere oft erwähnten 5K 50h, ausfallen. Bei einem Ausfall von zehn Köpfen wird die Störung schon empfindlicher sein. Man wird immer noch höchst wahrscheinlicherweise durch eine geänderte Disposition über die verbleibenden neunzig Arbeiter dafür sorgen können, daß jedenfalls die für den Weitergang des Ganzen wichtigsten Funktionen nicht ins Stocken geraten, daß also der Ausfall wieder auf die verhältnismäßig mindest empfindliche Stelle gewälzt wird: aber diese wird bei einem steigenden Ausfall am komplementären Gut Arbeit sukzessive empfindlicher werden. Wenn der Ausfall wieder auf die verhältnismäß mindest empfindliche Stelle gewältz wird: aber diese wird bei einem steigenden Ausfall am komplementären Gut Arbeit sukzessive empfindlicher werden. Wenn der Ausfall des ersten aus hundert Arbeitern nur mit einer Produktminderung von 5K 50h verbunden war, wird der Ausfall des zweiten vielleicht zu einer Produktminderung von 5K 55h, der des dritten zu einem Produktausfall von 5K 60h, der des zehnten vielleicht schon zu einem Ausfall von 6K führen. Und wenn - was im Falle des Streiks ohne Ersatzmöglichkei durch Streikbrecher zutrifft - alle hundert Köpfe wegfallen, geht nicht nur das spezifische Arbeitsprodukt dieser hundert Köpfe, sondern auch das Produkt der jetzt nicht mehr ausnützbaren komplementären Produktivgüter, der jetzt stillstehenen Maschinen, der totliegenden und vielleicht sogar verderbenden Rohstoffvorräte und dgl. verloren. Der Ausfall an Produktwert steigt unverhältnismäßig und weit über das hundertfache des Grenzproduktes des "letzten" Arbeiters.

Wiederum mit starken Unterschieden je nach der konkreten Beschaffenheit des Falles. Wenn die stillstehende Werkseinrichtung und das der Bearbeitung vergeblich harrende umlaufende Kapital durch den Stillstand keinerlei sonstigen Schaden erleidet, besteht die Vergrößerung des Schadens lediglich in einem zeitlichen Aufschub der Erlangung des spezifischen Produktes der momentan mangels der komplementären Arbeit nicht ausnützbaren Kapitalgüter. Ihr Produkt wird ungeschmälert erlangt werden, aber erst in einem späteren Zeitpunkt nach Vorübergang der Betriebsstörung. Dieser Schaden beziffert sich im Minimum mit dem Zinssatz vom tot liegenden Kapital für die Zeit seines Totliegens. Er kann sich auf mehr belaufen, wenn der Zeitaufschub auch noch Nebennachteile wie z. B. die Versäumung einer günstigen Konjunktur nach sich zieht, wodurch die Vorräte sich zwar nicht physisch, aber geschäftlich entwerten und dgl.

Der Schaden wächst aber noch weiter, wenn nach der spezifischen Beschaffenheit der brachgelegten Kapitalgüter nicht bloß eine zeitlicher Aufschub, sondern ein definitiver Ausfall an dem von ihnen zu erwartenden Produktionsnutzen eintritt. Wie z. B., wenn die nicht bearbeiteten Rohstoffe dem Verderb unterliegen - faulende Rübenvorräte einer stillstehenden Zuckerfabrik, verderbende Feldfrüchte, die wegen eines Streiks der Erntearbeiter nicht eingebracht werden können - oder unausgenützte lebendige Kraft definitiv verloren geht - die lebendige Kraft des Pferdematerials eines Fuhrwerksbesitzers, die Wasserkräfte eines stillstehenden Elektrizitätswerkes - oder wenn der erzwungene völlige Stillstand auch die Erhaltung des stehenden Kapitals bedroht - Bergwerke, deren Wetter- und Wasserführung nicht stillstehen darf, wenn nicht die ganze Werksanlage gefährdet werden soll.

Machen wir uns vor allem klar, daß, wenn auch die Lohnverhandlungen formell um die Lohnhöhe  per Kopf,  für  je einen Arbeiter,  geführt werden, es sich materiell für den Unternehmer immer um die Erlangung oder Nichterlangung der gesamten Arbeitermasse aller hundert Arbeiter handelt. Er bekommt, je nachdem die Verhandlungen zur Einigung oder zum Bruch führen, entweder alle hundert Arbeiter oder keinen. Er wird darum korrekterweise seiner Erwägung, wie viel Lohn er äußerstenfalls bewilligen kann, den Wert, den die Gesamtheit aller hundert Arbeiter für ihn hat, zugrunde legen; die Kopfquote ergibt sich erst sekundär durch Division des Gesamtwertes durch die Arbeiterzahl; sie ist für ihn überhaupt nur eine rechnerische und keine Wertgröße; sie hat für ihn  nicht  die Bedeutung, den Wert der Arbeitseinheit zu repräsentieren.

Wie hoch ist nun jener Gesamtwert? Das lehrt uns die Theorie der Zurechnung. Der Wert jener Arbeitsmasse leitet ich ab vom Wert jener Produktmenge, deren Entstehung, bzw. Erlangung der Verfügung über jene Arbeitsmasse zuzurechnen ist; und diese wieder ist identisch mit jener Produktmenge, deren Erlangung von der Verfügung über die Arbeitsmasse  abhängt,  um die der Unternehmer  mit  der Arbeitsmasse mehr,  ohne  sie weniger erhält. Hier kommt nun ein bemerkenswerter Zug der Zurechnungstheorie zur Geltung, über den ich unlängst an einem anderen Ort gegenüber abweichenden Meinungen eines ausführliche Auseinandersetzung gegeben hatte (20): wenn nämlich durch den Wegfall der zu bewertenden Arbeitsquantität nicht nur der eigene Nutzen anderer komplementärer Güter ausfiele, so ist auch dieser letztere, fremde Nutzen der Arbeit zuzurechnen, unbeschadet dessen, daß er je nach der Lage der Sache auch dem betreffenden komplementären Gut selbst, ohne das er ebenfalls nicht zu erlangen wäre, zugerechnet werden kann.

Die zu diesem Ergebnis führenden Gedankenstationen, die ich hier nur kurz und ohne genauere Begründung rekapitulieren will, sind die folgenden: Grundsätzlich leitet sich der Gesamtwert einer vollständigen komplementären Gütergruppe von der Größe des (Grenz-)Nutzerfolges ab, den sie in ihrer Vereinigung zu stiften imstande ist; also im Falle komplementärer Produktivgüter vom Wert ihres gemeinsamen Produktes. (21) Die Zuteilung dieses Gesamtwertes an die einzelnen Glieder der komplementären Gruppe geht nach der kasuistischen Verschiedenheit des Tatbestandes verschiedene Wege. Läßt keines der Glieder eine andere als die gemeinsame Benutzung zu und ist zugleich keines in seiner Mitwirkung zum gemeinsamen Nutzen ersetzlich, dann hat schon ein einzelnes Glied den vollen Gesamtwert der Gruppe, während die übrigen Glieder wertlos sind. Und zwar ist jedes der komplementären Glieder zu jeder der beiden Bewertungen gleichmäßig befähigt, und es entscheidet lediglich die Situation darüber, welches von ihnen als zur Komplettierung der Gruppe benötigtes Schlußstück "alles" und welches als unbrauchbarer isolierter Splitter "nichts" gilt (22). In unserem Fall des drohenden Streiks sämtlicher hundert Arbeiter ist nun der Unternehmer durch den vollständigen Wegfall des komplementären Gutes Arbeit mit dem Ausfall des gemeinsamen Gesamtnutzens der aus Arbeit und Kapital bestehenden komplementären Gruppe - in der oben besprochenen Ausdehnung - bedroht, und darum muß er in dieser Situation der Arbeit auch jenen  ganzen  gemeinsamen Nutzen, einschließlich desjenigen Teils, der in anderer Situation den komplementären Kapitalgütern zuzurechnen käme, zurechnen und ihn seiner subjektiven Bewertung der Arbeit zugrunde zu legen. (23)

Infolge davon rückt die Obergrenze für die äußersten Falles zu bewilligende Lohnhöhe nach aufwärts. Sie erhöht sich für all hundert Arbeiter zusammengenommen über das Hundertfache des Einzelwertes je eines Arbeitstages, also über 100 x 5K 50h, hinaus mindestens um den Zins des totliegenden Kapitals und eventuell noch weiter um den definitiven Entgang an Nutzen der verderbenden oder sich entwertenden komplementären Kapitalgüter; also beispielsweise in jenem Fall, in welchem bloßer Zeitaufschub oder Zinsenverlust in Frage kommt, über 550K hinaus etwa bis auf 700K per Tag, im Falle definitiven Nutzverlustes der komplementären Güter, je nach dem Grad, in dem dieser definitive Nutzverlust eintritt, vielleicht auf 1000K, vielleicht aber auch auf 2000K pro Tag. Und das Maximum der ökonomisch möglichen Lohnhöhe für den einzelnen Arbeiter rückt damit über 5K 50h hinauf auf 7, bzw. 10 und 20K. Das will sagen, bei jedem unter dieser Maximalhöhe zurückbleibenden Lohnsatz wird der Unternehmer, für den Moment wenigstens, immer noch besser fahren, als wenn er auf die Anstellung aller hundert Arbeiter verzichten würde. Dieses "besser fahren" wird dabei vielleicht keinerlei positiven Gewinn für den Unternehmer, sondern nur einen geringeren Verlust als er ihm im anderen Fall drohen würde, bedeuten, ein "geringeres Übel", welches, weil es das geringere ist, rationellerweise immer noch vor dem größeren zu wählen ist. - Jenes Hinausrücken des äußersten möglichen Lohnsatzes per Kopf auf 7, bzw. 10 oder 20K bedeutet dagegen, wie ich schon einmal oben angedeutet habe, aber gar nicht mit genug großem Nachdruck wiederholen kann,  nicht  die subjektive Wertschätzung des Unternehmers für je einen Arbeitstag. Der Unternehmer wurde ihn, wenn es sich um die Anstellung oder Nichtanstellung  eines  Arbeiters handeln würde, gewiß nicht zahlen wollen und dürfen. Er bedeutet den hundertsten Teil des Gesamtwertes der geschlossenen Einheit von 100 Arbeitskräften, was eine vollständig verschiedene Größe vom Einzelwert  einer  Arbeitskraft ist. (24)

Der Spielraum für die Preisverhandlungen zwischen Unternehmer und geschlossener Arbeiterschaft würde daher abgesteckt einerseits durch den Wert der unverkauften Arbeit für die Arbeiter selbst im Betrag von 1K 50h als äußerste Untergrenze und andererseits durch den Wert der unverkauften Arbeit für die Arbeiter selbst im Betrag von 1K 50h als äußerste Untergrenze und andererseits durch die Kopfquote des Gesamtwerts sämtlicher 100 Arbeitskräfte im Betrag von 10K (um bei dieser von unseren drei alternativen Beispielsziffern zu bleiben) als äußerste Obergrenze. Da durch unsere Beispielsannahme direkte Konkurrenz beiderseits ausgeschlossen ist, würden sich Unternehmer und Arbeiterschaft innerhalb dieser Grenzen ähnlich gegenüberstehen, wie die beiden Gegenparteien im Fall des "isolierten Tausches". (25) Es wäre bezüglich keines einzigen Punktes innerhalb der weiten Zone zwischen 1K 50h und 10K undenkbar oder unmöglich, daß der sich der Lohn gerade auf ihm festsetzen würde. Allerdings haben wir schon einige Umstände kennen gelernt, welche es zwar nicht als strikte ökonomisch unmöglich, wohl aber als recht unwahrscheinlich erscheinen lassen, daß die Lohnfeststellung in jenen allerniedrigsten Teil des Spielraums fallen würde, der zwischen der absoluten Untergrenz und demi mit dem Existenzminimum annähernd zusammenfallenden Lohn der anderen gemeinsten Arbeitszweige liegt; und Gründe verwandter natur machen es auch wenig wahrscheinlich, daß der Lohn ganz nah an die absolute Obergrenze von 10K gedrängt werden könnte. Daß er sich jedenfalls nicht für die Dauer so hoch halten könnte, werden wir später in einer besonderen, und, wie ich glaube, auch theoretisch besonders wichtigen Untersuchung zu zeigen suchen. Aber auch für den Moment wird er sich nicht leicht so hoch drängen lassen. Denn jeder die Leistung "des letzten Arbeiters" erheblich übersteigende Lohn würde, weil für die Unternehmer schon verlustbringend, auf starken, und zwar mit seiner Höhe zunehmend starken Widerstand der Unternehmer stoßen; dieselben würden wohl vorziehen, es vor seiner Bewilligung auf den Ausfall der äußersten Kraftprobe ankommen zu lassen, die in der Durchführung des Streikkampfes liegt, während ein mittlerer, der Leistung des letzten Arbeiters nahekommender Lohnsatz von den Unternehmern vielleicht schon bewilligt würde, ohne die sicher schweren Opfer des durchgeführten Streikkampfes und dabei überdies noch seinen unsicheren Ausgang in Kauf zu nehmen. Auch würden - was freilich schon etwas in das später zu untersuchende Momnt der Dauer hinüberschlägt - die Arbeiter es kaum in ihrem wohlverstandenen Interesse finden können, den Lohn auf eine für den Unternehmer positiv verlustbringende Höhe zu drängen, weil ja dann eine durch Verluste erzwungene Einschränkung oder Auflassung des Betriebes, damit aber ihnen selbst der Verlust ihres Erwerbs droht.

Auf der anderen Seite wird bei der Gegenpartei die Belastungsprobe für die Streikorganisation eine desto stärkere, auf eine je extremere Höhe die Lohnforderungen gespannt werden. Die Gefahr des Streikbruchs und auch die Gefahr der Werbung von Ersatzleuten aus anderen Berufszweigen wird desto größer, je günstiger die Bedingungen sind, die die Unternehmer noch  unter  der versagten Lohnforderung gewähren können: wenn die streikende Arbeiterschaft auf einem Lohn von 9K unnachgiebig beharrt, bedeutet vielleicht schon ein Lohn von 7K eine stark verlockende Prämie für Streikbrecher und Ersatzleute, die in anderen Berufen, die ähnliche Qualifikationen erfordern, nur einen der Leistung "des letzten Arbeiters" entsprechenden Lohn von 5K 50h finden könnten. Und mit der Gewinnung einer Ersatzmannschaft ist die Streiksache definitiv verloren, während auch im anderen Fall der Ausgang für die Arbeiter noch keineswegs sicher ist.

Bekanntlich pflegt im Streikkampf diejenige Partei zu siegen, welche wirtschaftlich "den längeren Atem" hat. In der Schulterminologie ausgedrückt: für die Arbeiter bedeutet die Streikzeit Erwerbslosigkeit. Für eine gewisse Zeit kann der Ausfall an Einkommen mit mehr oder weniger Entbehrungen wett gemacht werden durch eigens vorbereitete Ersparnisse, durch Unterstützungen aus der Streikkasse, in weiterer Folge durch Aufzehrnung der vorhandenen Habe, Verkauf oder Verpfändung entbehrlicher Güterstücke, Kontrahierung von Schulden bis zur Erschöpfung des Kredits. Bei längerer Dauer des Streiks fließen diese Ersatzquellen immer spärlicher, bis sie endlich gänzlich versiegen. Schon während des Stadiums der allmählichen Abnahme wächst der Grenznutzen der immer kärglicher werdenden Deckungsmittel in die Höhe, immer wesentlicheres Bedürfnisse verlieren ihre Deckung, immer wesentlichere Lebensinteressen werden durch den zunehmenden Mangel bedroht. Endlich kommt der Punkt, an dem an der Wiedererlangung eines Arbeitseinkommens und sei es auch von mäßiger Höhe, geradezu die Lebensfristung hängt: an diesem Punkt zermürbt auch der harnäckigste Widerstand der Streikenden - falls eben nicht der Widerstand der Gegenpartei, der Unternehmer, schon vorher zermürbt ist.

Bei diesen wiederholt sich nun zwar ebenfalls der Zug, daß mit zunehmender Dauer des Streiks das Bedürfnis nach seiner Beilegung immer intensiver wird. Der stillstehende Betrieb liefert keine Einnahme, während ein Teil der geschäftlichen Ausgaben und jedenfalls die persönlichen Haushaltsauslagen des Unternehmers fortdauern und Deckung erfordern. Diese  kann  möglicherweise, falls der Unternehmer ein großes persönliches Vermögen besitzt, aus diesem fließen. Im entgegengesetzten Fall treten natürlich die Pressionswirkungen des Streiks viel rascher und energischer ein. Auf jeden Fall sind aber hierbei zwei sehr genau auseinander zu haltende Etappen der Streikwirkung zu unterscheiden. Der sukzessive eintretende und sich verschärfende Mangel an Deckungsmitteln kann in erster Linie die geschäftliche Position, die  wirtschaftliche  Existenz, in zweiter Linie, falls es selbst für die dringendsten Haushaltsausgaben an jeder Deckung mangelt, auch die  persönliche  Existenz des Unternehmers bedrohen.

Zu diesem zweiten, intensivsten Grad der Streikwirkung, auf den auf der Arbeiterseite die Entwicklung ganz normalerweise hintreibt, wird es nun auf der Unternehmerseite überhaupt nur in den allerseltensten Ausnahmefällen kommen. Im Fall eines großen persönlichen Vermögens der Unternehmer natürlich gar nicht; und auch bei wenig wohlhabenden Unternehmern nicht leicht, weil diese doch fast immer über eine umso viel größere Habe an Barmitteln, Hausrat und dgl. und überdies auch über soviel Kredit verfügen werden, daß sie auch bei stockendem Erwerb wenigstens ihre dringlichsten Existenzbedürfnisse für eine längere Zeit versorgen können, als es ihren Antagonisten im Streikkampf, den Arbeiterfamilien, möglich ist.

Viel früher kann es allerdings zur ersten, ebenfalls schon scharf genug wirkenden Etappe kommen: zur Etappe der geschäftlichen Gefährdung mit den Unterstufen von mäßigen Betriebsverlusten, von Einbußen am Vermögensstamm und von völligem Bankrott. Aber - und das hat uns hier zu interessieren - die Pressionskraft dieser Drohungen ist eine sehr ungleiche, je nach der Höhe der Lohnsätze, zu deren Durchsetzung die Arbeiter den Streik führen und sie versagt völlig gegenüber Lohnforderungen von extremer, übermäßiger Höhe. Ist nämlich der geforderte Lohnsatz so hoch, daß seine Bewilligung nicht nur zu einer Verringerung des Geschäftsgewinns, sondern zu einem positiven Geschäftsverlust führen müßte, dann fügt ja dem Unternehmer die Nachgiebigkeit im Streikkampf schon eben dasselbe Übel zu, mit dem ihn die Arbeiter für den Fall der Unnachgiebigkeit und der Fortsetzung des Streiks bedrohen; und zwar fügt sie ihm dieses Übel sicher und dauernd zu, während die Unnachgiebigkeit vielleicht doch noch mit einer Niederlage der Arbeiter und mit der Aufstellung eines Lohnsatzes enden könnte, der dem Unternehmer eine lohnende Fortsetzung seines Betriebes und die Wiedereinbringung der durch den Streik temporär erlittenen Verluste ermöglicht. Unter solchen Umständen hat es für den Unternehmer keinen Sinn, für das sichere Übel zu optieren; die bei der Fortsetzung des Streiks drohenden Verluste sind, weil vielleicht doch nur temporär, nicht das größere, sondern das kleinere Übel und die Unternehmer werden daher im Widerstand verharren. Die Drohungen der ersten Etappe können also vollwirksam sein zugunsten der Durchsetzung eines den Geschäftsgewinn der Unternehmer nur schmälernden, bescheideneren Lohnsatzes, sie sind unwirksam zugunsten eines positiv verlustbringenden, ebenfalls zum geschäftlichen Ruin führenden extremen Lohnsatzes. Und auf dem Weg der Streikfortsetzung bis zur zweiten, die physische Existenz der Unternehmer bedrohenden Etappe werden nach dem oben Gesagten fast immer die Arbeiter früher den Atem verlieren.

Aus diesen und ähnlichen Gründen ist es, wie schon oben bemerkt, wenig wahrscheinlich, daß es auch im Streikfall zu einer Lohnfestsetzung in den extremsten, allerniedrigsten oder allerhöchsten Grenzpartien des weiten, für den Moment "ökonomisch möglichen" Spielraums kommen werde. In unserem Beispiel, in dem dieser Spielraum von 1K 50h bis 10K reichte, würde also ein Lohn unter 3K ebensowenig wahrscheinlich sein als z. B. ein Lohn von mehr als 8K; undenkbar und schlechthin ökonomisch ausgeschlossen wären aber  für den Moment  - wie ich besonders betone - auch solche extreme Lohnhöhen nicht.

Das meiste soeben Gesagte operiert mit einleuchtenden, geradezu trivialen, aus den Erfahrungen des Streikwesens längst sattsam bekannten Tatsachen und Erwägungen. Ich habe diese Trivialitäten nur gleichsam in einer auf die Theorie des Grenznutzens gestimmten Sprache wiedergegeben, um dasjenige anschaulich zu machen, worauf es für die in Erörterung stehende theoretische Prinzipienfrage ankommt: daß nämlich die jedem Praktiker so wohlbekannten "Machtwirkungen" der Streiks nicht etwa ganz abseits oder gar gegen, sondern innerhalb und in Gemäßheit der Kräfte und Formeln der Theorie des Grenznutzens sich vollziehen und daß jede genauere Analyse darüber, durch welche Zwischenmotive hindurch und bis zu welchen Grenzpunkten die "Macht" den Verlauf der Sache überhaupt lenken kann, in die verfeinerte Kasuistik des Grenznutzens und der Zurechnungstheorie hineinführt, in welcher sie die endgültige Erklärung sowohl suchen muß, als auch findet. (26)

Eine andere weitaus interessantere Frage aber ist es, welchen durch Machtmittel erzwungenen Verteilungssätzen  Dauer  beschieden sein kann. Diese Frage ist vor allem schon deshalb die interessantere weil sie die weitaus wichtigere ist. Auch die ephemerste [kurzlebigste - wp] und auf das kleinste Teilgebiet beschränkte Preis- oder Lohnfestsetzung mag ja eine recht fühlbare Bedeutung für jeden Kreis von Individuen und für jene kurze Spanne Zeit haben, die durch die ephemere Bildung gerade berührt werden. Aber diese ephemeren Bildungen bedeuten wenig oder nichts für die ökonomischen Dauerschicksale der sozialen Klassen. Und so wie die Klassiker die dauernde Gestaltung der Preise für um so viel wichtiger und interessanter halten konnten als ihre momentanen Fluktuationen, daß ein RICARDO von diesen kaum zu reden und nur die Theorie der Dauerpreise auszuarbeiten der Mühe wert fand, so sind auch in der Verteilungstheorie die Dauerlinien von überragendem Interesse, nach welchen durch alle ephemeren und lokalen Zufälligkeiten hindurch die Anteile der verschiedenen Produktionsfaktoren und der sie repräsentierenden sozialen Klassen auseinanderzufallen tendieren. Auch das Ephemerste muß man zwar verstehen und erklären können - schon deshalb, weil ja die Gesetze, die das Ephemere hervorbringen, im letzten Grund keine anderen sind als jene, auf welchen auch die Dauerwirkungen beruhen - aber es versteht sich von selbst, daß derjenige Teil der Erkenntnis, der nach Raum und Zeit die weitaus überwiegende Zahl der Einzelfälle berührt, und ungleich wichtiger sein muß als die Erkenntnis rasch vorübergehender Ausnahmebildungen.

Aber auch noch aus einem zweiten Grund scheint mir die Betrachtung der "Machtwirkungen" aus dem Gesichtspunkt ihrer möglichen Dauer ein größeres Interesse zu verdienen: soweit meine Literaturkenntnis reicht, ist nämlich gerade diese wichtigste Seite der Sache bis jetzt noch gar nicht untersucht worden. Ist schon das Thema der Machtwirkungen überhaupt überhaupt bis jetzt nur spärlich und in systematisch wenig befriedigender Weise behandelt worden, so fehlen prinzipielle Untersuchungen über die Bedingungen der Dauer solcher Machtwirkungen wohl völlig; und wir betreten hier gewissermaßen literarisches Neuland.
LITERATUR - Eugen Böhm-Bawerk, Macht oder ökonomisches Gesetz?, Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung, Bd. 23, Wien 1914
    Anmerkungen
    20) BÖHM-BAWERK, Positive Theorie des Kapitals, 3. Auflage, Exkurs VII betreffend die Theorie des Wertes der komplementären Güter (Theorie der Zurechnung), Seite 173f; besonders 185f und 197f.
    21) BÖHM-BAWERK, Positive Theorie des Kapitals, 3. Auflage, Seite 277
    22) BÖHM-BAWERK, Positive Theorie des Kapitals, 3. Auflage, Seite 278
    23) Ich kann hier natürlich nicht im Vorübergehen die ganze schwierige und verwickelte Zurechnungstheorie mit allen ihren kasuistischen Details darlegen und muß daher diejenigen Leser, die sich auch für die genauere Begründung der oben vorgetragenen Ergebnisse interessieren, bitten, die ausführlichen Darlegungen in meiner Positiven Theorie, Seite 276f und im beigegebenen Exkurs VII zu Rate zu ziehen.
    24) Vgl. hierüber meine Positive Theorie, 3. Auflage, Seite 254f
    25) Vgl. meine Positive Theorie, 3. Auflage, Seite 360f
    26) Kenner der Theorie brauche ich kaum besonders darauf aufmerksam zu machen, daß das Gesagte auch mit denjenigen Partien, in welchen ich mit dem Begriff des "Gesamtnutzens" zu operieren hatte, sich durchaus dem Rahmen der sogenannten "Theorie des Grenznutzens" einordnet. Denn letzteres ist nur ein Name, der der modernen, zumal von der österreichischen Schule entwickelten Werttheorie nach einem allerdings besonders hervorstechenden Zug derselben gegeben wurde, wobei aber dieselbe Werttheorie inhaltlich natürlich auch jene Fälle, in welchen sich die Bewertung auf einen "Gesamtnutzen" stützt, ebensowohl umfaßt und darlegt, als jene - allerdings viel zahlreicheren - Fälle, in welchen eine Bewertung buchstäblich nach einem "Grenznutzen" stattfindet. Siehe hierüber z. B. meine Positive Theorie, 3. Auflage, Seite 254f, insbesondere auch die Noten auf Seite 257 und 258.