ra-4
Symbole der Ewigkeit
THOMAS CARLYLE

Alle sichtbaren Dinge sind Embleme. Was du siehst, ist nicht um seiner selbst willen da, ja streng genommen ist es gar nicht da, denn die Materie existiert bloss geistig und um eine Idee zu repräsentieren und zu  v e r k ö r p e r n . Ja wenn man es recht betrachtet, was ist der Mensch selbst und sein ganzes irdisches Leben weiter als ein Emblem, ein Kleid oder sichtbares Gewand für sein göttliches  I c h , welches wie ein Lichtfunken vom Himmel herab hierhergeworfen worden? Auf diese Weise sagt man auch von ihm, er sei mit einem Körper bekleidet.

Mensch "Symbol der Ewigkeit, gebunden in der Zeit", es sind nicht Deine Werke, die alle sterblich und unendlich klein sind, deren grösstes doch nichts mehr bedeutet, als das geringste, sondern nur der Geist, in dem Du arbeitest, was allein Wert und Dauer haben kann.

Wie sehr ist es zu beklagen, dass alle Metaphysik sich bis jetzt so unaussprechlich unproduktiv erwiesen hat! Das Geheimnis des Daseins des Menschen ist immer noch wie das Geheimnis der Sphinx, ein Rätsel, welches er nicht lösen kann und weshalb er den Tod, den schlimmsten Tod, den geistigen, erleiden muss. Was sind alle Axiome und Kategorien und Systeme und Aphorismen? Worte, Worte! Hohe Luftschlösser werden schlau aus Worten zusammengebaut, die Worte auch in guten logischen Mörtel gebettet, aber es kommt keine Kenntnis hinein.

Sei nicht der Sklave von Worten. Ist nicht das Ferne, das Tote, während ich es liebe und mich darnach sehne und es betrauere, im eigentlichen Sinne des Wortes eben so sehr wahr hier als der Boden, auf dem ich stehe? Aber dieses selbe Wo mit seinem Bruder Wann, sind von Beginn an die Grundfarben unserer Traumgrotte oder vielmehr die Leinwand, auf welche alle unsere Träume und Lebensvisionen gemalt werden.

Hat nichtsdestoweniger ein tiefes Nachdenken gewisse Gemüter jedes Himmelsstrichs und Zeitalters nicht gelehrt, dass das von allen unseren Gedanken so geheimnisvoll unzertrennliche  W o  und  W a n n  nur oberflächliche irdische Gedankenanhängsel sind, dass der Seher deutlich wahrnimmt, wie sie aus dem himmlischen  Ü b e r a l l  und Immer hervorgehen. Haben nicht alle Nationen ihren Gott als  a l l g e g e n w ä r t i g  und  e w i g , als in einem universellen  H i e r , einem ewigen Jetzt existierend gedacht? Überlege Dir es wohl; auch Du wirst finden, dass der Raum nur ein Modus unseres Menschensinnes ist, ebenso wie die Zeit. Es giebt keinen Raum und keine Zeit. Wir sind - wir wissen nicht was; Lichtfunken, die in dem Äther der Gottheit schwimmen.

Vielleichst ist diese so massiv erscheinende Welt im Grunde genommen doch weiter nichts als ein Luftbild, unser Ich die einzige Wirklichkeit und die Natur mit ihrer tausendfachen Produktion und Vernichtung nur der Reflex unserer eigenen inneren Kraft, die Phantasie unseres Traums, oder wie der Erdgeist im Faust es nennt, der Gottheit lebendiges Kleid.


LITERATUR, Thomas Carlyle, Arbeiten und nicht Verzweifeln, Düsseldorf und Leipzig, 1902