ra-2Anarchismus im 18. JahrhundertMartina G. KramersDas fiktive Geschlecht    
 
GERTRUD BÄUMER
(1873-1954)
Die englische Frauenbewegung

"Die Wochenschriften im 18. Jahrhundert sind voll von Klagen über die Torheit, Launenhaftigkeit und Putzsucht der Frauen, von einer erweiterten Bildung aber fürchtet man allgemein schlimme sittliche Folgen. Im Tatler vom 9. November 1710 wird zur Verbesserung der weiblichen Erziehung eine Damenbibliothek vorgeschlagen, die mit nichts ausgestattet werden soll, das der Gefallsucht und der Impertinenz Nahrung gibt, sondern das Ganze soll so für den Gebrauch der Studierenden hergerichtet sein, daß sie in ihrem Wissensdrang nicht über den Bereich einer gebildeten Unschuld hinausgehen."

"Die Verteidigung der Frauenrechte wird als eine Parteischrift der Revolutionisten aufgefaßt, obwohl diese selbst dieser Anwendung ihrer Theorie von den Menschenrechten etwas verdutzt gegenüberstanden. Sie erregt einen Entrüstungssturm in der guten Gesellschaft, und eine Flut von Satire und plumper Persiflage. Wohlwollende Kritiker anerkennen ihren pädagogischen Wert und betrachten das übrige als Phantasterei."

"Mary Wollstonecraft, so stark die Wirkung ihrer Persönlichkeit war, hat für ihr Programm keine Jünger und erst recht keine Jüngerinnen gefunden, niemanden, der es für die Erziehung kommender Generationen wirksam machte. Es blieb historisch unfruchtbar. Das Bild aber der schönen, stolzen Frau hat als die erste dichterische Verkörperung des neuen Weibes in der Literatur eine Stelle gefunden."

"Es gilt nicht mehr für unladylike, daß die Frau beruflich arbeitet. Auch darin, daß die Ehegesetze entwürdigend seien, herrscht ziemlich allgemeine Übereinstimmung. Die Forderung aber, daß die Frau an der Repräsentation des Volkes teilnehme, stellt zur Zeit nur eine extreme Partei."

I.
Frauenrechte, Frauenbildung und
Frauenbewegung in England vor 1800

Man kann bei der englischen Frauenbewegung ebensowenig im Zweifel sein wie bei der deutschen, daß sie nach wirtschaftlichen und geistigen Ursachen und Zielen eine Bewegung des 19. Jahrhunderts ist. Wie dort, so sind auch hier vereinzelt in früheren Jahrhunderten schon Forderungen geltend gemacht, die denen der Neuzeit mehr oder weniger verwandt sind, hier wie dort sind sie für das Wesen der ganzen Frage interessant genug, um hier Beachtung zu verdienen, ohne daß man sie eigentlich mit der modernen Frauenbewegung in einen historischen Zusammenhang bringen könnte. In Bezug auf einen Punkt aber erfordert die Darstellung der Frauenbewegung in England außerdem ein Zurückgreifen in frühere Zeiten, einen Punkt, der mit der englischen Verfassung im Zusammenhang steht, in Bezug auf die Voraussetzungen nämlich des Frauenstimmrechts in der Munizipal- und Reichsverwaltung. (1)

Nach den englischen Verfassungsurkunden nämlich ist die Frage der politischen Rechte der Frau offen gelassen. Ihre Entscheidung hängt ab von der Interpretation der Worte  homo, man, subject.  Daß diese Worte nach der herrschenden Anschauung Frauen einschlossen, davon haben wir bis in die Neuzeit hinein zahlreiche Beweise. So handelt eine Parlamentsakte unter HEINRICH VI. (2) von dern Bedeutung des Wortes "parium" mit Bezug auf "Femes, Dames de grande estate". Daß das Kapitel der Magna Charta, um dessen Auslegung es sich handelt, für Frauen auch Geltung hat, scheint als selbstverständlich angenommen zu sein. Ein anderes Mal - unter HEINRICH IV. - wird bei der Entscheidung eines Rechtsfalles gesagt, daß zweifellos zu allen Zeiten das Gesetz gegolten, daß eine "Dame" "Peer de Realm" und zu den Privilegien und Pflichten dieses Amtes berechtigt sein konnte. (3) Zahlreich sind die Beweise auch, daß dieses Recht tatsächlich ausgeübt worden ist. (4) Allerdings ist die Gleichberechtigung mehr ein Mittel zur Erhaltung des Familienbesitzes als der Ausdruck einer Rechtsanschauung in Bezug auf das Verhältnis der Geschlechter. Sie schwendet deshalb in dem Maß, als das Bürgertum in den Vordergrund des politischen Lebens tritt, sie schwindet, als der englischen Renaissance mit ihrer von Frauen eingeführten, feinen gesellschaftlichen Kultur und ihren platonischen Staatsidealen die rohen Zeiten des Commonwealth und der Restauration folgten. Die politischen Demonstrationen der Londoner "trades men's wives" zu Zeit CROMWELLs, auf die in englischen Quellen zuweilen hingewiesen wird, können doch kaum anders beurteilt werden, dennals Zusammenrottungen fanatisierter Volksmassen, wie sie überall und zu allen Zeiten stattgefunen. Daß sie dem populären Bewußtsein von der Stellung der Frau nicht entsprechen, zeigt die Fassung einer Petition, mit der die  gentlewomen  und  trademen's wives  von London im Jahre 1641 in Scharen vor dem House of Commons erschienen, und die Hinrichtung des Erzbischofs LAUD verlangten - mit vielen Entschuldigungen, da ihre Tat "seltsam und ihrem Geschlecht nicht wohl zukommend erscheinen möchte". (5) Daß das Publikum diese Ansicht teilte, beweist ein zeitgenössisches Couple, das zweifellos auf dieses Ereignis hinweist mit den Versen:
    "The Oysterwomen lock'd their fish up
    And trudg'd away to cry "No Bishop".
Diese selbe Zeit aber weist auch Fälle auf, aus denen hervorgeht, daß die Anschauungen jener schon erwähnten Entscheidung unter HEINRICH IV. über die Berechtigung von Frauen zur Peerswürde ins Schwanken geraten waren. So kämpfte ANNE CLIFFORD, die Gräfin von Dorset, Pembroke und Montgomery, der die Peerswürde ihres väterlichen Erbes durch männliche Verwandte entzogen worden war, vergebens um die Anerkennung ihres Rechts; sie gelangte erst nach dem Tod ihrer Verwandten in den Besitz ihrer Würde. (6) So werden auf Veranlassung des High Sheriff die Stimmen, die einige Frauen bei den Parlamntswahlen in Suffolk abgegeben hatten, wieder ausgeschaltet, da er der Meinung war, "daß es eines  gentleman  sehr unwürdig, und bei so einer Wahl höchst unehrenhaft sei, von ihren Stimmen Gebrauch zu machen, obgleich sie gesetzlich wohl zuzulassen gewesen wären." (7) So weist Sir EDWARD COKE, der berühmte Rechtsgelehrte des 17. Jahrhunderts, das Zeugnis einer Frau vor der Commons Bar zurück mit Berufung darauf, daß eine Frau in der Gemeinde nicht reden sollte; so verteidigt er die von ihm geforderte Ausschließung der Geistlichen vom Stimmrecht gegen den Vorwurf der Ungerechtigkeit damit, daß auch Frauen Gesetzen unterworfen seien, bei deren Abfassung sie keine Stimme hätten. (8) Daß der Rechtsgelehrte die Tatsache unberücksichtigt läßt, daß gesetzlich dieser Ausschluß der Frauen nicht existiert, ist ein Beweis, wie belanglos diese Tatsache der allgemein geltenden Praxis gegenüber war. Für die städtischen Verwaltungen scheinen die Dinge etwas anders gelegen zu haben. Zweimal im Laufe des 18. Jahrhunderts, 1739 und 1788, hat der Court of King's Bench einen Prozeß über die Stimmberechtigung der Frauen zu entscheiden. Es handelte sich in beiden Fällen um die Besetzung eines Amtes der  parish  von London, und um die doppelte Frage, ob Frauen dieses Amt - eines Küsters das erste, eines Armenpflegers das zweite Mal - bekleiden und ob sie eine Stimme in der Wahl hätten, durch die die Besetzung erfolgte. Beide Male wurden die Fragen durch den Gerichtshof bejaht. Der erste Fall, der um seiner Schwierigkeit willen viermal vor dem Hof verhandelt wurde, ist interessant durch die zahlreichen Belege, die zur Begründung des Urteils herangezogen wurden (9) und durch die Aufzählung des Lord Chief Justice von Ämtern, die von Frauen versehen würden. Er nennt da: Constable, Overseer, Governor of a Poorhouse, Galoer, Keeper of a Prison, Churchwarden, Clerk of the Crown in the King's Bench. Der zweite ist für die herrschenden Verhältnisse noch bezeichnender, da er durch die  parish  von London veranlaßt wurde, die, wie es in den Akten (10) heißt, "hartnäckig darauf bestand, eine Frau als Armenpflegerin zu haben," wie es nach ihrem Brauch zulässig sei. Der Court of King's Bench entschied, daß die  parish  von London kein Recht habe, in diesem Fall nach ihrem Brauch zu verfahren, da es sich um ein durch Parlamentsakte geschaffenes Amt handle; trotzdem aber sei gegen einen weiblichen Armenpfleger nichts einzuwenden, vorausgesetzt, daß die betreffende Person die sonstigen Qualifikationen besäße: "Die einzige Frage ist," bemerkte der Chief Justice am Schluß, "ob irgendetwas in der Natur des Amtes liegt, das Frauen unfähig macht, es zu erfüllen. Und wir denken, das ist nicht der Fall." (11)

Es ist charakteristisch, daß der Besitz solcher Rechte für die soziale Stellung der englischen Frau des 17. und 18. Jahrhunderts tatsächlich bedeutungslos war. Im Gegenteil wurde die Korruption des gesellschaftlichen Lebens nach der Restauration und die damit verbundene Geringschätzung, ja, Verachtung der Frau in dieser Zeit Anlaß zu der ersten Äußerung von Gedanken, die man als eine Art erstes Programm der englischen Frauenbewegung bezeichnet hat. Ich meine die Schriften von MARY ASTELL (12) (1668 - 1731?). Im Jahre 1694 veröffentlichte sie anonym "A Serious Proposal to the Ladies by al Lover of their Sex". 1696 folgte "An Essay in Defence of the Female Sex, der Prinzessin, späteren Königin ANNA gewidmet, und schließich im Jahre 1700 erschienen "Some Reflections upon Marriage". (13) Die Verfasserin, eine auf kirchlichem und politischem Gebiet sehr produktive Essayistin, übt in allen drei Schriften eine scharfe Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen ihrer Zeit, an den unnatürlichen und sittlich anfechtbaren Beziehungen der Geschlechter zueinander. Im ersten Essay ist diese Kritik knapp und gemessen, im zweiten und dritten voll bitterster Ironie, einer so feinen Ironie, daß sogar Dr. BÜLBRING in seiner Charakteristik sie für Ernst hält. Sie protestiert in ihren Abhandlungen auf das allerentschiedenste dagegen, daß die Unterordnung des Weibes unter den mann naturgewollt und die Geringschätzung der Frau gerecht sei. Nach dem Geschmack der Zeit, entwirft sie in "moralischen Charakteren" mit einer erstaunlichen Feinheit und Leichtigkeit Typen der Männer ihrer Zeit, um das Gegenteil zu beweisen. An eine Umgestaltung der sozialen Verhältnisse zugunsten der Frau denkt sie nicht, sie fordert vielmehr, gerade weil die Aufgabe der Frau, Unterwerfung unter einen vielleicht geistig oder sittlich tiefer stehenden Mann, so unendlich schwer sei, für die Frau eine bessere Erziehung. In den Grundsätzen, die sie dafür aufstellt: Kenntnis von Dingen, nicht von leeren Worten, ist der Einfluß LOCKEs unverkennbar. Ihr Ideal einer Frauenbildungsanstalt ist ein Kloster, in dem Frauen durch den Erwerb nützlicher Kenntnisse, durch die Übung in Werken der Barmherzigkeit und Anleitung zur Erziehung von Kindern und eine gesunde, einfache Lebensweise für das Leben vorgebildet werden sollen, damit sie einst würdigere Aufgaben erfüllen "als eine Farce zur Unterhaltung ihrer Gebieter zu spielen." (14)

MARY ASTELLs Schriften scheinen zu ihrer Zeit stark gelesen worden zu sein, sie haben alle mehrere einander ziemlich rasch folgende Auflagen erlebt. Mißdeutungen und Veränderungen, bis zur Verdächtigung ihres eigenen Leibes, scheinen aber die Hauptantwort der maßgebenden Kritik in den Wochenschriften gewesen zu sein. (15)

Bemerkenswert ist die Kritik, die MARY ASTELLs erste Schrift von einem bedeutenden Zeitgenossen erfuhr, keinem geringeren nämlich als DANIEL DEFOE. Seinem "Essay upon Projects on Academies" (16) ist ein besonderer Abschnitt hinzugefügt über eine Akademie für Frauen. Er denkt sich darunter eine Anstalt etwas freieren Charakters als MARY ASTELLs Kloster. Hier sollen Frauen in allem Wissen, nach dem sie verlangen, vor allem aber in den "understandings of the sex", d. h. in der Kunst einer sowohl leichten und anmutigen, als auch gehaltvollen Unterhaltung unterwiesen werden. "Denn", so sagt er, "ich wage die kühne Behauptung aufzustellen, daß man durchweg ganz auf dem falschen Weg ist in der Art, Frauen zu behandeln. Ich kann mir nicht denken, daß der allmächtige Gott sie zu so zarten, herrlichen Geschöpfen machte und sie mit solchen Reizen ausstattete - - - mit Seelen, derselben Vervollkommnung fähig wie die des Mannes, alles nur, damit sie Haushälterinnen, Köchinnen und Sklaven wären." (17) An eine Verwirklichung seines Planes denkt DEFOE nicht. "Ich überlasse die Ausführung" so schließt er, "jenen glücklichen Tagen, wenn sie jemals kommen werden, da Männer weise genug sein werden, ihn zu beherzigen."

Im 18. Jahrhundert kamen diese "glücklichen Tage" jedenfalls nicht mehr. Die Wochenschriften sind voll von Klagen über die Torheit, Launenhaftigkeit und Putzsucht der Frauen, von einer erweiterten Bildung aber fürchtet man allgemein schlimme sittliche Folgen. Im  Tatler  vom 9. November 1710 wird zur Verbesserung der weiblichen Erziehung eine "Damenbibliothek" vorgeschlagen, "die mit nichts ausgestattet werden soll, das der  Ostentation  [Gefallsucht - wp] und der  Impertinenz  [Frechheit - wp] Nahrung gibt, sondern das Ganze soll so für den Gebrauch für den Gebrauch der Studierenden hergerichtet sein, daß sie in ihrem Wissensdrang nicht über den Bereich einer  gebildeten Unschuld  hinausgehen."

Von den Frauen selbst wird nichts mehr gefürchtet, als der Schein der Gelehrsamkeit, wie sehr, das zeigen etwa die Briefe der Lady MONTAGU (18). Es ist geradezu ein Ideal, wie in Deutschland unter den Anakreontikern [verspielt-galante Lyriker - wp], daß die Mädchen nicht weiter seien als "lebendige Puppen für die Männer".


II.
Mary Wollstonecraft-Godwin

Ein ungeheurer Schritt trennt MARY WOLLSTONECRAFT (19) von den Anschauungen, dem Wesen der eben besprochenen Zeit. Sie ist eine der ersten, die die Sonne des neuen Jahrhunderts grüßte, eine der ersten aus jener Generation von Idealisten, deren Bild in der Geschichte im Jugendglanz festgehalten wird, weil ihnen auf Säen und Hoffen niemals eine Ernte wurde.

In England äußerte sich der Einfluß ROUSSEAUs ebenso stark, doch andersartiger als in Deutschland. Es ist mehr der Gedanke der Kritik an den hergebrachten Zuständen aufgrund der Vernunft, der in England zündete. Eine ansehnliche Partei rationalistischer Revolutionisten diskutierte eifrig Pläne für eine Neueinrichtung des Staates auf der Grundlage der Vernunft, der angeborenen Freiheit des Individuums, der "Menschenrechte". MARY WOLLSTONECRAFTs ganzes Wesen steht im Bann dieser Gedanken. (20) Eine harte Kindheit unter dem Druck eines gewalttätigen Vaters, der die Mutter mißhandelt, eine Jugend, während der die Sorge für die Familie allein auf ihren Schultern lag, hatten in ihr ein leidenschaftliches Unabhängigkeitsgefühl genährt, das ihre politischen Theorien heiß durchflutete. Und so kommt sie zu der Frage: wo steht die Frau in dieser Neugestaltung der Gesellschaft aufgrund der Vernunft? und so antwortet sie darauf mit einer Proklamation der Frauenrechte.

Die "Verteidigung der Frauenrechte" (21) ist nach dem Bericht GODWINs in den Memoiren seiner Gattin innerhalb sechs Wochen konzipiert und ausgeführt, sie ist eine Augenblicksschöpfung, mehr ein leidenschaftlicher Kriegsruf, als eine kühl und besonnen entwickelte Apologie. Sie ist voll bitterer Anklagen und heißer Entrüstung - Anklagen, denen sie auch einmal in einem Roman "Women's Wrongs" (22) Gestalt zu geben versuchte. Sie ist unsystematisch und voller Wiederholungen, aber klar und treffend im einzelnen.

Wie die Kritik der Vernunft auf politischem Gebiet die Autorität des Königs ihres göttlichen Nimbus entkleidet, so muß sie auch das angeblich göttliche Recht der Ehemänner und die Pflicht der Frau zur Unterwerfung als nichtig erweisen. (23) Es ist eine notwendige Folgerung aus den Prämissen, die in der Theorie von der angeborenen Freiheit des Individuums liegen, daß die Frau sittlich ebenso hoch steht wie der Mann, daß ihre sittliche Vervollkommnung sich unter denselben Bedingungen vollzieht, "denn wenn irgendeine Klasse der Menschheit so geschaffen ist, daß sie notwendig in Prinzipien erzogen werden muß, die nicht streng von der Wahrheit abgeleitet sind, dann ist der Begriff der Tugend eine konventionelle Lüge" (24) Mit dem Stolz der vollwertigen sittlichen Persönlichkeit, die sie für die Frau in Anspruch nimmt, protestiert sie gegen die gesellschaftliche Stellung ihres Geschlechts, die Galanterie, die in jedem Fall mehr ihren körperlichen Vorzügen gilt und deshalb im Grunde beleidigend ist. Gleiche sittliche Kraft hat aber gleiche intellektuelle zur Voraussetzung, denn die Tugend geht hervor aus Erkenntnis. Wenn die Frau augenblicklich sittlich und intellektuelle tief steht, so ist das keineswegs, wie ROUSSEAU behauptet, ihrer Natur entsprechend, sondern eine Folge ihrer Erziehung und ihrer sozialen Stellung. Sie fordert die gemeinsame Erziehung von Knaben und Mädchen in öffentlichen Schulen, und zwar Erziehung zu Bürgern des Staates. Energisch wendet sie sich gegen ROUSSEAUs Prinzip, daß die Frau vor allem zur Rücksicht auf ihren Ruf erzogen werden soll. "Ich fürchte, daß in der Frauenwelt die Moral heimlich dadurch untergraben wird, daß man der Form mehr Wichtigkeit beilegt als dem Wesen." (25) Eine solche Erziehung aber soll die Frau in erster Linie für die besonderen Pflichten ihres Geschlechts, für ihre Mutterpflichten befähigen. Eine ebenso unumgängliche Vorbedingung für die würdige Erfüllung dieser Pflichten ist eine andere soziale Stellung. "In welchem Licht auch immer ich den Gegenstand betrachten mag," sagt MARY WOLLSTONECRAFT darüber, "so führen Nachdenken und Erfahrung zu dem Schluß: die Frauen können zur Erfüllung ihrer besonderen Pflichten nicht anders geführt werden als durch ihre Befreiung von allen Schranken und ihre Teilnahme an den angeborenen Menschenrechten." (26) Von diesem Gesichtspunkt aus fordert sie für die Frau die Teilnahme an der Gesetzgebung und die Eröffnung männlicher Berufe, vor allem des ärtzlichen, auch verschiedener "Gewerbe und Geschäfte", damit sie vor "gemeiner und legaler Prostitution (27) bewahrt seien. Die Frage der Prostitution in ihrer Verbindung mit der wirtschaftlichen Unselbständigkeit der Frau behandelt MARY WOLLSTONECRAFT mit rücksichtsloser Ehrlichkeit. Die Prostitution erscheint ihr schon als eine Folge davon, "daß die Frauen zur Untätigkeit erzogen und gewöhnt sind, ihren Unterhalt vom Mann zu erwarten, im Austausch gegen ihre Person, die sie ihm gaben." (28) Mit fast leidenschaftlicher Entschiedenheit tritt MARY WOLLSTONECRAFT für die Forderung gleicher Moral ein; nur  gleiche  Moral für beide Geschlechter gewährleistet die Moral überhaupt. Diese Wahrheit gilt aber auch auf intellektuellem Gebiet, und so kommt die Verfasserung zu dem Schluß: "Wenn die Frau nicht durch Erziehung dahin geführt wird, die Gefährtin des Mannes zu werden, wird sie den Fortschritt von Kenntnis und Moral aufhalten. Die Wahrheit muß allen gemeinsam sein, oder sie wird wirkungslos in ihrem Einfluß auf die Gesamtheit." (29)

Über den Eindruck, den die "Verteidigung der Frauenrechte" auf das Publikum machte, bringt GODWIN in seinen Memoiren eine Notiz: "Das Publikum bildete sich im allgemeinen sehr verschiedene Ansichten über den Charakter des Werkes. - - - Die temperamentvolle und scharfe Art, in der die Verfasserung das ganze System der Galanterie und die Art der Huldigungen verwirft, die man dem weiblichen Geschlecht gegenüber gewöhnlich anwendet, entsetzte die meisten. Das Neue daran berührte sie wie etwas Verkehrtes." (30) Die Verteidigung der Frauenrechte wird als eine Parteischrift der Revolutionisten aufgefaßt, obwohl diese selbst dieser Anwendung ihrer Theorie von den Menschenrechten etwas verdutzt gegenüberstanden. Sie erregt einen Entrüstungssturm in der guten Gesellschaft, und eine Flut von Satire und plumper Persiflage. Wohlwollende Kritiker anerkennen ihren pädagogischen Wert und betrachten das übrige als Phantasterei. (31) Den Frauen der Zeit redete sie vollends in fremden Zungen. HANNAH MORE, deren Wirken für weibliche Erziehung doch mit den pädagogischen Gedanken MARY WOLLSTONECRAFTs manche Berührungspunkte aufwies, lehnt das Buch nur auf den "absurden" Titel "Frauenrechte" hin schon ab. "Ich habe sicher soviel Freiheit als ich nötig habe", meint sie, "jetzt, da ich ein altes Mädchen bin, und als ich ein junges war, hatte ich vermutlich mehr als gut für mich war. Unstetigkeit und Launenhaftigkeit ist, glaube ich, wirklich nur zu charakteristisch für unser Geschlecht, und es gibt vielleicht kein Tier, das seine gute Führung so sehr dem Zustand der Unterordnung verdankt als die Frau." Und HANNAH MOREs Freund und Verehrer HORACE WALPOLE spricht von MARY WOLLSTONECRAFT als der "Hyäne in Unterröcken". (32)

MARY WOLLSTONECRAFT, so stark die Wirkung ihrer Persönlichkeit war, hat für ihr Programm keine Jünger und erst recht keine Jüngerinnen gefunden, niemanden, der es für die Erziehung kommender Generationen wirksam machte. Es blieb historisch unfruchtbar. Das Bild aber der schönen, stolzen Frau hat als die erste dichterische Verkörperung des "neuen" Weibes in der Literatur eine Stelle gefunden.

An ihrem Grab in Chelsea unter der Trauerweide fand SHELLEY sechzehn Jahre nach ihrem Tod das Kind, dessen Geburt ihr das Leben kostete. Die kleine MARY GODWIN wurde seine Frau. In der Cynthia der "Revolt of the Islam" zeichnete er die Gestalt der Verteidigerin der Frauenrechte:
    The wild eyed women throng around her path
    From their luxurious dungeons, from the dust
    Of meander thralls, from the oppressor's wrath,
    Or the caresses of his sated lust. - - -
    Thus she does equal laws and justice teach
    To women outraged and polluted long. (33)
Der Gedanke der Frauenbewegung sollte aber, nachdem die Zeit dieser rationalistischen Enthusiasten vorüber war, von ganz anderer Seite wieder zur Diskussion gestellt werden.


III.
Die Philosophic Radicals und das Frauenstimmrecht

Wie die Literatur und das Theater in Deutschland, so steht in England in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts political economy, Staatswissenschaft und Nationalökonomie, im Mittelpunkt des Interesses. Die Frage der politischen Rechte der Frau wird im Zusammenhang mit Theorien vom Staat und der Repräsentation des Volkes Gegenstand der Erörterung. BENTHAM, der Führer der Philosophic Radicals, legt kein besonderes Gewicht auf die Frage des Frauenstimmrechts, aber er gibt zu, daß man keinen stichhaltigen Grund dagegen anführen könne. Sein Schüler aber, JAMES MILL, beantwortet die Frage in seinem berühmten Artikel "On Goverment" in der Enzyklopädia Britannica mit dem vielumstrittenen Satz in Kapitel VII: (34) "Eins ist ziemlich klar, daß alle die Individuen, deren Interessen unstreitig in denen anderer Personen eingeschlossen sind, ohne Beeinträchtigung ausgeschaltet werden können. Unter diesen Gesichtspunkt fallen: Alle Kinder bis zu einem bestimmten Alter aufwärts, deren Interessen aufgehen in denen ihrer Eltern. Unter diesen Gesichtspunkt fallen auch Frauen, da die Interessen von beinahe allen entweder in denen ihrer Väter oder in denen ihrer Gatten aufgehen." Seine Argumentation fand in der Schule BENTHAMs selbst Widerspruch. WILLIAM THOMPSON bestreitet in einem umfangreichen und bis zur Umständlichkeit peinlich disponierten Buch: "Appeal of One Half of the Human Race, Women, against the Pretensions of the other Half, Men, to retain them in Political and then in Civil and Domestic Slavery" (35) die Berechtigung der MILLschen Argumente zunächst vom Boden aus, auf dem MILL fußt. JAMES MILL behauptet, die Regierung sei notwendig, um die Liebe zur Macht, die der Grundzug der menschlichen Natur ist, in Schranken zu halten. Jedem muß durch eine Vertretung in der Regierung die Möglichkeit gegeben sein, sich gegen Übergriffe der Machtliebe des andern zu sichern. Wenn JAMES MILL nun aber, so argumentiert THOMPSON, sagen will, die Frauen bedürfen keiner Vertretung in der Regierung, so könnte er es nur unter der Voraussetzung, daß im Verhältnis zu den Frauen die Liebe zur Macht bei den Männern nicht vorhanden wäre. Mit einer solchen Annahme aber erführe die Grundlage seines ganzen Systems eine so starke Beschränkung, daß sie nicht mehr tragfähig wäre. Sie ist nach THOMPSONs Ansicht auch nicht tragfähig. THOMPSON erbaut sein eigenes System auf einem andern Zug der menschlichen Natur, den er für entscheidender hält, der Liebe zum Glück und der Abneigung gegen den Schmerz. Von hier aus nun stellt er drei Fragen und erörtert sie eingehend:
    1. Besteht tatsächlich und notwendig eine Identität der Interessen von Männern und Frauen?

    2. Wenn sie besteht, wäre das ein genügender Grund, oder überhaupt ein Grund, daß die einen oder die andern, Männer oder Frauen, ihrer bürgerlichen oder politischen Rechte beraubt würden? und

    3. gibt es irgendeine Gewähr für die Gleichheit der Genüsse im Verhältnis zu Fleiß und Fähigkeiten, außer durch gleiche bürgerliche Rechte? oder eine Gewähr für gleiche bürgerliche als durch gleiche politische Rechte?
Die Antwort auf die drei Fragen geht deutlich aus der Art der Fragestellung hervor. Seine Forderung ist daher: volle politische Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts.

Er bezeichnet sich, indem er diese Forderung erhebt, als den ersten, der "das vergessene Banner, das die Hand einer Frau vor fast dreißig Jahren kühn entfaltete, wieder aus dem Staub erhoben hat". Diesmal sollte es nicht wieder in Vergessenheit geraten; unübersehbare und unwiderlegliche Faktoren wirkten zusammen, um die Blicke immer weiterer Kreise auf dieses Banner zu richten. Das sind die veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse, die das schufen, was die Nationalökonomen die  Frauenfrage  nennen.


IV.
Die Frauenfrage in Großbritannien

Der Zensus von 1851 war es, der der Allgemeinheit eine Frauenfrage in unwiderleglichen Zahlen zu Bewußtsein brachte. Es zeigte sich, daß von 7 043 701 Frauen 3 107 791 erwerbstätig waren, daß von 1841 bis 1851 die Gesamtzahl der Frauen im Verhältnis von 7 zu 8, die Zahl der erwerbenden Frauen aber im Verhältnis von 3 zu 4 gestiegen war. 1 210 663 unverheiratete Frauen sind in der Industrie beschäftigt. Das Verhältnis der männlichen zur weiblichen Bevölkerung, besonders in den großen Städten, ist für die Frauen außerordentlich ungünstig. So waren z. B. nach dem Zensus von 1851 in Glasgow 83 455 Männer von über 20 Jahren gegen 100 574 Frauen, in Edinburgh gar 47 049 Männer gegen 64 638 Frauen. Für diesen Überschuß von unverheirateten Frauen nun bot sich wenig anderes als die Möglichkeiten "Heiraten, Sticheln, Sterben oder Schlimmeres". (36) Sticheln und Sterben aber wird man kaum als zweierlei aufführen können, wenn man bedenkt, daß eine Nadelarbeiterin, wenn sie es leisten konnte, von 5 Uhr morgens bis 8 Uhr abends zu arbeiten, 4 Pence täglich verdiente. Das sind die Verhältnisse, gegen die der weithin vernommene "Song of the Shirt" seine fruchtbare Anklage richtete. Für die Fabrikarbeiterinnen lagen die Dinge nicht viel besser. Überall kämpften sie, mit unzureichenden Löhnen, ohne Schutzbestimmungen, mühsam gegen die Konkurrenz der Männerarbeit. In diesen Jahren war es, als in den Porzellanfabriken von Staffordshire die Frauen, die dort beim Bemalen des Porzellans beschäftigt waren, von ihren männlichen Mitarbeitern gezwungen wurden, ohne Handgestell zu malen, damit die Gefahr der Konkurrenz geringer würde. (37) Die Arbeitgeber waren gezwungen, diese Maßregel zu sanktionieren. Dieselbe Berufsnot, eine noch größere vielleicht, bestand für die Frauen gebildeter Stände. Die Akten der "Governesses Benevolent Institution, die um diese Zeit gegründet wurde, bieten dafür beredte Zeugnisse.

Während der Umschwung der wirtschaftlichen Verhältnisse einerseits viele Frauen in eine Tätigkeit außerhalb des Haues zwang, erschließt er der Frau speziell andererseits auch wieder neue Arbeitsfelder, macht er vor allem das Eintreten der Frau in die öffentliche soziale Fürsorgetätigkeit an vielen Stellen notwendig, wo man ihrer sonst entraten zu können glaubte.

Schon ehe man die Tatsache dieses Umschwungs in ihrer ganzen Ausdehnung und Bedeutung übersah, vollzog sich unter ihrer Wirkung auf den einzelnen, unter dem Eindruck ihrer einzelnen Symptome, die sich der Erfahrung aufdrängten, allmählich schon eine Veränderung der Ansichten über Stellung und Bildung der Frau. So schnell allerdings nicht, als daß nicht 1832 bei Einführung der Reform-Bill die neugewährten repräsentativen Rechte unbeanstandet auf "male persons" beschränkt worden wären. Unbeanstandet, denn es wurde mit dem Ausdruck  male person  ja nur die seit Jahrhunderten in der Praxis angenommene Interpretation des Wortes "man" ausdrücklich ausgesprochen. Dasselbe geschah 1835 durch den "Municipal Corporations-Act" in Bezug auf das kommunale Wahlrecht, 1838 durch den "Irish-Poor-Law-Act für die Ämter der Armenpfleger in Irland. Eine Petition von MARY SMITH aus Stanmore um das parlamentarische Stimmrecht für unverheiratete weibliche Steuerzahler wurde 1832 im Parlament als ein guter Witz angesehen. (38) Charakteristisch dafür, wie vollständig fern man der Frage im Parlament stand, ist es auch, daß dann und wann einmal die logische Unanfechtbarkeit des Frauenstimmrechts herangezogen wird, um damit gegen andere logisch mögliche, aber der Landessitte widersprechende oder aus anderen Gründen unddurchführbare Dinge zu argumentieren. (39) Abgesehen davon aber hat die Frauenbewegung entschieden an Boden gewonnen. Einerseits war - von konservativer und deshalb weniger dem Vorurteil ausgesetzter Seite - die Frage der weiblichen Erzihung aufgenommen und theoretisch ein Gutteil, praktisch allerdings kaum merklich gefördert. In den "Strictures on Female Education" von HANNAH MORE, in MARIA EDGEWORTHs "Practical Education" in einem feinen und scharfen Artikel von SIDNEY SMITH (1810), und auch anderen weniger populären Büchern wurde ein ernster Protest gegen die "accomplishment"-Erziehung erhoben und der Reform damit wenigstens insofern vorgearbeitet, als die Vorurteile gegen eine tiefere Bildung der Frau ins Wanken geriet und der Glaube an das herrschende System erschüttert wurde.

Eine sehr umfangreiche Literatur aber über das Thema "Frauenfrage" entstand schon in den dreißiger Jahren. Es würde zu weit führen, auf all diese mehr oder weniger wertlosen Schriften näher einzugehen. Eine interessante Besprechung dieser Literatur und zugleich ein charakteristisches Dokument für den Stand des Für und Wider ist ein Artikel in der  Westminster Review  von 1841 (40) "Woman an her social Position". Die Verfasserin Mrs. MARGARET MYLNE konstatiert, daß, nach der Menge der einschlägigen Literatur zu schließen, die Lage der Frau augenblicklich Gegenstand allgemeiner Diskussion sei. Eine reformatorische Partei betont, daß die Gesetze, die die Lage der Frau in Familie und Gesellschaft bestimmen, durch gerechtere ersetzt werden müßten. Diese Reformpartei hat in einzelnen Fragen schon den Sieg errungen, so in der Erziehungs- und Berufsfrage. Es gilt nicht mehr für unladylike, daß sie beruflich arbeitet. Auch darin, daß die Ehegesetze entwürdigend seien, herrscht ziemlich allgemeine Übereinstimmung. Die Forderung aber, daß die Frau an der Repräsentation des Volkes teilnehme, stellt zur Zeit nur eine extreme Partei.

Eine Seite der ganzen Frage, auf der man mit der Praxis eher begonnen, als mit theoretischen Erwägungen, wird in dieser Skizze nicht berührt, das Gebiet der sozialen Hilfsarbeit. (41)

Schon zu Ende des 18. Jahrhunderts hatte HANNAH MORE in der Gegend von Bristol, Mrs. TRINMER in Brentford mit der Errichtung von Armenschulen begonnen. (42) In größerem Maßstab und unter größeren sozialpolitischen Gesichtspunkten nimmt MARY CARPENTER diese Arbeit wieder auf mit der Begründung der  Ragged Schools  (1846, der  Reformatory Schools,  (Kingswood bei Bristol 1852) und der berühmten  Red Logde School for Girls  (1854). Auf die Wirksamkeit von ELIZABETH FRY unter den Gefangenen von New-Gate folgte LOUISA TWININGs Arbeit in der "Workhouse-Visiting-Society", die sie begründen half. Ein Hauptzweck dieser Gesellschaft war es, dem Mangel an Frauenhilfe in der Verwaltung der Armenhäuser, soweit das auf privatem Weg möglich war, abzuhelfen. LOUISA TWINING behauptete: "Keine Inspektion durch Männer, auch nicht durch die wohlwollendsten, die die Armenverwaltung beschäftigen mag, kann all diese Dinge entdecken und heilen, diese Dinge und viele andere, von denen ich hier nicht sprechen kann, die ich aber immer versucht bin, zu nennen, wenn ich höre, daß Parlamentsmitglieder und Armenaufseher durch unsere Armenhäuser gegangen sind und proklamieren, daß alles zufriedenstellend und in Ordnung sei. Seit vielen Jahren steht die Überzeugung in mir fest, daß ehe nicht Frauen auf irgendeine Weise mehr Anteil an der Verwaltung und Beaufsichtigung unserer Armenhäuser haben, keine wirksamen Hilfsmittel gefunden werden können." (43) Von noch größerer Bedeutung war für die Heilung der augenblicklichen doppelten Notstände, der Berufsnot und des Mangels an geeigneten Kräften in der sozialen Fürsorgetätigkeit, die durch FLORENCE NIGHTINGALE organisierte weibliche Krankenpflege (44) und Mrs. CHISHOLMES' (45) Arbeit für die Auswanderer und in den Kolonien.

So ergeben sich deutlich zwei Faktoren, deren Zusammenwirken schließlich zur Begründung einer organisierten  Frauenbewegung  in England führt, die wirtschaftliche Not des weiblichen Geschlechts und die in der Krisis der dreißiger und vierziger Jahre auf den Höhepunkg getriebene Not und Verwahrlosung der unteren Volksschichten; Berufsnot, Mangel an Beschäftigung, ein Überfluß von Kräften auf der einen, - eine schier unübersehbare Fülle von Arbeit und ein Mangel an Kräften auf der anderer Seite.
LITERATUR Helene Lange / Gertrud Bäumer (Hg), Handbuch der Frauenbewegung, Berlin 1901
    Anmerkungen
    1) Über dieses Thema gibt das Buch von CHARLOTTE CARMICHAEL STOPES, "British Freewomen", Their Historical Privilege (London 1894) eine Zusammenstellung des Materials. Allerdings auch nicht mehr als eben eine Materialsammlung, bei der häufig eine bestimmte agitatorische Absicht auf Auswahl, Zusammenstellung und Verwertung störend eingewirkt hat, und die - trotz der Belege aus den Quellen - nur mit Vorsicht zu benutzen ist.
    2) Statutes of the Realm 20. HENRY VI. Seite 9, 321
    3) CHISHOLM ANSTEY, Notes upon the Representation of the people Act "1867", London 1867, Seite 84
    4) Vgl. die von C. C. STOPES a. a. O. herangezogenen Belege, auch CHISHOLM ANSTEY a. a. O. und "On some supposed Constitutional Restraints upon the Parliamentary Franchise" von CH. ANSTEY in den "Transactions of the Social Science Society"; 1867.
    5) COBBETT, Parliamentary History of England from the Norman Conquest to the Year 1803, London 1807, Bd. II, Seite 1073
    6) C. C. STOPES, a. a. O. Seite 112f
    7) C. C. STOPES, a. a. O. Seite 107f
    8) "Fourth Institute" 5.
    9) SIR JOHN STRANGE, Reports of adjudged cases in the courts of Chancery, King's Bench etc., published by his son. Bd. II. Seite 1115
    10) Term Reports 2. 395
    11) CHISHOLM ANSTEY, a. a. O. Seite 89
    12) Vgl. über MARY ASTELL BALLARD, Memoirs of Severeal Ladies of Great-Britain, Oxford 1752; ferner den Artikel von Rev. CANON OVERTON im Dictionary of National Biography, Bd. II, vor allem KARL D. BÜLBRING im Journal of Education, London 1891, Seite 199 und 240f
    13) Sämtlich in London erschienen.
    14) Reflections upon Marriage, 1706, Seite 62
    15) Tatler, Nr. 32 vom 23. Juni und Nr. 63 vom 3. September 1709
    16) H. MORLEY, The Earlier Life and Works of Daniel Defoe, Carlixbrooke Library, Bd. III, 1899, Seite 144
    17) H. MORLEY, a. a. O. Seite 152
    18) The letters of Mrs. Elizabeth Montagu published by Matthew Montagu, Esqu. London 1809f
    19) Biographisches über MARY WOLLSTONECRAFT-GODWIN in WILLIAM GODWIN, Memoirs of the author of the vindication of the Rights of Woman, London 1798. ELIZABETH ROBIN PENNELL, Mary Wollstonecraft-Godwin, London 1885. EMMA RAUSCHENBUSCH-CLOUGH, A Study of Mary Wollstonecraft and the Rights of Woman, London/New York/Bombay 1898. HELENE RICHTER, Mary Wollstonecraft, die Verfechterin der Rechte der Frau, Wien 1897.
    20) Vgl. "A Vindication of the Rights of Men in a letter to the Right Honorable Edmund Burke, London 1790".
    21) A Vindication of the Rights of Woman, with Strictures on Political and Moral Subjects, London 1792. Französische Übersetzung: Paris und Lyon 1892. Neue Ausgaben: 1844, 1891 von Mrs. HENRY FAWCETT, 1892 von ELIZABETH E. PENNELL. Deutsche Übersetzung von P. BERTHOLD (=Bertha Pappenheim), Dresden und Leipzig 1899.
    22) The Wrongs of Women. Posthumous Works, London 1798, In der Vorrede sagt sie, sie wolle "das Elend und die Bedrückung darstellen, die besonders Frauen treffen, und die entstehen aus parteiischen Gesetzen und Sitten."
    23) P. BERTHOLD, a. a. O. Seite 43 (Ich zitiere die Stellen nach der deutschen Ausgabe, da sie am leichtesten zugänglich ist.
    24) P. BERTHOLD, a. a. O. Seite 83
    25) P. BERTHOLD, a. a. O. Seite 149
    26) P. BERTHOLD, a. a. O. Seite 199
    27) P. BERTHOLD, a. a. O. Seite 162
    28) P. BERTHOLD, a. a. O. Seite 67
    29) P. BERTHOLD, a. a. O. Seite III
    30) WILLIAM GODWIN, Memoirs of the author etc. Seite 81
    31) Analytical Review, März 1792, Monthly Review, Juni 1792. Critical Review, April und Juni 1792, Looker-on, 7. April 1792
    32) Letters of Horace Walpole, Edited by PETER CUNNING, London 1859, Bd. IX, Seite 385, 452
    33) SHELLEY, The revolt of the islam, 1817, Seite 43
    34) Enzyklopädia Britannica, Supplement 1824, Seite 500
    35) London 1825
    36) BARBARA LEIGH SMITH, Women and Work, London 1857
    37) Edinburgh Review, April 1859
    38) HANSARD, Parliamentary Debates, Third Series, Vol. XIV, London 1833, Seite 1086
    39) So einmal 1833 von Sir ROBERT PEEL, einmal 1826 von FOX.
    40) Vol. XXXV, Seite 24
    41) EDWIN PRATT, Pioneer Women in Victoria's Reign über Mary Carpenter, Seite 194 und LOUISA TWINING, Seite 166. Mrs. HENRY FAWCETT, Eminent Women of our Times; ELIZABETH FRY, Seite 1; HANNAH MORE, Seite 211.
    42) Wie schwerwiegende Notstände in dieser Beziehung herrschten, zeigt vielleicht der Umstand, daß im Jahre 1854 fast die Hälfte der Frauen, die heirateten, ihren Namen nicht schreiben konnten.
    43) Transactions of the Social Science Congress, III. Annual Meeting
    44) EDWIN PRATT, a. a. O. Seite 118f
    45) EDWIN PRATT, a. a. O. Seite 45f