tb-4    
   

Laurent Verycken
F o r m e n   d e r  
W i r k l i c h k e i t


Logik

1. raum-zeit
2. Bewußtsein
4. Sprache
5. Tatsachen
6. Moral
  7. Ordnung
  8. Recht
  9. Ökonomie
10. Anarchie
11. Religion
"Was als  Individualität  des Augenblicks oder als das Besondere eines Moments empfunden wird, ist eine individuelle Bedeutungsqualität, die wir  erleben  und die durch eine verallgemeinernde Bezeichnung erheblich entstellt wird.


Organisation des Denkens bedeutet Einheit und Ordnung in unsere Gedankenwelt zu bringen. Ordnung gibt Sicherheit. Die ideale Ordnung ist das vollendet Logische. Der Kern des Denkens, der Logik und der objektiven Wissenschaft sind Symbole und Zeichen, bzw. Begriffe und Zahlen. Die Zahl ist die einfachste und allgemeinste Idee. Auf Zahlen kann man sich am ehesten einigen. Größen können mathematisch und damit  objektiv  ermittelt werden. Die Quantifizierung der Wirklichkeit geschieht durch Abstraktion, d.h. durch Wort oder Zahl. Das logische Rechnen mit Wörtern und Zahlen bestimmt  wieviel  und  wie gross.  Wir ordnen die Welt nach Begriff, Mass und Zahl. Alle Messungsgrößen sind Zähleinheiten oder Begriffsformen. Mathematisierung bedeutet Formalisierung. Die klassische Ding-Logik der quantitativen Begriffe ist die Logik der Messung. In der quantitativen Methode der Abstraktion werden sämtliche inkommensurable Größen und qualitativen Unterschiede ausser acht gelassen und auf einen einzigen Koeffizienten reduziert: den der numerischen und begrifflichen Zählbarkeit. Gleichartig ist dann alles, was mathematisch erwogen werden kann. Aus der  Gleichheit  wird eine regelmässige Struktur und daraus eine Ordnung.

Alle Erkenntnis beruth im Grunde auf menschlichen Abstraktionen in Form von begrifflicher Gleichsetzung. In der kategorialen Form ist das Urphänomen des logischen Denkens zu suchen. Indem wir ein Ding oder einen Vorgang benennen, legen wir ihm Identität bei. Wir nehmen einen gemeinsamen  Charakter  an, wo wir eine Reihe von Einzeldingen mit dem selben Namen bezeichnen. Alles, was wir brauchen, ist eine Ereignisreihe, die für uns genügend Einheit besitzt, um entweder gemessen oder benannt werden zu können. Das logische Denken braucht abgegrenzte und in Einheit gefasste Objekte als Denkgegenstände. Erforschbar ist nur, was gleichbleibende Eigenschaften hat. Gegenständlichkeit ist deshalb eine absolute Voraussetzung allen Erkennens. Im logischen Denken werden darum  Prozesse  zu Dingen gemacht. Die sprachliche, oder die logische Form ist der Anfang des isolierten Dings und der getrennten Existenz. Aus einem unendlichen, fliessenden Geschehen grenzen wir ein Objekt ab und machen es zum Ding, zur Substanz - wir vergegenständlichen die Wirklichkeit. Der Begriff des Dings ist aber nur eine  künstliche Einheit,  die aus einem unendlichen Zusammenhang herausgerissen wird.

Alles streng logische Denken ist nur auf abstrakte Objekte anwendbar. Sinnliche Erfahrungen sind primär wortlos.  Sensa  sind stumm. In den Wörtern ist das Sinnliche abgestreift. Wenn wir etwas beschreiben, bezeichnen wir nicht unsere Empfindungen, sondern wir passen unsere Empfindungen den abstrakten Symbolen an. Subjektive Empfindungen und sinnliches Erleben werden zugunsten der pragmatisch verwertbaren, objektiven Konstrukte vernachlässigt. Im Vorgang des Abstrahierens halten wir immer den Fluss des konkreten Erlebens an. Im abstrakten Ausdruck nehmen unsere Sinneserlebnisse  Form  an und geben ihren speziellen Charakter auf. Was mit einem Namen bezeichnet wird, wird als  Ding  betrachtet. Die Ähnlichkeit der Empfindungen wird zur Gleichheit des Begriffs.

Vom Standpunkt des Identitätsgesetzes existiert das Kontinuum der Empfindungen nicht. Die Sprache ordnet zwar die Sinnesempfindungen, das Erleben selbst kann aber nur unzureichend in Aussagen ausgedrückt werden. Was als  Individualität  des Augenblicks oder als das Besondere eines Moments empfunden wird, ist eine individuelle Bedeutungsqualität, die wir  erleben  und die durch eine verallgemeinernde Bezeichnung erheblich entstellt wird.

"In der Sprache liegt die Reflexion und daher vermag die Sprache das Unmittelbare nicht auszusagen. Die Reflexion tötet das Unmittelbare. Das Unmittelbare ist nämlich das Unbestimmbare, deshalb kann es die Sprache nicht fassen." 1)
Mit Worten gelangen wir keinesfalls über eine bildliche Darstellung der Welt hinaus. Kategoriale Verarbeitung der Empfindung heisst immer Vereinheitlichung des sinnlichen Stoffes und ist damit aber schon eine substantialisierende Verfälschung der gegebenen Wirklichkeit. Verallgemeinerungen stellen nur einen praktischen Wegweiser dar inmitten der Zufälligkeiten und Einmaligkeiten, sie sind aber nicht das Ziel. Wenn wir die Wirklichkeit mit einer Stadt vergleichen, so gelangen wir mit den Abstraktionen bestenfalls an den Stadtrand, aber nicht weiter.

Unser ganzes Wissen besteht aus Worten und Zahlen. Diese Abstraktionen sind Sammelbezeichnungen für jeweils eine Klasse von Dingen. Begriffe werden gebildet, indem aus den gemeinsamen Merkmalen einer Reihe von Dingen eine Bezeichnung durch ein Wort gesetzt wird. Die Dinge werden nach Worten klassifiziert. Klassifikation und Systematisierung von sinnlicher Empfindung schafft den sprachlichen Ausdruck. Der statische Begriff tritt an die Stelle einer dynamischen Wirklichkeit. Denken heisst klassifizieren; etwas in diese oder jene Kategorie von Dingen einordnen. Angenommene Identität und Nichtidentität bilden deshalb die Basis des logischen Denkens.

Klassifizierte Sachen sind miteinander vergleichbar und können zueinander in Beziehung gesetzt, bzw. gegeneinander abgerechnet werden. Der verallgemeinernde Analogieschluss macht aus dem individuellen  Material  eine allgemeine Vorstellung. Alle so entstehende Abstraktionen sind aber  ideale  Vorstellungen, weil sie mehr das beschreiben, was sein  sollte  und nicht das, was  ist.  Nur dadurch, dass aus der bestenfalls bestehenden Ähnlichkeit künstlich und willkürlich berechenbare Gleichheit gemacht wird, lassen sich weitere logische Schlüsse bilden. Die Vergleichung von blossen Ähnlichkeiten gäbe keinen wirklichen Schluss.

Logische Zugehörigkeit kann sich nur zwischen Elementen der gleichen Klasse abspielen. Die Logik braucht abgegrenzte und dauerhafte Objekte, um ihre Arbeit tun zu können. Da keine Logik aber dem kontinuierlichen Verlauf in der Wirklichkeit entsprechen kann, muss das Isolationsdenken der Logik den lebendigen Zusammenhang kappen, der die Dinge verschieden macht. Abstrakte Identität gibt es nur durch Preisgabe der konkreten Verbindungen. Die ungeheure Vielfalt des Vorhandenen wird der reduzierenden Generalisierung geopfert. Künstliche Einheiten werden da aufgestellt, wo faktisch eine Vielheit besteht. Durch die Reduktion auf dieselbe Einheit sind dann verschiedene Dinge vergleichbar. Erst nach dieser künstlichen Aufbereitung kann mit den Worten weitergerechnet werden. Beschreibung ist aber stets Vereinfachung. Durch den Gleichklang des Namens werden immer grundlegende Unterschiede verwischt.

Rationales, bzw. logisches Denken ist das begriffliche Auseinanderlegen eines eigentlich kontinuierlichen Stroms des sinnlichen Erlebens und betrifft immer nur ausgewählte Abschnitte der Wirklichkeit, niemals ihre grenzenlose Vielfalt. Die Logik erfordert Zusammenfassung des Mannigfaltigen in Einheit. Die abgegrenzte Form macht das Wesen des Individuums - sehen wir von der Form ab, wird Vielheit. Die wissenschaftlichen Methoden beziehen sich deshalb auf eine abgrenzbare, d.h. einheitliche Gegenständlichkeit. "In der Wissenschaft ist der Inhalt wesentlich an die Form gebunden." 2) Wir wissen nur, was sich unseren Denkformen fügt. Es gibt keine Logik ohne Abstraktionen. Allgemeingültiges Denken braucht Systematik und Einheit. Rationales Wissen ist abstrakt und dient nicht dem Verstehen, sondern dem Zerschneiden. Abstraktion heisst Allgemeingültigkeit und diese basiert auf der Zerstörung des Besonderen. Alles Uneinheitliche und Unvergleichliche ist dem Logiker notwendig irrational. Fortschritte im Erkennen werden nur in der Auffindung von Identischem gesehen. Das Entdecken von identisch wiederkehrenden Eigenschaften ist die häufigste methodische Geistestätigkeit.

Logik, bzw. Sprache, ist eine Stabilisierung von Bewusstseinsvorgängen, indem Inneres an Symbolen festgemacht wird. Die Sprache verleiht seelischen Vorgängen und Prozessen, die vorher fliessend und undeutlich waren, Konturen. Alles nur dunkel Gegenwärtige soll in der Form der Gegenständlichkeit klar werden. Die Sprache objektiviert unsere Sinnesempfindungen, indem sie das "panta rhei" 3) des individuellen Erlebnisses in eine objektiv-logische Ordnung transformiert. Sprachliche Fixierung reisst den sinnlichen Eindruck aus der Einheit des Erlebens und bringt ihn als Abstraktion unter die Allgemeinheit des Denkens. Im wissenschaftlichen Denksystem werden die Dinge nur  begriffen,  insofern sie aus dem kontinuierlichen Zusammenhang all unserer Empfindungen herausisoliert wurden. Doch gerade die Zusammenhänge in erlebter Zeit und konkretem Raum sind es, die einem Gegenstand seinen spezifischen Charakter geben.  Wirklich  sind die Dinge nur im erlebten  Hier und Jetzt,  d.h. als Einzelne.

Wirkliche Existenz gibt es nur  einmalig  an einem einzigen Ort zu einer einzigen Zeit. Es gibt nur  ein  einziges Ding, das zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt an einem ganz konkreten und nur diesen Ort sein kann. In der lebendigen Wirklichkeit gibt es keine Gleichheit. In keinem Lebensbereich gibt es  reine  Typen. Es ist ein Irrtum zu glauben, in den Abstraktionen hätten wir eine Methode, mit der sich alles Geschehen auf der Welt auf einen Nenner bringen liesse." Die Wirklichkeit in ihrer Besonderheit und Individualität ist die Grenze für jede naturwissenschaftliche Begriffsbildung." 4) Der theoretischen Verallgemeinerung steht immer die faktische Ungleichheit gegenüber. Was mit demselben Namen bezeichnet wird, ist niemals  ansich  gleich, sondern wird einfach gleichgesetzt, weil einzelne Unterschiede für unsere Zwecke nicht von Bedeutung sind. Eigentlich hat es aber keinen Sinn zu fragen, wie etwas  ansich  beschaffen ist, abgesehen vom Zusammenhang mit allen anderen Elementen.

Irrtum und Wahrheit des logischen Denkens setzen ein Erleben voraus für das  dauernde  Dinge wesentlich sind. Ein seiendes Ding gibt es aber nur in der menschlichen Optik. Der Eindruck der Stabilität beruth auf der Grobheit unserer Sinne. Wir sind daher einem Trug erlegen, wenn wir die logische Beharrlichkeit für einen unmittelbaren Ausdruck der Wirklichkeit halten. Unser Denken ist nicht mit der Wirklichkeit identisch. Abstraktion von fliessendem Geschehen ist, mit anderen Worten,  Verallgemeinerung,   Generalisierung.  Generell heisst zeit-räumlich unbeschränkt, bedeutet allgemeingültig, ansich, d.h. an jedem Ort, zu jeder Zeit. "Der Begriff allein ist es, wodurch die Dinge in der Welt Bestand haben." 5) Nur zeitlos-ideale und allgemeine Wesenszusammenhänge sind Gegenstand der reinen Logik, nicht aber individuelle Vorgänge. Die Logik hat es immer mit dem verallgemeinerten Gehalt sprachlicher Ausdrücke zu tun. Die Einfachheit der Verdinglichung ist der blosse  Kunstgriff  eine ganze Reihe von Merkmalen zu vernachlässigen und nur die  wichtigsten  Eigenschaften herauszugreifen, um mögliche Komplikationen, welche durch die Vielfalt des Wirklichen entstehen, zu vermeiden. Die Logik rechnet immer mit den Klassenbezeichnungen der Dinge. Abstraktionen sind idealtypische Vereinfachungen.

überall ist die Sinnlichkeit gewissermassen im Kampf mit der Logik. Die Sprache der Logik ist eine Sprache des Gesetzes gegenüber einer  chaotischen  Unmenge von Einzelheiten. Mit den Kategorien unternehmen wir den Versuch, die Erlebnisse in Begriffe zu pressen. Die Einheitlichkeit des konkreten Erlebens wird auf die Systematik des abstrakten Denkens reduziert. "Der Logiker verwandelt schöne, gewundene und reissende Flüsse in schiffbare Kanäle." 6) Das Unvergleichbare aber entzieht sich weiter einer exakten Kontrolle und bleibt für die mechanische und technische Verwertung weitgehend unbrauchbar. Wo zuviele Einzelheiten Unklarheit schaffen, stehen Verallgemeinerungen für die Einfachheit. "Alle Dinge bedürfen eines Namens, dass sie nicht schlüpfrig dem Zugriff entgleiten. Denn der Name erst macht das Ding." 7)

Was wir aber zu einem Substantiv abstrahieren, ist immer ein mehr oder weniger komplexer Tatbestand. Stein, Baum, Buch - alles ganze Gruppen von Ideen. Aus praktischen Gründen nehmen wir aber an, dass ein jeder schon irgendwie weiss, was ein  Stuhl  oder ein  Apfel  ist. Es wäre auch zu umständlich, wenn wir im täglichen Umgang alle unsere Begriffe immer erst gegenseitig definieren müßten. Das Wort, das wir bei einer Bezeichnung gebrauchen, trifft für Dinge der gleichen Art, Klasse, Gattung zu. Der Begriff  Vogel  entspricht aber einem Vogel  ansich  und deckt sich nicht mit einem wirklich lebenden Vogel. Logik setzt eine Gleichheit voraus, die es im Grunde gar nicht gibt.

Alle logischen Probleme sind Probleme der Objektivität, d.h. der Gegenständlichkeit. Nur über die Vergegenständlichung ist es uns erst möglich, verschiedene Vorgänge mit dem selben Namen zu bezeichnen. Namensgleichheit ist aber nicht Identität. Die Nichtberücksichtigung des Unterschieds zwischen Gleichheit und Ähnlichkeit ist deshalb der Grundfehler des logischen Denkens. Viele Unklarheiten und Verständigungsprobleme können auf die unkritische übernahme von Begriffen zurückgeführt werden. Das unkritische Denken in Begriffen ist eine blosse Gleichsetzung, bei der nichts herauskommen kann, was wir nicht hineingelegt haben. Logisch wird nichts Neues erschlossen. Die Logik ist für die höhere Erkenntnis deshalb eine unfruchtbare Disziplin, weil sie eine Gleichheit voraussetzt, die es nicht gibt. Logik beruth auf der Voraussetzung, dass es identische Fälle gibt und diese Identität wird zeitunabhängig postuliert. Der Satz der Identität schreibt der  Setzung  konstante Geltung zu. Logik ist nur infolge dieses Grundirrtums möglich. Der Fehler des Generalisierens besteht dabei in der Annahme dass, wenn zwei Dinge in vielen oder einigen Beziehungen übereinstimmen, sie wohl auch noch in allen anderen Beziehungen übereinstimmen werden.

Damit Wissen übertragbar ist, muss der Gegenstand gewisse Gleichförmigkeiten und Gesetzmäßigkeiten aufweisen. Die fließende Übergänge in unserem Gefühlsleben sind aber logisch nicht greifbar. Es gibt keine logische Möglichkeit exakt festzustellen, wo genau der Punkt liegt, an dem der eine Zustand unseres Seelenlebens zu einem anderen wird. Das kontinuierliche Erleben ist logisch genausowenig fassbar, wie die Gegenwart. Übergang und Gegenwart sind irrationale Grenzlinien, die logisch nicht greifbar sind. In dem Augenblick, in dem der Verstand sie zu erfassen sucht, existieren sie schon nicht mehr. Das Kontinuierliche ist irrational, überbegreiflich. Das logische Denken erfasst das  Werden  immer nur fragmentarisch. Im unaufhörlichen Fluss der Erscheinungen gibt es keine beharrenden Substanzen - weder Dinge, noch Personen, noch Ideen.

"Wie die körperliche, so ist auch die seelische Welt nur eine abstrakte Begriffsbildung der Erkenntnis; sie sind beide etwas gedanklich Geschaffenes, begrifflich herausgelöst aus einem einheitlichen Tatbestand unseres Erlebens,  Reflexionspunkte,  aber nicht Arten von Realität." 8)
Objektivieren heisst nichts anderes, als mittels Abstraktion aus einer individuellen Qualität eine allgemeine Quantität, ein Objekt zu machen. Dieses Objekt ist aber nichts Wirkliches, sondern nur etwas Gedachtes. Es ist deshalb ein verhängnisvoller Fehler, das Denken als ein Mittel anzusehen,  objektive  Erkenntnis zu gewinnen. Es gibt kein Wissen, das immer und überall unbedingte Geltung haben müßte. Allgemeine Geltung geht immer auf einen menschlichen Wunsch oder ein Ideal zurück. Der Zweck, der hinter der logischen Verallgemeinerung steckt, heisst  Gesetzmäßigkeit  und mit dieser Gesetzmäßigkeit wird Ordnung gerechtfertigt. Allgemeingültigkeit wird aber nicht durch bloss logische Verallgemeinerung erreicht. Was  Gesetzmäßigkeit  genannt wird, geht auf menschliche Vorstellungen von quantitativen Einheiten zurück und diese Einheiten sind immer mehr oder weniger willkürlich geschaffen. Das gilt für die Zahl genauso, wie für das Wort. Jede theoretische Definition hat einen praktischen Zweck.

In der Natur gibt es keine genau gleichen Wesen, keine übereinstimmenden Tatsachen, keine Regeln, die sich unterschiedslos auf mehrere Dinge zur selben Zeit anwenden liessen. Die Mystik der Natur liegt darin, dass kein Begriff und kein Gesetz jemals allgemeingültig sein kann. In der Natur ist alles einzig und unvergleichbar. Die wirkliche Natur passt sich nicht dem binären Denken, als der üblichen Verhaltensweise unseres Intellekts an. Die Singularität des Wirklichen ist im Prinzip unerschöpflich. Alle Gleichungen sind ohne Ausnahme Mythen.

"Es gibt nur einzelne Sterne, keinen Stern überhaupt, es gibt nur einzelne Hunde, keinen Hund überhaupt. Es gibt nur einzelne Menschen, keinen Menschen überhaupt.... Also Stern, Hund und Mensch sind Vorstellungen, denen keine Wirklichkeit entspricht." 9) "Pferde sehe ich wohl, aber keine Pferdheit." 10)
Jede Logik steht und fällt mit der Klassifikation ihrer Elemente. Gleichsetzung und Logik sind im Grunde auswechselbare Begriffe. Aus unklassifizierten Tatsachen lassen sich keine Schlüsse ziehen. Was mit nichts anderem vergleichbar ist, kann eigentlich überhaupt nicht beschrieben werden. Logische Klassifikation bedeutet deshalb immer, von den speziellen Gegebenheiten in Raum und Zeit abzusehen. Die Geometrie zum Beispiel beschäftigt sich mit exakten Kreisen; kein sinnlich wahrnehmbares Objekt ist jedoch vollkommen kreisförmig; auch wenn wir unseren Zirkel noch so sorgfältig benützen, es werden sich doch stets einige Unvollkommenheiten und Unregelmäßigkeiten ergeben. Alle  Typen  sind stets gedankliche Konstruktionen und als solche niemals voll in der Wirklichkeit vorfindbar.
"Es ist, als sollten in einem beständig strömenden Fluss Linien gezogen werden, Figuren gezeichnet, die standhielten. Zwischen dieser Wirklichkeit und dem Verstand scheint kein Verhältnis des Auffassens möglich, denn der Begriff trennt, was im Fluss des Lebens verbunden ist, er repräsentiert etwas, das unabhängig von dem Kopf, der es ausspricht, gilt, also allgemein und immer. Der Fluss des Lebens aber ist überall nur einmal, jede Welle in ihm entsteht und vergeht." 11)
Die ideale Gleichheit, die der Begriff leisten soll, wird von uns selbst geschaffen und ist keineswegs ansich vorhanden. Allgemeinheit ist kein Verhältnis des Seins, sondern des Denkens. "Das  Allgemeine  ist nichts als der Name." 12) Abstrakte Begriffe bezeichnen immer mehr oder weniger eine Gesamtheit und keine Einzelheit. Abstraktionen beschreiben Klassen und Gattungen. Die Gattung ist nicht, wie das Individuum auf konkreten Ort und Zeit eingeschränkt, sondern als Allgemeinheit ist sie  überall  und  immer.  Der allgemeinste aller Namen ist das Ding oder die  Substanz.  Kategorien sind allgemeine Formen. Wo das Einzelne sich nicht der logischen Allgemeinheit fügt, wird es durch Abstraktion eben fügsam gemacht.
"... das Einzelne wird den Zwecken des Auffassens der Wirklichkeit unterworfen; die Veränderlichkeit des intuitiv Gegebenen wird in einer Beziehung von Begriffen zu allgemeingültiger Repräsentation erhoben; das Konkrete wird durch Abstraktion und analytisches Verfahren in gleichartige Reihen gebracht, welche Aussagen von Regelmäßigkeit gestatten." 13)
Abstraktionen drücken die Äquivalenzen aus. Jede objektive Definition setzt die eingebildete Kongruenz von Wort und Sache voraus. Die logische Gleichsetzung ist von fundamentaler Bedeutung für jede Art der Berechenbarkeit. Die Deutung der Bestandteile der Welt geschieht deshalb immer nach irgendwelchen harmonisierenden Analogien. Die Gleichheitsidee erscheint als Gleichheitszeichen = als Kopula  ist  und als Ausdruck der Existenz  sein/ist.  Jeder Begriff und jede Theorie hat aber nur analoge Bedeutung.
"Der Satz A ist A ist zwar die Grundlage allen Erkennens, aber selbst keine Erkenntnis, sondern eine Tat des Geistes, ein Akt ursprünglicher Synthesis, durch welchen als notwendiger Anfang allen Denkens eine Gleichheit oder ein Beharren gesetzt werden, die sich in der Natur nur vergleichsweise und annähernd, niemals aber absolut und vollkommen vorfinden. Der Satz A ist A zeigt also gleich auf der Schwelle der Logik die Relativität und Idealität alles unseres Erkennens an." 14)
Der zwingende Schluss ist ein Irrtum und Allgemeingültigkeit immer ein Fehlschluss. Logischer Zwang ist von axiomatischen Voraussetzungen abhängig. Es gibt aber kein Axiom, das unbedingt anerkannt werden muss. Wir können allenfalls durch äußere Gewalt zu einem bestimmten Verhalten genötigt werden, um z.B. einer Lebensgefahr zu entgehen. Es gibt aber auch hier immer nur den Zwang, der Gewalt zu gehorchen, nicht den, einen  objektiven  Sachverhalt einzusehen. Alles Wissen ist quantitativ. Nur das Berechenbare wird erkannt. Wissen und Berechenbarkeit können deshalb im Grund gleichgesetzt werden. "Durch die Gleichsetzung von Realität mit Quantität ist der menschliche Geist Erkenntnis geworden." 15)

Logik ist deshalb im Grunde ein Zählen und ein Rechnen. Nur Quantitäten und kontextunabhängige Größen können einem mathematischen Modell unterworfen werden. Logik ist Rechnung und alles Rechnen lässt sich auf Addition und Subtraktion zurückführen. Unser rationaler Verstand gleicht im Prinzip einer arithmetischen Maschine, die sortiert und vergleicht. Wo nichts zu addieren oder subtrahieren ist, hört das Denken auf. In der Logik wird mehr oder weniger alles mit allem gleichgesetzt und aufaddiert. "In vollkommener Reinheit hört die wissenschaftliche Sprache auf, eine Sache der Wörter zu sein, und verwandelt sich in Mathematik." 16)


    Anmerkungen
    1) SÖREN KIERKEGAARD, Entweder / Oder, Gütersloh 1985, Seite 74
    2) G.W.F. HEGEL, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Frankfurt/Main 1986, Seite 13
    3) HERAKLIT, "alles fliesst"
    4) HEINRICH RICKERT, Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft, Stuttgart 1986, Seite 65
    5) G.W.F. HEGEL, System der Philosophie, Leipzig 1923, Seite 425
    6) JOHN NEWMAN, Grammaire de l'assentiment, o.J., Seite 217
    7) AUGUSTINUS ohne Quelle
    8) VIKTOR KRAFT, Weltbegriff und Erkenntnisbegriff, Leipzig 1912, Seite 126
    9) HANS VAIHINGER: Die Philosophie des Als-Ob, Berlin 1911, Seite 401
    10) ANTISTHENES in HANS SVEISTRUP, Stirners drei Egoismen, Freiburg/Br. 1983, Seite 31
    11) WILHELM DILTHEY, Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften, Frankfurt/Main 1981, Seite 349
    12) F.A. LANGE, Geschichte des Materialismus, 2 Bde. Frankfurt/Main 1974 I, Seite 68
    13 WILHELM DILTHEY, Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften, Frankfurt/Main 1981, Seite 152f
    14)
    F.A. LANGE, Geschichte des Materialismus, 2 Bde. Frankfurt/Main 1974 II, Seite 1010
    15) EMILE MEYERSON, Wirklichkeit und Identität, Leipzig 1938, Seite 98
    16) ALDOUS HUXLEY in HELMUT KREUZER (Hrsg), Die zwei Kulturen, München 1987, Seite 170