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FRANZ EULENBURG
Naturgesetze und soziale Gesetze
[Logische Untersuchungen]
[1/4]

"Die Wissenschaften bauen niemals von den Fundamenten auf, sondern beginnen gleichsam in der Luft. Sie suchen von dort aus den Boden zu erreichen, ohne daß es bisher immer gelungen wäre, sichere Grundlagen auch nur für die ältesten Gebiete zu gewinnen. Umgekehrt erhalten vielmehr diese Grundlagen und Fundamente im Laufe der Arbeiten eine sehr wechselnde Gestalt. Es ist dies der fast selbstverständliche Weg, den die Realwissenschaften gegangen sind: zunächst mit der Arbeit selbst zu beginnen und die logischen Fundamentierung erst hinterher zu suchen. Sie ist aber bis jetzt keineswegs überall gelungen, nicht einmal in den sogenannten exakten Wissenschaften."


Einleitung

Im Mittelpunkt des Streites um die Grenzen und den Inhalt der Wissenschaften steht der Begriff des Gesetzes. In ihm gipfeln all die Fragen von Natur- und Geisteswissenschaft, von Kausalität und Teleologie, von Ethos und Logos. Eine Einheit der Anschauungen ist gerade hierin am wenigsten erzielt worden. Gibt es soziale, bzw. historische Gesetze und welches kann deren Bedeutung sein? Oder ist hier tatsächlich der Grenzstein der Wissenschaften? Nach dem Wort KANTs ist "die Natur das Dasein der Dinge, soweit es nach allgemeinen Gesetzen bestimmt wird". Rein dialektisch schien daraus zu folgen, daß das Dasein der Dinge auch betrachtet werden kann, ohne es nach allgemeinen Gesetzen zu bestimmen. Und daraufhin geschah jene Einteilung in Gesetzes- und Wirklichkeitswissenschaften, die sich eben an diesem Begriff scheidet. Aber unabhängig von der Frage, ob denn jene Scheidung und Bestimmung logisch zu Recht besteht und ob damit wirklich ein Kriterium der Wissenschaften gefunden ist: muß überhaupt erst jener Begriff des Gesetzes untersucht werden. Das erscheint auch darum immer wieder von neuem notwendig, weil der vieldeutige Gesetzesbegriff selbst sich wandelt. Eine Schultradition besteht nicht mehr und die Terminologie ist eine schwankende. Vor allem aber sind die Anschauungen selbst im Fluß und bedürfen einer konventionellen Feststellung, weil nur so eine Verständigung zu erzielen ist. In der neueren Zeit werden zudem auch die Grundlagen der Wissenschaften von neuem mit Vorliebe erörtert. Selbst die alten, scheinbar so fest stehenden Disziplinen wie Mathematik und Mechanik, machen davon keine Ausnahme. Vielmehr hat gerade von ihnen aus die Erkenntnistheorie wesentlich neue Ansätze genommen. Es sei an die neuere Logistik (PEANO, PIERCE, FREGE), an den Ordnungs- und Mengenbegriff, die nichteuklidische Geometrie, die Diskussion über Mechanik und Energetik erinnert. Die Wissenschaften bauen ja niemals von den Fundamenten auf, sondern beginnen gleichsam in der Luft. Sie suchen von dort aus den Boden zu erreichen, ohne daß es bisher immer gelungen wäre, sichere Grundlagen auch nur für die ältesten Gebiete zu gewinnen. Umgekehrt erhalten vielmehr diese Grundlagen und Fundamente im Laufe der Arbeiten eine sehr wechselnde Gestalt. Es ist dies der fast selbstverständliche Weg, den die Realwissenschaften gegangen sind: zunächst mit der Arbeit selbst zu beginnen und die logischen Fundamentierung erst hinterher zu suchen. Sie ist aber bis jetzt keineswegs überall gelungen, nicht einmal in den sogenannten "exakten" Wissenschaften.

Unter diesen Umständen wird auch für uns eine Erörterung des Gegenstandes von Neuem nötig. Die Logik, wenn sie Führerin bleiben soll, kann ja niemals mit einem fertigen Urteil an die Erkenntnisprobleme herantreten. Sie muß sich vielmehr an den wissenschaftlichen Forschungen selbst orientieren und die Fühlung mit deren Betrieb aufrecht erhalten. Eine Untersuchung über den Begriff des  sozialen Gesetzes,  auf den es uns ankommt, kann aber nicht vorangehen, ohne sich vorher über den Begriff des Naturgesetzes verständigt zu haben. Es wird noch zu zeigen sein, daß es sich bei ersterem durchaus nicht um eine Übertragung und Nachahmung fremder Anschauungen oder um eine bloße Analogiebildung handelt. Die Fassung von sozialen Gesetzen ist vielmehr aus den eigenen Bedürfnissen dieser Wissenschaften entstanden. Ihre etwaige Ähnlichkeit mit den Naturgesetzen entstammt aus den gleichen logischen Forderungen und Prämissen. Eben darum wird es erwünscht sein, sich von der allgemeinen Fassung des Gesetzesbegriffs in anderen Wissenschaften Rechenschaften zu geben; nur so kann das Gemeinsame und das Abweichende in ihnen erkannt werden. Diese Untersuchung geschieht objektiv für sich, ohne daß damit zu letzten Fragen der Wissenschaft Stellung genommen werden soll. Es sind mit Absicht ganz ametaphysische und ametahistorische Betrachtungen. Sie sind darum unabhängig von den allgemeinen Hypothesen, die man sich etwa über das Wesen der organischen und anorganischen Natur oder über das der sozialen und geschichtlichen Welt macht. Es handelt sich eben auch hier nur um die  Vorfragen  jener Probleme, die sie allerdings mit aufklären helfen sollen. Nur so läßt sich die Tragweite des Begriffs übersehen: können Befürchtungen, die vielleicht zu Unrecht bestehen, vermieden; brauchen andererseits nicht Hoffnungen geweckt zu werden, die unerfüllt bleiben müssen.

Bevor wir aber an die kasuistische [fallbezogene - wp] Auseinandersetzung über den Inhalt und den Erkenntniswert der Naturgesetze treten, scheint eine Untersuchung über die Genesis des Begriffs erwünscht. Das Schicksal des Wortes und die Motivreihen seiner Anwendung geben uns Aufschluß über einige wesentliche Beziehungen zwischen diesem Begriff und der allgemeinen geistigen Verfassung, aus der er erwachsen ist.


I. Die Wurzeln der Begriffe "Gesetz"

Der Begriff knüpft an das  Wort  an und das Wort bildet wieder den Ausgangspunkt mehrfacher Bedeutungen. Jedoch wird man öfters Wesen und Ausdruck auseinanderhalten müssen. Die zugrunde liegende eigentliche Anschauung kann durchaus vorhanden gewesen sein, ohne daß der allgemeine Ausdruck sich schon einbürgert. Der Gesetzesbegriff nimmt allerdings seinen Ausgangspunkt vom staatlichen Leben. Aber er nimmt doch bald eine metaphorische Bedeutung an. Verschiedene Motivreihen vereinen sich dann zu seiner endlichen Festlegung. Man wird so eine vierfache Wurzel unterscheiden dürfen. Wir wollen sie als die statuarische, religiöse, rationalistische und ästhetische auseinanderhalten (1).

1. Der älteste und natürliche Gebrauch des Wortes  nomos, lex,  Gesetz, bezieht sich auf die Satzung des Staates: es ist das "Gesetzte". Dieses  statuarische  Gesetz findet sich früh aufgezeichnet und wird eben dadurch schon äußerlich zum "Gesetz". Es kann sich sowohl auf die staatliche, wie auf die kirchliche Autorität gründen. Ist es im klassischen Altertum die erstere gewesen, so bei den Juden durchaus die zweite. Das "Gesetz Moses" beherrscht die ganzen Vorstellungen des alten und zum Teil auch des neuen Testaments. Es sind autoritative Satzungen, gegen die es ein Auflehnen ungestraft nicht gibt. Das Wesentliche ist die schriftliche Fixierung. Denn den Inhalt und das Wesen beider Arten von Gesetzen, der staatlich-bürgerlichen wie der kirchlich-religiösen hat es lange vor der Aufzeichnung in der Form von Sitten, Bräuchen und Gewohnheiten gegeben. Sie hatten mindestens dieselbe bindende Kraft für den Stamm, Klan und die Volksgemeinschaft, auch wenn sie den Gesetzescharakter entbehrten. Sie galten nicht minder streng, wie wir aus den Rechtsanschauungen der Naturvölker, aus den Weistümern, den historischen Quellen genugsam wissen (2). Aber es fehlte ihnen die scharfe Formulierung, da der mündliche Gebrauch der Natur nach leicht schwankend wird. Dann kommt es eben zum "Gesetz", d. h. zur schriftlichen statuarischen Fixierung. Allerdings findet sich auch im Altertum mit einer leisen metaphorischen Verschiebung ein Hinweis auf solche "ungeschriebene Gesetze", die trotzdem streng gelten. Es sind die  agraphoi nomoi  [geschriebenen Gesetze - wp], die aus der Natur des Menschen fließen und ihn binden auch ohne statuarischen Zwang der Gesetze (3). In Wirklichkeit werden diese ungeschriebenen Gesetze dem Hereinragen von Sitte und Gewohnheit, von Tradition und äußerem Zwang erklärbar, die dem Menschen schließlich als selbstverständlich, als "ungeschriebene" Gesetze erscheinen. Wir können sie als Konventionalregeln bezeichnen, die dem Rechtsgesetz vorangehen, zum Teil ihm aber dauernd koordiniert sind. Diese Art ist die bekannte Stelle aus der  Antigone,  wo "von der Götter ungeschriebenem ewigen Gesetz" gesprochen wird. Denn auch diese Gesetze gelten als von einer Autorität gegeben, gelten als bindend wie das statuarische Gesetz. Diese Art ist die Berufung des SOKRATES im Gefängnis auf die ungeschriebenen Gesetze (4). So ist wohl ferner jene Stelle bei CICERO aufzufassen, wo die "naturae ratio" als "lex divina et humana" bezeichnet wird. Auch das kirchliche Gesetz im Sinne des alten Testaments ist zwar zunächst auf den Tafeln des Bundes eingetragen. Aber es enthält doch mehr als diese Satzungen und umfaßt daneben eine Reihe von stillschweigend anerkannten Regeln und ungeschriebenen Gesetzen, die befolgt werden müssen. Aber mag nun das statuarische Gesetz in der eigentlichen oder mehr in der übertragenen Form auftreten: ein wesentliches Merkmal bleibt, daß beides ein Gesetz des Sollens und des Handelns, ein Verbot oder Gebot darstellt. Davon geht der Begriff ursprünglich aus und dieses Merkmal war so wesentlich, daß gerade deswegen antike Denker Anstand nahmen, das Wort auf ein andersartiges Geschehen anzuwenden. Zumindest finden wir direkt einen entschuldigenden Hinweis, wenn einmal der Begriff im uneigentlichen Sinn auf die Natur Anwendung findet (5). In der Antike ist also der Begriff des Naturgesetzes erst aus dem menschlichen Leben und seinen Bedürfnissen auf die Natur übertragen worden und es hat lange gedauert, bis er sich davon emanzipierte.

2. Für die Folgezeit wurde nun gerade jene  religiöse  Wendung höchst bedeutsam, wonach das Geschehen selbst und seine allgemeine Ordnung nicht Menschensatzung, sondern einem göttlichen Willen entstammen soll. Diese Ausdehnung des Begriffs auf den Naturverlauf findet sich zwar nur ausnahmsweise bei PLATO und ARISTOTELES, die ihn ausschließlich auf die Normen des Handelns beziehen, wohl aber bei THUKYDIDES und vor allem bei den Stoikern. Den Begriff des göttlichen Gesetzes überhaupt, von dem die menschlichen nur ein Ausfluß sind, kannte bereits HERAKLIT (6). Indessen fehlte hier noch der unmittelbare Zusammenhang mit der Natur. Andererseits ist die Erkenntnis von der Notwendigkeit des Naturverlaufs ja ein uralter, wie die antiken Dichter und Naturphilosophen beweisen. Es lag also nicht so fern, beides miteinander zu verbinden. Aber gerade das Wort  nomos  haben EPIKUR und DEMOKRIT nicht, weil sie bewußterweise die Beteiligung der Gottheit an der Weltentwicklung abweisen. Dafür wird bei ihnen und auch sonst als Synonyma der allgemeine Ausdruck der Notwendigkeit (anarche, dike) oder der Weltvernunft (eikos, logos) gebraucht (7). Das willkürliche menschliche Gesetz wird so der Natur der Dinge (nomos und physis) gegenübergestellt. Erst bei den  Stoikern  findet sich dann die Verbindung beider Begriffe. Bei ihnen fällt die Natur mit der Weltvernunft und der Gottheit ihrem inneren Wesen nach zusammen. Seit der Zeit erscheinen die Gesetze, nach denen die Natur sich in Wirklichkeit richtet und nach denen die Menschen sich richten sollen, gleichmäßig als göttliche Gebote. So findet sich auch in einem naturphilosophischen Gedicht des LUKREZ der Ausdruck  leges naturae.  Es ist die Anschauung von einem befehlenden göttlichen Willen, der die Naturordnung geschaffen und damit seine Gesetze zur Ausführung gebracht hat (8). Diese Richtung auf den göttlichen Ursprung der Naturgesetze ist sehr bedeutsam. Denn erst damit erscheint die Naturordnung notwendig und unerschütterlich. Jene sind aber nicht nur ein göttliches Gebot, sondern entsprechen zugleich auch der eigenen menschlichen Vernunft und müssen darum von den Menschen befolgt werden. Daraus ergibt sich nun, daß die Stoiker die Naturgesetze nicht rein als den Ausdruck eines Seienden faßten. Das Prinzip des Geschehens und Seins ist noch nicht von dem des Sollens geschieden. Vielmehr gehen bei ihnen die positive Gesetzgebung durch den göttlichen Willen, das Sittengesetz, das man befolgen muß, und der Verlauf des natürlichen Geschehens noch durchaus konform miteinander und bilden eine untrennbare Einheit. Aber es war doch damit überhaupt zum ersten Mal der Begriff des  Naturgesetzes  gefaßt und die Unabänderlichkeit des Geschehens auf eine höchste Ursache zurückgeführt. Diese antike Anschauung von den Naturgesetzen als Ausfluß des göttlichen Willens traf nun auf einen ganz anderen Kulturkreis, der zu ähnlichen Vorstellungen gelangt war, den jüdisch-christlichen.

Daß der Ablauf der Welt ein gegebener sei, daß die Gesetze, die ihn regieren, göttlich, das heißt unablenkbar und unbeeinflußbar seien und auf einen höchsten Weltenlenker zurückführen: diese Vorstellung geht durch das alte Testament hindurch und wird in den Psalmen wie im Buch  Hiob  wiederholt erwähnt. Hier findet sich direkt der Ausdruck "Gesetz" für den normalen Ablauf des Naturgeschehens. Es ist nun bedeutsam, daß diese Vorstellung des göttlichen Gebotes und der göttlichen Ordnung der Welt durch das ganze Mittelalter hindurch herrschend geblieben ist. Sie hielt freilich davon ab, den Naturverlauf selbst zu erforschen (9). Auf der anderen Seite vertrug sich aber dieser teleologische Charakter einer göttlichen Weltordnung sehr gut mit dem gesetzmäßigen Ablauf des Natur- und Weltprozesses überhaupt. Ja, er forderte diesen geradezu heraus. So sind also die religiösen Vorstellungen ein wesentliches Moment geworden, den gesetzlichen Ablauf des Naturgeschehens anzuerkennen. Gerade darum  weil  hier göttliches Walten als herrschend angenommen wurde, gabe es eine Notwendigkeit in ihm. Diese Anschauung, wenn auch ganz überwuchert durch theologische Betrachtungen, findet sich bei AUGUSTINUS nicht minder wie bei THOMAS von AQUIN. Jedes Ding, lesen wir bei ersterem, hat sein Maß und seine Form, die so sein muß, weil sie so geschaffen ist. (10). Allerdings können diese, weil sie den Gewohnheiten göttlichen Handelns entstammen, wieder durchbrochen werden. THOMAS von AQUIN betrachtet die Naturgesetze als Ausfluß eines göttlichen Willens und göttlicher Vernunft. Die Naturgesetze sind ihm sowohl die natürlichen Wirkungen der Dinge (inclinationes rerum) als auch das göttliche Licht der Vernunft - beide von Gott eingesetzt (11). Es verknüpft sich mit dieser Fassung überall die Vorstellung des Guten und des Sollens. Die Gesetze sind von höchsten Schöpfer überall in der Weise geschaffen, weil sie so gut sind (quidquid est, bonum est). Naturgesetz und göttliche Vernunft, Geschehen und Gebot sind hier so wenig wie bei den Stoikern getrennt. Übrigens verquickt sich noch bei LEIBNIZ beides miteinander. Die Naturgesetze beruhen bei ihm auf einer positiven göttlichen Anordnung, die ihrerseits von Zweckmäßigkeitsgründen abhängt (12). Daher gibt es auch bei ihm Ausnahmen, die Gott selbst durchsetzen kann.

Wichtig wurde nun, daß diese "göttliche Gesetzmäßigkeit" des Geschehens sich von Anfang an nicht nur auf den Naturverlauf bezog, sondern ebenso sehr, wenn nicht noch stärker auf das geschichtliche Leben. Der Gott des alten Bundes ist sehr zum Unterschied von den germanistisch-hellenischen Gottesvorstellungen durchaus ein Gott  der  Geschichte und ein Gott  in der  Geschichte (13). Auch der Ablauf des geschichtlichen Lebens geht nach einem göttlichen Weltplan, d. h. gesetzmäßig, vor sich. Der ganz moderne Gedanke, vor allem der gesetzmäßigen Aufeinanderfolge bestimmter Zeitalter, ist ein früher. Es entspricht dem großen Weltplan des Lenkers, daß auch im Geschichtlichen sich eine innere notwendige Abfolge vollzieht. Diese Geschichtsphilosophie stellt bei AUGUSTINUS, bei OROSIUS, bei THOMAS von AQUIN gewiß einen Teil der Dogmatik dar und ist ganz aprioristisch gehalten. Aber eben damit betont sie das Logische, Notwendige, Gesetzmäßige im Geschichtsverlauf gegenüber dem Zufälligen, Einmaligen. In BOSSUET erreicht diese Auffassung der Geschichte ihre Höhepunkt (14). Gott waltet in der Geschichte; er hat auch die menschlichen Dinge so geordnet, daß sie einen ursächlichen Zusammenhang zeigen. dieser entspricht zugleich dem göttlichen Weltplan, von dem die sekundären Ursachen - Neidungen, Gewohnheiten, Charakter der Völker - ebenfalls abhängen. Freilich kann dieser gesetzmäßige Verlauf durch wunderbare Eingriffe Gottes unterbrochen werden. Aber auch jener, der kausale, natürliche Lauf der menschlichen Dinge ist doch gleichfalls von Gott abhängig.

Wir finden darum in der Folgezeit den Gedanken des gesetzmäßigen Ablaufs der Geschichte sehr oft. Daß die staatliche Entwicklung einen Kreislauf darstellt, das  ritonare da segno  [vom Zeichen an wiederholen - wp] ist eine dem MACHIAVELLI ganz geläufige Anschauung (15). Die Zyklentheorie des geschichtlichen Lebens war bereits bei PLATO ausgebildet, der sie auf die staatliche Verfassungsform anwendet. Sie begegnet uns nicht minder bei CICERO, in der jüngeren Stoa, bei POLYBIUS. Von dort ist sie wohl auf die Neueren, vor allem auf DANTE, auf MACHIAVELLI und VICO übergegangen. Nicht nur die regelmäßige Aufeinanderfolge politischer Ereignisse, sondern auch die Wiederkehr in der nämlichen Reihenfolge nach kürzeren oder längeren Zeiträumen erscheint als eine verbreitete Vorstellung. Es ist dieser Gedankengang hier nicht weiter zu verfolgen (16). Nur das erscheint wiederum bedeutsam, daß in der Auffassung eines gesetzmäßigen Ablaufs der Geschichte die antike Historiographie sich mit der jüdisch-christlichen trifft. Gerade für die Sozialwissenschaft im engeren Sinne ist dieser Zusammenhang wichtig. Denn noch im 18. Jahrhundert ist zumindest in klassisches Werk erschienen, dessen Grundanschauung ganz von religiösen Anschauungen getragen ist, ohne darum seinen wissenschaftlichen Charakter zu verlieren. Es ist JOHANN PETER SÜSSMILCHs (1741) "Die göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts, aus der Geburt, dem Tod und der Fortpflanzung desselben erwiesen". All die Gesetzmäßigkeiten, die der Berliner Feldprediger auf einem induktiv-statistischem Weg aufdeckt und ganz unbefangen darstellt, beruhen nach ihm auf göttlicher Satzung. Gerade darum treten in den menschlichen Handlungen die Regelmäßigkeiten auf, weil sie nur der Ausdruck der göttlichen Ordnung sind. Ein Zusammenhang dieser Anschauung mit der  Prädestinationslehre  liegt nahe und wäre noch zu untersuchen. Die Ausschaltung menschlicher Willkürakte findet im Schöpfer und obersten Regierer ihre Begründung. Erst diese religiösen Vorstellungen erschließen  für die damalige Zeit  überhaupt die Möglichkeit, die menschlichen sozialen Vorgänge als gesetzmäßige zu begreifen.

Allerdings zur wirklichen Konzeption  reiner  Natur- und sozialer Gesetze war der Bruch mit jener teleologischen und theologischen Betrachtungsweise, die Darbietung des rein immanenten Kausalzusammenhangs unerläßlich. Selbst das Altertum hat diesen Schritt im Grunde nicht getan, obwohl es an Ansätzen dazu nicht fehlte. Der Gedanke eines speziellen Naturgesetzes für einzelne Erscheinungen war aber überhaupt noch wenig gefaßt. Es ist bekanntlich neben BACON und den Seinigen, neben HOBBES und LOCKE vor allem die Renaissance der induktiven Naturwissenschaften gewesen, die diesen neuen Betrachtungen zum Sieg verhalfen. Der objektive Gedanke des Naturgesetzes ohne die oberste Instanz des göttlichen Weltenlenkers ist im Altertum wohl in der Medizin und Astronomie aufgegangen, wenn uns auch nur ausnahmsweise die reine Fassung des Begriffs begegnet (17). Auch bei BRUNO findet sich noch die Verquickung des Naturgesetzes mit dem pantheistischen Lebensgefühl verbunden. Es ist vielleicht von Interesse, weiter die Mystiker zu verfolgen, die ebenfalls in ahnender Weise zur Erkenntnis eines gesetzmäßigen Naturverlaufs vordrangen. Das ist hier nicht zu untersuchen. Noch weniger soll die Konzeption und die Weiterbildung der Gesetze im positivistischen Sinn hier aufgezeigt werden, wo es nur darauf ankam, die Wurzeln seines Genesis schärfer zu fassen. Für uns war es wichtig zu betonen, daß aus ganz bestimmten religiösen Vorstellungen des Altertums und in noch höherem Maß des jüdisch-christlichen Mittelalters der Gesetzesbegriff seine Wurzel entnahm. Erst die neue Methode der Induktion hat dann von den starr gewordenen religiösen Vorstellungen befreit. Sie hat von der allgemeinen Anschauung zu festen speziellen Formulierungen geführt. Aber eben diese allgemeine naturphilosophische Anschauung selbst war schlechthin gegeben. In Gedanken eines gesetzmäßigen Verhaltens hatte man sich seit zwei Jahrtausenden gleicherweise eingelebt - mochte es das Naturgeschehen, mochte es das geschichtlich soziale Leben betreffen.

3. Doch ist nicht zu verkennen, daß eine dritte Wurzel für die Erfassung des Gesetzesbegriffs nicht minder bedeutsam wurde. Es sind die Anschauungen des  Naturrechts  (jus naturale), das sich zum guten Teil deckt mit dem Vernunftrecht. Daß mit dem Wesen des Menschen und dessen vernünftigem Denken gewisse Rechte und Pflichten innerlich verknüpft seien, die alle Menschen gleichmäßig treffen: das ist ein Gedanke, der nicht etwa aus den Naturwissenschaften oder von einem Naturgesetz übertragen ist, sondern seine Quelle weit tiefer nimmt. Das "Naturrecht" ist seinerseits ursprünglich stark mit religiösen Vorstellungen von der sittlich-vernünftigen Natur des Menschen verbrämt, die sowohl im Altertum wie während des ganzen Mittelalters wirksam waren (18). Der Ursprung ist jedenfalls bei den vedischen Ariern zu suchen. "rita" bedeutete hier einerseits die Weltorganisation, d. h. den gesetzlichen Ablauf des äußeren Naturgeschehens. Andererseits aber die irdische Naturorganisation in Ehe, Familie, Sittlichkeit, die ebenfalls der Ausfluß des göttlichen Wesens ist (19). Sachlich deckt sich damit das  ratum,  die  ratio  der Römer, die dieses Naturrecht rezipieren. Es bedeutet das Feste, Sicher, Berechnete (20).  Naturalis ratio  ist zunächst nicht das der menschlichen Natur eingepflanzte gemeinsame Rechtsbewußtsein, sondern vielmehr eine allgemeine reale Natur- und Rechtsordnung. Sie stützt sich auf gewisse Naturtriebe und die von ihr hervorgerufenen faktischen Organisation wie Krieg, Ehe, Pflicht gegen die Eltern und Kinder, Selbstschutz und Güterverkehr (21). Mit dieser Grundlage verbindet sich dann der Gedanke einer  sittlichen  Weltordnung, d. h. die Anwendung der Naturordnung auf Ethik und Recht. Sie gipfelt in der Aufstellung der bekannten drei Thesen des natürlichen Rechts, die allgemein verbindlich sind:  neminem laedere, honeste vivere, suum cuique tribuere  [Ehrhaft leben, niemanden schaden, jedem das Seine zukommen lassen - wp]. Die Ausdrücke  lex naturae, lex naturalis  finden sich dabei sehr oft - nicht nur bei den Popularphilosophen (CICERO, SENECA), sondern auch in der römischen Rechtswissenschaft (22). Durch die Erkenntnis der  lex naturalis  wird der Mensch dann zur Übereinstimmung seines Handelns mit diesem Naturgesetz gefüht. Es stellt die höchste Instanz menschlicher Angelegenheiten dar. Diese Rechtsordnung (naturalis ratio) ist damit ein natürliches Stück der ganzen Weltordnung. Sie ist geistig prädestinier und vernunftgemäß begründet. Während des ganzen Mittelalters sind diese Vorstellungen von einem Naturgesetz, das die Menschen gleichmäßig bindet und ihnen von Natur eingepflanzt ist, lebendig geblieben (23). So im Gedanken der Gleichheit vor Gott und seiner Begründung aus der menschlichen Natur. So im Gedanken allgemeiner menschlicher Pflichten, wie etwa AMBROSIUS sie faßt: "lex naturae est quae nos ad omnem stringit humanitatem" [Das Naturgesetz berührt Dinge, mit denen es die ganze Menschheit zu tun hat. - wp]. Den Höhepunkt erreicht dieses naturrechtliche Denken des Mittelalters wieder bei THOMAS von AQUIN. Das Naturgesetz ist den Menschen von Gott eingepflanzt und ein Teil des ewigen Gesetzes ("lex naturalis est participatio legis eternae in rationali creatura"). Das "Gesetz der Natur" findet sich später aber auch im volkstümlichen Denken (24). So heißt es im  Schwabenspiegel:  "das gesetz der natur hat uns geben nit hungern, nit dürsten, nit frieszen". Nach Nürnberger Polizeiordnungen des 15. Jahrhunderts ist es "natürlich aigenschaft, gesetz und ordnung", daß der Mensch lebendig und frei beschaffen ist. Auch LUTHER kennt den Begriff: "Das Gesetz der Natur ist in jedermanns Herz geschrieben". In allen diesen Anwendungen hat es den Sinn von Vernunftgesetz, das mit dem vernünftigen Verhalten der Menschen selbst gegeben ist, ihr Handeln dauernd bestimmt und alle gleicherweise bindet.

Diese Anschauung eines von der Natur (bzw. von Gott) eingepflanzten  Vernunftrechts  mit seinen ganz bestimmten Naturgesetzen, die für den Menschen unverbrüchlich gelten, ist dann auch während der ganzen Folgezeit ein Leitmotiv rechtsphilosophischer Spekulation gewesen. Es sei nur etwa an SPINOZA erinnert: "ipsae naturae leges secundum quas omnia fiunt, hoc est ipsa naturae potentia." [Unter dem Recht der Natur verstehe ich die tatsächlichen Gesetze der Natur oder die Regeln, nach denen alles geschieht, d. h. eben die Macht der Natur. - wp] Die weitere Formulierung geschieht dann durch die Rechtsphilosophen HUGO GROTIUS, die Monarchomachen, BODINUS, JOHANNES ALTHUSIUS, die Jesuitenschule (Marina) u. a. Bei ihnen allen findet sich der Begriff  Naturgesetz  als besonderer Ausdruck des  Vernunft rechts. Die Anschauung geht vollständig auch in das 18. Jahrhundert ein. Dieses steht hierin keineswegs isoliert da, sondern tritt nur eine uralte Erbschaft an und setzt sie in gangbare Münze um. Die Vorstellung, als sei damls etwas Fremdes, Anorganisches geschaffen, ist natürlich zu verwerfen. Allerdings handelt es sich bei diesem Vernunftrecht zum Teil immer auch um Gesetze des Sollens. Aber das vertrug sich ganz gut mit dem Gedanken der Notwendigkeit des Geschehens: denn eben jene moralischen Gebote entsprächen nur der menschlichen Natur und ihren Trieben. So war für HOBBES die Allmacht des Staates zugleich ein Naturgesetz wie ein Moralgebot:  ratio quae est ipsa lex naturae  [die menschliche Vernunft ist ein Naturgesetz - wp] Vernunft- und Naturgesetz werden durchaus identifiziert (25). Auch MONTESQUIEU denkt ähnlich, daß die Gesetze des Sollens zugleich solche des wirklichen Geschehens sind. Sein großes Werk beginnt mit den Worten: "Les lois sont les rapports nécessaires qui dérivent de la nature des choses." [Gesetze sind notwendige Beziehungen aus der Natur der Sache abgeleitet. - wp] Die Vermittlung zwischen beiden Anschauungen bildete der angeborene Selbsterhaltungstrieb, der als natürlicher Ausdruck beider erschien. Er ist Grund und Folge, Ursache und Wirkung zugleich. Gesetze des Seins und Gesetze des Sollens fielen damit tatsachlich zusammen.

Es ist sicher, daß der Gedanke einer "natürlichen Ordnung" der Gesellschaft, wie ihn die Physiokraten faßten, durchaus auf dieses Vernunftrecht zurückgeht. Das Wort  Naturgesetze  im 18. Jahrhundert bezieht sich daher weit mehr auf das Gesetz der Vernunft, als etwa auf naturwissenschaftliche Gesetze. Wie weit umgekehrt die Fassung der letzteren von der Rechtsvorstellung eines ewigen und gleichen Vernunftgesetzes beeinflußt ist, kann hier nicht ausgemacht werden. Der Zusammenhang selbst scheint aber gar nicht von der Hand zu weisen. Auch CHRISTIAN WOLFF gebraucht  lex naturalis  nur im Sinne dieses von Gott verliehenen Vernunftgesetzes (lex naturae est etiam lex divina) (26). Nicht nur QUESNAYs  Ordre naturel,  sondern überhaupt die ganze Rechts- und Staatsphilosophie knüpft immer an  diese  Auffassung an, wenn es von Naturgesetzen spricht. Die Übertragung von naturwissenschaftlichen Gesetzen lag diesem Gedankenkreis durchaus fern. Sehr charakteristisch ist in dieser Beziehung die große Enzyklopädie von DIDEROT und d'ALEMBERT (27). Sie kennt die  lois naturelles  im naturwissenschaftlichen Sinn überhaupt nicht. Zumindest findet sich unter diesem Stichwort kein Artikel. Vielmehr gibt es bei ihr dreierlei Arten von "lois naturelles". Das sind die Religion, d. h. die Vorstellung von einem höchsten Wesen, die Eigenliebe (amour de soi) und das Wohlwollen gegen andere (sociabilité). Ihre Sanktion erhalten diese "Naturgesetze" von einem allgütigen Wesen.

Damit ist also die Meinung, daß die Quelle der "Naturgesetze" in einem sozialwissenschaftlichen Sinn ursprünglich den induktiven und experimentellen Wissenschaften entnommen ist und daß es sich um eine unerlaubte Übertragung fremder Kategorien handelt, endgültig widerlegt. Der Begriff hat eine andere Quelle und ist in einer sehr tiefen Auffassung menschlichen Geschehens verankert. Gewiß vermag die historische Begründung einer Auffassung nichts von ihrem Recht zu nehmen, weil etwa der Ursprung diskreditiert wäre. Ebensowenig kann sie ihr eine besondere Würde verleihen, wenn die Rechtfertigung nicht aus sich selbst gewonnen wird. Aber es trägt doch zur Erkenntnis bei, wenn wir die Wurzeln verfolgen, aus denen der einzelne Begriff seine Existenz herschreibt und zum nicht kleinen Teil dauernd seine Kraft entnimmt.

4. Es bleibt aber noch eine letzte Wurzel nachzuweisen, aus der der Begriff des Naturgesetzes ebenfalls seinen Ursprung herleitet. Es spielt in seiner Fassung zweifellos noch eine ganze Gruppe von Vorstellungen hinein, die wir kurz als die  ästhetischen  bezeichnen können. Symmetrie und Wiederholung, Ähnlichkeit und Kontinuität, überhaupt Ordnung im Mannigfaltigen lösen ästhetische Wirkungen (Lustgefühle) aus. Und diese haben dann auch als Verstandesangelegenheit eine gewisse Befriedigung zur Folge (28). Im Altertum wird der  Kosmos  dem Chaos gegenübergestellt. Kosmos aber bedeutet Ordnung - Symmetrie im Raum, Rhythmus in der Zeit. Das Wort ist erst vom menschlichen Leben, wo es Schmuck, Zierrat, Kunstwerk ausdrückt, auf die Natur und die Welt übertragen worden. Er nimmt dann die Bedeutung von Schönheit überhaupt an, während sich auf der anderen Seite die harmonische Ordnung in der Bewegung der Himmelskörper auf das Weltall als Naturganzes übertrug. Nicht minder aber wurde die staatliche Ordnung als ein Kosmos d. h. als ein Kunstwerk aufgefaßt, in dem die Menschen zu einer einheitlichen Verfassung verbunden werden (29). Auch bei den Römern bedeutet  Mundus  ursprünglich Schmuck und dann erst Ordnung und Welt (30). Die Weltharmonie der Pythagoräer umfaßt von vornherein beides: Naturgesetz und Schönheit, Sphärenharmonie und Ordnung. Sie drückt sich aus in Zahlen und in Gleichungen. Der Inbegriff des Universums umfaßt die Naturgesetze und die darin waltende Ordnung. Auch diese Vorstellungsreihen haben nicht wenig fortgewirkt und zur Fassung des Gesetzesbegriffs beigetragen. Es sei nur weniges angedeutet.

Das Moment der Einfachheit gehörte zweifellos von Anfang an zu den  ästhetischen  Forderungen, die auch in der Weltbetrachtung sich Anerkennung verschafften. So beruhte die lange herrschende Vorstellung von der Kreisbewegung der Erde auf einem aprioristischen ästhetischen Motiv. Noch bei KEPLER hat die Leichtigkeit, Einfachheit und Schönheit für die Formulierung der Naturgesetze den Ausschlag gegeben; KOPERNIKUS und TYCHO de BRAHE galt die kreisförmige Bewegung ebenfalls als die einfachste und ästhetisch schönste. Diese Momente bildeten nachweislich das leitende Motiv bei der Aufsuchung der Regeln zur gedanklichen Konstruktion des Tatsächlichen (31). Das Erwachen des Naturgefühls im Zeitalter der Renaissance, die Freude am Rhythmus und der Schönheit einer gesetzmäßigen Ordnung spielt keine geringe Rolle in der Genesis der Naturgesetze und ihrer speziellen Formulierung. Das Verbindungsglied mochten die Regeln der Dichtkunst, wie die Gesetze und Regeln der Malerei abgeben. Im kühnen Phantasieren BRUNOs findet sich eine Vereinigung von naturwissenschaftlicher und ästhetischer Betrachtung der Welt (32). Das Naturgesetz ist der Ausdruck für beides. Es befriedigt das ästhetische Bedürfnis und umgekehrt führt eine solche Betrachtung der Welt unmittelbar dazu, das Geheimgesetz dieser Ordnung zu finden. Stark hat dieses Moment jedenfalls bei LEIBNIZ mitgewirkt, wie es in der Naturphilosophie SCHELLINGs eine Rolle spielte. Im Zeitalter unserer Klassiker ist vor allem die Naturbetrachtung SCHILLERs ästhetisch orientiert: Nicht nur "bindet die Ordnung frei und leicht und freudig", sondern auch "das Gesetz der Zeiten schreitet stillgemessen in melodischem Gesang" (Eleusisches Fest). Nicht weniger entspringen für GOETHE "die großen ehernen ewigen Gesetze, nach denen wir alle unseres Daseins Kreise vollenden müssen" einer ästhetischen Betrachtung der Welt. Gerade diese Formulierung hat dauernd nicht geringen Einfluß auf den allgemeinen Vorstellungskreis ausgeübt. Vor allem ist ALEXANDER von HUMBOLDTs Kosmos völlig vom Gedanken einer einheitlichen Ordnung des Naturganzen getragen. Der ästhetische Genuß ist der Ausgangspunkt und die Voraussetzung seiner Betrachtung. "Der ästhetische Naturgenuß", sagt er (33), "entspricht aus der Einsicht in die  Ordnung  des Weltalls und das Zusammenwirken der physischen Kräfte." Der äußere Ausdruck für diese Ordnung und dieses Zusammenwirken sind die Naturgesetze. HUMBOLDT betrachtet die vergleichende Erd- und Himmelskunde als "rationale Wissenschaft der Natur" zugleich unter wesentlich ästhetischen Gesichtspunkten: "Es ist die denkende Betrachtung der durch Empirie gegebenen Erscheinungen als eines  Naturganzen."  (34) Es wäre zu verfolgen, wie weit diese ästhetische Betrachtung nicht nur bei der Schaffung der Naturgesetze, bei der es wohl zweifellos so ist, sondern auch bei der Anschauung vom gesetzmäßigen Verlauf des Menschenlebens mitgewirkt hat. Das kann hier noch nicht geschehen. Aber der Zusammenhang des Gesetzesbegriffs dem Wort wie der Sache nach mit diesen Betrachtungen selbst bleibt höchst bedeutsam. (35)

Es mag schließlich noch auf das Zusammentreffen verschiedener Motivreihen und Ursprünge bei einem Naturgesetz hingewiesen werden, das vielleicht das allgemeinste der modernen Naturerkenntnis ist - bei Gesetz von der Erhaltung der Energie. Wie eine historische Analyse seiner verschlungenen Wurzeln zeigt, vereinigten sich die wichtigsten Motive der Naturforschung zu seiner endlichen Konstituierung (36). Die Begründung der modernen Energetik ist daher mit innerer Folgerichtigkeit das gemeinsame Werk der spekulativen Naturphilosophie, des experimentellen Empirikers und des analysierenden Theoretikers geworden. -

Der Sinn der vorangehenden Ausführungen über die Wurzeln der Begriffe und die metaphorische Wandlung des Wortes war der: zu zeigen, wie verschiedenartigen Quellen das Gesetz seinen Ursprung und seine Fassung verdankt. Es entstammt allgemeinen Orientierungen und Anschauungen über den Ablauf des Weltgeschehens und den Zusammenhang der Erscheinungen. Von verschiedenen Standorten führte der Weg dann zur Konzeption desselben Begriffes. Religiöse, naturrechtliche und ästhetische Betrachtungen ließen sich deutlich auseinanderhalten und haben gleichmäßig zur Bildung der Naturgesetze beigetragen. Zumindest die beiden ersteren sind aber auch von stärkstem Einfluß auf den Gedanken einer gesetzmäßigen Betrachtung des geschichtlichen und sozialen Lebens der Menschen gewesen. Diese Anschauungen sind nicht etwas Zufälliges und Nebensächliches, sie beruhen nicht auf Mißverständnissen und Erfindungen Einzelner, sondern sie sind, wie wohl deutlich gezeigt, tief im menschlichen Wesen selbst verankert. Allerdings mußten diese allgemeinen Fassungen des Wortes im Leeren bleiben, solange nicht die induktiven Methoden der direkten Beobachtung und des Vergleichens (bezüglich des Experimentierens), sowie deren theoretische Analyse eine Formulierung von wirklichen Naturgesetzen gestatteten. Erst die positivistische Forschung hat zu ihrer Verwirklichung geführt, hat jenes oft unsichere Ahnen mit realem Inhalt gefüllt. Aber eben dieses Forschen selbst wäre doch ohne jene allgemeine Voraussetzung gar nicht möglich gewesen, die von vornherein Richtschnur und Leitung gaben. Auch die Versuche für das soziale Leben Gesetze des Seins und des Geschehens zu finden sind sonach durchaus nicht aus einer Analogiebildung etwa zu den naturwissenschaftlichen Gesetzen entstanden. Sie verdanken vielmehr ihre Aufstellung denselben Wurzeln und Triebkräften, die zu jenen geführt haben. Bevor sie eine wirkliche Bedeutung für die Erkenntnis erlangten, mußte freilich auch hier erst aus der allgemeinen Forderung eine positivistische Aufgabe werden.

So ist nun der Weg frei, um zur logischen Untersuchung beider Begriffe zu schreiten. Sie können ihre Begründung nur unabhängig von ihrer Genesis aus sich selbst erhalten.
LITERATUR Franz Eulenburg, Naturgesetze und soziale Gesetze, Archiv für Sozialwissenschaft und Politik, Bd. 31, Tübingen 1910
    Anmerkungen
    1) Die nachfolgende Skizze ist nur als ein vorläufiger Versuch zu betrachten, der hoffenlich von anderer Seite bald eine eigene monographische Darstellung finden wird: die Arbeit lohnt durchaus. Von bisherigen Ausführungen kommen in Betracht: WILHELM WUNDT, Philosophische Studien, Bd. 3, Seite 493; F. J. NEUMANN, Wirtschaftliche Gesetze nach früherer und jetziger Auffassung (Jahrbuch für Nationalökonomie und Statistik, III. Folge, Bd. 16 (1898), Seite 1-17, auch für den allgemeinen Begriff des Gesetzes lehrreich); RUDOLF EUCKEN, Geistige Strömungen der Gegenwart (1904), Seite 151-156.
    2) Das Hineintragen von Gewohnheitsrechten bei den Griechen betont gegen EDUARD MEYER RUDOLF HIRZEL, Themis Dike und Verwandtes, (1907), Seite 359f:  logoi  waren ursprünglich die Sitten, die erst allmählich durch eine Rechtsaufzeichnung den strengen Charakter von Geboten und Gesetzen annahmen (HIRZEL, Seite 376-381)
    3) Darüber HIRZEL, Agraphos nomos (Abhandlungen der philologisch-historischen Klasse der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften, Bd. 20, 1900).
    4) EMPEDOKLES bezeichnet als solches ein ungeschriebenes Gesetz das Verbot, lebende Wesen zu töten (vgl. HIRZEL Seite 390).
    5) Über die  physeos nomoi  vgl. HIRZEL, a. a. O., Seite 388f.
    6) Vgl. WINDELBAND, Geschichte der Philosophie, 1900, Seite 40. Vor allem HIRZEL, a. a. O., Seite 392f.
    7) Vgl. WINDELBAND, Geschichte der Philosophie, Seite 148.
    8) Hierzu ZELLER, Über Begriff und Begründung der sittlichen Gesetze (Philosophische und Historische Abhandlungen der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, 1883, Bd. II, Seite 6f); WINDELBAND, a. a. O., Seite 147; PAUL BARTH, Die Stoa, Seite 108f; HIRZEL, a. a. O., Seite 381-411.
    9) AUGUSTINUS, Confessiones X, 55
    10) ÜBERWEG-HEINZE, Grundriß der Geschichte der Philosophie, Bd. II, Seite 133
    11) Zitat nach EISLER, Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Bd. 1, 1910, Seite 424.
    12) ZELLER, a. a. O., Seite 11
    13) RICHARD MAYR, Die philosophische Geschichtsauffassung der Neuzeit, 1877, Seite 4f.
    14) MAYR, a. a. O., Seite 18f
    15) MACHIAVELLI, Discorsi III; MAYR, a. a. O., Seite 60f
    16) Darüber MAYR a. a. O., Seite 46; das verdienstvolle Buch verdiente eine Fortsetzung.
    17) WINDELBAND, a. a. O., Seite 45. - Die naturwissenschaftlichen Kenntnisse und Anschauungen des Mittelalters sind freilich bis jetzt noch wenig erforscht; eine neuere Untersuchung von STRUNZ, Geschichte der Naturwissenschaft im Mittelalter (Stuttgart 1910) bringt für unser Thema nicht viel. - Für BRUNO charakteristisch die Stelle bei EUCKEN (Seite 155): Je skeptischer sich heute die Menschen zur Religion verhalten, desto mehr pflegen sie sich aus dem Naturgesetz einen Fetisch zu bilden.
    18) Die Zurückverfolgung bis in die Wurzeln bei LEIST, Alt-Arisches jus civile, Bd. II, 1896, vor allem Seite 1-80.
    19) Vgl. LEIST, Graeco-italienische Rechtsgeschichte, Jena 1884, Seite 193-199; BEROLZHEIMER, System der Rechts- und Wirtschaftsphilosophie, Bd. II, München 1905, Seite 55f; LEIST, Alt-Arisches jus civile, Bd. I, Seite 456.
    20) Außer LEIST noch SCHRADER, Sprachvergleichung und Urgeschichte (1890), Seite 354; FICK, Vergleichendes Wörterbuch der indogermanischen Sprache, Bd. I, Seite 737, Bd. II, Seite 206. Im Sanskrit bedeutet "rita" soviel wie feste Ordnung, Satzung, göttliches Gesetz, Recht (vgl. BÖTHLING-ROTH, Sanskrit-Wörterbuch, St. Petersburg 1855, Seite 1046. Dazu WALDE, Lateinisches Etymologisches Wörterbuch, 1910, Seite 649.
    21) Dazu LEIST. Graeco-italische Rechtsgeschichte, Seite 664-668.
    22) BEROLZHEIMER, Bd. II, Seite 109. - EISLER, Wörterbuch III, Seite 1163, wo sich unter Rechtsphilosophie" eine Sammlung von Stellen findet. - Dazu LEIST, Alt-Arisches jus civile II, Seite 392f.
    23) Der interessanteste Nachweis des Zusammenhangs jetzt bei FIGGIS, From Gerson to Grotius, London 1908.
    24) Die Stellen nach GRIMMs Deutschen Wörterbuch IV, 1897, Seite 4073. Leider ist der Artikel "Gesetz" in mancher Hinsicht recht dürftig.
    25) Vgl. NEUMANN, a. a. O., Seite 14f, dessen Ausführungen über diesen Punkt sehr zu beachten sind; sonst noch EUCKEN, a. a. O., Seite 157.
    26) Die Stelle bei EISLER III, Seite 1168. - Über QUESNAY vgl. ONCKEN, Geschichte der Nationalökonomie I, Seite 348f.
    27) Encyclopaedie (1765) t. XI, Seite 46-48.
    28) ERNST MACH, Analyse der Empfindungen, Seite 86-88; MACH, Populäre Vorlesungen, 1897, Seite 102. Auf die Wiederholung als ein Prinzip der Ästhetik hingewiesen hat SORET, Sur la perception du beau (1883); SORET, Sur les conditions physiques de la perception du beau (1892).
    29) Hierüber handelt ausführlich HIRZEL, a. a. O., Seite 281f, wo auch die verschiedenen Anwendungen des Ausdrucks  kosmos  vorgeführt werden: es haftet ihnen immer ein Moment des Ästhetischen und Künstlerischen an - sei es in der Anwendung auf Natur, sei es auf die im Staat verbundene Gesellschaft. - Über den Staat als Kunstwerk auch BURCKHARDT, Kultur der Renaissance II, Seite 68; REHM, Geschichte der Staatsrechtswissenschaften, Seite 148f; HIRZEL, a. a. O., Seite 272-275.
    30) Darüber HUMBOLDT, Kosmos I, (Ausgabe von 1845) Seite 62 und 76f.
    31) MACH, Erkenntnis und Irrtum, 1906, Seite 454.
    32) Vgl. CHAMBERLAIN, Immanuel Kant (1909) Seite 319f; RIEHL, Giordano Bruno (1900) Seite 23f.
    33) HUMBOLDT, Kosmos I, Einleitung, Seite 15.
    34) ebd. Seite 31. Umgekehrt besteht nach ihm gerade das Romantische einer Landschaft im "Unregelmäßigen, Bizarren, Phantastischen, ja Unwahrscheinlichen".
    35) Von den Neueren hat vor allem FRIEDRICH RATZEL diesen Zusammenhang betont; vgl. das nachgelassene schöne Werkchen von ihm "Über Naturschilderung" (1904), besonders das 2. und 3. Kapitel, wo er über die verschiedenen Mittel der Naturauffassung spricht.
    36) Diesem Nachweis dient die Schrift von K. E. HAAS, Die Entwicklungsgeschichte des Satzes von der Erhaltung der Kraft, Wien 1909. - Er unterscheidet in einem sehr lehrreichen Stammbaum (Seite 95-97) die dreifache Wurzel des Gesetzes: die Einheitsidee, die Konstanzidee, die Umwandlungidee (vgl. die Zusammenfassung Seite 109).