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AURELIUS AUGUSTINUS
Bekenntnisse
[1/3]

"Und ich und viele Freunde beratschlagten zusammen, und beschlossen fast, verabscheuend das tobende Gewirr des Menschenlebens, entfernt von der Menge in Ruhe zu leben, und in dieser Ruhe das, was wir hätten, zusammenzulegen, und alle nur eine Familie auszumachen, so daß in der Freundschaft Gleichheit nicht dieses diesem und jenes jenem gehörte, sondern daß aus allem Eins würde, und das Ganze dem Einzelnen, und alles allen angehörte. Und es schien uns, daß wir etwa zehn in derselben Gesellschaft sein könnten."


Sechstes Buch

Du meine Hoffnung von meiner Jugend auf! Wo warst du mir, und wohin warst du gewichen? Oder hattest Du mich nicht geschaffen, und mich unterschieden von den vierfüßigen Tieren und vom Gevögel des Himmels? Einen Weiseren hattest du mich geschaffen, und ich wandelte durch Finsternis und schlüpfrige Pfade, und suchte dich außer mir, und fand nicht den Gott meines Herzens. Und ich war gesunken in die Tiefe des Meeres, und hoffnungslos verzweifelte ich, das Wahre zu finden.

Nun war zu mir die Mutter gekommen, stark in Gottesfurcht, mir folgend zu Land und zu Wasser und in aller Gefahr dir vertrauend. Denn auch in des Meeres Fährlichkeiten tröstete sie die Schiffer selbst, (wovon unerfahrene Bereiser der Tiefe sonst in ihrer Verwirrung pflegen getröstet zu werden) und versprach ihnen unverletzte Überkunft, weil Du ihr dies in einem Gesicht versprochen hattest. Und sie fand mich in großer Gefahr, verzweifelnd an Erkundung der Wahrheit. Aber dennoch, als ich ihr gesagt hatte, jetzt wär ich zwar nicht Manichäer, aber auch nicht katholischer Christ, brach sie nicht, als hörte sie etwas Unerwartetes, in lautes Frohlocken aus, obwohl sie nun beruhigt war über jenen Teil meines Elends, weshalb sie über mich als einen Toten um Erweckung zu dir weint, und mich darbrachte auf der Bahre ihrer Gedanken, auf daß du sprächest zum Sohn der Wittwe: Jüngling! ich sage dir, steh auf! - und er auflebte und zu reden begänne, und du ihn seiner Mutter zurückgäbest. Nicht also in tobendes Frohlocken brach ihr Herz aus, als sie hörte, daß schon so viel von dem geschehen wäre, weshalb sie täglich zu dir flehte, - daß ich nämlich zwar noch nicht zur Wahrheit gelangt, doch der Falschheit entrissen wäre. Sondern weil sie überzeugt war, du würdest auch das Übrige verleihen, da du das Ganze versprochen hattest, antwortete sie mir sanftmütig aus vertrauensvollem Busen, sie glaubte zu CHRISTUS, daß sie, ehe sie aus diesem Leben wanderte, mich als einen katholischen Gläubigen erblicken würde.

Dieses mir: Dir aber, Quell der Erbarmungen, häufigere Bitten und Tränen, auf daß du deine Hilfe beschleunigst und erleuchtest meine Finsternis. Und sie ging unablässig zur Kirche und hing am Mund des AMBROSIUS, schöpfend aus dem Born des springenden Wassers fürs ewige Leben. Sie liebte aber diesen Mann wie einen Engel Gottes, weil sie erkannte, daß ich durch ihn bereits zu jenem unsteten Gewoge geführt war, worin sie meinen Übergang von Krankheit zur Gesundheit während steigender Gefahr, wie in jenem verschlimmerten Zustand, den die Ärzte Krisis nennen, erwartete.

Da sie also zu den Gedächtnisstellen der Heiligen, wie es in Afrika gebräuchlich war, Mus und Brot und Wein hinbrachte und vom Türhüter zurückgewiesen wurde, so nahm sie dies, als sie erfuhr, der Bischof hätte es verboten, mit solcher Frömmigkeit und mit einem solchen Gehorsam auf, daß ich mich selbst wunderte, wie sie so willig vielmehr alsbald ihre Gewohnheit verdammte, als nach dem Grund des Verbotes forschte. Denn nicht Weinbegier trieb sie, noch reizte sie Liebe des Weins zum Haß des Wahren, wie viele Männer und Weiber, welche Ermahnungen zur Nüchternheit anekeln, wie Berauschte wassergemischter Trank. Sondern wann sie einen Korb mit den zuvorzukostenden und darauf zu verteilenden Opferspeise herbeigebracht hatte, nahm sie um etwas zum Ehrenkosten zu haben, nur ein einziges für ihren nüchternen Gaumen gemischtes Becherchen; und wann viele auf solche Art zu ehrende Gedächtnisse Verstorbener vorhanden waren, so trug sie dieses einzige mit umher, um sich des nämlichen allenthalben zu bedienen, und teilte diesen nicht nur sehr mit Wasser gemischten, sondern auch sehr laulichten Wein mit anderen Anwesenden zu kleinen Teilchen: den Frömmigkeit suchte sie dort, nicht sinnlichen Genuß. Da sie also erfuhr, daß dies von dem trefflichen Prediger und Vorsteher der Frömmigkeit (dem Bischof) verboten war, selbst denen, die es nüchtern verrichteten, damit Trunkenbolden nicht Gelegenheit zum Rausch gegeben wird und weil derlei ganz wie Totenopfer im Geist des heidnischen Aberglaubens wäre; so enthielt sie sich sehr gerne davon, und lernte bald statt des Korbes voll irdischer Früchte einen Busen voll reinerer Gesinnungen den Gedächtnissen der Märtyrer darbringen, auf daß sie, wie viel sie vermöchte, den Dürftigen gäbe, und so die Teilnehmung an des Herrn Leib gefeiert würde, durch dessen Leidens Nachfolge die Märtyrer hingeopfert wurden und gekrönt. Aber dennoch scheint mir, Herr mein Gott, und so glaubt mein Herz hiervon in deinem Angesicht, meine Mutter wäre wohl nicht so leicht von dieser Gewohnheit abgestanden, hätte ein anderer sie verboten, den sie nicht wie AMBROSIUS liebte, so wie er auch sei, wegen ihrer so gottesfürchtigen Gesinnungen, womit sie, glühend im Geiste für gute Werke, die Kirche besuchte. Oft, wann er mich sah, brach er aus in ihr Lob, und wünschte mir Glück, daß ich eine solche Mutter hätte, ohne zu wissen, welchen Sohn sie, der da zweifelte an all dem und auf keine Weise glaubte, des Lebens Glück könnte gefunden werden.

Und ich erseufzte noch nicht im Gebet, daß du mir zu Hilfe kämest; sondern gespannt zum Forschen und unruhvoll im Untersuchen war mein Geist. Und in AMBROSIUS selbst sah ich einen für die Welt glücklichen Mann, da ihn so viele Gewaltige ehrten: nur seine Ehelosigkeit schien mir beschwerlich. Welche Hoffnungen aber er hegte, und wie er gegen die Versuchungen eigener Vortrefflichkeit zu ringen, und welchen Trost er hatte in Widerwärtigkeit, und welcher Mund in seinem Herzen war, womit er die schmackhaften Freuden seines Brotes genoß, wußte ich nicht, und hatte es nicht erfahren: auch Er kannt meine Bedrängnis nicht, noch die Grube meiner Gefahr. Denn nicht erfragen von ihm, was ich wollte, konnte ich, und wie ich es wollte, indem Scharen geschäftiger Menschen, deren Schwächen er aufzuhelfen strebte, mich von seinem Ohr und Mund ausschlossen: und währed der kurzen Zeit, daß er nicht unter diesen war, erquickte er den Leib mit nötigem Unterhalt, oder mit Lesen den Geist. Doch wenn er las, gingen die Augen über das Blatt, und das Herz forschte den Sinn: Stimme aber und Zunge redeten. Oft, wenn wir bei ihm waren, (denn keinem war es verboten, hineinzukommen; und den Kommenden anzumelden war nicht Sitte) sahen wir ihn so schweigend lesen, und nie anders. Wir saßen dann in tiefer Stille, (denn wer wagte es, eine solche Aufmerksamkeit zu stören?) und gingen hinweg; und wir mutmaßten, er wollte während der wenigen Zeit, die er zur Erholung seines Geistes gewann, ermüdet vom Geräusch fremder Angelegenheiten, nicht auf etwas anderes gewandt sein; oder vielleicht verhüten, daß, wenn der Schriftsteller, den er laut läse, sich etwa dunkel ausdrückte, er nicht genötigt wäre, dies dem achtsamen Zuhörer zu erklären, oder deshalb über andere schwere Fragen zu reden, und durch eine solche Verwendung der Zeit wenigere Schriften durchzulesen, als er wollte, - obwohl auch die Erhaltung seiner Stimme, die sehr leicht erstumpfte, gerechte Ursache seines stillen Lesens sein konnte. Aus welcher Absicht er es auch tat, sicher tat der Mann es aus einer guten.

Doch gewiß, ich hatte keine Gelegenheit, das, was ich wünschte, von diesem deinem so heiligen Orakel, seinem Herzen, zu erforschen, außer wenn etwas kurz gefaßt werden konnte. Denn viele Muße war not, um meine Bedrängnis vor ihm auszuschütten; und die fand ich nicht. An jedem Tag des Herrn hörte ich ihn abhandeln vor dem Volk das Wort der Wahrheit; und mehr und mehr wurde es mir bestätigkt, daß all die Knoten listiger Verleumdung, die jene unsere Betrüger gegen die göttlichen Bücher schürzten, aufgelöst werden könnten.

Da ich aber erfuhr, wie jenes, daß nach deinem Ebenbild der Mensch von dir geschaffen wäre, deine Söhne im Geiste, die du aus der katholischen Mutter durch deine Gnade wiedergeboren werden ließest, nicht so verständen, als wenn sie durch diese Menschenform dich umgrenzt glaubten und sich vorstellten; so errötete ich, (obschon ich von der Beschaffenheit einer geistigen Substanz nicht das Geringste, nicht das Entfernteste einmal ahnte) voll Freude, daß ich so viele Jahre lang nicht gegen den kathologischen Glauben, sondern gegen die Dichtungen sinnlicher Vorstellungsweise gebellt hatte. Darin nämlich war ich verwegen gewesen und gottlos, daß ich jenes, was ich durch Forschen zuerst hätte kennenlernen sollen, als verdammlich gescholten hatte. Denn Du, Höchster und Mächtigster, Verborgenster und Gegenwärtigster, dem nicht einige Glieder größer sind und andere kleiner, sondern der du allenthalben ganz, und von keinem Raum umschlossen bist! Du bist freilich jene Körperform nincht: dennoch schufst du den Menschen nach deinem Ebenbild, und siehe! vom Kopf bis zu den Füßen umschließt Raum ihn.

Da ich daher nicht wußte, wie dieses dein Bild bestand, und nun eifrig forschte, wie man darüber glauben sollte, nicht mehr aber mit Spott den Vorwurf machte, als glaubte man es so, wie ich es vorher wähnte; so nagte jetzt umso heftiger an meinem Innersten die Sorge, was ich als gewiß annehmen sollte, je mehr ich mich schämte, getäuscht und betrogen durch die Verheißungen der Sicherheit, mit kindischer Unbesonnenheit und Mutwillen so vieles unsichere als sicheres geschwätzt zu haben. Denn daß es falsch war, wurde mir hernach klar. Sicher dennoch war es, daß es unsicher war, und von mir einst für sicher gehalten wurde, da ich durch blinde Beschuldigungen deinen katholischen Glauben anklagte, den ich zwar noch nicht als wahrheitlehrend erkannt hatte, der aber auch das nicht lehrte, weshalb ich ihn anklagte. Darum schämte ich mich, und wandte meinen Sinn und freute mich, mein Gott, daß deine einzige Kirche, der Körper deines Eingeborenen, worin mir Kind schon der Namen  Christus  vertraut wurde, nicht kindischen Possen anhing, auch dies nicht in ihrer gesunden Lehre hatte, daß sie Dich, Schöpfer Aller, in einen Raum, obwohl den größten und weitesten, doch ringsbegrenzten, unter menschlicher Glieder Gestalt einengte.

Und ich freute mich auch, daß mir die alten Schriften des Gesetzes nicht mehr mit jenem Auge zu lesen dargelegt wurden, wobei sie zuvor ungereimt mir erschienen, und ich deine Heiligen beschuldigte, als wenn sie so dächten: wirklich aber dachten sie nicht so. Und froh hörte ich es, wenn AMBROSIUS oft in seinen Reden sagte zum Volk, und auf das dringendste als Regel empfahl: Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig! Was nach dem Buchstaben Verkehrtheit zu sein schien, enthüllte er vom geheimnisvollen Schleier und erklärte es nach dem Geist und sagte nichts, was mir anstößig, obwohl er solches sagte, von dessen Wahrheit ich noch nicht überzeugt war. Denn ich hielt mein Herz zurück vor allem Beifall, irre zu gehen fürchtend: und mich brachte das Hinschwanken noch mehr in Irre. Denn ich wollte dessen, was ich nicht sah, so gewiß werden, wie ich gewiß war, daß drei und sieben zehn sind. Denn so unsinnig war ich nicht, zu glauben, auch dies könnte nicht einmal begriffen werden: aber deutlich wie dies wollte ich auch das Übrige begreifen, sei es etwas Körperliches, das meinen Sinnen nicht gegenwärtig wäre oder etwas Geistiges, worüber ich anderes als Körperliches zu denken nicht vermochte. Und ich war geheilt, sobald ich glaubte, und gereinigt die Schärfe meines Geistes gerichtet wurde auf deine immerbleibende nirgendermangelnde Wahrheit. Aber wie es zu geschehen pflegt, daß man nach einem schlechten Arzt sich scheut, einem guten sich anzuvertrauen, so war es mit der Krankheit meiner Seele, die nicht anders als durch Glauben geheilt werden konnte, und, um nicht falsch zu glauben, die Heilung ausschlug, und deinen Händen widerstand, der du die Arznei des Glaubens bereitet und sie ausgegossen über die Krankheiten der Erde und ihr so große Kraft verliehen hast.

Aber auch so schon schien mir die katholische Lehre vorzüglich; und ich fand, daß sie bescheidener und völlig arglos verlangte, das zu glauben, was nicht bewiesen wurde (sei es unbeweisbar in Rücksicht des Objekts oder Subjekts), wogegen bei jenem durch kecke Versprechungen der Kenntnis die Leichtgläubigkeit betrogen, und darauf manches äußerst märchenhafte und ungereimte ihrem Glauben aufgedrungen wird. Darauf überzeugtest du mich allmählich, o Herr, mit sanfter erbarmender Hand mein Herz rührend und bereitend, - da ich überdachte, wie unzählbares ich glaubte, was ich nicht sah, noch bei dessen Ausübung ich zugegen war, so manches in der Völker Geschichte, so manches von Stellen und Städten, was ich nicht sah, so manches den Fremden, so manches den Ärzten, so manches diesem und jenem Menschen, wo wir glauben müßten, oder zu jedem Geschäft in diesem Leben unfähig wären; endlich wie unerschütterlich ich an die Eltern glaubte, von denen ich gezeugt war, was ich nicht wissen konnte, ohne es von anderen zu hören: - daß nicht die, so deinen Büchern glauben, welche du unter fast allen Völkern in so großem Ansehen begründet hast, sondern jene, die ihn nicht glauben, der Schuld zu zeihen wären, und daß ich es nicht achten müßte, wann man mir etwa sagte: Woher weißt du, daß jene Bücher von des einzigen wahren und wahrhaftigen Gottes Geiste dem Menschengeschlecht verkündet sind? Und dies mußte ich vorzüglich glauben, weil ja alle die verfänglichen Streitfragen, nebst so vielem, was ich von sich widersprechenden Philosophen gelesen hatte, mich nicht dahin bringen konnten, je zu glauben, daß Du nicht wärst, obwohl ich, was du wärst, nicht wußte; oder daß die Leitung menschlicher Angelegenheiten dir nicht angehörte: zwar glaubte ich dies zuweilen stärker, zuweilen schwächer; dennoch glaubte ich es immer, daß du wärst und unsere Sorgen trägst, obwohl ich weder wußte, wie man deine Substanz sich denken sollte, noch welcher Weg zu dir und zu dir zurückführt.

Da wir also selbst zu schwach waren, die echte Wahrheit zu finden, und uns dazu vertrauen auf die heiligen Schriften not war; so begann ich nun zu glauben, du würdest auf keine Weise diesen Schriften bereits rings auf der Erde so viel Ansehen verliehen haben, wolltest du nicht, daß wir durch sie an dich glauben, und durch sie dich suchen sollten. Denn das, war mir in ihnen als Ungereimtheit anstößig zu scheinen pflegte, schrieb ich, nachdem ich vieles sehr wahrscheinlich erklären gehört hatte, der Erhabenheit der Geheimnisse zu: und umso verehrenswerter, und des heiligen Glaubens würdiger erschien mir jenes Ansehen, da die Schriften jedem lesbar sind, aber dennoch die Würde ihrer Geheimnisse in tieferem Verstand bewahren, in den klarsten Worten und in der einfachsten Redensweise allen sich darbietend, und die Geistesanstrengung derer übend, die nicht leichtsinnigen Herzens sind, auf daß sie alle aufnähmen in ihren menschenfreundlichen Busen, aber wenige zur dir hinüberführten auf engen Wegen, deren Zahl dennoch noch geringer wäre, wenn die Schriften nicht mit solchem Ansehen hervorleuchteten, und die Völker nicht an sich zögen in den Schoß heiliger Demut.

So dachte ich, und du warst bei mir; ich seufzte, und du hörtest mich; ich wankte, und du leitetest mich; ich ging auf der Welt breitem Weg, und du verließest mich nicht! ich trachtete nach Ehre, Gewinn, Ehe, und du lachtest meiner. Ich erduldete in diesen Begierden die bittersten Beschwerden, und desto gnädiger warst du mir, je weniger du mir süß werden ließest, was nicht Du warst. Siehe mein Herz, o Herr, der du wolltest, daß ich mich dieser Dinge erinnern und sie dir bekennen sollte! Nun hängt meine Seele an dir, die dur aus den Schlingen des Todes befreitest. Wie elend sie war! Und du ließest das Gefühl ihrer Wunde stechend werden, daß sie alles verließ und kehrte zu dir, der du über allem bist, und ohne den alles nichts wäre, - daß sie kehrte und geheilt würde. Wie elend war ich also! Und wie fügtest du es so heilsam, daß ich mein Elend fühlte an jenem Tag, da ich mich bereitete zum Lob des Imperators zu sprechen, vieles dabei zu lügen und den Beifall selbst derer zu erwerben, die es als Lügen erkannten. Derlei Sorgen atmete mein Herz, und es brannte im Fieber verzehrender Gedanken, als ich durch eine Gasse Mailands ging, und einen armen, wie ich glaube, betrunkenen Bettler bemerkte, der lustig und freudig war. Und ich seufzte und sprach mit den Freunden, die bei mir waren, von den vielen Mühseligkeiten unserer Torheit, indem wir mit allen solchen unseren Entwürfen, denen ich jetzt nachging, unter dem Stachel der Begierden schleppend die Last meiner immer sich mehrenden Unglückseligkeit, nichts anderes wollten, als zum sicheren Wohlsein gelangen, worin uns, die wir vielleicht nie dazu gelangten, dieser Bettler schon zuvorgekommen wäre. Denn was jener mit wenigen und erbettelten Pfennigen erreicht hatte, danach strebte ich auf so mühseligen Krümmungen, nach dem Wohlsein nämlich zeitlicher Glückseligkeit. Denn wahre Freude hatte er nicht: ich aber suchte mit meiner Ehrfurcht eine weit falschere. Und gewiß war jener lustig, ich änstlich; sicher er, ich zitternd. Und früge mich jemand, ob ich lieber froh sein oder fürchten möchte? Dann antwortete ich: froh sein. Und wiederum, früge er, ob ich lieber ein solcher sein möchte, wie jener oder ein solcher, wie Ich damals war? So wählte ich mich selbst, umdrängt von Sorgen und Angst. Aus Verkehrtheit, nicht Wahrheit! Denn deshalb durfte ich nicht mich ihm vorziehen, weil ich gelehrter war, indem mir das keine Freude schaffte: sondern gefallen wollte ich nur damit den Menschen; nicht dadurch sie belehren, nur gefallen. Deshalb auch zerschlugst du mit dem Stab der Zucht meine Gebeine.

Drum hinweg von meiner Seele, die da sagen: ein Unterschied ist, weshalb man sich freut: Jener Bettler freute sich des Weintrinkens; du wünschtest der Ehre dich zu freuen! Welcher Ehre, Herr? Der, die nicht in dir ist. Denn wie jenes nicht wahre Freude ist, so war dies nicht wahre Ehre, und verkehrte nur mehr meinen Geist. Jener verdaute seinen Rausch wieder in derselben Nacht: ich aber war mit dem meinen schlafen gegangen, und wieder mit ihm aufgestanden, und ging noch so schlafen, und stand noch so auf, siehe wie viele Tage noch! Ein Unterschied aber ist, weshalb man sich freut: das weiß ich, und die Freude gläubiger Hoffnung ist unvergleichbar anders, als jene Eitelkeit: aber auch damals war ein Unterschied zwischen uns. Jener nämlich war glücklicher, nicht nur weil Freudigkeit ihn durchdrang, während Sorgen mich zerfleischten; sondern auch, weil er Wein sich erworben hatte durch seine guten Wünsche, ich aber des Stolzes Befriedigung durch Lügen suchte. - Vieles dieser Art sprach ich zu meinen Freunden, und merkte oft darauf, wie mir dabei wäre, und ich fand, mir wäre übel, und das schmerzte mich, und ich verdoppelte so das Übel. Und lächelte mir ein glücklicher Zufall, so verdroß es mich, ihn zu ergreifen, weil er fast verschwand, eh ich ihn festhielt.

Oft klagen wir Freunde zusammen über dies und vorzüglich redete ich davon vertraut mit  Alypius  und  Nebridius , deren erster mein Landsmann war, von den Vornehmsten unserer Stadt, und jünger als ich, denn er hatte meine Vorlesungen gehört, sowohl, da ich in jener meiner Geburtsstadt, als da ich zu Karthago lehrte. Und er liebte mich sehr, weil ich ihm gut und gelehrt schien, und ich ihn, wegen seiner großen Anlage zur Tugend, die schon bei seinem nicht großen Alter hervorleuchtete. Der Wirbel aber der Sitten zu Karthago, wo man auf Gaukelspiele so erpicht ist, hatte ihn in die Torheit der Zirkusspiele gerissen. Und da dies ihn elend herumtrieb, ich aber dort die Redekunst in öffentlicher Schule lehrte, hörte er mich noch nicht, wegen einer zwischen mir und seinem Vater entstandenen Feindschaft. Und ich erfuhr, daß er den Zirkus so zu seinem Verderben liebte; und heftig schmerzte es mich, daß ich einen solchen hoffnungsvollen Jüngling verlieren sollte, oder wohl gar verloren hätte. Doch ihn zu ermahnen, oder auf irgendeine Art mit Strenge zurechtzuweisen, war keine Gelegenheit, weder dem Recht des Lehrers, noch dem Wohlwollen der Freundschaft: denn ich glaubte, er dächte von mir, wie sein Vater; aber so war er nicht. Er begann, ohne auf seines Vaters willen zu achten, mich zu grüßen, kam in meine Schule, hörte etwas und ging wieder weg.

Nun aber war es meinem Gedächtnis entfallen, mit ihm zu reden, auf daß er so vortreffliche Anlagen nicht verderben läßt in eitler Spiele blinder schändlicher Lust. Doch Du, Herr, der dur über alles waltest, was du erschufst, vergaßest desjenigen nicht, der unter deinen Kindern ein Vorsteher deiner Geheimnisse (Bischof) werden sollte; und damit seine Besserung als Dein Werk erkannt würde, bewirkest du sie zwar durch mich, aber ohne daß ich es wußte. Denn eines Tages, als ich an gewöhnlicher Stelle saß, und gegenwärtig meine Schüler waren, kam er, grüßte, saß und achtete auf das, was abgehandelt wurde. Und zufällig fand sich in der Vorlesung, die ich eben in Händen hatte, schicklicher Anlaß, ein Gleichnis von den Zirkusspielen zu nehmen, damit das, was ich vortrug, angenehmer zugleich und deutlicher würde, wobei ich mit beißendem Spott sprach von jenen, die diese Torheit verstrickt hatte. Du weißt, unser Gott, daß ich damals nicht daran dachte,  Alypius  von dieser Verderbnis zu heilen. Dieser aber bezog es auf sich, und glaubte, ich hätte jenes nur um seinetwillen gesagt. Und was ein anderer aufnähme, um mir zu zürnen, das nahm der edle Jüngling auf, um wider sich zu zürnen, und mich desto inniger zu lieben. Denn du hattest vormals schon gesagt, und in deine Schriften gesetzt: Strafe den Weisen, und er wird dich lieben.

Ich aber hatte ihn jetzt nicht gestraft. Du aber bedienst dich aller, der Wissenden und Unwissenden nach deiner Ordnung, und diese Ordnung ist gerecht. Aus meinem Herzen und meiner Zunge machtest du glühende Kohlen, womit du den hinschwindenden Geist des hoffnungsvollen Jünglings branntest und heiltest. Der verschweige dein Lob, der deine Erbarmungen nicht erkenn: Ich bekenne sie aus dem Innersten meines Herzens. Denn jener riß sich hervor nach jenen Worten aus so tiefer Grube, die ihn nach seinem Willen verschlang und in elender Luft blendete; und mit Kraft reinigte er seinen Sinn, und aller Unflat der Zirkusspiele fiel ab von ihm, und er kam dort nicht wieder. Darauf brachte er den widerstrebenden Vater dahin, daß ich sein Lehrer würde. Jener gab nach und gab es zu. Und er begann von Neuem, mich zu hören und wurde mit mir in einen Irrglauben verwickelt, liebend an den Manichäern den öffentlichen Schein der Enthaltsamkeit, die er für wahr und aufrichtig hielt! aber sie war trügend und verführerisch, bestrickend köstliche Seelen, die der Tugend erhabene Gründung nicht zu durchschauen wissen, und leicht durch die Außenseite getäuscht werden, durch die Außenseite nachgeahmter erheuchelter Tugend.

Auch verließ er den irdischen Weg nicht, den die Eltern ihm vorgepriesen hatten, und ging nach Rom voraus, um das Recht zu erlernen; und hier riß ihn unbegreifliche Lust an Fechterspielen auf sonderbare Art dahin. Denn ihn, welcher vor derlei Ekel empfand und Abscheu, führten einige seiner Freunde und Mitschüler, denen er, als sie vom Mittagsmahl kamen, begegnete, mit freundschaftlicher Gewalt, so sehr er sich sträubte, ins Amphitheater am Tag eines solchen grausamen mörderischen Spiels. Er sprach: Wenn ihr meinen Leib nach jener Stelle schleppt, und ihn dort hinstellt, könnt ihr alsdann auch meinen Geist und meine Augen auf das Schauspiel wenden? Abwesend werde ich da sein, und so euch und dem Schauspiel trotzen. - Jene hörtens und führten ihn nichtsdestoweniger mit sich fort, auch vielleicht schon darauf neugierig, ob er seinen Vorsatz ausführen könnte. Als sie ankamen, mieteten sie Plätze, so gut sie es vermochten; und rings glühte alles in blutdürstiger Lust. Jener aber schloß die Pforten seiner Augen und verbot seinem Geist, Teil zu nehmen an solchem Bösen. Doch ach! hätte er nur auch die Ohren verstopft! Denn als einer der Kämpfer stürzte und unendliches Geschrei des Volkes erscholl, überwand der Vorwitz ihn und gleichsam bereit, was er auch sähe zu verachten und ihm zu trotzen, öffnete er die Augen: und eine größere Wunde empfing er in seiner Seele, als jener, den er zu sehen wünschte in seinem Leib, und elender stürzte er dahin, als jener, bei dessen Fall das Geschrei entstand, was in seine Ohren drang, und seine Augen aufschloß, damit geschlagen würde und niedergeworfen sein Geist, mehr verwegen als stark und desto schwächer, je mehr er sich zutraute, was nur Du verleihen konntes. Denn sobald er das Blut sah, trank er Grausamkeit ein, und der wandte sich nicht hinweg, sondern heftete den Blick hin, sog Mordliebe und wußte es nicht; und ergötzte sich am Laster des Wettkampfs und berauschte sich in blutiger Wollust. Und er war nicht mehr, der gekommen, sondern der Menge einer, zu der er gekommen war, wirklich denen gleich, die ihn herführten. Kurz: er sah, schrie, entrannte, trug mit sich hinweg die Torheit, die ihn reizte, wieder hinzugehen, nicht allein mit jenen, die zuerst ihn hinzogen, sondern auch eher als sie und wieder andere mitziehend. Und dennoch errettetest du ihne davon mit starker erbarmender Hand, und lehrtest ihn, nicht sich, sondern dir vertrauen: doch erst lang hernach.

Diese Geschichte wurde niedergelegt in seinem Gedächtnis als Arznei für die Zukunft. Denn auch jenes, daß du ihn, als er mich hörte zu Karthago, und Mittags im Forum übersann, was er herzusagen hatte, wie sich Schüler zu üben pflegen, von den Hütern des Forum als Dieb ergreifen ließest, hast du, unser Gott, wie ich glaube, aus keiner anderen Ursache zugelassen, als daß er, ein so großer Mann in der Zukunft, schon zu lernen begänne, wie nicht leicht der Mensch den Menschen verdammen müßte mit verwegener Leichtgläubigkeit. Er wandelte nämlich vor dem Tribunal einsam mit Tafel und Griffel und siehe! ein Jüngling aus der Schüler Zahl, der wirkliche Dieb, heimlich versehen mit einer Axt, trat, ohne daß jener es sah, zu den Bleigittern, die an der Wechslerstätte sich befinden und begann, das Blei abzuhauen. Die Wechsler innerhalb hörten den Schall der Axt, wurden aufmerksam und sandten hin, zu ergreifen, wen man nur irgendwie fände. Er aber hörte kommen, ließ sein Werkzeug zurück und ging davon, fürchtend, ertappt zu werden.  Alypius  aber, der ihn nicht hinein-, - doch jetzt herausgehen und schnell hinwegeilen sah, wünschte die Ursache zu wissen, ging hinein, und stand und betrachtete voll Verwunderung das gefundene Beil und siehe! jene, die ausgesandt waren, fanden ihn allein mit dem Eisen in der Hand, von dessen Schall gereizt sie herkamen. Sie ergriffen, zogen ihn fort und die versammelten Marktbewohner wünschten ihnen Glück zur Ertappung des offenbaren Diebes; und dann wurde er hinweggeführt, dem Richter vorgestellt zu werden. Doch dies war Lehre genug für ihn. Denn schnell kamst du der Unschuld zu Hilfe, deren einziger Zeuge du warst. Denn da er zur Haft oder Strafe geführt wurde, kam ihnen eine Baumeister entgegen, der vorzüglich Aufsicht hatte über die öffentlichen Arbeiten. Jene freuten sich besonders, ihm begegnet zu sein, indem er auf sie wegen der vom Markt gestohlenen Sachen Verdacht hatte, damit er doch endlich sähe, von wem solches geschieht. Nun aber hatte der Mann oft den  Alypius  im Haus eines Senators gesehen, den er manchmal besuchte. Er faßte den Schnellerkannten bei der Hand und führte ihn aus der Menge: und, fragend nach der Ursache dieses schlimmen Handels, erfuhr er, was vorgefallen war, und hieß dann alles das tobende und dräuende Volk mit ihm gehen. Und sie kamen zum Haus jenes Jünglings, der den Diebstahl begangen hatte. Ein Knabe aber stand vor der Türe, der noch so klein war, daß er ohne Furcht vor seinem Herrn alles leicht entdecken konnte, indem er nämlich auf dem Markt hinter ihm gegangen war. Dessen sich erinnernd sagte es  Alypius  dem Baumeister. Doch dieser zeigte die Axt dem Knaben, fragend, wessen sie wäre? Unser! sprach der Knabe ohne Zaudern. Auf weitere Fragen erzählt er das Übrige. So fiel nun auf dieses Haus die Tat, und beschämt wurde das Volk, das bereits über ihn triumphiert hatte und Er, der künftige Ausspender deines Wortes und Entscheider so manchen Streites in deiner Kirche, ging erfahrener und belehrter hinweg.

Diesen also hatte ich zu Rom gefunden, und er hing mir an mit festem Bund, und reiste mit mir nach Mailand, sowohl um mich nicht zu verlassen, als auch um die erlernte Redekunde, mehr nach seiner Eltern Wunsch, als seinem eigenen, auszuüben. Dort zu Rom handelte er als Beisitzer mit bewunderter Enthaltsamkeit, während er desto mehr jene bewunderte, die das Gold der Unschuld vorzogen. Auch wurde seine Standhaftigkeit versucht, nicht nur durch den Reiz der Begier, sondern auch durch den Stachel der Furcht. Beisitzer war er nämlich des Aufsehers der italienischen Kasse. Nun war daselbst ein mächtiger Senator, dem Viele durch Wohltaten verpflichtet und durch Schrecken unterworfen waren. Er wollte sich, ich weiß nich was seiner Macht halber erlauben, was den Gesetzen gemäß unerlaubt war.  Alypius  widerstand; Belohnung wurde versprochen, er verlachte sie; Drohungen wurden angewandt, er verachtete sie; und alle bewunderten den ungemeinen Geist, der einen so wichtigen Mann, weit und breit berühmt durch unzählbare Arten zu nutzen und zu schaden, sich nicht zum Freunde wünschte und als Feind nicht fürchtete. Selbst der Richter, dessen Rat er war, wollte zwar auch nicht einwilligen, widerstand aber dennoch nicht öffentlich, sondern versicherte, alle Schuld schiebend auf  Alypius,  daß dieser es nicht zugeben wollte, und selbst wenn er es zugäbe, so würde der seine Stelle widerlegen. - Nur das Einzige hätte ihn bald verführt, daß er aus Liebe zu den Wissenschaften mit großen Kosten sich Bücher anzuschaffen pflegte. Doch beim Blick auf die Gerechtigkeit faßte er einen besseren Entschluß und nützlicher schien ihm die Befolgung der Billigkeit, die es verbot, als der Macht, die es erlaubte. Das ist wenig. Aber der in Wenigem getreu ist, ist auch im Großen getreu. Und auf keine Weise ist eitel, was aus dem Mund deiner Wahrheit hervorging: Wenn ihr in ungerechtem Gut nicht treu wart, wer wird euch das wahrhafte anvertrauen? Und wenn ihr in Fremdem nicht treu wart, wer wird euch geben, was euer ist? - Ein solcher war damals jener mein Freund, und er schwankte mit mir in der Beratung, welche Lebensweise zu ergreifen wäre.

Auch  Nebridius,  welcher, seine Gegurtsgegend nahe bei Karthago verlassen, und selbst Karthago, wo er so oft war, und das treffliche väterliche Gefilde verlassend, sein Haus verlassend und die zurückbleibende Mutter, bloß deshalb nach Mailand gekommen war, um mit mir eifrig zu forschen nach Wahrheit und Weisheit: auch Er seufzte ebenso, und schwankte hin und her eben so, ein glückseliges Leben feurig suchend, und streng grübeld in dunklen Fragen. Und wir waren drei Dürftige, klagend einander ihre Not, und erwartend von dir, daß dur ihnen Speis gäbest zu seiner Zeit. Und in all der Bitterkeit, die unseren Welthandlungen deine Barmherzigkeit folgen ließ, schauten wir auf den Zweck, weshalb wir sie ertrügen: und Finsternis fanden wir, und seufzend ekelte uns ihrer, und wir sprachen: wie lange dies? Und oft sprachen wir so, und verließen es dennoch nicht, weil nichts sichere uns erschien, was wir erfassen möchten, wenn wir jenes verließen.

Und mit Verwunderung und Gram überdachte ich es, welche lange Zeit es wäre vom neunzehnten Jahr meines Alters her, wo mich Liebe zur Weisheit zu befeuern begann und ich den Vorsatz faßte, so bald ich sie gefunden hätte, all die leere Aussicht und täuschende Torheit eitler Begier zu verlassen: und siehe! ich war im dreißigsten Jahr und steckte noch im nämlichen Kot, voll Verlangen, zu genießen des Gegenwärtigen, das mich floh und zerstreute, während ich sprach: Morgen werde ich es finden! siehe! es wird deutlich werden und ich werde es festhalten! Und siehe,  Faustus  wird kommen und alles erklären! - O ihr großen Akademiker! Nichts Sicheres läßt sich bestimmen für unsere Lebensweise! Aber laßt uns fleißiger suchen und nicht verzweifeln! Siehe, jetzt ist das nicht ungereimt in den geistlichen Büchern, was ungereimt uns schien, und man kann sie anders und in vernünftigem Sinn verstehen. Ich will meine Füße den Weg wandeln lassen, worauf mich Knaben meine Eltern hinsetzten, bis ich die Wahrheit finde. Aber wo sie suchen? Wann sie suchen? AMBROSIUS hat keine Zeit; zum Lesen haben Wir keine Zeit. Selbst die Bücher, wo sie suchen? woher und wann sie anschaffen? von welchen sie nehmen? Wir wollen die Zeit einteilen, Stunden bestimmen für das Heil der Seele! Große Hoffnung ist entstanden: das nicht lehrt der katholische Glaube, was wir wähnten, und dem wir Eitlen schmähten. Für Unrecht halten es seine Eingeweihten, Gott beschränkt zu glauben in des menschlichen Leibes Gestalt. Und wir zaudern anzuklopfen, daß auch das Übrige eröffnet werde? Die vormittägigen Stunden nehmen die Schüler hinweg. Was tun wir in den übrigen? Warum betreiben wir dann nicht jenes? Aber wann besuchen wir die wichtigen Freunde, deren Unterstützung uns nötig ist? Wann bereiten wir uns zu jenem, was die Schüler kaufen? Wann ruhen wir selbst aus, von den Sorgen den Geist abspannend? - Alles vergehe! lassen wir dieses Eitle und Leere! Wenden wir uns einzig auf der Wahrheit Erforschung! Dieses Leben ist elend, der Tod ungewiß. Wenn er uns plötzlich beschleicht, wie wandern wir von hier? Wo lernen wir, was wir hier versäumten? Oder erwarten uns nicht vielmehr Strafe für die Versäumung? Wie, wenn der Tod selbst alles Sorge und alles Gefühl hinwegnähme und endigte? Also auch danach ist zu forschen! Aber ferne sei es, daß es so sei. Es ist nicht umsonst, es ist nicht eitel, daß in solcher Herrlichkeit das Ansehen des christlichen Glaubens ausgebreitet wird durch die ganze Welt. Wie geschähe so viele und so großes von oben her für uns, wenn durch den Tod des Leibes auch das Leben der Seele verlösche? Was weilen wir also, der Welt Hoffnungen aufzugeben, und uns ganz dahin zu wenden, Gott zu suchen und ein glückseliges Leben? - Doch warte! Auch anmutvoll sind jene Dinge, und sie haben eigene nicht geringe Süße. Nicht leicht entzieht sich ihnen der Geist, weil es schändlich ist, zu ihnen wiederzukehren. Siehe, wie ist es schon so viel, irgendeine Ehrenstelle zu erreichen? Und was verlangt man mehr? Und genug haben wir der wichtigen Freunde, um nichts anderes als dies, und es mit Eile zu betreiben. Vielleicht erhält man ein Präsidat, und man nimmt ein Weib mit einigem Geld, auf daß unsere Ausgaben uns nicht beschweren: und das ist unserer Wünsche Ziel. Viele große Männer, nachahmungswürdige, hatten Weiber, und beflissen sich doch des Studiums der Weisheit.

Als ich so sprach, trieben wechselnde Winde mein Herz her und hin, und die Zeiten vergingen, und ich zauderte, mich zum Herrn zu bekehren, und verschob von Tag zu Tag, zu leben in dir, und verschob nicht, täglich in mir selbst zu sterben. Glückseliges Leben liebend, scheute ich, es aufzusuchen in seinem Sitz und hinwegfliehend suchte ich es. Denn gar zu elend glaubte ich mich, müßte ich des Weibes Umarmung entbehren; und der Arznei deiner Barmherzigkeit, um diese Schwäche zu heilen, gedachte ich nicht, weil ich sie nicht aus Erfahrung kannte und wähnte, die Enthaltsamkeit wäre ein Werk eigener Kraft, deren ich mir nicht bewußt war, indem ich so töricht war, daß ich nicht wußte, wie es geschrieben steht, keiner könnte enthaltsam sein, als wenn du es verliehest. Und du verliehest es ja, wenn das Seufzen meines Innersten deinen Ohren erklänge und ich in festem Glauben auf die alle meine Sorge wendete.

Sehr ernst riet  Alypius  mich ab von der Ehe, weil wir alsdann, wie er zur Ursache angab, auf keine Weise zusammen ungestört der Weisheitsliebe leben könnten, wie wir es schon lange wünschten. Denn er war schon damals äußerst keusch, zum bewundern. Beim Eintritt in die Jünglingsjahre hatte er der Liebe genossen; aber er klebte nicht an ihr, bereute es und verachtete sie. Und seitdem lebte er höchst enthaltsam. Ich aber berief mich dagegen auf die Beispiele derer, die auch verehelicht Weisheit gepflogen, und Gott gefällig gelebt hätten, und treu und liebevoll gegen Freunde gewesen wären. Aber von der Geistesgröße solcher war ich weit entfernt, und voll Lust an der Krankheit des Fleisches schleppte ich in tötendem Wohlbehagen meine Kette, fürchtend entlastet zu werden; und, als wenn mich der Wunde Berührung schmerzte, wies ich die Worte des guten Rates ab, wie die Hand des Entlastenden.

Überdies redete auch die Schlange selbst durch mich zum  Alypius,  und streute ihm auf seinen Weg süße Schlingen durch meine Zunge, um seine ehrbaren freien Füße zu verwickeln. Denn während er sich wunderte, wie ich, auf den er nicht wenig hielt, so sehr am Leim der Wollust klebte, daß ich behauptete, so oft darüber Rede war unter uns, auf keine Weise ein eheloses Leben führen zu können und mich so verteidigte, wenn ich ihn erstaunt sah, daß ich sagte, ganz etwas anderes wäre jenes, was er vorbeieilend und verstohlen genossen, dessen er sich jetzt kaum mehr erinnerte, und was er nun leicht ohne Mühe verachten konnte: und ein anderes die Freuden einer gewohnten Liebe, wofür ich, wenn der ehrende Namen der Ehe noch hinzukäme, stets Achtung haben würde, und darüber müßte er nicht erstaunen; - begann er selbst nach der Ehe zu verlangen, nicht besiegt vom Reiz der Wollust, sondern des Vorwitzes. Denn er wünschte zu wissen, sprach er, was jenes wäre, ohne das mir mein Leben, welche ihm so gefiel, nicht Leben, sondern Strafe schien. Er, dessen Geist frei war von jenen Fesseln, staunte meiner Sklaverei, und unter dem Staunen überkam ihn die Lust, es zu versuchen und er stand am Rand des Versuchs selbst, um vielleicht alsdann in die selbige Sklaverei zu fallen, deren er staunte, weil er einen Bund eingehen wollte mit dem Tod. Und wer die Gefahr liebt, fällt in dieselbe. Denn uns beide reizte nur schwach, was in der Leitung des Hauswesens und in der Erzeugung und Erziehung der Kinder lobenswürdiges ist. Aber vorzüglich und ohne Maß plagte mich Gefesselten die gewohnte Befriedigung unzubefriedigender Fleischesgier, ihn aber zog Verwunderung hin zu den Fesseln. So waren wir, bis Du, Höchster, uns Erde verlassend, der Elenden dich erbarmtest und auf wunderbare und verborgene Weisen zu Hilfe kamst.

Und unablässig wurde an meiner Verehelichung gearbeitet. Schon hielt ich um ein Weib an; schon wurde es mir versprochen, worunter vorzüglich meine Mutter sich Mühe gab, daß ich, auch verehelicht, abgewaschen würde durch heilbringende Taufe, der sie voll Freude mich täglich näher sah, erkennend, wie ihre Wünsche und deine Verheißungen in meinem Glauben erfüllt wurden. Aber obschon sie sowohl auf mein Bitten, als eigenem Verlangen gemäß, mit lautem Ruf des Herzens zu dir flehte, daß dur ihr in einem Gesicht einiges von meiner künftigen Ehe zeigtest, - nie erhörtest du sie. Sie sah einige eitle Gebilde, die ihr menschlicher Geist sich schuf, der dieser Dinge voll war. Und sie erzählte mir das, nicht mit dem Zutrauen, wie sie es pflegte, wenn du ihr etwas zeigtest, sondern mit Verachtung. Denn sie unterschied es, sprach sie, an ich weiß nicht welcher Eigenheit des Gefühls, die sie nicht durch Worte auszudrücken vermochte, was Du ihr enthülltest, und was ihre Seele träumte. Dennoch betrieb man es und um ein Mädchen wurde angehalten, die fast noch zwei Jahre bis zu ihrer Mannbarkeit hatte; und weil sie gefiel, wurde gewartet.

Und ich und viele Freunde beratschlagten zusammen, und beschlossen fast, verabscheuend das tobende Gewirr des Menschenlebens, entfernt von der Menge in Ruhe zu leben, und in dieser Ruhe das, was wir hätten, zusammenzulegen, und alle nur  eine  Familie auszumachen, so daß in der Freundschaft Gleichheit nicht dieses diesem und jenes jenem gehörte, sondern daß aus allem Eins würde, und das Ganze dem Einzelnen, und alles allen angehörte. Und es schien uns, daß wir etwa zehn in derselben Gesellschaft sein könnten. Auch sehr reiche waren unter uns, vorzüglich  Romanianus,  der mit uns aus der nämlichen Stadt, und von Jugend auf mein vertrautester Freund war, und den der Betrieb seiner wichtigen Angelegenheiten an den Kaiserhof gezogen hatte. Dieser drang sehr auf die Ausführung unseres Vorsatzes; und umso größer war sein Gewicht, da sein beträchtliches Vermögen das der übrigen weit übertraf. Und wir wurden einig, daß zwei von uns jährlich als unsere Oberen für alles Nötige sorgen und die übrigen in Muße leben sollten. Aber als es uns einfiel, ob die Weiblein wohl damit friedig sein würden, die einige von uns schon hatten, und auch wir noch haben wollten, zersprang uns in der Hand der ganze Vorsatz, den wir so trefflich aussannen: er war zerstückt und wurde hinweggeworfen. Darauf wieder Seufzen und Klagen, und unsere Schritte wieder auf breitem vielbewandertem Pfad der Welt: denn vielerlei Gedanken waren in unseren Herzen, dein Rat aber bleibt in Ewigkeit. Und gemäß deinem Rat verlachtest du das unsere, und bewirktest das Deine, Speise uns gebend zu gelegener Zeit, und deine Hand öffnend und unsere Seele füllend mit Segen.

Indessen wurden meine Sünden vervielfacht, und da ich, als ein Ehehindernis, meine Beischläferin, woran ich so sehr hing, von meiner Seite entfernte, wurde mein Herz zerrissen und blutete. Und sie kehrte nach Afrika, dir gelobend, keinen andern Mann zu erkennen und ließ mir einen natürlichen Sohn zurück, den sie mir geboren hatte. Ich Unglücklicher aber, nicht einmal dieses Weibes Nachahmer, ertrug, da ich erst nach zwei Jahren meine Braut erhalten sollte, den Aufschub nicht, weil ich nicht ein Liebhaber der Ehe, sondern ein Sklave der Wollust war, und warb eine andere, die mir freilich wieder nicht Gattin war, um so zu unterhalten und zu verlängern, entweder wie vorher, oder gar zu vergrößern die Krankheit meiner Seele in ununterbrochener Gewohnheit bis zum Reich des Ehestandes. Auch heilte jene Wunde nicht, die die Entfernung der ersteren geschlagen hatte, sondern nach der Entzündung, und nach schneidenden Schmerzen wurde sie faul, und war nur weniger peinlich, aber desto verzweifelter.

Dir Lob, dir Preis, Born der Erbarmungen! Ich wurde elend, und du kamst näher! Schon war deine Rechte da, mich aus dem Kot zu reißen und abzuwaschen, und ich wußte es nicht. Auch hielt nichts mich zurück von tieferem Sturz in die Wollust des Fleisches, als des Todes und deines künftigen Gerichts Furcht, die zwar nach mancherlei Meinungen sich wandelte, aber nie aus meinem Busen wich. Und ich redete mit meinen Freunden  Alypius  und  Nebridius  vom Wesen des Guten und des Bösen, und erklärte, mein Geist würde dem EPIKUR die Palme gereicht haben, wenn ich nicht geglaubt hätte, daß nach dem Tod das Leben der Seele fortdauert und eine Vergeltung des Verdienten wäre, was EPIKUR nicht glauben wollte. Und ich fragte: Wenn wir unsterblich wären, und in ewiger Leibeswollust, ohne Furcht sie je zu verlieren, lebten, warum wir denn nicht glückselig wären, und was anders wir denn noch begehrten? Und ich wußte nicht, daß eben dies meines Elends Größe ausmachte, daß ich nicht zu denken vermochte das Licht der Tugend, und der um ihrer selbst willen zu liebenden Schöne, die nicht das Auge des Fleisches sieht, sondern nur das Innerste schaut. Und ich Elender bedachte nicht, aus welcher Ader es mir flösse, daß ich über dieses wirklich so schändliche, so friedlich redete mit meinen Freunden. Und ohne diese Freunde konnte ich ja nicht glücklich leben ungeachtet meines zu jeder fleischlichen Wollust gestimmten Sinnes; und diese Freunde liebte ich ohne Eigennutz, und fand, daß sie mich wieder liebten ohne Eigennutz.

O welche ein Irrweg! Wehe der verwegenen Seele, die da hofft, etwas Besseres zu erfassen, wenn sie von dir gewichen ist! Gekehrt und wiedergekehrt, rückwärts, seitwärts und vorwärts: Alles ist Beschwerde, Du allein Ruhe. Und siehe! Du bist Du, und befreist von elendem Irrtum und führst uns deinen Weg, und tröstest und sprichst: Eilt, ich leite euch; und ich führe euch und leite euch hin!


LITERATUR Aurelius Augustinus, Bekenntnisse, Münster 1853