ra-2Paul TillichLaurent VeryckenReinhold Niebuhr    
 
ALBERT BASTIAN
Der Gottesbegriff bei Jakob Böhme
[2/2]

"Es ist ein jeder Mensch sein eigener Gott und sein eigener Teufel. Zu welcher Qualität er sich neiget und einergibt, die treibet und führet ihn, derselben Werkmeister wird er."


C.
Dritte Stufe des Böhmeschen Gottesbegriffs

Das Absolute, wie wir sagen würden oder Gott in seinem Ansichsein wird hier deutlich geschieden von der sich ewig gebärenden und offenbar werdenden Gottheit.

Der absolute Gott ist "reiner Geist ohne alles Wesen. Er ist nicht dies noch das, nicht böse und nicht gut, nicht Liebe und nicht Zorn. Man kann vom [absoluten] Gott nicht sagen, daß er in sich selber Unterschiede habe; denn er ist in sich selber naturlos, sowohl affekt- als kreaturlos ... Er ist in sich selber der Ungrund". Wegen dieses durch keine positive Bestimmung zu erschöpfenden, negativen Charakters heißt er auch "das ewige Nichts" und ist als solches des "Mysterium magnum, in dem ewige Stille und Verborgenheit waltet."

Die einzige positive Bestimmung dieses Absoluten bei BÖHME ist die, daß es ein "Wille" sei. BÖHME stellt überall diese Behauptung positiv auf, ohne sie des Näheren auf dieser Stufe zu begründen. Wenn wir uns aber erinnern, daß er schon in der Aurora und auch später in den drei Prinzipien den "Willen" vom "Wallen" ableitete, letzteres aber zum allgemeineren Begriff irgendeiner Bewegung gehört - wenn wir uns ferner vergegenwärtigen, daß BÖHME hier den Begriff einer Entwicklung in dem starren; dunklen, ruhenden Ungrund einführen will, jede Entwicklung aber ein wenn auch nur ideale Bewegung ist, so begreifen wir, warum er das Ferment der Differenzierung in dem unendlich und ewig einen, im "Einigen" d. h. noch nicht Differenzierten und offenbaren Gott gerade "Willen" nennt.

"Derselbe ungründlich, unfassliche, unnatürliche" (d. h. noch nicht zur natura, zur "gebärenden" Potenz geworden) "und unkreatürliche" (nicht geschaffen) "Wille, welcher nur einer ist und nicht vor ihm, noch hinter ihm hat, welcher in sich selber nur  eines  ist, welcher als ein Nichts und doch Alles ist, der heißet und  der  Einige Gott, welcher sich in sich selber fasset und findet und Gott aus Gott gebieret".

Wir haben also zunächst hier den Ungrund als völlig indifferente Gottheit, als "Stille ohne Wesen" und Wille ohne Objekt. Dieses Ewig-eine, dieser "Urstand aller Wesen" ist nicht offenbar, nicht einmal sich selbst ist ein "unfaßlich Nichts". Die Differenzierung geschieht durch ein Blicken in sich selber, "das sich das ewige Nichts in ein Auge oder ewig Sehnen fasset, zu seiner Selbstbeschaulichkeit, Empfindlichkeit und Findlichkeit", nämlich als Wille und zwar als ewiger Wille, der nur einen intelligiblen Anfang in der Selbstreflexion des "ewigen Nichts" hat.

Hier ist der erste Prozeß in der unfaßlichen Gottheit ganz dialektisch rein dargestellt: das "ewige Nichts" ist die Thesis, daß sich selbst Vorstellen, sich zu seinem eigenen Objekt machen die Antithesis, der ewige Wille die Synthesis.

In dieser Weise geht es nun weiter: "Der ungründliche Wille heißt ewiger Vater" oder umgekehrt: "Der Vater ist an sich der Wille des Ungrundes. Er fasset aber in sich eine Lust zur Selbstoffenbarung. Diese Lust ist dann des Willens oder Vaters gefaßte Kraft, d. i. sein Sohn, Herz und Sitz, der erste Anfang im Willen". Auch hier wieder die negative Thesis: "der unergründliche Wille", die positive Antithesis: "Lust sich zu offenbaren", dann die Synthesis: die geoffenbarte, "gefaßte Kraft des Vaters", der "Sohn", das Gemüt des Willens. "Ferner aber spricht sich der Wille durch das Fassen wiederum aus sich aus und dieses Ausgehen im Sprechen oder Hauchen ist der  Geist  der Gottheit".

Mit einer kleinen Nuancierung hinsichtlich des letztgenannten Punktes finden wir diese metaphysische Dialektik in der "Gnadenwahl": "Der erste unanfängliche, unfaßliche Wille gebieret in sich selber das Einige ewige Gute als einen faßlichen Willen, welcher des ungründigen Willens Sohn ist und doch mit dem unanfänglichen Willen gleich ewig. Derselbe andere Wille ist des ersten Willens ewige Empfindlichkeit und Findlichkeit. Der ungründige Wille heißt der ewige Vater und der gefaßte geborene Wille des Ungrundes ist sein eingeborener Sohn. - Der Ausgang aber des ungründigen Willens durch den gefaßten Sohn ist der Geist. So scheidet sich denn der Einige Wille des Ungrundes vermöge der ersten ewigen unanfänglichen Fassung in dreierlei Wirkung, bleibt aber doch nur ein Einiger Wille.

Mit Recht macht hier BÖHME, im Gegensatz zu den früheren Stufen seiner Fassung des Gottesbegriffs, die feine Bemerkung, daß trotz der termini Vater, Sohn, Geist man doch hier noch nicht von drei "Personen" der Gottheit reden, sondern nur sagen dürfe, daß "Gott dreifaltig in seiner ewigen Gebärung sei". "Er gebiert sich in Dreifaltigkeit und ist in dieser ewigen Gebärung doch nur ein Einiges Wesen, weder Vater, noch Sohn, noch Geist, sondern das Einige ewige Leben oder Gut. Die Dreiheit wird vielmehr erst recht in seiner ewigen Offenbarung verstanden, allwo er sich druch die ewige Natur, d. i. durchs Feuer im Lichte offenbart."

Im Gegensatz zur "unentwickelten" (wie wir sie nennen möchten) Gottheit des "Ungrundes" ist die "Dreifaltigkeit in der ewigen Gebärung" (absoluter, relativer Wille und Geist) allerdings als entwickelte Gottheit anzusehen; aber diese Entwicklung ist, wie BÖHME hier richtig erkennt, zunächst doch noch eine  lediglich formale  oder wie er sich ausdrückt, "der dreifache Gott ist noch kein Wesen, sondern nur der ewige Verstand." Aber, weil auf dem ewigen Willen beruhend, ist er "Verstand zum Wesen, Kraft zum Wesen". Infolgedessen hat er das Bestreben, "sich in Grund und Wesen einzuführen und dadurch sich selber offenbar zu werden." Das geschieht durch die "ewige göttliche Magia"; diese "führt den Abgrund in den Grund und das Nichts in (das) Etwas". Wie aber? Durch die Differenzierung in Prinzipien! Hier bekommt demnach die Prinzipienlehre ihre rechte Stelle. Der unentwickelte Gott kann sich realiter nur dadurch zum Wesen gebären, daß er in sich selbst einen ewigen Gegensatz zweier Prinzipien setzt. Das eine davon ist Finsternis, herber Zorn, der Leib oder die Natur Gottes, das andere ist Licht, sanfte Liebe, das Herz oder Gemüt Gottes.

Diese "Selbstentzweiung" innerhalb der "Einigen" Gottheit ist zur Selbstoffenbarung absolut nötig; denn "wenn Alles nur Eins wäre, so wäre das Eins nicht (einmal) sich selber offenbar". "Wenn das Licht sein soll, so muß zuvor ein finsterer Feuerquell sein". "Die Liebe kann nur durch den Zorn, der Zorn nur durch die Liebe offenbaren". "So ist ein Gott ein  ewiges Contrarium:  ... die Finsternis als ein herber Feuerquell, aus welchem das Licht urständet und das Licht dringt wiederum in diese herbe Feuernatur, sie zu besänftigen ... im einen (Contrarium) waltet feuriger Grimm, im anderen lichte Freude; nach dem einen nennt sich Gott einen gereizten, eifrigen Gott, nach dem anderen einen liebenden sanftmütigen Gott." Das Aufeinanderwirken dieser beiden korrelativen und antithetischen Prinzipien geschieht in den 7 Naturgestalten, welche sich auseinander gebären und das konkrete Sein, die Erscheinung des dritten Prinzips bewirken.

Diese reale Gebärung des göttlichen Wesens zur "Wesenheit", zum konkreten Sein nennt BÖHME im Gegensatz zu jener  lediglich formalen  Dreifaltigkeit, jenem "ewigen Verstand", nun die "ewige Natur Gottes", das Wort ganz nach dessen Etymologie (nasci [entspringen - wp]) nehmend und verbindet mit der Entwicklung der Naturgestalten auseinander und ihrer Wirkung aufeinander, ihrem "Ineinander" die Entwicklung der realen Dreipersönlichkeit Gottes: "Das herbe Feuerprinzip, aus welchem das Licht urständet, ist nun der Vater, das Licht. welches aus dem dunklen Grund aufblitzt, is der Sohn" und aus dem Ineinander beider Prinzipien, "des Lichtes im Feuer und des Feuers im Licht" entsteht (natürlich nicht zeitlich, sondern in intelligiblem Anfang) "der heilige Geist als die wallende Kraft aus Gott, welche vom Vater und vom Sohn ausgehet;" er ist die Persönlichkeit des "dritten Prinzips" und recht eigentlich der Regent der konkreten Welt; denn er "führet den Glanz der Majestät in die Wesenheit, darinnen die Gottheit offenbar steht." Vorher sahen wir überall die "dritte Person" etwas zu kurz kommen; seine eigentliche Wirksamkeit erhält eben der heilige Geist erst in der Welt, dem "dritten Prinzipium."

Auch bei diesem Prozeß, der sich als Dreipersönlichkeit in den drei Prinzipien konkret offenbarenden Gottheit haben wir wieder die Funktionen von Thesis, Antithesis und Synthesis.

Während nun dem dritten Prinzipium die reale Welt zufällt, teilen sich die beiden anderen in Himmel und Hölle. "Im ersten Prinzipio ist Gott die Hölle, im zweiten der Himmel; Himmel und Hölle sind keine Orte, sondern nur die beiden ersten Prinzipia in Gott." Hier ist die Einordnung des Bösen in den metaphysischen Organismus endlich so widerspruchsfrei gelungen, als es BÖHME möglich ist.

Das erste Prinzip ist zwar nicht selbst böse, kein böser Wille, wohl aber die Quelle des konkreten Bösen.

So erhalten wir unter dem Gesichtspunkt des realen Offenbarwerdens der Gottheit in der "ewigen Natur" ein Schema, welches dem oben für die Differenzierung im "ewigen Verstandes" gegebenen, genau entspricht:
    A.  Das unoffenbare Absolute 
    a) das dunkle Prinzip Gott Vaters als des Zornes.
    b) das lichte Prinzip Gottes des Sohne als des absolut Guten.
    c) Das Prinzip des heiligen Geistes als das Ineinander beider in der ringenden realen Welt.



Wir müssen hier noch kurz auf das Verhältnis der nunmehr offenbaren dreipersönlichen Gottheit zur Welt der Erscheinungen und zum Menschen eingehen. Es erscheint dies erst jetzt angemessen, da dieses für unser Thema doch immerhin mehr sekundäre Moment am besten auf dem Höhepunkt BÖHMEscher Geistesentwicklung betrachtet wird. Wie wir schon mehrfach zu erwähnen Gelegenheit hatten, ist das, was BÖHME "Schöpfung" nennt, eigentlich Emanation und zwar aus der "ewigen Natur" unter Leitung des "ewigen Geistes" Gottes. Ihrer Idee nach ist auch die Welt ewig, denn sie stammt aus Gottes eigenstem Wesen, vorher aber war sie in Gottes Weisheit (d. h. Bewußtsein) "in geistlicher Form" vorhanden. "Diese geistliche Form hat dann der ewige Wille ins Wort gefasset und dann die Scienz (d. h. nach BÖHME die zusammen ziehende,  herbe Qualität) wirken lassen, daß sich eine jede Kraft in eine Form einführte, nach ihrer Eigenschaft." Trotz diesem Ausfließen und Geborenwerden der Welt aus Gottes Natur ist sie nach BÖHME doch keineswegs identisch mit Gott im Sinne des vulgären Pantheismmus: "Die äußere Welt ist nicht Gott, wird auch ewig nicht Gott genannt, sondern nur ein Wesen, darin sich Gott offenbart." Desgleichen wehrt BÖHME hier auch die Vorstellung ab, als habe Gott die Welt zu seiner eigenen Vervollkommnung schaffen  müssen:  "Gott hat nicht darum geschaffen, daß er dadurch vollkommen würde, sondern zu seiner Selbstoffenbarung, zu großer Freude und Herrlichkeit. Diese Freude hat nicht mit der Kreation selber angefangen, sondern ist von Ewigkeit her ... al ein geistliches Spiel in Gott gewesen." Daß die Welt nicht Gott selbst ist, sieht man schon daraus, daß, was in Gott in vollkommener Weise ist, bei ihr unvollkommen vorhanden ist. Während nämlich in der Gottheit, sofern sie in sich selbst ist, die Naturgestalten alle in "Konkordanz" und "Temperatur" sind, treten sie in der geschaffenen Natur auseinander, sind nicht mehr eines, wie in Gott. Vielmehr tritt bald diese, bald jene hervor.

So ist denn auch hier das Böse nicht bloß, wie im ersten Prinzip, potenziell vorhanden, sondern eine reale Macht. - Ihm steht in der Welt das Gute gegenüber, d. h. das relativ Gute, das aus dem zweiten Prinzip "urständet", wie das "Böse" aus dem ersten Prinzip. Denn aus beiden Prinzipien ist ja das dritte, diese kämpfende Welt der Erscheinungen, entstanden. Darum ist die Welt böse und gut, steht in Heiligkeit und Finsternis, in Liebe und Zorn. "In allen Dingen ist Gutes und Böses und gerade in diesem Contrarium steht die Geburt allen Lebens." "Jedes Wesen hat in sich Gutes und Böses und in seiner Entwicklung, indem es sich in Schiedlichkeit führt, wird es ein Contrarium der Eigenschaften, da eine die andere zu überwältigen sucht." Und nun der Ausgleich zwischen Böse und Gut: "In manchem Wesen ist Liebe Zorn, Böses und Gutes in gleichem Maß und Gewicht." Auch hier wieder Thesis, Antithesis, Synthesis! Ebenso wie im Makrokosmos ist es auch im Mikrokosmos, dem Menschen. Insofern er das Ebenbild Gottes ist, steht sein Wesen ebenso, wie dasjenige Gottes, unter den drei Prinzipien. Und zwar gilt dies von der Seele ebenso wie vom Leib. - Die Seele ist dreigetilt, als feurige, Lichtseele und tierische Seele, ohne jedoch hierbei etwa in drei Seelen zu zerfallen; vielmehr sind das nur drei Prinzipien in der Seele. In gleicher Weise ist auch nach dem Vorbild der göttlichen "Natur" der menschliche Leib dreifach gegliedert: wir haben einen elementarischen, einen siderischen [eisenhaften - wp] oder feurigen und eine himmlischen Leib. Trotz dieser doppelten Dreiteilung sind wir aber doch nur jeder von uns  ein  Mensch, gleichwie die Gottheit trotz ihrer Differenzierung die eine und "Einige" bleibt. Was nun weiter die Seele betrifft, so steht jeder ihrer Teile unter dem Einfluß des Prinzipes, aus welchem er entspringt. Jedes der drei Prinzipien hat also Einfluß auf den Menschen und ein jedes sucht, ihn womöglich ganz an sich zu ziehen und mit sich zu vereinigen: das Feuer- oder höllische Prinzip, das Licht- oder himmlische Prinzip und endlich der Geist der Welt oder das irdische Prinzip. Dasjenige, welches in ihm die Oberhand gewinnt, bestimmt alsdann sein ganzes Wesen. Der Mensch ist in dieser Beziehung wahlfrei: er kann sich für das eine oder andere entscheiden; mit dieser Entscheidung ist dann aber auch die Untertänigkeit unter eines von ihnen ohne weiteres gegeben. Ob diese Entscheidung zeitlich, vorzeitlich oder unzeitlich (intelligibel) sei, darüber findet bei BÖHME ein Schwanken statt. Soviel ist jedenfalls klar, daß BÖHME jene Entscheidung getroffen werden läßt schon beim  ersten  Menschen, ehe dieser noch in die Körperlichkeit einging. Die äußere Leiblichkeit war nämlich in ADAM erst potenziell vorhanden; da er aber mit ihr auch dem dritten Prinzip angehörte (wie mit den beiden anderen Seelenteilen den ersten beiden Prinzipien), so gelüstete ihn nach irdischer Frucht und infolge dieses Gelüstes sank er in das irdische Wesen hinab; da "wurde der himmlische Leib des Menschen zu Fleisch und Blut und seine starke Kraft zu starrem Gebein". Hierdurch war der Mensch alles Guten verlustig geworden; auch im Wollen. Halten wir damit zusammen, daß BÖHME in Übereinstimmung mit der protestantischen Dogmatik den Traduzianismus lehrt, d. h. die Fortpflanzung der Seele durch die Zeugung, sodaß, wie er ausdrücklich erwähnt, der Erzeugte die gleiche Beschaffenheit haben muß wie der Erzeuger (und hierauf die Lehre von der Erbsünde basiert) - so liegt es nahe, eine mindestens vorzeitliche freie Wahl des Menschen bei BÖHME zu sehen. Erst Gottes Liebe, die ja schon den gefallenen ADAM beim Namen rief, pflanzt wieder das göttliche Bild ein und veranlaßt dadurch die Erlösungsmöglichkeit durch CHRISTUS, den menschgewordenen "Sohn". - Indessen widerstreitet doch BÖHMEs ganze Ethik einem solchen ultraradikalen Fatalismus hinsichtlich der Erbsündenverderbnis. Dem Menschen ist trotzdem noch eine gewisse Aktivität geblieben, ein freier Wille: "Obwohl die Seele ein Zweig aus dem Baum [ihrer Vorfahren] ist, ist sie doch nun ein eigenes Wesen. So hat denn ein Kind, wenn es geboren ist, sein eigenes Wesen in sich und das Zentrum naturae ist in seiner Gewalt." Daher: "Wenn auch ein Kind gute Eltern hat, so kann doch in dasselbe die turba (1) eingehen. Ebenso kann ein Kind von bösen Eltern durch Imagination umkehren und in das Wort des Herrn eingehen. Wohl geschieht es selten, aber es kann geschehen. Gott wirft keine Seele weg, sie werfe sich denn selber weg; jede Seele ist in ihr selbst das Gericht."

Gerade das ist wichtig für unser Thema, weil hierin ein Stück BÖHMEscher Theodizee [Rechtfertigung Gottes - wp] liegt. "Willst du Gott schuldigen? Du leugnest? Gottes Geist entzeugt sich niemandem ... Bist du doch selbst dein eigener Macher, warum macht du dich böse? Und ob du eine böse Materia bist, so hat dir doch Gott sein Herz und Geist geschenket. ... Soll dir auch noch Gott in deinem verächtlichen Hochmut sitzen? Nein, das ist nicht seine Qualität. Sprichst du aber: Ich bin böser Qualität, ich kann nicht, ich werde gehalten: wohlan laß die böse Qualität sein, gehe du aber mit deinem Willengeist in Gottes Liebesgeist ein, ergibt dich seiner Barmherzigkeit, so wirst du der bösen Qualität loswerden. ... Gott will kein Böses, ist auch kein Böser Gedanke in ihm ...  Es ist ein jeder Mensch sein eigener Gott und sein eigener Teufel;  zu welcher Qualität er sich neiget und einergibt, die treibet und führet ihn, derselben Werkmeister wird er."

"Der Wille zum Guten und Bösen urständet in der Kreatur; denn wie wollte Gott die Kreaturen richten, so sie eben nur das täte, was sie unvermeidlich tun müßte, so sie keinen freien Willen gehabt? "Gott kennt den freien Willen, worein der Mensch ist eingegangen. Ist er in die Bosheit und Selbstheit eingegangen, so bestätigt ihn Gottes Zorn in seiner Wahl zur Verdammnis; wo aber in's Wort des Bundes, da bestätigt er ihn zum Kind des Himmels.

Alles schön und gut; nur zweierlei Bedenken bleiben hier. Erstens widersprechende Äußerungen BÖHMEs, wie die, daß der Mensch nicht selbst  mit dem Bösen  streite, sondern daß "des Vaters Feuerwille und CHRISTI Liebe  miteinander  streiten im Menschen"  um  den Menschen; "wer sagt, der hat ihn." Zweitens paßt jene Schilderung vom frei wählenden Menschen und dem diese Wahl lediglich bestätigenden Gott sehr schlecht, jedenfalls viel weniger, als die Ansicht vom Kampf der Prinzipien um den Menschen, zu BÖHMEs Gottesbegriffe. Jener dem Menschenwillen freies Spiel lassende, ihm die Gnade anbietende und den Willigen belohnende, den Widerwilligen strafende Gott ist der transzendente Gott der christlichen Dogmatik, nicht aber der immanente Gott der BÖHMEschen Lehre, dessen Emanationen die Menschen und die Kreaturen überhaupt sind.

Nach dieser ist es nicht der eigene Wille des Menschen, sondern der sich in ihm im Kleinen wiederholende Prozeß der Gottheit, der ihn erst indifferent, dann böse, dann zwischen Gut und Böse ringend (irdisch), endlich himmlisch sein läßt und schließlich alle Menschen zu Gott und in Gott zurückführt; besonders in der Schrift über die Menschwerdung wird die Notwendigkeit des Sündenfalls und der Erlösung durch CHRISTUS nachdrücklich betont.

Die richtige ethische Konsequenz aus diesem Gottesbegriff ist daher nicht sowohl der sittliche Kampf des Menschen wider das Böse, sondern das Versenken in das Wesen aller Wesen, "wahre Gelassenheit" in Gott, Aufgeben des eigenen Selbst, das "Dahinsinken des Lebens gleichsam in das Nichts." Das Nichts ist aber dennoch bei BÖHME nicht eigentlich Ziel, sondern Durchgangspunkt für das ethische STreben: durch das Nichts, den Ungrund müssen wir uns hindurchringen, auch durch das Zornfeuer und Böse gehen, um zum lichten "Herzen Gottes" - und dies wird schließlich allgemein der Fall sein, da schließlich alles eingeht in die göttliche Herrlichkeit.

Es liegt hierin allerdings eine gewisse Inkonsequenz, da ein zeitliches Ende der Entwicklung in dem doch als ewig bezeichneten Prozeß der Gottheit angenommen zu sein scheint, dies und wohl auch der gewohnten religiösen Ansicht entstammende Bedenken gegen die apokatastasis panton [Wiederherstellung aller Dinge - wp] lassen BÖHME doch wieder ewige Höllenstrafen für die Gottlosen annehmen, die in den Qualen des Gewissens bestehen. Dennoch ist zu bemerken, daß diese Wendung der Eschatologie sich mehr in den Schriften der vorher unterschiedenen ersten und zweiten Stufe findet; wo er in der dritten darauf zu sprechen kommt, ringt sich wie in der Signatura rerum [Von der Geburt und Bezeichnung aller Wesen - wp], die Ansicht durch, daß schließlich wieder, nachdem dieses bunte Wechselspiel der Emanation durch die Remanation beendet ist, "Gott alles in allem ist und außer ihm nichts mehr. Wie es war vor den Zeiten dieser Welt, so bleibet es in ihm in Ewigkeit."

Wie die Ewigkeit in die Zeit einging, so geht die Zeit wieder in die Ewigkeit und darum weiß BÖHME für den echten Jünger seiner Lehre keinen besseren und schöneren Wahlspruch als den:
    "Wem Zeit ist wie Ewigkeit,
    Und Ewigkeit wie Zeit,
    Der ist befreit
    Von allem Streit.
Und - um hier ganz kurz auf die Möglichkeit der Gotteserkenntnis nach BÖHME einzugehen - zu dieser tiefen, beseligenden Erkenntnis Gottes gelangt, der Mensch nicht durch die "Vernunft", durch das diskursive Denken, auch nicht durch äußereliche Bibelgebrauch, sondern durch Selbstentäußerung und Versenken in Gott und Hingabe des eigenen Ich mit dessen Denken, Fühlen und Wollen an das Wesen aller Wesen, von dem er ja, wie alles Übrige, ein Ausfluß ist. Darum wendet häufig BÖHME, von menschlichen Verhältnissen ausgehend, die Analogie e minori ad maius [Was für alle gilt, gilt auch für einen. - wp] auf die Gottheit an, den göttlichen Makrokosmos im vergotteten Mikrokosmos wiederfindend.

Überblicken wir noch einmal den Entwicklungsgang des BÖHMEschen Gottesbegriffes in seinen Hauptzügen.

In der "Aurora" (I. Stufe des Böhmeschen Gottesbegriffs) gärt noch alles durcheinander. Die pantheistisch gedachte Gottheit enthält in sich den Sohn und entwickelt aus sich und dem Sohn den Geist; ebenso emanieren aus der Gottheit die Engel, das siderische Reich und die Welt, das irdische Reich. Neben die gute Gottheit aber tritt als voller und unvermittelter Gegensatz das Böse, dessen Ursprung durch die Bezeichnung LUZIFERs als abgefallenen Engels nicht erklärt werden kann; denn es bleibt die Frage offen, woher der Anstoß zu diesem Abfall kam, da der Grund des Bösen in Gott nicht liegen soll. Neben der Trinität haben wir aher hier noch ein Viertes, neben dem pantheistischen guten Gott ein sehr persönlich gedachtes Böses. Ist auf der einen Seite der heilige Geist das Resultat des Ineinander von Vater und Sohn, sowie sein Reich, die Welt, das Wirkungsfeld des Vaters und des Sohnes durch den Geist, so ist andererseits die Welt auch wieder der Kampfplatz zwischen dem guten und dem bösen Prinzip. Auf der einen Seite haben wir die Dreiheit Allvater, Sohn, Geist oder das Alleine, das Himmelreich und die Welt, auf der anderen Seite den guten Gott, den bösen Teufel, die Welt als Kampfplatz beider. Die letztere Gestaltung tritt gerade deshalb ein, weil Vater und Sohn sich verhältnismäßig wenig unterscheiden, der Sohn daher teilweise mit dem Vater zusammenfällt; seinen Platz in der Reihe der Prinzipien besetzt daher zum Teil das Böse. Nun stört aber dessen Widerspruch mit dem Pantheismus des Gottesbegriffs der "Aurora" und seine Unableitbarkeit aus diesem das ganze Gefüge es göttlichen Prozesses. Ferner tritt gegenüber dem verschwommenen Alleinsbegriff des Vaters die Gestalt des Sohnes, als des Prinzips des Guten, besonders hinsichtlich der Erlösungslehre, so markant hervor, daß diese Unklarheit hinsichtlich des zweiten Prinzips bei der weiteren Ausbildung des BÖHMEschen Denkens gehoben werden müßte. Denn eine Antinomie war es, wenn dem allgemeinen guten Gott als zweites Prinzip einmal die Personifikation des Guten, der Sohn an die  Seite,  das andere Mal das personifizierte Böse  gegenüber-gestellt wurde. Die "Aurora" half sich in ihrer grobsinnlichen Weise amit, daß sie LUZIFER fallen und an seine Stelle CHRISTUS treten ließ; damit war allerdings äußerlich die Dreiheit hergestellt, nur daß der Böse sich nicht in der Versenkung halten ließ, sondern sozusagen als quartus gaudens [der lachende Vierte - wp] und mit seiner sich keck neben die Gottheit aufpflanzenden Persönlichkeit, mit seiner metaphysischen Unableitbarkeit und Unerklärlichkeit den Gottesbegriff noch mehr, als das Jammertal dieser Welt "turbieret" [plaget - wp].

Die zweite Stufe beseitigt durch die Ausbildung der Prinzipienlehre diesen Widerspruch insofern, als sie das Böse zu dem ihm begrifflich am nächsten verwandten ersten Prinzip schlägt. Letzteres ist gegenüber der positiven, lichten Gottheit des zweiten Prinzips so unbestimmt, daß es leicht zu dessen logischem Gegenspiel, zur Negation, zum Noch-Nicht-Licht, d. h. zum Finsteren wird und dazu gesellt sich jener "Geist, der stets verneint", schon eher. Das Böse wird zu Immanenz, aber nicht zur Identität im ersten Prinzip und dieser Ausweg wird für BÖHMEs Anschauungsweise dadurch erleichtert, daß Gott sich im Alten Testament ja einen zornigen Gott nennt, der im Feuer erscheint. Als der Schöpfer von allem hat Gott Vater im ersten Prinzip auch das Böse zwar nicht direkt hervorgebracht, wohl aber der Potentialität nach in sich; erst dadruch, daß das zweite, lichte Prinzip als das positive sich in der Erscheinungswelt als das Gute manifestiert, wird die Manifestation des ersten, finsteren, grimmigen Prinzips zum Bösen. Daß nebenher  das  Böse bei BÖHME häufig auch hier als  der  Böse erscheint, als der leibhaftige Gottseibeiuns, darf uns bei seiner Art, metaphysische Begriffe physisch, Übersinnliches möglichst konkret darzustellen, umso weniger wunder nehmen, als ja in der Christologie das zweite Prinzip ebenfalls leibliche Gestalt annimmt, sowie ferner der heilige Geist als "drittes Prinzip" eigentlich nicht oder wenigstens nicht lediglich, den die Welt durchdringenden Geist, sondern die ringende Welt selbst darstellt.

Aber auf dieser zweiten Stufe ist dennoch der Gottesbegriff von Bedenklichkeiten nicht frei. Aus dem zweiten Prinzip verbannt ist das Böse ins erste Prinzip verstoßen, sodaß nun dieses einen Zwittercharakter trägt.

Denn einmal enthält es die unbestimmte Anschauung einer Gottheit an sich, eines ersten Willens, also immerhin etwas Positives, wenn auch noch ganz allgemein gehalten, zweitens aber das Prinzip der Finsternis, des Zornfeuers, des Negativen, des Noch-nicht-Göttlichen, was BÖHME des öfteren scharf betont. So disparate Merkmale konnte der Begriff des 1. Prinzips unmöglich auf die Dauer vertragen. Jetzt, wo im Jahre 1620 BÖHME zu wirklich metaphysischen Lichtblicken gelangt, postuliert er einen über den drei Prinzipien stehenden Ungrund, aus dem er diese metaphysisch ableiten könne. Der bis jetzt noch dem ersten Prinzip anhaftende mystisch-pantheistische Charakter eines All-Einen, eines Wesens aller Wesen, eines "All und Eins und  Nichts",  kurz eines allgemeinen unendlichen Seins geht auf den Ungrund über; ebenso erhält auch  der Ungrund aus der Doppelnatur  des bisherigen ersten Prinzips das Moment der Selbstdifferenzierung. Nun kann mittels Thesis, Antithesis und Synthesis die metaphysische Magie in vollem Umfang beginnen. - Auch insofern bezeichnet diese "dialektische" Stufe des Gottesbegriffs BÖHMEs den Höhepunkt in dessen Entwicklung, als hier zugleich das ethische Moment, das wir auf der ersten Stufe vorherrschen sahen und das physische Moment der zweiten Stufe ihre höhere Einheit finden. Denn der ethische Anstoß, daß es neben dem All-Einen noch eine selbständige Macht des Bösen gebe (wie auf der ersten Stufe) oder daß die Gottheit im ersten Prinzip sowohl das gute Allwesen als der Ursprungsort des Bösen sei, (wie auf der zweiten Stufe) ist dadurch behoben, daß der absolute Gott, der "Ungrund" über den Prinzipien schwebt "wie der Geist über den Wassern", ferner auch dadurch, daß in keinem Prinzip mehr Gutes und Böses vermischt, sondern die Prinzipien reinlich geschieden sind. Ebenso findet die von der Physik beeinflußte Richtung ihr Recht. Im Ungrund liegt ja der letzte Grund allen Seins und Werdens aus dem sich alles mit unbedingter  Notwendigkeit  entwickelt. Die Metaphysik wird befriedigt durch das Prinzip der "Schiedlichkeit", welches das dialektische Schema Thesis, Antithesis und Synthesis hervorruft und durchführt und ferner dadurch, daß durch Aufzeigung der Notwendigkeit der obersten "Schiedlichkeit", des ersten Contrarium alle anderen Probleme zur Lösung gebracht werden, wie die metaphysischen Formen der Gottheit und deren Offenbarung in den drei Welten, die Notwendigkeit der Scheidung und zugleich die Korrelation von Gut und Böse usw. Das über die höchste Schiedlichkeit aber noch hinaus verlangende metaphysische Einheitsbestreben der Vernunft findet sein Ziel in der Lehre vom Ungrund, dem Absoluten, das Eines, Alles und Nichts zu gleicher Zeit ist, dem Absoluten, welches das höchste Denkbare darstellt, weil hier das Denken überhaupt aufhören muß.

LITERATUR Albert Bastian - Der Gottesbegriff bei Jakob Böhme, Kiel 1905
    Anmerkungen
    1) die verwirrende, böse Feuersmacht.