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Ideen und Ideale
LUDWIG STEIN

 
Die "Spottdrossel des deutschen Dichterwaldes", HEINRICH HEINE, höhnt in den "Reisebildern": "Madame, haben Sie überhaupt eine Idee von einer Idee? Was ist eine Idee? ... Eine Idee ist alles dumme Zeug, was man sich einbildet. .... Wie gesagt Madame, die Ideen, von denen hier die Rede ist, sind von den platonischen ebensoweit entfernt wie Athen von Göttingen."

Wir gebrauchen im Leben des Werkeltages Ausdrücke wie Scheidemünzen. Wir geben und empfangen Gold- und Silberstücke, ohne uns im geringsten über Echtheit und Feingehalt der Münzen Gedanken zu machen. Hat der Staat seinen Gültigkeitsstempel darauf gedrückt, dann deckt er den Münzwert mit seinem Kredit, gleichviel, ob der Metallwert steigt oder fällt. Die Münze eines gut akkreditierten Staates macht die Schwankungen der Edelmetallkurse nicht mit.

Worte sind Rechenpfennige, sagt einer der tiefsten Geister aller Zeiten: THOMAS HOBBES. Sie sind Symbole, willkürliche Zeichen zum Zweck der Verständigung unter Menschen. Die Sprache ist ein Arbeitsersparnisinstrument. Natürlich sind die Menschen, meint HOBBES, nicht etwa eines schönen Tages zu einer Ratsversammlung zusammengekommen, um durch Beschlüsse die Bedeutung von Worten oder Wortgeweben festzusetzen, wohl aber haben die Menschen anfänglich den bekanntesten Dingen wenige Namen gegeben, meist solchen, die gerade in ihr Blickfeld fielen. "Diese von den Vätern empfangenen Namen überlieferten die Söhne ihren Nachkommen und erfanden neue dazu." In Wirklichkeit seien daher Worte "nur weiser Menschen Rechenpfennige, aber den Narren sind sie Geld, das nach der Autorität alter Doktoren geschätzt wird."

Der Mathematiker PAUL DUBOIS-REYMOND stellt in seinem Werk "Über die Grundlagen der Erkenntnis", den HOBBESschen Nominalismus übertrumpfend, die These auf, auch der menschliche Begriff - wie der Begriff Idee oder Ideal - sei nichts Anderes und Besseres als ein bloßes Wort.


LITERATUR, Ludwig Stein, Der soziale Optimismus, Jena 1905