ra-2em class=g8>J. C. KreibigH. CohnA. Meinongvon Ehrenfels    
 
CHRISTIAN von EHRENFELS
Werttheorie und Ethik
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"Es ist nach der Definition des Wertbegriffs klar, daß es überhaupt nicht Werte im Allgemeinen, sondern nur für bestimmte Individuen geben kann und daß, wenn man Gegenstände schlechthin als wertvoll bezeichnet, ohne hinzuzufügen, für wen sie es seien, dies nur wegen der Kürze des Ausdruckes hauptsächlich in jenen Fällen geschehen darf, wo - wie bei vielbegehrten Gütern - ein Wert für die meisten wertenden Individuen angenommen werden kann."

"Es ist heute sattsam bekannt, daß die Suggestibilität keineswegs ein ausschließliches Merkmal des hypnotischen Schlafzustandes ist, sondern sich in größerem oder geringerem Maße wohl stets und bei allen Menschen auch im normalen Wachen vorfindet, so daß die Hypnose nur als eine einseitige Steigerung gewisser normaler Dispositionen und als Paralysierung anderer - nicht als ein völlig eigenartiger, wunderbarer Zustand erscheint."

"Bekanntlich ist die Suggestibilität für Befehle, wie die für Einbildungen, im hypnotischen Schlaf am größten und im normalen Leben am ausgebildetsten in verwandten Zuständen. Das zeigen am deutlichsten diejenigen Institutionen, welche sich vornehmlich auf die  Tugend des Gehorsams  - d. h. die Suggestibilität für Befehle - stützen: die mönchische und militärische Zucht. Dem Suggestionspsychologen ist es klar, daß beispielsweise dort durch das monotone Absingen von stereotypen Gebetsformeln, hier durch das Stillstehen in gespannter Haltung mit erzwungener Fixierung des Blickes, der Hypnose verwandte Zustände hervorgerufen werden, deren vornehmliche Eignung zur wirkungsvollsten Beeinflussung des ganzen Menschen von den Begründern und Zuchtmeistern jener Institute frühzeitig praktisch erkannt und aufgrund Jahrhunderte alter Traditionen fortgepflanzt und zu immer feinerer Technik ausgebildet wurde."


Zweiter Artikel

I.
Grundzüge der Wertbewegung

Unter Wertbewegung denken wir einen viel weiteren Begriff, als den die Nationalökonomie mit diesem Wort bezeichnet (1). Wir verstehen unter Wertbewegung schlechthin jede mögliche Veränderung menschlicher Wertungen, auf welchem Gebiet und aus welchen Gründen auch immer sie sich vollziehen mag. Im vorliegenden Abschnitt dieser Untersuchung nun stellen wir uns die Aufgabe, zunächst alle Ursachen tatsächlich sich vollziehender Wertbewegung zu überblicken und in Gruppen zu sondern, dann aber auch die Gesetze jener Veränderungen darzulegen, so weit dies auf einem von der Forschung noch wenig bearbeiteten Gebiet der verwickeltsten Vorgänge für einen ersten Versuch eben möglich ist.

Ehe jedoch das Problem einer Systematik der Wertbewegung in Angriff genommen werden kann, wird es von Vorteil sein, eine summarische Kenntnis des konkreten Inhaltes menschlicher Wertungen überhaupt zu gewinnen, da die Typen der Veränderung begreiflicherweise umso leichter und sicherer erkannt und in ihrer Allgemeinheit festgehalten werden, je deutlicher und bestimmter ihr konkretes Geltungsgebiet mitgedacht und bei jedem neuen Schritt zur Kontrolle herangezogen wird. Als nächstes Problem haben wir somit die Frage nach dem konkreten Inhalt menschlicher Wertungen zu beantworten, d. h. also die Objekte aufzuweisen, welche für den Menschen überhaupt Eigenwerte oder Eigenunwerte, Wirkungswerte oder Wirkungsunwerte darstellen.

Für die Bildung von  Eigenwerten  oder  Eigenunwerten  sind allein die Gefühlsdispositionen des Menschen bestimmend, d. h. die Art und Weise, wie er auf Vorstellungen und Urteile mit Lust oder Unlust reagiert. Es liegt darum nahe, zum Zweck eines Überblickes über alle psychologisch möglichen Eigenwert- und -unwertobjekte nach einem psychologischen Gesetz der Gefühlswirkung von Vorstellungen und Urteilen zu forschen. Was jedoch die Wissenschaft in dieser Richtung zu verzeichnen hat, ist nur die Ergebnislosigkeit sämtlicher Lösungsversuche. Selbst jenes den "Gefühlston" einfacher Empfindungen betreffende Gesetz, welches den geringeren Intensitätsgrößen Lust, den höheren Unlust zuschreibt, bestätigt sich keineswegs ausnahmslos in der Erfahrung. Es gibt Empfindungen (wie etwa der Geruch faulender Fische), welche "unlustvoll betont" sind (wenn man diese Bezeichnung für den Zusammenhang von Empfindung und Gefühl überhaupt akzeptiert), sobald sie nur die Schwelle der Merklichkeit überschreiten. Andererseits ist es mindestens zweifelhaft, ob etwa einfache Lichtempfindungen auch bei höchster Intensität jemals "unlustvoll beton" seien. Dann allerdings fühlen wir Unlust beim Blick in das strahlende Weiß des Sonnenlichtes, der Unlusterreger scheint aber hier viel weniger Licht als die begleitenden Vitalempfindungen im Auge zu sein, ja man kann sich selbst, während das Auge schon schmerzt, noch immer am leuchtenden Glanz erfreuen. - Läßt sich somit selbst für die einfachen Empfindungen eine Gesetzmäßigkeit bezüglich des Gefühles nicht nachweisen, so gelingt dies umso weniger bei abstrakten und komplexen Vorstellungsgebilden und bei Urteilen. Die einzige Regel, welche sich in der Mehrzahl der Fälle, aber keineswegs ausnahmslos bestätigt, ruht nicht auf psychologischer, sondern auf physiologischer Grundlage. Es zeigt sich nämlich, daß meistens diejenigen psychischen Phänomene für ein Individuum unlustvoll sind, welche mit äußeren Reizen oder äußeren Betätigungen kausal zusammenhängen, die der Selbst- oder Arterhaltung des Individuums nützen - und analog diejenigen unlustvoll, deren physiologische Parallelvorgänge schaden. - Bedenkt man, daß im Allgemeinen das Lustvolle aufgesucht, das Schmerzliche vermieden wird, so erklärt sich diese Regel nach den Gesetzen des Kampfes ums Dasein von selbst daraus, daß alle Individuen, welche ein mehr oder minder abweichendes Verhalten zeigen, unterliegen und auf den Aussterbe-Etat gesetzt werden. Doch hat man sich vor unbedachten Generalisationen jener Regel, welche keineswegs den Anspruch eines Gesetzes erheben darf, zu hüten. Denn einerseits  gibt es eben  - wenn auch nicht in der Mehrzahl - lebensuntüchtige, auf den Aussterbe-Etat gesetzte Individuen, welche bloß durch die Gunst zufälliger Umstände erhalten werden oder deren ganze Leben eine allmähliche Verausgabung des ererbten Kapitales von Lebensfähigkeit darstellt und bei ihnen (wie beim Alkoholiker oder Morphinisten) zeigen sich die auffälligsten Abweichungen von jener Regel - andererseits bedarf, damit jene Regel auch nur in großen Zügen der Wirklichkeit entspreche, der Begriff der Arterhaltung beim Menschen (sowie schon bei den gesellschaftlich lebenden Tieren) einer Erweiterung über den Begriff der Erhaltung oder dem Gedeihen des ganzen Stammes. Beispielsweise sollte man bei roher und oberflächlicher Anwendung des Gesetzes vom Kampf ums Dasein vermuten, daß die Gefühlsdispositionen menschlicher Individuen von der Beschaffenheit der ersten Christen ganz gewiß auf den Aussterbe-Etat gesetzt werden würden; denn jene Menschen waren, vermöge ihrer Aversion gegen Angriff und selbst Verteidigung, aller Unbill scheinbar hilflos preisgegeben. Tatsächlich starben sie auch meist eines frühen Todes und überdies noch, vermöge ihrer asketischen Gefühlsveranlagung, oft ohne leibliche Nachkommenschaft, welcher sie ihre Dispositionen hätten vererben können. Dennoch sehen wir ihre für Selbst- und Arterhaltung (im engeren Sinne) scheinbar so ungünstigen Gefühlsdispositionen in Wirklichkeit unter den Menschen mächtig anwachsen. Als möglich begreifen wir diesen Vorgang nur daraus, daß der Mensch zur Fortpflanzung und Übertragung seiner Eigenart auf kommende Generationen noch andere, oft viel wirksamere Mittel besitzt, als die leibliche Zeugung. Aber auch diese Fähigkeit erklärt noch nicht das Zutreffen jenes historischen Ereignisses. Diesbezüglich ist vorderhand nur die Tatsache zu konstatieren, daß die christlichen Gefühlsdispositionen für das Wohl der gesamten Menschheit allerdings von Nutzen waren und die fragliche Regel somit in diesem höheren Sinn hier ihre Bestätigung findet. Den Kausalzusammenhang derartiger Vorgänge zu erkennen, ist eines der letzten Ziele unserer Untersuchung, welches wir jetzt noch nicht vorwegnehmen können.

In diesem Sinne und mit solchen Einschränkungen ist somit jene auf physiologische Verhältnisse - die Fortdauer des leiblichen Lebensprozesses - sich beziehende Regel betreffs menschlicher Gefühlsdispositionen allein zu fassen. In gleicher Weise bestimmt sie auch die Objekte menschlicher Eigenwerte und Eigenunwerte. Streng und ausnahmslos dagegen lassen sich jene Objekte in keinerlei bestimmte Klassen einreihen. Alles, was vorstellbar ist, sogar das anerkannt Unsinnige kann in einzelnen Fällen für den Menschen Eigenwert oder Eigenunwert erlangen.

Dennoch ist es möglich, gewisse Gruppen realer Objekte herauszuheben, welche  für die große Mehrheit  positiver Begehrensakte einer- und negativer andererseits das letzte Ziel abgeben. Den ersten Platz beanspruchen hier die Gefühle der Lust und Unlust. Denn wenn es auch unrichtig ist und bestritten werden mußte, daß alles menschliche Begehren auf die Erzeugung, bzw. Vermehrung von eigener Lust oder die Vernichtung, bzw. Verminderung von eigener Unlust gerichtet sei - so kann doch nicht geleugnet werden, daß solchen egoistischen Akten des Begehrens die allerweiteste Verbreitung und höchste Wirksamkeit im menschlichen Leben zukomme. Eigene Lust ist der vornehmste Eigenwert, eigene Unlust der vornehmste Eigenunwert. - An zweiter Stelle stehen dann andere, eigene (d. h. vom wertenden Individuum für sich selbst begehrte) psychische Phänomene, wie z. B. Sinneseindrücke verschiedener Art, wahre Urteile (Erkenntnis), ästhetische Eindrücke usw. Im großen Durchschnitt sind den Menschen diejenigen psychischen Phänomene, welche die normalen Lebensfunktionen der Selbst- und Arterhaltung begleiten, von Eigenwert: Atmen, Schauen, Hören, Essen, Trinken, Bewegung, mäßige Arbeit, Zeugen und Aufziehen von Nachkommen - auch unabhängig von der daraus erwarteten Lust - aber vorgestellt als psychische Erlebnisse des betreffenden Individuums. - Nach den eigenen psychischen Phänomenen bieten die fremden, d. h. die Phänomene anderer, Wertobjekte. Und zwar werden normalerweise diejenigen Phänomene, welche man für sich selbst begehrt und verabscheut, in gleichem Sinne, jedoch in geringerem Maß auch für andere bewertet. Das gegensätzliche Verhalten (bei den im engeren Sinne diabolischen Naturen) ist nur ausnahmsweise anzutreffen. Man kann die den eigenen entsprechenden fremden Eigenwerte und -unwerte kurz als die sympathischen (bzw. antipathischen) bezeichnen. Außer diesen gibt es jedoch auf dem Gebiet der fremden psychischen Phänomene noch eine zweite Gruppe von Eigenwerten, bzw. -unwerten, welche jene an Bedeutung oft überwiegt. Den meisten Menschen ist die Achtung der eigenen Persönlichkeit von seiten anderer - mag sie sich nun auf Liebe oder Furcht gründen - sowei überhaupt jede Wirkung der eigenen Persönlichkeit, welche in irgendeinem Sinne als Fortsetzung derselben betrachtet werden kann, von hohem Eigenwert, die Mißachtung oder Verachtung, sowie die Wirkungslosigkeit der eigenen Individualität von Unwert. - Fügen wir nun noch hinzu, daß die genannten Gruppen von Eigenwerten und -unwerten, namentlich aber die sympathischen (bzw. antipathischen) sich nicht nur auf andere Menschen, sondern auf alle psychischen oder als psychisch gedachten Wesen beziehen können, so haben wir den Kreis dessen, was für den Menschen im Allgemeinen Eigenwert oder Eigenunwert erlangt, ziemlich erschöpft. Als auffällig dürfte es vielleicht erscheinen, daß nur psychische Realitäten sich hierbei angeführt finden. Die Erfahrung bestätigt jedoch diese Exklusivität des menschlichen Interesses auf das entschiedenste. Ist es auch nicht unmöglich, daß wir an einem als unpsychisch gedachten Ding direkten Anteil nehmen, so zählt dies doch zu den seltensten Ausnahmefällen. Einer unpsychischen Welt für sich vermag der Mensch im Allgemeinen weder Wert noch Unwert beizulegen. Dies zeigt sich wohl am eindringlichsten an einem Beispiel von aktueller Bedeutung - an der Verhaltensweise des menschlichen Gemüts gegenüber der durch den Fortschritt der Naturwissenschaften bedingten Verschiebung unseres Weltbildes. Vergleicht man das Weltbild, wie es sich im Geiste des modernen Naturwissenschaftlers aufbaut, mit dem Weltbild des religiösen Dogmas, so zeigt jenes ein außerordentliches Prävalieren [Bevorzugen - wp] des Physischen, sowohl der Menge und Masse der angenommenen Existenzen nach, wie auch bezüglich der Bestimmtheit und Überzeugungskraft, mit der jene Existenzen vorgestellt und für wahr gehalten werden - dieses dagegen in demselben Sinne und in demselben Maße ein Vorwiegen des Psychischen. Wir sind heute von der Existenz physischer Weltmassen wissenschaftlich überzeugt, deren Vorstellung auch nur zu bilden der kühnste religiöse Glaube keine Veranlassung fand. Dagegen ist unser Weltbild gegenüber demjenigen des religiösen Dogmas bettelarm an psychischen Existenzen. Die Existenz psychischer Wesen außer den Menschen und Tieren wird an sich vielfach bezweifelt, und wer solche Wesen auch auf den anderen Himmelskörpern vermutet, und überdies etwa an eine allgemeine Beseeltheit der Materie oder - wenn er Dualist ist - an ein Hereinwirken einer psychischen Grundmacht glaubt, der bewegt sich hierbei doch meist auf einem Gebiet blasser, unbestimmter Vorstellungen und schwankender Vermutungen. Welcher Reichtum dagegen an psychischen Existenzen hoher und höchster Art und welche Bestimmtheit der Vorstellung sowohl wie der Überzeugung im religiösen Weltbild mi seinen Ausblicken von Ewigkeit zu Ewigkeit! - Dieser Verschiedenheit aber entspricht der Gemütsanteil, welcher dem Weltbild hier und dort zugewandt wird. Während dem religiöse Gläubigen die "andere Welt" oft schwerer wiegt als das gesamte irdische Leben und Treiben, vermögen die ungeheuren Stoffmassen unseres naturwissenschaftlichen Weltbildes das Interesse von der verschwindend kleinen Erde nicht abzulenken, welche uns allein bestimmte Vorstellungen und Überzeugungen von psychischen Existenzen vermittelt; immer ausschließlicher konzentriert sich alles Begehren und Werten des unter dem Einfluß der modernen Wissenschaft heranwachsenden Geschlechts auf  irdisches  Geschehen - der sicherste und bedeutsamste Beweis dafür, daß, wenn auch nicht ausnahmslos, so doch zu allermeist nur Psychisches für den Menschen Eigenwert oder Eigenunwert zu erlangen vermag. Verallgemeinert wird diese Einschränkung noch durch die Lehre von der Subjektivität der Sinnesqualitäten. Seit uns die Materie zum unanschaulichen, nur indirekt vorstellbaren Schemen geworden ist, vermögen wir noch weniger wie früher an rein materiellem Geschehen gemütlichen Anteil zu nehmen.

Soviel also zur Charakteristik der im psychischen Leben zumeist realisierten Eigenbewertungen positiver und negativer Art.

War es nicht tunlich, die psychologisch möglichen und tatsächlichen Eigenwert durch präzise Klassenbegriffe zu umgrenzen, so ist es einleuchtend, daß dies umso weniger für die  Wirkungswerte  versucht werden kann. Denn alle Mannigfaltigkeit und Variabilität, welcher die Eigenwerte unterliegen, betrifft eo ipso schon auch die Wirkungswerte; außerdem unterliegen diese aber noch zahlreichen anderen wesentlich modifizierenden Einflüssen. Auch zwei in Bezug auf die Eigenwerte vollkommen gleich veranlagte Individuen können doch sehr verschiedene Objekte um ihrer Wirkung willen wertschätzen, je nach der Verschiedenheit ihrer Umgebung, ihrer Technik und ihrer richtigen oder falschen Ansichten über den Kausalzusammenhang der betreffenden als Wirkungswerte zu schätzenden mit den um ihrer selbst willen bewerteten Objekten. Somit besitzt der Satz, daß alles Vorstellbare bewertet werden kann, auf dem Gebiet der Wirkungswerte eine noch breitere Grundlage als auf dem der Eigenwerte und nur die eine Einschränkung ist naturgemäß vorzunehmen, daß das als Wirkungswert Bewertete als wirkungsfähig gedacht werden müsse - was bei Eigenwerten nicht nötig ist.

Scheinen wir also bei den Wertungen um der Wirkung willen zunächst einem unüberblickbaren Chaos gegenüber zu stehen, so zeigt doch die Erfahrung, daß auch hier der großen und überwiegenden Menge nach - aus leicht zu erkennenden Gründen - eine weitgehende Übereinstimmung zwischen den einzelnen Individuen besteht. Das erhellt sich am besten daraus, daß die meisten als Wirkungswerte geschätzte Gegenstände Objekte des wirtschaftlichen Verkehrs sind, also auch von anderen Individuen geschätzt werden. Aber auch auf einem anderen als dem ökonomischen Gebiet zeigt sich jene Übereinstimmung in auffälliger Weise: Es ist dies das Gebiet menschlicher Existenzen und menschlicher Leistungen und Eigenschaften, welche nicht etwa wie die Person des Sklaven oder die Leistung des Arbeiters Gegenstand wirtschaftlichen Verkehrs werden können. Hier müssen wir zum erstenmal im Gang der Untersuchung näher auf das Gebiet ethischer Bewertungen hinweisen. Es kann und soll dies geschehen, ohne irgendwelchen ethischen Theorien vorzugreifen. Mag man selbst die Ethik für etwas ganz außerhalb der hier entwickelten Wertrelationen Stehendes ansehen - mag man die ethischen Werte mit noch so großer Entschiedenheit als Eigenwerte betonen - daß sie (d. h. also die ethisch bewerteten Qualitäten der mit uns lebenden Menschen) außerdem auch noch hohe Wirkungswerte für die Umgebung darstellen und daß in der Bewertung der ethischen Qualitäten um ihrer Wirkung willen eine weitgehende Übereinstimmung zwischen verschiedenen Individuen stattfindet, muß jedenfalls zugestanden werden.

Man kann somit aus der unübersehbaren Menge möglicher und individuell verschiedener Wirkungswerte die Gruppen  wirtschaftlicher Werte  einer- und  ethischer Werte  (sowie Unwerte) andererseits als besonders bedeutsame Fälle der Übereinstimmung hervorheben. Zugleich ist der in sich einleuchtende Satz festzuhalten, daß die Bewertungen der Gegenstände als Wirkungswerte und Eigenwerte im positiven oder negativen Sinn einander weder ausschließen noch bedingen.

Zieht man nun nach dieser Umschau auf den konkreten Wertgebieten das spezielle Thema der  Bewegung oder Veränderung der Werte  näher in Betracht, so muß vor allem auf einen Umstand hingewiesen werden, welcher nicht sowohl die Konstatierung von Wertveränderungen, als vielmehr die Annahme von beharrenden Werten zu verbieten scheint. - Es ist nach der Definition des Wertbegriffs klar, daß es überhaupt nicht Werte im Allgemeinen, sondern nur für bestimmte Individuen geben kann und daß, wenn man Gegenstände schlechthin als wertvoll bezeichnet, ohne hinzuzufügen, für wen sie es seien, dies nur wegen der Kürze des Ausdruckes hauptsächlich in jenen Fällen geschehen darf, wo - wie bei vielbegehrten Gütern - ein Wert für die meisten wertenden Individuen angenommen werden kann. Bei schärferer Distinktion jedoch ist leicht erkenntlich, daß die Wertbestimmung auch mit jenem Hinweis auf das wertende Individuum noch nicht präzise vollzogen ist, da ja das Begehren des betreffenden Individuums für seine Wertung maßgebend ist und auch ein und dasselbe Individuum sich bezüglich seines Begehrens keineswegs zu allen Zeiten gleich verhält. Es leuchtet ein, daß außer der Bestimmung des Individuums noch die Bestimmung einer gewissen Zeitspanne nötig ist, in welcher das Individuum betreffs seiner die Wertung bedingenden Attribute ganz oder nahezu konstant bleibt. Solcher Zeitspannen aber ließen sich nur äußerst kurze und vielfach intermittierende [mit kurzen Unterbrechungen - wp] angeben, sobald man den Wert lediglich auf ein  aktuelles Begehren  beziehen würde. Demnach wären für eine bestimmte Person zu einer bestimmten Zeit nur diejenigen Gegenstände wertvoll, welche die betreffende Person tatsächlich begehrt, also jedenfalls kein einziger Gegenstand, welchen die Person zur bestimmten Zeit nicht zur Vorstellung brächte. Unsere Werte würden somit ebenso rasch wechseln wie unsere Vorstellungsinhalte und es wäre kaum möglich, von dauernden Werten überhaupt zu sprechen. Diese Ausdrucksweise widerstritte aber ebensowohl der Zweckmäßigkeit wie der üblichen Begriffsauffassung. Es ist klar, daß es bei der Wertung nicht auf das tatsächliche, aktuelle Begehren, sondern auf die Fähigkeit oder Disposition hierzum beim wertenden Individuum ankommt. Mein künftiges Lebensglück ist mir wertvoll, auch wenn ich gegenwärtig nicht daran denke und es deshalb auch nicht begehren kann und zwar deshalb, weil, sobald meine Aufmerksamkeit darauf gelenkt und dasselbe in Frage gestellt, mein Begehren danach zweifellos erweckt werden würde. In gleicher Weise verhält es sich auch mi Wirkungswerten, etwa dem Besitz von Gold und Silber. Die allgemeine Definition des Wertes als Begehrungsobjekt erfordert somit eine weitere Bestimmung dahin, daß unter Begehren hier nicht ausschließlich ein aktuelles, sondern ebensowohl ein mögliches Begehren oder, was dasselbe ist, eine  Begehrensdisposition  zu verstehen ist.

Aber auch dann wird die Zeitbestimmung als Ergänzung der Beziehung auf ein bestimmtes Individuum noch nötig sein, daß die menschlichen Individuen sich in ihren Dispositionen des Begehrens zwar niccht so vielfach und rasch als in ihrem aktuellen Begehren, dennoch aber oft und auffällig ändern. Allgemein kann nach den bisherigen Ausführungen schon festgehalten werden, daß, während die Dispositionen des Begehrens letzter Zwecke und somit die Eigenwerte, sich parallel mit den Gefühlsdispositionen des Begehrens von Mitteln zu letzten Zwecken, also der Wirkungswerte, außer den Veränderungen der Gefühlsdispositionen noch Änderungen des Urteils des wertenden Individuums, sowie mannigfache äußere Verhältnisse bestimmend sind. Hieraus ergibt sich zunächst, daß Konstanz im strengen Sinne des Wortes bei den Wertgrößen ebensowenig wie anderswo im Bereich des Tatsächlichen zu finden sein wird - dann aber auch, daß die Eigenwerte im großen und Ganzen mehr Stabilität aufweisen werden, als die von ihnen und noch von anderen Bedingungen abhgängigen Wirkungswerte. Eine Betrachtung der Wertbewegung im Allgemeinen wird daher zunächst auf die Eigenwerte zu achten haben, deren Veränderungen ja sämtlich auch Veränderungen von Wirkungswerten mit einschließen. Selbst wenn wir die Dispositionen des Begehrens statt des aktuellen Phänomens in Betracht ziehen, erhalten wir jedoch in gewissen Fällen eine größere zeitliche Variation der Werte, als der Sprachgebrauch und die Zweckmäßigkeit des Ausdrucks zu rechtfertigen vermögen. So ist es z. B. klar, daß selbst für denjenigen, welchem etwa der Weingenuß einen noch so hohen Eigenwert darstellt, dennoch unmittelbar nach der Konsumtion einer gewissen Weinmenge eine Zeitspanne eintreten wird, in welcher er weder ein aktuelles Begehren noch auch die Disposition zu einem solchen nach weiterer Fortsetzung des Weingenusses besitzt. Die Genußfähigkeit - d. h. also die der Bewertung zugrunde liegende Gefühlsdisposition - erlahmt eben für eine gewisse Zeit, freilich nur um nach Ablauf derselben in gleicher Intensität wieder zu erwachen. Eine solche Periodizität der Dispositionen des Gefühls und mithin auch des Begehrens ist in der menschlichen Natur vielfach anzutreffen. Die mit sinnlichen Eindrücken verbundenen Lustgefühlte unterliegen ihr ausnahmslos, weniger die Unlustgefühle, sowie die Gefühle, welche sich bei abstrakten Vorstellungen und Überlegungen einstellen, z. B. die Freude an der Vergrößerung des Besitzes und dgl. mehr. Als vollkommen frei von solchen periodischen Wandlungen aber dürften sich wohl gar keine Gefühlsdispositionen erweisen. Dennoch widerspricht es unserem Sprachgefühl und wäre auch sonst nicht zu empfehlen, einen gleichen periodischen Wandel der Wertungen der betreffenden Individuen anzuerkennen. Darum wollen wir von diesem in der Theorie sowie in der Praxis im Allgemeinen absehen und von einer Veränderung der Wertung nur dann sprechen, wenn eine  dauernde Veränderung  der Dispositionen des Gefühls (oder außerdem bei Wirkungswerten des Urteils oder der Verhältnisse) vorliegt. Daß die Grenzen zwischen periodisch und dauernd nur beiläufig zu ziehen sind, behindert wohl die logische Präzision, nicht aber die wissenschaftliche Brauchbarkeit des Wertbegriffs.

Somit ist die Frage nach den  Veränderungen der Eigenwerte,  welche wir als die einfachere zunächst in Angriff nehmen, identisch mit der Frage nach den dauernden Veränderungen von Gefühlsdispositionen.

Als Gefühlsdispositionen bezeichnen wir die Fähigkeiten, mit bestimmten psychischen Phänomenen bestimmte Gefühle der Lust und Unlust zu verbinden. Über die Art jener Verbindung, betreffs welcher in der Psychologie die verschiedensten Ansichten herrschen, sollen hier keinerlei bestimmte Annahmen vorausgesetzt werden; ebensowenig darüber, ob die Gefühlsdispositionen, sowie überhaupt psychische Dispositionen, auf rein physiologischer Grundlage beruhen oder ob sie außerdem durch latente - natürlich unbewußte - rein psychische Gegebenheiten irgendwelcher Art konstituiert werden. Das freilich wird der entschiedenstes Spiritualist zugeben müssen, daß unsere Gefühlsdispositionen (ebenso wie andere psychische Dispositionen) durch physiologische Eingriffe oder Lebensprozesse wesentlich beeinflußt werden - wogegen der konsequenteste Monist nicht leugnen können wird, daß uns viele die Gefühlsdispositionen (sowie andere psychische Dispositionen) beeinflussende Bedingungen nur von ihrer psychischen Seite her bekannt sind. Außer den rein physiologisch und rein psychologisch bekannten Einwirkungen sind natürlich auch völlig unbekannte, sowie Einwirkungen, welche sowohl von der physiologischen als auch von der psychologischen Seite her bekannt sind, denkbar. Die letzte Klasse ist jedoch beinahe eine rein ideale, da bisher eine genaue Kenntnis der physiologischen Disposition noch nicht gewonnen wurde. Jedenfalls können wir nach dem Gesagten die Ursachen einer dauernden Veränderung von Gefühlsdispositionen in psychologisch bekannte und in psychologisch unbekannte einteilen - unter der zweiten Kategorie sowohl die physiologisch bekannten, als auch die vollkommen unbekannten zusammenfassend.

Wir beginnen bei der Darstellung mit der zweiten Kategorie der psychologisch unbekannten Ursachen, als mit derjenigen von fundamentalerer Bedeutung, da sie auch den psychologisch vollkommen dunklen Zeugungsprozeß, also das Entstehen von Gefühlsdispositionen überhaupt beim werdenden Individuum, einschließt. Somit haben wir als erste Klasse die  Entstehungsursachen der sogenannten angeborenen Gefühlsdispositionen  zu verzeichnen. Diese Dispositionen können, je nachdem sie denjenigen der Eltern des betreffenden Individuums gleichen oder nicht,  ererbte  oder  nicht ererbte  sein. Im ersten Fall liegt die Annahme eines physiologischen Kausalzusammenhangs nahe, wenn sie sich auch noch auf keinerlei Detailkenntnisse gründen kann. Auch im zweiten Fall ist eine physiologische Erklärung denkbar; ebensogut aber für den Dualisten eine psychische mit Bezug auf unbekannte außermenschliche Existenzen. Zu bemerken ist, daß die ererbten Gefühlsdispositionen nicht immer schon unmittelbar nach der Geburt, sondern meistens sogar erst viel später aktuell werden können, wie etwa eine ererbte Vorliebe für Alkoholgenuß, für Musik, ein ererbter besonders starker Geschlechtstrieb usw. Man hat hier anzunehmen, daß nicht sowohl die Gefühlsdisposition selbst, als vielmehr die Anlage hierzu ererbt wurde, also eine Disposition zweiter Ordnung, welche bei normalem psychophysischem Wachstum jene Gefühlsdisposition selbst hervorbringt. Das führt zu der zweiten Klasse der  Ursachen des organischen Entwicklungsganges.  Jede Altersstufe hat nämlich, physiologischen wie auch ihren psychologischen und speziell gefühlsdsipositionellen Typus. Als auffälligstes Beispiel kann hier auf das Erwachen und Erlöschen des Geschlechtstriebes hingewiesen werden. Die Ursachen der betreffenden Veränderungen sind wahrscheinlich physiologischer Natur, aber noch vollkommen dunkel. Sie unterscheiden sich nicht scharf von den Ursachen der angeborenen Gefühlsdispositionen, da ja der Werdeprozeß des Embryois im Mutterschoß auch ein organischer Wachstumsprozeß ist und der äußerliche Vorgang der Geburt keine wesentliche Unterscheidung bedingen kann. Wichtiger wäre es, den Zeugungsakt vom Wachtsumsprozeß im Mutterschoß scharf zu unterscheiden; doch auch das ist unmöglich, da die Zeugung selbst sich als das allmähliche Ineinanderwachsen des Samentierchens mit dem Mutterei darstellt. -

Als Grenzfall zählen zu den Ursachen des organischen Entwicklungsganges auch die Todesursachen, von denen wir freilich nicht wissen, ob sie die betreffenden Gefühlsdispositionen mit dem Individuum aufheben oder etwa in irgendeiner Art stabilisieren oder modifizieren. Zu jenen zwei ineinander übergehende Klassen müssen wir noch die dritte der  vollkommen dunklen Veränderungsursachen  von Gefühlsdispositionen zählen. Sie reihen sich an die Entstehungsursachen der nicht ererbten angeborenen Dispositionen und könnten mit ihnen zu einer Kategorie der  spontanen Neubildungen  vereinigt werden - freilich nur ein neues Wort für unsere totale Unkenntnis jener Entstehungen und Veränderungen, auf welche im Einzelnen das Werden und Wachstum des Genies, im Großen und Ganzen die menschliche Variationsfähigkeit und mit ihr Fortschritt und Entwicklung zurückzuführen sind.

Die psychologisch dunklen, physiologisch nur wenig aufgehellten Ursachen des Entstehens, Erblühens und Vergehens, der Verjüngung und Entwicklung menschlicher Gefühlsdispositionen bilden somit die vornehmlich wirkenden Grundmächte der Veränderung, neben welchen den  psychologische erklärbaren oder mindestens beschreibbaren Einflüssen  fast nur die Rolle von Modifikationen zukommt. Im Besonderen lassen sich folgende Arten jener Einwirkungen aufzählen:
    1.  Gewohnheit.  - Wenn ein von Lust- oder Unlustgefühlen begleiteter Eindruck oft wiederholt wird, so nehmen die Gefühle fast ausnahmslos an Intensität ab. Dieser psychische Sachverhalt ist im praktischen Leben schon so gut bekannt, daß der Hinweis auf Beispiele wohl nicht nötig ist. Scheinbare Gegeninstanzen - daß man manche Eindrücke erst allmählich schätzen lernt - lassen sich wohl dadurch erklären, daß man erst allmählich die Fähigkeit erlangt, aus einem äußeren Geschehnis (etwa dem Abgespieltwerden eines Tonstückes) den lustvollen psychischen Eindruck (das Phantasiebild der musikalischen Gestalt) zu gewinnen. Auf einer Verwechslung zwischen äußerem Reiz und psychischem Inhalt dürfte es ebenso beruhen, wenn bisweilen eine öftere Wiederholung (etwa das oftmalige Ausgleiten bei einem anstrengenden Bergsteigen) die Unlust zu steigern scheint. (Das Ausgleiten des Fußes) bringt etwa zum hundertsten Mal einen ganz anderen psychischen Eindruck mit sich, als beim ersten Mal.) Fälle endlich wie derjenige der angehenden Raucher, denen die Zigarre erst Unlust, dann Lust bereitet, dürften ebenfalls nach jenem Schema, nur komplizierter, zu lösen sein. em angehenden Raucher sind die heftigen Geschmacks- und Geruchsempfindungen unangenehm, außerdem knüpfen sich daran Vitalempfindungen aus den Verdauungsorganen, welche ebenfalls Unlust im Gefolge haben. Bei öfterer Wiederholung nehmen die Geschmacks- und Geruchsempfindungen an Intensität ab und sind von Lustgefühlen begleitet, die unlustvollen Vitalempfindungen aus den Verdauungsorganen aber verschwinden gänzlich. Auch hier änder sich als bei gleichen äußere Reizen der psychische Eindruck.

    Neben jener Tendenz zur Abschwächung der Gefühlsdispositionen aber besitzt die Gewohnheit eine zweite Wirkung; sie schafft Bedürfnisse, d. h. nach oftmaliger regelmäßiger Wiederholung eines Eindruckes wird sein Ausbleiben unlustvoll empfunden. Auch diese Wirkung ist in der Psychologie des praktischen Lebens so bekannt, daß Beispiele überflüssig erscheinen. Festzuhalten ist, daß selbst anfänglich unlustvolle Einwirkungen oder Betätigungen - wie etwa die durch Not erzwungene tägliche Berufsarbeit - allmählich zum Bedürfnis werden können.

    Gewohnheit stumpft die Gefühle ab und schafft Bedürfnisse. In diesen Satz lassen sich somit ihre Wirkungen zusammenfassen.

    2.  Entwöhnung.  - Längeres Unbefriedigtbleiben eines Bedürfnisses verstärkt zunächst die Gefühlsfähigkeit der betreffenden Art. Nach Überschreitung einer gewissen Elastizitätsgrenze jedoch nimmt die Fähigkeit ab, um häufig - wenn mit der konstanten Nichtbefriedigung nicht etwa (wie beim Nahrungsbedürfnis) die physische Auflösung des Individuums verbunden ist - endlich ganz abzusterben. So kann etwa durch konstante Enthaltsamkeit die Lustfähigkeit an gewissen Sinnesreizen, selbst an bestimmten Betätigungen des Intellekts ertötet werden.

    3.  Assoziation.  - Wenn zwei Vorstellungen, von denen die eine mit einem Gefühl verbunden ist, wiederholt zusammen auftauchen, so nimmt die ursprünglich indifferente Vorstellung allmählich den Gefühlston an, d. h. sie ist nun auch, wenn sie allein auftaucht, mit jenem Gefühl verbunden. - Ein bekanntes Beispiel für Gefühlsassoziation ist das Liebgewinnen etwa von Räumlichkeit und Gegenden, in denen man Erfreuliches erlebt hat. Allerdings wird häufig eine unbemerkte Assoziation von Vorstellungen als Gefühlsassoziation gedeutet werden. Man glaubt etwa vom Augenblick eines vertrautgewordenen Hauses an sich Lust zu empfangen und empfängt sie tatsächlich doch nur von den Erinnerungen, welche sich assoziativ an den Anblick knüpfen. Oft mag auch durch Gewohnheit und nicht durch Assoziation ein Bedürfnis gebildet worden sein. Den Ort, an dem man viel Erfreuliches erlebt hat, hat man auch oft aufgesucht und schon deswegen verlangt man, ihn wiederzusehen und empfängt Befriedigung von der Erfüllung dieses Verlangens. Scheidet man das Gefühl von den zu allermeist gefühlserregenden Vorstellungen, nämlich den Vitalempfindungen, so ist es sogar zweifelhaft, ob überhaupt eine reine, nicht durch Empfindungen vermittelte Gefühlsassoziation nachgewiesen werden kann. Der Vorgang scheint sich vielmehr stets in der Weise abzuspielen, daß an die assoziierende Vorstellung sich zunächst Vitalempfindungen und an diese erst Gefühle anschließen. Da es indessen nicht ausgeschlossen ist, daß alle gefühlsmäßige "Betonung" von Vorstellungen, auch bei den höheren Sinnesempfindungen und abstrakten Vorstellungen, durch Vermittlung von Vitalempfindungen erfolge, so kann man immerhin die Gefühlsassoziation - mit dem Vorbehalt, daß sie eine vermittelte sei - als eine Art der Veränderung von Gefühlsdispositionen festhalten.

    4.  Die Gefühlsübertragung  von der Wirkung auf die dafürgehaltene Ursache. - Aus dem täglichen Leben erfahren wir an vielen Beispielen, daß, wenn uns ein erfreuliches oder ein widriges Ereignis begegnet, dessen Ursache wir erkennen oder zu kennen glauben oder uns auch nur mit Lebhaftigkeit anschaulich machen, ohne sie explizit zu beurteilen, uns alsbald diese wirkliche oder vermeintliche Ursache auch ansich erfreulich oder mißliebig wird. Besonders deutlich und intensiv ist dieser Vorgang dort, wo die Ursache als ein wollendes Wesen gedacht oder vorgestellt wird. - Äußerlich ließe sich der Prozeß unter die Gefühlsassoziationen subsumieren, doch weist die Vehemenz der Gefühlsübertragung, sowie der Umstand, daß diese nicht oder doch nur in ungleich geringerem Maße umgekehrt von der Ursache auf die Wirkung statthat, auf eine selbständige, von der Assoziation zu unterscheidende psychische Tendenz hin, welche, so lange sie nicht aus noch allgemeineren Prinzipien erklärt wird, als solche anerkannt werden muß.

    5.  Einbildung.  - Es ist eine längst bekannte, in jüngster Zeit durch die Psychologie der Suggestion in besonderer Exaktheit festgestellte Tatsache, daß die Überzeugung, man besitze gewisse psychische Fähigkeiten - speziell auch Gefühlsdispositionen - oder man besitze sie nicht, diese Fähigkeiten tatsächlich zu wecken, bzw. zu paralysieren vermag.

    6.  Begehren.  - Ein heftiges Begehren nach einer bestimmten Gefühlsweise vermag nur bei bildsamen Charakteren jene Gefühlsweise tatsächlich hervorzubringen. - Hierauf beruth etwa die erzieherische Wirkung von Heldensagen auf die Jugend, die Praxis der Kirche, dem Sünder die willentliche Erweckung der Reue anzubefehlen u. a. m.
Hiermit dürften die psychologisch beschreibbaren Arten der dauernden Veränderung von Gefühlsdispositionen - und somit auch der Schaffung, Modifikation und Aufhebung von Eigenwerten und Eigenunwerten - erschöpfend aufgezählt sein. Doch ist darum unsere Aufgabe noch keineswegs gelöst. Denn jene bewegenden Faktoren - die psychologisch beschreibbaren sowohl wie die nicht beschreibbaren - vereinigen sich im Leben des Einzelnen wie auch im sozialen Verkehrt zu mannigfachen Kombinationen, deren Grundtypen es nun darzustellen gilt.

Von höchster Bedeutung für das gesellschaftliche Leben und die Entwicklungsfähigkeit des Menschengeschlechts im Allgemeinen sind die Einwirkungen von Mensch auf Mensch, speziell auch auf dem Gebiet der Gefühlsdispositionen. Für diese Einwirkungen lassen sich drei Typen aufstellen: der Zwang, die Einwirkung durch das Beispiel und die Suggestion.

1.  Der Zwang  ist die durch physische Gewalt oder durch die Schaffung psychischer Motive (Drohung oder auch Versprechen von Belohnung) erfolgende Aufnötigung gewisser äußerer Betätigungsweisen, mit denen bestimmte psychische Zustände verbunden sind. Regelmäßiger Zwang wirkt auf die Gefühlsdispositionen hauptsächlich vermöge des Einflusses der Gewöhnung und Entwöhnung. So wird etwa dem Kind das Unbehagen an regelmäßiger Tätigkeit durch Zwang abgestumpft und endlich ganz genommen, bis diese ihm zum Bedürfnis geworden, also angewöhnt wurde. In ähnlicher Weise können andere Gefühlsdispositionen - etwa Grausamkeit, Neigung zu Alkoholismus - durch die konstante Nichtbefriedigung lahmgelegt werden. Doch kommt es hier darauf an, daß man jenes Elastizitätsmaximum überwindet, welches bei verschiedenen Naturen sehr verschieden hoch gelegen ist. Ehe man es überwunden hat, ist die Wirkung einer erzwungenen Nichtbetätigung die gegensätzliche, d. h. das Bedürfnis wird dadurch nur vermehrt.

Versuche, mittels Zwang nach dem Gesetz der Gefühlsübertragung zu wirken, sind meist nur bei tiefstehenden Intellekten von Erfolg begleitet. Es überträgt sich da beispielsweise die Unlust an der Strafe auf ihre Ursache, die gestrafte Tat. Bei etwas ausgebildeteren Intellekten jedoch und wo nicht große Liebe und Hingebung für den Strafenden vorhanden ist, überträgt sich der Unwille statt auf die gestrafte Tat vielmehr auf den anderen Teil der Ursache - den Strafenden selbst, welcher statt der Tat nur um der Strafe willen verhaßt wird.

Auch Belohnungen (welche nach unserer Definition als Spezialfälle des Zwangs (2) anzusehen sind) wirken in derselben Weise durch Gewöhnung und Entwöhnung, aber nur unvollkommen durch Gefühlsübertragung.

Der Zwang ist die auffälligste, wenn auch nicht die erfolgreichste Einwirkung von Mensch auf Mensch, diejenige, welche auf primären Kulturstufen und bei niedriger geistiger Ausbildung allein verstanden und mit Zweckbewußtsein ausgeübt wird.

2.  Die Einwirkung durch das Beispiel  gründet sich vornehmlich auf den allen Menschen, besonders aber den jugendlichen Charakteren innewohnenden Nachahmungstrieb, welcher speziell bei Gefühlsdispositionen in einer großen Assoziationsfähigkeit der gefühlsmäßig am stärksten betonten Empfindungen (Vitalempfindungen) an fremde Ausdrucksbewegungen aller Art beruth. Der Vorgang hierbei ist der, daß die Ausdrucksbewegung eines andern, etwa die Geste des Ekels bei irgendeinem Anblick, auch mir Ekelempfindungen hervorruft, welche sich an jenen Anblick so fest assoziieren, daß sie nun beim jeweiligen Wiederkehren des Anblicks selbst mit den sie begleitenden Unlustgefühlen auftreten und den Anblick zu einem Eigenunwert für mich qualifizieren. Solche Assoziationen stellen sich begreiflicherweise umso zahlreicher und intensiver ein, erstens: je mehr die fremden Ausdrucksbewegungen den eigenen verwandt sind, und zweitens: je lebhafter und dauernder das anschauliche Bild der einwirkenden Persönlichkeit sich in der Phantasie festsetzt. Darum ist die Stammesverwandtschaft und eine sympathische Stimmung der gesamten physiologischen Persönlichkeit eine Hauptbedingung jener Wirkungen, welche durch Liebe wie auch durch Furcht bedeutend gesteigert werden, da Liebe zu einer Persönlichkeit sowie Furcht vor derselben die Phantasie veranlassen, sich ihr Bild häufig und dauernd zu erneuern. Die Liebe ist jedoch in dieser Beziehung noch wirksamer, da sie mehr noch als die Furcht außer den genannten Assoziationen das Begehren nach gleicher Beschaffenheit weckt und somit vermöge zweierlei psychologischer Tendenzen zugleich wirkt.

Die Einwirkung durch das Beispiel stellt sich mithin als eine scheinbare dar, durch meist unbemerkte Empfindungen vermittelte Gefühlsassoziation, verstärkt durch die Wirkung des Begehrens. Auch die Gefühlsübertragung von der Wirkung auf die angenommene Ursache ist mittelbar von Einfluß, da durch sie in den meisten Fällen Liebe und Furcht, wo sie sich auf Persönlichkeiten richten, ausgebildet werden.

Endlich muß noch bemerkt werden, daß sich die Einwirkung durch das Beispiel auf Eigenschaften beziehen kann, deren direkte Betätigungen beim Einwirkenden vom Beeinflußten gar nicht wahrgenommen werden; dann nämlich, wenn jene Eigenschaften mit anderen, direkt betätigten und übertragenen, in psychologischem oder physiologischem Zusammenhang stehen. So kann etwa durch eine bestimmte Sprechweise, durch den Tonfall der Stimme, durch unwillkürliche Ausdrucksbewegungen betreffs scheinbar gleichgültiger Gegenstände, bei beeinflussungsfähigen Individuen eine Wirkung eingeleitet werden, welche sich in ihrer psychologischen und physiologischen Folgerichtigkeit später auch auf ganz andere, scheinbar abliegende, in Wirklichkeit aber vermöge noch unerschlossener Kausalketten zusammenhängende Gebiet speziell auch der Gefühlsdispositionen erstreckt. Auf solchen indirekten Einflüsen beruth zum größten Teil das Adelnde im Verkehr mit edlen Naturen, das Verderbliche im Zusammensein mit niedrigen Menschen. Eine richtige Ahnung jener Einflüsse läßt die besorgte Mutter schon die Berührung ihres Kindes durch verruchte Hände als eine drohende Gefahr empfinden; eine gerechte Würdigung jener geheimen Mitteilung der eigenen Individualität ist es auch, welche die künstlerische Beeinflussung der Menge, namentlich von der Schaubühne herab, zu einem so vielumworbenen Objekt des Kampfes und Wettbewerbes gemacht hat. Bei den Wirkungen der Kunst (welche solchermaßen unter den - erweiterten - Begriff der Einwirkung durch das Beispiel subsumiert werden können) sind es nur Phantasiebilder der beeinflussenden Persönlichkeit, deren Übertragung die weitestgehenden Wirkungen und Assimilierungen der Natur des Empfängers an diejenige des Künstlers zur Folge haben können. In diesem Sinne allein - als Ausdruck einer bestimmten Individualität - besitzt jedes Kunstwerk, auch das scheinbar beziehungslose, eine Tendenz, welche umso intensiver wirkt, je lebhafter die Aneignung des vermittelten Phantasiebildes durch den Empfänger erfolgt - wohingegen die Wirkungen der "Tendenz" im engeren Sinn, einer durch Reflexion in das Kunstwerk (wenn es diesen Namen dann noch verdient) hineingetragenen Maxime, gleich Null zu veranschlagen ist. (Trotzdem gibt es viele Praktiker auf dem Gebiet der Kunst, welche sich selbst und das Publikum über die wahren Wirkungen einer unflätigen Phantasie durch eine dem Werk aufgeklebte tadellose moralische Etikette hinwegzutäuschen verstehen.)

3.  Die Suggestion  ist eine in neuester Zeit vielfach diskutierte Art der Einwirkung von Mensch auf Mensch, deren Bezeichnung, wie alle Schlagwörter der Mode, auch mannigfachem Mißbrauch ausgesetzt ist. Was man gegenwärtig vielfach mit dem ungewohnten Terminus Suggestion als vollkommen neue psychische Tatbestände ausruft, ist oft nichts anderes, als die längst gekannte und anerkannte Einwirkung durch das Beispiel; mitunter geschieht es selbst, daß die gewöhnlichsten psychischen Alltagsphänomene zu jenem Modebegriff in eine gekünstelte Beziehung gebracht werden und uns etwa ein einfacher innerer Willensakt unter dem vornehm und gelehrt klingenden Titel der "Autosuggestion" als ein scheinbar völlig Neues entgegentritt. Man täte indessen Unrecht daran, sich durch einen derartigen Unfug die gerechte Würdigung der hochbedeutsamen Aufschlüsse verkümmern zu lassen, welche die systematische Beobachtung der eigentlichen Phänomene der Suggestion (im engeren Sinne des Wortes) auf weit verbreiteten Gebieten der Beeinflussung des Menschen durch den Menschen eröffnet hat.

Unter Suggestion im engeren Sinne hat man, wenn man das Wichtigste und Wesentliche der fraglichen Gruppe von Phänomenen hervorheben will, diejenige Einwirkung eines Menschen auf einen anderen zu verstehen, bei welcher jenem vom Suggerierenden zunächst die  Überzeugung  beigebracht wird, er besitze ein psychisches oder physisches Phänomen oder eine betreffende Fähigkeit - oder er besitze sie nicht - und bei welcher sich das bezügliche Phänomen oder die Fähigkeit nun infolge der zunächst beigebrachten Überzeugung auch tatsächlich einstellt - bzw. ausfällt oder paralysiert wird. Es ist nicht richtig, daß die Tatsache der Suggestion, auch in diesem engeren Sinne, erst in neuerer Zeit entdeckt und geübt wurde - wohl aber wurde ihr erst in den letzten Jahren eine wissenschaftlich methodische Arbeit zugewandt und damit die Grundlage einer gerechten theoretischen wie praktischen Wertschätzung jener früher kaum beachteten menschlichen Funktionen geschaffen. Bekanntlich war die betreffende wissenschaftliche Bewegung durch die experimentelle Untersuchung der so auffälligen und darum vielbesprochenen hypnotischen Zustände eingeleitet - ein Weg, der sich als wissenschaftlich fruchtbar erwies, da sich die Fähigkeit zu suggestiver Beeinflussung beim Menschen nirgends in so hoher Steigerung vorfindet wie im hypnotischen Schlaf und bekanntlich die intensivsten Erscheinungen einer Kategorie meist die günstigsten Versuchs- und Beobachtungsobjekte darbieten. In dessen ist es heute sattsam bekannt, daß die Suggestibilität keineswegs ein ausschließliches Merkmal des hypnotischen Schlafzustandes ist, sondern sich in größerem oder geringerem Maße wohl stets und bei allen Menschen auch im normalen Wachen vorfindet, so daß die Hypnose nur als eine einseitige Steigerung gewisser normaler Dispositionen und als Paralysierung anderer - nicht als ein völlig eigenartiger, wunderbarer Zustand erscheint.

Die normale wie die hypnotische Suggestibilität erstreckt sich auf fast alle Kategorien psychischer Phänomene, ja selbst auf physische Vorgänge und umfaßt auch das hier näher zu beachtende Gebiet der Gefühlsdispositionen. Allerdings sind da die auffälligsten Beeinflussungen - wie etwa die Anästhesie bestimmter Körperteile im hypnotischen Schlaf, welche selbst tiefe chirurgische Eingriffe, wie in der Narkose, ermöglicht - temporärer Natur; doch wurden durch systematische hypnotische Behandlungen auch schon relativ dauernde gefühlsdispositionelle Veränderungen, wie etwa die Heilung vom Alkoholismus aufgrund einer suggerierten Abneigung gegen den Geschmack der betreffenden Getränke, erzielt. Noch höher in Bezug auf Dauer und Beständigkeit - wenn auch schwächer in Bezug auf Intensität - dürfen wohl mancherlei konstante Einwirkungen im normalen Zustand veranschlagt werden, wie etwa die im Sonderbewußtsein geschlossener Stände begründete Überzeugung des Einzelnen, daß er die von seinem Stand hochgehaltenen Charaktereigenschaften tatsächlich besitzt - eine Überzeugung, gestützt durch die stillschweigende, als selbstverständlich geltende Voraussetzung der Standesgenossen, die betreffenen Charaktereigenschaften endlich hervorbringt. Ähnlich wirkt das Zutrauen, welches der weise Erzieher in die ethische Beschaffenheit seines Zöglings setzt, wodurch dieser zunächst ethisches Selbstbewußtsein, d. h. den Glauben an sine eigene ethische Veranlagung und dann weiter diese selbst dich erwirbt - u. a. m. Die psychologische Praxis ist in dieser Beziehung viel älter und feiner ausgebildet, als heute noch die Theorie; so begegnet man mitunter dem raffinierten Verfahren, daß bei eigenwilligen und oppositionslustigen Charakteren die betreffende tatsächlich noch nicht vorhandene Disposition scheinbar bekämpft oder gar hinweggeleugnet und gerade daurch am sichersten suggeriert wird. (Das Verfahren etwa eines JAGO dem OTHELLO gegenüber zeigt manchen hierhergehörigen Zug.)

Die suggestive Beeinflussung, welche sich in solcher Weise nach dem Gesetz der Wirksamkeit der Einbildung vollzieht, beruth immer darauf, daß dem zu Suggerierenden eine zunächst irrige Überzeugung auf logisch illegitime Art beigebracht wird. Darum wird die Suggestion bei allen, welche den Vorgang durchblicken, unmöglich; andererseits trägt sie überall dort, wo sie gelingt, den Typus der Vergewaltigung, der stolze und selbstbewußte Charaktere (es sei denn etwa zu therapeutischen Zwecken bestimmter Art) sich widersetzen. Stets obwaltet deshalb zwischen dem Suggerierenden und dem Suggerierten - besonders wenn jener mit Absicht und Überlegung verfährt - das Verhältnis der Über- und Unterordnung, welches sich zur Despotie und Knechtschaft steigern kann. Aus diesem Grunde ist es erklärlich und auch berechtigt, daß der Terminus der Suggestion über seine engste Bedeutung der Einwirkung durch hervorgerufene Einbildung erweitert und auch überall dort angewendet wird, wo eine direkte, vom Zwang sich unterscheidende, dennoch aber an Vergewaltigung gemahnedne Beeinflussung eines Menschen durch einen anderen vorliegt; so namentlich bei der Einwirkung durch  Befehl. 

Diese ist allerdings mit der Einwirkung durch Zwang insofern verwandt, als hinter dem Befehl gewöhnlich eine Drohung lauert; sie erfolgt indessen rascher und direkter als diejenige durch Zwang, indem sie nicht der Gewöhnung oder Entwöhnung bedarf, sondern sich aufgrund vermittelter Gefühlsassoziation abspielt. Durch den Befehl wird die Vorstellung des hervorzurufenden psychischen Phänomens so lebhaft erweckt, daß sich dieses von selbst einstellt und bei fortgesetzter Ausübung auch eine bezügliche dauernde Disposition erzeugt werden kann. Bekanntlich ist auch die Suggestibilität für Befehle, wie die für Einbildungen, im hypnotischen Schlaf am größten und im normalen Leben am ausgebildetsten in verwandten Zuständen. Auch hier hat die psychologische Praxis schon lange vor der Ausbildung einer Theorie eingesetzt. Das zeigen am deutlichsten diejenigen Institutionen, welche sich vornehmlich auf die "Tugend des Gehorsams" - d. h. die Suggestibilität für Befehle - stützen: die mönchische und militärische Zucht. Dem Suggestionspsychologen ist es klar, daß beispielsweise dort durch das monotone Absingen von stereotypen Gebetsformeln, hier durch das Stillstehen in gespannter Haltung mit erzwungener Fixierung des Blickes, der Hypnose verwandte Zustände hervorgerufen werden, deren vornehmliche Eignung zur wirkungsvollsten Beeinflussung des ganzen Menschen von den Begründern und Zuchtmeistern jener Institute frühzeitig praktisch erkannt und aufgrund Jahrhunderte alter Traditionen fortgepflanzt und zu immer feinerer Technik ausgebildet wurde.

Da die Suggestion durch Befehl ähnlich wie die Einwirkung durch das Beispiel auf Assoziation beruth, so wirkt sie wie jene umso bestimmter und intensiver, je enger die psychische und physiologische Verwandtschaft den Suggerierten mit dem Suggerierenden verbindet und in je bedeutsamerer Stellung das Bild der Persönlichkeit jenes letzteren die Phantasie des zu Beeinflussenden beherrscht. Furcht und Liebe fördern somit die Suggestibilität für Befehle, so wie sie die Empfänglichkeit für die Wirkungen des Beispiels steigern.

Hieraus ergibt sich die enge Verwandtschaft jener beiden Arten psychischer Beeinflussung, welche die Tendenz zu einer fortwährenden Erweiterung des Begriffes der Suggestion (mit seinem auffälligen und handlichen Terminus) erklärt. Will man jedoch jener Tendenz zur Vermengung der beiden Begriffe eine Schranke ziehen, so hat man unter Suggestion im engeren Sinne die Einwirkung durch hervorgerufene Einbildung festzuhalten, als Suggestion im weiteren Sinn aber nur diejenigen direkten Beeinflussungen zu verstehen, bei welcher der Beeinflussende mit Absicht durch Befehl oder ähnliche Mittel Phänomene oder Dispositionen, welche er selbst mindestens gegenwärtig gar nicht zu besitzen braucht, in anderen hervorruft. (So wird es etwa von NAPOLEON I. erzählt, daß er selbst bei vollkommener innerer Ruhe die Flamme einer todesmutigen Begeisterung in seinem Heer zu entfachen vermochte.) Als Wirkungen des Beispiels hat man dagegen alle diejenigen Beeinflussungen von der Suggestion zu trennen, bei welchen der Beeinflussende entweder vollkommen absichtslos verfährt oder mit seinen beeinflussenden Äußerungen doch vornehmlich ein anderes Ziel und erst in zweiter Linie die Beeinflussung selbst anstrebt und in Folge dessen nur solche Phänomene oder Dispositionen in anderen hervorruft, welche er selbst gegenwärtig besitzt.

Soviel über die Haupttypen der dauernden Veränderung von Gefühlsdispositionen und somit auch von Eigenwerten und Eigenunwerten durch Wirkung von Mensch auf Mensch. - Hält man diese Typen - Zwang, Wirkung durch Beispiel, Suggestion - zusammen und vergegenwärtigt sich die fördernden Bedingungen, wie sie hier in Umrissen dargelegt wurden, so wird sich unschwer das Bild jener Großen in der Menschheitsgeschichte zusammenfügen, deren Individualitäten als Nationalhelden, Herrscher und Kriegführer, als Künstler, als Religionsstifter die Entwicklung kommender Generationen vorausbestimmten. Hiermit sind zugleich die Wege aufgedeckt, auf denen der Mensch ohne physische Fortpflanzung seine Eigenart - und im Besonderen seine individuelle Wertung - auf andere zu übertragen vermag. Man kann diesbezüglich geradezu von einer  psychischen Fortpflanzungsfähigkeit  des Menschen sprechen und in ihr den Grund erkennen, der es ermöglicht, daß Wertungen, welche für die Existenz des Individuums und seiner Nachkommen verhängnisvoll werden, dennoch häufig genug im Kampf ums Dasein mit anderen Wertungen den Sieg behalten.
LITERATUR - Christian von Ehrenfels, Werttheorie und Ethik, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Leizpzig 1893, Bd. 17
    Anmerkungen
    1) Siehe hierüber FRIEDRICH von WIESER, Der natürliche Wert, § 10.
    2) Unter Zwang ist hier natürlich überall der relative, nicht der absolute Zwang zu denken, da letzterer weder durch Verheißung von Strafe oder Belohnung, also überhaupt nicht psychisch, sondern nur durch physische Vergewaltigung zu erzielen ist.