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ERNST MALLY
Untersuchungen zur
Gegenstandstheorie des Messens

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Da die Relation nicht Qualität  an  einem Gegenstand ist, bestimmt sie auch nicht einen impliziten Eigenschaftsgegenstand.

Einleitung

§ 7. Koinzidierende Gegenstände.
Wassein und Wiesein.

Alle Gegenstände, die Bestimmungen oder bestimmende Gegenstände desselben Gegenstandes sind, bilden ein System koinzidierender Gegenstände;  sie heißen  koinzidierende  Gegenstände  eines  Systems. Jeder Gegenstand kann durch sich selbst bestimmt werden; der Bestimmungsgegenstand kann also immer als bestimmender Gegenstand seiner selbst auftreten und gehört darum dem System der koinzidierenden Gegenstände, deren Bestimmungsgegenstand er ist, auch an. Bestehen z. B. die Objektie:  A  ist eine Kugel und:  A  ist rot, so sind Kugelsein und Rotsein als Bestimmungen, Kugel und rot als bestimmende Gegenstände, endlich  A  als Bestimmungsgegenstand (1) koinzidierende Gegenstände  (eines  Systems).

Jedes Sosein ist entweder ein Wassein oder ein Wiesein.(2) - Der Gegensatz zwischen Wassein und Wiesein läßt sich nicht durch eine Definition festlegen, ist aber immer ein Wiesein des  A  das Objektiv einer Antwort auf die Frage:  "Wie  ist  A?"  Ein Wassein ist z. B. das Objektiv: dieses Ding ist ein Hebel oder daß dieses Ding ein Hebel ist oder das Hebelsein des Dings. Ein Wiesein ist: daß der Himmel blau ist oder das Blausein des Himmels.

Der  bestimmende Gegenstand  in einem  Wassein  heiße das  "Was"  oder das  Quid  (des Wasseins). - Zur Bezeichnung eines Wasseins diene die Formel:  A  ist  B  (oder  A  ist  X  und dgl.) Der mit  B  (oder mit  X)  bezeichnete Gegenstand ist das  "Was"  oder das  Quid  im B-sein des  A  (bzw. im X-sein des  A).  Im obigen Wasseinsbeispiel ist "Hebel" das Quid.

Der  bestimmende  Gegenstand  in  einem  Wiesein  heiße das  "Wie"  oder das  Quale  (des Wieseins). - Zur Bezeichnung eines Wieseins diene die Formel:  A  ist  β  (oder  A  ist  α, A  ist  ζ  und dgl.) Der mit  β  (oder mit  α ζ)  bezeichnete Gegenstand ist das  "Wie  oder das  Quale  im β-sein des  A  (bzw. im  α-sein  des  A,  im  ζ-sein  des  A).  Im Wieseinbeispiel "der Himmel ist blau" ist "blau" das Quale.

Das  Sein  bestimmt seinen Gegenstand  ohne  einen bestimmenden Gegenstand. Doch läßt sich jedes Seinsobjektiv  "A ist"  auch in der Form eines Wieseins "A ist seiend" aussprechen, worin als "Quale" "seiend" auftritt.

Jedes Quid ist durch ein Quale vollständig bestimmt. Jedes Quale bestimmt ein Quid vollständig.(3) Das Quid  A,  das durch das Quale  α  vollständig bestimmt ist, heiße das Quid  vom  Quale  α.  Jedes Wassein koinzidiert also mit einem Wiesein vom Quale seines bestimmenden Gegenstandes; und jedes Wiesein koinzidiert mit einem Wassein, dessen Quid vom Quale des Wieseins ist. Koinzidierende Gegenstände vom selben Quale heißen  wesentlich koinzidierende Gegenstände.  Alle wesentlich koinzidierenden Gegenstände sind voneinander nur  formal verschieden.  - Mit diesem Wassein "A ist B" koinzidiert wesentlich das Wiesein "A ist  β"  und umgekehrt, wenn  B  das Quid vom Qale  β  ist. Zum Beispiel koinzidiert wesentlich mit dem Wassein "A ist ein Viereck" das Wiesein "A ist viereckig"; denn das Quid "Viereck" ist durch das Quale "viereckig" vollständig bestimmt. Mit dem Wiesein "A ist rot" koinzidiert wesentlich das Wassein "A ist etwas Rotes" oder "A ist ein Rotes"; denn das Quale "rot" bestimmt vollständig das Quid "etwas Rotes". In manchen anderen Fällen ist das Quale zu einem Quid schwieriger anzugeben; es besteht aber sicher in jedem Fall ein vollständig bestimmendes Quale, denn jeder Gegenstand ist irgendwie beschaffen und durch sein "Wie" vollständig bestimmbar. - In den angeführten Beispielen sind "Viereck" und "viereckig" nur  formal  voneinander verschieden (nicht dem Quale nach), ebenso "rot" und "Rotes".

Gegenstände mit ungleichartigem Quale heißen  wesentlich verschieden,  - z. B. "rot" und "viereckig", "Rotes" und "Viereck".


§ 8. Explizite, implizite und fiktive Gegenstände

Ein Objektiv in der Form: "A ist" oder "daß  A ist"; "A ist B"  oder "daß  A B  ist"; "A ist  β"  oder "daß A  β  ist" heiße ein  explizites Objektiv oder eine explizite Bestimmung.  - Für ein explizites Soseinsobjektiv, das dann ein Wassein, "A ist B" oder ein Wiesein, "A ist  β",  sein kann, diene als allgemeines Symbol: "A ist b". - Explizit sind die Objektive, die wir durch  Urteile  oder ihnen gleichartige, nur durch den Mangel des Überzeugungsmomentes davon unterschiedene  Annahmen  unmittelbar erfassen.

Der Eigenschaftsgegenstand eines expliziten Objektives heiße ein  expliziter Eigenschaftsgegenstand.  Er ist gegeben in der Form: "A, welches ist"; "A, welches  b  ist" (wobei  b  sowohl ein Quid,  B,  als auch ein Quale,  β,  repräsentieren kann). - Das Mittel zum Erfassen eines expliziten Eigenschaftsgegenstandes ist eine Vorstellung (vom Bestimmungsgegenstand  A)  zusammen mit einer Annahme (4) oder einem Urteil (von der Bestimmung, daß  A  ist, daß es  b  ist). Der ganze psychische Vorgang, bestehend aus Vorstellung und Annahme (oder Urteil) leistet den charakteristischen Effekt des Vorstellens, ohne reine Vorstellung zu sein. Eine solche "Vorstellung", in deren Vollzug der Vollzug einer Annahme wesentlich ist, kann eine  Annahmevorstellung  genannt werden.

Eine Bestimmung, die mit einem expliziten Objektiv wesentlich koinzidiert, ohne selbst ein explizites Objektiv zu sein, heiße eine  implizite Bestimmung.  Ein Eigenschaftsgegenstand, der mit einem expliziten Eigenschaftsgegenstand wesentlich koinzidiert, ohne selbst ein expliziter Eigenschaftsgegenstand zu sein, heiße ein  impliziter Eigenschaftsgegenstand. 

Eine  explizite  Bestimmung mit der Bestimmung,  implizit  zu sein, heiße eine  fiktive  (5)  Bestimmung.  Ein  expliziter  Eigenschaftsgegenstand mit der Bestimmung,  implizit  zu sein, heiße ein  fiktiver Eigenschaftsgegenstand. 

Das explizit Seinsobjektiv "A ist" oder "daß  A  ist", als impliziter Gegenstand bestimmt, ist ein  fiktives Seinsobjektiv,  als solches meist mit "Sein des  A"  bezeichnet.  Hat  das  A ein tatsächliches Sein,  so ist dieses  Sein  ein  implizites Seinsobjektiv.  Denn es koinzidiert wesentlich mit dem expliziten Objektiv "daß  A  ist", ohne explizit zu sein. Jenes  Sein,  das einem tatsächlich existierenden oder bestehenden  A  zukommt, ist ein impliziter Gegenstand. Diesen impliziten Gegenstand  meint,  wer  denkt:  "jenes Sein, das dem tatsächlich seienden  A  zukommt". Was er dabei unmittelbar  denkt,  (6) ist dagegen ein  explizites  Seinsobjektiv mit der Bestimmung,  tatsächlich  am  A  zu sein, also implizit zu sein: und das ist ein  fiktives  Seinsobjektiv.

Das explizite Soseinsobjektiv, "A ist  b"  oder "daß  A b  ist", als impliziter Gegenstand bestimmt, ist ein  fiktives Soseinsobjektiv.  Es wird gewöhnlich mit Wendungen bezeichnet, denen die Formel "b-sein des  A"  entspricht.  Hat  das  A  ein tatsächliches b-sein,  ist  also  A tatsächlich b,  so ist dieses  b-sein  eine implizite Bestimmung. Denn es koinzidiert wesentlich mit dem expliziten Soseinsobjektiv "daß  A b  ist", ohne selbst explizit zu sein. Ein implizites Wassein  meint,  wer z. B. "tatsächliches Vierecksein des A"  denkt.  Was er dabei unmittelbar  denkt,  "das tatsächliche Vierecksein des A", ist dagegen ein  explizites  Wassein, mit der Bestimmung an seinem Gegenstand tatsächlich zu sein, also implizit zu sein: und das ist ein  fiktives  Wassein. Ein implizites Wiesein  meint,  wer z. B. "tatsächliches Rotsein des A"  denkt.  Was er dabei unmittelbar  denkt,  "das tatsächliche Rotsein des A", ist dagegen ein explizites Wiesein mit der Bestimmung, tatsächlich am  A  zu sein, also implizit zu sein: das ist ein fiktives Wiesein. Als sprachliche Bezeichnung eines (gedachten) fiktiven Wieseins, die dann auch den (gemeinten) impliziten Gegenstand bedeutet, treten oft sogenannte "Abstrakta" mit den Endungen -keit und -heit und auch andere (namentlich von Adjektiven) abgeleitete Wörter auf, z. B.: Rundheit, Viereckigkeit, Möglichkeit, Wahrscheinlichkeit; Röte, Bläue, Größe. Auch gibt es analog gebildete Bezeichnungen fiktiver oder tatsächlich impliziter Wasseinsobjektive, z. B. Menschheit, Tierheit ( nicht  in der "Kollektiv"-Bedeutung "alle Menschen", "alle Tiere").

Der explizite Eigenschaftsgegenstand: "A, welches ist", als impliziter Gegenstand bestimmt, ist ein  fiktiver Eigenschaftsgegenstand,  der als "seiendes A" oder "tatsächliches A" (speziell "existierendes A" oder "bestehendes A") bezeichnet wird. Ist  A  tatsächlich, so ist dieses tatsächlich seiende  A  ein impliziter Eigenschaftsgegenstand. Denn es koinzidiert wesentlich mit dem expliziten Eigenschaftsgegenstand "A, welches ist" ohne selbst explizit zu sein (es ist tatsächlich einfach ein  A;  von ihm  gilt  aber,  daß es ist). Wer denkt:  "das  A,  das tatsächlich ist",  meint  damit den impliziten tatsächlichen Gegenstand  A,  das ist ein  A,  dem das Sein tatsächlich zukommt oder woran das Sein eo ipso [schlechthin - wp] schon ist. Was er dabei unmittelbar  denkt,  "das  A,  das tatsächlich ist" oder "das seiende  A",  ist indessen ein expliziter Gegenstand, mit der Bestimmung, tatsächlicher Eigenschaftsgegenstand seiner Bestimmung (des Seins) zu sein, also impliziter Eigenschaftsgegenstand zu sein: und das ist ein  fiktiver Eigenschaftsgegenstand. 

Der explizite Eigenschaftsgegenstand: "A, welches  b  ist", als impliziter Gegenstand bestimmt, ist ein  fiktiver Eigenschaftsgegenstand.  Ein solcher werde bezeichnet als  "A b"  oder als "b-seiendes  A";  im besonderen Fall des Wasseins als  "AB",  im Falle des Wieseins als  "A β"  oder  "β A". Ist A tatsächlich b,  so ist  Ab  ein impliziter Eigenschaftsgegenstand. Denn von einem solchen (etwa  konkret  vorliegenden) Gegenstand  gilt,  daß er  b  ist; er koinzidiert also wesentlich mit dem expliziten Eigenschaftsgegenstand "A, welches  b  ist" ohne selbst ein expliziter Gegenstand zu sein,  Wer denkt:  "b-seiendes A", der  meint  einen  impliziten  Gegenstand (Ab) von dem gilt, daß er  b  ist oder der tatsächlich  b  ist. Was er dabei unmittelbar  denkt  ist dagegen ein expliziter Gegenstand "A, welches  b  ist", mit der besonderen Bestimmung,  impliziter  Eigenschaftsgegenstand zu sein. Ein expliziter Eigenschaftsgegenstand ist z. B.: "Fläche, die ein Viereck ist" oder "Körper, der rund ist". Liegt nun etwa eine konkrete Fläche vor und man kann von ihr konstatieren, daß sie ein Viereckt ist oder liegt ein konkreter Körper vor, von dem man evident urteilen kann, er sei rund: so sind diese (konkreten) Gegenstände  implizite Eigenschaftsgegenstände.  Denn sie koinzidieren wesentlich mit expliziten Eigenschaftsgegenständen, ohne selbst explizit zu sein. Indem ich von diesen Gegenständen spreche, handle ich tatsächlich von den konkreten, also impliziten Eigenschaftsgegenständen, die ich  meine.  Ich  denke  dabei aber zunächst in unanschaulicher Weise: "Fläche, die ein Viereck ist, aber konkret, d. h. hier: implizit" und: "Körper, der rund ist, aber konkret, also implizit". Was ich so unmittelbar denkend erfasse, sind explizite Eigenschaftsgegenstände mit der besonderen Bestimmung,  implizit  zu sein. (Ich nehme damit gewisse implizite Gegenstände an oder "fingiere" sie.) Diese unmittelbar gedachten Gegenstände sind  fiktive  Eigenschaftsgegenstände.

Jeder (tatsächlich) implizte Gegenstand ist tatsächlich (existieren oder bestehend). Jeder fiktive Gegenstand ist ein expliziter als implizit bestimmter Gegenstand. Ein explitziter Gegenstand, der implizit ist, unmöglich: kein fiktiver Gegenstand ist tatsächlich. Jeder fiktive Gegenstand ist aber als ein impliziter, daher als tatsächlicher oder seiender Gegenstand  bestimmt.  Er ist nur fiktiver Weise, d. h. er existiert oder besteht  fiktiver Weise.  Mit dem  expliziten  Gegenstand, der als impliziter Gegenstand bestimmt den fiktiven Gegenstand ergibt, kann ein tatsächlich impliziter Gegenstand wesentlich koinzidieren, wenn seine Bestimmung nicht widersprechend ist. Koinzidiert mit ihm  kein  impliziter Gegenstand, so heißt der entsprechende fiktive Gegenstand, d. i. der explizite Gegenstand samt der Bestimmung, implizit zu sein, ein  rein fiktiver  Gegenstand.


§ 9. Qualitäten an Gegenständen und Qualitäten
zwischen Gegenständen (Relationen).

Jede implizite Bestimmung, die mit einem expliziten Sosein wesentlich koinzidiert, ist eine implizite Eigenschaft. Die impliziten Eigenschaften sind entweder Objektive oder Objekte im engeren Sinn.  Jede implizite Eigenschaft, die kein Objektiv ist, ist eine Qualität. Mit jedem Wiesein  koinzidiert wesentlich eine echte oder eine fiktive Qualität. Eine echte Qualität ist eine (tatsächlich) implizite Bestimmung, die kein Objektiv ist. Eine fiktive Qualität ist eine nur als implizit bestimmte, tatsächlich nicht bestehende Bestimmung, die kein Objektiv ist.

Eine echte Qualität kann nur mit einem nicht widersprechenden Sosein wesentlich koinzidieren. Denn eine implizite Bestimmung vom Quale eines widersprechenden Soseins wäre ein impliziter Gegenstand mit (zwei oder mehreren) unverträglichen Qualien, also unmöglich. Jeder (tatsächlich) implizite Gegenstand ist aber tatsächlich, also sicher nicht unmöglich. -  Nicht  mit  jedem  Wiesein koinzidiert eine echte Qualität von demselben Quale.

Jede Qualität ist entweder eine Qualität  an einem Gegenstand  oder sie ist eine Qualität  zwischen Gegenständen.  Eine Qualität  an  einem Gegenstand kann nur sein, wenn ihr Gegenstand, der (implizit) Eigenschaftsgegenstand,  ist;  das ist immer der Fall, wenn ihr Eigenschaftsgegenstand tatsächlich implizit ist. Qualitäten  an  Gegenständen sind z. B. Farbe und Gestalt. Sie sind Eigenschaften, die keine Objektive, sondern Objekte im engeren Sinn sind. Sie koinzidieren als implizite Bestimmungen wesentlich mit Wieseinsobjektiven, dem Farbigsein, dem (irgendwie) Gestaltetsein. Sie können nur dann bestehen, wenn die wesentlich koinzidierenden Wieseinsobjektive nicht widersprechend sind. - Zu einem Rot- und Grünsein, das an einem als rot und grün bestimmten unmöglichen (expliziten) Gegenstand gleichwohl besteht, kann keine Farbe bestehen; es  gibt  keine implizite Bestimmung von diesen unverträglichen Qualien; ebenso gibt es keine Gestalt, die mit dem Rund- und viereckigsein wesentlich koinzidierte. Farbe kann nur an einem  seienden  farbigen Gegenstand  sein,  Gestalt nur an einem  seienden  gestalteten Gegenstand. Dagegen besteht ein widersprechendes Sosein auch an seinem unmöglichen Eigenschaftsgegenstand.

Jeder Gegenstand, an dem eine echte Qualität  ist,  ist ein impliziter Eigenschaftsgegenstand. Der Bestimmungsgegenstand eines impliziten Eigenschaftsgegenstandes ist: "jener Gegenstand, der durch die implizite Bestimmung zum impliziten Eigenschaftsgegenstand bestimmt wird." Da der Eigenschaftsgegenstand implizit ist, ist dieser (explizite) Bestimmungsgegenstand als implizit bestimmt. Der Bestimmungsgegenstand einer impliziten Bestimmung, insbesondere einer echten Qualität, ist ein fiktiver Gegenstand, d. h. ein impliziter Eigenschaftsgegenstand ohne seine Qualität ist fiktiv. Der fiktive Bestimmungsgegenstand einer Qualität heißt ihr "Träger".

Eine Qualität, die mit dem Sosein vom Quale  β  wesentlich koinzidiert, werde mit  Y  bezeichnet. Analog ist das Symbol für eine Qualität, die mit dem &alpha-sein, dem γ-sein ... wesentlich koinzidiert, das Zeichen  X  bzw.  Z  ... Ein Eigenschaftsgegenstand der Qualität  Y  sei als  AY  bezeichnet.

Eine Qualität  zwischen  Gegenständen ist eine  Relation  (oder eine implizite Beziehung). Eine Relation kann nicht Qualität an einem Gegenstand sein. Jede Relation koinzidiert als Qualität wesentlich mit einem Sosein, das entweder mehrere (mindestens zwei) Bestimmungsgegenstände hat, oder das einen Bestimmungsgegenstand oder auch mehrere Bestimmungsgegenstände durch das Quale und durch einen oder auch mehrere bestimmende Gegenstände außer dem Quale bestimmt: ein solches Sosein heiße eine  explizite Beziehung  und speziell ein  Relationsobjektiv.(7) Das Quale der Relation ist insofern unselbständig, als es allein nicht einen Gegenstand bestimmen kann, sondern nur mehrere Gegenstände (einen durch den anderen). Das Quale der Relation heißt der  Relat.(8) Die Relation besteht  zwischen  den Bestimmungsgegenständen des mit ihr wesentlich koinzidierenden expliziten Wieseinsobjektives, welche auch Bestimmungsgegenstände der Relation heißen mögen. Die Bestimmungsgegenstände einer Relation werden als ihre Glieder bezeichnet; sie heißen auch ihre  Inferiora:  die Relation ist ihnen gegenüber das Superius. (9)

Da die Relation nicht Qualität  an  einem Gegenstand ist, bestimmt sie auch nicht einen impliziten Eigenschaftsgegenstand.

Ist ein Gegenstand  A  durch sein Relatsein zu einem Gegenstand  B  bestimmt, so sind der Relat  ρ  und das Relationsglied  B  ihm gegenüber  partiell bestimmende Gegenstände.  Zwischen dem Bestimmungsgegenstand  A  und jedem partiell bestimmenden Gegenstand  (B, ρ)  besteht partielle oder  unvollständige  Koinzidenz (zum Unterschied von der  totalen  Koinzidenz zwischen Bestimmungsgegenstand und  vollständigem  bestimmenden Gegenstand).

Relationen sind z. B.: Ähnlichkeit, Gleichheit, Verschiedenheit, Verträglichkeit usw. Sind  A  und  B  ähnlich, so besteht als Qualität, die mit diesem expliziten Wiesein wesentlich koinzidiert, die Relation  "Ähnlichkeit  zwischen  A  und  B".  Das Quale dieser Relation, also ihr Relat, ist: "ähnlich". Dieses Quale kann nicht  einen  Gegenstand, etwa  A allein,  bestimmen ohne den anderen als mitbestimmenden Gegenstand.  "A  ist ähnlich" hat keinen Sinn; eine Bestimmung des  A  durch den Relat "ähnlich" ist nur möglich in der Form:  "A  ist dem  B  ähnlich."  A  und  B  sind die  Glieder  der Ähnlichkeitsrelation. Sie sind entweder  beide  Bestimmungsgegenstände der Relation oder es ist eines von ihnen, mit dem Relat,  mitbestimmender Gegenstand. 

Eine Relation werde als eine Qualität mit dem Buchstaben  R  bezeichnet. Die Relation zwischen den zwei Gliedern  A, B  sei durch das Symbol ARB vertreten. (Für eine Bezeichnung von Relationen zwischen mehreren Gliedern ergibt sich in dieser Arbeit keine Verwendung.) Ein mit einer Relation  ARB  wesentlich koinzidierendes explizites Wiesein "daß  A  und  B  (zueinander) relat sind" oder "daß  A  relat zu  B  ist", wird durch  ABρ  oder durch  AρB  bezeichnet.

Mit dem expliziten Relatsein eines Gegenstandes  A  zu einem Gegenstand  B  (oder zu mehreren)  AρB,  koinzidiert keine implizite EIgenschaft von demselben Quale  ρ  an  A.  Eine als implizit bestimmte, mit einem Relatsein  AρB  wesentlich koinzidierende  Qualität  an  A  ist  rein fiktiv.  das explizite Relatsein eines Gegenstandes zu einem anderen aber ist selbst ein  mögliches  Wieseinsobjektiv und heiße eine  relative Bestimmung. 

Jeder implizite Eigenschaftsgegenstand  Ab hat  seine implizite Bestimmung  Y  zur Eigenschaft; es kommt ihm das Quale seiner impliziten Bestimmung zu.  Ab  ist  β,  z. B. eine rote Fläche, damit ist hier eine konkrete Fläche mit der impliziten Bestimmung Rot gemeint, ist rot.- Der Satz ist durch das Beispiel freilich nur mangelhaft illustriert; denn um den gemeinten impliziten Eigenschaftsgegenstand (die tatsächlich rote Fläche) zu bezeichnen, muß eine Wendung gebraucht werden, die dem wesentlich koinzidierenden expliziten oder dem fiktiven Gegenstand adäquat ist und zuerst den Gedanken an  ihn  erregt, wodurch der Schein einer bloßen Tautologie hervorgebracht wird. - Eine relative Bestimmung kommt dem expliziten Eigenschaftsgegenstand  nicht  als eine Qualität zu. Ihr Quale ist nicht ein Quale an ihrem Eigenschaftsgegenstand:  A,  das von  B  verschieden ist, hat nicht Verschiedenheit zur Qualität.


§ 10. Reale und ideale Qualitäten

Eine Qualität, die ihrer Natur nach existieren kann, heißt  real(10). Eine mögliche Qualität, die ihrer Natur nach nicht existieren (sondern nur bestehen) kann, heißt  ideal. 

Eine reale Qualität ist (11) nicht dadurch bestimmt, daß sie  existiert,  sondern nur dadurch, daß ihre Natur die Existenz nicht ausschließt. Reale Qualitäten an Gegenständen sind z. B. Farbe, Schall, Härte, Temperatur, Geschmack, Geruch. Wenn diese Qualitäten auch tatsächlich nicht existieren, so ist doch in ihrem eigenen Wesen nichts gelegen, was ihre Existenz unmöglich machte.

Eine reale Qualität existiert nur, wenn ihr  impliziter Eigenschaftsgegenstand  existiert. Es gilt auch die Umkehrung dieses Satzes: Ein impliziter Eigenschaftsgegenstand existiert nur, wenn seine  reale Qualität  existiert. Eine reale Qualität kann nur einem realen Gegenstand zukommen. Ein idealer Gegenstand mit realen Qualitäten ist unmöglich. Denn da ein idealer Gegenstand nicht existieren kann, so könnte eine reale Qualität als implizite Bestimmung am idealen Eigenschaftsgegenstand auch nicht existieren; eine reale Qualität, die nicht existieren  kann,  ist aber unmöglich.

Wenn die sogenannten sinnlichen oder sensiblen Qualitäten auch nicht tatsächlich an existierenden impliziten Eigenschaftsgegenständen (an den sogenannten "transzendenten" Gegenständen) existieren, so sind sie doch implizite Bestimmungen von Gegenständen unserer anschaulichen Vorstellungen aus äußerer Wahrnehmung. Diese (sogenannten bloß "immanenten") Gegenstände existieren allerdings, aller Wahrscheinlichkeit nach,  nicht.(12) "Es gibt" aber doch solche Gegenstände, d. h. sie  bestehen;  und an ihnen bestehen als implizite Bestimmungen ihre realen Qualitäten.

Eine Qualität an etwas besteht nur, wenn ihr impliziter Eigenschaftsgegenstand besteht. Ein impliziter Eigenschaftsgegenstand besteht nur, wenn seine Qualität (als implizite Eigenschaft an ihm) besteht; die beiden Gegenstände sind in ihrem Bestand notwendig aneinander gebunden. Diese Sätze gelten sowohl für reale als auch für ideale Qualitäten. Eine ideale Qualität an etwas setzt also zu ihrem Bestand nur den Bestand ihres impliziten Eigenschaftsgegenstandes voraus; sie kann daher ebensowohl an einem realen als auch an einem idealen Gegenstand bestehen. Zum Beispiel kann die ideale Qualität Gestal an einem realen Gestalteten bestehen; sie kann aber auch an einem idealen Gegenstand, dem Viereck, Dreieck, Kreis usw. bestehen. (Diese Gegenstände sind ideale implizite Eigenschaftsgegenstände vom Quale einer Gestalt. Ein Dreieck z. B. kann nicht existieren, sondern nur ein dreieckiges Reales; das Dreieck aber kann  bestehen.)  Eine ideale Qualität, die besteht, besteht notwendig. (13)

Eine ideale Qualität zwischen Gegenständen ist eine  Idealrelation.(14) Idealrelationen können zwischen realen und zwischen idealen Gegenstände und auch zwischen unmöglichen Gegenständen bestehen. Eine Idealrelation ist nicht Qualität  an  einem Gegenstand, sondern Qualität  zwischen  Gegenständen. Zu ihrem Sein ist also nicht das Sein eines impliziten Eigenschaftsgegenstandes erforderlich,  woran  sie implizite Bestimmung wäre. Doch kann eine Idealrelation (wie jede Qualität)  nicht  bestehen, wenn das wesentlich mit ihr koinzidierende explizite Soseinsobjektiv  widersprechend  ist. (15) Verschiedenheit besteht z. B. sowohl zwischen zwei realen Gegenständen, etwa zwei Farben, als auch zwischen zwei idealen Gegenständen, etwa zwei Gestalten oder zwei Dreiecken oder selbst zwischen zwei Verschiedenheiten. Sie besteht aber auch zwischen zwei Verschiedenheiten. Sie besteht aber auch zwischen zwei unmöglichen Gegenständen, die verschieden sind, also zwischen zwei unmöglichen Gegenständen von verschiedenem Quale. Aber Verschiedenheit besteht nicht, wenn das wesentlich koinzidierende Sosein, das Verschiedensein ihrer Glieder ein unmögliches Objektiv ist: Verschiedenheit zwischen zwei gleichen (einfachen) Gegenständen kann nicht bestehen, weil das Verschiedensein von zwei gleichen Gegenständen ein unmögliches Objektiv ist. Eine Idealrelation besteht auch nicht, wenn das wesentlich koinzidierende Sosein nicht unmöglich, aber widersprechend ist: das Objektiv, daß  A  und  B  die (in derselben Hinsicht) gleich und ungleich sind, eben gleich und ungleich sind, besteht; es besteht aber keine Relation mit dem zusammengesetzten Relat "gleich und ungleich" als eine Qualität zwischen  A  und  B,  - denn sie ist überhaupt unmöglich.

Idealrelationen,  die zwischen irgendwelchen  Qualien  α, β, γ ...  bestehen,  bestehen  auch zwischen  impliziten  Eigenschaftsgegenständen  A B C ...,  welche Qualitäten von diesen Qualien  (X, Y, Z ...)  an sich haben, "hinsichtlich" dieser Qualitäten. Ein impliziter Eigenschaftsgegenstand (A) ist ein Gegenstand, dem das Quale (α) seiner Qualität (X). Die Idealrelation gründet sich auf die Qualien (α, β, γ ...) und besteht notwendig zwischen Gegenständen von diesen Qualien. Die Verschiedenheit (oder die Ähnlichkeit) zwischen den Qualien "rot" und "blau" besteht in gleicher Weise zwischen den zugehörigen Qualitäten, dem "Rot" und dem "Blau" oder der "Röte"  und  der "Bläue"; sie besteht zwischen dem "Rotsein" und dem "Blausein"; sie besteht endlich zwischen einem Roten und einem Blauen ("hinsichtlich" ihrer Farbe).
LITERATUR - Ernst Mally, Untersuchungen zur Gegenstandstheorie des Messens in Alexius von Meinong (Hg), Untersuchungen zur Gegenstandstheorie und Psychologie, Leipzig 1904
    Anmerkungen
    1) Denn es gilt immer: A = A.
    2) Aus den schon zitierten (MEINONGschen) Vorlesungen über Erkenntnistheorie ist mir bekannnt, daß auch MEINONG diese Unterscheidung vollzieht.
    3) Das einfach oder zusammengesetzt sein kann.
    4) Vgl. MEINONG, Über Annahmen, §§ 25 - 28
    5) Vgl. den übrigens abweichenden Gebrauch des Wortes "fiktiv" bei RUDOLF AMESEDER, Beiträge zur Grundlegung der Gegenstandstheorie.
    6) Auf den Gegensatz von  denken  und  meinen  bin ich durch MEINONG aufmerksam geworden.
    7) Vgl. unten § 12
    8) Die Unterscheidung von Relat und Relation hat MEINONG (im erwähnten Kolleg) vollzogen. Die Bezeichnung "Relat" wurde von ihm im Zusammenhang mit der in § 11 zu bemerkenden terminologischen Neuerung geprägt.
    9) Vgl. MEINONG, Über Gegenstände höherer Ordnung, Seite 189f
    10) Sofern es reale Eigenschaften gibt, gibt es sicher Eigenschaften, die nicht Objektive sind, also Qualitäten im oben festgesetzten Sinn. Denn jedes Objektiv ist ideal. Vgl. MEINONG, Über Annahmen, Kapitel VII
    11) Wie jeder reale Gegenstand.
    12) Aber ihre Nichtexistenz ergibt sich nicht aus ihrer Natur heraus "a priori", sondern kann nur unter Heranziehung empirischer Instanzen "a posteriori"(wenn auch mit größter Wahrscheinlichkeit) vermutet werden.
    13) Vgl. MEINONG, Über Gegenstände höherer Ordnung, § 7
    14) Von Realrelationen soll erst später, in § 13, gehandelt werden.
    15) Vgl. oben § 9