ra-1A. RiehlE. MeyersonE. KönigN. Hartmann    
 
ALEXIUS MEINONG
Zum Erweis des
allgemeinen Kausalgesetzes


"Hatte einst Hume, unbeschadet allen Scharfsinns, mit dem skeptischen Feuer doch noch nicht viel ernsthafter gespielt als seine Vorgänger, hätte dann Kant gehofft, die immerhin drohende Gefahr dauernd zu bannen, so mochte das gar wohl königliches Tun sein. Als aber nun doch positivistischer und empirio-kritizistischer Wind den Funken zwar nicht zu leuchtender, wohl aber zu sengender Flamme entfachte, war von der Eigenart bauender Könige wenig genug zu spüren. Umso deutlicher trat und tritt in unseren Tagen allenthalben, wo man philosophisch und vielleicht noch mehr, wo man außerphilosophisch Wissenschaft zu treiben bemüht ist, die Tendenz hervor, die bislang trotz vereinzelt gebliebener Anfechtungen als unerschütterlicher Grundpfeiler aller Wissenschaftlichkeit betrachtete Autorität des Kausalprinzips nirgends mehr ungeprüft gelten zu lassen und eine Berufung darauf auf alle Fälle nach Tunlichkeit zu vermeiden, falls man sich nicht geradezu entschließt, die Geltung des allgemeinen Kausalgesetzes in Abrede zu stellen."

§ 1.
Vorbemerkung

Daß in den folgenden Blättern der Versuch gemacht wird, dem Problem von der ausnahmslosen Kausiertheit allen Geschehens durch Beweis eine Lösung abzugewinnen, mag angesichts dessen, was die Geschichte über solche Versuche lehrt, als ein wenig aussichtsvolles Beginnen erscheinen. Weit mehr könnten von der magistra vitae [Lehrmeisterin des Lebens - wp] diejenigen gelernt zu haben hoffen, die, viel zu taktvoll, um sich über die Kausalität als Scheinproblem positivistisch zu erheben, sich ihr gegenüber von der Begründung auf die bloße (außerlogische) Rechtfertigung zurückziehen und so insbesondere einer Erinnerungsvoraussetzung, einer Regelmäßigkeitsvoraus- setzung, der Voraussetzung einer realen Außenwelt und dgl. eine Kausalvoraussetzung an die Seite stellen (1). Darf man aber einen der berufensten Vertreter dieser Auffassung zum Zeugen anrufen,, daß dies logisch betrachtet eine hoffnunglose Situationi bedeutet (2), weil solche Voraussetzungen "ja eigentlich Lücken in der Begründung bezeichnen" (3), so wird, wer die Erkenntnistheorie und die sonst beteiligten Wissenschaften aus dieser Situation zu befreien sich bemüht, darum noch nicht dem Verdacht historischer Zurückgebliebenheit ausgesetzt zu sein brauchen.

Wer speziell die  Erinnerungs-  und die  Regelmäßigkeitsvoraussetzung  anlagt, so entspricht die in ihrer Aufstellung implizierte Unzurückführbarkeit von mir schon vor Jahrzehnten mitgeteilten, vor nicht langer Zeit etwas ausgeführlicherem Konzeptionen (4), denen ähnlich intentionierte in Bezug auf die "Voraussetzung einer realen Außenwelt" schon einige Jahre früher vorhergegangen sind; (5) darin bloße "Voraussetzungen" zu sehen, hoffe ich als unzureichend (6) und durch den Hinweis auf bisher zu wenig berücksichtigte Erkenntnismittel als entbehrlich dargetan zu haben. Dagegen sind es durchaus alte Erkenntnismittel, die ich im folgenden gegen die  Kausalvoraussetzung  aufbiete, so alte, daß ich mich dadurch sozusagen noch ein zweites Mal mit der Stimmung unserer Zeit in Konflikt zu setzen fürchte.

Denn die Beweise, die ich hier vorzulegen habe, sind ganz wesentlich apriorischer oder, wie man ja oft sagt, rationaler Natur, so daß es dem minder wohlwollenden Leser nicht eben schwer fallen mag, sich aus der die empirische Forschungsweise so grundsätzlich bevorzugenden Gegenwart in den Rationalismus etwa des 17. Jahrhunderts zurückversetzt zu fühlen, falls er es nicht vorzieht, das hier Beizubringende als  scholastisch  und daher jedenfalls unfruchtbar zu verurteilen. Ich weiß heute, daß dieses Epitheton [Zusatz -wp], das nicht zum ersten Mal auf mich Anwendung fände, der gegenstandstheoretischen Forschungsweise gilt, und insofern könnte ich mir gar wohl gefallen lassen, mit scharfsinnigen Denkern zusammengeordnet zu werden, die, durch die Dürftigkeit der Empirie ihrer Zeit besonders nachdrücklich auf das  Rationale  hingewiesen, nicht eben wenig zutage gefördert haben dürften, das, wenn es Kenner ihres Gedankenlebens erst einmal der Gegenstandstheorie nutzbar machen werden, nur zu großem Gewinn für diese in gewissem Sinne noch so junge Disziplin ausschlagen kann. Wie wenig aber der rationale Wissenschaftsbetrieb trotz des unermeßlichen empirischen Materials, das unsere Zeit zu verarbeiten hat, dieser Zeit fremd geworden ist, das beweist am besten der Weg, den die mathematische Forschung der letzten hundert Jahre rühmlich genommen hat, so daß es doch nur wenig konsequent sein würde, der Gegenstandstheorie ihre außerempirische Methode zum Vorwurf zu machen. Wie fern es mir persönlich aber liegt, der Empirie zu verweigern, was der Empirie ist, dafür dürfte die Gründung des Grazer Institutes für experimentelle Psychologie und die aus diesem hervorgegangenen Arbeiten ausreichend deutliche Indiziene abgegeben haben, so daß eine Untersuchung wie die gegenwärtige mir gerechterweise nicht wohl als Mangel an Gefühl für die Bedeutung unseres Erfahrungswissens auszulegen sein wird.

Im folgenden an die selbstlose Mitarbeit und Geduld des Lesers besonders hohe Anforderungen zu stellen, ist leider unvermeidlich. Es gilt ja dabei nicht nur explizit auftretende Schwierigkeiten aufzusuchen und zu beseitigen, sondern auch implizit auftretende explizit zu machen. Das ist trotz der Mannigfaltigkeit der sich so darbietenden Fragestellungen ein einförmiges Geschäft. Aber es ist eben Arbeit, die einmal getan sein muß; und wer sie auszuführen in ernster Bemühung versucht hat, darf wohl nicht besorgen, denen gegenüber für allzu anspruchsvoll zu gelten, denen die Aufgabe zufällt, dem, was sich ihm ergeben hat, prüfend zu folgen. Um wenigstens den Überblick über die erwähnte Mannigfaltigkeit des dabei zur Sprache Kommenden möglichst zu erleichtern, ist dieser Schrift am Ende eine besonders ausführliche Inhaltsangabe beigefügt.

So mögen die nachstehenden Beiträge versuchen, dem Einblick in eine der dunkelsten Relationen förderlich zu sein. Vielleicht, daß diese Förderung, sofern sie gelingt, der Bearbeitung der Empirie, auf die sie sich nur in so geringem Maß stützen kann, doch nicht am wenigsten zugute kommen möchte.


§ 2.
Vom allgemeinen Kausalgesetz
und seiner Legitimation

Habent sua fata cogitationes [Gedanken haben ihre Schicksale - wp], - und der Kausalgedanke ist ohne Zweifel der schicksalsreichsten einer. Seine Schicksale sind verbucht in den Lehren führender Geister alter und neuer Zeit; aber auch wie die öffentliche Meinung der mehr oder minder Geführten darauf reagiert hat, hätte verdient, verbucht zu werden, so gewiß die Geschichte nicht nur von den Königen zu handeln hat, sondern auch von den Völkern. Das lassen deutlichst Zeiten erkennen, deren Charakteristik vor allem in der Weise solchen Reagierens liegt; und daß speziell der Geschichte der Kausalitätsgedanken solche Zeiten nicht fehlen, davon überzeugt ein Blick auf die letzten Jahrzehnte unserer jüngsten Vergangenheit. Hatte einst HUME, unbeschadet allen Scharfsinns, mit dem skeptischen Feuer doch noch nicht viel ernsthafter gespielt als seine Vorgänger, hätte dann KANT gehofft, die immerhin drohende Gefahr dauernd zu bannen, so mochte das gar wohl königliches Tun sein. Als aber nun doch positivistischer und empirio-kritizistischer Wind den Funken zwar nicht zu leuchtender, wohl aber zu sengender Flamme entfachte, war von der Eigenart bauender Könige wenig genug zu spüren. Umso deutlicher trat und tritt in unseren Tagen allenthalben, wo man philosophisch und vielleicht noch mehr, wo man außerphilosophisch Wissenschaft zu treiben bemüht ist, die Tendenz hervor, die bislang trotz vereinzelt gebliebener Anfechtungen als unerschütterlicher Grundpfeiler aller Wissenschaftlichkeit betrachtete Autorität des Kausalprinzips nirgends mehr ungeprüft gelten zu lassen und eine Berufung darauf auf alle Fälle nach Tunlichkeit zu vermeiden, falls man sich nicht geradezu entschließt, die Geltung des allgemeinen Kausalgesetzes in Abrede zu stellen. (7) Es braucht nicht gesagt zu werden, wie sehr das jenem Agnostizismus entgegenkommt, der auch sonst so manchem metaphysischen und ethischen Bedürfnis Befriedigung verspricht. Daß es dann auch umgekehrt an Solchen nicht gefehlt hat, denen es nicht ihrer Bedürfnisse, sondern ihrer Bedürfnislosigkeit wegen leicht fällt, jeden als zurückgeblieben zu betrachten, der von kausalen und nicht bloß von funktionellen Verhältnissen redet, ist selbstverständlich.

So darf man sagen, daß der destruktive Zug, der den neueren Kausaltheorien schon so lange eigen ist, sich in unserer Zeit gleichsam in die Tat umzusetzen begonnen hat. Das allgemeine Kausalgesetz, das so oft und so nachdrücklich als unerläßliches Erfordernis aller Wissenschaftlichkeit in Anspruch genommen worden ist, hat seine faktische Geltung in den Augen mehr als eines nach Kräften wissenschaftlich zu denken Entschlossenen eingebüßt. Die Frage, ob es ein solches Gesetz am Ende doch gibt, war zu keiner Zeit weniger akademisch als heute. Und wer, wie es gleichwohl immer noch so Viele tun, an ein solches Gesetz glaubt, wird an der Frage nach der Legitimität eines solchen Glaubens nicht so einfach vorübergehen dürfen. Zur Beantwortung dieser Frage einige Beiträge zu liefern, ist die Aufgabe der nachstehenden Ausführungen. Näher gilt es mir hauptsächlich, zwei Beweise für das Kausalgesetz darzulegen, die ich für stringent halte. Ein paar Bemerkungen über das Kausalgesetz selbst und dessen Stellung zu allfälligen Beweisversuchen müssen vorausgeschickt werden.

Daß von den Ausdrücken  Ursache  und  Wirkung  namentlich der erstere nichts weniger als eindeutig ist, das hat bekanntlich schon CHRISTOPH SIGWART in auch heute noch höchst instruktiven Ausführungen (8) dargelegt. Ich selbst habe einst gemeint, den wissenschaftlichen Begriffen der  Totalursache  und der davon abgeleiteten  Partialursachen  die kausalen Konzeptionen des täglichen Lebens als mehr oder weniger außerwissenschaftlich gegenüberstellen zu sollen (9). In der Tat wird es nicht eben sehr wissenschaftlich sein, wenn man sich unter der Ursache z. B. etwas denke, das dem, worauf es wirkt, etwas (am Ende wohl gar das Dasein)  gibt, - oder etwas, das die Wirkung anfertigt wie einen Industrie-Artikel oder dgl. Man wird jedoch auch nicht verkennen dürfen, daß auch dem vorwissenschaftlichen Gebrauch der wissenschaftliche Kausalgedanke keineswegs verschlossen geblieben, vielmehr oft nur der Fehler begegnet ist, für die ganze Ursache, also die Totalursache, das zu nehmen, was nur für eine Partialursache hätte gelten dürfen. Und es kommt noch hinzu, daß es gerade derlei  Teilursachen  sind, denen nicht nur das tägliche Leben, sondern auch die Wissenschaft am meisten nachfragt, und ich zweifle nicht, daß die Relationen dieser Teilursachen zu den Wirkungen eine Fülle höchst beachtenswerter Tatsachen für eine gegenstandstheoretische wie empirische Untersuchung (10) in sich schließen. Aber jenes Grundgesetz, das, wenn es sich hier nicht eben um dessen Erweis handelte, seines fundamentalen Charakters halber wohl am deutlichsten als Kausal prinzip  zu bezeichnen wäre, handelt nicht von diesen Teilursachen und so muß sich die gegenwärtige Untersuchung doch wieder jener  Gesamtursache  zuwenden, ohne übrigens hierauf fürs Erste, wenigstens explizit, ein besonderes Gewicht legen zu müssen. Auch in Bezug auf die Formulierung unseres Gesetzes mögen der Tradition gegenüber besondere Vorsichten, vorbehaltlich nachträglicher Berichtigung, zunächst entbehrlich sein. Eine Formulierung wie "alles Anfangende muß eine Ursache haben" mag vorerst genügen, wobei unter  Ursache  in üblicher Weise etwas das  notwendige Antezedens  [Vorhergehende - wp] der Wirkung, als genauer dasjenige zu verstehen sein mag, was die Wirkung notwendig mit sich führt. Auch daß diesem Kausalbegriff jene  Leere  anhängt, die ich ihm schon vor Jahren nachzusagen hatte (11), kann vorerst nicht verwundern: der außerordentlichen Allgemeinheit, die unserem Kausalgesetz eignen muß, kann sie ja höchstens günstig sein.

Umso mehr wird für unsere Untersuchung ins Gewicht fallen, wie es mit der Beweisbarkeit, oder allgemeiner und richtiger, wie es mit der Legitimierbarkeit des allgemeinen Kausalgesetzes bestellt ist. Blicken wir noch einmal auf die Geschichte der Kausaltheorien zurück, so gelangen wir vor allem zu der immerhin einigermaßen beruhigenden Gewißheit, daß das Aufgeben des allgemeinen Kausalgesetzes in der Regel nicht auf positive Gegengründe, sondern auf den Umstand zurückgeht, daß sich die Theorie der Kausalität gegenüber so wenig zu helfen wußte. Die Neiung, sie daraufhin zu den vielberufenen  Scheinproblemen  zu rechnen, begreift, wem Menschliches nicht fremd ist; aber die Hoffnung, die Theorie könnte es hier doch noch weiter bringen, ist damit in keiner Weise abgeschnitten. Schlimmer wäre, wenn eine ausdrückliche und sorgfältige Untersuchung der Legitimierbarkeit des Kausalgesetzes, wie ÖLZELT-NEWIN eine solche angestellt hat (12), zu dem negativen Ziel führen sollte, das ihr gesteckt war. Wir wollen daher, dem Voranschreiten des genannten Autors folgend, die in Frage kommenden Eventualitäten einer kurzen Betrachtung unterziehen. Findet zuletzt alle Erkenntnis ihre Legitimation in der Aufweisung der ihr eigenen Evidenz (13), so hat sich eine solche Erwägung auf die drei natürlichen Evidenz-Dichotomien: unmittelbar und mittelbare, apriorische und aposteriorische Evidenz, schließlich Evidenz für Gewißheit und Evidenz für Vermutung zu beziehen. Es handelt sich dabei nicht so sehr darum, meist schon als ungangbar erkannte Wege neuerlich auszuscheiden, als nachzusehen, was nach einer solchen Ausscheidung etwa noch als gangbar übrigbleiben möchte. In Bezug auf die Weisen, in denen die drei Evidenz-Dichotomien sich kombinieren, sei es gestattet, anderweitig Auf- und hoffentlich Festgestelltes der Kürze halber ohne weiteres vorauszusetzen.

Fassen wir zunächst die unmittelbare Evidenz ins Auge, so drängen sich als ihre typischen Ausgestaltungen Evidenzen für  apriorische  (14) Gewißheit etwa in mathematischen oder gegenstandstheoretischen Axiomen, solche für aposteriorische Gewißheit in geeigneten Urteilen innerer Wahrnehmung (15), schließlich solche für Vermutungen in Urteilen äußerer Wahrnehmung (16) oder vollends in Erinnerungsurteilen (17) auf. Ob unmittelbare Vermutungsevidenzen a priori anzutreffen sind, darüber gibt zur Zeit, soviel mir bekannt ist, die Erfahrung keinerlei Aufschluß, so daß man vorerst kein Recht haben wird, auf solche Evidenzen zugunsten des Kausalgesetzes zu rechnen. Unmittelbar einleuchtende Vermutungen des aposteriorischen Gebietes andererseits scheinen sämtlich des universellen Charakters zu entraten, der dem Kausalgesetz eigen ist, so daß auch sie für unsere Frage außer Betracht bleiben müssen.

Demnach kommen hier von den unmittelbaren Evidenzen nur die apriorischen in Betracht und auch bei ihnen könnte man Grund haben zu meinen, prinzipiell in Abrede zu stellen, daß sie geeignet sein könnten, dem Kausalgesetz dienstbar gemacht zu werden. Daß etwas existiert, läßt sich so wenig unmittelbar als mittelbar a priori einsehen; nur Nichtexistenz und dann natürlich Bestand zeigen sich der apriorischen Erkenntnisweise zugänglich. Das Kausalgesetz hat es dagegen mit Existierendem zu tun und behauptet Positives, nicht Negatives: so scheint es auch dem unmittelbar evidenten apriorischen Erkennen unzugänglich. Inzwischen trügt hier der Schein. Die Relation, die das Kausalgesetz behauptet, betrifft sicher das Existierende: aber sie selbst existiert so wenig, wie etwa die Existenz existiert. Und wie diese nur bestehen kann, so kommt auch jener günstigenfalls nichts als Bestand zu, und darum ist sie dem Forum apriorischen Erkennens keineswegs prinzipiell entrückt. Wer also an die Gültigkeit des Kausalgesetzes glaubt, wird die Möglichkeit nicht abweisen dürfen, dasselbe könnte, zumindest unter besonders günstigen Umständen, auch wohl unmittelbar a priori eingesehen werden. (18) Und wenn man bedenkt, wie leicht sich das Zutrauen auf das Gesetz auch schon beim Naiven einstellt und wie wenig Argumente, die es begründen, dabei eine Rolle zu spielen pflegen, so wird man sich schwer der Vermutung entziehen, etwas von unmittelbarer Evidenz könnte bei diesem Zutrauen mitbeteiligt sein. Ist aber schon überhaupt die Berufung auf unmittelbare Evidenz, so unvermeidlich sie nicht selten sein wird, wegen der Schwierigkeit, sie zu kontrollieren, ein nur wenig geeignetes Verständigungsmittel zwischen Vertretern entgegengesetzter Ansichten, so wird vollends da, wo diese Evidenz sich bestenfalls mit nur sehr unvollkommener Deutlichkeit präsentiert, die Berufung auf sie besser zu unterlassen und womöglich durch ein Beweisverfahren zu ersetzen sein. Wir finden uns damit vor die Eventualität der mittelbaren Evidenzen gestellt.

Als apriorische Gewißheiten treten uns hier etwa Syllogismen mit apriorischen Prämissen, als apriorische Vermutungen Wahscheinlichkeitsschlüsse nach dem Partizipationsprinzip (19), als aposteriorische Vermutungen Induktionsschlüsse (20) entgegen, wobei die Eventualität aposteriorischer Gewißheit auf diesem Gebiet kaum in irgendeinem Fall auch nur annähernd zu erreichen sein wird. So bleibt, wenn wir zunächst nur das mittelbar evidente Aposteriori in Betracht ziehen, kaum etwas anderes als die Induktion übrig, und auf diese ist dann bekanntlich zur Legitimierung des Kausalgesetzes oft genug zurückgegriffen worden. Prinzipielle Bedenken dagegen, die sich darauf berufen, daß die Induktion das Kausalgesetz bereits voraussetzt (21), kann ich im Hinblick auf meine Aufstellungen über das  Induktionsprinzip  (22) nicht teilen. Dagegen möchte ich auch die Schwierigkeiten, die ein Induktionsbeweis zu überwinden hätte, nicht gering veranschlagen.

Schon die einzelnen Instanzen für eine solche Induktion bieten sich nicht willig dar, falls seit HUME an der Unwahrnehmbarkeit der Kausalrelation kein begründeter Zweifel besteht. Aber immerhin kann von der Regelmäßigkeit einer oft genug beobachteten Aufeinanderfolge vielleicht schon vermöge unmittelbarer Evidenz (23), jedenfalls aber im Sinne der BAYES'schen Regel (24), auf die Notwendigkeit dieser Aufeinanderfolge und demnach auf eine ausreichend spezialisierte Kausalrelation, dann aus entsprechend vielen dieser speziellen Kausalrelationen auf die allgemeine Geltung des Kausalgesetzes induktiv geschlossen werden. Und zur Verstärkung des Gewichts einer solchen Induktion werden sich ohne Zweifel mancherlei ansprechende Nebenerwägungen anstellen lassen. Aber man wird nicht übersehen dürfen, wieviel Raum für Gegeninstanzen wenigstens der gegenwärtige Stand unseres Wissens offen läßt. Das Kausalgesetz will eben nicht besagen, daß da und dort, unter diesen und jenen Umständen ein Kausalfall vorkommt, sondern daß überhaupt nichts unkausiert beginnt. In dieser Hinsicht mag nun tatsächlich namentlich die Physik sehr bemerkenswerte Bestätigungen darbieten. Aber schon dafür, daß man diesen Körper in diesen, jenen in jenen räumlichen und zeitlichen Bestimmungen antrifft, wird man oft genug, wenn man diese Bestimmungen genau nimmt, nicht leicht in der Erfahrung etwas aufzuweisen haben, was als ausreichende Ursache in Anspruch genommen werden könnte. Nicht besser geht es etwa mit Wind und Wetter und mit vielen der Geschehnisse, die das tägliche Leben unter den Gesichtspunkt der Zufälligkeit zu bringen pflegt. Spielen sich derlei Zufälle oft genug schon nicht mehr ausschließlich auf unorganischem Gebiet ab, so bietet nun ganz im allgemeinen das organische und das psychische Leben der unwissenschaftlichen wie selbst der wissenschaftlichen Erfahrung eine Fülle von Tatsachen dar, für die wir eine bis in die genauesten Bestimmungen hinein zwingende Ursache auch nur gleichsam in Anschlag zu bringen ganz außerstande sind, so daß die Subsumtion unter das allgemeine Kausalgesetz nur für den guten Glauben an dieses Gesetz Zeugnis gibt, diesen Glauben aber nicht wohl induktiv zu stützen fähig ist.

So findet man sich im Ganzen doch vor das Ergebnis gestellt, daß, was die Erfahrung und deren induktive Verarbeitung beizubringen vermag, doch auch günstigstenfalls bei weitem nicht ausreicht, die Ansprüche auf Allgemeinheit zu befriedigen, auf die das Kausalgesetz im Gültigkeitsfall in keiner Weise verzichten kann. Man braucht die Stützen, die ihm die Induktion gewährt, nicht gering zu achten, wenn man dieselben gleichwohl nicht für stark genug hält, für sich allein das Kausalgesetz zu tragen.

Blickt man auf das Dargelegte zurück, so findet man sich ziemlich eindeutig auf das Gebiet des Apriori, natürlich des mittelbar evidenten, als auf dasjenige hingewiesen, auf dem die Legitimierung des Kausalgesetzes am ehesten zu erhoffen sein möchte. Und in der Tat liegen die modernsten Versuche, das Kausalgesetz zu begründen, auf diesem Gebiet, und da die gegenwärtige Untersuchung in gewisser Hinsicht ähnlich intentioniert ist, mag es am Platz sein, wenigstens die beiden (meines Wissens) jüngsten dieser Versuche, den GERARD HEYMANS' und den von ASTERs, kurz zu charakterisieren.

Dabei ist freilich nichts weniger als unzweifelhaft, ob zunächst die Ausführungen HEYMANS' (25), sofern sie auf eine Beschreibung und Erklärung unseres kausalen Denkens abzielen, dort herangezogen sein wollen, wo es sich nicht um das Denken über Kausalität, sondern vielmehr um die Kausalität selbst handelt. Aber obwohl der genannte Forscher der Erkenntnistheorie nur psychologische Aufgaben stellt (26), verzichtet er selbst keineswegs auf jede  Rechtfertigung  (27). Dann aber, und das ist hier entscheidend, darf man behaupten, daß, wenn das, was er zum Thema des kausalen Denken beibringt, seine Richtigkeit hat, damit ein ganz förmlicher Beweis für das Kausalgesetz geliefert erscheint. Er beruft sich nämlich auf das von ihm so genannte HAMILTON'sche Prinzip (er nennt es freilich auch bloß  Hamiltonsches Postulat),  daß ein eigentliches Werden oder Vergehen in Wahrheit unmöglich ist. Wo darum etwas neu anzufangen scheint, kann in Wahrheit nichts anderes vorliegen als das Hinzu- oder Hinwegkommen von etwas, das auch schon vorher existiert hat (28). Aller scheinbare Anfang wäre also die Fortsetzung eines schon unmittelbar vorher existierenden Gleichen, und dieses wäre die Ursache, die sonach keinem Anfangenden fehlen kann. Beschlägt sich z. B. eine Wasserflasche im warmen Zimmer, so ist, was da auftritt, nur die Feuchtigkeit, die auch schon vorher in der Zimmerluft existiert hat; und wie in diesem simplen Fall, so in beliebig verwickelten Fällen, wo wir die Ursache, falls wir sie nicht aufzeigen können, unbedenklich hinzukonstruieren.

Es ist ohne Zweifel ein Verdienst der auch hier wie sonst ebenso geist- wie lichtvollen Ausführungen unseres Autors, auf Konstanten aufmerksam gemacht zu haben, die zwischen der Ursache und der Wirkung in vielen, vielleicht selbst in allen Fällen eine engere Verbindung herzustellen scheinen, als der  leere  Kausalbegriff für sich allein zu ergeben vermöchte. Aber zur Begründung des Kausalgesetzes dürften derartige Erwägungen in keiner Weise ausreichen, weil, soviel ich sehe, für die Unmöglichkeit des Entstehens und Vergehens als solchen keinerlei Evidenz für das Gegenteil in sich schließt, sofern sie, immerhin durch Erinnerung unterstützt, das Auftreten vorher nicht gegebener Erlebnisse und dann auch wieder deren Verschwinden bezeugt (29). Es darf noch beigefügt werden, daß in unserem Beispiel das Wasser im Zimmer seinen Ort wie seinen Aggregatzustand ändert und ganz allgemein jedes Hinzu-, bzw. Wegkommen eine ganz unzweifelhafte Veränderung bedeutet, wie sie das zugrunde gelegte Prinzip oder Postulat doch streng genommen in keinem Fall zuläßt. Auf diesem Weg wird also das Kausalgesetz trotz der interessanten Untersuchungen, die unser Autor ihm widmet, nicht wohl zu begründen sein.

Warum ich glaube, gegenüber dem ASTERschen Beweisversuche (30) eine ebenso negative Position einnehmen zu müssen, habe ich unter ausdrücklicher Würdigung des Wertes auch dieser Beiträge bereits an einem anderen Ort (31) dargelegt, so daß ich mich jetzt auf wenige charakterisierende Bemerkungen beschränken kann. Auch hier wird von der Voraussetzung einer Unmöglichkeit ausgegangen. Daß ein Blatt grün und auch gelb wäre, das ist im Sinne der Darlegungen unseres Autors ein Widerstreit, der nur durch Verschiedenheit der Zeit oder des Ortes beseitigt sein kann. Zeit und Ort aber sind selbst nichts Absolutes; ihre Verschiedenheit besteht erst in der Verschiedenheit dessen, was sie erfüllt. So wird jede Veränderung, ja jedes Anderssein nur durch andere Daten als Bedingungen möglich.

Daß diese Erwägungen auch im Fall ihrer Stichhaltigkeit schwerlich auf diese Kausalrelation zurückführen, scheint hier schon der Umstand zu ergeben, daß sie nicht nur auf Veränderung, sondern auch auf Anderssein Bedacht nehmen, das ja auch auf dem Gebiet des Daseinsfreien (32) seine gute Bedeutung hat. Aber auch ganz abgesehen hiervor kann man, wie mir scheint, nicht behaupten,  grünes Blatt  und  gelbes Blatt  wären ansich unverträglich, so daß diese Unverträglichkeit erst durch die Beschaffenheit von Zeit- oder Ortsdaten zu beseitigen wäre. Der Widerstreit besteht vielmehr nur für den speziellen Fall der Zeit- und Ortsgleichheit, bzw. -identität. Hauptsächlich aber: Zeit- und Ortsrelationen gründen sich keineswegs auf außerzeitliche und außerräumliche Daten als Fundamente, sondern nur auf absolute Zeit- und Ortsbestimmungen, so wie Tonverschiedenheiten nicht auf Farben, Farbenverschiedenheiten nicht auf Töne als ihre Inferiora [untere Teile - wp] gestellt sein können. Daß freilich die zeitlichen und räumlichen Absoluta hinter ihren Relationen so sehr zurückgetreten, daß die modernste Physik sogar dazu neigt, ihnen (in allerdings sehr mißverständlichem Sprachgebrauch) die  physikalische Gegenständlickeit  abzusprechen (33), ist sicherlich sehr beachtenswert. So wenig es aber im Grunde dem entgegen ist, was ich an einem anderen Ort (34) als die wesentliche Leistung unseres Wahrnehmens darzutun versucht habe, so kann dies doch in keiner Weise die Evidenz dafür beeinträchtigen, daß Zeit- wie Ortsrelationen nur dadurch zu solchen werden können, daß sie eben Relationen zwischen Zweiten, bzw. Örtern sind, nicht aber auf Außerzeitliches, bzw. Außerräumliches gestellt sein können. Solches hat dann aber auch sozusagen keine Gelegenheit, die Kausalfunktionen zu versehen, die unser Argument ihm zuschreibt.

Bin ich mit meinen Bedenken gegen bisher Geleistetes nicht völlig im Irrtum, so brauche ich kaum zu besorgen, Überflüssiges zu beginnen, wenn ich im Folgenden versuche, mich dem Ziel eines apriorischen Erweises des allgemeinen Kausalgesetzes auf anderem Weg zu nähern. Die obige Übersicht hat ergeben, daß eine zu gewinnende mittelbare apriorische Evidenz sich einerseits als eine solche für Gewißheit, andererseits als eine solche für Vermutung darstellen, der allfällige Beweis also entweder ein Wahrheitsbeweis oder ein Wahrscheinlichkeitsbeweis sein könnte.
LITERATUR - Alexius Meinong, Zum Erweis des allgemeinen Kausalgesetzes, Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften in Wien 1918, Philosophisch-historische Klasse, Bd. 189, Wien 1919 [vorgelegt in der Sitzung vom 5. Juni 1918]
    Anmerkungen
    1) Vgl. E. BECHER, Naturphilosophie in PAUL HINNEBERGs "Die Kultur der Gegenwart", Bd. III, 7. Abteilung, Bd. 1, Leipzig und Berlin 1914, Seite 76f und bes. Seite 149
    2) ERICH BECHER, a. a. O., Seite 108
    3) BECHER, a. a. O., Seite 55
    4) In Kapitel VI und VII meines Buches "Über Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit", Leipzig 1915. Die oben erwähnten Aufstellungen E. BECHERs waren mir damals unbekannt.
    5) In der Schrift "Über die Erfahrungsgrundlagen unseres Wissens", Berlin 1906
    6) Vgl. "Über Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit", Seite 660f, dagegen jetzt ANTON ÖLZELT-NEWIN, "Über Meinongs Versuch, das induktive Erkennen zu begründen", Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, Bd. 164, 1916
    7) Seit neuestens A. ÖLZELT-NEWIN, "Über Meinongs Versuch, das induktive Erkennen zu begründen", Seite 31. Ungefähr zur selben Zeit (in der  Kosmogonie,  Jena 1916) hat CHRISTIAN von EHRENFELS nicht nur die Gültigkeit des Kausalgesetzes, sondern sogar die des "Satzes vom zureichenden Grunde" bestritten (vgl. z. B. Seite 44f, daraus aber immerhin  logische  Konsequenzen gezogen, auf die er seine  dualistische Weltauffassung  stützt (ebd).
    8) SIGWART, Logik II, § 73 (Seite 132f der zweiten Auflage)
    9) HUME-Studien II, Zur Relationstheorie, Wien 1882 (Sitzungsberichte der kauserlichen Akademie der Wissenschaften, philos.-histor. Kl., Bd. 101, Seite 125f, auch Bd. II meiner "Gesammelten Abhandlungen", Leipzig 1913, Seite 119f)
    10) Das, worauf CHR. von EHRENFELS (Kosmogonie, Seite 7f) neuerlich unter dem Namen  Kausalstränge  und  Gestaltfolgen  aufmerksam gemacht hat, darf auch derjenige unbedenklich hierher zählen der diesem Forscher bei deren theoretischer Bearbeitung kaum in alle Konsequenzen folgen könnte.
    11) HUME-Studien II, Seite 133f (Gesammelte Abhandlungen, Bd. II, Seite 127).
    12) ÖLZELT-NEWIN, Über Willensfreiheit (Nachtrag zur Kosmodizee, auch unter dem Titel: "Weshalb das Problem der Willensfreiheit nicht zu lösen ist", Wien 1900), Seite 5f
    13) Vgl. MEINONG, Über Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit, § 49f
    14) Vgl. meine Ausführungen "Über die Stellung der Gegenstandstheorie im System der Wissenschaften", Leipzig 1907 (auch Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, Bd. 130, § 12.
    15) Näheres habe ich dargelegt in "Über die Erfahrungsgrundlagen unseres Wissens", Abschnitt III
    16) MEINONG, Erfahrungsgrundlagen, § 18
    17) Vgl. jetzt insbesondere "Über Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit", § 72
    18) Vgl. meine Ausführungen in den Göttingische Gelehrten Anzeigen, 1907, Seite 29
    19) Vgl. MEINONG, Über Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit, § 41
    20) MEINONG, Möglichkeit Wahrscheinlichkeit, § 81
    21) Vgl. ÖLZELT-NEWIN, Über Willensfreiheit, Seite 18f
    22) MEINONG, Möglichkeit Wahrscheinlichkeit, § 85, dagegen jetzt ÖLZELT-NEWIN, "Über Meinongs Versuch etc." a. a. O.
    23) Über ALOIS HÖFLERs hierhergehörige Aufstellung vgl. "Möglichkeit Wahrscheinlichkeit", Seite 300
    24) MEINONG, Möglichkeit Wahrscheinlichkeit, § 77
    25) GERARD HEYMANS, Die Gesetze und Elemente etc. a. a. O., Seite 333f
    26) HEYMANS, a. a. O., Seite 3
    27) HEYMANS, a. a. O., Seite 9f
    28) HEYMANS, a. a. O., Seite 337
    29) Sollten zu einer solchen Leistung negative Wahrnehmungs-, bzw. Erinnerungsurteile erforderlich sein, so hätte ich keinen Grund, daran Anstoß zu nehmen; vgl. "Über Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit", Seite 629f. Warum die Wahrnehmung nicht zugleich gegen das Kausalgesetz Zeugnis ablegt, darauf wird noch zurückzukommen sein.
    30) ERNST von ASTER, Untersuchungen über den logischen Gehalt des Kausalgesetzes in "Psychologische Untersuchungen", hg. von THEODOR LIPPS, Bd. 1, 2. Heft, Leipzig 1905, Seite 289f.
    31) Göttingische Gelehrte Anzeigen, a. a. O. Seite 24f, insbesondere Seite 30f
    32) Vgl. zu Daseinsfreiheit "Über die Stellung der Gegenstandstheorie usw.", Seite 24 (Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, a. a. O., Seite 70), auch § 7 und § 9.
    33) Vgl. die ansprechende Darstellung MORITZ SCHLICKs in der Schrift "Raum und Zeit in der gegenwärtigen Physik", Zur Einführung in das Verständnis der allgemeinen Relativitätstheorie, Berlin 1917, z. B. Seite 7, 12, 35.
    34) MEIONONG, "Über die Erfahrungsgrundlagen unseres Wissens", § 19fm Berlin 1906