cr-4H. RuinJ. St. MillF. NauenTh. Reid    
 
JOHN STUART MILL
Eine Prüfung der Philosophie
Sir William Hamiltons

[3/3]

"Was auch immer aufgenommen wird, wird durch die Art des Wahrnehmenden bestimmt.  - heißt: daß unsere Anschauungs- und Begriffsfähigkeiten ihre eigenen Gesetze haben, die nicht allein bestimmen, was wir fähig sind, uns anschaulich vorzustellen und zu denken, sondern in unsere sinnlichen Vorstellungen und Begriffe Elemente einzuführen, die nicht vom angeschauten oder gedachten Ding, sondern vom Geist selbst herstammen; daß wir deshalb nicht sofort schließen können, daß alles, was wir in unserer Anschauung oder Auffassung eines Objektes finden, notwendigerweise sein Urbild im Objekt selbst hat und daß wir in jedem Fall diese Frage durch philosophische Untersuchung entscheiden müssen."

Kapitel 4
In welcher Hinsicht weicht Hamilton wirklich
von den Philosophen des Absoluten ab?

Die wirklich strittige Frage in HAMILTONs berühmter und scharfer Kritik der Philosophie von COUSIN ist folgende: haben wir eine unmittelbare Intuition von Gott oder haben wir sie nicht? Der Name Gottes ist unter zwei Ausdrücken abstraktester Art, "dem Unendlichen" und "dem Absoluten", verschleiert, vielleicht aus einem Gefühl von Ehrfurcht; dies wenigstens ist der Grund, der von MANSEL, (1) dem Schüler HAMILTONs, für die Bevorzugung der unbestimmten Ausdrücke gegeben wird. Es ist aber eine der am wenigsten bestreitbaren aller logischen Maximen, daß der Sinn des Abstrakten im Konkreten gesucht werden muß, und nicht umgekehrt; und wir werden sowohl in Bezug auf HAMILTON als auch auf MANSEL sehen, daß der Prozeß nicht ungestraft umgedreht werden darf. (2)

Ich gehe nun dazu über, die Ansichten der beiden streitenden Parteien darzulegen und zwar hauptsächlich in den Worten HAMILTONs. Beide versuchen zu entscheiden, welches die Tatsachen sind, die (nach ihrer eigenen Terminologie) im Bewußtsein gegeben sind oder, wie andere sagen, von denen wir intuitive Erkenntnis haben. Nach COUSIN gibt es in jedem Akt des Bewußtseins drei Elemente, drei Dinge, deren wir uns intuitiv bewußt sind: ein endliches Element; ein Mehrheitselement, zusammengesetzt aus einem Selbst oder Ich und etwas vom Selbst Verschiedenen oder einem Nicht-ich; ferner ein unendliches Element, ein Bewußtsein von etwas Unendlichem. "In (3) demselben Augenblick, wo wir uns dieser (endlichen) mehrheitlichen, relativen, unbestimmten Existenzen bewußt sind, sind wir und gleicherweise einer höheren Einheit bewußt, in der sie enthalten sind und durch die sie erklärt werden: einer Einheit, die absolut ist, wie sie bedingt sind; substantielle, wie sie phänomenal sind; und eine unendliche Ursache, wie sie endliche Ursachen sind. Diese Einheit ist Gott". Wenn die ersten beiden Elemente das Endliche und Gott sind, so ist das dritte Element die Relation zwischen dem Endlichen und Gott, d. h. diejenige zwischen Ursache und Wirkung. Diese drei Dinge sind in jedem Akt des Bewußtseins unmittelbar gegeben und werden deshalb als wirkliche Existenzen durch direkte Intuition erkannt.

Von diesen angeführten Elementen des Bewußtseins läßt HAMILTON nur das erste zu, das Endliche, das aus dem "sich gegenseitig begrenzenden und bedingenden" Ich und einem Nicht-Ich zusammengesetzt ist. Er leugnet, daß Gott im unmittelbaren Bewußtsein gegeben, durch direkte Intuition erkannt werde. Auf diesem Weg wird nach ihm Gott nicht von uns erkannt: und als ein unendliches und absolutes Wesen wird er nicht, noch kann er überhaupt von uns erkannt werden; denn wir besitzen keine Fähigkeiten, die das Unendliche und Absolute zu erfassen vermögen. Indem so das zweite von COUSINs Elementen ausgeschlossen wird, fällt auch das dritte (die Relation zwischen dem ersten und zweiten), und das Bewußtsein bleibt auf das endliche, aus einem Ich und einem Nicht-Ich zusammengesetzte Element beschränkt.

Es ist für mich fast überflüssig zu sagen, daß ich in diesem Streit vollständig auf HAMILTONs Seite stehe. Nach meiner Ansicht ist die Lehre, daß wir eine unmittelbare oder intuitive Erkenntnis Gottes haben, schlechte Metaphysik. Sie schließt einen falschen Begriff von der Natur und den Grenzen der menschlichen Fähigkeiten in sich und gründet sich auf eine oberflächliche und irrige Psychologie. Alles was sich auf Gott bezieht, behaupte ich, ist Gegenstand unseres Schließens; ich möchte hinzufügen, eines Schließens a posteriori. Und insofern HAMILTON beigetragen hat - was er sehr wesentlich getan hat -, die entgegengesetzte Lehre zu diskreditieren, hat er nach meiner Meinung der Philosophie einen sehr wertvollen Dienst geleistet. Aber wenn ich auch seinem Schluß bestimme, so scheinen mir doch seine Argumente von Unwiderlegbarkeit sehr weit entfernt zu sein. Auf die meisten von ihnen, glaube ich, könnte ohne Schwierigkeit eine genügende Antwort gegeben werden, obwohl ich nicht sagen will, daß COUSIN stets kompetent gewesen ist sie zu geben. Und die Beweggründe sind im vorliegenden Fall von ebenso großer Wichtigkeit wie der Schluß: nicht allein, weil sie einen ebenso wesentlichen Teil von HAMILTONs Philosophie bilden, sondern weil sie die Prämissen liefern, aus denen einige seiner Nachfolger, wenn nicht er selber, Schlüsse gezogen haben, die ich für äußerst unglücklich zu halten wage. Während ich deshalb dem Endziel und dem Zweck dieses berühmten Stückes philosophischer Kritik aufrichtig Beifall zolle, halte ich es doch für wichtig, die Schlußfolgerungen, die sie zur Anwendung bringt und die allgemeine Denkart, von der sie ein Beispiel gibt mit einiger Genauigkeit zu untersuchen.

Die Frage ist, wie bereits bemerkt, ob wir eine direkte Intuition "des Unendlichen" und "des Absoluten" besitzen. COUSIN behauptet, daß wir sie besitzen -, HAMILTON, daß wir sie nicht besitzen, daß das Unendliche und das Absolute für uns denkbar und folglich unerkennbar sind.

Es ist angezeigt, dem mit diesen Kontroversen nicht vertrauten Leser den Sinn der Ausdrücke zu erklären. "Unendlich" erfordert Leser den Sinn der Ausdrücke zu erklären. "Unendlich" erfordert kaum eine Erläuterung. Allgemein wird das darunter verstanden, für dessen Größe es keine Grenzen gibt. Wenn wir von unendlicher Dauer oder von unendlichem Raum sprechen, so nimmt man an, daß wir eine Dauer meinen, die niemals aufhört und eine Ausdehnung, die nirgends ein Ende erreicht.  Absolut  ist viel dunkler, da es ein Wort mit verschiedenen Bedeutungen ist; in dem Sinne aber, in dem es zu  Unendlich  in Beziehung steht, bedeutet es (entsprechend seiner Etymologie) das, was vollkommen oder vollendet ist. Es gibt Dinge, von denen der höchste denkbare (ideal) Betrag eine begrenzte Quantität ist, obwohl eine Quantität, die nie wirklich erreicht wird. In diesem Sinne ist die Relation zwischen dem Absoluten und dem Unendlichen (wie BENTHAM gesagt haben würde), eine ziemlich enge, nämlich eine Relation des Gegensatzes. Zum Beispiel ein absolutes Minimum von Materie behaupten, heißt ihre unendliche Teilbarkeit verneinen. Wir können ferner von absolut, aber nicht von unendlich reinem Wasser sprechen. Die Reinheit des Wassers ist keine Tatsache, von der, welchen Grad wir auch als erreicht annehmen, ein noch höherer, darüber hinausgehender Grad nachbleibt. Sie hat eine absolute Grenze; sie ist fähig, einen Endpunkt zu erreichen oder vollkommen zu werden - in Gedanken, wenn nicht in Wirklichkeit. Die fremden Substanzen, die in jedem Gefäßt Wasser vorhanden sind, können nicht mehr sein als eine begrenzte Menge und wenn wir diese alle als daraus entfernt annehmen, kann die Reinheit des Wassers, selbst in der Vorstellung, eine weitere Zunahme nicht zulassen.

Wenn so die Vorstellung des Absoluten in diesem Sinne des Wortes dem Unendlichen gegenübergestellt wird, kann nicht beides von Gott richtig ausgesagt werden oder, wenn richtig, nicht in Bezug auf dieselben Attribute. Das Wort  absolut  aber kann, ohne die Bedeutung  vollkommen  oder  vollendet  zu verlieren, die Bedeutung  begrenzt  fallen lassen. Es kann fortfahren, das Ganze dessen, worauf es angewandt wird, zu bedeuten, ohne jedoch zu erfordern, daß dieses Ganze begrenzt sei. Nehmen wir z. B. ein Wesen von unendlicher Macht an, so muß das Wissen dieses Wesens, wenn dies als vollkommen vorausgesetzt wird, unendlich sein und darf deshalb in einem zulässigen Sinn des Ausdrucks sowohl absolut als auch unendlich genannt werden. (4) In dieser Auffassung ist es weder ungereimt noch widersinnig, diese beiden Worte von Gott auszusagen.

Das Wort  absolut  hat indessen andere Bedeutungen, die mit Vollkommenheit oder Vollendung nichts zu tun haben, obwohl sie oft damit vermengt und verwechselt werden und zwar umso leichter, als sie alle gewohnheitsmäßig der Gottheit beigelegt werden. Unter absolut versteht man oft das Gegenteil von  relativ  und darin liegen vielmehr viele Bedeutungen als eine, denn  relativ  ist ebenfalls ein sehr unbestimmt gebrauchter Ausdruck, den  absolut  als sein Negativ begleitet, wo nur immer er angewandt wird. In einem anderen Sinne bedeutet  absolut  das, was unabhängig ist von allem anderen: was existiert und ist, was es ist, kraft seiner eigenen Natur und nicht durch ein anderes Ding. In diesem vierten, wie auch im dritten Sinn steht  absolut  für die Negation einer Relation, nicht der Relation im allgemeinen, sondern der spezifischen Relation, die durch den Terminus  Wirkung  ausgedrückt wird. In dieser Bedeutung ist es synonym mit  unverursacht  und wird deshalb ganz naturgemäß mit der  ersten  Ursache identifiziert. Der Sinn einer  ersten  Ursache ist, daß durch sie und ihre Eigenschaften alle anderen Dinge existieren und sind, was sie sind; daß sie selbst aber durch nichts anderes zum Dasein gelangt, noch zu dem gemacht worden ist, was sie ist. Sie ist in ihrem Dasein oder ihren Attributen von keinen anderen Dingen abhängig; es gibt nichts, durch dessen Dasein ihr eigenes bedingt ist: sie existiert absolut.

In welcher dieser Bedeutungen wird der Ausdruck in der Polemik mit COUSIN gebraucht? COUSIN macht überhaupt keinen Unterschied zwischen dem Unendlichen und dem Absoluten. HAMILTON unterscheidet sie als zwei Spezies einer höheren Gattung, des Unbedingten (unconditioned), und definiert das Unendlich als "das Unbedingt-Unbegrenzte" (unconditionally-unlimited), das Absolute als "das Unbedingt-Begrenzte" (unconditionally-limited). (5) Hier ist ein neues Wort eingeführt, das Wort "unbedingt" (unconditionally), für das wir vergeblich nach einer deutlichen Erklärung suchen, obgleich es einer solchen ebensosehr bedarf, wie jedes der Worte, die es zu erkären bestimmt ist. Im Essay selbst ist dies der einzige Versuch, der gemacht wird, das Absolute zu definieren; in der neuen Auflage aber fügt HAMILTON die folgende Note bei (6):
    "Der Ausdruck  absolut  hat einen zweifachen (wenn nicht dreifachen) Sinn, entsprechend der zweifachen (oder dreifachen) Bedeutung des Wortes im Lateinischen."
Über die dritte Anwendung geht er, als an dieser Stelle ohne Belang, mit Recht hinweg. Die beiden anderen sind folgende:
    1.  "absolutum  bedeutet das, was  befreit  oder  losgelöst  ist: in diesem Sinne ist das Absolute das, was fern oder frei ist von Relation, Vergleich, Begrenzung, Bedingung, Abhängigkeit usw., also gleichbedeutend ist mit  to absoluton  der späteren Griechen. In dieser Bedeutung steht das Absolute in keinem Gegensatz zum Unendlichen."
Dies ist die Erweiterung meiner dritten Bedeutung.
    " absolutum  bedeutet  vollendet, vollkommen, vollständig;  in diesem Sinne ist das Absolute das, was außer Relation ist, als vollendet, vollkommen, vollständig, ganz. usw., und so dem  to oulon  [totale Einheit - wp] und  to teleion  [Vollendung - wp] des ARISTOTELES entspricht. In dieser Bedeutung - und diese ist es, in der ich selbst es ausschließlich gebrauche - ist das Absolute dem Unendlichen diametral entgegengesetzt und steht mit ihm in Widerspruch."
Diese zweite Bedeutung HAMILTONs, die ich in der ersten Ausgabe durch eine tadelnswerte Unachtsamkeit mit meiner eigenen ersten verwechselt habe, (7) und die aus der ersten und dritten - aus der Idee des Vollendeten und Vollständigen und aus der Idee des Außer-Relation-Seins zusammengesetzt ist, muß als fünfte gezählt werden. Die Frage ist, wie aus den beiden zusammen eine sinnvolle Bedeutung hergestellt werden kann. Man kann, wenn auch mit einiger Schwierigkeit, einen Sinn finden für "frei sein von Relation, Vergleich, Begrenzung, Bedingung, "Abhängigkeit". Was aber ist darunter zu verstehen, daß sie dies alles sei "als vollendet, vollkommen, vollständig, ganz"? Soll es heißen,  beides  sein, außer Relation und ebensowohl vollendet? Und soll das Absolute in HAMILTONs zweiter Bedeutung auch das Absolute in der ersten und außer aller Relation überhaupt sein? Oder bedeutet die Partikel  als,  daß es außer Relation nur in Bezug auf seine Vollkommenheit ist, womit (wie ich annehme) gemeint ist, daß es für seine Vollkommenheit von nichts abhängt als von sich selbst? MANSELs Kommentar, der uns sonst nicht viel nützt, entscheidet für das letzte. ... "Außer Relation als vollendet, bedeutet", sagt er, "selbst-seiend in seiner Vollkommenheit und nicht das Dasein von irgendetwas anderem in sich schließend." (8) Ohne uns weiter zu bemühen, die Dunkelheit aufzuhellen, mag es genügen, daß HAMILTONs  absolut,  obwohl nicht synonym mit einem vollendeten, vollkommenen, vollständigen", sondern mit einem begrenzten Ganzen, diese Idee einschließt und deshalb mit  unendlich  unvereinbar ist (9)

Nachdem ich diese Worterläuterungen vorausgeschickt, will ich, soweit als möglich in HAMILTONs eigenen Worten, die wichtigsten Punkte seiner Beweisführung, daß das Absolute und das Unendlich unerkennbar sind, feststellen. Seine erste zusammenfassende Darlegung der Lehre ist folgende (10):
    "Das Unbedingt-Unbegrenzte oder das Unendlich, das Unbedingt-Begrenzte oder das Absolute können im Geist nicht positiv konstruiert werden. Man kann sie sich nur dadurch vorstellen, daß man eben die Bedingungen, unter denen das Denken selbst zustande kommt, hinwegdenkt oder von ihnen abstrahiert. Folglich ist der Begriff des Unbedingten nur negativ; negativ zum Denkbaren selbst. Zum Beispiel: auf der einen Seite können wir uns positiv weder ein absolutes Ganzes denken, d. i. ein so großes Ganzes, daß wir es nicht auch als relativen Teil eines noch größeren Ganzen denken können; noch einen absoluten Teil, d. h. einen so kleinen Teil, daß wir ihn nicht auch als ein in noch kleinere Teile teilbares, relatives Ganzes denken können. Auf der anderen Seite können wir uns positiv nicht ein unbegrenztes Ganzes vorstellen oder als wirklich denken oder im Geiste (da hier Verstand und Einbildung zusammenfallen) konstruieren. Denn das wäre nur möglich durch eine in Gedanken unendliche Synthese endlicher Ganzen, was selbst zu seiner Vollführung eine unendliche Zeit erfordern würde; noch können wir aus demselben Grund in Gedanken eine unendliche Teilbarkeit der Teile verfolgen. Das Ergebnis ist dasselbe, ob wir den Prozeß auf Begrenzung im Raum, in der Zeit oder im Grad anwenden. Die unbedingte Verneinung und die unbedingte Bejahung der Begrenzung, mit anderen Worten das Unendliche und das Absolute im eigentlichen Sinn der Worte, sind also gleich undenkbar für uns."
Dieser Beweisgrund, daß das Unendliche und das Absolute für uns unerkennbar sind, weil die einzigen Vorstellungen, die wir uns von ihnen zu bilden vermögen, negativ sind, wird mit noch stärkerem Nachdruck einige Seiten später dargelegt (11):
    "KANT hat klar nachgewiesen, daß die Idee des Unbedingten keine objektive Realität haben kann - daß sie keine Erkenntnis übermittelt -, und daß sie die unlösbarsten Widersprüche in sich schließt. Aber er hätte nachweisen müssen, daß das Unbedingte keinen objektiven Gebrauch hat, weil es tatsächlich keine subjektive Bejahung besitzt; daß es keine wirkliche Erkenntnis ermöglicht, weil es nichts selbst nur Denkbares enthält; und daß es sich selbst widerspricht, weil es kein Begriff, weder ein einfacher noch ein positiver ist, sondern nur  ein fasciculus  [Bündel - wp]  von Negationen,  von Negationen des Bedingten in seinen entgegengesetzten Extremen und zusammengehalten lediglich mit Hilfe der Sprache und dem ihnen gemeinsamen Charakter der Unbegreifbarkeit."
Als ersten und wichtigsten, grundlegenden Beweisgrund HAMILTONs wollen wir also anmerken, daß unsere Ideen des Unendlichen und des Absoluten rein negativ sind und daß das Unbedingte, das die beiden verbindet, "ein  fasciculus  von Negationen" ist. Ich behalte mir vor, die Gültigkeit dieses und jedes anderen Teils der Beweisführung zu betrachten, bis wir das Ganze vor uns haben. Er fährt fort (12)
    "Da also das Bedingt-Begrenzte (was wir kurz das Bedingte nennen können), das einzig mögliche Objekt der Erkenntnis und des positiven Denkens ist, so setzt Denken notwendigerweise Bedingtsein voraus.  Denken  ist  Bedingen;  und bedingte Begrenzung ist das Grundgesetz der Möglichkeit des Denkens. Denn wie der Windhund nicht über seinen Schatten hinauslaufen, oder der Adler (nach einem treffenderen Gleichnis) nicht über die Atmosphäre, in der er schwebt und durch die allein er gehalten wird, hinausfliegen kann, so kann der Geist nicht die Sphäre der Begrenzung überschreiten, innerhalb deren und durch die die Möglichkeit des Denkens ausschließlich verwirklicht wird. Das Denken beschränkt sich auf das Bedingte, weil, wie wir gesagt haben.  Denken  einfach  Bedingen  ist. Das  Absolute  können wir uns nicht anders denken, als allein durch eine Negation der Denkbarkeit; und alles, was wir erkennen, wird erkannt als

     Gewonnen  vom kalten und formlosen  Unendlichen. 
Wie in der Tat je bezweifelt werden konnte, daß das Denken sich auf das Bedingte beschränkt, darf man wohl für höchst wunderbar halten. Das Denken kann das Bewußtsein nicht überschreiten und Denken ist allein möglich unter der Antithese eines nur in Korrelation erkannten und sich gegenseitig begrenzenden Subjekts und Objekts des Denkens; während, unabhängig davon, alles was wir vom Subjekt oder Objekt, vom Geist oder der Materie erkennen, nur eine Erkenntnis des besonderen, des mehrheitlichen, verschiedenen, modifizierten, phänomenalen eines jeden Gegenstandes ist. Wir geben als die Folge dieser Lehre zu, daß Philosophie, wenn sie als mehr aufgefaßt wird als eine Wissenschaft des Bedingten, unmöglich ist. Ausgehend vom Besonderen geben wir zu, daß wir nie, auch nicht in unserem höchsten Verallgemeinerungen, über das Endliche hinaus gelangen können; daß unsere Erkenntnis, ob von Geist oder Materie, nichts mehr sein kann, als eine Erkenntnis der relativen Äußerungen eines Daseins, das ansich als jenseits des Bereichs der Philosophie anzuerkennen unsere höchste Weisheit ist. Das ist es, was in den Worten des heiligen AUGUSTIN,  Cognoscendo ignatur, et ignoratione cognoscitur  [erkennende Unwissenheit und unwissende Erkenntnis - wp] ausgesprochen liegt." Das Diktum, daß "Denken Bedingen ist" (dessen Sinn später untersucht werden wird), mag als zweiter Beweisgrund unseres Autors angemerkt werden. Hier endet der positive Teil seiner Beweisführung. Es bleibt noch seine Widerlegung der Gegner. Nach einer Prüfung der Ansicht SCHELLINGs, in die ich ihm hier nicht zu folgen brauche, wird er mit COUSIN handgemein, gegen den er nachzuweisen unternimmt, (13) daß "sein Argument, die Co-Realität seiner drei Ideen zu beweisen, das gerade Gegenteil beweist"; "daß die Bedingungen, unter denen er allein ein Erkennen als möglich zugibt, notwendigerweise die Möglichkeit einer Erkenntnis, um nicht zu sagen einer Vorstellung des Absoluten ausschließt, und daß das Absolute, wie es von ihm definiert wird, nur ein relatives und bedingtes ist." Wenn wir von diesem dreiteiligen Argument das übersehen (oder, wie unser Autor sagen würde, diskontieren), was nur  ad hominem  [Polemik in Bezug auf die Person des Gegners - wp] gilt, so ist von allgemeiner Anwendung das folgende:

Erstens:  COUSIN und unser Autor stimmen darin überein, daß es keine Erkenntnis geben kann, außer "wo es eine Mehrheit von Begriffen (terms) gibt"; es gibt mindestens ein Wahrgenommenes und einen Wahrnehmenden, einen Erkennenden und ein Erkanntes. Aber diese Notwendigkeit von "Unterschied und Mehrheit" als Bedingung der Erkenntnis ist unvereinbar mit dem Sinn des Absoluten, das
    "als absolut universal, absolut eins ist. Absolute Einheit ist synonym mit absoluter Negation von Mehrheit und Unterschied. ... Die Bedingung, unter der das Absolute existiert und erkannt werden muß und die Bedingung des Verstandes, unter der er befähigt ist, zu erkennen, sind unvereinbar. Denn wenn wir das Absolute als erkennbar annehmen, so muß es identifiziert werden entweer erstens mit dem erkennenden Subjekt oder zweitens mit dem erkannten Objekt oder drittens mit der Indifferenz beider. Die erste und zweite Hypothese widersprechen dem Absoluten. Denn in ihnen wird vorausgesetzt, daß das Absolute erkannt wird entweder im Gegensatz zum erkennenden Subjekt oder im Gegensatz zum erkannten Objekt: mit anderen Worten, daß das Absolute als absolute Einheit, d. h. als Negation jeglicher Mehrheit erkannt wird; während schon der Akt selbst, durch den es erkannt wird, die Mehrheit als Bedingung seiner eigenen Möglichkeit bejaht. Die dritte Hypothese andererseits widerspricht der Mehrheit, die dem Vorstellen eigen ist, denn wenn das Subjekt und das Objekt des Bewußtseins als eins erkannt werden, ist die Mehrheit der Begriffe (terms) nicht die notwendige Bedingung des Erkennens. Daraus folgt notwendig die Alternative: entweder kann das Absolute überhaupt nicht erkannt oder gedacht werden; oder unser Autor ist im Unrecht, wenn er das Denken den Bedingungen der Mehrheit und des Unterschiedes unterwirft." (14)

    Zweitens:  Um das Absolute durch uns erkennbar zu machen, ist COUSIN, wie unser Autor sagt, genötigt, es im Licht einer absoluten Ursache darzustellen. Eine Verursachung (causation) ist jedoch eine Relation; deshalb ist das Absolute COUSINs nur ein relatives. Ferner, "was lediglich als Ursache existiert, existiert nur um etwas anderen willen; es ist nicht endlich ansich, sondern einfach Mittel zu einem Endzweck ... Abstrakt betrachtet, steht deshalb die Wirkung über der Ursache". Daher ist eine absolute Ursache "zu ihrer Vollkommenheit" und in der Tat "sogar zu ihrer Wirklichkeit von ihrer Wirkung abhängig; denn soweit ein Ding notwendigerweise als Ursache existiert, soweit es sich selbst nicht allgenügend, weil es soweit von der Wirkung als von der Bedingung, durch die es sein Dasein verwirklicht, abhängig: und was absolut als eine Ursache existiert, existiert deshalb für die Wirklichkeit seines Daseins in absoluter Abhängigkeit von der Wirkung. Eine absolute Ursache existiert in Wahrheit allein in ihren Wirkungen; sie ist nie, stets wird sie. Denn sie ist eine Existen  in potentia,  nicht eine Existenz  in actu,  außer mittels und durch ihre Wirkungen. So ist das Absolute im besten Fall etwas bloß Inchoaktives [Beginnendes - wp] und Unvollkommenes". (15)
Im Vorübergehen möchte ich fragen, warum COUSIN genötigt ist zu glauben, daß, wenn das Absolute oder um deutlich zu sprechen, wenn Gott nur im Charakter einer Ursache von uns erkannt wird, er deshalb "lediglich als Ursache existieren" und "lediglich ein Mittel zu einem Zweck sein muß?" Es ist doch sicherlich möglich zu behaupten, daß die Gottheit von uns nur als diejenige erkannt wird, die die Raben füttert, ohne daß wir deshalb annehmen müßten, daß die göttliche Intelligenz allein zu dem Zweck da sei, daß die Raben gefüttert werden. (16)

Wenn man die Reihe der von HAMILTON für die Unerkennbarkeit und Undenkbarkeit des Absoluten angeführten Beweisgründe übersieht, so fällt zunächst die Bemerkung auf, daß die meisten von ihnen ihre Anwendung verlieren, wenn an die Stelle der metaphysischen Abstraktion "des Absoluten" einfach der verständlichere konkrete Ausdruck "etwas Absolutes" gesetzt wird. Wenn die erste Ausdrucksweise einen Sinn hat, so muß sie fähig sein, in Ausdrücken der anderen wiedergegeben zu werden. Wenn man uns von einem "Absoluten"  in abstracto  spricht, oder von einem absoluten Wesen, auch wenn es Gott genannt wird, so sind wir berechtigt und, wenn wir wissen wollen, worüber wir reden, verpflichtet zu fragen: absolut  worin?  Meint man z. B. absolut in Güte oder absolut in Wissen? Oder meint man etwa absolut in Unwissenheit, oder absolut in Schlechtigkeit? Denn jedes von diesen ist ebensogut ein Absolutes, wie irgendein anderes. Und wenn man von etwas  in abstracto  spricht, was das Absolute genannt wird: ist damit eines oder mehr als eins von diesen gemeint, oder sind sie gar alle zusammen gemeint? Wenn (um zu einer weniger erhabenen Höhe der Abstraktion hinabzusteigen) wir von "dem Pferd" sprechen, so wollen wir jedes Objekt darin einschließen, dem die Bezeichnung  Pferd  beigelegt werden kann. Oder um unsere Beispiele aus demselben Gedankenkreis zu nehmen, dem die Kontroverse angehört: wenn vom Wahren oder Schönen gesprochen wird, so will man in diesem Ausdruck alle und jegliche Dinge einschließen, die wahr und die schöne sind. (17) Wenn diese Regel für andere Abstraktionen gültig ist, so gilt sie auch für das Absolute. Das Wort entbehrt jedes Sinnes, wenn es nicht zu Prädikaten irgendeiner Art in Beziehung steht. Was absolut ist, muß absolut etwas sein: absolut dieses oder absolut jenes. Das Absolute also müßte eine Gattung sein, die alles umfaßt, was absolut irgendetwas ist; alles, was irgendein Prädikat in vollendeter Vollständigkeit besitzt. Wenn man uns deshalb sagt, daß es irgenein Wesen gibt, das oder der das Absolute ist - nicht etwas Absolutes, sondern das Absolute selbst -, so kann die Behauptung in keinem anderen Sinne aufgefaßt werden, als daß das angenommene Wesen in absoluter Vollständigkeit  alle  Prädikate besitzt, daß es absolut gut ist und absolut schlecht, absolut weise und absolut dumm, usw. (18) Die Vorstellung eines solchen Wesens, ich will nicht sagen eines solchen Gottes, ist schlimmer als ein  "fasciculus  von Negationen." Sie ist ein  fasciculus  von Widersprüchen und unser Autor hätte sich die Mühe sparen können zu beweisen, daß ein Ding unerkennbar ist, von dem nicht anders gesprochen werden kann als in Worten, die die Unmöglichkeit seiner Existenz einschließen. Eine solche selbstverständliche Wahrheit hervorzuheben, ist nicht überflüssig. Denn es hat Philosophen gegeben, die einsahen, daß dies die Bedeutung "des Absoluten" sein müsse und die es dennoch als eine Realität akzeptierten. "Was für eine Art absoluten Wesens ist dasjenige," fragte HEGEL (19), "welches nicht alles, was wirklich ist, selbst das Schlechte einbegriffen, in sich enthält?" Unzweifelhaft! Und es ist deshalb notwendig zuzugeben, entweder daß es kein absolutes Wesen gibt oder daß das Gesetz, daß widersprechende Behauptungen nicht beide richtig sein können, auf das Absolute keine Anwendung findet. HEGEL wählte die letztere Seite der Alternative und hat dadurch unter anderem redlich die Ehre verdient, die ihm wahrscheinlich von der Nachwelt zuerkannt werden wird, durch eine Reihe von  reductiones ad absurdissimum  [Beweis durch Sinnlosigkeit - wp] transzendentale Metaphysik logisch vernichtet zu haben.

Was ich vom Absoluten gesagt habe, ist  mutatis mutandis  [das zu Ändernde geändert - wp] auch vom Unendlichen richtig. Dies ist ebenfalls ein Ausdruck ohne Sinn, außer sofern er auf ein bestimmtes Prädikat bezogen wird; es muß  unendlich  in etwas bedeuten, z. B. in Größe, in Dauer oder in Macht. Das sind verständliche Begriffe. Aber ein abstraktes Unendliches, ein Wesen, das nicht nur unendlich in einem oder verschiedenen Attributen, sondern "das Unendliche" ansich ist, muß unendlich sein nicht nur in Größe, sondern auch in Kleinheit; seine Dauer ist nicht nur unendlich lang, sondern auch unendlich kurz; und es ist nicht nur unendlich erhaben, sondern auch unendlich verächtlich: es ist dieselbe Massen von Widersprüchen wie sein Gefährte, das Absolute. Es ist nicht nötig zu beweisen, daß keines von beiden erkennbar ist, weil, wenn das universale Gesetz des Fürwahrhaltens (law of belief) objektive Gültigkeit hat, keines von beiden existiert.

Diese nichtssagenden Abstraktionen indessen, dieses Durcheinander von Selbstwidersprüchen ist es allein, was unser Autor gegen COUSIN und andere als unerkennbar bewiesen hat. Er hat ohne Schwierigkeit gezeigt, daß wir das Unendlich oder das Absolute nicht erkennen können. Nicht nachgewiesen hat er, daß wir nicht eine konkrete Realität als unendlich oder als absolut erkennen können. Auf diese letzte These angewandt, bricht seine Schlußfolgerung zusammen.

Wir haben sein wichtigstes Argument kennen gelernt, das einzige, auf das er sich im wesentliche stützt, nämlich daß, da das Unendlich und das Absolute unerkennbar sind, sie undenkbar und zwar deshalb undenkbar sind, weil die einzigen Vorstellungen, die wir von ihnen haben, rein negativ sind. Wenn er Recht hat in seinem Vordersatz, so folgt daraus auch der Schluß. Ein Begriff, gebildet aus Negationen, ist ein Begriff von Nichts. Er ist überhaupt kein Begriff.

Wird aber ein Begriff durch die Tatsache, daß er ein Begriff von etwas Unendlichem ist, auf eine Negation reduziert? Dies ist ganz richtig in Bezug auf die sinnlose Abstraktion "das Unendliche". Diese ist allerdings rein negativ, da sie dadurch gebildet wird, daß von den unter ihr klassifizierten konkreten Begriffen alle ihre positiven Elemente ausgeschlossen werden. Man setze aber anstelle "des Unendlichen" die Idee von "etwas Unendlichem" und das Argument fällt sofort zusammen. "Etwas Unendliches" ist ein Begriff, der gleich den meisten unserer zusammengesetzten Ideen zwar ein negatives Element, aber auch positive Elemente enthält. Unendlicher Raum z. B.: ist darin nichts Positives? Der negative Teil dieses Begriffes ist die Abwesenheit der Grenzen; der positive ist die Idee des Raumes und zwar eines Raumes, der größer ist als jeder endliche Raum. Ebenso eine unendliche Dauer: sofern sie "ohne Ende" bedeutet, wird sie nur negativ erkannt oder gedacht; sofern aber die Zeit damit gemeint ist und zwar eine Zeit, die länger ist, als irgendeine gegebene Zeit, ist der Begriff positiv. Das Vorhandensein eines negativen Elements in einem Begriff macht den Begriff selbst nicht zu einem negativen oder zu einem Nicht-Seienden. Es würde die meisten Menschen überraschen, wenn ihnen gesagt würde, daß "das ewige Leben" ein rein negativer Begriff, daß Unsterblichkeit undenkbar ist. Diejenigen, die für sich darauf hoffen, haben eine sehr positive Vorstellung von dem, was sie hoffen. Freilich können wir nicht einen  adäquaten  Begriff vom Raum oder von der Dauer als unendlichen Gegenständen haben. Aber zwischen einem Begriff, der, obwohl inadäquat, wirklich und, soweit er reicht, richtig ist und der Unmöglichkeit eines Begriffs überhaupt ist ein großer Unterschied. HAMILTON gibt diesen Unterschied nicht zu. Er hält die Unterscheidung für bedeutungslos. (20) "Zu sagen, daß das Unendliche gedacht, aber nur inadäquat gedacht werden kann, ist eine  contradictio in adjecto  [Widerspruch insich - wp]; es ist dasselbe, wie zu sagen, daß das Unendliche erkannt, aber nur als endlich erkannt werden kann." Ich antworte, daß es als größer als irgendetwas Endliches erkennen nicht heißt, es als endlich erkennen. Der Begrif des Unendlichen als desjenigen, was als größer ist als irgendeine gegebene Quantität, ist ein Begriff, den wir alle besitzen, ausreichend für alle menschlichen Zwecke und ein so richtiger und guter positiver Begriff, wie wir nur irgend wünschen können. Er ist nicht adäquat; unser Begriff einer Wirklichkeit ist es niemals. Aber er ist positiv; und die Behauptung, daß nichts Positives in der Idee der Unendlichkeit ist, kann nur aufrecht erhalten werden, wenn man, wie HAMILTON es unabänderlich tut, gerade das Element herausläuft und ignoriert, das die Idee bildet. Wenn man bedenkt, zu wie vielen verborgenen, nachher durch Erfahrung verifizierten Gesetzen der physischen Natur man durch mathematische Schlußfolgen gelangt ist, die sich auf das gründeten, was, wenn die Lehre HAMILTONs richtig wäre, ein wesenloser Begriff ist, würde man genötigt sein anzunehmen, daß Beschwören eine höchst erfolgreiche Art der Naturforschung ist. Wenn wir freilich spielen, indem wir ein imaginäres Unendliches aufstellen, das unendlich ist in nichts im besonderen, so ist auch unser Begriff davon in Wahrheit nichts und ein  "fasciculus  von Negationen". Aber dies ist ein gutes Beispiel der verwirrenden Wirkungen, die entstehen, wenn man unsinnige Abstraktionen an die Stelle konkreter Wirklichkeiten setzt. Würde HAMILTON gesagt haben, daß der Begriff Gottes nur eine Negation oder ein  "fasciculus  von Negationen" ist? Sofern er aufgefaßt wird als nichts habend, was größer ist als er, wird er in der Tat negativ aufgefaßt; wird er aber aufgefaßt als das, was selbst größer ist, als alle anderen wirklichen oder imaginären Existenzen, so ist der Begriff von ihm positiv.

Setzt man  absolut  an Stelle von  unendlich,  so kommt man zu demselben Ergebnis. "Das Absolute" ist, wie bereits nachgewiesen, eine Häufung von Widersprüchen; aber "absolut" in Bezug auf ein gegebenes Attribut bedeutet den Besitz dieses Attributs in höchster Vollkommenheit und Vollendung. Ein Wesen, das z. B. absolut ist in Wissen, ist ein Wesen, das im buchstäblichen Sinne des Wortes alles weiß. Wer will behaupten, daß dieser Begriff negativ oder nichtssagend für uns sei? Wir können uns allerdings keinen adäquaten Begriff machen von einem Wesen, das alles weiß. Denn um uns einen solchen Begriff zu machen, müßten wir eine Vorstellung oder ein geistiges Bild haben von allem, was es weiß. Wir haben aber auch keine adäquaten Begriff vom begrenzten Wissen eines Menschen. Ich habe keinen adäquaten Begriff vom Wissen eines Schuhmachers, weil ich nicht weiß, wie man Schuhe macht; aber mein Begriff vom Schumacher und seinem Wissen ist ein realer Begriff; er ist nicht ein  "fasciculus  von Negationen". Wenn ich von einem absoluten Wesen spreche (in dem Sinne, wie wir jetzt den Ausdruck anwenden), gebrauche ich Worte ohne Sinn; wenn ich aber von einem Wesen spreche, das absolut in Weisheit und Güte ist, d. h. das alles weiß und zu allen Zeiten will, was für jedes empfindende Geschöpft das beste ist, so verstehe ich vollkommen, was ich meine. Und so sehr auch die Wirklichkeit meine Begriffe übersteigen mag, die Unzulänglichkeit kann nur in meiner Unkenntnis der Einzelheiten bestehen, aus denen die Wirklichkeit zusammengesetzt ist; ebenso wie ich vom Chinesischen Reich einen positiven Begriff, vielleicht sogar einen richtigen Begriff haben kann, obwohl mir weder das Aussehen der Orte, noch die Physiognomie irgendeines der dort lebenden menschlichen Wesen bekannt ist.

Es ergibt sich also, daß das wichtigste Argument HAMILTONs, um die Undenkbarkeit und folglich die Unerkennbarkeit des Unbedingten, nämlich daß unser Begriff von ihm rein negativ ist, zu beweisen, nur für ein abstraktes Unbedingtes, das unmöglich existieren kann, standhält; nicht aber für ein konkretes Wesen, das unendlich und absolut in bestimmten Attributen angenommen wird. (21) Wir wollen nun sehen, ob seine anderen Beweisgründe größeren Wert besitzen.

Der erste von ihnen ist, daß alle Erkenntnis beschränkt ist auf eine Vielheit verschiedener Dinge, daß ein Ding nur von uns erkannt wird, indem es als verschieden von etwas anderem erkannt wird, verschieden von uns selbst, die wir es erkennen und auch von anderen erkannten Dingen, die nicht jenes Ding sind. Hier haben wir endlich etwas, worauf sich der Geist als auf eine grundlegende Wahrheit stützen kann. Es ist eine der tiefen psychologischen Beobachtungen, welche die Welt HOBBES verdankt; sie wird vollkommen anerkannt sowohl von COUSIN als auch von HAMILTON und ist in neuerer Zeit in bewunderungswürdiger Weise von BAIN und HERBERT SPENCER erläutert und angewandt worden. Daß, ein Ding erkenen, es von anderen Dingen unterscheiden heißt, ist, wie ich früher bemerkte, eine der Wahrheiten, zu deren Bezeichnung der sehr zweideutige Ausdruck "Relativität der menschlichen Erkenntnis" gebraucht worden ist. Diese Lehre bestreite ich nicht. HAMILTON aber folgert weiter, daß das Absolute, da es "absolut Eins" ist, nicht unter den Bedingungen der Vielheit und Verschiedenheit erkannt werden kann und, da dies die anerkannten Bedingungen aller unserer Erkenntnis sind, deshalb überhaupt nicht erkannt werden kann. Hier liegt, wie mir scheint, eine merkwürdige Verwirrung der Ideen vor. HAMILTON scheint der Ansicht zu sein, daß das Absolute, da es absolut Eins ist, nicht als Vielheit erkannt werden könne. Aber die Behauptung, daß Vielheit eine Bedingung von Erkenntnis ist, bedeutet nicht, daß das erkannte Ding selbst als eine Vielheit erkannt werden muß. Der Sinn ist, daß ein Ding nur dadurch erkannt wird, daß es als unterschieden von etwas anderem erkannt wird. Die erforderliche Mehrheit liegt nich im Ding selbst, sondern wird aus ihm selbst und anderen Dingen gebildet. Selbst wenn wir ferner zugeben, daß ein Ding, wenn es nicht als Vielheit erkannt wird, überhaupt nicht erkannt werden kann: folgt daraus, daß es als Vielheit nicht erkannt werden kann, weil es zugleich  Eins  ist? Sind denn Eins und Vieles unvereinbare Dinge anstatt verschiedene Auffassungsweisen desselben Dinges? HAMILTON versteht unter absoluter Einheit sicherlich nicht ein unteilbares Eins, das Minimum anstatt des Maximums des Seienden. Er muß, wie COUSIN sicherlich meint, ein absolutes Ganzes darunter verstehen, das Ganze, das alle Dinge in sich begreift. Wenn sich das so verhält: wird dann nicht von diesem Ganzen die Voraussetzung von Teilen nicht allein zugelassen, sondern auch verlangt? Wird nicht eine Einheit, die alles umfaßt,  ex vi termini  [Macht setzt Grenzen - wp] als eine Vielheit erkannt und zwar als die vielfachste aller Vielheiten, vielfach in nicht mehr zu übertreffendem Grad? Wenn ein Sinn in den Worten ist, muß dann die absolute Einheit (Unität) nicht absolute Totalität sein, die der höchste Grad der Mehrheit ist? Es gibt kein Entrinnen aus der Alternative: das Absolute bedeutet entweder ein einziges Atom, eine einzige Monade oder es bedeutet Vielheit im allerhöchsten Grad.

Obwohl es kaum notwendig ist, wollen wir doch dies Argument an der Probe, die wir auf eines der vorhergehenden angewandt haben, prüfen, indem wir für das abstrakte Absolute das konkrete, Gott, setzen. Würde HAMILTON gesagt haben, daß Gott nicht erkennbar ist unter der Bedingung der Vielheit, nicht erkannt wird als unterschieden von uns und von den Gegenständen in der Natur? Man benenne irgendein positives Ding mit einem Namen, der nur seine negativen Prädikate ausdrückt und man wird unter diesem Namen leicht beweisen können, daß es unerkennbar und ein Nicht-seiendes ist. Man gebe ihm seinen vollen Namen zurück (wenn MANSELs Ehrfurchtsgefühl es gestattet) und seine positiven Attribute werden wieder zum Vorschein kommen; man wird mit Überraschung finden, daß das, was eine Realität  ist,  als Eins erkannt werden kann. (22)

Das nächste Argument richtet sich hauptsächlich gegen die Lehre COUSINs, daß wir das Absolute als "absolute Ursache" erkennen. Diese Lehre, sagt HAMILTON, vernichtet sich selbst. Die Idee einer Ursache ist mit dem Absoluten unvereinbar; denn eine Ursache ist relativ und schließt eine Wirkung in sich. Dieses Absolute ist deshalb überhaupt kein Absolutes. Dies würde unwiderlegbar sein, wenn wir genötigt wären, unter dem Absoluten etwas zu verstehen, was nicht nur "außerhalb aller Relation", sondern unfähig ist, überhaupt je in Relation zu treten. Aber kann dies unter dem Absoluten irgendjemand meinen, der es mit dem Schöpfer identifiziert? Zugegeben, daß das Absolute eine Existenz ansich in sich schließt und in keiner Relation zu irgendetwas steht, so muß das einzige Absolute, mit dem wir zu tun haben oder an das jemand glaubt, nicht allein fähig zu sein, zu Dingen in Relation zu treten, sondern es muß fähig sein, in jede mögliche Relation zu jedem zu treten mit Ausnahme derjenigen der Abhängigkeit. Kann es nicht wenigstens in einigen dieser Relationen und besonders in der Relation einer Ursache erkannt werden? Und wenn es eine "vollendete, vollkommene, vollständige" Ursache ist, d. h. das höchste einer Ursache, das sie irgend sein könnte - die Ursache von allem und jedem, außer von sich selbst -, dann ist es, wenn als solche erkannt, als eine absolute Ursache erkannt. Hat HAMILTON nachgewiesen, daß eine so verstandene absolute Ursache undenkbar oder unerkennbar ist? Nein; alles, was er nachweist, ist, daß sie, obwohl fähig erkannt zu werden, relativ zu etwas anderem, nämlich zu ihren Wirkungen erkannt wird, und daß es eine solche Erkenntnis Gottes nicht eine Erkenntnis Gottes selbst, sondern Gottes in Beziehung zu seinen Werken ist. Die Wahrheit ist: COUSINs Lehre ist ein zu echtes Erzeugnis der ihnen beiden gemeinsamen Metahpysik, als daß sie von HAMILTON widerlegt werden könnte. Denn diese Erkenntnis Gottes in seinen Wirkungen und durch sie heißt nach COUSIN, ihn erkennen wie er ansich ist; weil die schöpferische Kraft, durch die er verursacht, in ihm selbst, untrennbar von ihm ist und zu seiner Wesenheit gehört. Soweit ich urteilen kann, berechtigen die den beiden Philosophen gemeinsamen Prinzipien COUSIN ebenso dies zu sagen, wie HAMILTON zu behaupten, daß Ausdehnung und Gestalt "wesentliche Attribute" der Materie sind und als solche durch Intuition wahrgenommen werden.

Ich habe nun mit  einer  Ausnahme alle Argumente (soweit sie nicht bloß Beweise  ad hominem  sind) geprüft, die von HAMILTON beigebracht worden sind, um gegen COUSIN die Unerkennbarkeit des Unbedingten zu beweisen. Was ich mir noch vorbehalten habe, ist das nachdrückliche und orakelhafte Argument, daß das Unbedingte undenkbar sein muß, weil "Denken Bedingen" ist. Ich habe dies als letztes aufgehoben, weil es uns am längsten beschäftigen wird. Denn wir müssen damit anfangen, einen Sinn der Behauptung ausfindig zu machen, was nicht in aller Kürze geschehen kann; so wenig Hilfe leistet uns der Autor.

Nach dem besten Begriff, den ich mir vom Sinn der  Bedingung  bilden kann, bedeutet es als Terminus der Philosophie sowohl als auch des täglichen Lebens das, wovon etwas anderes abhängig ist; oder (bestimmter) daß, wenn es gegeben ist, etwas anderes existiert oder stattfindet. Ich verspreche etwas zu tun  unter der Bedingung,  daß du etwas anderes tust: d. h. wenn du dies tust,  tue  ich das; wenn nicht, werde ich tun, was mir gefällt. Ein bedingter Satz ist in der Logik eine Behauptung in folgender Form: "Wenn so und so, dann so und so". Die Bedingungen eines Phänomens sind die verschiedenen voraufgehenden Umstände, auf die, wenn sie gleichzeitig vorhanden sind, das Eintreten des Phänomens folgt. Da alle diese voraufgehenden Umstände koexistieren müssen, so ist jeder von ihnen in Beziehung zu den anderen eine  conditio sine qua non  [Grundvoraussetzung - wp]; d. h. ohne diese wird aus den übrig bleibenden Bedingungen das Phänomen nicht folgen, wenn es auch vielleicht aus einer Reihe von Bedingungen gänzlich verschiedener Art folgen kann.

Wenn dies der Sinn der  Bedingung  ist, so müßte  unbedingt  das bedeuten, was in seinem Dasein oder seinen Qualitäten nicht von einem Vorgehenden abhängig ist; mit anderen Worten, es müßte synonym sein mit  unverursacht  (uncaused). Die kann indessen nicht die von HAMILTON gewollte Bedeutung sein; denn in einer bereits angeführten Stelle seines Beweises gegen COUSIN spricht er von der Wirkung als von einer Bedingung ihrer Ursache. Die Bedingung, wie er sie versteht, braucht deshalb für das, was sie bedingt, nicht eine vorhergehende, sondern kann auch eine ihm nachfolgende Tatsache sein.

In der Tat zeigt es sich, daß er in seinen Schriften als Bedingung eines Dinges allgemein das betrachtet, was in diesem notwendig enthalten ist. Er gebraucht das Wort  bedingt  fast gleichsinnig mit  relativ.  Denn Relative sind immer zu zweien: der Begriff  Relation  enthält implizit das Vorhandensein von zwei Dingen, eins, von dem die Relation behauptet wird und ein anderes. Eltern schließen Kind ein, Größer Kleiner, Gleich ein anderes Gleiches und  vice versa  [umgekehrt - wp]. Relation ist eine abstrakte Bezeichnung für alle konkreten Tatsachen, die mehr als ein Objekt betreffen. Überall deshalb, wo eine Relation behauptet oder wo von etwas unter einer relativen Benennung gesprochen wird, kann das Vorhandensein eines Korrelats eine Bedingung sowohl für die Relation, als auch für die Richtigkeit der Behauptung genannt werden. Wenn also HAMILTON eine Wirkung eine Bedingung ihrer Ursache nennt, so spricht er verständlich und der allgemein angenommene Gebrauch des Ausdrucks gewährt ihm für diese Redeweise auch einen gewissen Grad von Rechtfertigung.

Wenn aber mit dem Bedingten das Relative gemeint ist, so muß das Unbedingte das Gegenteil bedeuten; und in diesem Sinne würden unter dem Unbedingten alle Noumena zu verstehen sein, Dinge ansich, betrachtet ohne Beziehung auf die Wirkungen, die sie auf uns hervorrufen und die ihre phänomenalen Agentien oder Eigenschaften genannt werden. HAMILTON scheint den Ausdruck sehr häufig in diesem Sinne zu gebrauchen. Mit der Verneinung jeglicher Erkenntnis des Unbedingten, scheint er oft jede andere als die phänomenale Erkenntnis der Materie und des Geistes zu verneinen. Indessen hält er sich an diese Bedeutung nicht nur nicht konsequent, sondern sie steht in offenem Widerspruch zu der einzigen Annäherung an eine Definition oder Erklärung, die er je für den Ausdruck gegeben hat. Wir haben gesehen, daß er das Unbedingte als die Gattung erklärt, deren zwei Arten das Unendliche und das Absolute sind. Aber Dinge ansich sind nicht alle unendlich und absolut. Materie und Geist sind als solche weder dase eine, noch das andere. Es ist offenbar, daß HAMILTON nie bestimmt hat, welche Ausdehnung er dem Ausdruck  unbedingt  zu geben beabsichtigte. Einmal gibt er ihm einen, ein andermal einen anderen Grad des Umfangs. Zwischen den Bedeutungen, in denen er den Ausdruck gebraucht, besteht unzweifelhaft ein Verbindungsglied; das aber macht die Sache noch schlimmer, als wenn es keines gäbe. Der Ausdruck hat jene gefährlichste Art von Zweideutigkeit, in der die Bedeutungen, obwohl wesentlich verschieden, so nahe verwandt sind, daß der Denker sie unbewußt miteinander verwechselt. (23)

Das Wahrscheinliche ist, daß unser Autor, wenn er behauptet, "Denken sei Bedingen", das Wort  Bedingen  in keiner dieser Bedeutungen gebraucht, sondern in einer dritten, die ihm ebenso geläufig ist und beständig in solchen Wendungen wiederkehrt, wie "die Bedingungen unseres Vermögens zu denken", "Bedingungen des Denkens" und ähnliche. Er versteht unter Bedingungen etwas ähnliches wie KANTs Formen der Sinnlichkeit und Kategorien des Verstandes; eine Bedeutung, die durch eine andere seiner Wendungen "Notwendige Denkgesetze" noch deutlicher ausgedrückt wird. Er wendet auf den Geist die scholastische Maxime an: "Quidquid recipitur, recipitu ad modum recipientis" [Was auch immer aufgenommen wird, wird durch die Art des Wahrnehmenden bestimmt. - wp] Er meint: daß unsere Anschauungs- und Begriffsfähigkeiten (perceptive and conceptive faculties) ihre eigenen Gesetze haben, die nicht allein bestimmen, was wir fähig sind, uns anschaulich vorzustellen und zu denken, sondern in unsere sinnlichen Vorstellungen und Begriffe Elemente einzuführen, die nicht vom angeschauten oder gedachten Ding, sondern vom Geist selbst herstammen; daß wir deshalb nicht sofort schließen können, daß alles, was wir in unserer Anschauung oder Auffassung eines Objektes finden, notwendigerweise sein Urbild im Objekt selbst hat und daß wir in jedem Fall diese Frage durch philosophische Untersuchung entscheiden müssen. Nach dieser Lehre, hinsichtlich deren unserem Autor nicht ein Vorwurf gemacht werden darf, daß er sie behauptet, wohl aber, daß er sie nicht weit genug geführt hat, würden die "Bedingungen des Denkens" die Attribute bedeuten, mit denen, wie angenommen wird, der Geist nicht umhin kann, jedes Objekt zu bekleiden -, die Elemente, die, da sie aus seiner eigenen Struktur herstammen, sich jeder Vorstellung, die er zu bilden imstande ist, mitteilen  müssen,  auch wenn es nicht im Objekt geben sollte, was das Urbild der Vorstellung ist; obwohl unser Autor (darin abweichend von KANT) in den meisten Fällen glaubt, daß diese Übereinstimmung vorhanden ist.

Wir haben hier eine verständliche Bedeutung der Lehre, daß Denken Bedingen ist; und da MANSEL in seiner Erwiderung diese als die richtige Meinung HAMILTONs verbürgt, will ich sie als solche akzeptieren. Wenn also, was ich hier nicht erörtere, die philosophische Lehre richtig ist, die teilweise von HAMILTON und in durchgreifender Weise von KANT behauptet wurde, nämlich daß im Akt des Denkens der Geist durch eine apriorische Notwendigkeit sein Objekt mit Attributen bekleidet, die nicht in diesem selbst liegen, sondern durch die eigenen Gesetze des Geistes geschaffen werden; und wenn wir zustimmen, diese Denknotwendigkeiten Bedingungen des Denkens zu nennen: dann ist Denken offenbar Bedingen und das Unbedingte denken würde heißen, das Undenkbare denken. Das Unbedingte ist aber, in dieser Anwendung des Wortes, nicht identisch mit dem Unendlichen plus dem Absoluten. Das Unendliche und das Absoltue sind in diesem Sinne nicht notwendig unbedingt. Die Worte  unendlich  und  absolut  haben, wie ich bereits gesagt habe, nur SInn, wenn sie eine konkrete oder vorausgesetzte Realität ausdrücken, die unendlich oder absolut Attribute irgendeiner Art besitzt, Attribute, die wir als endlich und begrenzt zu denken fähig sind. Indem wir diese Attribute denken, sind wir zwar nicht imstande, uns unserer geistigen Bedingungen zu entäußern; aber wir können die Attribute als die Bedingungen überschreitend denken. "Bedingen" und "unter Bedingungen denken" sind unbestimmte Ausdrücke. Ein unendliches Wesen kann gedacht werden und wird gedacht mit  Bezug  auf die Bedingungen, aber nicht als durch sie begrenzt. Die uns vertrautesten Beispiele der angeführten notwendigen Denkbedingungen sind Raum und Zeit; wir können, wie behauptet wird, nicht irgendetwas denken außer in der Zeit und im Raum. Nun wird ein unendliches Wesen nicht als in Zeit und Raum gedacht, wenn darunter zu verstehen ist, daß es auch einen Teil der Zeit und einen Teil des Raumes einnimmt. Aber (wenn wir für Zeit das Wort Dauer setzen, um uns von der theologischen Antithese Zeit und Ewigkeit loszumachen) wir denken Gott in der Tat in  Bezug  auf Dauer und Ausdehnung, nämlich als das Ganze von beiden einnehmend; und indem diese als unendlich gedacht werden, heißt, ein Wesen als das Ganze von Dauer und Ausdehung einnehmend denken, dieses Wesen als unendlich denken. Wenn Gott als ewig und allgegenwärtig denken, ihn in Raum und Zeit denken ist, so denken wir Gott in der Tat in Raum und Zeit; wenn aber ihn als ewig und allgegenwärtig denken,  nicht  ist ihn in Raum und Zeit denken, so sind wir fähig, etwas außerhalb von Raum und Zeit zu denken. MANSEL mag zwischen den beiden Meinungen seine Wahl treffen. Ich habe bereits nachgewiesen, daß die Ideen des unendlichen Raums und der unendlichen Zeit reale und positive Begriffe sind: Diejenige eines Wesens, das in allem Raum und in aller Zeit ist, ist dies nicht weniger. Etwas denken heißt natürlich, es durch Attribute bedingen, die selbst denkbar sind; aber nicht notwendigerweise, es durch eine begrenzte Menge dieser Attribue bedingen. Im Gegenteil, wir können es denken in einem Grad der Attribute, der höher ist als alle begrenzten Grade und das heißt, es als unendlich denken. (24)

Wenn wir als Ergebnis dieser langen Erörterungen uns nun fragen, was HAMILTON eigentlich mit diesem berühmten Essay vollbracht hat, so muß unsere Antwort lauten: daß er, gründlicher vielleicht als er beabsichtigte, die Nichtigkeit aller Spekulation über diese bedeutungslosen Abstraktionen "das Unendliche" und "das Absolute" festgestellt hat; Begriffe, die sich selbst widersprechen und für die keine entsprechenden Realitäten wider existieren noch existieren können. (25) Was die Unerkennbarkeit, nicht "des Unendlichen" oder "des Absoluten", sondern konkreter Personen oder Dinge betrifft, die gewisse spezifische Attribute unendlich oder absolut besitzen, so kann ich nicht glauben, daß unser Autor irgendetwas bewiesen hat. Ich halte es auch nicht für möglich, sie auf irgendeinem anderen Weg als unerkennbar zu beweisen, als daß sie nur in ihren Relationen zu uns erkannt werden können und nicht als Noumena oder Dinge ansich. Dies gilt indessen vom Endlichen ebenso wie vom Unendlichen, vom Unvollkommenen ebenso wie vom Vollkommenen oder Absoluten. Unser Autor hat lediglich die Unerkennbarkeit eines Wesens bewiesen, das  nichts als unendlich,  oder  nichts  als absolut ist; und da niemand annimmt, daß es ein solches Wesen gibt, sondern nur Wesen, die etwas bis zum Unendlichen oder Absoluten ausgedehntes Positives sind, so kann die Feststellung dieses Punktes nicht als eine große Tat betrachtet werden. Er hat COUSIN nicht einmal widerlegt, dessen Lehre von der intuitiven Erkenntnis der Gottheit, wie jede andere auf Intuition bezügliche Lehre, nur dadurch widerlegt werden kann, daß sie als eine irrtümliche Auslegung der Tatsachen nachgewiesen wird. Und dies wiederum kann, wie wir im folgenden sehen werden, nur dadurch geschehen, daß gezeigt wird, auf welche andere Weise die scheinbaren Vorstellungen entstanden sein können, die fälschlich intuitive gehalten werden.
LITERATUR - John Stuart Mill, Eine Prüfung der Philosophie Sir William Hamiltons, Halle/Saale 1908
    Anmerkungen
    1) BAMPTON Lectures (The Limits of Religious Thought). 4. Ausgabe, Seite 42
    2) MANSEL (Seite 90 - 98) bestreitet die Richtigkeit der in diesem Paragraphen gegebenen Darstellungen und scheint wenigstens zu behaupten, daß die Frage zwischen COUSIN und HAMILTON sich nicht auf die Möglichkeit bezog,  das  unendlich Wesen zu erkennen, sondern auf einen "Pseudobegriff des Unendlich", den HAMILTON nicht für ein eigentliches Prädikat Gottes hielt, sondern für eine Vorstellung eines Nicht-Seienden. Und MANSEL erklärt (Seite 92), daß den Namen Gottes an die Stelle des Unendlichen und Absoluten zu setzen eine vollständige Umdrehung des Arguments HAMILTONs bedeute. Wir haben hier eine direkte Streitfrage, über die jeder, der sich die Mühe nehmen will HAMILTONs Essay zu lesen, Richter sein kann. Ich halte aufrecht, daß das, was COUSIN bejaht und HAMILTON verneint, die Erkennbarkeit ist nicht eines Unendlichen und Absoluten, was Gott nicht ist, sondern eines Unendlichen und Absoluten, was Gott ist. Ich könnte mich fast auf jede Seite des Essays beziehen, will aber nur die Anwendung anführen, die (Discussions, Seite 15 Anm.) HAMILTON selbst von seiner eigenen Lehre macht. "Richtig sind deshalb die Erklärungen einer frommen Philosophie: "ein verstandener Gott würde überhaupt kein Gott sein." "Zu denken, daß Gott ist, wie wir denken können, daß er ist, heißt Blasphemie." "Die Gottheit ist in einem gewissen Sinne geoffenbart, in einem gewissen Sinne verborgen: sie ist gleichzeitig erkannt und unerkannt; aber die letzte und höchste Weihe aller wahren Religion muß ein Alton sein  Agnosto theo  - dem unerkannten und unerkennbaren Gott." Wenn es das ist, was der Autor des Essays als praktisches Ergebnis bietet, so ist es zu viel zu sagen, daß der Essay sich nicht mit Gott befasse, sondern mit einem "Pseudo-Unendlichen" und daß, wenn wir darin eine Behauptung in Bezug auf das Unendliche finden, wir nicht berechtigt seien, den Autor für die Anwendbarkeit der Behauptung auf Gott verantwortlich zu halten. Man wird uns nächstens auch sagen, MANSEL selbst behandle in seinen BAMPTON Lectures nicht die Frage unserer Erkenntnis Gottes. Es ist sehr richtig, daß das einzige Unendliche, von dem HAMILTON oder MANSEL etwas beweist, ein Pseudo-Unendliches ist. Aber sie sind sich dessen nicht im mindesten bewußt; sie bilden sich ein, daß dieses Pseudo-Unendliche das wirkliche Unendliche ist und daß, wenn sie beweisen, daß dies für uns unerkennbar ist, sie das gleiche auch von Gott beweisen. - - Der Leser, der über diesen Punkt noch weitere Aufklärung wünscht, mag das 6. Kapitel von M. P. W. BOLTONs "Inquisition Philosophica" zu Rate ziehen. Dieser scharfe Denker weist verschiedene Widersprüche und andere logische Irrtümer in MANSELs Werk nach, mit denen ich mich aber hier nicht befasse, weil der Gegenstand meiner Antwort nicht ist, ihn anzuschuldigen, sondern meine ursprünglichen Behauptungen gegen sein Verneinen aufrecht zu erhalten. - - MANSEL führt in seiner Erwiderung einige Stellen aus seinen BAMPTON Lectures an, in denen er ausspricht und andere, in denen einbegriffen ist, daß "unsere menschliche Vorstellung vom Unendlich nicht die richtige ist," und daß "das Unendlich der Philosophie nicht das wahre Unendliche ist;" und hält es für sehr unbillig, daß ich, mit diesen Stellen vor Augen, ihn beschuldige, ein Pseudo-Unendliches mi dem wirklichen Unendlichen zu verwechseln. Der Irrtum aber, von dem er sich reinigt, ist nicht der, den ich ihm zur Last gelegt habe. Ich behauptete, daß die Abstraktion "das Unendliche", in welchem Sinne man es auch verstehen mag, als verschieden von einem bestimmten Attribut, das es in unendlichem Grade besitzt, nicht existiert und ein Pseudo-Unendliches ist. MANSEL dagegen behauptete überall und behauptete in eben den Stellen, die er anführt, daß "das Unendliche" ein wirkliches Dasein hat und Gott ist: obwohl wenn wir versuchen zu begreifen, was es ist, wir nur zu einer Masse von Widersprüchen gelangen, was ein Pseudo-Unendliches ist. MANSEL nahm nicht an, daß sein Pseudo-Unendliches ist. MANSEL nahm nicht an, daß sein Pseudo-Unendliches das wahre Unendliche sei; aber meine Behauptung, die unwiderlegt dasteht, ist, daß sein "wahres Unendliches" ein Pseudo-Unendliches ist und daß er mit dem Beweis seiner Unerkennbarkeit durch uns irrtümlich meinte, diese auch von Gott bewiesen zu haben.
    3) WILLIAM HAMILTON, Discussions on Philosophy Seite 9
    4) In der ersten Ausgabe dieses Werkes war behauptet worden, daß, obwohl es zulässig ist, die Macht als unendlich zu betrachten, das Wissen als unendlich betrachtet werden könne; weil "der höchste Grad von Wissen, von dem in irgendeinem Sinn gesprochen werden kann, nur bis zur Erkenntnis all dessen reicht, was wir zu erkennen imstande sind." MANSEL aber und der "Inquirer", (Autor von "The Battle of the two Philosophies") haben richtig bemerkt, daß bei Annahme eines unendlichen Wesens "alles was zu erkennen ist" alles in sich schließt, was ein Wesen von unendlicher Macht denken und erschaffen kann; daß folglich, wenn die Macht unendlich ist, das Wissen, wenn als "vollkommen" angenommen, ebenfalls unendlich sein muß. In Betreff der moralischen Attribute war in der ersten Ausgabe gesagt worden,  absolut  sei das geeignete Wort für sie und nicht  unendlich,  weil diese Attribute "nicht mehr als vollkommen sein können. Es gibt nicht unendliche Grade des Rechten. Der Wille ist entweder ganz recht oder in verschiedenen Graden unrecht." Darin habe ich nicht genau unterschieden zwischen moralischer Richtigkeit oder Gerechtigkeit, wie sie von Handlungen oder Geisteszuständen ausgesagt und denselben Attributen, sofern sie als Attribute einer Person betrachtet werden. Die Befolgung der Regeln des Rechts hat eine positive Grenze, die nur erreicht, nicht aber überschritten werden kann. Menschen indessen, auch wenn sie alle die Regeln genau beobachten, können verschieden in der Stärke sein, mit der sie an ihnen festhalten: Einflüsse (z. B. Versuchungen) könnten den einen abwegig machen, die auf den anderen ohne Wirkung sein würden. So gibt es unzählige Abstufungen des Attributs, als in einer Person befindlich betrachtet, die mit völliger Beobachtung der Rechtsregel vereinbar sind. Andererseits aber besteht eine äußerste Grenze für diese Abstufungen: die Vorstellung einer Person, die durch keine Einflüsse oder Ursachen, weder innerhalb noch außerhalb ihrer selbst, auch nur im allergeringsten Grade vom Gesetz des Rechten abgezogen werden kann. Dies ist nach meiner Auffassung ein Begriff absoluter, nicht unendlicher Rechtschaffenheit. Die Lehre der ersten Ausgabe, daß ein unendliches Wesen Attribute haben kann, die absolut, aber nicht unendlich sind, scheint mir deshalb auch jetzt noch haltbar. Da es aber für meine Beweisführung unwesentlich ist und nur die am nächsten zur Hand liegende Jllustration des Sinnes der Ausdrücke war, ziehe ich es von der Erörterung zurück.
    5) WILLIAM HAMILTON, Discussions on Philosophy, Seite 13
    6) WILLIAM HAMILTON, Discussions on Philosophy, Seite 14, Anm.
    7) Und folglich habe ich HAMILTON irrtümlich beschuldigt, in einem seiner Beweise gegen COUSIN von seiner eigenen Deutung des Ausdrucks abgewichen zu sein. Ich habeb aus dem Text alles entfernt, was von diesem Irrtum abhing, die einzige ernste falsche Darstellung HAMILTONs, die gegen mich festgestellt worden ist.
    8) Aber die Gleichstellung mit  to oulon  und  to teleion  wirft uns ein neues Hindernis entgegen. Denn  to oulon  bedeutete bei allen griechischen Denkern entweder das vollkommene Aggregat all dessen, was existiert oder ein abstraktes Seiendes, das sie sich als Prinzip der Ganzheit dachten, kraft dessen und daran teilnehmend dieses universale Aggregat und alle anderen Ganz Ganze  sind.  Jedes von diesen würde noch eine weitere Bedeutung für das Wort  absolut  geben, die verschieden wäre von allem, was bisher erwähnt worden ist.
    9) Ich bin indessen im Zweifel ob hinsichtlich der Versicherung HAMILTONs, er für seine Person gebrauche den Ausdruck ausschließlich in dem Sinne. In der ganzen Diskussion über die Relativität unserer Erkenntnis ist bei HAMILTON,  absolut  einfach der Gegensatz von  relativ,  ohne eine Folgerung von "vollendet, vollkommen, vollständig" in sich zu schließen. Überdies verfällt HAMILTON in eben diesem Essay, in dem er gegen COUSIN streitet, der  absolut  in einem mit  unendlich  verträglichen Sinn gebraucht, beständig in den Sinn, den COUSIN ihm gibt.
    10) WILLIAM HAMILTON, Discussions on Philosophy, Seite 13
    11) Discussions, Seite 17
    12) Discussions, Seite 13
    13) Discussions, Seite 25
    14) Discussions, Seite 32, 43
    15) Discussions, Seite 34, 35. In der ersten Ausgabe wurden von der Beweisführung unseres Autors drei Punkte, anstatt nur zweier erörtert. Ich bemerke jetzt aber, daß der noch bleibende Beweisgrund lediglich ein Argument  ad hominem  ist und auf COUSINs Verwechslung des Absoluten mit dem Unendlichen Bezug hat.
    16) Es folgt eine Stelle, die ich, da sie sich nur gegen eine besondere Lehre COUSINs wendet - (daß Gott durch die Notwendigkeit seiner eigenen Natur bestimmt wird, zu erschaffen; daß eine absolute schöpferische Kraft nicht anders kann, als in schöpferische Tätigkeit zu treten -, unerwähnt gelassen haben würde, wäre sie nicht bemerkenswert als eine Probe von der Art der Beweise, die HAMILTON zuweilen anwenden kann. Auf COUSINs Hypothese bemerkt unser Autor (Seite 36): "Eine von zwei Alternativen muß zugegeben werden. Wenn Gott durch Notwendigkeit bestimmt wird, von absoluter Wesenheit zu relativer Offenbarung überzugehen, so wird er bestimmt, entweder vom Besseren zum Schlechteren oder vom Schlechteren zum Besseren überzugehen. Eine dritte Möglichkeit, daß beide Zustände gleich seien, brauchen wir als einen Widerspruch in sich selbst und weil ihr auch unser Autor widerspricht, nicht in Betracht zu ziehen. Die  erste  Annahme muß zurückgewiesen werden. Die Notwendigkeit bestimmt Gott in diesem Fall, vom Besseren zum Schlechteren überzugehen, d. h. sie wirkt zu seiner teilweisen Vernichtung. Die Kraft, die ihn hierzu zwingt, muß außer ihm und ihm feindlich sein; denn nichts wirkt freiwillig zu seiner eigenen Verschlechterung. Und sie ist, weil dem angeblichen Gott überlegen, entweder, wenn sie eine einsichtsvolle, freie Ursache ist, selbst die wirkliche Gottheit oder, wenn sie eine blinde Macht, ein Fatum ist, eine Negation jeglicher Gottheit überhaupt. Die  zweite  Annahme, daß Gott bei seinem Übergang in das Universum aus einem Zustand verhältnismäßiger Unvollkommenheit in einen Zustand verhältnismäßiger Vollkommenheit übergehe, ist ebenso unzulässig. Die göttliche Natur ist identisch mit der  vollkommensten Natur  und auch identisch mit der ersten Ursache. Wenn die erste Ursache nicht mit der vollkommensten Natur identisch ist, so gibt es keinen Gott, weil die beiden wesentlichen Bedingungen seines Daseins nicht vereinigt sind. Nach der vorliegenden Annahme nun ist die vollkommenste Natur die abgeleitete: ja das Universum, die Schöpfung, das  ginomenon  [Werdende - wp] ist in Beziehung auf seine Ursache das Aktuale, das ontos on [Seiende - wp]. Es würde auch das Göttliche sein, wenn nicht die Gottheit die Vorstellung der Ursache voraussetzte, während das Universum  ex hypothesei  [hypothetisch - wp] nur eine Wirkung ist." - Diese sonderbare Spitzfindigkeit, daß die Schöpfung ein Übergang entweder vom Besseren zum Schlechteren oder vom Schlechteren zum Besseren sein muß (was, wenn es richtig wäre, beweisen würde, daß Gott nichts geschaffen haben kann, es sei denn seit aller Ewigkeit), kann mit nichts verglichen werden als mit dem eleatischen Argument, daß Bewegung unmöglich ist, weil, wenn sich ein Körper bewegt, er sich entweder bewegen muß, wo er ist oder wo er nicht ist, ein Argument nebenbei, von dem HAMILTON oft mit großer Hochachtung spricht und von dem er hier eine sehr erfolgreiche Nachahmung vorgeführt hat. Wenn es der Mühe wert wäre, einen ernsten Beweis auf ein solches Kuriosmu der Dialektik zu verwenden, so könnte man sagen, es nehme an, daß alles, was jetzt schlechter ist, immer schlechter gewesen sein muß und daß alles, was jetzt besser ist, immer gewesen sein mß. Denn bei der entgegengesetzten Annahme würde die vollkommene Weisheit angefangen haben, den neuen Zustand genau in dem Augenblick zu wollen, wo er anfing, besser zu sein als der alte. Wir können dem hinzufügen, daß der Beweis unseres Autors, auch wenn er noch so unwiderlegbar wäre, ihm keineswegs gegen COUSIN nützt; denn (wie er selbst in einem Satz vorher sagt) nach COUSINs Theorie kann das Universum nie einen Anfang gehabt haben und hat sich Gott deshalb nie in der angenommenen Verlegenheit befunden. - [Darauf bemerkt MANSEL (Seite 107): "HAMILTON spricht nicht von Zuständen von Dingen, sondern von Zuständen der göttlichen Natur als einer schöpferischen oder nicht-schöpferischen; und MILLs Beweis, der HAMILTON widerlegen soll, müßte eine Zeit voraussetzen, wo die neue Natur Gottes anfängt, besser zu sein als die alte." Dies ist keine glückliche Probe von MANSELs Kraft zu widerlegen. Wenn Gott das Universum in eben dem Moment schuf, wo es am weisesten und besten war es zu tun - (und das muß der Fall gewesen sein, wenn das Universum durch ein vollkommen weises und gutes Wesen geschaffen wurde) -: wer außer MANSEL oder nach ihm HAMILTON wollte behaupten, daß Gott, indem er dies tat, eine neue Natur erwarb oder aus einem Zustand seiner eigenen Natur in einen anderen überging? Verblieb er nicht einfach in einem Zustand vollkommenen Weisheit und Güte, in dem er vorher war? - - MANSEL stellt die wunderliche Behauptung auf, dieses Argument HAMILTONs sei von PLATON entnommen. Wenig Gemeinsames besteht zwischen diesem und der Stelle in der Republik, wo SOKRATES, um die fabelhafte Metamorphose der Götter in die Gestalten von Menschen, Tieren oder unbeseelten Dingen zu widerlegen, schließt, daß sich kein Wesen freiwillig vom besseren zum schlechteren verändern würde. Über die Stelle aus PLATON, die MANSEL im Auge hat, kann ich nicht im Irrtum sein, denn er selbst hatte einen Teil derselben mit der gleichen Absicht in den Anmerkungen zu seinen Bampton Lectures (Seite 209) angeführt.]
    17) MANSEL betrachtet (Seite 108, 109) diese Äußerung als eine sonderbare Probe meiner Art, Philosophisches zu lesen und lehrt mich, "daß PLATON ausdrücklich zwischen  dem Schönen  und  Dingen, die schön sind,  als "dem Einen im Gegensatz zum Vielen, dem Realen im Gegensatz zum Erscheinenden unterscheidet." MANSEL wird sich zweifellos freuen zu hören, daß ich diese elementarste Kenntnis PLATONs, die er mir beizubringen sucht, bereits besessen habe. In der Tat (falls es von irgendeiner Bedeutung wäre) habe ich anderswo diese Theorie PLATONs dargestellt und auch die Entschuldigungen gegeben, die für eine solche Lehre zu PLATONs Zeit gerechterweise vorgebracht werden können. Sie aber als eine Theorie anzuerkennen, die jetzt noch nötig wäre in Betracht zu ziehen, heißt dem Beispiel der späteren deutschen Transzendentalisten folgen, die Philosophie bis in ihre eigentlichen  incunabula  [Ursprünge - wp] zurück zu verlegen.
    18) Der "Inquirer" wirft ein, daß bloß negative Prädikate von der Rechnung ausgeschlossen sein sollten und daß viele von den hier aufgeführten lediglich negativ sind, da absolute Kleinheit nur die Negation von Größe ist, Schwäche von Stärke, Torheit von Weisheit, das Schlechte vom Guten (Seite 22). Indessen (ohne mich mit der sehr bestreitbaren Behauptung, daß alle schlechten Eigenschaften nur der Mangel guter sind, weiter zu befassen) die Frage ist nicht, ob die Eigenschaften, die der "Inquirer" aufzählt, negativ sind, sondern ob sie fähig sind, als absolute ausgesagt zu werden. Wenn sie das sind, schließt das allgemein oder abstrakt Absolute sie logisch ein. Und sicherlich sind Negationen noch eher fähig absolut zu sein, als positive Eigenschaften. Der "Inquirer" wird schwerlich in Abrede stellen, daß "absolut nichts" eine ebenso korrekte Anwendung des Wortes  absolut  ist, wie "absolut alles." Mit Bezug auf das Unendlich sagt derselbe Schriftsteller: "von unendlicher Kleinheit - unendlicher Nicht-Ausdehnung oder unendlicher Nichtdauer reden, heißt von einem unendlichen Nichts reden. Und das heißt in der Tat, wir wollen nicht sagen unendlichen, aber absoluten Unsinn reden." Es ist kaum anständig, einen Schüler HAMILTONs auf die Mathematik zu verweisen; aber der "Inquirer" könnte von HAMILTON selbst gelernt haben, daß es kein Unsinn ist, von unendlich kleinen Mengen zu sprechen.
    19) Angeführt von MANSEL "The limits of Religious Thought", Seite 30.  Anmerkung des Übersetzers:  Dieses Zitat beruth wahrscheinlich auf einem Mißverständnis. Möglicherweise bezieht sich MANSEL auf folgende Stelle (Werke XI, Seite 56. - 1. Auflage 1832), auf die mich Prof. ADOLF LASSON hingewiesen hat: "Es kann zugegeben werden, daß der Unterschied von Gutem und Bösem ansich aufgehoben sei, d. h. in Gott, der einzig wahren Wirklichkeit. In Gott ist kein Böses. Der Unterschied zwischen Gutem und Bösen ist nur, wenn Gott das Böse ist; man wird aber nicht zugeben, daß das Böse ein Affirmative sei und dieses Affirmative in Gott. Gott ist gut und allein gut; der Unterschied von Bösem und Gutem ist in diesem Einen, dieser Substanz, nicht vorhanden. Dieser tritt erst mit dem Unterschied überhaupt ein."
    20) Lectures II, 375
    21) Die Antwort MANSELs und des "Inquirers" auf das vorstehende Argument ist, daß es das Unendliche (infinite) mit dem Unbegrenzten (indefinite) verwechselt. Sie hätten das Argument nicht schlechter verstehen können, wenn sie es nie gelesen hätten. Unbegrenzt in seiner allgemein angenommenen Bedeutung ist das, was zwar eine Grenze hat, aber eine Grenze, die entweder in sich selbst veränderlich oder uns unbekannt ist. Unendlich ist das, was keine Grenzen hat. In dem, was MANSEL den metaphysischen Gebrauch des Wortes  unbegrenzt  nennt, behauptet er (Seite 114), daß es "unbegrenzt zu vergrößern" bedeutet. An einer anderen Stelle (Seite 50) sagt er: "eine unbegrenzte Zeit ist die, welche unaufhörlich verlängert werden kann; eine unendliche Zeit eine solche, die so groß ist, daß sie eine Verlängerung nicht zuläßt." Ich frage nun, welcher von diesen ist der korrekte Ausdruck für das, was größer ist als etwas Endliches? Ist dies eine Bestimmung, die von etwas behauptet werden kann, was eine unbestimmte Grenze hat oder von etwas, was "unbegrenzt zu vergrößern" ist oder von etwas, was "unaufhörlich verlängert werden kann? Ist eine bloß unbegrenzte Zeit größer als jede endliche Zeit? Ist ein bloß unbegrenzter Raum größer als jeder endliche Raum? Ist eine unbegrenzte Macht größer als jede endliche Macht? Die Eigenschaft, größer zu sein als jedes Endliche, gehört und kann nur dem gehören, was im strengsten Sinn des Wortes, sowohl im populären wie philosophischen, unendlich ist. - MANSEL verteidigt sich in seiner Erwiderung, indem er sagt, DESCARTES und CUDWORTH stimmten mit ihm darin überein, daß sie die Bezeichnung  unbegrenzt  dem geben, was ich (und wie er zugibt, die Mathematiker) unter  unendlich  verstehen. Ich kann nicht behaupten, daß DESCARTES und CUDWORTH dies nirgends getan haben; aber sicherlich haben sie es nicht an den Stellen getan, die MANSEL sowohl in der ersten als auch in dieser Erwiderung angeführt hat. Alles, was sowohl DESCARTES als auch CUDWORTH an diesen Stellen sagen, ist, daß für unseren Geist die Unbegrenztheit der möglichen Ausdehnung des physischen Universums nicht gleichbedeutend mit seiner Unendlichkeit noch ein Beweis dafür ist, wie sie es natürlich nicht ist. - - MANSEL fügt hinzu, daß selbst angenommen, ich wäre im Recht, daraus nur folge, nicht daß HAMILTON im Unrecht ist, sondern daß er und ich nicht dasselbe unter demselben Ausdruck verstehen. Jeder indessen, der die vorliegende Note gelesen hat, muß erkennen, daß ich meinen Standpunkt als richtig aufrecht erhalte, selbst in Bezug auf das, was, wie MANSEL behauptet, HAMILTONs Deutung des Wortes ist.
    22) MANSEL sträubt sich, wie gesagt, heftig, mit dem, was HAMILTON vom Unendlichen sagt, die Probe der Anwendbarkeit auf Gott zu machen, indem er behauptet, das Unendliche, von dem HAMILTON spricht, nämlich das Unendliche, wie wir es uns denken, sei ein "Pseudo-Unendliches". Das ist eine merkwürdige Umdrehung der Rollen HAMILTONs und seines Kritikers. Ich bin es, der behauptet, daß HAMILTONs Unendliches ein Pseudo-Unendliches ist; er ist es, der aufrecht erhält, daß es das wirkliche ist. Wenigstens setzt er dieses Pseudo-Unendliche, das in Wirklichkeit undenkbar ist, für ein verständliches Unendliches, für eine konkrete Gottheit ein und glaubt, indem er die Undenkbarkeit des einen beweist, die Undenkbarkeit des anderen genügend bewiesen zu haben. Es war seine Aufgabe und er macht sich anheischig zu beweisen, daß Gott, als unendlich betrachtet, für uns undenkbar ist. Anstatt dessen beweist er die Undenkbarkeit eines Unendlichen, was Gott nicht ist noch sein kann uns was nicht existiert noch existieren kann und überläßt es MANSEL zu entdecken (nachdem andere darauf hingewiesen haben), daß das ein Pseudo-Unendliches ist. - - MANSEL ist noch unwilliger darüber, daß ich das, was HAMILTON vom Absoluten sagt, mittels der Probe seiner Anwendbarkeit auf Gott untersuche und sagt, in Wirklichkeit sei dies eine Umkehrung der Ansicht HAMILTONs, weil seine Definition des Absoluten, "das Unbedingt-Begrenzte", der Natur Gottes widerspreche. HAMILTON folgert hier aber mit COUSIN, der in der Tat unter dem Absoluten nicht das Begrenzte, sondern das Vollkommene versteht und dies Gott beilegt. Wie BOLTON richtig bemerkt (Seite 159): "In der Erörterung der Lehre SCHELLINGs und COUSINs bedient sich HAMILTON des Wortes  absolut  in Übereinstimmung mit ihrem Gebrauch, nachdem das Unendliche und das Absolute nicht entgegengesetzt sind oder sich widersprechen, wie in HAMILTONs eigener Terminologie." Dafür verdient er auch keinen Tadel; denn wenn das Absolute, das nach seiner Behauptung unerkennbar ist, weil es nicht unter den Bedingungen der Mehrheit erkannt werden kann, absolut nur in seinem eigenn und nicht in COUSINs Sinne ist, so hat er COUSIN nicht widerlegt.
    23) Auf Seite 8 der Discussions, wo HAMILTON von dem einen der drei Elemente des Bewußtseins bei COUSIN spricht, das dieser Autor "auf verschiedene Weise mit den Ausdrücken  Einheit, Identität, Substanz, absolute Ursache, das Unendliche, Reingedachte  usw. bezeichnet", sagt er, "wir wollen es kurz das Unbedingte nennen." Was COUSIN  "Mehrheit, Unterschied, Phänomenon, relative Ursache, das Endliche, Bestimmt-gedachte  usw. nennt", sagt HAMILTON, "würden wir das Bedingte nennen." Hiermit, scheint mir, nähert er sich am meisten einer Erklärung dessen, was er unter diesen Worten versteht. Es ist offenbar überhaupt keine Erklärung. Er sagt uns, was (in logischer Sprache) die Ausdrücke bezeichnen (denote), aber nicht, was sie mitbezeichnen (connote). Eine Aufzählung der mit einem Namen bezeichneten Dinge ist keine Definition. Wenn der Name z. B. "Hund" wäre, würde es keine Definition sein zu sagen: "das, was wir auf verschiedene Weise mit Hühnerhund, Kettenhund usw. benennen, würden wir mit  Hund  bezeichnen." Das, was verlangt wird, ist zu wissen, welche allen diesen verschiedenen Hunden gemeinsamen Attribute das Wort bedeutet, was von einem Ding damit ausgesagt wird, daß man es Hund nennt.
    24) "Um als unbedingt gedacht zu werden," sagt MANSEL (Seite 17 und 18) "muß Gott als frei von Handeln in der Zeit gedacht werden; um gedacht zu werden als Person, wenn seine Persönlichkeit der unsrigen ähnlich ist, muß er als in der Zeit handelnd gedacht werden." Frei von Handeln in der Zeit, - so sehr man wolle, mit anderen Worten, nicht gezwungen dazu, nicht beschränkt durch seine Bedingungen. Hat aber jemand sich je die Gottheit als nicht handelnd in der Zeit gedacht? Ja, selbst wenn Gott nicht als Person gedacht wird, sondern nur als das erste Prinzip des Universums, "ein absolut erstes Prinzip, von dem alles andere abhängt", ein Glaube, der zugleich mit der christlichen Lehre von der göttlichen Persönlichkeit von MANSEL festgehalten wird (Seite 7 - 18): selbst dann muß das erste Prinzip von allem, was in der Zeit stattfindet, nach dem ganzen Sinn der Worte, nicht allein als in der Zeit handelnd gedacht werden, sondern es muß wirklich in der Zeit handeln und zwar in aller Zeit. Handeln in der Zeit ist nicht der Gottheit als einer Person eigen, sondern ebensosehr der Gottheit als dem ersten Prinzip aller Dinge und das ist es, was MANSEL unter  unbedingt  versteht.
    25) In Bezug darauf bemerk MANSEL (Seite 110 und 111), HAMILTON habe nicht gesagt, daß dies bedeutungslose Abstraktionen seien. Ich habe nie behauptet, daß er das getan hat. Der Hauptpunkt meiner Beschwerde über ihn ist, daß er ihre Bedeutungslosigkeit nicht bemerkt hat. "HAMILTON", sagt MANSEL, "behauptet, daß die Ausdrücke  absolut  und  unendlich,  die bedeutungslos sind, sondern es ist "das Unendliche" und das "Absolute". Unendlich und absolut sind wirkliche Attribute, abstrahiert von konkreten Objekten des Denkens, wenn nicht der Erfahrung, die, wie man wenigstens glaubt, diese Attribute besitzen. "Das Unendliche" und "das Absolute" sind unstatthafte (illegitimate) Abstraktionen von etwas, was nie Attribut eines Konkreten war, noch ohne Widerspruch als solches angenommen werden konnte. Ich bedaure, in diesem Punkt von meinem ausgezeichnetem Kritiker, Dr. H. B. SMITH (Seite 134) aufgegriffen, der sie für einen Unterschied zwischen einem Sprechen "über das Unendliche und Absolute als Wesenheiten" Und einer Betrachtung, die sie einfach als Modi und Prädikate wirklicher Existenzen ansieht", hält. Daß es Menschen gibt in "Laputa oder dem Reich" (wie HAMILTON es ausdrückt), die über sie als über Wesenheiten sprechen bis zum höchsten Gipfel tollen Unsinns, ist mir wohl bekannt; und gegen diese hat HAMILTONs Essay als Protest, wenn auch als ungenügender Protest eines Rivalen im Transzendentalismus, seinen Wert.