ra-2 J. S. MillG. MyrdalO. Kraus    
 
GUNNAR MYRDAL
Das politische Element in der
nationalökonomischen Doktrinbildung

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"Bentham  scheidet im sozialen Leben die  Realitäten  von den  Fiktionen.  Er bekämpft die Tendenz, Fiktionen für Realitäten gelten zu lassen. Zu diesen Fiktionen rechnet er  Obligationen, Rechte  und dgl. Sie bezeichnen im Grunde ausschließlich begriffliche Metaphern. Die Behauptung, daß jemand  verpflichtet  ist, etwas zu tun, sagt nur, daß, falls er vorziehen sollte, es nicht zu tun, gewisse bekannte Umstände es wahrscheinlich machen, daß ihn eine Reaktion treffen wird, die letztlich auf  Unlust  hinausläuft. Der Gebrauch des Wortes  Pflicht,  oder besser  Verpflichtung,  enthält einen fiktiven Gedanken, dem in der Welt der Realitäten eine Antizipation von Lust und Unlust entspricht."

"Bentham war in erster Linie ein leidenschaftlicher Reformator der gesellschaftlichen Ordnung und erst in zweiter Linie ein spekulativer Denker. Er hat auch irgendwo eine sehr charakteristische Äußerung, wo er in einem herablassenden und mitleidsvollen Ton von den merkwürdigen Menschen spricht, die darüber nachdenken,  ob dieser Tisch außerhalb ihrer, in ihnen oder überhaupt nicht existiert.  Diesem Problem glaubte er nämlich für seinen Teil ganz aus dem Weg gegangen zu sein."

"Bei der sorgfältigen Begriffsanalyse, die die Werttheoretiker dem hedonistischen Glückskalkül gewidmet haben, sind sie zu dem Eingeständnis gezwungen worden, daß Lust- und Unlust-, Glücks-, Nutzen- und Wertquantitäten, selbst wenn sie individuell zu bestimmen möglich sind, doch interindividuell vollkommen inkommensurabel sind. Schon aufgrund ihrer logischen Begründung sind sie Quantitäten sui generis, Vergleich oder Addition ist unmöglich."

"Der Utilitarismus, der der ökonomischen Doktrinbildung einverleibt worden ist, ist von der allerkrassesten Natur. Der Altruismus spielt im großen Ganzen eine minimale Rolle. Die Harmonielehre wird zur zentralen Vorstellung, sie bekommt einen  rein egoistischen, rein ökonomischen, rein wirtschaftlichen  Ausgangspunkt, und es wird die Aufgabe der Nationalökonomie durch das ganze 19. Jahrhundert hindurch, sie immer wieder aufs Neue zu beweisen, teilweise auf neuen Wegen und mit neuen Einschränkungen versehen."

2. Kapitel
Der geistesgeschichtliche Hintergrund
der nationalökonomischen Doktrinbildung

Das Zustandekommen und der Inhalt der politischen Doktrinbildung in der Nationalökonomie bleiben unbegreiflich, wenn man sich nicht darüber klar ist, daß die ganze ökonomische Theorie neben anderen politischen "Systemen" und Utopiekonstruktionen auf dem Grund der naturrechtlichen Philosophie erwachsen und unter stärkstem Einfluß von der utilitaristischen Gesellschaftsauffassung her weiterentwickelt worden ist. Diese beiden Haupteinflüsse sind vom Standpunkt der ökonomischen Theorie gleichgerichtet gewesen. Der Utilitarismus kann selbst als ein englischer Abzweig der Naturrechtsphilosophie betrachtet werden. Soweit Ungleichheiten dennoch bestehen, sind sie von der Art, die allenthalben englisches Denken vom kontinentalen unterscheidet. Es heißt ja, daß man auf dem Kontinent abstrakter veranlagt ist. Man wählt mit Vorliebe allgemeine Begriffe oder Ideen zum Ausgangspunkt, die direkt der Vernunft entnommen werden. Sie sollen selbstverständlich sein, weil sie "natürlich" sind, sie folgen als direkte Konsequenzen aus den Gesetzen des Denkens, sie sind uns eingeboren, sie sind Korollarien [Ableitungen - wp] zu der irgendwie bewiesenen Annahme eines freien Willens, einer vernünftigen Weltordnung, einer schaffenden und erhaltenden göttlichen Macht oder dgl. Die rein aprioristische Einstellung zum Gesellschaftsproblem läßt sich auf mannigfache Weise umschreiben, aber die Ungleichheit sind von unserem Standpunkt aus ohne wesentliches Interesse.

Englisches Denken dagegen ist seit BACON weitgehend empirische eingestellt. Gleichwie man alle Erkenntnis auf die Empfindungen zurückführt, so sucht man auch die Sozialethik direkt auf dieselbe Erfahrungsgrundlage zu stellen. Ein Verhalten kann nicht moralische gutgeheißen oder verworfen werden, weil es aus einem Wollen herrührt, das an und für sich gut oder schlecht ist, sondern ist lediglich nach dem Resultat des Verhaltens zu beurteilen, das objektiv als gut oder schlecht charakterisiert werden kann. Das ist der Gedankengang, der so allmählich im englischen Utilitarismus ausreift. So kommt man dahin, die Grundlage der Moral in psychologischer Erkenntnis zu suchen und eine oberste Norm aufzustellen in dem "Allgemeinwohl", verstanden als eine arithmetische Summe des Wohlbefindens von Individuen. Dieses Schema zieht sich noch klar durch JOHN STUART MILLs "Utilitarismus" und SIDGWICKs "Methods of Ethics" und findet sich auch wieder in der Gesellschaftstheorie SPENCERs, da allerding ein wenig umgestaltet, um auch den sogenannten Entwicklungsgedanken einschließen zu können. In irgendeiner Einkleidung findet man diese utilitaristische Konstruktion auch noch in ganz moderner englischer oder amerikanischer Philosophie. - Daß diese objektive Herleitung der sozialen Moral sich schließlich doch nicht halten läßt, leuchtet jedoch ein. Ein Studium der empirischen Wirklichkeit kann doch wohl niemals zu einem "höchsten Gut" führen, d. h. zu einem Wert mit  Wahrheitscharakter.  Irgendwo auf dem Weg zu einem solchen Ergebnis muß man ja doch auf die verschmähten aprioristischen "obersten Prinzipien" zurückgreifen, auch wenn man sich selbst darüber täuscht.

Es ist sehr charakteristisch, daß sich der Utilitarismus erst allmählich seines Gegensatzes zur Naturrechtsphilosophie bewußt wurde. Erst bei BENTHAM wird der Bruch offensichtlich. BENTHAM ist nicht der Schöpfer des Utilitarismus als eines philosophischen Systems, es war schon vor ihm ausgebildet worden. Seine Bedeutung liegt vielmehr zuvörderst darin, daß er gegen die Naturrechtsphilosophie Front macht und so die vorgezeichnete Entwicklungstendenz zu einem klaren Ausdruck bringt. Alles Gerede von "natürlichen Rechten" ist für BENTHAM Nonsens. Er bekämpfte energisch die beiden naturrechtsphilosophisch gefärbten Deklarationen über die Menschenrechte, die "Declaration of Independence" von 1776 und die "Declaration des droits de l'homme" von 1789. Sie waren getragen, wie er sagte, von einer "Non-plus-ultra-Metaphysik". Ihre sämtlichen Punkte, sagte, lassen sich unter drei Kategorien ordnen: das Unbegreifliche, das offenbar Verkehrte und das zugleich Unbegreifliche und Verkehrte. Bestenfalls wären Spekulationen dieser Art tautologisch, aber da man immer in solchen feierlichen Verkündigungen etwas zu sagen glaubt, wären sie obendrein unrichtig. Seine prinzipiell Einstellung zum Gesellschaftsproblem ließe sich in der modernen nationalökonomischen Terminologie als pragmatisch-institutionalistisch oder funktionalistisch charakterisieren. Institutionen können nach ihm nicht lediglich aus ihrer faktischen Existenz gerechtfertigt werden, sie können nicht gefordert oder verteidigt werden lediglich als "in der Natur der Sache begründet".

Einer Gedankenlinie von HUME her folgend scheidet BENTHAM im sozialen Leben die "Realitäten" von den "Fiktionen" ("real entities" und "fictitious entities"). Er bekämpft die Tendenz, Fiktionen für Realitäten gelten zu lassen. Zu diesen Fiktionen rechnet er "obligations, rights and similar words". Sie bezeichneten im Grunde ausschließlich begriffliche Metaphern. Die Behauptung, daß jemand "verpflichtet" ist, etwas zu tun, sagt nur, daß, falls er vorziehen sollte, es nicht zu tun, gewisse bekannte Umstände es wahrscheinlich machen, daß ihn eine Reaktion treffen wird, die letztlich auf "Unlust" (pain) hinausläuft. Der Gebrauch des Wortes "Pflicht", oder besser "Verpflichtung", enthält einen fiktiven Gedanken, dem in der Welt der Realitäten eine Antizipation von Lust und Unlust entspricht. Damit ist BENTHAM bei der prinzipiellen Grundlage seines ganzen Gedankensystems angekommen.
    "Die Natur hat die Menschheit unter der Regierung von zwei souveränen Herren eingerichtet:  Schmerz  und  Vergnügen.  Es liegt an diesen beiden allein, uns zu zeigen, was wir tun sollen und zu bestimmen was wir tun müssen." (1)
Mit diesen prachtvollen, oft zitierten Worten eröffnet BENTHAM seine "Introduction to the Principles of Morals and Legislation". Immerhin merken wir schon hier, daß der Unterschied gar nicht so fundamental ist, wie BENTHAM hat geltend machen wollen. Der Utilitarismus, wie jede andere positive Sozialethik, die den Anspruch auf wissenschaftliche Objektivität erhebt, gleicht der naturrechtlichen Spekulation zunächst darin, daß sie eine Unterlage abgibt für die Bildung objektiver politischer Normen, d. h. moralischer Rechte und Pflichten, von denen aus sich politische Idealzustände konstruieren und die bestehenden Gesellschaftsordnungen wissenschaftlich kritisieren lassen. Es läßt sich mit ihrer Hilfe entscheiden, ob Institutionen richtig, gerecht oder, wie man sich lieber ausdrückt: mit dem gesellschaftlichen Wohl vereinbar sind. BENTHAM war ja überzeugt, daß die Politik eine Art utilitaristischer Arithmethik sein sollte. Durch rein logische und mathematische Operationen könnte man nach einem gegebenen Schema die richtige Verhaltensweise jeweils ausfindig machen. Dahin ging auch BENTHAMs Hauptinteresse. Er war in erster Linie ein leidenschaftlicher Reformator der gesellschaftlichen Ordnung und erst in zweiter Linie ein spekulativer Denker. Er hat auch irgendwo eine sehr charakteristische Äußerung, wo er in einem herablassenden und mitleidsvollen Ton von den merkwürdigen Menschen spricht, die darüber nachdenken, "ob dieser Tisch außerhalb ihrer, in ihnen oder überhaupt nicht existiert". Diesem Problem glaubte er nämlich für seinen Teil ganz aus dem Weg gegangen zu sein.

Die naturrechtliche sowie die utilitaristische Gesellschaftsphilosophie streben gleicherweise danach, auf theoretischem Weg praktische Verhaltensnormen zu gewinnen, und ein beiden gemeinsames Charakteristikum ist daher ein starker Mangel an Verständnis für historische Relativität. Für die Naturrechtsphilosophie ist diese Konsequenz aus ihrem geistigen Ursprung von vornherein gegeben. Beim Utilitarismus liegt es etwas komplizierter. Rein programmatisch ist ja sein Standpunkt der, daß man die Kalkulation des gesellschaftlichen Nutzens immer und immer wiederholen und dabei auf die sich ständig verändernden Verhältnisse innerhalb der Gesellschaft Rücksicht nehmen sollte. Zum Teil wollte sich der Utilitarismus ja gerade damit vom Naturrecht unterscheiden.

Es blieb aber bei dieser programmatischen Erklärung, verwirklicht wurde die Forderung niemals. Die Ursache dafür ist vor allem in den logischen Schwierigkeiten zu suchen, die sich einstellen, sobald man in der Praxis vor dem Problem steht, ein gesellschafliches Nutzenkalkül wirklich durchzuführen. Man stolpert dabei kopfüber entweder in altes Naturrecht oder in reine Willkür; denn wenn Rechte und Pflichten Fiktionen sind, so ist es der gesellschaftliche Nutzen nicht minder. Eine andere Ursache ist der feste Glaube an die durchgehende und unveränderliche Gleichheit der Menschennatur, den der Utilitarismus von der Naturrechtsphilosophie des 18. Jahrhunderts übernommen hat und den er nie aufgegeben hat, auch wenn man ihn offziell ableugnete. Dieser Glaube und die aus ihm hergeleiteten Maximen sind es z. B., die noch JOHN STUART MILLs Gesellschaftsvorstellungen unverkennbar den Stempel der Aufklärungszeit aufdrücken.

Die Ähnlichkeit liegt darum nicht nur darin, daß die Utilitaristen ebenso wie die Naturrechtsphilosophen zu Normen kommen, für die sie objektive Gültigkeit in Anspruch nehmen. Auch der eigentliche Inhalt der Doktrinen, ja sogar ihre Form zeigen oft starke Anklänge. PALEY kann ja neben BENTHAM als Begründer des eigentlichen Utilitarismus angesehen werden. Er sucht die moralischen Probleme konsequent dadurch zu lösen, daß er verschiedene Verhaltensweisen daraufhin prüft, wieweit sie den gesellschaftlichen Nutzen zu erhöhen oder zu senken geeignet sind. Dabei unterscheidet er trotzdem noch zwischen "natürlichen Rechten" ("natural rights") und "zufälligen Rechten" ("adventitious rights"). Die ersteren sind allgemeingültig, da ihre Beachtung zur Nutzenmehrung führt, unabhängig von den gerade existierenden politischen Institutionen und sonstigen sozialen Lebensformen. Die Nutzenmehrung oder -minderung durch die "zufälligen Rechte" ist dagegen von den letztgenannten mehr zufälligen Verhältnissen abhängig. Zu den natürlichen Rechten zählt ja z. B. das Recht auf Eigentum schlechthin, da privates Eigentumsrecht unter allen Umständen vorteilhaft ist wegen seiner Tendenz, zu Arbeitsamkeit, Tüchtigkeit und Vorsorge zu ermuntern. Die faktisch bestehenden materiellen Eigentumsverhältnisse verteidigt er dagegen mehr indirekt mit dem Hinweis auf die allgemeine Nutzenmehrung, die dadurch entsteht, daß die geltenden Gesetze eines Landes befolgt werden. Ebenso hat das monogamische Prinzip immer und allgemein Gültigkeit. Seine Beachtung wird immer und überall erfordert von der Rücksicht auf die allgemeine Nutzenmehrung. Das liegt in der Natur der Sache begründet oder richtiger gesagt in dem Umstand, daß die göttliche Vorsehung ungefähr ebensoviele Männer wie Frauen geboren werden läßt.

Wenn nun auch BENTHAM und die späteren Utilitaristen naturrechtliche Konstruktionen so genereller Art nicht mehr übernommen haben, so ändert das an der Sache realiter nicht viel. Sobald sie aus der Sphäer der allgemeinen Prinzipien herabsteigen in die der praktischen Tagesfragen, argumentieren sie so merkwürdig ähnlich ihren naturrechtlichen Vorgängern. In besonders feierlichem Zusammenhang kann auch ein Utilitarist manchmal vom "ewigen und natürlichen Privateigentumsrecht" sprechen, und wenn er es auch sehr selten sagt, so meint er es umso öfter. Bei der Lustsummierung, beim gesellschaftlichen Nutzenkalkül, werfen sie mit abstrakten Grundsätzen und obersten Begriffen nur so um sich. Gedankliche Operationen dieser Art bekommen keinen anderen logischen Charakter lediglich deshalb, weil BENTHAM einige von diesen Grundsätzen und Begriffen als "Fiktionen" zurückgewiesen hat. Das einzige praktische Resultat der prinzipiellen Einstellung des Utilitarismus ist, daß man ein wenig freier wird gegen speziell diejenigen alten naturrechtlichen Vorstellungen, mit denen man aufgrund seiner politischen und sozialen Überzeugungen nichts mehr zu tun haben will. Aber auch die Naturrechtsphilosophie selbst zeigte sich in dieser Beziehung nur wenig gebunden. Das abstrakte Schema konnte verwendet werden, um jeder beliebigen Überzeugung oder Maxime die Autorität der "Natürlichkeit" zu verleihen. Im übrigen zeigte sich in der Praxis regelmäßig, daß es nur die alten naturrechtlichen Normvorstellungen sind, die nach gewissen formellen Umschreibungen in der utilitaristischen Gedankenwelt wieder aufleben.

Rechtshistoriker und Rechtstheoretiker haben schon seit langem hervorgehoben, daß der Utilitarismus als juristische Methode in reines Naturrecht ausmündet. Es ist ein Teil des Themas für dieses Buch, daß auch die direkte Leistung des Utilitarismus in der Nationalökonomie eigentlich nur in einer umständlicheren Formulierung der naturrechtlichen Doktrinen bestanden hat. Jurisprudenz und Nationalökonomie sind die beiden einzigen Gebiete, auf denen der Utilitarismus überhaupt praktische Leistungen hervorgebracht hat. Hierzu kommt nun, daß die moderne Psychologie den assoziationspsychologischen Hedonismus entschieden ablehnt als mechanistisch, intellektualistisch,  rationalistisch Damit fällt die empirische Grundlage des Utilitarismus, ein hartes Schicksal für eine Gesellschaftslehre, die von Anfang an den Empirismus auf ihre Fahne geschrieben hat. Schließlich kommt die rein logische Kritik hinzu, die die Denkfehler als zwangsläufig nachweist und zurückführt auf die Inkongruenz zwischen dem Begriffssystem und dem metaphysischen Ziel, das man sich gesetzt hatte.

Nicht nur rein theoretisch, sondern auch historisch darf man sicher keine allzu scharfe Grenze ziehen zwischen den beiden Haupteinflüssen, die auf die ökonomische Theorie gewirkt haben. Wie eng die Verbindung ist, tritt vielleicht nirgends so klar zutage wie in der stark deistischen Prägung, die der Beweisführung der älteren Utilitaristen oft eigen ist, besonders bei den sogenannten theologischen Utilitaristen TUCKER, PRIESTLEY und PALEY. Die utilitaristischen Moralnormen sind für sie "natürlich" zumindest in dem Sinne, daß sie ein Teil sind jener weisen und guten Absichten, die die göttliche Vorsehung mit dem Menschengeschlecht hat. Gerade weil die Absichten dieser Vorsehung als gut und vernünftig vorausgesetzt werden, kann man sie ausfindig machen, indem man die menschlichen Handlungen unter das utilitaristische Kriterium stellt: was führt zum gemeinsamen Wohl der Menschheit? Rechtes Handeln ist also für diese älteren Utilitaristen ein Handeln in Übereinstimmung mit der "Ordnung der Natur", "Forderung der Vernunft", "Absicht der Gottheit". Aufgabe der Moralphilosophie wird es, "Gottes Willen ausfindig zu machen durch ein Studium der Wirkungen menschlichen Handelns auf das Wohlbefinden des Menschengeschlechts im allgemeinen". In dem Grad, wie man später die theologische Sanktion verschmäht, schafft man eine logische Kluft in der Beweisführung zwischen der Faktizität von Lust und Unlust und dem zwingenden Charakter der Moral. Diese Lücke muß man nachher durch ein recht gezwungenes Argument überbrücken und glaubt, ein solches Argument in der Lehre von der allgemeinen Interessenharmonie finden zu können.

Über die eigentliche Naturrechtsphilosophie sollen hier nicht viel Worte gemacht werden. Historisch reicht sie zurück über die rein theologische Spekulation des Mittelalters in die Zeit des Wiedererwachenden Interesses für die römischen Rechtsquellen und so mittelbar bis in die römische Jurisprudenz und die stoische Philosophie, zum Teil auch in die epikuräische Philosophie. Letztlich muß eine solche historische Herleitung der Naturrechtsphilosophie wohl erst halt machen bei gewissen philosophischen Ansätzen im vorplatonischen Denken. Schon dort finden wir gelegentlich so einen respektvollen Hinweis auf objektive Gesetze, die zugleich notwendig und rational, natürlich und göttlich sein sollen.

Im Laufe der Zeit hat der gleiche Gedanke wechselnde Formen angenommen und ist in ganz verschiedenem Sinn verwandt geworden. Recht unterschiedliche Gesellschaftszustände sind als natürlich und vernünftig gerechtfertigt worden. Derselben Denkmethode haben sich sowohl die schönsten wasserblauen radikalen Utopien bedient, wie auch streng autokratisch-konservative Apologien. Das Einigende ist nicht die politische Tendenz, sondern nur die Betrachtungsweise, die philosophische Methode. Fast jede objektive Morallehre ist naturrechtlich in dem Sinne, daß sie versucht, Moral aus der Natur der Sache  abzuleiten,  ein Sollen aus einem Sein. Die besondere Eigenart der naturrechtlichen Betrachtungsweise, von der hier zu sprechen ist, liegt jedoch in dem Streben, unmittelbar und ohne lange Beweise Sein und Sollen zu  identifizieren,  Vernunft und Natur gleichzusetzen. Es ist das naturrechtliche Streben in diesem zweiten Sinn, das die nationalökonomische Theorie in ihrem ersten Entwicklungsstadium, im Physiokratismus, bestimmt hat und das in gewisser Form noch heute weiterlebt.

Das Studium des "ordre naturel" bei den Physiokraten ist der erste Versuch, den Wirtschaftsablauf als ein einheitliches und zusammenhängendes Ganzes zu erfassen, seine sämtlichen Erscheinungen in den Rahmen eines logisch geschlossenen Systems einzuordnen, ist überhaupt der erste Ansatz, eine generelle ökonomische Theorie im modernen Sinn zu konstruieren. Schon bei den antiken Philosophen kann man zwar gelegentliche Aussagen über ökonomische Fragen finden, aber diese Äußerungen haben den Stempel der Zufälligkeit und sind oft nur einfache Umschreibungen reiner Banalitäten. Mehr findet sich schon bei den Scholastikern des Mittelalters, vor allem bei THOMAS von AQUIN. Die doktrinäre Einstellung der Scholastik und ihre schließlich rein theologische Zielsetzung hindert jedoch diese Gesellschaftsphilosophen daran, das wirtschaftliche Geschehen als einen zusammenhängenden Ursachenverlauf aufzufassen und das ökonomische Denken auf eine rein empirische Beobachtung dieses Verlaufs zu gründen. Bei den Kameralisten [Staatstheoretikern - wp] und Merkantilisten wiederum findet sich zwar genug empirisches Beobachtungsmaterial, aber desto weniger theoretische Durchdringung, es fehlen ordnende Gesichtspunkte, d. h. gerade eine generelle ökonomische Theorie.

Das meist des von den Physiokraten überlieferten Systems ist natürlich der Vergessenheit anheimgefallen, aber es finden sich darin gewisse Grundgedanken, die bestehen geblieben sind und die noch heute für die Einstellung zu ökonomischen Fragen bestimmend sind. Im folgenden soll die Aufmerksamkeit nur auf diejenigen Ideen gerichtet wer den, die noch gewisse Lebenskraft haben, und dabei speziell auf den Zusammenhang, in dem diese Ideen mit der allgemeinen naturrechtlichen Anschauungsweise stehen, auf deren Grund die ganze physiokratische Doktrin gewachsen ist.

Dazu gehört zunächst der  normativ-teleologische  Charakter, den die Physiokraten ihren theoretischen Spekulationen gaben. Wie ihr ganzes Jahrhundert waren auch sie mehr daran interessiert, die Welt zu verbessern, als sie ganz simpel darzustellen und zu erklären. Das "natürliche" System, das sie aufstellten, erklärten sie, stimmte nicht überein mit dem herrschenden Gesellschaftszustand ("ordre positif"), aber es enthielte doch eine Zusammenfassung der wirtschaftspolitischen Normen, die sich direkt aus der Natur der Sache herleiten ließen. Diese Normen sind unmittelbar gegeben durch ihre vollkommene und evidente Vernunftgemäßheit, sie sind als "natürliche" zugleich auch wirklich, sie sind die "wahre" oder "wirkliche" Wirklichkeit, von der sich die zufällige Wirklichkeit nur durch ihren "nicht-natürlichen" Einschlag unterscheidet. Die Normen sind deshalb auch unveränderlich und allgemeingültig.

Aus dieser logischen Konstellation von Wert und Wirklichkeit im Begriff des "natürlichen Zustandes" wuchs die Doktrin der Wirtschaftsfreiheit hervor, unmittelbar "evident", sobald man die Natur des ökonomischen Zusammenhangs berücksichtigte, ein wissenschaftliches "Gesetz" und zugleich ein politisches Postulat. Es lag schon in ihren Ausgangspunkten, daß die Maxime keines Beweises bedurfte. Was die Physiokraten in diesem Sinne geleistet haben, ist schwerlich mehr als eine bloße Umschreibung des Satzes - was natürlich nichts gegen die Sachlichkeit ihrer Kritik am Merkantilismus besagt.

Gleichwohl ist es von doktrin-historischem Interesse, zu beobachten, daß die Physiokraten gleich ihren utilitaristischen Nachfolgern ihre These letztlich auf die Behauptung gründen, daß man annehmen muß, alle Menschen handeln mit dem Ziel, ihren Interessen bestmöglich zu dienen. Dieser Idee wurde schon von QUESNAY die hedonistische Formulierung gegeben, die später in der ökonomischen Theorie für so brauchbar befunden werden sollte: jedes Menschen Verhalten ist von Natur aus so eingestellt, daß er sich die größtmögliche Befriedigung gegen das geringstmögliche subjektive Opfer zu verschaffen sucht. Sein Gedankengang ist weiter der, daß die Staatsmacht die Individuen in ihrem Streben nach Wohlfahrt nicht hindern soll. Indem man den persönlichen Willen jedes einzelnen innerhalb der "natürlichen Grenzen" sich frei betätigen läßt, bringt man den gesellschaftlichen Nutzen auf sein Maximum. Dabei stellten sich die Physiokraten vor, daß eine natürliche  Harmonie  zwischen den Interessen der verschiedenen Individuen bestände. Wenn nur keine Hindernisse im Weg stehen, fördert jeder einzelne durch sein rein egoistisch eingestelltes Verhalten das Glücksstreben aller anderen. Alle Interessen laufen zusammen und kumulieren sich in der gesellschaftlichen Wohlfahrt. Vor allem MERCIER de la RIVIÉRE ist ja bekannt durch die schönrednerischen Auslegungen, die er dieser Harmonielehre gegeben hat, die später, offen oder notdürftig drapiert, in der utilitaristischen Nationalökonomie eine so große Rolle spielen sollte.

Damit war das laissez-faire-Prinzip statuiert. Es hat, wie bekannt, ein weit größere Reichweite und bezieht sich nicht nur auf die eigentliche Wirtschaftspolitik. Das Staatsideal ist der Rechtsstaat, die Kunst zu regieren besteht in der Kunst, das Regieren im Sinne positiver Regulierungen möglichst bleiben zu lassen. Müssen Gesetze gemacht werden, so sollen es nur die "natürlichen Gesetze" sein. Im allgemeinen braucht aber ihre Befolgung nicht erst auf dem Weg der Gesetzgebung vorgeschrieben zu werden, da es sich  gleichzeitig  um Naturgesetze handelt. Darin liegt die naturrechtliche Gleichsetzung. Läßt man nur alles laufen wie es läuft und beschränkt sich auf den Schutz von Person und Eigentum, so verwirklichen sich die natürlichen Gesetze von selbst. In dem von einem tieferen methodischen Gesichtspunkt zufälligen Umstand, daß die Physiokraten die gerade herrschenden Eigentumsverhältnisse als "natürlich" ansahen, lag der bürgerlich-konservative Charakter des Systems. Es ist vor allem die verschiedene Auffassung vom Inhalt des "natürlichen Zustandes" in dieser speziellen Richtung, die den Unterschied zwischen dem physiokratischen System und anderen gleichzeitigen oder späteren, sozialistischen oder anarchistischen Utopiekonstruktionen auf ROUSSEAUscher Basis markiert.

Der sonst für das ganze naturrechtliche Denken so bedeutungsvolle Gedanke von einem  "Gesellschaftsvertrag"  scheint für die Physiokraten keine so große Rolle zu spielen, aber er liegt doch ihrer Konstruktion als eine stillschweigende Voraussetzung zugrunde, obwohl die Physiokraten selbst einmal dagegen Stellung nahmen. Ihre Opposition galt nämlich eigentlich nur dem sozialrevolutionären Inhalt im Gesellschaftsvertrag, der hier und dort geltend gemacht wurde und den sie nicht gutheißen wollten. In der Finanzlehre hat die Idee von einem Gesellschaftsvertrag als einem historischen Faktum oder als lediglich ideell rechtfertigender Konstruktion entscheidenden Einfluß ausgeübt. Die spezielle normative Konstruktion, die unter dem zusammenfassenden Namen des "Interesseprinzips" läuft, ist typisch in diesem Gedanken des 18. Jahrhunderts verankert und entstammt direkt einer Staatstheorie von dieser Vertragsnatur. Der Utiliraismus und die subjektive Wertlehre haben dem nur noch eine etwas gelehrtere Terminologie und eine mehr im Detail ausgearbeitete Kasuistik hinzugefügt. Man nimmt die im Satz enthaltene Norm nicht mehr so unmittelbar als "vernünftig", sondern befleißigt sich gewisser werttheoretischer Umschreibungen.

Trotz der normativen Einstellung der Physiokraten war ihre Konstruktion doch ein großer Schritt vorwärts in der Entwicklung der ökonomischen Theorie. Es waren zum erstenmal klar und konsequenz die wirtschaftlichen Erscheinungen in der Weise betrachtet worden, daß zwischen ihnen ein  gesetzmäßiger  Zusammenhang gesehen wurde.

Die konservative Einstellung der Physiokraten und später der englischen Klassiker zur Frage der Berechtigung des Privateigentums ist meines Erachtens letztlich die Erklärung dafür, daß ihre naturrechtlichen Konstruktionen trotz aller Mängel einen positiven, theoretisch richtigen Kern enthalten, um den herum sich die ökonomische Wissenschaft so allmählich hat kristallisieren können. Die weniger revolutionäre, mehr gesellschaftserhaltende politische Tendenz hat dem System der Physiokraten einen höheren wissenschaftlichen Wert gegeben gegenüber den gleichzeitigen mehr umstürzlerischen naturrechtlichen Konkurrenten. Das "Werk der Natur" sahen sie als prinzipiell richtig an, es konnte nicht verbessert, sondern nur verschlechtert werden. Weiter sahen sie in der  bestehenden  menschlichen Gesellschaft dieses bewunderungswürdige Werk der Natur, das nur von den verstümmelnden Einflüssen autoritärer Eingriffe zu bereinigen war. Ihre rein theoretische Analyse galt also einer für die Erklärung der faktischen wirtschaftlichen Verhältnisse relevanten Gesellschaftsordnung, nämlich dem ökonomischen Zustand, der ohne jeden "Eingriff" bestehen würde. Nun traf es sich, - und das ist der große Glücksumstand für die Physiokraten -, daß gerade diese politische Idealisierung eines Gesellschaftszustandes  zusammenfällt  mit einer außerordentlich nützlichen und notwendigen theoretischen Abstraktion in der Problembehandlung, einer Abstraktion, mit der wir auf gewissen Stadien unserer Analyse ständig arbeiten müssen, unabhängig von der Auffassung, die wir über die rein politische Erwünschtheit dieser abstrakten Voraussetzungen hegen. Die radikalen Utopiekonstruktionen auf derselben naturrechtlichen Grundlage, in denen man durchgreifendere Veränderungen der bestehenden Gesellschaftsordnung für die Realisierung des "natürlichen Zustandes" erforderte, haben ein viel weniger freundliches Schicksal in der Dogmengeschichte erfahren, weil die geforderten Veränderungen methodisch weniger geeignete Abstraktionsgrade bezeichneten. Der Konservatismus hat so von einem "Wirklichkeitssinn" profitiert.

Mag sein, daß der Gesetzesgedanke von den Physiokraten nur auf die natürliche Ordnung der Dinge bezogen wurde, die sie zum Gegenstand ihres Studiums machten. Er wurde damit gleichwohl in das ökonomische Denken neu eingeführt und sollte daraus nicht wieder verschwinden. Im Rahmen der natürlichen Ordnung fügten sich die verschiedenen Faktoren einem kausalgebundenen System ein. Das Wirtschaftsleben erhielt Zielrichtung und Zusammenhalt von den Einzelinteressen als wirkenden Kräften in derselben Weise wie das Planetensystem durch die Gravitation, ein Vergleich, dessen man sich besonders gern bediente. Wahrscheinlich inspiriert vom Gedanken des Gesellschaftsvertrags konnte man den ganzen "wirtschaftlichen Kreislauf" als eine Serie von Tauschprozessen zwischen verschiedenen Individuen und Klassen darstellen. Diese Analyse der Physiokraten war äußerst rudimentär und in fast allen Beziehungen mangelhaft. Aber der Grundgedanke, daß man die zentrale Preisbildungserklärung auf einer generellen Analyse des gesellschaftlichen Tauschprozesses aufbauen kann, ist unser Erbe von den Physiokraten.

Der Glaube, daß die speziellen Voraussetzungen, mit denen die Physiokraten arbeiteten, einen Idealzustand garantierten, muß aufgegeben werden. Die Voraussetzungen haben wir wie anderswo den alleinigen Zweck, zu vereinfachen, die empirische Mannigfaltigkeit begrifflich zu gliedern. Wenn man dieses Normdenken herausstreicht, so bleibt an ihrer Gedankenführung doch noch die Analyse als solche, oder zumindest die Methode und überhaupt der Versuch einer Analyse. - Das Gesagte hat Berechtigung weit über die Physiokraten hinaus. Überall und bis in die jüngste Zeit haben Nationalökonomen versucht, in dieser oder jener gedanklichen Konstruktion Gerechtigkeit oder Richtigkeit nachzuweisen. Solche Versuche sind zum Scheitern verurteilt. Auf dem Weg zu den ihnen vorschwebenden Zielen haben sie gleichwohl gewisse Beobachtungen gemacht, gewisse logische oder mathematische Operationen angestellt, die an und für sich einen wissenschaftlichen Wert haben, ganz unabhängig vom Zweck, zu dem sie vorgenommen wurden.

Die Analyse der "natürlichen" Preisbildung durch die Physiokraten sollte nun im Laufe der Zeit noch weit fruchtbarer gemacht werden durch die Anknüpfung an den Gleichgewichtsgedanken. Schon die Physiokraten selbst hatten diese Vorstellung gestreift, daß es eine ökonomische Gleichgewichtslage gibt, auf die hin man sich die aktuelle Preisbildung ständig tendierend vorstellen muß. Bei ADAM SMITH wird nun ziemlich konsequent "natürlicher Preis" und "Normalpreis" gleichgesetzt. Von ihm führt die Entwicklung später zu WALRAS' "équilibre général", zu MARSHALLs Normalpreislehre und zu J. B. CLARKs These von der statischen und atomistischen Preisbildung als virtueller Gleichgewichtslage des aktuellen Preisbildungsablaufs. Im Gleichgewichtsbegriff hat man ein außerordentliches Instrument für eine verfeinerte und immer mehr durchgearbeitete ökonomische Theorie. Die größte Schwierigkeit ist dabei gewesen, das Trägheitsmoment und die Antizipationen zukünftiger Veränderungen einem Gleichgewichtssystem einzuordnen. Die eigentlich rein naturwissenschaftliche Gleichgewichtsmethode ist aber von Anfang an mit naturrechtlich-normativen Ideen zusammengekoppelt gewesen. Das "Gleichgewichtsprinzip" gehört also leider zu denjenigen gefährlichen Begriffen in der Nationalökonomie, die noch heutigentags gelegentlich immer wieder ein Abgleiten von der theoretischen Erklärung in normative Spekulationen ermöglichen.

Durch das physiokratische System hatte also die ökonomische Theorie schon entscheidende Impulse und die für die kommende Entwicklung bestimmenden Richtlinien aus der Naturrechtsphilosophie mitbekommen. Von ADAM SMITH an, kann man sagen, kommt die ökonomische Theorie unter den stärksten und einseitigsten Einfluß des spezifisch angelsächsischen Denkens. Nach ADAM SMITH und bis zum Durchbruch der Grenznutzentheorie wurde die Entwicklung der Theorie vor allem von Engländern vorangetragen, um nur die wichtigsten Namen zu nennen: RICARDO, MALTHUS, JAMES MILL, SENIOR, JOHN STUART MILL und CAIRNES, J. B. SAY u. a. Franzosen, die nach ADAM SMITH ökonomische Theorie schrieben, hielten sich treu in seinen Fußspuren. Eine Ausnahme macht nur der geniale COURNOT, aber er blieb auch von seinen Zeitgenossen durchaus unbeachtet. Als dann JEVONS sein Werk aus der Vergessenheit wieder hervorholte, galt seine "Ehrenrettung" doch nur der marginalen Methode, deren sich COURNOT bedient hatte, dagegen nicht der Tatsache, daß COURNOT als erster die Wertmetaphysik kritisiert und seine Preisbildungsanalyse direkt auf Erfahrungsmaterial basiert hatte: Angebot, Nachfrage und Preis.

In Deutschland sah die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts auch eine sehr reichhaltige theoretische Literatur. Hier gilt aber dasselbe, die Anlehnung an ADAM SMITH und seinen Schüler JEAN BAPTISTE SAY war vielfach so vollständig, daß große Teile der deutschen Literatur jener Zeit als direkte Abschriften der Quellen zu betrachten sind, wenn man von einigen wichtigen originellen Beiträgen zur Theorie absieht. Die hoffnungsvollen Ansätze zu theoretischer Forschung in Deutschland wurden jedoch im Keim erstickt durch die in vieler Hinsicht so berechtigte Kritik der historischen Schule am klassischen Lehrsystem. Da aber die Skepsis der historischen Schule nicht nur der herrschenden Doktrin galt, sondern abstrakter Analyse überhaupt, so verlor sie dadurch fast allen direkten Einfluß auf die Weiterentwicklung der ökonomischen Theorie. Die indirekte Wirkung der Kritik der ökonomischen Theorie. Die indirekte Wirkung der Kritik war jedoch, wie oft hervorgehoben, weit größer. Gewiß enthält die Literatur neben den eingehenden und verdienstvollen historischen und soziologischen Beschreibungen, die das Hauptinteresse bildeten, genug Theorie. Man konnte es ja nicht bleiben lassen, aus den Forschungsergebnissen Schlüsse zu ziehen, Generalisationen vorzunehmen und Erklärungen zu suchen. Das theoretische Denken war jedoch, im Gegensatz zur historischen Forschung, weniger bahnbrechend. Es besteht zum nicht geringen Teil entweder in vorschnellen Generalisationen aufgrund unzureichenden statistischen und historischen Beobachtungsmaterials, in Spekulationen mit dem Ausgangspunkt in rein staatsmetaphysischen Begriffen oder auch in der Aufzählung und Klassifizierung all der verschiedenen Umstände, die in einer gewissen Frage von Bedeutung werden können, ohne eine strenge Scheidung in wichtige und unwichtige, primäre und abhängige Ursachenfaktoren. Zu einer solchen Aufzählung fügt man dann oft noch einige meist nicht übermäßig klar durchdachte Reflexionen über einen größeren soziologischen Zusammenhang. Gibt es überhaupt einen zentralen Gesichtspunkt, so besteht er in der Apotheose der sogenannten sozialen Machtfaktoren oder der "organischen" Struktur der Gesellschaft, Ausführungen, die den wirtschaftlichen Zusammenhang zumindest nicht  erklären.  Man muß dabei zu oft an FRIEDRICH NIETZSCHEs Wort aus "Die fröhliche Wissenschaft denken, wo er davon spricht, daß die mystischen Erklärungen für tief gelten, während sie in Wahrheit nicht einmal oberflächlich sind.

Von ganz anderer Bedeutung für die ökonomische Theorie wurde die grenznutzentheoretische Reaktion. Wohl keine Idee ist fruchtbarer gewesen als die Vorstellung eines  marginalen  Preisbildungszusammenhangs. Dieser Gedanke ist neben der Gleichgewichtsvorstellung Grundlage für die ganze moderne Theorie, und erst durch die Grenzanalyse bekam die Gleichgewichtstheorie ihre konsequente Ausgestaltung. Nun kann man gewiß der Grenznutzentheorie nicht die ganze Ehre der marginalen Methode zurechnen. Die klassische Grundrentenlehre ist auf immer weitere Gebiete angewandt worden. Ihre vollständige Nutzbarmachung auf der Angebotsseite hätte wohl auch ohne die Grenznutzentheorie stattgefunden. Die Grenznutzentheorie stellte aber auch das Nachfragephänomen unter denselben Gesichtspunkt. Dadurch wurde eine einheitliche, in sich geschlossene Erklärung des großen Preisbildungszusammenhangs ermöglicht, die in der modernen Gleichgewichtstheorie vorliegt und deren Kennzeichen es vor allem ist, daß die Vorstellung eines einseitigen Ursachenzusammenhangs ersetzt worden ist durch die Vorstellung eines wechselseitigen Funktionszusammenhangs.

Diese Entwicklung, seit langem vorbereitet und von einzelnen Autoren teilweise vorweggenommen, wurde bekanntlich gleichzeitig an drei Punkten eröffnet, in Österreicht von MENGER, im französischen Sprachgebiet von WALRAS und in England von JEVONs. Die Dreiteilung besteht ja in gewissem Sinne noch heute: die österreichische Schule gründet sich auf MENGER, WALRAS hat in PARETO, FISHER, CASSEL u. a. Nachfolger gefunden, die englische Grenznutzentheorie lebt in der mehr eklektischen Form weiter, die ihr MARSHALL und seine englischen und amerikanischen Schüler gegeben haben.

Unter dem hier wesentlichen Gesichtspunkt können wir die ganze Grenznutzentheorie als einen Ausfluß englischen Denkens charakterisieren. Die Opposition der Grenznutzentheoretiker gegen die englischen Klassiker war gar nicht so durchgreifend wie sie oft selbst behauptet haben. Die Grenznutzenidee selbst war auch schon dunkel von BENTHAM u. a. utilitaristischen Moralphilosophen in England konzipiert worden. Sie steht ja in naher Beziehung zur hedonistischen Auffassung des Seelenlebens, die das spezifisch englische Denken beherrschte und im Laufe des 19. Jahrhunderts in England ihre konsequenteste wissenschaftliche Formulierung bekam und in den Rahmen der akademischen Assoziationspsychologie eingefügt wurde (JAMES MILL, ALEXANDER BAIN u. a.)

Für das Problem, das wir hier behandeln, ist es von größter Bedeutung, daß die moderne ökonomische Theorie auf dem Boden englischen Geisteslebens erwachsen ist. Darin liegt eine Erklärung für das stark utilitaristische und hedonistische Gepräge, das diese Theorie in gewissem Grad noch heute hat. Die kontigentale Philosophie wieder hat nur einen äußerst geringen Einfluß gehabt auf die Weiterentwicklung der ökonomischen Theorie. Eine nicht gerade erfreuliche Ausnahme bilden vielleicht gewisse Richtungen in der Finanztheorie, die vom Pflicht- und Staatsbegriff beherrscht werden.

Den Schlüssel für die utilitaristische Moralphilosophie bildet, wie schon erwähnt, die stark empirische Neigung, die englisches Denken überhaupt charakterisiert. Auf dem Kontinent hat man stets ein mehr oder minder klares Gefühl gehabt für die erkenntnistheoretische Schwierigkeit, Moral direkt auf Erfahrung zu gründen. Diese Skepsis gegenüber der Erfahrung kommt zu einem reifen Ausdruck bei KANT. In England wieder hat man den erkenntnistheoretischen Zweifel mehrere Jahrhunderte lang gegen die Vernunft als Moralbegründerin gerichtet. Gegen die Erfahrung ist man dagegen weniger kritisch, noch weniger kritisch in Bezug auf die Moral als in Bezug auf theoretisches Wissen überhaupt.

Einleitend nur einige Worte über die ältere Entwicklungsgeschichte der englischen Moralphilosophie. Man kann, wenn man will, auf FRANCIS BACON zurückgehen. Seine Interessen lagen jedoch hauptsächlich in anderer Richtung, und es entstand jedenfalls im Anschluß an seine Arbeiten keine moralphilosophische Diskussion von größerer Bedeutung. Weit wesentlicher für die spätere Entwicklung wurde HOBBES. HOBBES steht wohl kaum in näherer Beziehung zu BACON, hat aber dafür weit stärkeren Einfluß von der kontinentalen Naturrechtsphilosophie erfahren. Von Bedeutung für die folgende Entwicklung ist vor allem HOBBES' rein materialistische Psychologie und sein darauf gegründeter ethischer Egoismus.

Alle psychischen Erscheinungen sind nach HOBBES zu betrachten als Äußerungen unseres körperlichen Zustandes und seiner Veränderungen. Alle Handlungen eines Menschen sind natürlich - und sollen es auch vernünftigerweise sein - eingerichtet auf seine eigenen Interessen, sein Leben zu erhalten, diejenigen Zustände zu vermehren, die als Lust empfunden werden, und diejenigen zu vermindern, die als Unlust empfunden werden. Dieser prinzipielle Egoismus ist die eigentliche Grundlage für seine juristische Konstruktion der Gesellschaft und seine Gesellschaftsethik, die hier nicht näher behandelt werden soll.

Der Verfasser des  Leviathan  hat als Philosoph manche vielleicht weniger angelsächsische Züge. Paradoxal in seinem Gedankengang, oft geradezu bizarr und mit einem Streben nach rücksichtsloser Folgerichtigkeit fürchtete er sich nicht vor herausfordernden Konstruktionen. Aber gerade die Zuspitzung, die er der Problemstellung dadurch gab, machte seine wirkende Kraft aus. Unter der anschließenden Diskussion für oder gegen HOBBES kristallisierte sich so allmählich die utilitaristische Doktrin heraus. Im allgemeinen lehnte man dabei das rein egoistische Prinzip bei HOBBES ab oder suchte sich seinen ungewünschten Konsequenzen durch eine Harmoniekonstruktion zu entziehen, aber man behielt gleichzeitig die psychologisch-sensualistische Grundlage bei, d. h. die empirische Methode.

Gewiß darf man nicht sagen, daß der utilitaristische Gedankengang irgendwann einmal die englische Moralphilosophie ganz und gar beherrscht hat. Es hat stets ethische Aprioristen gegeben. Als Protest gegen HOBBES entstand ja schon im 17. Jahrhundert eine Schule, die sogenannte Cambrigde-Schule, CUDWORTH und in gewissem Sinne HENRY MORE u. a., die auf platonischer und neuplatonischer Grundlage und unter dem Einfluß von CARTESIUS die empiristische Richtung bekämpften. Der etwas spätere CLARKE folgt ebenfalls dieser Richtung, und auch bei den anderen - CUMBERLAND, LOCKE, SHAFTESBURY, BUTLER, HUTCHESON, HUME, ADAM SMITH, um nur einige Namen zu nennen - vermischt sich der empiristisch-utilitaristische Gedankengang oft mit parallel laufenden aprioristischen Argumenten.

Die methodische Verkoppelung des Empirismus mit dem Apriorismus wird in höherem Grad logisch möglich durch die eigentümliche Harmoniekonstruktion, von der später eingehend zu handeln sein wird und die besonders seit SHAFTESBURY, BUTLER und HUTCHESON einen zentralen Platz im System bekommt. Auch bei den zuletzt genannten Aprioristen trifft man rein hedonistische Argumente, die sie meistens aufgrund der Harmonielehre ihrem System haben einfügen können. Eine Klassifizierung von methodischem Gesichtspunkt aus ist deshalb recht schwer. Es fragt sich jeweils nur,  in welchem Grad  die eine oder andere Methode zur Anwendung gekommen ist. Es handelt sich darum, ob die Maximierung des Glücks betrachtet wird als eine  Folge  des richtigen Handelns oder als dessen  Kriterium,  der Grund seiner Richtigkeit, und auch in dieser Hinsicht ist man oft weder konsequent noch klar.

Besonders durch HUME hatte jedoch die empiristische Komponente eine so starke Betonung bekommen, daß es nicht länger anging, die beiden Gedankenlinien zu vereinen. Das Ergebnis ist eine radikalere Spaltung im englischen moralphilosophischen Denken. Ein latenter Gegensatz wirkt schulenbildend, und dieser Gegensatz besteht in gewissem Grad noch heute. Auf der einen Seite haben wir eine mehr aprioristische "intuitionalistische" Richtung, PRICE, REID, STEWART und WHEWELL u. a. Auf der anderen Seite wird der eigentliche Utilitarismus zu voller Reife entwickelt durch TUCKER, PRIESTLEY, PALEY und BENTHAM. Ihnen folgen JAMES MILL, JOHN STUART MILL, SIDGWICK und EDGEWORTH, sowie die ganze Assoziationspsychologie, die zuerst von JAMES MILL auf der Grundlage von HARTLEY systematisiert wurde.

Während der ganzen Entwicklung, die hier in ihren allergröbsten Zügen gegeben worden ist, hat die englische Moralphilosophie nur geringe Anregungen vom kontinentalen Denken erfahren. Am Anfang steht HOBBES in etwas stärkerer Abhängigkeit von der Naturrechtsphilosophie, BENTHAM bezieht sich auf HELVETIUS und BECCARIA, WHEWELL auf KANT, und JOHN STUART MILL empfing in den späteren Abschnitten seines Lebens starke Anregung von COMTE. COLERIDGE, CARLYLE u. a. romantisch, historisch und metaphysisch eingestellte Denker standen unter starkem deutschen Einfluß, aber ihre unmittelbaren Wirkungen auf die Moralphilosophie in England waren gering. Die ganze Diskussion hat einen ausgeprägt insulären Charakter. In späterer Zeit beobachtet man ja mit besonderem Befremden, welche verhältnismäßig geringe Rolle KANT und die durch ihn in Deutschland eingeleitete erkenntnistheoretische Diskussion gespielt hat. Diese Isoliertheit gibt der englischen Moralphilosophie eine größere Einheitlichkeit, und diese wieder stärkt, was von unserem Gesichtspunkt aus besonders wichtig ist, den Einfluß der philosophischen Grundgedanken auf andere Wissenschaftsgebiete.

Die historische Entwicklung soll uns nicht weiter eingehend beschäftigen. Unsere Aufgabe besteht nur darin, den Ideenkreis zu beleuchten, der die ökonomische Theorie in ihrer Entwicklung während der klassischen und neuklassischen Epoche umgeben und beeinflußt hat. Von diesem Gesichtspunkt aus können wir die intuitionalistische Richtung zunächst gänzlich ausschalten. Die bestimmenden Impulse sind nämlich ausschließlich utilitaristischen Ursprungs. In diesem Zusammenhang interessiert vor allem der Utilitarismus, wie er uns in PALEY und BENTHAM als seinen reinsten Vertretern entgegentritt. Von noch späteren Utilitaristen sind vor allem JOHN STUART MILL, SIDGWICK und EDGEWORTH für die Entwicklung der ökonomischen Doktrinbildung von Interesse.

Damit ist unsere erste Aufgabe präzisiert. Es gilt, den utilitaristischen Gedankengang kritisch zu analysieren, unter dessen Einfluß die ökonomische Forschung gestanden hat. Vor allem ist es die philosophische  Methode die einer genauen Prüfung unterzogen werden muß. Was die ökonomische Theorie aus der utilitaristischen Moralphilosophie übernommen hat, sind nämlich weniger bestimmte moralische Normen, bestimmte politische Postulate, ist vielmehr die wissenschaftliche Methode. Die ökonomischen Doktrinen selbst werden, kann man sagen, die geschlossenste Ausdrucksform für den Utilitarismus als einer positiven Gesellschaftsmoral. Wollen wir in der utilitaristischen Gesellschaftsmoral irgendeinen  Inhalt  finden, so müssen wir schon die Postulate der ökonomischen Doktrinbildung dafür nehmen.

Aufgrund der besonderen Aufgabe, die uns in der nachfolgenden Analyse gestellt ist, werden gelegentlich ganz andere Seite an dieser Moralphilosophie hier hervorgekehrt, als vom Standpunkt der allgemeinen Ethik am wichtisten erscheinen und deshalb von den Kritikern und Historikern der Philosophie selbst herausgearbeitet worden sind.

Die Ausgangsthese des Utilitarismus ist es, daß das Verhalten moralische beurteilt werden soll nach seinem antizipierten Ergebnis, oder genauer gesagt, nach seiner Wirkung auf die Wohlbefindensbilanz der Menschen in ihrer Gesamtheit. Man knüpft an an die alte Vorstellung eines "bonum communionis" als im Gegensatz zu einem "bonum suitatis". Das  bonum communionis  wird verstanden als eine arithmetische Summe des Glücks aller Einzelnen. Die Vorstellung ist offenbar nahe verwandt mit dem wirtschaftswissenschaftlichen Begriff "Nationaleinkommen" als Nutzensumme im subjektiven Sinn. (2) Diesen Begriff werden wir später in der einen oder anderen Aufmachung in der ökonomischen Doktrinbildung antreffen, wo er ein besonders universelles utilitaristisches Instrument ist, brauchbar bei jeder Gelegenheit, wo es gilt, allgemeine politische Schlüsse aus der theoretischen Analyse zu ziehen.

Nehmen wir einmal vorläufig die Vorstellung vom Glück der einzelnen Individuen als einer bestimmten psychologischen Quantität als richtig hin. Nehmen wir auch als selbstverständlich an, daß die Maximierung der daraus zu bildenden gesellschaftlichen Summe ein moralisches und politisches Optimum bezeichnet. Das Problematische in der utilitaristischen Maxime liegt dann in der Frage: hat man eine klare und bestimmte Begriffsfixierung, wenn man  "alle"  zum Subjekt der Glücksempfindungen macht, deren Summe maximiert werden soll?

Dazu ist zunächst zu bemerken, daß man in der Entwicklung des Utilitarismus eine ununterbrochene Ausweitung des Begriffs der Gesamtheit, des Begriffes "alle" beobachten kann. Man hat nicht nur die Nation, sondern die Menschheit als Ganzes einzubeziehen, ferner nicht nur die lebende Generation, sondern auch die noch nicht geborenen Geschlechter. (3) Mit dem ersten Problem brauchen wir uns hier nicht eingehender zu beschäftigen, da die Nationalökonomen im allgemeinen klar angegeben haben, ob sie die Nation allein oder die Menschheit als Ganzes im Sinn haben. Dagegen haben sie gewöhnlich eine Tendenz, die Interessen der noch nicht geborenen Generationen unter den Tisch fallen zu lassen. In diesem Punkt sind sie auch von seiten einer mehr "organischen" Gesellschaftsauffassung kritisiert worden. (4)

Von weit größerem theoretischen Interesse ist eine andere Art von Unbestimmtheit im Begriff der Gesamtheit. Angenommen nämlich, wir haben uns entschieden, damit eine bestimmte Bevölkerung zu meinen, eine einzelne Nation oder die Menschheit als Ganzes. Ist die numerische Größe dieser Bevölkerung damit bestimmt? Sie ist es offenbar nicht für dasjenige spezielle Problem, das nach utilitaristischem Muster in der Nationalökonomie als das Problem des  Bevölkerungsoptimums  behandelt wird.

Die logische Schwierigkeit, mit der man in diesem Problem zu tun hat, liegt gerade in der utilitaristischen Formel: das größte Glück der größten Zahl. Diese Bestimmung des politisch Wünschenswerten hat rein mathematisch die Eigentümlichkeit, daß sie die  gleichzeitige  Maximierung zweier Größen vorschreibt, die nicht voneinander unabhängig sind. Streng genommen ist der Satz sinnlos, worauf schon SIDGWICK in einem anderen Zusammenhang verwiesen hat.

Das MALTHUSsche Bevölkerungsgesetz behandelt gerade die Art der Abhängigkeit zwischen beiden Faktoren. Es sagt ja u. a. aus, daß eine Erhöhung der Volkszahl über einen gewissen Punkt hinaus das allgemein Glücks- und Wohlstandsniveau senkt. Es ist derselbe Satz, der in RICARDOs Grundrentenlehre zum Ausdruck kommt und noch allgemeiner im Gesetz vom abnehmenden Ertrag.

Aber freilich muß das Bevölkerungsproblem im utilitaristischen System irgendwie gelöst werden. Die klassische Lösung ließ kaum einen Raum für Zweifel, sie hielt sich ganz einfach an die  Glückssumme  selbst, unabhängig davon, wieviele sich in sie teilten. Diese Lösung entspricht theoretisch der Methode BENTHAMs, die Anzahl der Individuen, die Glück erfahren als eine "Dimension" oder als ein "Element" bei der Durchführung des Glückskalküls zu rechnen. Schon PALEY hatte hervorgehoben, daß man eine größere Bevölkerung mit mäßigem Wohlstand vo einer geringeren Bevölkerung mit Überfluß vorziehen muß, soweit nur die totale Glückssumme im ersten Fall größer wäre als im zweiten. Derselbe Gedanke liegt dem Werk von MALTHUS zugrunde, obwohl er niemals zu einem deutlichen Ausdruck kommt. Er kommt vielleicht am klarsten zum Vorscheint, wo er die Versuche seiner eigenen Anhänger zurückweist, aufgrund seiner Theorie Kontrazeption [Verhütung - wp] zu propagieren.

Bei JOHN STUART MILL liegt der Behandlung des Bevölkerungsproblems ein ganz anderer Begriff des Bevölkerungsoptimums zugrunde. Obwohl es nirgends richtig klar zum Ausdruck kommt, so ist es doch sachlich nachweisbar, daß er das politisch Wünschenswerte in einer gerade so großen Bevölkerung sieht, daß das  durchschnittliche  Glücksniveau das höchstmögliche wird. Diese Doktrin, die auch noch hinter MILL zurückreicht, wurde später von WICKSELL weiterentwickelt. In England rechnet man sie als eine der Leistungen CANNANs. In Amerika hat man eigentlich erst nach dem Krieg die Bevölkerungsfrage und damit die Bevölkerungsoptimumtheorie entdeckt und geht dort gewöhnlich in den Bahnen MILLs.

Die Vertreter dieser letzten Theorie pflegen sie oft als selbstverständlich hinzustellen oder jedenfalls tief verwurzelt in der ganzen abendländischen Kulturauffassung. Diese Behauptung ist etwas merkwürdig, denn dann müßte davon die ganze ältere utilitaristische Schule sowie SIDGWICK und EDGEWORTH ausnehmen. SIGDWICK weist nämlich nach, daß bei konsequentem Durchdenken des Bevölkerungsproblems aus seinen eigenen Voraussetzungen heraus sich eine ganz andere Lösung aufdrängt. Glücksmaximum und somit politisches Optimum ist vielmehr da, wo das mathematische Produkt aus der Anzahl von Personen und durchschnittlichem Glücksniveau sein Maximum erreicht (5). Dies wurde von EDGEWORTH als eine der wichtigsten Entdeckungen seiner Zeit auf dem Gebiet der Sozialwissenschaften bezeichnet und späterhin von ihm selbst entwickelt in seinen zwei Abhandlungen "New and Old Methods of Ethics" und "Mathematical Psychics". Die ganze Sache scheint jedoch heute vergessen zu sein.

Damit wollen wir nicht Partei ergriffen haben für die eine Bestimmung des Bevölkerungsoptimums gegen die andere. Beide sind natürlich gleich willkürlich. Es gibt tausend andere Möglichkeiten, eine Lösung des utilitaristischen Doppelmaximierungsproblems zu formulieren. Man muß sich jedoch für eine entscheiden, um das System geschlossen zu bekommen. Und wie auch immer man wählt, so greift man damit direkt zu einem aprioristischen obersten Prinzip und wird damit dem empiristischen Programm untreu.

Die Bevölkerungsfrage soll in dieser Arbeit nicht näher behandelt werden. Nur im Vorbeigehen mag darauf hingewiesen werden, daß die ältere Optimumtheorie starke Verbindungen hatte zu einer mehr konservativen politischen Einstellung, während die neuere mehr reformistisch gefärbt war. Sie hat auf jeden Fall als das theoretische Argument in der Propaganda für eine rationelle Beschränkung der Kinderzahl gedient. Der Zusammenhang ist durchaus nicht notwendig. Wenn die Vertreter dieser Theorie in Zukunft, etwa unter dem Eindruck der sinkenden Geburtenziffer, eine veränderte politische Einstellung zur Frage bekommen, so läßt sich die Theorie ebensogut zu einer Propaganda für größere Familien verwenden. Als politische Doktrin ist sie nämlich ganz besonders dehnbar. Es ist noch niemandem geglückt, sie in einen näheren Kontakt mit der Wirklichkeit zu bringen und nachzuweisen, wo das Optimum liegt. Im übrigen steht ja auch immer noch die andere Optimumbestimmung zur Auswahl. Sie erscheint ja ebenso selbstverständlich, und sie fordert eine Bevölkerung, die, wenn man auch nichts Näheres über ihre Größe weiß, doch jedenfalls  größer  sein muß als die Bevölkerung nach der gewöhnlichen Optimumbestimmung. Es mag hinzugefügt werden, daß die Optimumtheorie oft, zumindest implizit, zusammen mit der Freiheitsidee auftritt und so den Charakter einer allgemeinen liberalen Auffassung bekommen hat: wenn nur alle Menschen zu einer rationalen Handlungsweise erzogen werden, so realisiert sich das Bevölkerungsoptimum von selbst, in diesem Fall also dann, wenn die Propaganda für Präventivmittel auch in die unteren Schichten gedrungen ist.

Bei der Umgestaltung der utilitaristischen Maxime aus einer populären Redensart in eine logische Konstruktion, wie sie für ihre Anwendung in der nationalökonomischen Theorie erfordert wurde, mußte zuerst der Begriff der Gesamtheit fixiert werden. Schon in diesem Vorstadium zeigte es sich, daß die empiristische Ethik gezwungen war, ihre Zuflucht zu recht zweifelhaften "höchsten Prinzipien" zu nehmen. Das ist unser erstes Ergebnis.

Für die weitere Analyse soll nun angenommen werden, daß der Begriff der Gesamtheit irgendwie bestimmt worden ist, so daß das System nicht schon damit als erledigt anzusehen ist. Wir lassen es auch vorläufig dahingestellt, was hinter der Vorstellung individueller Glückssummen als mathematischer Quantitäten zu suchen ist. Wir richten unser Augenmerk nur auf die logische Operation, durch die die individuellen Glücksquantitäten zu einer Summe zusammengestellt werden, die maximiert werden soll.

Der Grundsazt, der bei diesem Additionsprozeß zur Anwendung kommt, ist ja der, daß "jeder einzelne als einer gerechnet wird und keiner für mehr als einen". Dieses Prinzip liegt ja schon in der gesellschaftlichen Utilitätsmaxime, es sagt nur aus, daß man richtig rechnen soll bei der Zusammenstellung der Quantitäten (6).

JOHN STUART MILL drückt diesen Gedanken einmal wie folgt aus:
    "... equal amounts of happiness are equally desirable, wether felt by the same or different persons ... If there ist any anterior principle implied, it can be no other than this, that the truths of arithmetic are applicable to the valuation of happiness, as of all other measurable quantities." (7)
Hier haben wir denselben Gedankengang, den man so häufig in der utilitaristischen Literatur trifft, etwa in der Formulierung, daß die utilitaristische Moral derjenige Schluß ist, der sich dem unparteiischen Beobachter aufdrängt, wenn er die Dinge objektiv sieht und sich nicht dazu verleiten läßt, dem Glück des einen vo dem des anderen einen Vorzug zu geben. Man muß sich jedoch hüten, in dieser Formulierung einen logischen Grund für den Utilitarismus zu sehen. Dieser Satz  setzt  nämlich u. a.  voraus,  daß die Glücksgrößen schon als  vergleichbare  Quantitäten erfaßt und beobachtet werden können und daß der Begriff der Gesamtheit logisch korrekt vollzogen ist. In Wirklichkeit ist es so, daß niemand von uns am Ablauf des sozialen Geschehens uninteressiert ist. Wir haben alle unsere politischen Überzeugungen. Nur mit Hilfe dieser Überzeugungen können wir überhaupt zu konkreten politischen Schlüssen kommen. Versuchen wir mit Hilfe einer starken Abstraktion die sozialen Erscheinungen "unparteiisch" zu sehen, so verlieren wir damit gleichzeitig die logischen Möglichkeiten, überhaupt eine Auffassung vom sozialen Sollen zu gewinnen. Solches ist außerhalb eines  bestimmten  Interessenstandpunktes gar nicht möglich. Die "Uninteressiertheit" des utilitaristischen Betrachters kann also nur so zu verstehen sein, daß sie einen speziellen, logisch präzisierten Interessenstandpunkt bereits impliziert und ihm eine höhere Objektivität vindiziert, anders führt sie nicht zu einem Resultat. Diese Vorstellung von der "Unparteilichkeit" irgendeiner bestimmten Wert- und Sollenskonstruktion kann in diesem Zusammenhang nicht entscheidend kritisiert werden, weil wir gegenwärtig und für Zwecke der Analyse die Vorstellung "alle" und die weitere Vorstellung von den Individualnutzen als meßbaren Quantitäten als logisch vollziehbar unterstellt haben. Wenn wir nun weiter den Nachweis als gelungen unterstellen, daß "alle" notwendig und vorbehaltlos moralisches Zwecksubjekt ist, so müssen wir ganz einfach zugeben, daß die demokratische Nutzenpoolung der Utilitaristen ein selbstverständliches Korollarium [Ableitung - wp] aller dieser logischen Prozeduren und moralischen Maximen ist. Damit bekäme dann aber auch die Phrase von der "Unparteilichkeit" einen vernünftigen Inhalt. Aber wie gesagt, eben nur unter diesen Voraussetzungen, die doch nicht haltbar sind.

In der Annahme einer Glückssummierung als logisch möglich liegt beschlossen, daß es auch eine objektiv richtige  Verteilung  von Glück gibt. Diese Glücksverteilung ist, wie die Utilitaristen später immer hervorheben, wohl zu unterscheiden von der Verteilung der  Mittel  zum Erfahren von Glück, also in der nationalökonomischen Terminologie von der Einkommens- und Besitzverteilung. Gleichwohl entsteht das zweite Problem mit einer Lösung des ersten Problems. Die richtige Glücksverteilung ist natürlich diejenige, bei der die Totalsumme von Glück maximiert. Man muß darum eine ungleichmäßigere Glücksverteilung vor einer gleichmäßigeren vorziehen, wenn dadurch die totale Glückssumme größer wird. Darin zeigt sich gerade, daß das Gleichheitsprinzip seiner Natur nach nur eine spezielle Deutung des Utilitätsprinzips ist. Daß das Gleichheitsprinzip auch einen anderen Inhalt haben könnte, davon ist nie die Rede. Wenn trotzdem der utilitaristische Gedankengang zuweilen in generellen Erklärungen zugunsten einer gleichmäßigen Glücksverteilung und sogar Einkommensverteilung ausmündet, so beruth das, wie im 5. Kapitel näher ausgeführt werden wird, teils auf dem Gedanken vom Gesetz des sinkenden Nutzens, teils auf der aus der Naturrechtsphilosophie entnommenen Vorstellung von einer ursprünglichen Gleichheit aller Menschen, die damit auch eine gleiche Fähigkeit Glück zu erfahren einschließt.

Wir stehen so schließlich vor der Voraussetzung individueller Größen von Glück als psychologischer Gegebenheiten, die zudem noch kommensurabel sind. Der Utilitarismus hat seine empirische Basis letztlich dadurch gewinnen wollen, daß er diese Voraussetzung als beobachtbare Wirklichkeit hingestellt hat.

Um diese Behauptung zu beweisen, griff man zurück auf den alten Satz, der schon in der Antike aufgestellt und im übrigen niemals ganz aufgegeben war, daß jeder Mensch, soweit er gewissenhafte und vernünftige Erwägungen anstellt, stets in der Weise handelt, daß er seine Unlust auf ein Minimum, seine Lust auf ein Maximum bringt. Diese zwei psychologischen Phänomene, Lust und Unlust, mußten nun vom Standpunkt des Willens und der Moral als vergleichbare Quantitäten aufgefaßt werden, wie verschieden sie auch unter anderen Gesichtspunkten sein mögen. Das Gesetz kann deshalb einfacher und logisch richtiger dahin formuliert werden, daß der menschliche Wille stets nach einer Maximierung des Lustnettos strebt. Wäre es anders, so wäre schon intra-individuell der Punkt des vom utilitaristischen Standpunktes aus optimalen Verhaltens nicht eindeutige definierbar. (8) Die Vergleichbarkeit der Lust- und Unlustempfindungen muß darüber hinaus nicht nur  intra-individuell, sondern  inter-individuell gegeben sein.

"Glück" wird also definiert als eine Summe der positiven Lustempfindungen und der negativen Unlustempfindungen. Von dieser Definition kommt man nicht los, sie ist der Zentralgedanke. Die Lust- und Unlustempfindungen können nur in Bezug auf ihr (positives oder negatives) Vorzeichen variieren und weiter, nach BENTHAMs berühmtem Schema, das prinzipiell nie aufgegeben wurde, in "Intensität", "Dauerhaftigkeit", "zeitlichen Abstand", und "Wahrscheinlichkeitsgrad".

Die vier letztgenannten Eigenschaften sollen das ausmachen, was BENTHAM "Dimensionen" oder "Elemente" der Lust und Unlust nannte. Dazu kam ihre "fecundity", d. h. ihre Fähigkeit, Empfindungen derselben Art nach sich zu ziehen, ihre "Reinheit", d. h. Abwesenheit von nachfolgenden Empfindungen entgegengesetzter Art, und schließlich ihre "Ausdehnung", d. h. ganz einfach die Zahl von Personen, für die die Lust- und Unlustempfindungen existent werden. Eigentlich nur im letzten Fall haben wir es mit einer weiteren "Dimension" zu tun.

Die Zusammenstellung der einzelnen Empfindungen zu individuellen Glückssummen und zur gesellschaftlichen Totalsumme stellt man sich vor als eine "Multiplikation" ihrer quantitativen Maße in den verschiedenen Dimensionen und als eine darauf folgende Addition der so herausgerechneten mathematischen Produkte. Man sah natürlich ein, daß diese Methode nicht direkt anwendbar war für jedes praktische Problem. Das beruhte aber nur auf einem Mangel an Erfahrungsmaterial, und das Streben sollte dahin gehen, dieses Material möglichst zu vermehren, um dem idealen Kalkül soweit wie möglich nahe zu kommen. Daß es sich um kommensurable psychologische Quantitäten handelte, die empirischer Beobachtungen prinzipiell zugänglich waren, obwohl die Beobachtung wenigstens vorläufig noch ihre Schwierigkeiten hatte, daran zweifelte man nicht, und daran konnte man ganz einfach nicht zweifeln, ohne das ganze System aufzugeben. Es ist in der utilitaristischen Literatur recht schlecht bestellt um Untersuchungen der emotionellen Seite des Seelenlebens, die im modernen Sinn der psychologischen Wissenschaft wirklich empirisch genannt werden könnten. Das psychologische Interesse konzentrierte sich vielmehr auf die Frage nach der Assoziation der verschiedenen Empfindungen und Vorstellungen zu höheren und mehr zusammengesetzten psychischen Erscheinungen und auf die damit verbundenen Phänomene. Diese weitläufig ausgebaute Assoziationslehre gibt der akademischen Psychologie des 19. Jahrhunderts in England ihren stark begrifflichen und intellektualistischen Charakter.

Die hedonistische Psychologie wurde so eine logische Voraussetzung für die Konstruktion der utilitaristischen Moralphilosophie. Dadurch wurde sie auch der ökonomischen Theorie auf einem sehr frühen Entwicklungsstadium einverleibt. Die Grenznutzentheoretiker wiederum gaben in ihrer subjektiven Wertlehre dem hedonistischen Prinzip eine logisch weit geschlossenere und durchdachtere Ausgestaltung, als es jemals in der Fachpsychologie bekommen hat. Die ökonomische Theorie wurde bewußt aufgefaßt als ein Lust- und Unlustkalkül (calculus of pleasure and pain), in der subjektiven Wertlehre hat man dieses Ideal zu verwirklichen versucht und in ihr haben wir die konsequenteste und vollständigste Entwicklung der empirisch-psychologischen Grundlage des Utilitarismus zu sehen.

Um das Denkschema des Utilitarismus näher zu charakterisieren, müßte nun eigentlich die neuklassische Wertlehre herangezogen werden. Mit Rücksicht auf den Dispositionsrahmen dieser Arbeit kann das jedoch nicht geschehen. Diese Wertlehre soll im 4. Kapitel behandelt werden. Jedoch möchten wir zwei Ergebnisse der späteren Analyse hier vorwegnehmen, die für den gegenwärtigen Zweck genügen.

Wir werden finden, daß die subjektive Wertlehre das hedonistische Prinzip immer konsequenter tautologisch zu formulieren tendiert. Man hat kein empirisches Erkenntniselement eingeführt und wird so zu Zirkeldefinitionen gezwungen. Die Hoffnung des Utilitarismus, durch solche begriffliche Operationen eine empirische Grundlage zu gewinnen, kann sich natürlich niemals erfüllen.

Bei der sorgfältigen Begriffsanalyse, die die Werttheoretiker dem hedonistischen Glückskalkül gewidmet haben, sind sie zu dem Eingeständnis gezwungen worden, daß Lust- und Unlust-, Glücks-, Nutzen- und Wertquantitäten, selbst wenn sie individuell zu bestimmen möglich sind, doch interindividuell vollkommen inkommensurabel sind. Schon aufgrund ihrer logischen Begründung sind sie Quantitäten sui generis [aus sich heraus - wp], Vergleich oder Addition ist unmöglich. In keinem Punkt sind die Werttheoretiker so einig wie hier. Leider unterlassen sie es durchweg, die Konsequenz hieraus zu ziehen, was jedoch der Richtigkeit ihres Grundsatzes keinen Abbruch tut.

Durch die konsequente Durchdenkung der subjektiven Wertlehre, die direkt unter utilitaristischem Einfluß entstanden war und ursprünglich der Konkretisierung des gesellschaftlichen Nutzenkalküls zu dienen bestimmt war, wurde somit die Grundlage für das ganze utilitaristische Denksystem erschüttert. Die Werttheorie war jedoch so eng mit der utilitaristischen Gesellschaftsphilosophie verwachsen, daß es ihre Vertreter nicht bleiben lassen konnten, die individuellen Werte zu sozialen Werten zusammenzustellen. Sie kamen von der normativen Einstellung des Utilitarismus nicht los. Die Konstatierung der Inkommensurabilität der individuellen psychologischen Quantitäten steht nur in den einleitenden Kapiteln ihrer Arbeiten. Die generelle Bedeutung der Sache wird weder erkannt noch kenntlich gemacht.

Die logische Schwierigkeit, individuelle Glücksgrößen zu konstruieren und ihre Zusammenstellung zu einer sozialen Totalsumme von Glück zu bemeistern, bietet den Schlüssel zum Verständnis des utilitaristischen  Harmonie argument. Seinen klarsten Ausdruck bekommt es bei älteren Autoren, aber auch in der modernen Literatur fehlt es selten, obwohl man es da öfter unter den stillschweigend eingeführten Voraussetzungen zu suchen hat. Wäre es nämlich so, daß die Interessen der Menschen immer und überall zusammenlaufen, daß der Einzelne das Wohl seiner Mitmenschen am besten fördert, indem er lediglich in seinem eigenen Interesse handelt,  so wäre die erwähnte soziale Summierung überflüssig  für die Erlangung des politischen Schlußsatzes. Wie immer man eine Zusammenstellung vornehmen würde, so würde man auf jeden Fall maximales allgemeines Wohlbefinden erreichen ganz einfach durch die vollständige Verwirklichung des laissez-faire-Prinzips. Nach dem, was wir in früheren Teilen dieses Kapitels ausgeführt haben, ist es nicht verwunderlich, daß man von hier aus wieder den naturrechtsphilosophischen Ideen recht nahe kommt. Das darf auch nicht vergessen werden, wenn man die zähe Lebenskraft der liberalistischen Doktrin in der Nationalökonomie erklären will. (9)

Bei den utilitaristischen Philosophen hat also stets eine starke Neigung zu sozialen Harmoniekonstruktionien bestanden, schon aus dem Bedürfnis heraus, logischen Dissonanzen aus dem Weg zu gehen. Die Lehre von der freien Konkurrenz hat in gewissen logischen Schwierigkeiten der utilitaristischen Denkmethode ebenso einen treuen Bundesgenossen gehabt. Diese Schwierigkeiten wären nämlich in noch höherem Grad akzentuiert worden, wenn nicht die Harmonielehre ihre zentrale Stellung im System innegehabt hätte. Noch von einem anderen Gesichtspunkt wird die Harmonielehre im Utilitarismus logisch notwendig. Sie allein kann nämlich der Moral die Objektivität geben, die der Utilitarismus voraussetzte. Der zentrale Gedanke im Utilitarismus ist ja, daß man sowohl das faktische Handeln wie das moralische Handelnsollen aus derselben "Ursache" herleiten kann: Lust und Unlust, im Grund eine typisch naturrechtsphilosophie Vorstellung. Daß jemand gezwungen wäre, um moralisch zu handeln, seinem eigenen wirklichen Interesse entgegenzuhandeln, wäre ein Widerspruch gegen den utilitaristischen Ausgangspunkt gewesen.

Die beiden logischen Schwierigkeiten machen die Harmonielehre innerhalb des Utilitarismus wünschenswert, ja notwendig. Der Beweis für die Harmonielehre ist in verschiedener Weise geführt worden. Manchmal hat man sich des alten, etwas sophistischen Arguments bedient, daß das individuelle Interesse als der untergeordnete Begriff im Kollektivinteresse als dem höheren Begriff eingeschlossen ist. Indem man sein eigenes Wohlbefinden steigerte, erhöhte man auch das der Gesellschaft im ganzen, ebenso wie man mit der Vermehrung des Teils immer zugleich das Ganze vermehrte. Die Interessenkonflikte waren damit einfach unter den Tisch gefallen.

Diese Beweisführung ist jedoch gar zu rationalistisch angelegt und gar zu durch sichtig, als daß die englischen Philosophen mit ihrem klugen Instinkt für alles Praktische sich an sie gehalten hätten. In einer etwas mehr ausgearbeiteten Form hat sie jedoch eine größere Rolle gespielt. Man sagt ungefähr wie folgt. Wir Menschen leben in einem gesellschaftlichen Verband und sind in hohem Grad von unseren Leistungen gegenseitig abhängig. (Dieser Gedankengang wird uns in ADAM SMITHs Theorie der Arbeitsteilung begegnen.) Diese Leistungen kommen der Gesellschaft am billigsten zu stehen, wenn den egoistischen Strebungen allenthalben freier Spielraum gelassen wird. Das Erwerbsstreben ist eine von der Vorsehung in die Menschennatur gelegte Kraft, die zu Nutz und Frommen aller wirksam wird, wenn sie sich nur frei auswirken kann. Wenn jemand sein Einkommen zu erhöhen strebt, so ist das gleichzeitig zum Nutzen für alle anderen. Er kann es nämlich nicht erhöhen, ohne daß er seinen Mitmenschen bessere und billigere Dienste anbietet als seine Konkurrenten: es ist die Konsumtion, die die Einrichtung der Produktion bestimmt.

Damit sind wir auf einem nur etwas längeren Umweg zu derselben spontanen Harmonie der richtig verstandenen egoistischen Interessen gekommen. Im klassischen Liberalismus erhält dieser Gedankengang einen fast religiösen Anstrich. ADAM SMITH hat ihm ja seinen unsterblichen Ausdruck gegeben in den ständig zitierten Worten, daß der "einzelne von einer unsichtbaren Hand geführt wird, ein Ziel zu verwirklichen, das nicht Teil seiner Absichten war".

Das Verdienst, diese Harmoniekonstruktion schon früh bloßgestellt zu haben, gebührt ohne Zweifel MANDEVILLE. In seiner Schrift "Fable of the Bees; or, Private Vices, Publick Benefits" hat er die Harmonielehre in dieser ihrer uneingeschränkten Form in der englischen Moralphilosophie unmöglich gemacht, obwohl sie sich in der Nationalökonomie noch weiterhin gehalten hat. Die Fabel will nachweisen, daß, wenn auch der Einzelne von seiner Tüchtigkeit eine persönliche Befriedigung hat, die Wohlfahrt der Kulturgesellschaft gleichwohl auf dem Vorkommen von wünschenswerten "Lastern" beruth. Der Wohlstand eines Volkes beruth auf dem Erwerbsstreben und der Betriebsamkeit der Bürger. Das Erwerbsstreben hat jedoch seine Wurzel in einer Serie unmoralischer Eigenschaften: Machtbegehren, Ehrgeiz und Genußstreben usw.

In dieser zugespitzten Form weckte die Doktrin natürlich Unwillen bei den in Dingen der Moral so empfindlichen Engländern. Man könnte nun zunächst einwenden, daß die Eigenschaften, die MANDEVILLE als "Laster" bezeichnet, nicht an und für sich unmoralisch sind. Niemand hat diesen Einwand so prägnant formuliert wie ADAM SMITH in seiner "Theoriy of Moral Sentiments". Trotzdem kam man nicht davon los, daß wir Menschen neben unseren "egoistischen Interessen" mit moralischen Qualitäten rechnen, die unabhängig von ihrer Beziehung zu den Interessen an und für sich lobenswert sind, wie Edelmut, Opferwilligkeit, Mitgefühl, Rechts- und Billigkeitsempfinden und dgl. Sie müssen im utilitaristischen System ihren Platz finden, wenn nicht seine objektive Gültigkeit - schon gegenüber dem eigenen moralischen Gewissen der Moralphilosophen - in Gefahr kommen soll.

So wurde man auf eine Unterscheidung zwischen rein egoistischen Interessen auf der einen Seite und "sympathischen" oder sozialen Interessen auf der anderen geführt (wobei letztere später nach COMTE auch die altruistischen genannt wurden). Die Nächstenliebe hat stets eine gewisse Rolle gespielt in den englischen moralphilosophischen Systemen. Ansätze zu einer Harmoniekonstruktion auf dieser Grundlage finden sich schon bei BACON und LOCKE und besonders bei CUMBERLAND und CLARKE. Voll entwickelt tritt uns diese Theorie erst bei SHAFTESBURY entgegen, der sie zum Mittelpunkt seines moralischen Systems machte. Der Gedankengang wurde später von BUTLER, HUTCHESON, HUME und ADAM SMITH übernommen, die ihm jeder eine persönliche Note in der Ausgestaltung gaben.

Der Hauptgedanke ist allenthalben, daß kein wirklicher Gegensatz besteht zwischen den sozialen Affekten und dem eigenen Interessen. Wer wirklich sein höchstes Wohlbefinden erreichen will, muß die direkt eogoistischen Impulse in gewissem Maße Unterdrücken und statt dessen die altruistischen zu Worte kommen lassen. Das optimistische Element in dieser Konstruktion ist die Vorstellung, daß der Punkt, von dem ab die egoistischen Affekte für die Gesellschaft als Ganzes von Übel sind,  zusammenfällt  mit dem, wo sie für das Individuum selbst nachteilig zu werden beginnen.

Die altruistischen Interessen sind darum, tiefer gesehen, auch egoistisch, ob man nun das Eigentinteresse ihre eigentliche Wurzel sein läßt oder nicht. Es ist klug, Gefühle der Menschenliebe zu hegen und soziale Rücksichten zu nehmen. Legen wir uns gewissenhaft und vernunftgemäß Rechenschaft ab über unsere wirklichen Interessen, so laufen sie mit dem allgemeinen Wohlfahrtsinteresse zusammen, sie tendieren dahin, das allgemeine Wohlbefinden, den gesellschaftlichen Nutzen, zu maximieren. Schließlich sind wir also von neuem bei demselben optimistischen Glauben, daß die Gesellschaftsentwicklung bestimmt wird von harmonisch sich vereinigenden Sonderinteressen, die man deshalb nicht am Wirksamwerden hindern darf. Man konnte natürlich an der Realität des "Bösen" nicht vorbeisehen, aber böse Menschen, glaubte man, waren böse, nur weil sie ihr eigenes wahres Interesse nicht richtig erkennen konnten, oder sie waren auch von legalen Schranken umgeben, die sie daran hinderten, ihrer vernünftigen Gutheit zum eigenen und allgemeinen Frommen freien Spielraum zu lassen.

Diese Gedankenführung war besonders durchschlagkräftig bei den damals schon wie auch heute noch klassisch belesenen Engländern aufgrund der vielleicht etwas weit hergeholten Analogie zum platonischen und sokratischen Rationalismus und zur stoischen Tugendlehre. Einen noch besseren Bundesgenossen hatte sie in der Religion. Das Christentum hat ebenso wie andere Religionen rein utilitaristische Argumente nicht verschmäht. In vergeistigter Gestalt treffen wir diese Argumente schon in der Bergpredigt. Im Gedanken von der ewigen Strafe und von den in Aussicht stehenden Belohnungen moralischen Verhaltens hat man ja unwiderlegliche Beweise dafür, daß es auch nach der Lehre des Christentums im Interesse des einzelnen liegt, gut zu sein.

Es ist gewiß nicht zu bezweifeln, daß die englischen Harmoniephilosophen letztlich von rein religiösen Vorstellungen beherrscht waren. Sie versuchten jedoch im allgemeinen ihre Thesen zu beweisen, ohne auf die religiöse Offenbarung und die ewige Vergeltung zurückzugreifen. Die religiöse Sanktion war gewiß eine starke Stütze für die utilitaristische Objektivität der Moral, sie schuf ohne weiteres ein starkes Eigeninteresse an guten Werken. Aber von einem anderen Gesichtspunkt aus war sie umso gefährlicher. Da die Sanktion außerhalb der Reichweite der empirischen Erfahrung lag, so wurde die Moral als Ganzes wissenschaftlich unbestimmbar. Jede beliebige positive Moral wäre ja utilitaristisch unwiderleglich gewesen, wenn man nur die religiöse Sanktion an sie anknüpft. Man suchte der Schwierigkeit dadurch aus dem Weg zu gehen, daß man wie gewöhnlich nach einer rein empirischen, d. h. psychologischen Verifikation strebte und sich einfach darauf verließ, daß das Resultat schon die religiöse Sanktion haben würde. Mit diesem Ziel vor Augen glaubte man zunächst eine gewisse Grundlage für den ganzen Gedankengang in der Assoziationspsychologie zu finden. Wenn jemand hinreichend oft gemerkt hat, daß ihm seine altruistischen Handlungen Nutzen bringen, so bekommen diese hinterher einen Wert in sich selbst. Durch die überlieferte Konvention und die Macht der Erziehung wird diese Wirkung noch gesteigert. Die gesellschaftliche Konvention verstärkt die altruistischen Affekte auch noch auf einem direkteren Weg. Es besteht ein ganz offenbares egoistisches Interesse der Menschen, daß andere sich ihnen gegenüber tugendhaft verhalten. Aufgrund dessen haben altruistische Handlungen traditionsgemäß die Eigenschaft erhalten, dem Handelnden die Billigung seiner Mitmenschen zu verschaffen, was an und für sich ein Anlaß zu Lustempfinden und damit zum Wohlbefinden für ihn selbst ist. Man legt auch gewisses Gewicht auf die innere Befriedigung, die eine gute Handlung mit sich führt und auf den schmerzhaften Verdruß, der einer schlechten Handlung folgt.

Gerade diese Versuche, die Harmonie psychologisch zu beweisen, machen den eigentlich utilitaristischen Einschlag im Gedankengang aus. Auf der anderen Seite sind sie auch gerade von einem utilitaristischen Gesichtspunkg aus äußerst gefährlich. Man verknüpft dadurch den Gedankengang mit der Unterscheidung zwischen egoistischen und altruistischen Motiven, die seine allgemeinen psychologischen Voraussetzungen wieder aufhebt.

Der Begriff des Altruismus wurde im weiteren Verlauf zu einem Element, an dem die utilitaristische Anschauung zerbracht. Sobald nämlich dieser Begriff in die Diskussion eingeführt ist, liegt es näher, die moralische Rechtfertigung und das Kriterium des Moralischen in dem auf das Gute gerichteten  Wollen  oder in einem guten  Fühlen  als der Voraussetzung des guten Wollens zu sehen. Damit hat man in der Tat den Utilitarismus aufgegeben. Sein Grundgedanke als Moralphilosophie ist ja der, daß eine Handlungsweise moralisch gut ist, weil ihre Folgen gut sind, nicht weil der Wille gut ist. Hier hat man stattdessen den Willen als gut erklärt, weil er von einem moralischen Gefühl getragen ist, das man seinerseits auf andere Weise definiert hat, z. B. durch die Eigenschaft, daß es in einem Mitfühlen von Wohl und Unwohl der anderen besteht. Es hilft nicht, wenn man im Anschluß daran die Hoffnung ausdrückt, daß ein moralisches Handeln das allgemeine Wohl fördert.  Das Resultat ist ja nicht mehr die Bedingung.  Moralischer Optimismus ist nicht etwas, das den Utilitarismus allein kennzeichnet. Er ist ein Stück Lebenseinstellung bei allen wohlmeinenden Menschen. Das Charakteristische für den Utilitarismus ist nicht diese diffuse Glaube an die gesellschaftliche Nützlichkeit der Moral, sondern der Glaube an eine spezielle Methode,  Moral aus dem gesellschaftlichen Nutzen her objektiv zu bestimmen. 

Der innere Zwiespalt tritt erst ans Licht, wenn man in Zweifel gerät über die allgemeine Interessenharmonie. Daran sehen wir von neuem, wie die innere Logik des moralsystematisierenden Denkens auf die Harmonielehre hintreibt. Solange man diese Harmonievoraussetzung als gegeben hinnimmt, kann man gutes Wollen oder Fühlen als ein Wollen oder Fühlen des Wohls auch der Mitmenschen definieren und doch die beiden Moralkriterien in einem utilitaristischen Rahmen vereinigen:  aufgrund der Voraussetzungen  können sie nicht in Konflikt geraten. Unter diesem Gesichtspunkt muß man HUTCHESONs sonst merkwürdig anmutende Unterscheidung zwischen materieller und formeller Gutheit ansehen: materiell ist eine Handlung als gut anzusehen, wenn sie das Allgemeinwohl zu steigern tendiert, formell ist sie gut, wenn sie einem guten Wollen entspringt.

Sobald man aber in Zweifel gerät über die Faktizität der Interessenharmonie - und die Vorstellung ist ja recht merkwürdig in unserer unvollkommenen Welt und der Beweis dafür nicht sonderlich überzeugend -, ist die ganze Grundlage des Utilitarismus erschüttert. Es ging ihm ja darum, eine Gesellschaftsmoral auf der empirischen Faktizität des rationalen Eigeninteresses aufzubauen.

So erwuchs, wie schon erwähnt, auf englischem und vor allem auf schottischem Boden eine Opposition gegen die utilitaristische Moralphilosophie. Auch wo der Bruch nicht voll durchgeführt wird, geben die bestehenden Inkonsequenzen ein Zeugnis für dieselbe Tendenz. Viel ist geschrieben worden über den Gegensatz zwischen ADAM SMITHs ökonomischen Anschauungen und der Moralphilosophie, die er in seinem Werk "Theory of Moral Sentiments" geprägt hat. Es hat deutsche Philosophen gegeben, die ADAM SMITH geradezu zu einem Vorläufer von KANT erhoben haben.

Auf der anderen Seite entsteht der jüngere, reinere Utilitarismus gerade aus dem Zwiespalt. Nach den letzten Ausführungen kann man schon erwarten, daß die späteren Utilitaristen sich den Nachweis der Interessenharmonie haben besonders angelegen sein lassen, um die Objektivität des utilitaristischen Moralkriteriums zu wahren. Die sogenannten theologischen Utilitaristen nahmen dabei ihre Zuflucht zur theologischen Sanktion, die ja, wie erwähnt, stets offensteht, jedoch nicht ohne Gefahren für das System ist. BENTHAM nennt zwar auch die theologische Sanktion neben den anderen, läßt sie aber ganz in den Hintergrund treten. Nach ihm verliert sie jede Bedeutung in der Diskussion. Einen voll befriedigenden Ersatz findet BENTHAM jedoch nicht.

Es besteht eine gewisse Schwierigkeit, die Stellung BENTHAMs zur Harmonielehre klar festzustellen. Ganz prinzipiell hatte ja BENTHAM die Ansicht, man könne vom Menschen nicht verlangen, daß er nach irgendetwas anderem strebt als seinem eigenen Wohlbefinden. Gleichzeitig stellt er als politische Norm auf: "größtes Glück der größten Zahl" und meint, die Bemühungen der utilitaristischen Gesellschaftsreformer müßten darauf zielen, genügend starke politische und z. B. strafrechtliche Sanktionen zu schaffen, um das Allgemeinwohl für die Individuen dennoch erstrebenswert zu machen.

Bei dem Bemühen, solche Sanktionen zu schaffen, muß sich der Gesellschaftsreformer von der Sorge um das Allgemeinwohl leiten lassen. Dieses Streben wird von BENTHAMs Standpunkt aus nur verständlich und mit seinen sonstigen Ausführungen vereinbar, wenn man eine allgemeine Interessenharmonie voraussetzt. Erst auf dieser Grundlage wird BENTHAMs Satz verständlich, daß es eigentlich nicht verschiedene soziale Ansichten gibt, sondern nur verschiedene Grade von Einsicht. Ausdrücklich hervorgehoben hat BENTHAM die Voraussetzung der Harmonielehre nicht. Aber sie findet sich stark betont in dem von einem Schüler bearbeiteten und aus dem Nachlaß herausgegebenen Werk "Deontoloy": "vice may be defined as a miscalculation of chances" [Das Laster kann als Fehleinschätzung der eigenen Möglichkeiten betrachtet werden. - wp]. Wenn man annimmt, daß BENTHAMs System durchdacht ist, muß man sich wohl denken, daß der einzige Sinn der zu schaffenden Sanktionen darin besteht, das bereits vorhandene Eigeninteresse an moralischen Handlungen  zu verstärken.  Eine solche Nachhilfe muß höchst wünschenswert sein, da ja nach seiner Auffassung die Menschen sowohl schwach als auch unvernünftig sind. Wenn es auch um den Beweis der zugrundeliegenden Harmonielehre bei BENTHAM recht schlecht bestellt ist, so tun wir ihm sicher kein Unrecht, wenn wir sie zumindest als Grundlage seines Gedankengangs konstatieren und sie dann zugleich als eines der verachteten "obersten Prinzipien" charakterisieren.

Der Utilitarismus, der der ökonomischen Doktrinbildung einverleibt worden ist, ist nun, das muß hinzugefügt werden, von der allerkrassesten Natur. Der Altruismus spielt im großen Ganzen eine minimale Rolle. Die Harmonielehre wird zur zentralen Vorstellung, sie bekommt einen "rein egoistischen", "rein ökonomischen", "rein wirtschaftlichen" Ausgangspunkt, und es wird die Aufgabe der Nationalökonomie durch das ganze 19. Jahrhundert hindurch, sie immer wieder aufs Neue zu beweisen, teilweise auf neuen Wegen und mit neuen Einschränkungen versehen.

Bevor wir die utilitaristische Moralkonstruktion verlassen, soll noch auf eine andere Lücke bei den Utilitaristen hingewiesen werden. Die Frage, in welchem Grad verschiedene "Arten" von Bedarf bei der Zusammenstellung ungleich behandelt werden sollen, hat den Utilitaristen viel Kummer gemacht. Dieses alte Problem spielt bekanntlich eine große Rolle bei der ewig wiederkehrenden Kontroverse: Ethik und Nationalökonomie. Es ist ein strittiger Punkt, der so lange bleiben wird, wie die Nationalökonomie Doktrinen über "richtiges Verhalten", d. h. solange sie selbst versteckte Moral oder überhaupt Verhaltensvorschriften enthält. Seit CARLYLE und RUSKIN haben die Ethiker die Nationalökonomie ständig angegriffen als "unethisch", es ist ihnen niemals aufgegangen, daß das einzige, was sie überhaupt zum Angriff auf die Nationalökonomie berechtigt, die Tatsache ist,  daß  die Nationalökonomie ethisch ist und nicht "a-ethisch".

Die Stellung des konsequenzen Utilitarismus zu diesem Problem ist von seinem Ausgangspunkt aus durchaus klar: Es handelt sich um eine arithmetische Summierung, die einzelnen Wertungen müssen jede mit ihrer hedonistischen Quantität in die Summe eingehen. Das ist eine notwendige Konsequenz aus dem methodischen Ausgangspunkt. Schon die älteren Utilitaristen geben der prinzipiellen Qualitätsgleichheit des Bedarfs und seiner mathematischen Kommensurabilität klaren und oft drastischen Ausdruck. ABRAHAM TUCKER meint z. B., daß die Befriedigung dem Grad nach variieren kann, aber stets von gleicher Art ist, gleichgültig ob jemand vorzieht, gute Musik zu hören, etwas Schönes zu sehen, etwas Gutes zu essen, etwas Lobenswertes zu tun oder etwas Angenehmens zu denken. BENTHAM hat ja die berühmte Äußerung: "Quantity of pleasure being equal pushpin is as good as poetry." [Die Quantität des Vergnügens nach der eine Reißzwecke genauso viel wert ist wie Poesie. - wp] Vom Standpunkt der psychologischen Ethik, die man trieb, konnte es auch keine eigentlich "schlechten" Motive geben. Die Motive des Handelns sind stets der Begehr nach Wohlbefinden.

Die Vorstellung, daß es "niedere" und "höhere" Genüsse gibt, ist aber doch so alt und wurzelfest, und sie hat so lange Zeit die Sanktion der Religion genossen, daß man oft nur mit deutlichem Bedenken und nach weitläufigen Argumentationen sich mit der arithmetischen Methode einverstanden erklärt hat. Die Bedenken sind mit der Diskussion verknüpft worden, die um den Begriff des Altruismus entstand. Auch die Frage der verschiedenen Qualität des Bedarf hat viele englische Moralphilosophen dem Utilitarismus entfremdet. Das ist auch weiter nicht verwunderlich, wir haben es mit dem klassischen Einwand gegen alle epikuräische Philosophie zu tun.

Es ist höchst interessant zu sehen, wie JOHN STUART MILL dieser Schwierigkeit Herr zu werden sucht. Sein Gedankengang gewährt nämlich einen didaktisch besonders gut zurechtgelegten Einblick in die utilitaristische

. Zunächst nimmt er die Epikuräer in Schutz, obwohl mit einem kleinen Vorbehalt. Die epikuräischen Lebensanschauungen haben stets, sagt MILL, die Genüsse des Verstandes, der Phantasie, des Gefühlslebens und besonders des moralischen Empfindens höher gewertet als die rein sinnlichen Genüsse. Aber sie haben die Überlegenheit der geistigen Genüsse gegenüber den physischen lediglich auf die größere Dauerhaftigkeit, Sicherheit, Billigkeit usw. der ersteren zurückgeführt. Darin haben sie nun vollkommen recht, aber sie haben ein wichtiges Argument vergessen, das MILL "den höheren Gesichtspunkt" nennt (10)

Darauf folgt dann MILLs Vervollständigung des Gedankengangs. Wenn von zwei Genüssen einer vorgezogen wird, von allen oder fast allen, die beide kennen und zu erfahren vermögen, ohne daß sie sich dazu moralisch verpflichtet fühlen, so ist das der wertvollere Genuß. Es ist nun eine unbestreitbare Tatsache, daß diejenigen, die geistige und physische Genüsse kennen, den ersteren allgemein den Vorzug geben (11). Er gibt dann zu, daß "Versuchungen" Abweichungen von der "richtigen" Wertung bedingen können (12) und macht auch gewisse Einschränkungen für die "Macht der Gewohnheit", zwei Faktoren, die wir als "Abweichungen" von der Grenznutzentheorie wiederfinden werden.

Ohne näheren Beweis werden beide Faktoren als zufällig angesehen. Sollte es nämlich geschehen, daß jemand, der wirklich "höhere" Genüssen kennen gelernt hat, doch konsequent "niedere" bevorzugt, so  glaubt  MILL, daß dieser Mensch, bevor er sich den letzteren restlos hingibt, seine Fähigkeit verloren hat, die ersteren wirklich zu erfahren. Die Fähigkeit zu edleren Gefühlen vergleicht er mit einer sehr empfindlichen Pflanze, die leicht abstirbt, nicht nur durch feindliche Einflüsse, sondern schon durch einen Mangel an Nahrungszufuhr (13). Das Ergebnis ist also, daß man sich bei der utilitaristischen Summierung zu verlassen hat auf das Urteil derer, die beide Arten von Genüssen kennen, oder, falls die Meinungen geteilt sind, auf das der Mehrzahl (!) von ihnen (14). Mit einem  induktiven  Beweis von übrigens ganz zweifelhafter majoritätsparlamentarischer Art hat MILL also gezeigt, daß die qualitativ "höheren" Genüsse auch die im hedonistischen Sinne quantitativ größeren sind. Das muß nämlich der Inhalt von MILLs Darstellung bei sinngemäßer Deutung sein, obwohl diese Darstellung formell nicht gerade klar ist. Wie allenthalben ist die Moral hier wieder auf eine Kenntnis des wahren Nutzens zurückgeführt. MILLs intelligente Zweifel sind den Notwendigkeiten seiner Methodik geopfert worden. Worauf schon SIDGWICK hinweist: die Qualitätsunterschiede, die MILL u. a. geltend zu machen versuchen, können zugegeben werden, aber nur wenn und soweit sie in Quantitätsunterschiede aufgelöst werden können (15).

Wir kommen nunmehr zu der letzten und äußersten Denkschwierigkeit des Utilitarismus. Nehmen wir einmal an, daß das Unmögliche möglich wäre, daß überhaupt so etwas existiert wie Nutzenquantitäten und daß diese Nutzenquantitäten zu einer gesellschaftlichen Summe zusammengestellt werden könnten. Als letzte Frage bleibt dann die: Warum nennt man gerade den Willen gut, der darauf gerichtet ist, das so definierte gesellschaftliche Nutzenquantum zu maximieren? Warum gerade dieses Ergebnis als politisches Optimum bezeichnet?

BENTHAM und PALEY behandelten die Frage überhaupt nicht, ebensowenig wie die anderen älteren Utilitaristen. Die Objektivität der utilitaristischen Moral war für sie ein Truismus [Binsenwahrheit - wp]. Der Truismus, meinten sie, lag in dem  gemeinsamen  psychologischen Grund für das faktische Handeln und das moralische Handelnsollen, die Harmonielehre ist einfach das logische Denkresultat dieser postulierten Gemeinsamkeit. Von neuem war man also zum Rückgriff auf a priori gültige Vernunftsätze gezwungen worden. Den empiristischen Grundgedanken hatte man wieder fallen lassen müssen und gerade an dieser Stelle, wo Empirismus gefunden werden sollte.

JOHN STUART MILL, der wie gewöhnlich einen schärferen Blick für die erkenntnistheoretischen Schwierigkeiten beweist, ist vorsichtiger. So nebenbei weist er darauf hin, daß in den Fragen nach den letzten Zielen eine Beweisführung im gewöhnlichen Sinn des Wortes nicht möglich ist. Das hindert ihn jedoch nicht, ebenso wie die anderen Utilitaristen unausgesetzt von Beweisen im gewöhnlichen Sinn des Wortes zu sprechen, die positive Moral eine Wissenschaft zu nennen und die Objektivität der utilitaristischen Ethik gegenüber anderen Anschauungen zu verteidigen.

MILLs Argument ist, wie bekannt, das folgende: Der einzige Beweis für die Möglichkeit eines gedachten Zielstrebens liegt darin, daß einzelne Personen diesem Ziel wirklich nachstreben. Der Beweis für die Erwünschtheit von irgendetwas liegt darin, daß es wirklich von Menschen gewünscht wird. So ist auch Wohlbefinden erwünscht, weil ihm jeder einzelne nachstrebt. In dieser Tatsache liegt alles, was als Beweis erforderlich ist für den Satz, daß Wohlbefinden des einzelnen ein Gut ist für ihn selbst und infolgedessen das allgemeine Wohlbefinden für die Gesamtheit aller (16).

In diesem Punkt wird MILL von SIDGWICK kritisiert. SIDGWICKs Gegenbeweis ist etwa wie folgt: Es gibt keine notwendige Verbindung zwischen MILLs Behauptung und irgendeiner bestimmten ethischen Theorie. Soweit eine natürliche Tendenz besteht, vom psychologischen zum ethischen Hedonismus überzugehen, muß der Übergang zunächst zur egoistischen Phase des letzteren erfolgen. Von der Tatsache - wenn es eine solche ist -, daß jeder Einzelne sein eigenes Wohlbefinden anstrebt, können wir nicht unmittelbar und als selbstverständlich schließen, daß er das Wohlbefinden  anderer  anstreben  sollte.  (17) In dieser logischen Verschiebung wird u. a. die ganze Harmonielehre impliziert.

SIDGWICKs eigene Herleitung der Utilitätsmoral ist bedeutend vorsichtiger. Er ist sich klar bewußt, daß man hiher zu einem Postulat a priori gezwungen wird. Er findet eine Verbindung zwischen Utilitarismus und Intuitionalismus darin, daß der Utilitarismus letztlich auf einem Prinzip aufbaut, "das, wenn es überhaupt erkannt werden kann, intuitiv erkannt werden muß, und zwar daß das persönliche Glück einziges rationales und letztes Ziel jeder Handlung ist." (18) Eine gewisse Stütze für diese aprioristische Postulat sucht er mit der Behauptung zu erbringen, daß der Utilitarismus  einen systematischen Rahmen für unsere moralischen Vorstellungen gibt.  Sein letzter Trumpf ist dann die Frage: "Wenn wir das menschliche Handeln nicht dadurch systematisieren, daß wir das Allgemeinwohl als das gemeinsame Ziel setzen, nach welchem anderen Prinzip sollen wir es denn dann systematisieren?" (19)

Beweiskraft kann man darin nur sehen, wenn man mit SIDGWICK  voraussetzt, daß es wirklich ein letztes moralisches Prinzip von allgemeiner Gültigkeit gibt,  ein Prinzip, das "die unzusammenhängenden und zuweilen widerstreitenden Prinzipien für das allgemeine moralische Denken zu einem vollständigen und harmonischen System verbindet." (20) Damit setzt man aber voraus, daß die moralischen Vorstellungen der Menschen überhaupt logisch systematisiert werden können und daß das in so hohem Grad geschehen kann, daß sie einem einzigen Prinzip in der Weise untergeordnet werden können, daß sie sämtlich nur als Korollarien [Ableitungen - wp] zu diesem Prinzip erscheinen. SIDGWICK nimmt damit eine innere logische Übereinstimmung dieser moralischen Vorstellungen an, eine innere Übereinstimmung, die gewiß zeitweilig durch den menschlichen Unverstand verdunkelt werden kann, die aber die Moralphilosophie aufzeigen kann (21). Wäre SIDGWICK auch in dieser Beziehung etwas skeptischer gewesen, wäre ihm auch diese seine Herleitung der Utilitätsmoral verschlossen geblieben.

Was SIDGWICK hier offen ausgesprochen hat, ist zweifellos für die Utilitaristen zu allen Zeiten die Basis für ihren moralphilosophischen Glauben gewesen: Sie sahen darin eine Möglichkeit, den unzähligen und scheinbar widerstreitenden Moralvorstellungen bei den Menschen eine systematische Geschlossenheit und Objektivität zu geben. BENTHAMs Polemik gegen die Naturrechtsphilosophie war es, nachzuweisen, daß auch die Naturrechtler, wenn man sie genügend in die Enge trieb, zu utilitaristischen Argumenten ihre Zuflucht nahmen. JOHN STUART MILL berichtet ja in seiner Selbstbiographie, wie sich das BENTHAMsche Prinzip ihm offenbarte als dasjenige, das alles, was er wußte, und alles, was er glaubte, zu einer in sich geschlossenen Einheit verband, mit anderen Worten, das seine Lebensanschauung systematisierte und objektivierte. - Das ist es natürlich gerade, was alle Moralphilosophen suchen in ihren moralischen Systemen auch finden, wie verschieden diese sonst auch sein mögen: einen Beweis und einen logischen Rahmen für die moralischen und sotzialen Wertsetzungen der Menschen im allgemeinen und in erster Linie ihrer selbst.

Damit haben wir die allgemeine Linie der Gedankenführung in der utilitaristischen Moralphilosophie bloßgelegt. Diese Konstruktionen kehren nun ständig wieder in der nationalökonomischen Doktrinbildung. Die Ausdrücke sind natürlich oft andere als in der allgemeinen Moralphilosophie. Man arbeitet auch mit ganz speziellen Voraussetzungen bei den einzelnen ökonomischen Problemen, aber überall liegt dem Argument dieselbe Vorstellung zugrunde, daß es quantitativ meßbare individuelle Nutzengrößen gibt, die übrigens später in der Nationalökonomie geradeheraus  Wert größen genannt werden. Überall handelt es sich letztlich um eine Zusammenstellung dieser subjektiven Wertgrößen zu einer gesellschaftlichen Summe, die bei wirtschaftspolitischem Optimum maximieren soll. Fast regelmäßig spürt man außerdem eine Tendenz, zu gesellschaftlichen Harmoniekonstruktionen zu kommen. Der Zwang dazu liegt im Ausgangspunkt des ökonomischen Denkens selbst und ist im großen und Ganzen von derselben Natur wie in der utilitaristischen Moralphilosophie. Diese Denkmethode ist mit anderen Worten eine spezifisch nationalökonomische Erfindung, sondern findet sich durchweg in der ganzen empiristischen Moralphilosophie.

Damit ist zumindest in groben Zügen der geistesgeschichtliche Hintergrund gegeben. Soweit es sich machen ließ, haben wir auch versucht, die Kritik, die man gegen diese utilitaristischen Beweisführungen richten kann, in einigen generellen Formeln komprimiert zu geben. Im folgenden werden wir diese Gegenargumente weiterführen und so den Gedankengang dieses Kapitels logisch fortsetzen unter jeweiliger Zurechtlegung der Argumente für die zu behandelnden speziellen Theoreme.

Es bleibt uns noch die Aufgabe, etwas darüber zu sagen, was die utilitaristische Methode in der Entwicklung der ökonomischen Theorie positiv bedeutet hat. Es ist ja oft so, daß wissenschaftliche Konstruktionen, die sich als  logisch  unhaltbar erweisen, gleichwohl  historisch  etwas Positives bedeutet haben, indem sie für ihre Zeit eine Entwicklung ermöglicht haben, die nach der Lage der Dinge als wissenschaftlicher Fortschritt bezeichnet werden muß. Wahrscheinlich hätte man den Gedanken vom Interdepenzzusammenhang des Wirtschaftslebens, den Gedanken von der  virtuellen Gleichgewichtslage  und von der  Marginalität  der ganzen Preisbildung nicht so schnell aufgegriffen und zu einer geschlossenen Theorie ausgebaut, wenn man nicht die enthusiasmierende Jllusion gehabt hätte, daß die wissenschaftliche Forschung neben Beschreibung und Erklärung der Wirklichkeit direkte Regeln für die Fortschritt geben kann, und wenn man nicht die oberflächlich gesehen konkretisierende, aber tiefer gesehen abstrahierende Methode zur Verfügung gehabt hätte, mit Nutzen- und und Unlustkurven zu arbeiten. Die normative Einstellung, der Weltverbesserungsglaube hat der Forschung ihre Gefühlsresonanz gegeben. Die schematisierende hedonistische Psychologie hat all die tausend komplizierten realpsychologischen Probleme glücklich überdeckt und damit die Analyse direkt auf den Zentralpunkt eingestellt, d. h. auf die Idee der Marginalität und die Vorstellung des wechselseitigen Funktionszusammenhangs. Irrtümer und Äußerlichkeiten sind mit anderen Worten zu ihrer Zeit der Entwicklung des wissenschaftlichen Denkens möglicherweise günstig gewesen, natürlich nur auf den begrenzten Gebieten, wo die Fehler weniger relevant sind. Die historische Entwicklung enthebt uns nicht der Aufgabe, die ganze Theorie systematisch von Fehlern zu befreien. Es hat keinen Sinn, das Gerüst stehen zu lassen, nachdem das Haus fertig ist. Als Nachwelt sind wir in der glücklichen Lage, von den Leistungen unserer Vorfahren nur das Beste zu behalten und alles Mangelhafte zu verwerfen.

Wenn wir die Bedeutung des englischen Utilitarismus für die Entwicklung der ökonomischen Theorie richtig einschätzen wollen, müssen wir auch vor allem daran denken, wovor er uns verschont hat, d. h. an die gleichzeitigen gesellschaftsphilosophischen Impulse, denen durch die dominierende Stellung des Utilitarismus ein Einfluß auf die Entwicklung der ökonomischen Theorie versagt geblieben ist. Auch von diesem Gesichtspunkt aus läßt sich sagen, daß es für die ökonomische Theorie wahrscheinlich das Beste war, was ihr historisch gesehen im Laufe des vorigen Jahrhunderts überhaupt geschehen konnte, unter utilitaristischen Einfluß zu kommen.

Man muß nämlich folgendes bedenken. Die Gesellschaftsauffassung, die möglicherweise hätte konkurrieren können, war die spezifisch deutsche Gesellschaftsphilosophie: romantisch, organisch, staatsverabsolutierend und im Grunde kaum weniger naturrechtlich als der englische Utilitarismus. Ohne uns später auf die Frage einzulassen, möchten wir behaupten, daß der Atomismus der utilitaristischen Nationalökonomen eine weniger falsche Gesellschaftslehre ist als die untereinander so widersprechenden Konstruktionen der deutschen Staatsmetaphysiker, eine nähere Approximation an das wissenschaftlich Haltbare.

Für einen Utilitaristen gibt es keine Lockungen und keine Möglichkeit, allzu frei über den sogenannten Staat zu phantasieren. Der Staat ist für ihn ganz einfach die Summe der Individuen und kann also weder die absolute Vernunft sein, noch ein mehr animal betonter Organismus, noch ein "Superorganismus". Wo man den Gesellschaftsnutzen als eine Summe der Individualnutzen konstruierte, blieb keine Möglichkeit, den Gesellschaftswillen an eine überindividuelle Personifikation anzuknüpfen, eine Staats- oder Volksseele. Da man das moralische Handeln direkt auf empiristische psychologische Daten gründen wollte, lag es jedenfalls fern, mit solchen Größen wie "Pflicht" zu laborieren gegenüber dem Staat, z. B. "Steuerpflicht" als einer freistehenden, unmittelbar auf die Staatszugehörigkeit gegründeten aprioristischen Kategorie. Aus demselben Grund konnte man unmöglich anderen rein juristischen Fiktionen anheimfallen. Die rechtlichen Institutionen erscheinen für einen Utilitaristen primär als etwas Faktisches. Wenn er sie außerdem rechtfertigt, so tut er das prinzipiell nicht, weil sie sich aus aprioristischen Begriffen ableiten lassen, sondern ausschließlich aufgrund ihrer Konsequenzen für den "Gesellschaftsnutzen". - Eine gewisse Vorstellung davon, wovor der utilitaristische Einfluß die ökonomische Theorie bewahrt hat, bekommt man, wenn man in der ökonomischen Literatur blättert, die dem geistigen Boden der deutschen staatsphilosophischen Spekulation entsprossen ist, beispielsweise in den Publikationen von OTHMAR SPANN. Sogar in einer so vornehmen wissenschaftlichen Publikationsserie wie SCHANZ' "Finanzarchiv" gibt es manchen Aufsatz, der als ein abschreckendes Beispiel angeführt werden könnte. Ununterbrochen versucht man, ökonomische und wirtschaftspolitische Probleme aufgrund rein aprioristisch-juridischer und staatsmetaphysischer Konstruktionen, wie etwa "Steuerpflicht", zu behandeln.

Und doch, im Grunde besteht eine innere Übereinstimmung zwischen den beiden Gegenpolen, dem utilitaristischen und liberalistischen Atomismus auf der einen Seite und der in sich mehr heterogenen organischen oder juridischen deutschen Staatsphilosophie auf der anderen Seite. In beiden Lagern hat man in dieser oder jener Form einen objektiven politischen Begriff: das "Allgemeinwohl", "der Staatswille" oder ähnliches. Darin liegt in beiden Fällen das metaphysische Element. Im ersten Fall handelt es sich zwar nur um eine rein arithmetische Summe, während wir es im anderen Fall mit einem unmittelbaren Ganzen zu tun haben, einem Ganzen, das nicht einfach gleich der Summe seiner Teile ist. Es hängt vom Standpunkt ab, ob die Gleichheiten oder Verschiedenheiten beider Geistesrichtungen mehr in den Vordergrund treten.

Stellen wir uns nun zur Abwechselung auf den ersten Standpunkt, so läßt sich sagen, daß auch die utilitaristischen Theoretiker nahezu regelmäßig - z. B. in der Lehre von der Wirtschaftsfreiheit - zu einer unhaltbaren kommunistischen Fiktion gezwungen werden. Das begriffliche Abgleiten hier, wie so oft, durch eine verfängliche Terminologie erleichtert: "Volkswirtschaft" läßt sich gar zu leicht verstehen als "eine an einem einheitlichen Zweck orientierte Wirtschaftsführung eines Volkes als eines Ganzen". Es soll späteren Kapiteln vorbehalten bleiben, dies eingehender zu behandeln. Hier haben wir nur darauf hinweisen wollen, daß die individualistischste Gesellschaftsauffassung schließlich in eine abstrakte soziale Fiktion ausmündet, sobald man allgemeine politische Schlüsse zu ziehen versucht. Dieses Faktum erscheint oberflächlich gesehen recht merkwürdig, es ist aber nur eine ganz natürliche und notwendige Folge des Ausgangspunkts und der inneren Logik des utilitaristischen Denkens.
LITERATUR - Gunnar Myrdal, Das politische Element in der nationalökonomischen Doktrinbildung, Berlin 1932
    Anmerkungen
    1) JEREMY BENTHAM, Introduction etc. Seite 1
    2) Der einzige Unterschied ist der, daß der Begriff "subjektives Nationaleinkommen" für gewöhnlich von der Kostenseite (= Unlustseite) abstrahiert. Jeder Werttheoretiker wird jedoch zugeben müssen, daß das eine Inkonsequenz ist in dem Zusammenhang, in dem der Begriff gewöhnlich verwandt wird ("wirtschaftliche Wohlfahrt"). Diese Inkonsequenz hängt zusammen mit der Tendenz der neuklassischen Schule, sich in mehr allgemeinen Ausführungen ganz und gar auf die positiven Posten des Glückskalküls zu beschränken. Und diese Tendenz beruth ihrerseits doktrin-historisch gesehen auf der ursprünglichen Oppositionsstellung der neuklassischen Wertlehre gegen die klassische Wertlehre, die ja im wesentlichen eine Kostenwertlehre war.
    3) Vor allem der letztere Gedanke bringt große logische Schwierigkeiten mit sich. Es ist nämlich die Frage, ob man die künftigen Generationen  in gleich hohem Grad  berücksichtigen soll wie die gegenwärtige oder eventuell  in geringerem Grad.  Im letzteren Fall hätten wir eine sozialethische Entsprechung zum Faktum des positiven Zinsfußes. Die letztere Alternative stimmt auch am besten überein mit der  Benthamschen  Methode, "propinquity" [Nähe - wp] als eine "Dimension" von Lust und Unlust zu rechnen. Die erstere Alternative erscheint dagegen mehr prinzipiell richtig, und dahin geht auch die Entwicklung innerhalb des Utilitarismus.
    4) Die äußerste Ausweitung des Begriffs nehmen  Bentham  und  John Stuart Mill  vor, die prinzipiell die ganze organische Natur in das Glückskalkül einbegreifen. - - - Vielleicht ist es nicht abwegig, bei dieser letzten Ausweitung des Begriffes "alle" ein wenig zu verweilen. An diesem logischen Kuriosum läßt sich nämlich besonders elegant nachweisen, wie der Utilitarismus nicht nur letztlich auf einem aprioristischen Prinzip ruht, sondern auch allenthalben von solchen "selbstverständlichen" Prinzipien umgrenzt wird. - - -  Mill  schreibt: "Dies ist nach utilitaristischer Meinung, das Ende des menschlichen Handelns und damit auch ein unbedingter Standard der Moral in der dementsprechend die Regeln und Vorschriften für das menschliche Verhalten definiert werden können, durch deren Einhaltung eine Existenz, wie ich sie beschrieben habe (ein Zustand so frei wie möglich von Unlust und so reich wir möglich an Lust), für die gesamte Menschheit gesichert werden könnte; und nicht nur für diese, sondern, soweit es in der Natur der Dinge liegt, für die ganze empfindungsfähige Schöpfung." (Utilitarism, London 1864, Seite 17. - - - Denselben Standpunkt nimmt  Sidgwick  ein, er entwickelt ihn u. a. in "Methods of Ethics", London 1901, Seite 414f. Er findet mit Recht jede Grenzziehung willkürlich und irrational, aber er weist doch darauf hin, daß jede allgemeinere Fassung des Moralkriteriums in hohem Grad die Schwierigkeiten bei der tatsächlichen Berechnung der Glückssumme erhöht. Er hat schon gewisse Schwierigkeiten, das Glückskalkül für alle seine Mitmenschen in richtiger Weise durchzuführen in Bezug auf eine bestimmte Verhaltensweise. Läßt man den moralisch relevanten Kreis die ganze organische Natur umfassen, so muß auch der strenggläubigste Hedonist das verfügbare Material als etwas begrenzt empfinden. Das Argument wird dann dahin abgeschlossen, daß man sich "aus praktischen Gründen" nur an die Menschheit zu halten habe. Von einem streng logischen Gesichtspunkt ist es dann aber ohne näheren Beweis schwer einzusehen, wie ein "aus praktischen Gründen" derart verstümmeltes Argument zu bedingungslos gültigen ethischen Imperativen führen soll, selbst angenommen, daß an der Berechnung selbst nichts falsch wäre. - - -  Edgeworth,  einer der gewissenhaftesten Denker der ökonomischen Theorie, hat sich mit diesem Standpunkt auch nicht abfinden können. "Wir dürfen diese Frage nicht noch einmal ignorieren, auch wenn sie dem modernen Leser unwillkommen ist, den unphilosophischen Aristokraten als müßig erscheint und den demokratischen Philosophen verhaßt ist." Er kommt zu demselben Schlußsatz wie  Sidgwick,  aber seine Motivierung ist eine andere. "... es mag ein Unterschied in Bezug auf das  Vermögen zum Glück  zwischen den Menschen und weniger entwickelten niederen Tieren zugegeben werden." Die Interessen der niederen Lebewesen können aus  diesem  Grund übergangen werden im Vergleich mit den menschlichen, und "das Vorrecht der Menschheit ist gerechtfertigt". Er fügt hinzu - in dieser Beziehung sehr klar sehend - daß ein Utilitarist, der den praktischen Schlußsatz gutheißt, aber die Herleitung aus jener Prämisse von der ungleichen Fähigkeit zum Erfahren von Glück ablehnt, mit logischer Notwendigkeit gezwungen wird, sich auf ein aprioristisches Vernunftprinzip zu berufen. Er muß dann nach  Edgeworth  "höflich daran erinnert werden, daß die Annahme eines ansich vernünftigen Prinzips, das sich nicht der Utilitätsmaxime unterordnet, vom großen Lehrmeister des Utilitarismus  ipse-dixitism  genannt zu werden pflegte", d. h. es liegt dann der flagrante naturrechtliche Zirkel vor. Mathematical Psychics. An Essay on the Applicaton of Mathematics to the Moral Sciences, London 1881, Seite 130. Gesetzt den Fall, man akzeptiert  Edgeworths  Prämisse nicht als empirische Erkenntnis. Sie erscheint von Grund auf falsch gedacht. Ist sie etwa nicht ein "oberstes Prinzip"?  Edgeworth  würde dann sich selbst kritisiert haben.
    5) "Assuming, then, that the average happiness of human beings is a positive quantity, it seems clear that, supposing the average happiness enjoyed remains undiminished, Utilitarism directs us to make the number enjoing it as great as possible. But if we foresee as possible that an increase in numbers will be accompanied by a decrease in average happiness or vice versa, a point arises, which has not only never been formally noticed, but which seems to have been substantially overlooked by many Utilitarians. For if we take Utilitarism to prescribe as the ultimate end of action, happiness on the whole, and not any individual's happiness unless considered as an element of the whole, it would follow that, if the additional population enjoy on the whole positive happiness, we ought to weigh the amount of happiness gained by the extra number against the amount lost by the remainder. So that, strictly conceived, the point up to which, on Utilitarian principles, population ought to be encouraged to increase, is not that at which average happiness is the greatest possible, - as appears to be often assumed by political economists of the school of  Malthus  - but that at which the product formed by multiplying the number of persons living into the amount of average happiness reaches its maximum." - Methods of Ethics, London 1901, Seite 415.
    6) "It (das Gleichheitsprinzip) is involved in the very meaning of Utility, or geht Greatest-Happiness-Principle. That principle is a mere form of words without rational signification, unless one persons happiness, supposed equal in degree (with the proper allowance made for kind), is counted for exactly as much as anothers." -  John Stuart Mill , Utilitarism, London 1864, Seite 92f. - - - Der Satz, der im Zitat in Klammern steht, ist de facto keine Reservation. Wollte man annehmen, daß er wirklich eine solche bezeichnet, wie sollte eine Zusammenstellung dann bewerkstelligt werden können? Vgl.  Mills  Behandlung des "höheren" und "niederen" Bedarfs weiter unten.
    7) a. a. O., Seite 93, Anmerkung
    8) "The first and most fundamental assumption, involved ... in the very conception of  Greatest Happiness  as an end of action, is the commensurability of Pleasures and Paines. By this I mean that we must assume the pleasures sought and the pains shunned to have determinate quantitative relations to each other; for otherwise they cannot be conceived as possible elements of a total which we are to seek to make as great as possible." -  Sidgwick, Methods  etc., Seite 123
    9) Der Gedanke, daß die Harmonielehre logisch besser fundiert ist als andere utilitaristische Konstruktioinen gerade darin, daß sie keine direkte Vergleichung und Zusammenstellung von Lust- und Unlustempfindungen verschiedener Individuen voraussetzt, dieser Gedanke wird von  Edgeworth  gestreift in seiner bekannten Abhandlung  Theory of Distribution,  Quaterly Journal of Economics, Febr. 1904, jetzt abgedruckt in "Papers relationg to Political Economy, London 1925, zit. I, Seite 58: "When competition is no longer umpire, the economist must abandon - if he ever maintained - the proposition of extreme  solipsism  which  Jevons  ... has propounded" (daß nämlich Lust- und Unlustempfindungen verschiedener Individuen, also auch subjektiver Nutzen, Wert usw. inkommensurable Größen sind. Vgl. hierzu unten 4. Kapitel).
    10) a. a. O., Seite 11
    11) a. a. O., Seite 12. Dieser Gedanke hat übrigens eine lange Ahnenreihe, er kann schon bei  Plato  nachgewiesen werden.
    12) a. a. O., Seite 14
    13) a. a. O., Seite 14f
    14) a. a. O., Seite 15.
    15) Methods, Seite 121. Die oben gegebene Interpretation von  Mills  Standpunkt in der Frage des "höheren" und "niederen" Bedarfs ist nicht die übliche. Im allgemeinen glaubt man, und so auch  Sidgwick,  daß  Mill  wirklich vom Grundsatz des Utilitarismus abgewichen ist, alle Arten von Befriedigung nur nach ihrer rein hedonistischen Quantität zu rechnen. - - - Dabei hat man sich vor allem an  Mills  von einem utilitaristischen Gesichtspunkt aus paradoxalen Ausspruch gehalten, daß es besser ist, ein unbefriedigter Menschen als ein zufriedengestelltes Schwein, besser ein unbefriedigter  Sokrates  als ein zufriedengestellter Narr (Seite 14). Wenn der Narr oder das Schwein entgegengesetzter Ansicht sind, fährt er fort, so nur deshalb, weil sie die Sache nur von ihrem eigenen Gesichtspunkt aus kennen. Der Weise aber sieht die Sache von beiden Gesichtspunkten und kann  vergleichen. Mill  hat hier ganz einfach an den gewöhnlichen utilitaristischen Rationalismus appelliert. - - - Das Paradoxale verschwindet vollkommen, will mir scheinen, wenn man die eigentüliche Bedeutung beachtet, die das Wort "satisfaction" in diesem Zusammenhang hat. Kurz zuvor hat  Mill  nämlich gewarnt vor einer Verwechslung von Glück (vorher utilitaristisch definiert als Lust und Abwesenheit von Unlust) und "satisfaction". Von der  satisfaction  sagt er: "It is indisputable that the being whose capacities of enjoyment are low, has the greatest chance of having them fully satisfied" [Es ist unzweifelhaft, daß das Wesen, dessen Bedürfnisse sich zu vergnügen gering sind, die meisten Chancen hat, dieselben voll und ganz zu befriedigen. - wp], ws natürlich nicht bedeutet, daß er das größte Lustnetto realisiert. Der Weise hat im Gegenteil gerade wegen seiner größeren Kenntnis möglicher "höherer" Genüsse die Voraussetzungen für ein größeres rein hedonistisches Glück. - - - Für diese Lesart, die  Mill  eher gerecht wird, ließen sich auch noch stärkere innere Gründe anführen, aber es mag dabei sein Bewenden haben. - - -  Edgeworth  bringt in seinen "New and Old Methods of Ethics" einen anderen Vorschlag, der es ermöglichen Soll, einen Unterschied zwischen "höheren" und "niederen" Bedürfnissen beizubehalten und sie doch als kommensurable Größen in das politische Kalkül einzubegreifen. Er denkt sich den Unterschied als einen solchen der Größenordnung, was ja auch einen Vergleich im Einzelfall ausschließt; niederer und höherer Bedarf sollten sich verhalten ungefähr wie die Differentiale zum Integral. Wäre es so, so wäre gleichwohl eine Zusammenstellung möglich, wenn auch nicht individuell, so doch vom Standpunkt der Gesellschaft. (vgl. a. a. O., Seite 26)
    16) a. a. O., Seite 52f
    17) Methods, Seite 412.
    18) a. a. O., Seite 201
    19) a. a. O., Seite 406f
    20) a. a. O., Seite 422
    21) "We cannot, of course, regard as valid reasoning that lead to conflicting conclusions; and I therefore assume as a fundamental postulate of Ethics, that so far as two methods conflict, one or other of them must be modified or rejected." (a. a. O., Seite 6) Vgl. auch sein Einleitungskapitel über die spezielle Bedeutung, die  Sidgwick  hier dem Ausdruck "method" gibt.