tb-1tb-2E. CassirerA. RiehlR. HönigswaldK. LewinC. Prantl    
 
PAUL NATORP
Galilei als Philosoph
[eine Skizze]

"Das erste und unbestreitbarste philosophische Verdienst Galileis ist die Vernichtung der aristotelischen Autorität in der Naturphilosophie. Wohl nie ist der Kampf gegen den Autoritätswahn mit solcher Wucht und unerbittlicher Schärfe geführt worden, wie von Galilei."

"In seinem Brief an Kepler, und in zahlreichen Auseinandersetzungen, spricht Galilei mit Nachdruck aus, daß es darauf ankommt, das kopernikanische System als das wahre, und nicht bloß als das für die Astronomie brauchbarste zur Geltung zu bringen. Eben dies war es, was seine jesuitischen Gegner um der kirchlichen Autorität willen niemals zugeben zu dürfen glaubten: als Hypothese wollten sie die Lehre gerne gelten lassen. Es war der Irrtum Galileis, daß er meinte, diese Leute durch eine Verstärkung der Gründe zur Annahme einer besseren Überzeugung zwingen zu könen, während es doch jenen gar nicht um wissenschaftliche Überzeugung, sondern allein darum zu tun war, die kirchliche Autorität um jeden Preis zu wahren."

Nachdem in den letzten Jahren durch vereinte Bemühungen von Italienern und Deutschen so viel Neues und Wertvolles über das Leben und insbesondere über den Prozeß GALILEIs zutage gefördert worden ist, fehlt es noch immer an einer zusammenfassenden Darstellung seiner wissenschaftlichen Leistungen. Die Geschichtsschreiber einzelner Wissenschaften - der Physik, der Astronomie - berichten, kaum ausreichend selbst für ihren engeren Gesichtspunkt, über das Tatsächliche seiner Forschungen; den Eindruck eines konsequenten Zusammenhangs dieser Forschungen in einem einheitlich organisierten Geist erhält man nicht. Und doch ist es dieser Eindruck, den die geringste Kenntnisnahme von den Schriften GALILEIs Jedem, dem es an Verständnis dafür nicht ganz gebricht, mit Notwendigkeit aufdrängt. Es kann ja nichts Großes und Ganzes aus der Vereinzelung und Zersplitterung hervorgehen; und wie sehr trägt die Geistesarbeit GALILEIs, welche neuen Wissenschaften das Leben gab, den Stempel der Großheit und Ganzheit.

Einheit und Totalität der Auffassung pflegt man als das Charakteristische des  philosophischen  Geistes zu bezeichnen. In diesem Sinne ist man gewiß berechtigt, GALILEI einen Platz, und nicht den letzten, unter den Philosophen anzuweisen. Am Wenigsten dürfte es der Mühe wert sein, zu untersuchen, wie weit seine Art des Denkens und Forschens einen philosophischen Charakter trägt und bis zu welcher Höhe der Philosophie sie sich erhebt. Dieser Untersuchung ist die nachfolgende Skizze gewidmet.

Es fragt sich, an welche Vorarbeiten unser Versuch sich anknüpfen läßt. Am ehesten sollte man wohl erwarten, daß Philosophen für die Bedeutung GALILEIs das richtige Verständnis gezeigt hätten. Wirklich nennt LEIBNIZ ihn auf einer Linie mit DESCARTES, HOBBES etc. unter den Größten der Modernen (1); und HUME verehrt in ihm einen der erhabensten Genies, die je gelebt haben (2). Diese Männer lasen noch seine Schriften. Spätere Philosophen gönnen ihm Lobeserhebungen, ohne ihn recht zu kennen. Vollends die Geschichtsschreiber der Philosophie reden zwar, mit auch nur mangelhafter Kenntnis, vom Einfluß, den der Physiker GALILEI auf den Fortschritt der Philosophie gehabt hat: der Philosoph GALILEI ist ihnen gänzlich unbekannt, so unbekannt, daß man noch kürzlich streiten konnte, ob neben DESCARTES etwa HOBBES ein selbständiges Verdienst hat bei der Erneuerung der Lehre von der Subjektivität der sinnlichen Qualitäten, während früher als beide GALILEI diese Lehre ausgesprochen und begründet hat (3).

Wenden wir uns zu den Geschichtsschreibern und Theoretikern der induktiven Wissenschaften, so sind WHEWELL und APELT als diejenigen zu nennen, welche das Verdienst GALILEIs am richtigsten erkannt und das  Philosophische  seiner Leistungen am besten gewürdigt haben (4). Vor den bloßen Physikern hatten diese Leute die Vertrautheit mit der Philosophie, vor den bloßen Philosophen die genauere Kenntnis der Physik voraus. Namentlich die treffenden Bemerkungen APELTs (5) sind aller Beachtung wert und führen tief in das Innerste der geistigen Konstitution GALILEIs hinein. Bei WHEWELL, und auch bei DÜHRING, welche beide GALILEIs Grundlegung der Mechanik eingehend und sachkundig besprochen haben, tritt zu wenig hervor, wie GALILEI mit universellem Geist das Ganze der physischen Wissenschaften durchdrang; wie er namentlich die Astronomie mit der Physik in einem großen Zusammenhang auffaßte; wie er schließlich in allen seinen Forschungen auch über die Grundsätze des Untersuchens sich Rechenschaft gab und eine einheitliche Konsequenz in diesen bewußt anstrebte. Die letzte Aufgabe, GALILEIs Forschungsgrundsätze ins Klare zu stellen, sucht zwar WHEWELL in der "Philosophie der induktiven Wissenschaften" zu lösen; aber sein Urteil beruth hier mehr auf einer vorgefaßten Meinung, als auf sorgsamer Untersuchung. WHEWELL will im genannten Werk feststellen, welcher Anteil der "Idee" und welcher der "Erfahrung" in der induktiven Forschung zukommt, und prüft (im 12. Buch) in einem historischen Überblick dann auch die Begründer der exakten Wissenschaft darauf, welche Stellung sie innerhalb dieses großen Gegensatzes eingenommen haben. Das Ergebnis bezüglich GALILEIs (6) ist dieses: er habe über die theoretischen Grundlagen seiner Forschung wohl nicht tiefer nachgedacht, als mancher seiner Zeitgenossen, aber durch den Glanz und die Energie seiner Darstellung entscheidender gewirkt, als sie Alle; er habe beobachtet und in lebhaftem Ton den Autoritätsglauben verworfen, dies sei sein vornehmstes Verdienst; er sei vorsichtig gewesen in seinen Folgerungen aus der Erfahrung, und habe mehrmals die Frage nach der Ursache weislich zurückgestellt gegen die bloße Tatfrage: hingegen habe er in der vorwiegenden Neigung für das Tatsächliche zu wenig die Notwendigkeit empfunden, Tatsachen auf Ideen, auf Gesetze, zurückzuführen. Dieses Urteil beruth in seinem positiven Teil, soweit es die Einsicht GALILEIs in den Wert der Beobachtung und den Unwert der Autoritäten, sowie die energische Vertretung dieser Einsicht durch Wort und Beispiel betrifft, gewiß auf richtiger Kenntnis; in seinem negativen Teil hingegen, - daß GALILEI die Reduktion der Tatsachen auf Gesetze und Ideen vernachlässigt oder von der Unumgänglichkeit der letzteren kein rechtes Bewußtsein gehabt hat, - entschieden auf Unkenntnis. GALILEI hatte so große und weittragende Ideen und ein so bestimmtes Bewußtsein von ihrer Bedeutung, wie irgendein Anderer: das Eine aber zeichnet ihn unter seinen Zeitgenossen, sowie den nächsten Vorgängern und Nachfolgern entschieden aus, daß er die Notwendigkeit, die Ideen mit den Tatsachen in Verbindung zu bringen und durch sie zu bewähren, weit strenger begriff, als sie Alle. Eben dies aber macht ihn zum Begründer der Physik als eine  Wissenschaft,  was sie durch Ideen allein, auch durch die größten und fruchtbarsten, nie geworden wäre. Gerade diese scharfe Trennung der physischen Wissenschaft von der bloßen Spekulation durch die Forderung des strikten Beweises der Tatsächlichkeit, bei der klaren und tiefgegründeten Einsicht, daß die Triebfeder aller Spekulation, die Idee, doch zugleich auch die Wurzel aller wahren Wissenschaft ist, - gerade dies möchte ich, um das Ganze meiner Meinung in einer Formel zusammenzufassen, als das eigentlich  Philosophische  in GALILEI bezeichnen (7).

Ich gedenke meine These im Folgenden durch Anführungen aus GALILEIs Schriften zwar nicht vollständig zu erweisen, aber doch dem Verständnis soweit nahezubringen, daß man zumindest die Berechtigung meines Gesichtspunktes wird zugeben müssen und nach den gegebenen Andeutungen dann auch selber dem Gegenstand nachforschen kann. Daß zu einem vollständigen Beweis mehr gehören würde, als in dieser kurzen Skizze gegeben werden kann, wird Jeder, der meine Absicht versteht und mit der Sache selbst ein wenig bekannt ist, billig zugeben. Es wäre erforderlich, erstens die aristotelische Physik, so wie sie zu GALILEIs Zeit gelehrt wurde, sorgfältig nach den Quellen darzustellen; sodann GALILEIs Kampf gegen dieselbe bis auf seine letzten Wurzeln zu verfolgen; von diesem Punkt aus die Keime sowohl als die Entfaltung der neuen physikalischen Wissenschaft darzulegen; und nicht bloß durch direkte Äußerungen GALILEIs, sondern durch eine Analyse seiner Forschungen selbst nachzuweisen, daß er festen und fundamentalen Prinzipien dabei gefolgt ist. Diese Aufgabe ist zu umfassend, um nur kurz bewältigt zu werden. Hier sollte nur die Idee derselben dargelegt und durch einen ersten, notwendig unvollkommenen Versuch der Ausführung erläutert werden, um für das Verständnis der Aufgabe selbst den Boden zu bereiten und auf ihre Wichtigkeit hinzuweisen. -

Das erste und unbestreitbarste philosophische Verdienst GALILEIs ist die Vernichtung der aristotelischen Autorität in der Naturphilosophie (8). Wohl nie ist der Kampf gegen den Autoritätswahn mit solcher Wucht und unerbittlicher Schärfe geführt worden, wie von GALILEI im Gespräch über die beiden Weltsysteme, im "Saggiatore", den Briefen an LICETI usw. Hier nur einige der bezeichnendsten Äußerungen
    I, 126: Wenn wir den ARISTOTELES verlassen, - klagt  Simplicio,  der Vertreter der peripatetischen Naturphilosophie im Gespräch über die Weltsysteme, - wenn sollen wir zum Führer nehmen? Nur Blinde, lautet die Antwort, bedürfen des Führers im offenen und ebenen Land, aber wer Augen im Kopf und im Geist hat, soll sich ihre zu seinem Schutz bedienen. Studiert den ARISTOTELES, aber gebt Euch nicht seiner Autorität ganz und gar gefangen; oder nennt Euch nicht  Philosophen,  sondern Historiker und Gedächtniskünstler. Kommt mit Gründen, nicht mit Texten und Autoritäten, denn wir haben es mit der Welt unserer Sinne, nicht mit einer Welt von Papier zu tun.

    III, 361: Zwischen  Philosophieren  und  Philosophie studieren  ist genau der Unterschied, wie zwischen Zeichnen nach der Natur und Zeichnungen kopieren. Auch das Letztere ist nützlich zur Lehre und Übung, aber wer darüber nicht hinauskommt, wird nie ein guter Maler, nicht einmal ein guter Beurteiler von Gemälden. So auch, wer immer nur die Schriften Anderer studiert und nie einen Blick in die Werke der Natur selbst tut, in ihr die Wahrheiten, die die Anderen gefunden haben, wiedererkennt und von den unzähligen, die noch zu entdecken bleiben, einige zu erforschen sucht, - ein solcher wird nie ein Philosoph werden, sondern nur ein Studierender und Erfahrener in philosophischen Schriften Anderer.

    I, 146: Ist denn die Natur dement geworden? ist sie lässig geworden, denkende Köpfe hervorzubringen und schafft nur noch solche, die sich zu Sklaven des  Aristoteles  machen, mit seinem Hirn denken und mit seinen Sinnen empfinden?

    IV, 171: Müssen wir uns immer auf einen berühmten Mann stützen, als ob unser Geist, wenn er sich nicht mit dem Verstand eines Anderen gattet, ganz unfruchtbar und steril bleiben müßte? Ihr meint, Philosophie sei ein Buch, aus der Phantasie eines Menschen entsprungen, wie die  Ilias  oder  Orlando furioso,  wobei es dabei am wenigsten ankommt, ob das, was darin geschrieben steht,  wahr  ist. Mein Herr  Sarsi  (9), die Sache liegt anders. Die Philosophie ist geschrieben in jenem großen Buch, das uns fortwährend offen vor Augen liegt, - ich meine  das Universum; - das man aber nicht verstehen kann, wenn man nicht erst die Sprache verstehen lernt und die Züge kennt, in denen es geschrieben ist. Dieses Buch ist geschrieben in mathematischer Sprache, und die Schriftzüge sind Dreiecke, Kreise und andere geometrische Figuren, ohne deren Hilfe es unmöglich ist, ur ein Wort davon auf menschliche Weise zu verstehen.

    I, 62: Handelte es sich um einen Rechtspunkt oder andere menschliche Studien, in denen es weder Wahrheit noch Falschheit gibt, so könnte mit Scharfblick des Geistes, Schlagfertigkeit der Rede und schriftstellerischem Geschick etwas ausgerichtet werden; aber in Naturwissenschaften, deren Folgerungen  wahr und notwendig  sind, können tausend DEMOSTHENES und tausend ARISTOTELES im Irrtum sein gegen jeden mittelmäßigen Verstand, wenn er nur den Vorteil hat, sich an die Wahrheit zu halten; kann doch auch die allerhöchste Gelehrsamkeit nicht der Sache zum Trotz wahr machen, was falsch ist. -
Wahrhaft klassisch schildert GALILEI schließlich (I, 65), wie dem gläubigen Peripatetiker zumute sein muß, der alle Fundamente des stolzen Baues seiner Philosophie wanken sieht und nun mit allen Stützen und Krücken dem völligen Einsturz zu wehren sucht. Aber habt keine Furcht, fügt er bitter ironisch hinzu; ihr könnt euch mit wenig Aufwand vor einem Unfall bewahren. Es hat keine Gefahr, daß eine solche Zahl kluger und weiser Philosophen sich überwältigen läßt von Einem oder Zweien, die ein wenig Geräusch machen. Sie brauchen nicht einmal die Feder gegen sie in Bewegung zu setzen, sondern nur durch ihr Stillschweigen Jene bei der Menge in Spott und Verachtung zu bringen.  Töricht ist der Gedanke dessen, der eine neue Wissenschaft einzuführen gedenkt durch die Widerlegung dieses oder jenes Autors: man müßte erst verstehen, die Köpfe der Menschen umzuwandeln, daß sie geschickt werden, das Wahre vom Falschen zu unterscheiden; und das kann nur Gott allein.  - Eine solche Sprache war gegen die Autorität des ARISTOTELES bis dahin nicht geführt worden. Man fühlt es diesen Worten an, und der Zusammenhang, in dem sie stehen, macht es noch weit eindringlicher, daß sie nicht die Übung einer leeren Rhetorik sind, sondern hervorgingen aus dem vollen, durch die Beschäftigung mit den Sachen selbst gewonnenen Bewußtsein dessen, was  Wissenschaft  heißt:  gesetzmäßige Notwendigkeit,  die aller  Willkür  des Denkens ein Ziel setzt.

Worauf beruth aber eine solche Notwendigkeit? - Diese Frage führt auf eine Untersuchung der Grundansicht GALILEIs vom Wesen der Wissenschaft und von den Methoden der Forschung. Auf den ersten Blick kann es scheinen, als gründe GALILEI alle Wissenschaft schlechtweg auf  Erfahrung.  Er verwirft die Autorität des ARISTOTELES, aber er bekennt sich zu der von diesem gelehrten  Methode und glaubt, indem er sie befolgt, ein besserer Peripatetiker zu sein als jene, welche die Autorität des Meisters über alle Gründe stellen. In der Anwendung nur habe ARISTOTELES gefehlt, sowie ja auch der beste Harmonielehrer nicht immer ein guter Komponist, ein trefflicher Kenner der Perspektive nicht immer in geschickter Maler ist. Aber er zweifelt nicht, daß der Meister selbst, wenn er jetzt wiedererstände und die Erfahrungen sähe, die wir haben, viele der von seinen Anhängern so zäh festgehaltenen Lehren aufgeben würde (VII, 341f, 331; I, 124, 58, 41f). ARISTOTELES nämlich habe gelehrt, die  sinnliche Erfahrung  (sensate esperienze) jeglichem  Vernunftschluß  (discorso) vorzuziehen (I, 38, 54, 64). In jedem Vernunftschluß kann unvermerkt ein Irrtum unterlaufen, eine Erfahrung hingegen kann nicht wohl mit der Wahrheit in Widerspruch sein (VII, 341). Zwar legt ARISTOTELES oft den Vernunftschluß a priori zugrunde, um ihn hernach a posteriori zu bestätigen (I, 58; vgl. 23); aber dies sei nur die Methode, nach der er seine Lehre geschrieben hat, nicht die, nach der er sie entdeckt hat, sondern gewiß habe er sich zuerst durch Sinne, Erfahrungen und Beobachtungen des Schlußsatzes versichert und dann nach analytischer Methode (metodo risolutivo), wie es in demonstrativen Wissenschaften gewöhnlich geschieht, die Beweisgründe aufgesucht, welche geeignet sind, seinen Satz  a priori  zu stützen (XII, 319f; PRANTL, a. a. O., Seite 400). Wie sollte es auch anders sein? Hat doch die Natur nicht erst das Hirn der Menschen geschaffen und dann die Dinge nach der Fähigkeit ihres Verstandes eingerichtet, sondern sie hat zuerst die Dinge auf ihre eigene Weise gemacht und dann den menschlichen Verstand so eingerichtet, daß er, wiewohl mit großer Mühe, Einiges von ihren Geheimnissen zu erraten vermag (I, 288).

Nach solchen und ähnlichen Äußerungen könnte man versucht sein, GALILEI schlechthin zum Empiristen zu erklären. Allein schon die Bemerkung über die resolutive Methode läßt erkennen, daß wir es zumindest nicht mit einem  baconischen  Empirismus zu tun haben. Beweisgründe  a priori,  eine Erklärung besonderer Erfahrungen durch allgemeine Gesetze wird gesucht, um so, gerade durch eine Analyse der Erfahrungen, zu  demonstrativer Wissenschaft  zu gelangen. Es entspricht dies ganz der Ansicht von der wissenschaftlichen Methode, die wir z. B. bei DESCARTES finden (10): die Folgerungen werden durch die Voraussetzungen und die Voraussetzungen durch die Folgerungen "bewiesen", d. h. die strenge logische Verknüpfung zwischen disen und jenen bewirkt, daß, wenn die Einen, notwendig auch die Anderen wahr sind. Daß eine solche Verknüpfung nicht erreicht wird, wenn man einseitig  bloß  von Erfahrungen ausgeht, ist gewiß. Erfahrung gibt Tatsachen, aber die Verknüpfung der Tatsachen in einer Notwendigkeit der Folge, wodurch sie unter  Gesetzen  zusammenhängen, wird selbst nicht erfahren, sondern kann nur denkend begriffen werden (11), gleichviel, ob wir von der erkannten Tatsache zum Gesetz auf weiter zu erwartende Tatsachen deduktiv Schlüsse machen. Die Einsicht, daß Verstandesschlüsse trügen können, Erfahrungen niemals, und die Anerkennung der resolutiven Methode, die von der erfahrungsmäßig konstatierten Tatsache zu den Gründen zurückgeht, als der in physischen Wissenschaften allein maßgebenden, steht demnach nicht im Widerspruch mit einer Erkenntnislehre, welche eine selbständige Funktion des Verstandes in der Erkenntnis der Gesetze behauptet. Wir werden sehen, daß GALILEI einer solchen Erkenntnislehre nicht fern steht.

Zunächst ist hierher zu ziehen, was GALILEI über den  Induktionsschluß  bemerkt (12). Der induktive Schluß ist zulänglich zur Begründung allgemeiner Sätze, aber er ist es nicht aufgrund des Durchlaufens aller Einzelfälle; wäre dies erforderlich, so wäre der Schluß entweder unmöglich, weil die Zahl der Fälle unerschöpflich ist, oder er wäre unnütz, weil er nichts Neues zu unserer Erkenntnis hinzufügt. - Es gibt nur eine Art, wie durch induktive Schlüsse allgemeine und notwendige Sätze begründet werden können, ohne die unausführbare Erschöpfung aller einzelnen Fälle: der  Begriff  des Gesetzes muß zugrunde liegen. Die Wissenschaft legt ihn zugrunde und die Analyse des Verfahrens führt immer wieder darauf zurück, und damit auf die Anerkennung einer Grundlage unserer Einsicht in einer Gesetzmäßigkeit des Verstandes, welche die  Form  aller wahren Erkenntnis enthält. Auch GALILEI hat, wie sich zeigen läßt, ein bestimmtes Bewußtsein davon gehabt, daß es solche Elemente der Erkenntnis gibt, welche ursprünglich und von der Erfahrung unabhängig sind, und daß auf solchen gerade die unerschütterliche Festigkeit wissenschaftlicher Einsichten beruth.

Schon daß er die  Notwendigkeit  der wissenschaftlichen Einsichten so scharf betont, daß er, wiewohl durch eine Analyse der Erfahrungen, zu demonstrativer Wissenschaft zu gelangen strebt (13), daß ihm das Universum in mathematischer Sprache geschrieben ist, sind Züge, die auf eine Verwandtschaft mit dem Rationalismus hindeuten. Ganz entschieden ist es eben diese Zuversicht in die Notwendigkeit der wissenschaftlichen Erkenntnis, in der er dem autoritässüchtigen Treiben der Zeigenossen so kraftvoll entgegentritt. Die Systeme der Philosophen sind es, sagt er einmal, welche durch die Lehre von der Bewegung der Erde bedroht werden, nicht das Weltgebäude, und nicht  die Wissenschaft selbst,  die in jedem Fall, mag die neue Lehre wahr oder falsch sein, aus der Diskussion derselben nur gewinnen kann (I, 44). Mit solcher Sicherheit der Überzeugung war vielleicht noch nie "die Wissenschaft selbst" den Lehrmeinungen der Schule entgegengehalten worden.

Ganz bestimmt und unwidersprechlich aber beweist den rationalen Grundzug in GALILEIs Denken, was er über die Natur der  mathematischen  Einsicht lehrt. Die Mathematik ist für ihn wie für das ganze Zeitalter, dem er angehört, das erste Beispiel und Muster wahrer Wissenschaft. So wie wir dichten und malen lernen, nicht indem wir die Vorschriften der Poetik und die Lehren der Perspektive auswendig lernen, sondern indem wir gute Dichter lesen und indem wir selber zeichnen und malen, so lernen wir beweisen nicht aus den Vorschriften der Logik, sondern aus den Büchern, die von Beweisen voll sind, und das sind die mathematischen, nicht die logischen (I, 42). Die Geometrie ist das mächtigste Instrument, den Geist zu schärfen und zum vollkommenen Schließen und Nachdenken tüchtig zu machen; und mit gutem Grund hat PLATO gewollt, daß seine Schüler vor allem in der Mathematik gut vorgebildet sind. Die Logik lehrt zwar erkennen, ob die schon feritgen und gefundenen Schlüsse und Beweise folgerichtig sind, aber daß sie die folgerichtigen Schlüsse und Beweise auch finden lehrt, kann man nicht sagen (XIII, 132f). Daher hält GALILEI (IV, 258) dem gefährlichen Spiel mit probablen Argumenten, Vermutungen, Beispielen, Wahrscheinlichkeiten und Sophismen, die man hernach verfestigt und wohl verschanzt mit berühmten Stellen und der Autorität von Philosophen, Naturforschern, Rednern und Geschichtsschreibern, die unerbittliche Strenge der geometrischen Beweisführung entgegen: so wie es in der Sache kein Mittleres gibt zwischen Wahr und Falsch, so wird in notwendigen Demonstrationen entweder mit zweifelloser Gewißheit geschlossen oder ohne Rettung fehlgeschlossen; es gilt hier:  aut Caesar aut nihil  [entweder alles (Caesar) oder nichts - wp] (XI, 46; vgl. I, 359; XIII, 10, 93, 250). Ferner:
    I, 114: Die eitle Vermessenheit, alles zu verstehen, kann nur daher rühren, daß man nie auch nur irgendetwas verstanden hat; wer es auch nur einmal erprobt hat, eine einzige Sache vollkommen zu verstehen und in Wahrheit gekostet hat,  was Wissen heißt  (com é fatto il sapere), der wird erkennen, von wie unendlich Vielem er nichts versteht; so wie der weiseste der Griechen es von sich offen eingestand. Dennoch ist diese Fähigkeit  einzusehen,  die höchste, die der Mensch hat; und das ohne Widerspruch.

    I, 116: denn wiewohl extensiv, im Verhältnis zu der unendlichen Menge des Unbegreiflichen, das menschliche Verstehen wie Nichts ist, so hat doch intensiv genommen unser Verstand von einigen Dingen so vollkommene Einsicht und absolute Gewißheit, wie die Natur selbst; solche sind Geometrie und Arithmetik, von denen der göttliche Verstand zwar unendlich viel mehr Sätze weiß als wir, denn er weiß sie alle, aber von den wenigen, die wir begreifen, kommt die Erkenntnis der göttlichen an objektiver Gewißheit gleich, da sie ausreicht, die  Notwendigkeit  zu begreifen, über welche es eine größere Gewißheit nicht gibt. -
Was hier unter "objektiver Gewißheit" verstanden ist, wird im Folgenden klar: die  Wahrheit,  von der uns die mathematischen Beweise eine Erkenntnis geben, ist dieselbe, welche die göttliche Weisheit erkennt, wiewohl die Art, wie Gott die unzähligen Sätze der Mathematik weiß, weit über die unsrige erhaben ist. Unsere Erkenntnis geht diskursiv, schrittweise von Schluß zu Schluß, wogegen seine die Sache einer einfachen Intuition ist, in welcher er durch eine einfache Erfassung des Wesens, z. B. des Kreises, ohne eine Folgerung, die eine Zeit erfordert, die ganze Unendlichkeit seiner Eigenschaften begreift, die ja wirklich in den Definitionen der Dinge virtuell enthalten sind, und vielleicht zuletzt, weil  unendlich,  in ihrem Wesen und im göttlichen Geist nur  Eins  sind. Gott erfaßt in einem Nu, wozu wir Zeit und eine Bewegung von Schritt zu Schritt brauchen; der göttliche Verstand hat die Stufen der Einsicht, die der unsere der Reihe nach durchlaufen muß, immer alle gegenwärtig (14).

Sehen wir hier ab von der Einführung des Begriffs des intuitiven göttlichen Verstandes, der übrigens als bloßer Idealbegriff seine gute Bedeutung hat, so enthalten diese Sätze jedenfalls den bestimmtesten Ausspruch der Notwendigkeit und uneingeschränkten Gewißheit der mathematischen Erkenntnis. GALILEI ist auch der Frage nicht aus dem Weg gegangen, worauf eine solche Notwendigkeit und Gewißheit sich gründet. Wir müssen, erklärt er, die Wahrheit der notwendigen Erkenntnis  von uns aus  wissen, sonst könnte sie uns Niemand jemals lehren. Was weder wahr noch falsch ist, läßt sich durch Lehre übertragen, aber was wahr, d. h. notwendig ist, d. h. was unmöglich anders sein kann, das weiß jeder mittelmäßige Verstand entweder von sich aus oder es ist unmöglich, daß er es jemals wissen wird (I, 175). So wird im Gespräch dem  Simplicio  klar gemacht, daß er manche Dinge weiß, wiewohl er fingiert oder simuliert zu fingieren, er wisse sie nicht (I, 161). GALILEI beruft sich für dieses Verfahren auf die platonische Lehre, daß unser Wissen ein Wiedererinnern ist (I, 211), und verdeutlich seinen "Begriff von der Erwerbung der Wissenschaft"; indem er, ähnlich wie es im platonischen  Menon  geschieht, den  Salviati  durch Fragen aus  Simplicio  die Antworten, ohne sie ihm vorzusagen, herauslocken läßt, die er haben will; nur die Ausdrücke weiß  Simplicio  nicht zu finden, diese will  Salviati,  sein Mitunterredner, ihn gern lehren, denn es sind Worte, nicht aber die Wahrheiten, welche Sachen sind (I, 212), oder den sachlichen Begriff (concetto reale; I, 213). Dabei ist zu beachten, daß die Sätze, welche GALILEI als Beispiel wählt, nicht rein mathematische, sondern mechanische sind; das eine Mal handelt es sich um den Fall auf der schiefen Ebene, das andere Mal um die Wurfbewegung; ein drittes Beispiel findet sich Seite 434f (15). - Ob die Berufung auf die platonische Lehre der Wiedererinnerung von GALILEI ganz ernst gemeint ist, möchte ich zweifeln. Gewiß aber hat er etwas mehr als ein bloßes rhetorisches Spiel bezweckt. Daß die Einsicht der Mathematik auf einem Wissen von sich aus (da per sé) beruth und nicht durch eine Lehre äußerlich übertragen werden oder aus bloßer sinnlicher Erfahrung entspringen kann, ist ohne Zweifel die wirkliche Überzeugung, die er hat aussprechen wollen und die er nur um der Lebendigkeit der Darstellung willen durch die platonische Wiedererinnerung illustriert. Damit sehen wir uns unmittelbar auf ein  Gesetz  der Erkenntnis hingeführt, das als solches nicht in den Objekten, sondern allein in derjenigen  Form des Bewußtseins  von den Objekten liegen kann, welche wir Einsicht oder Verstehen nennen.

Weiter als bis zu diesem Punkt hat GALILEI seine Analyse der Erkenntnis nicht geführt. Doch schien es gegenüber den hergebrachten Vorstellungen vom Empirismus des Neubegründers der physischen Wissenschaften am Platz, seine entschiedene Verwandtschaft mit dem Rationalismus hervorzuheben und durch das Zeugnis seiner Schriften zu beweisen.

Mit diesen Anschauungen von der Mathematik und vom Charakter der notwendigen Erkenntnis überhaupt steht im Einklang, daß GALILEI an zahlreichen Stellen dem  Verstand -  discorso,  seltener  intelletto  oder  ragione - eine ganz andere Würdigung zuteil werden läßt, als man nach einseitiger Beachtung solcher Äußerungen, wie sie zu Anfang angeführt werden, erwarten könnte. So heißt es
    XIII, 16: Wenn auch die Erfahrung mich von der Wahrheit des Schlußsatzes überzeugt, so ist doch der Verstand noch nicht völlig über die Ursache zufrieden gestellt, welche eine solche Wirkung hervorbringen konnte. Das Verständnis des Grundes, weshalb es so ist, ist aber von weit größerem Wert als die bloße Kenntnis der Tatsache aus wiederholter Erfahrung (XIII, 250). So wird (I, 278) dem unmittelbaren Zeugnis der Sinne als höhere Instanz die vom Verstand begleitete Wahrnehmung (senso accompagnato col discorso) gegenübergestellt. Die Apprehension [Zusammenfassung - wp] des Verstandes dringt auch dahin, wo die Sinneswahrnehmung nicht hingelangt (I, 83). Sie kann aus wenigen Erfahrungen gültige Schlüsse ziehen, die über unsere Erfahrung weit hinausreichen (I, 82). Der Verstand ergänzt den Mangel der Erfahrung (XIII, 62). Die Erkenntnis einer einzigen Wirkung aus ihren Ursachen öffnet das Verständnis für andere Wirkungen, ohne daß man auf die Erfahrung zurückzugehen braucht (XIII, 251). Der sichere Verstandesschluß bedarf nicht der Bestätigung durch Erfahrung, die nur für denjenigen notwendig ist, welcher die Gründe nicht einsehen will oder kann (I, 189). Auf sichere Verstandesschlüsse lassen sich Behauptungen gründen sogar im scheinbaren Widerspruch mit der Erfahrung (XI, 52), indem nämlich in der Erfahrung Nebenumstände mitwirken, von denen der Verstandesschluß abstrahiert. -
Natürlich will GALILEI nicht, daß die sinnliche Erfahrung ansich trüglich ist, sondern nur, daß wir Verstand brauchen, um nicht durch einen falschen Schein, zu dem die Sinneswahrnehmung Anlaß gibt, betrogen zu werden. Die einfache, von der Kontrolle des Verstandes nicht begleitete Erscheinung oder Repräsentation der Sinne kann trügen (I, 280); aber der Irrtum liegt doch nicht im Sinn, sondern im Urteil, wie in geistvoller Weise an den sogenannten Sinnestäuschungen gezeigt wird (III, 360-363). "Besser also ist es, daß wir, absehend von der Erscheinung, über die wir alle übereinkommen, den  Verstand  anstrengen, um ihre  Realität  festzustellen oder ihre Trüglichkeit zu entdecken" (I, 279). - Überall ist hier die Erkenntnis des  gesetzlichen Zusammenhangs  Funktion des Verstandes, und an der letzten Stelle wird auch deutlich ausgesprochen, daß von dieser Funktion die Unterscheidung zwischen  Schein  und  Wirklichkeit,  die empirische Wahrheit oder objektive Realität der Erscheinungen abhängt.

Das größte und zugleich für GALILEI nächstliegende Beispiel der Überwindung des Sinnenscheins durch das korrigierende Urteil des Verstandes bot die Umwälzung der gesamten kosmischen Vorstellungen durch KOPERNIKUS. Es kann nicht erstaunen, daß der Mann, der mit Wort und Tat der Vollender jener großen Umwälzung wurde, für die Bedeutung derselben das richtigste, philosophisch begründete Verständnis besaß. GALILEI bewundert aufs Höchste den Geist der Männer, welche durch die Lebendigkeit ihres Intellekts den eigenen Sinnen soweit Gewalt antun konnten, daß sie, was der Verstand ihnen diktierte, über das stellten, was die sinnliche Erfahrung offen in der entgegengesetzten Weise zu zeigen schien (I, 357). Je scheinbarer die widerstreitenden Erfahrungen sind, umso höher steigt seine Bewunderung dafür, daß in ARISTARCH und KOPERNIKUS die Vernunft (ragione) den Sinnen so übermächtig war, daß sie ihnen zum Trotz ihre Überzeugung bestimmte (I, 358). Man muß seinen Geist durch Astronomie oder Mathematik zur Durchdringung der Wahrheit geschärft haben, um zu einer richtigen Würdigung des KOPERNIKUS befähigt zu sein (I, 359). Tiefer noch begründet GALILEI sein URteil an einer anderen Stelle (I, 372). Die "puren Astronomen", sagt er, haben kein weiteres Ziel, als den Bewegungen der Gestirne solche Konstruktionen anzupassen, daß die nach diesen berechneten Bewegungen den Erscheinungen selbst entsprechen, welche Schwierigkeiten auch übrigens ihren Annahmen entgegenstehen mögen. So hatte KOPERNIKUS selbst früher durch einige Verbesserungen des ptolemäischen Systems erreicht, daß Rechnung und Erscheinungen miteinander stimmten, solange er Planet für Planet gesondert vornahm. Aber indem er den ganzen Bau zusammensetzen wollte, entstand ein Ungetüm von so unproportionierten und miteinander unvereinbaren Gliedern, daß, so sehr es dem bloß rechnenden Astronomen hätte genügen können, es dem  philosophischen  Astronomen keine Befriedigung und Ruhe gewähren konnte. Und da er glaubte, wenn man die himmlischen Phänomene mit sachlich falschen Annahmen vollkommen repräsentieren kann, so muß es mit der wahren Annahme noch weit besser gelingen, so forschte er nach, ob man nicht irgendeine andere Vorstellung des Weltbaues versucht habe, als die ptolemäische, und geriet auf jene Pythagoreer, welche (nach einer falsch verstandenen PLUTARCH-Stelle) die doppelte Erdbewegung gelehrt haben sollten. Nachdem er gefunden hatte, daß unter dieser einzigen Annahme das Ganze mit den Teilen auf die wunderbarste Weise zusammenstimmte, so nahm er diese neue Weltverfassung an und beruhigte sich bei ihr.

Ich habe anderwärts (16) die Urteile GALILEIs und KEPLERs über KOPERNIKUS mit dessen eigenen entsprechenden Äußerungen zusammengestellt; die Vergleichung ergibt, ein wie bestimmtes Bewußtsein all diese Männer von der philosophischen Bedeutung der Sache hatten, für die sie mit der ganzen Kraft ihrer Überzeugung eintraten. Zweierlei aber ist es, was im Urteil GALILEIs charakteristisch hervortritt: erstens, daß das System dem Bedürfnis des Geistes nach Ordnung und Übereinstimmung in vollkommenster Weise Genüge tut, und zweitens, daß diese Ordnung und Übereinstimmung als Beweisgrund für die  Wahrheit  des Systems gilt. Und so ist es (nach III, 388) gerade der Anspruch, das  wahre  System der Gestirne zu erkennen, welcher den den "philosophischen" Astronomen vom "puren" Astronomen unterscheidet: der Letztere beschränkt sich darauf, in irgendeiner Weise "die Erscheinungen zu salvieren" [in Sicherheit bringen - wp], d. h. durch die Theorie entsprechend auszudrücken; der Erstere hingegen sucht, als das größte Problem, die  wahre Verfassung des Weltganzen  zu ergründen; denn es  gibt  eine solche Verfassung, und es gibt sie  auf  eine einzige, wahre, reale, ja auf eine solche Art, daß sie unmöglich anders sein kann.' In seinem Brief an KEPLER, und in zahlreichen Auseinandersetzungen, spricht GALILEI mit Nachdruck aus, daß es darauf ankommt, das kopernikanische System als das  wahre,  und nicht bloß als das für die Astronomie brauchbarste zur Geltung zu bringen. Eben dies war es, was seine jesuitischen Gegner um der kirchlichen Autorität willen niemals zugeben zu dürfen glaubten: als "Hypothese" wollten sie die Lehre gerne gelten lassen. Es war der Irrtum GALILEIs, daß er meinte, diese Leute durch eine Verstärkung der Gründe zur Annahme einer besseren Überzeugung zwingen zu könen, während es doch jenen gar nicht um wissenschaftliche Überzeugung, sondern allein darum zu tun war, die kirchliche  Autorität  um jeden Preis zu wahren.

Nicht minder zutreffend aber findet GALILEI andererseits einen philosophischen Zug im Geist des KOPERNIKUS in der Überzeugung, die wirklich dessen ganzes Werk trägt und hält: daß allein diejenige Vorstellung des Weltgebäudes die wahre sein kann, welche  Ordnung und Einstimmigkeit  hervorbringt. Ungleichförmige Bewegungen anzunehmen, wo sonst alles nach bester Ordnung eingerichtet ist, wäre "unwürdig"; also, schließt KOPERNIKUS, müssen die Ungleichmäßigkeiten ein bloßer  Schein  sein, der durch eine Zurückführung auf regelmäßige, nach seiner Ansicht kreisförmige Bewegungen zu korrigieren ist (de revol. I, 4). Daß die Sonne das Zentrum des Planetensystems ist, lehrt das Prinzip der Ordnung und die Harmonie des Weltganzen, wenn wir nur die Sache, wie man sagt, mit beiden Augen betrachten (I, 9). Die Natur vermeidet irgendetwas Überflüssiges und Unnützes hervorzubringen und knüpft lieber viele Wirkungen an  eine  Ursache (I, 10). Es ist kein  passenderes  Verhältnis zu finden, als daß die Zeitdauer der Größe der Bahnen entspricht (I, 10). Auf solche Weise kommt alles in eine  Ordnung,  und zwar in eine  gewisse  und notwendige (VI in.) Es ist offenbar, daß sich hier ästhetische und selbst religiöse Motive mit einem rein wissenschaftlichen verbinden. Bei KEPLER und GALILEI sind diese Motive keineswegs ganz unwirksam geworden; aber sie werden doch von den wissenschaftlichen Gründen mit größerer Bestimmtheit unterschieden. KEPLER gründet geradezu seine ganze Kosmologie auf eine ästhetische gefärbte Theologie nach pythagoreisch-platonischem Muster, aber indem er die Auffindung der richtigen  Hypothese,  welche vorerst den Tatbestand der mannigfachen Bewegungen der Gestirne auf eine einheitliche Formel bringt, von der Erforschung der  Ursache die er in der ästhetischen Verfassung des Weltganzen sucht, mit Bestimmtheit sondert (17), macht er es sich möglich, selbst unter der Leitung seiner ästhetischen Grundidee zu Entdeckungen von der außerordentlichsten wissenschaftlichen BEdeutung zu gelangen (18). GALILEI verfährt, wie sich erwarten läßt, noch weit nüchterner. Auch er sieht zwar in der Natur gleichsam die direkte Offenbarung Gottes, so daß er "Gott und die Natur" fast ohne Unterscheidung zusammen nennen kann (19); auch für ihn hat das Argument der Ordnung und Einfachheit eine große Überzeugunskraft; auch spricht er einmal als allgemeines Postulat aus, daß das Wahre zugleich das Schöne sein muß (20); aber er ist sich auch dessen klar bewußt, daß solche Gründe nicht den Wert einer notwendigen Demonstration, sondern nur den der größeren Wahrscheinlichkeit haben (21). Damit ist zur strengeren Unterscheidung des Geltungswertes bloß "regulativer Ideen" von demjenigen notwendiger Gesetze, - die sich in der Wissenschaft selbst früher vollzog als in der Theorie der Wissenschaft - der erste Grund gelegt. Auf jeden Fall aber werden wir uns der Ansicht GALILEIs anschließen können, welche den Zug eines im wahrsten Sinne philosophischen Geistes darin erkennt: allem zuwiderlaufenden Schein der Sinne zum Trotz die Verstandesforderung, welche  Einheit  und konsequenten Zusammenhang unter Gesetzen zur Bedingung der objektiven  Wahrheit  der Erscheinungen macht, zur Geltung zu bringen: nicht durch die Verleugnung der Erfahrung, wohl aber durch eine Überwindung des falschen Scheins, den die Erfahrung veranlaßt und den wir durch sie allein, ohne das berichtigende Urteil des allseitig vergleichenden und kombinierenden Verstandes, nie los würden.

GALILEI erläutert die entscheidende Rolle des Verstandes in der wissenschaftlichen Forschung noch an ein paar Beispielen. So sagt er in Bezug auf GILBERTs Entdeckung des Erdmagnetismus: man müsse seinen Geist von der Sklaverei der Schule befreit, seinen Verstand entfesselt und die Widerspenstigkeit der Sinne geheilt haben, um die Bedeutung solcher von der herrschenden Meinung weit abliegenden Einsichten recht zu würdigen (I, 433). Er vermißt bei GILBERT eine tiefere Vertrautheit mit der Mathematik, die ihn an eine strengere Beweisführung gewöhnt haben würde, und er erwartet die Vervollkommnung der Theorie durch neue Beobachtungen, und mehr noch durch wahre und notwendige Beweise. Allein die erste Entdeckung bleibt ihm das Bewundernswürdigste, und die Fähigkeit, aus geringfügigen Erscheinungen so weittragende Entdeckungen hervorzulocken, gilt ihm als Beweis eines über das Gewöhnliche weit hervorragenden Scharfblicks (439f). Eben dies, aus alltäglichen Erscheinungen fundamentale Gesetz zu gewinnen, bezeichnet GALILEI öfters in richtiger Selbstschätzung als sein eigentümliches Talent (XIII, 90, 100; IV 305). Genau so urteilt LAGRANGE: es habe eines außerordentlichen Geistes bedurft, um die Gesetze der Natur in Erscheinungen zu entwirren, die man stets vor Augen gehabt hatte, deren Erklärung aber nichtsdestoweniger den Nachforschungen der Philosophen immer entgangen war (22).

Es wird schon aus dem bisher Gesagten klar geworden sein, in welchem Sinn man von einer philosophischen Grundlage der  Naturforschung  GALILEIs zu reden berechtigt ist; nämlich genau in dem Sinne, in welchem GALILEI selbst ein philosophisches neben dem rein astronomischen Verdienst in der Leistung des KOPERNIKUS anerkennt. GALILEI verfuhr spekulativ im besten Sinne, indem er nicht nur Tatsachen der Erfahrung aus einem praktischen Bedürfnis zurechtzulegen suchte, sondern eine Einheit der theoretischen Vorstellung des Naturganzen bewußt und konsequent anstrebte, und dies nicht, wie so viele vor ihm getan hatten, durch vage, die Erfahrung kühn überfliegende Phantasie, sondern in einer strengen Anlehnung an die Tatsachen und mit der besonnendsten Klarheit darüber, daß in die Geheimnisse der Natur nicht anders als durch eine sorgfältige Beobachtung und mathematisch strenge schlußfolgerung einzudringen möglich ist (23). Mit keiner früheren Philosophie hat GALILEIs Denkart eine entschiedenere Verwandtschaft als mit derjenigen DEMOKRITs; daher ist es dann auch nicht zu verwundern, daß seine Weltansicht inhaltlich mit der des Abderiten [Demokrit - wp] in so vielen wichtigen Zügen zusammentrifft. Es ist wahr, daß die Zeit auf die Erneuerung der demokritischen Denkweise hindrängte. Schon war LUKREZ in allen Händen, und noch zu Lebzeiten GALILEIs unternahm GASSENDI die Wiederherstellung der Lehre EPIKURs, der ja seine Naturphilosophie wesentlich von DEMOKRIT entlehnte. Aber ganz verschieden von einer solchen Restauration vergessener Systeme war die Leistung GALILEIs, der dieselben großen Grundanschauungen, mit weit haltbarerer Begründung und bestimmterer Ausprägung der Einzelzüge, nicht aus einer halb verschollenen Tradition hervorholte, sondern wesentlich aus den Forschungen seiner Zeit, vor allem aber aus seinen eigenen grundlegenden Entdeckungen  selbständig  gewann. (24) Man muß sagen, daß GASSENDIs Rückgang auf EPIKUR und DEMOKRIT zu spät kam und daß die neue Zeit damals nicht viel mehr in der Naturphilosophie von den Alten zu lernen hatte, was sie nicht ebenso gut und besser von GALILEI hätte lernen können.

Eine kurze Darlegung der Grundzüge seiner Naturansicht wird genügen, das Gesagte zu bestätigen.

Es muß zuerst festgestellt werden, daß GALILEI mit einer Bestimmtheit, die man selbst bei DESCARTES vergeblich such, das  Gesetz der Ursächlichkeit  aller wissenschaftlichen Forschung zugrunde legt (25). Seine Aufstellungen enthalten nichts anderes, als was alle Wissenschaft zu aller Zeit hat anerkennen müssen; es galt aber damals erst wieder Wissenschaft zu begründen, und die Sätze GALILEIs haben darin ihren vorzüglichen, sozusagen authentischen Wert, daß sie das Bewußtsein von dem, was das Fundament aller Wissenschaft ausmacht, im lebendigen Zusammenhang eben der Forschungen zum Ausdruck bringen, welche der fast erstorbenen Wissenschaft neues Leben einflößen sollten. GALILEIs Lehren sind folgende. Die Kenntnis der Wirkungen führt zur Erforschung der Ursachen; es kann aber von der sicher konstatierten, wenn auch begrenzten Wirkung auf die wahre und primäre Ursache gültig geschlossen werden, weil zuletzt eine einzige die wahre und erste Ursache aller Effekte ein und derselben Art sein muß, wie viele besondere Umstände auch im einzelnen Fall die Wirkung mitbestimmen mögen (I, 452f). Diejenige und keine andere ist im eigentlichen Sinne Ursache zu nennen, mit deren Setzung die Wirkung jederzeit erfolgt, mit deren Aufhebung sie aufgehoben wird (IV, 216). Aus der Ursache müssen sich die Wirkungen so herleiten lassen, daß sie nicht nur keinen Widerspruch oder Anstoß finden, sondern daß sie leicht folgen; und nicht nur leicht, sondern mit Notwendigkeit, so daß es unmöglich ist, daß sie auf andere Weise auftreten (I, 459). Von  einer  Wirkung kann nur eine einzige die primäre Ursache sein, und zwischen der Ursache und der Wirkung ist eine feste und beständige Verknüpfung; woraus folgt, daß jeder festen und beständigen Änderung in der Wirkung eine feste und beständige Änderung in der Ursache mit Notwendigkeit entspricht; dies fordert die  Identität  der Ursache (I, 482f). Man muß zusehen, welcher neue Umstand in einem besonderen Fall hinzugekommen ist; von diesem muß die Alteration des Effekts abhängen (I, 236 und 441). Wenn die bekannten Ursachen zur Erklärung einer Wirkung ausreichen, ohne daß irgendeine besondere Vorausetzung zugunsten dieses berühmten Effekts eingeführt zu werden braucht, so ist man berechtigt, die Wirkung von eben jenen Ursachen abzuleiten (I, 462). Die Ursache geht der Wirkung, wo nicht der Zeit, so doch der Natur nach vorher, und von einem positiven Effekt muß die Ursache ebenfalls eine positive sein (XIII, 17): darum kann die Adhäsion [Haftung - wp] zweier geschliffener Platten nicht auf den  horror vacui  [Angst vor der Leere - wp] zurückgeführt werden, denn das Vakuum, das durch die Lostrennung erst eintreten  würde,  kann nicht die positive Ursache sein, welche die Lostrennung verhindert.

Daß die "Notwendigkeit" der ursächlichen Verknüpfung auf der Einstimmigkeit beruth, welche sie in die Auffassung aller mannigfachen Veränderungen ein und derselben Art bringt, tritt mehrfach sehr deutlich hervor. Sowie aus einer falschen Annahme immer wieder falsche Konsequenzen fließen, so muß die wahre sich in allen Folgerungen bestätigen (I, 246f; vgl. KEPLERs Definition der wahren Hypothese, a. a. O.); so daß, wenn wir einmal die Bahn der Wahrheit eingeschlagen haben, wir auf immer neue und neue Beweisgründe stoßen müssen (I, 442 und 136).  Nichts kann der Natur entgegen sein als das Unmögliche, welches daher auch niemals ist;  (XIII, 16); d. h. was  wirklich  ist, muß der Gesetzlichkeit der Natur notwendig gemäß und folglich in konsequenter  Einheit  auffaßbar sein.

Die Kennzeichen  letzter  Ursachen sind  Identität, Gleichförmigkeit, Einfachheit  (XI, 75; vgl. XIII, 90 und 100). Der reine und absolute Effekt (XIII, 67) der ersten Ursachen setzt sich aber zusammen mit den Erfolgen besonderer mitwirkender Faktoren; diese muß die Forschung erst ausscheiden, um das Grundgesetz in seiner Reinheit darzustellen. So werden die Erscheinungen des Falls auf das Gesetz des Falls im leeren Raum zurückgeführt, indem der Widerstand des Mittels eliminiert und dann die Geschwindigkeit für alle verschieden schweren Körper gleich befunden wird (XIII, 74f). So wird bei der Aufstellung der Gesetze der Wage vom Gewicht der Waage selbst zuerst abstrahiert und das Instrument als immateriell behandelt, um erst hernach als etwas Materielles mit in Rechnung gestellt zu werden (XIII, 115). Für die Berechtigung einer solchen Argumentation  ex suppositione  [unter Voraussetzungen - wp] in der Mechanik, - die damals keineswegs der allgemeinen Vorstellung geläufig war, - beruft sich GALILEI auf den Vorgang des ARCHIMEDES und begründet sein Verfahren damit, daß von den Zufälligkeiten, welche auf unendliche Art veränderlich sind, kein sicheres  Wissen  möglich ist; daher muß man, um wissenschaftlich zu Werk zu gehen, von denselben abstrahieren und, nachdem man die Folgerung für den abstrakten absoluten Fall gefunden und bewiesen hat, sich ihrer in der Praxis mit denjenigen Beschränkungen bedienen, welche die  Erfahrung  lehrt (26). - Hierher gehört auch die Erörterung der Frage, ob die geometrischen Demonstrationen in ihrer ganzen Strenge auf materielle Verhältnisse Anwendung finden; ob z. B. auch eine materielle Kugel eine Ebene nur in einem Punkt berührt (I, 224f). Ja, lautet die Antwort; wenn nämlich die Kugel eine wirkliche Kugel und die Ebene eine wirkliche Ebene ist; so gut wie die Rechnung in abstrakten Zahlen auf die Münzen von Gold und Silber und auf die Waren  in concreto  Anwendung findet. Kommt ein Fehler vor in der Übertragung des mathematischen Schlusses auf die Verhältnisse der Erfahrung, so liegt er nicht im Abstrakten und nicht im Konkreten, weder in der Geometrie, noch in der Physik, sondern im Rechner, der seine Berechnung nicht richtig aufgestellt hat. Übrigens warum soll es keine wirklichen Körper geben, welche den Definitionen der Geometrie genau entsprechen? (I, 229).

Überall tritt uns die Zurückführung der verwickelten Phänomene auf einfache,  absolute  Elemente, in denen eine strenge  Unveränderlichkeit  und  Gleichheit  herrscht, als das leitende Prinzip von GALILEIs Naturforschung entgegen. Nach diesem Prinzip mußte aber notwendig auf  quantitative  oder  Maßbestimmungen  der Vorgänge, welche Gegenstand der Wissenschaft sein sollten, das stärkste Gewicht fallen (27). Die "Notwendigkeit" aller natürlichen und wahren Dinge, die "Identität" der primären Ursachen aller Erscheinungen derselben Art, die Zurückführung der zusammengesetzten Wirkungen auf absolute, d. h. beständige und genau bestimmbare Faktoren war nur auf diesem Weg in der Strenge zu erreichen. Daher war es von größter Bedeutung, daß GALILEI gerade auf die Untersuchung der Natur der  Bewegung  geführt wurde und hier den Punkt erkannte, von dem allein ein Eingang in das gesamte Gebiet der Physik zu finden war. Zwar hat auch KEPLER schon einzelne Zweige der Physik mit einem richtigen Verständnis bearbeitet; aber sein vorwiegendes Interesse lag in der Astronomie; und wiewohl schon er zu der Einsicht kam, daß den schwierigen Phänomenen des Lichts und des Schalls nur auf dem Weg exakter geometrischer Bestimmungen beizukommen ist, so faßte er doch die Probleme noch nicht genug bei der Wurzel und blieb zuletzt in den alten verkehrten Vorstellungen der realen Qualitäten und  species immateriatae  [Strahlung - wp] stecken.
LITERATUR - Paul Natorp, Galilei als Philosoph, Philosophische Monatshefte, Bd. 18, Heidelberg 1882
    Anmerkungen
    1) Leibni.op. philos. ed. ERDMANN, Seit3 48 und 91f; Philos. Schr. hg. von GERHARDT, Bd. 1, Seite 196
    2) HUME, Dialogue concerning natural religion, Teil II a. E. - Seine treffende Parallele zwischen BACON und GALILEI (History of Great Britain, Bd. VI, 1770, Seite 215) findet man bei LIBRI, Hist. des sc. math. en Italie IV, Seite 165f.
    3) Siehe hierüber meine Schrift über DESCARTES' Erkenntnistheorie, Kapitel 6
    4) Im Allgemeinen hat auch LIBRI (a. a. O. Seite 158f, 166, 247, 254, 292) die Bedeutung GALILEIs für die Philosophie hervorgehoben; ferner MARTIN, Galilée, Paris 1868. DÜHRINGs wiederholter und nachdrücklicher Hinweis auf GALILEI und insbesondere die Analyse der Mechanik GALILEIs (Geschichte der Prinzipien der Mechanik) verdient rühmlich bemerkt zu werden. Auch TÖNNIES (Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 3, Seite 455) urteilt: "Die traditionelle Historiographie hat GALILEI unter den Tisch geschoben." KEPLER und GALILEI als Logiker bespricht kurz PRANTL in den Sitzungsberichten der Münchener Akademie der Wissenschaften, philosophisch-historische Klasse, 1875, Bd. II, Seite 394-408.
    5) E. F. APELT, "Epochen der Geschichte der Menschheit", Bd. I, Seite 257f; ferner: "Die Reformation der Sternkunde", 1852; schließlich und hauptsächlich: "Theorie der Induktion", 1854, Seite 59-64 und 141-143.
    6) WILLIAM WHEWELL, Philosophy of the inductive sciences, Bd. 2, Seite 216f
    7) Im Allgemeinen ähnlich urteilen LIBRI, MARTIN, DÜHRING; eine nähere Prüfung ihrer Aufstellungen liegt hier außerhalb meiner Absicht, die wichtigsten Gesichtspunkte der Kritik findet man bei APELT in der "Theorie der Induktion".
    8) Vgl. hierzu P. MARTIN, Seite 291-297, 367-370
    9) Pseudonym des Paters GRASSI, gegen den sich GALILEI im  Saggiatore  verteidigt.
    10) siehe meine Schrift über DESCARTES' Erkenntnistheorie, Kap. 5
    11) Eben dies gilt von den obersten Gesetzen selbst; wie APELT (Theorie der Induktion, Seite 61) richtig sagt: der Grundsatz der Relativität der Bewegung kann nur  eingesehen,  aber nicht bewiesen werden.
    12) XII, 512. Vgl. WHEWELL, philos. etc. II, 219. APELT, Theorie der Induktion, Seite 142. PRANTL, a. a. O., Seite 398. Vgl. auch MARTIN, a. a. O., Seite 295.
    13) Vgl. außer den angeführten Stellen noch XI, 35; XII, 506; XIII, 324; II, 34 (PRANTL 399); XI, 89 (PRANTL 401).
    14) Die Verwandtschaft mit Ansichten BRUNOs ist auffällig. Daß GALILEI dessen Schriften gekannt hat, ist, wiewohl er ihn niemals nennt, immerhin sehr denkbar. Übrigens waren solche Ansichten sicher auch weiter verbreitet.
    15) Andererseits wird freilich (XIII, 171 vgl. 161) das Verlangen, die fundamentalen Prinzipien durch Erfahrung bestätigt zu sehen, als "höchst wissenschaftlich" für alle Disziplinen anerkannt, welche mathematische Demonstrationen auf physische Verhältnisse anwenden, wie Perspektive, Astronomie, Mechanik, Musik. Wie beide Behauptungen, die des Ursprungs  a priori  und die der Notwendigkeit der Bewährung an der Erfahrung, zusammen bestehen können, findet man bei APELT (Theorie der Induktion, a. a. O.) gut erklärt, dessen Untersuchungen in all diesen Fragen an  erster  Stelle Berücksichtigung verdienen. Daß für alle abgeleiteten Effekte die Ursachen  nur  aus der Erfahrung genommen werden können, erläutert GALILEI am Beispiel der zahllosen Arten, wie Töne hervorgebracht werden, indem er zeigt, daß die Natur ihre Wirkungen vielfach auf Wegen erzeugt, die wir nie hätten erdenken können, wenn Sinne und Erfahrung sie uns nicht lehren würden (IV, 237f).
    16) In einem Aufsatz über "die kosmologische Reform des KOPERNIKUS in ihrer Bedeutung für die Philosophie", welchen in den Preußischen Jahrbüchern" demnächst erscheinen wird.
    17) Kepleri opera ed. FRISCH VI, 120; vgl. ferner I, 238f.
    18) Siehe APELTs verschiedene Schriften (außer den oben erwähnten noch "Johannes Keplers astronomische Weltansicht", 1849); ferner RUDOLF EUCKEN in dieser Zeitschrift, Bd. 14, Seite 30f.
    19) I, 399: Iddio e la Natura. Vgl. die schon angeführte Stelle I, 116.
    20) I 128, 130, 131, 423, 429, 485; XIII 90, 137
    21) I, 132, 137. - Hiernach bedarf das, was PRANTL, a. a. O., Seite 401 über GALILEIs Schätzung der  Axiome  sagt, doch einiger Einschränkung. Der Satz, den PRANTL unter dem Text anführt (io confesso ...), bezieht sich vielmehr auf das Ganze des kopernikanischen Systems, als gerade auf die vorher erwähnten Axiome, die nur als beiläufige Argumente für die Richtigkeit der Lehre angeführt werden. Axiom im strengen Sinne ist für GALILEI, von den geometrischen Grundsätzen abgesehen, vielleicht nur das Gesetz der Unsachlichkeit.
    22) siehe EUGEN DÜHRING, Geschichte der Prinzipien der Mechanik, Seite 37
    23) Ähnlich DÜHRING, a. a. O., Seite 37: Die induktive Spekulation ist das Auszeichnende in GALILEIs Verfahren gewesen. Seite 39: Der Anteil der  Naturphilosophie  ... darf bei GALILEI nicht geleugnet werden. Ferner LIBRI an den oben bezeichneten Stellen und MARTIN.
    24) Daß er mit DEMOKRIT und EPIKUR, und selbst mit CARDAN und TELESIUS unbekannt war, versichert GALILEI selbst (IV, 511, 525, 178), und zwar in Erwiderung auf Anfgriffe des ORAZIO GRASSI, welcher u. a. (486) gerade mit Bezug auf die im "Saggiatore" vorgetragene Lehre von der  Subjektivität der sinnlichen Qualitäten  bemerkt hatte: GALILEI bekennt sich damit als ein Schüler DEMOKRITs und EPIKURs. Es kann danach wohl nicht bezweifelt werden, daß GALILEI zu dieser für die ganze Naturphilosophie entscheidenden Lehre auf eigenem Weg gelangt ist. Wie gefährlich es war, damals solche Einsichten zu haben, darüber sind die weiteren Bemerkungen GRASSIs (486f) sehr belehrend, auf die GALILEI nur die Antwort findet: Pudet me impudentiae tuae, cuius te ipsum non pudet. [Ich schäme mich für ihre Frechheit, wenn Sie sich schon nicht dafür schämen. (Fremdschämen) - wp] (527) - Vgl. XIII, 29.
    25) Vgl. MARTIN, a. a. O., Seite 318
    26) XIII, 227f. - APELT hat in der "Theorie der Induktion" gezeigt, daß GALILEIs Methode in der Mechanik nicht die induktuve, sondern eben jene "resolutive", abstrahierende war, die in diesen Stellen so treffend formuliert ist. So finden seine generellen, theoretischen Äußerungen auf Schritt und Tritt ihre Bestätigung duch die Forschungen selbst. Ganz übereinstimmende Ansichten von der Methode exakter Wissenschaft entwickelt DESCARTES (siehe meine Schrift über diesen, Kapitel 5: vgl. besonders Anmerkung 14, Seite 182) mit der zuletzt zitierten Stelle GALILEIs.
    27) Hierüber vgl. MARTIN, Seite 289, 297, 321, 358f.