tb-1W. WindelbandE. DürrDescartesR.RichterM.VerwornG. Neudecker    
 
JOHANNES VOLKELT
Die Quellen der
menschlichen Gewißheit

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"Mein Bewußtsein, streng gereinigt von allen erschlossenen Einschaltungen und Unterbauungen, ist ein jedes leitenden Fadens entbehrender Wirrwarr zusammengeworfener flüchtiger Inhalte. Was sonach aufgrund der reinen Erfahrungsgewißheit allein herauskommen kann, ist ein Hohn auf alles Erkennen, ein stumpfsinniges Hinzeigen und Aufzählen meiner zusammenhangslosen Bewußtseinsinhalte. Es bleibt daher für den, der sich darauf versteift, Erkennen lediglich aufgrund der reinen Erfahrung zustande bringen zu wollen, nur der Verzicht auf alles Erkennen übrig. Er muß den Mut haben, sich zum Erkenntnisnihilismus zu bekennen."

6. Die Erinnerungsgewißheit als zugehörig zur Selbstgewißheit

Will ich über den Umfang dessen ins Klare kommen, was mir aufgrund der Selbstgewißheit des Bewußtseins gewiß wird, so muß vor allem beachtet werden, daß keineswegs  alles,  was mein Bewußtsein enthält, eben darum auch schon von meiner Selbstgewißheit umfaßt werden muß. Die Auffindung dieser Gewißheitsart bedeutete von vornherein nur soviel, daß es  zahlreichen Bewußtseinsinhalt  gibt, dessen ich in unbezweifelbarer Weise gewiß bin. Sieht man genauer zu, so bemerkt man, daß  zwei  Bedingungen erfüllt sein müssen, wenn ich von meinen Bewußtseinsvorgänen unbedingte Gewißheit haben soll.  Erstens  muß ich dem Bewußtseinsinhalt mit  Aufmerksamkeit  zugekehrt sein. Was in meinem Bewußtsein - etwa in meinem Gesichtsfeld - halbbeachtet und unbeachtet verläuft, davon habe ich nur ein ungefähres Wissen, nur ein unklares Gefühl.  Zweitens  muß den Bewußtseinsvorgängen ein gewisser Grad von  Deutlichkeit  eigen sein, wenn sie unbedingt sicher gewußt werden sollen. Es gibt eine Fülle dunkler, verschwommener, flüchtiger Regungen in uns, deren wir, auch wenn wir uns ihnen mit angespanntester Aufmerksamkeit zuwenden, nur unsicher gewiß werden. Die Dunkelheit ist hier nicht eine Folge mangelnder Aufmerksamkeit , sondern haftet hier den Bewußtseinsinhalten als solchen an. Wenn nun durch diese zwei Bedingungen auch der Umkreis dessen, was in die unbezweifelbare Selbstgewißheit meines Bewußtseins fällt, gewaltig eingeschränkt wird, so bleibt doch immer noch eine ungeheure Menge von Bewußtseinstatsachen übrig, deren ich mit unbedingter Sicherheit gewiß werden kann. Ich habe mich über diese beiden einschränkende Bedingungen schon in meinem Buch "Erfahrung und Denken" zur Genüge ausgesprochen. (1)

Droht der Selbstgewißheit aber nicht noch eine weitere, viel verhängnisvollere Einschränkung? Ist ihr nicht immer nur das in meinem Bewußtsein gerade  Gegenwärtige  zugänglich? Oder gibt es auch von meinen  vergangenen  Bewußtseinstatsachen unbedingte unmittelbare Gewißheit? Es handelt sich hier sonach um die erkenntnistheoretische Bedeutung der  Erinnerungsgewißheit.  Gehört die Erinnerungsgewißheit zur Selbstgewißheit meines Bewußtseins? Umfaßt die Selbstgewißheit auch solchen Bewußtseinsinhalt, dessen ich  aufgrund meiner Erinnerungsgewißheit  gewiß bin? In diesem Fall würde ich kraft meines Selbstinneseins auch meines  vergangenen  Bewußtseinsinhaltes gewiß sein; natürlich seiner nicht in vollem Umfang, sondern immer nur soweit, als mir meine Erinnerungsgewißheit ihn  in unzweifelhafter Weise  verbürgt. Es fragt sich also: gehört die Erinnerungsgewißheit, soweit sie für mich den Charakter des  Unbezweifelbaren  trägt, zu  der  Gewißheitsart, die sich mir als Selbstgewißheit meines Bewußtseins zu erkennen gibt?

Diese Frage mit klarem Bewußtsein stellen und sie im Sinne der Zugehörigkeit der Erinnerungsgewißheit zur Gewißheitsquelle des Selbstinneseins beantworten - ist ein und dasselbe. Mit der Erinnerungsgewißheit ist keine neue Gewißheitsgrundlage eingeführt.  Psychologisch  freilich ist das Gewißsein meiner gegenwärtigen Empfindung  blau  weit verschieden von der Gewißheit, daß ich die Empfindung  blau  vorhin gedacht habe.  Erkenntnistheoretisch  dagegen, das heißt: hinsichtlich der Frage, auf welchen Weisen des Gewißseins alles Erkennen beruth, sind diese beiden psychologisch verschiedenen Gewißheitsformen vollkommen gleichwertig.

Es gilt, sich die Weise des Gewißseins in beiden Fällen zu Bewußtsein zu bringen. Dabei zeigt es sich unzweifelhaft, daß trotz des verschiedenen psychologischen Zustandegekommenseins da wie dort genau dieselbe Weise des Gewißseins vorliegt. (2) Wenn ich dessen gewiß bin, vor einer Weile einen Eisenbahnzug an mir vorüberfahren gesehen oder gestern meinen Freund besucht zu haben, so ist dies ein Gewißsein gerade ebenso aufgrund meines Selbstinneseins, ein Gewißsein gerade ebenso kraft dessen, daß ich eben dieses Bewußtsein bin, wie wenn ich gewiß bin, den Eisenbahnzug oder den Freund eben jetzt zu sehen. Die Gewißheit, diesen oder jenen Bewußtseinsinhalt  erlebt zu haben,  ist genau von der gleichen Selbstverständlichkeit für mich wie die Gewißheit, einen bestimmten Bewußtseinsinhalt  eben jetzt zu erleben.  Ich bin gewiß, heute in der Mittagsstunde eine Vorlesung über PESTALOZZI gehalten zu haben, und ich bin dessen gewiß,  so wahr ich dieses Bewußtsein bin. 

Zu der Meinung, daß die Erinnerungsgewißheit eine besondere Gewißheitsart neben dem Selbstinnesein sei, können allerdings zahlreiche von verschiedenen Psychologen geäußerte Ansichten über die Natur des Erinnerungsvorganges führen. Die Psychologie der Erinnerung ist in einem seltenen Grad reich an irrigen Auffassungen, an unrichtigen Wiedergaben des Tatbestandes. Hierzu gehört vor allem die in vielen Formen auftretende Meinung, daß das Sicherinnern auf einem Vergleichen, Folgern, Erwägen, Lernen oder einen sonstigen vermittelten Verfahren beruhe. Ich habe mich in dem Aufsatz "Die Erinnerungsgewißheit" in eingehend widerlegender Weise mit diesen Entstellungen in der Beschreibung des Erinnerungsvorganges bschäftigt, um auf diesem Weg die schon durch einfache Innenerfahrung feststehende Wahrheit noch mehr zu erhärten, daß es sich in der Erinnerung um eine schlechtweg unmittelbare Gewißheit handelt. (3) Wer freilich die Erinnerung auf ein Vergleichen, Folgern und ähnliches zurückführt, versperrt sich durch diesen  psychologischen  Irrtum auch die richtige  erkenntnistheoretische  Wertung der Erinnerungsgewißheit.

Man könnte nun einwenden: die Erinnerungsgewißheit sei doch überaus häufig trügerischer Art; oft möchte man, wie man zu sagen pflegt, darauf schwören, etwas so und nicht anders erlebt zu haben; und dann überzeugt man sich, daß der Verlauf doch ein anderer war. Liegt in solchen Erinnerungstäuschungen nicht der deutlichste Hinweis darauf, daß die unbezweifelbare Selbstgewißheit des Bewußtseins nicht auf die Erinnerungsgewißheit ausgedehnt werden darf?

Dieser Einwand hätte Recht, wenn die Sache so läge, daß das Bewußtsein erst aus einer Masse gesammelter Erfahrungen über die Sicherheit der Erinnerungsgewißheit induktiv dazu käme, seiner Erinnerungsgewißheit je nach dem Ausfall dieser Induktion größeren oder geringeren Glauben zu schenken. So liegt nun aber die Sache auf keinen Fall. Vielmehr bin ich trotz aller Erinnerungstäuschungen in unbezweifelbarer Weise unzähliger Erlebnisse gewiß. Und hätte ich mich auch soeben auf einer mir geradezu unverständlichen Erinnerungstäuschung ertappt, so würde dadurch meine Gewißheit, heute morgen das Bett verlassen, mich gewaschen, gefrühstückt zu haben, in ihrer Unbezweifelbarkeit auch nicht im mindesten berührt werden. Meine Erinnerungsgewißheit ist auch weiterhin in unzähligen Fällen für mich von schlechtweg unbezweifelbarer Art. So haben daher für die Erkenntnistheorie solche Fälle, in denen trotz unbezweifelbarer Art. So haben daher für die Erkenntnistheorie solche Fälle, in denen trotz unbezweifelbarer Erinnerungsgewißheit dennoch sich Erinnerungstäuschung herausstellt, als psychologisches Mißgeschick, als psychologischer böser Zufall, als psychologische Tücke zu gelten. Ähnlich verhält es sich ja auch hinsichtlich des Gewißseins der  gegenwärtig  in meinem Bewußtsein anzutreffenden Inhalte. Auch hier gibt es Täuschungen. Selbst der in der Selbstbeobachtung geschulte Psychologe kann sich täuschen: er glaubt an seinem gegenwärtigen Bewußtseinsinhalt ein bestimmtes Merkmal mit unbedingter Sicherheit wahrzunehmen und irrt sich dennoch. Und doch wird aus solchen Täuschungen der Selbstbeobachtung niemand die Folgerung ziehen wollen, daß wir unserer jeweilig gegenwärtigen Bewußtseinsinhalte nicht mit unbedingter Sicherheit gewiß sein können. So komme ich also zu dem Ergebnis, daß die Erinnerungsgewißheit in allen Fällen, wo sie für mich mit dem Charakter der  Unbezweifelbarkeit  auftritt,  erkenntnistheoretisch  dasselbe ist wie die Selbstgewißheit von den  gegenwärtig  in mir zu findenden Bewußtseinstatsachen.

Übrigens ist auch  psychologisch  betrachtet das Gewißsein vom gegenwärtigen Bewußtseinsinhalt mit der Erinnerungsgewißheit, wenn auch freilich nicht identisch, so doch innig verknüpft. Das Bewußtsein stellt sich als ein stetiger zeitlicher Verlauf dar. So ist die Erfassung meiner selbst in diesem Gegenwartspunkt immer auch schon zugleich Erinnerung meiner selbst in der unmittelbar vorangegangenen Zeitstrecke. Meines gegenwärtigen Bewußtseinsinhaltes derart gewiß zu werden, daß ich seiner wirklich nur als dieses in dem abgesonderten und unteilbaren Gegenwartspunkt enthaltenen Inhaltes gewiß würde, ist unmöglich. Mein Bewußtseinsinhalt erscheint mir stets in einer gewissen verschwimmenden Verbreiterung. Das heißt: indem ich eines Bewußtseinsinhaltes als eines unmittelbar gegenwärtigen inne bin, bin ich seiner zugleich durch Erinnerungsgewißheit als eines soeben verflossenen gewiß. So hat also die  erkenntnistheoretisch  vorhandene  Diesselbigkeit  des Gewißheitstypus hinsichtlich des gegenwärtigen und des vergangenen Bewußtseinsinhaltes ihr  psychologisch  Entsprechendes an der eben dargelegten innigen  Zusammengehörigkeit  beider Bewußtseinsweisen.


7. Dramatischer Wendepunkt der Erkenntnistheorie

Der Verlauf der Erkenntnistheorie, wie ich mir ihn vorstelle, hat in mehrfacher Hinsicht etwas Dramatisches an sich. Zuerst hat sich der Erkenntnistheoretiker aller seiner Erkenntnisschätze zu entschlagen, sich die Bezweifelbarkeit aller objektiven Gültigkeit seines Erkennens ernsthaft vorzustellen, sich auf den schmalen Fleck seines individuellen Bewußtseins zurückzuziehen, sich aus allen Zusammenhängen mit den Reichen des Geistes und der Natur, aus allem Verkehr mit den Gütern und Gemeinschaften der Kultur künstlich herauszusondern, sich mit aller Strenge als dieses einzelne individuelle Bewußtsein in seiner ganzen Blöße und Nacktheit festzuhalten und sich zu sagen, daß nur aufgrund dieser Vereinzelung und Verarmung die Frage nach der Grenze und Macht des Erkennens geprüft werden könne. Vielleicht werden dem Erkennen seine Welten als berechtigter Besitz zurückzugeben werden. der  Anfang  jedenfalls muß mit so einer gänzlichen Entäußerung gemacht werden. Der Erkenntnistheoretiker fühlt sich zu Beginn wie auf einem kleinen Eiland in einem gänzlich unbekannten weiten Meer.

Hierauf hat er zu sehen, was sich ihm in dieser künstlich geschaffenen Vereinsamung an Gewißheitsquellen darbietet. Da findet er, wie wir gesehen haben, zunächst die Selbstgewißheit seines Bewußtseins. Und so gilt es dann zu fragen: was läßt sich hiermit ausrichten? und was liegt über die Leistungsfähigkeit dieser Gewißheitsquelle hinaus?

Da wird nun dem Erkenntnistheoretiker zunächst die weittragende Bedeutung dieses Gewißheitsprinzips klar. Die Selbstgewißheit meines Bewußtseins in an  aller  Erkenntnis wesentlich mitbeteiligt. Mag es auch Gewißheitsprinzipien geben, die mich weit über mein Bewußtsein hinaustragen, mir Außenwelt und die innersten Geheimnisse der Natur, die Tiefen des Geistes und der Gottheit erschließen: in jedem Fall müssen alle derartigen Erkenntnisse, wenn sie  meine  Erkenntnisse sein sollen, durch mein Bewußtsein hindurchgehen, meinem Bewußtsein in Form von Vorstellungen, Gedanken, vielleicht auch Gefühlen, kurz in Form von Bewußtseinstatsachen gegenwärtig sein. Das heißt: aller Wissensinhalt, und mag er auch die allerstrengste transsubjektive Gültigkeit haben, ist mir  zunächst  als  mein  Bewußtseinsinhalt gegenwärtig und beruth demnach  zunächst  in seiner Gewißheit auf meinem Selbstinnesein. Würde ihm  diese  Gewißheit geraubt, so sänke natürlich auch alle transsubjektive Gültigkeit dahin; er wäre eben für mich nicht mehr vorhanden. Die Selbstgewißheit meines Bewußtseins begleitet also unablässig alles Erkennen; sie ist sein getreuer Begleiter auch dort, wo es die transsubjektive Welt zu erforschen bemüht ist. So ist also die Selbstgewißheit des Bewußtseins die beständige Voraussetzung alles Erkennens, auf welchen anderen Gewißheitsgrundlagen es sich auch aufbauen möge.

Aufgrund solcher Darlegungen ergibt sich dem Erkenntnistheoretiker die Selbstgewißheit des Bewußtseins in ihrer unvergleichlichen Wichtigkeit und in ihrem nie endenden Reichtum. So dürfen wir von einem optimistisch ansteigenden ersten Akt reden, der auf ein in ernster Entsagung gehaltenes Vorspiel folgt. Der zweite Akt dagegen ist von bedrohlicher Stimmung getragen. Gefahren schlimmster Art türmen sich auf. Die Wichtigkeit der Selbstgewißheit ist dargelegt. Jetzt offenbart sich die Kehrseite: die Dürftigkeit, Jämmerlichkeit, Ohnmacht dieser Gewißheit. Der Erkenntnistheoretiker hat zu zeigen, wie kläglich und aussichtslos es um das Erkennen bestellt wäre, wenn es sich nur auf die Selbstgewißheit des Bewußtseins angewiesen sähe. Die Leistungsfähigkeit dieses Gewißheitsprinzips muß Schritt für Schritt dargelegt werden.

Mit Rücksicht auf den im vierten Abschnitt eingeführten Begriff der reinen Erfahrung kann diese Aufgabe der Erkenntnistheorie auch so ausgedrückt werden: das Gewißheitsprinzip der reinen Erfahrung ist, nachdem es zuerst in seiner unvergleichlichen Wichtigkeit und Leistungsfähigkeit aufgezeigt wurde, jetzt in seiner trotz alledem doch vorhandenen Kläglichkeit seiner Leistungen ins Licht zu setzen.

In meinem Buch "Erfahrung und Denken" habe ich mich dieser Aufgabe ausführlich unterzogen. (4) Aufgrund der reinen Erfahrung, so erhellt sich mit Unwidersprechlichkeit, müßte eine unbedingte Enthaltsamkeit des Wissens stattfinden hinsichtlich der Frage, ob es außer meinem Ich noch andere Bewußtseine gibt, und ebenso hinsichtlich der anderen Frage, ob so etwas wie eine "Natur" anzunehmen ist. Naturwissenschaft aufgrund der reinen Erfahrung ist ein Unding. (5) Will man nur die reine Erfahrung gelten lassen, so gibt es kein stetiges, zusammenhängendes, kausal verknüpftes, gesetzmäßig geordnetes, ja nicht einmal ein regelmäßig verlaufendes Dasein. Die reine Erfahrung liefert mir nur die unzusammenhängenden, schlechtweg unterbrochenen, immerwährend neu anfangenden und bald darauf abreißenden, jeder kausalen Verbindung baren, ja jeder Regelmäßigkeit entbehrenden Bruchstücke meines Bewußtseins vorhandenen Sein und Geschehen absehe, so zeigt ihre Aufeinanderfolge das volle Gegenteil von kausaler Verknüpfung, gesetzmäßigen Zusammenhang, ja auch von jedweder Regelmäßigkeit. Nur durch die von uns fortwährend vorausgesetzten und eingeschalteten nichterfahrenen Glieder kommt Ordnung und Einheit in die wirre Jagd der Wahrnehmungsbruchstücke. Und ein Gleiches zeigt sich mir, wenn ich die Aufeinanderfolge meiner Erinnerungs-, meiner Phantasiebilder, meiner Gefühle, Begehrungen oder was es sonst sei, betrachte. Dies wird sofort deutlich, wenn man nur von allem, was außerhalb meiner Erfahrung liegt, also auch von allen physiologischen Vorgängen und Dispositionen, und ebenso von allem unbewußt Seelischen, sonach auch von allen seelischen Anlagen, Richtungen, beharrenden Überbleibseln absieht. Dann bildet auch der Verlauf der Vorstellungen, Gefühle, Begehrungen ein kausalitätsloses, unverständliches Nacheinander, ein Wirrsal von Plötzlichkeiten. Auch ist es einerlei, ob ich die Aufeinanderfolge meiner Bewußtseinstatsachen immer nur innerhalb eines bestimmten Typus von Erscheinungen, etwa zwischen meinen Gesichtswahrnehmungen oder meinen Phantasiebildern, Begriffen usw. in seinem Wechsel verfolge. In jedem Fall stellt sich mir ein Chaos aus lauter Bruchstücken dar.

Das alles findet sich in "Erfahrung und Denken" darelegt. Und umso mehr noch kann ich mich hier eines ausführlicheren Aufweisens der bezeichneten Mängel der reinen Erfahrung überheben, als die Auseinandersetzung, die ich weiterhin über das "transsubjektive Minimum" zu geben haben werde, alle diese Mängel eindringlich vor Augen führen wird.

So steht mir also fest: mein Bewußtsein, streng gereinigt von allen erschlossenen Einschaltungen und Unterbauungen, ist ein jedes leitenden Fadens entbehrender Wirrwarr zusammengeworfener flüchtiger Inhalte. Was sonach aufgrund der reinen Erfahrungsgewißheit allein herauskommen kann, ist ein Hohn auf alles Erkennen, ein stumpfsinniges Hinzeigen und Aufzählen meiner zusammenhangslosen Bewußtseinsinhalte. Es bleibt daher für den, der sich darauf versteift, Erkennen lediglich aufgrund der reinen Erfahrung zustande bringen zu wollen, nur der Verzicht auf alles Erkennen übrig. Er muß den Mut haben, sich zum Erkenntnisnihilismus zu bekennen.

Dies ist der Hauptwendepunkt in diesem erkenntnistheoretischen Drama. Es handelt sich hier für das Erkenntnisstreben um Gelingen und Mißlingen. Alles hängt davon ab, ob ich in meinem Bewußtsein eine Gewißheitsquelle aufweisen kann, die mich, zwar nicht wirklich und eigentlich, sondern nur in der Art der Gewißheit, über mein Bewußtsein hinausgreifen läßt. Gibt es einen Gewißheitsantrieb, der mich gewisse Vorstellungen über das Unerfahrbare mit transsubjektiver Notwendigkeit anzuerkennen einleuchtend und unwiderstehlich nötigt? Dies müßte eine Gewißheit sein, die in ihrer subjektiven Sprache doch zugleich den Charakter einer transsubjektiven Nötigung trüge; eine Gewißheit, die, indem sie sich subjektiv kundtut, sich darin mir zugleich als objektive Wahrheit aufdrängte. "Gewißheit" und "Gelten für das Transsubjektive" müßten ein und dasselbe sein. Es wird sich zeigen, daß in der Denknotwendigkeit und nur in ihr eine solche Gewißheit vorliegt.

Das Erkenntnisstreben befindet sich hier in einer wahrhaft gefahrvollen Lage. Denn welche Beschaffenheit auch immer die transsubjektiv geltende Gewißheitsart haben mag: in jedem Fall ist sie zunächst und unmittelbar ein Erlebnis meines Bewußtseins und daher immer dem Einwurf ausgesetzt, ob der Anspruch auf transsubjektive Geltung denn wohl auch mehr als ein subjektiver Schein ist. Es wird sich also darum handeln, ob in der Art der neuen Gewißheitsquelle etwas diesen Einwurf Besiegendes liegt.

Zugleich aber wird durch diese für das Erkenntnisbedürfnis so gefahrvolle Lage der Antrieb, eine Gewißheitsquelle mit transsubjektiver Geltung aufzufinden und zu rechtfertigen, in hohem Grad verstärkt werden. Der Erkenntnistheoretiker wird seine Aufmerksamkeit aufs höchste schärfen, er wird all seine Kraft zusammennehmen, um sich nicht entgehen zu lassen, was das Erkenntnisverlangen aus dieser verzweifelten Lage retten könnte. Er sieht, an diesem Punkt seines Weges angelangt, sein ganzes Unternehmen in einer Art Krisis begriffen. Eine Peripetie [unerwartete Veränderung - wp] steht bevor - sei es zum Schlimmen oder zum Guten. Es muß sich jetzt entscheiden:  entweder  endet die ganze Unternehmung mit einer trübseligen Entsagung;  oder  es erscheint in einem neuen transsubjektiven Gewißheitsprinzip eine rettende Macht, und der Erkenntnistheoretiker darf einem heilvollen Ausgang entgegenstreben.

Diese rettende Macht kann nur in der Gewißheit des  Denkens  liegen. Wenn es dem Erkenntnistheoretiker gelingt, im  Denken  und seiner Notwendigkeit diese gesuchte Gewißheitsform aufzuweisen, so ist der Erkenntnisnihilismus überwunden. Zugleich aber wird die ganze Rechtfertigung des Denkens, die er unternimmt, jene gefahrvolle Lage des Erkennens, jenen drohenden Erkenntnisnihilismus und den daran erstarkten Antrieb, aus dieser Lage herauszukommen, zum hebenden Hintergrund haben. Auf der einen Seite der subjektivistische Abgrund, in den alles Erkennens versinkt, - auf der anderen Seite die rettende Denknotwendigkeit. So wird sich das Ergreifen und Anerkennen der Denknotwendigkeit als eines rettenden Prinzips naturgemäß unter der Mithilfe der Gewißheit vom Scheitern der "reinen Erfahrung" vollziehen.

Es wäre falsch, von einem künstlichen Umweg zu reden, den ich auf diese Weise nehme, um dem Denken zur Anerkennung zu verhelfen. Der von mir eingeschlagene Weg liegt durchaus in der Natur der Sache. Soll die Möglichkeit des Erkennens voraussetzungslos geprüft werden, so stößt man zunächst auf die Selbstgewißheit des eigenen Bewußtseins. Alles andere ist zunächst völlig zweifelhaft. Es gilt sonach zu sehen, was sich mit der Selbstgewißheit des eigenen Bewußtseins leisten und was sich nicht leisten läßt. So findet sich der Erkenntnistheoretiker vor einen drohenden Erkenntnisnihilismus gestellt. Nun erst ersteht ihm die neue Aufgabe, sich nach neuen Gewißheitsquellen umzusehen. So ist also jener scheinbare Umweg vielmehr der kürzeste und der einzig richtige Weg.


8. Die Gewißheit aufgrund des Bewußtseins
sachlicher Notwendigkeit

Indem ich in meinem Bewußtsein Umschau halte, bleibt mein Blick an einer eigenartigen Gewißheitsform haften. Überaus oft finde ich mich gewissen Vorstellungsverknüpfungen gegenüber in einer folgendermaßen gearteten Zwangslage: ich muß dieser Vorstellungsverknüpfung beipflichten, weil ich sie um der Natur der Sache willen, um die es sich hier handelt, als richtig anerkennen muß. Diese bestimmte Vorstellungsverbindung drängt sich mir als sachlich notwendig auf. Es steht nicht in meinem Belieben, diese bestimmten Vorstellungsinhalte anders zu verbinden und der hier vorliegenden Verbindung meine Zustimmung zu versagen. Indem ich diese Vorstellungen miteinander verknüpfe, haftet ihnen unabweislich und unwiderstehlich die Gewißheit an, sachlich zu gelten.

Diese Gewißheit unterscheidet sich für mich vollkommen deutlich von jeder anderen Nötigung. Es gibt Vorstellungen von solcher Zusammengehörigkeit, daß ich, sobald die eine gegeben ist, die andere durch den Zwang eines Erlebnisses, einer Gewohnheit, einer Stimmung, vielleicht einer krankhaften Neigung mit ihr verknüpfen muß. Ist die eine gegeben, so stellt sich unvermeidlich die andere ein. Höre ich einen gewissen Namen, so fällt mir ausnahmslos die schwere Beleidigung ein, die mir der Träger dieses Namens zugefügt hat. Es gibt Menschen, die schon bei einer leichten Erkrankung nicht anders können, als an ihren Tod denken. Ein Metzger wurde, wenn er sein Beil erblickte oder an es dachte, regelmäßig von der Vorstellung belästigt, daß er damit Frau und Kind töten könnte. Ich habeb eine Frau gekannt, die nach dem Tod ihres Kindes von völlig absurden Vorstellung nicht loskam, am Tod ihres Kindes schuld zu sein. Wenn ich Geld ich einen Briefumschlag gesteckt habe, so kommt mir, obgleich ich genau weiß, daß ich keinen Irrtum begangen habe, dennoch regelmäßig die Vorstellung: ich könnte mich doch am Ende geirrt haben; und ich sehe ein zweites und drittes Mal nach. In allen diesen Fällen liegt eine psychologische Nötigung vor; allein das Gefühl dieser Nötigung trägt keine Spur von der Gewißheit in sich, daß sich hier eine sachliche Notwendigkeit geltend macht. In den Fällen dagegen, die ich meine, hat die Gewißheit einen überindividuellen, objektiven, sachlichen Charakter. Ich bin gewiß, gleichsam die Stimme der Sache selbst zu vernehmen. Hierdurch erhält diese Gewißheit eine ganz andere Art von Unabweislichkeit und Unwiderstehlichkeit.

Ein Beispiel. Ich hatte nachts die Gehörswahrnehmung des Heulens und Pfeifens in den Lüften und des Rüttelns an den Fensterläden. Morgens habe ich die Gesichtswahrnehmung: Zweige und Äste liegen in meinem Garten herum. Da stellt sich mir die Vorstellungsverknüpfung her: der Sturm der letzten Nacht hat diese Verwüstungen angerichtet. Und diese Vorstellungsverknüpfung wird nicht etwa von der Gewißheit begleitet, hierin einer Stimmung, Gewohnheit oder irgendeinem individuellen Bedürfnis zu folgen, sondern ich habe das Bewußtsein, mit jenem Gedanken dem Gebot der Sache zu gehorchen. "Es kann nicht anders sein"; "die Natur der Sache schließt jede andere Annahme aus": dies ist der Sinn der hier vorliegenden Gewißheit. Es ist eine Gewißheit aufgrund des Bewußtseins sachlicher Notwendigkeit.

Oder man nehme folgenden Fall: Jedesmal, wenn ich das Jahr 1848 nennen höre, fällt mir die Revolution dieses Jahres ein. Hier fühle ich lediglich eine Vorstellungsgewohnheit. Etwas "gesagt", "behauptet" ist mit dieser Vorstellungsgewohnheit noch keineswegs. Wenn ich dagegen zu der Behauptung übergehe: "Im Jahr 1848 entstand in Deutschland eine Revolution", so hat mein Bewußtsein hiermit eine ganz andere Haltung eingenommen. Dann bin ich mir bewußt, eine Vorstellungsverknüpfung zu vollziehen, die sich nach der Sache richtet. Wie einschneidend dieser Unterschied ist, läßt sich am besten aus solchen Fällen ersehen, in denen uns der Zwang des Vorstellens törichte, abgeschmackte Vorstellungsverbindungen aufnötigt. Es gibt ängstliche Frauen, die durch jedes längere Warten auf Gatte, Sohn, Tochter sofort auf allerhand Vorstellungen über Unglücksfälle gebracht werden. Alles Vorhalten anderer Möglichkeiten, die die Verzögerung der Rückkehr herbeigeführt haben können, nützt nichts. Die Vorstellung: es werde sicherlich etwas "passiert" sein, ist nicht wegzubringen. Der krankhaft Ängstliche urteilt selbst: sein Vorstellungszwang gibt nicht die Notwendigkeit der Sache wieder, sei im höchsten Grad töricht, und doch bleibt die Nötigung zu dieser Vorstellungsverknüpfung weiter bestehen.

Man könnte mir erwidern: es sei doch dies alles, was ich darlege, selbstverständlich und trivial; es habe keinen Sinn, diese von jedermann zugestandenen Dinge so breit auszuführen. Wer so spricht, vergißt, worauf es mir ankommt. Daß diese aus Stimmung, Gewohnheit, krankhafter Neigung entstandenen Vorstellungsverbindungen keinen Wert für Erkennen und Wahrheit haben und so das Gegenteil von sachlicher Überlegung sind, ist freilich eine Trivialität. Aber diese Trivialität bildet auch nicht den Sinn der vorausgegangenen Darlegung. Diese läuft vielmehr darauf hinaus, daß der Erkenntnistheoretiker, wenn er die Möglichkeit des Erkennens prüfen und rechtfertigen will, sich auf die  Art von Gewißheit  besinnen muß, die er dort erlebt, wo er sachliche Überlegungen anstellt. Diese Art von Gewißheit hat er zu beschreiben, und hierbei gibt es kaum ein Zuviel an Genauigkeit.

Ich vergleiche jetzt die neue Gewißheitsart, soweit wir sie bis jetzt kennen gelernt haben, mit der Selbstgewißheit des Bewußtseins. Da fällt zunächst schon der Unterschied in die Augen, daß, während sich in  dieser  nichts von Notwendigkeit findet,  jene  vielmehr ihr Eigentümliches darin hat, daß sie Gewißheit aus dem Bewußtsein einer Notwendigkeit heraus ist. Wenn ich gewiß bin, Hunger zu spüren oder einen lauten Ton zu hören, so ist dies eine Gewißheit, die sich rein im Tatsächlichen hält. Dieser Notwendigkeitszusatz hat nun weiter, so hat sich gezeigt, sachlichen, überpersönlichen Charakter. Die Gewißheit, um die es sich jetzt handelt, ist Gewißheit aufgrund des Bewußtseins überindividueller sachlicher Notwendigkeit. Ich bin eines Inhalts gewiß, weil ich mir bewußt bin, daß diese Gewißheit mir durch die Natur der Gegenstände, auf die sie sich bezieht, auferlegt ist. Es wäre gänzlich verkehrt, die Gewißheit, die ich von meinen reinen Erfahrungen habe, so beschreiben zu wollen.

Das, worauf es hier ankommt, kann noch durch folgende Unterscheidung verdeutlicht werden. Unter meinen Bewußtseinsinhalten kommt auch das Gefühl sachlicher Notwendigkeit vor. Wenn ich nun aufgrund der Selbstgewißheit meines Bewußtseins sage, daß ich des Gefühls sachlicher Notwendigkeit gewiß bin, so ist dies nicht das, was ich hier meine.. Eine solche Feststellung stünde auf derselben Stufe wie etwa der Satz: ich bin gewiß, Durst zu spüren. Hier kommt es nicht darauf an, die Gewißheit einer sachlichen Notwendigkeit als ein subjektives Gefühlserlebnis zu verzeichnen, sondern vielmehr darauf, sich der sachlichen Notwendigkeit, die sich in ihr hervortut, nach dem Eigenartigen und Ausgezeichneten, das darin liegt, hinzugeben. Dort handelt es sich um einen Sonderfall innerhalb der Selbstgewißheit meines Bewußtseins: unter anderem bin ich mir auch des Gefühls sachlicher Notwendigkeit bewußt. Die Selbstgewißheit meines Bewußtseins hat zuweilen den  Inhalt:  "Gefühl sachlicher Notwendigkeit". Jetzt dagegen gilt es, sich die in diesem Gefühl liegende besondere Gewißheitsart zu Bewußtsein zu bringen. Und da sage ich mir denn: hier liegt eine Gewißheit vor, die ihr Gewißsein aus dem unwiderstehlichen Bewußtsein sachlicher Notwendigkeit schöpft; eine Gewißheit, die im Bewußtsein sachlicher Notwendigkeit ihren Ursprung zu haben gewiß ist.

Ich darf diese zweite Gewißheitsart als Bewußtsein der Denknotwendigkeit bezeichnen. Zunächst soll diese Bezeichnung nur um der Kürze und Bequemlichkeit des Ausdrucks willen gewählt sein. Erst im weiteren wird sich diese Gleichsetzung rechtfertigen.


9. Die Denknotwendigkeit als Gewißheit
von transsubjektiver Geltung

Betrachte ich diese Gewißheitsart noch genauer, so zeigt sich mir an ihr eine unabweisliche Beziehung auf das Transsubjektive.

Wenn ich aus dem Bewußtsein sachlicher Notwendigkeit heraus urteile, so bedeutet der Vollzug dieser sachlichen Notwendigkeit stets ein Hinübergreifen in das Gebiet des Transsubjektiven. Das Gebot, der sachlichen Notwendigkeit zu folgen ist ausnahmslos zugleich ein Gebot, das Erfahrene irgendwie durch Nichterfahrenes zu ergänzen. Meine Bewußtseinsvorgänge geben sich mir einfach als ein  Tatsächliches.  Um dieses rein Tatsächliche festzustellen, bedarf es nicht im geringsten des Bewußtseins der sachlichen Notwendigkeit. Wenn ich den Verlauf meiner Empfindungen oder Gefühle beschreibe, so habe ich einfach auf das Gegebene hinzublicken. Eine aus dem Bewußtsein sachlicher Notwendigkeit heraus urteilende Gewißheit gibt es hier nichts zu tun. Es liegt ja alles hell vor mir; ich will nichts als das rein Tatsächliche aufweisen. Es wäre ein törichtes Beginnen, eine erkenntnistheoretische Dummheit, das Bewußtsein sachlicher Notwendigkeit als ein Mittel zum Aufweisen des nackt Tatsächlichen heranziehen zu wollen (6).

Wo auch immer aus dem Bewußtsein sachlicher Notwendigkeit heraus eine Erkenntnis erwächst, handelt es sich um ein Erschließen von Nichterfahrenem, um ein Überschreiten der Tatsächlichkeit meines Bewußtseins, um ein Meinen und Treffen eines transsubjektiven Sachverhalts. Wenn die Hausfrau im Wohnzimmer aufgrund ihrer Geruchsempfindung urteilt: die Milch ist in der Küche übergelaufen; wenn der Gärtner, von einer Reise zurückkehrend, sagt: die Raumpen haben in den letzten Tagen die Blätter arg zerfressen; wenn der Geschichtsforscher aufgrund der Urkunden die Perserkriege erzählt; wenn der Naturforscher aufgrund der Erfahrung die Gesetze des freien Falls ableitet, oder wenn er aufgrund dieser Gesetze ein Ereignis voraussagt, ebenso wenn er den Lauf der Planeten um die Sonne mit dem freien Fall in Zusammenhang bringt, oder wenn er die Welt der Sinnesqualitäten in eine Welt von Bewegungsgrößen umsetzt: so wird in allen diesen Fällen aufgrund des Bewußtseins einer sachlichen Notwendigkeit das in der Erfahrung des erkennenden Individuums Vorliegende überschritten. Das Bewußtsein sachlicher Notwendigkeit ist für mein Erkennen das Mittel des Überschreitens der Grenzen der reinen Erfahrung, das Mittel der Hinausbeförderung aus meinem Bewußtseinsumkreis. Wo auch immer sich dieses Bewußtsein sich geltend macht, dort sind wir dessen gewiß, daß es unvermeidlich ist, die Tatsachen der Erfahrung in irgendeiner Weise und Richtung durch transsubjektive Glieder zu ergänzen, zu verknüpfen, zu unterbauen. Das Gewißwerden der reinen Erfahrung auf Denken zu gründen, wäre ein erkenntnistheoretischer Luxus. Besonders LIEBMANN und LIPPS haben das Denken als ein solches Ergänzen ins Licht gesetzt.

Auch wenn der Mathematiker die gesetzlichen Zusammenhänge, die in einem Dreieck oder Kreis liegen, aufsucht, so bleibt er nicht etwa innerhalb der reinen Erfahrung stehen. Die gesetzmäßigen Beziehungen, die er an einem Dreieck oder Kreis aufdeckt, sind etwas den wirklich gesehenen oder in der inneren Anschauung vorgestellten Dreiecken und Kreisen verborgen Innewohnendes, überempirisch Immanentes. Was die einzelnen Dreiecke oder Kreise rein erfahrungsgemäß sind, das ist ein unglaublich Flaches und Leeres im Vergleich zu dem reichen Hintergrund dieser gesetzmäßigen Zusammenhänge. Es könnte nun freilich der Mathematiker die gesetzlichen Beziehungen der Raumgestaltungen in einem subjektivistischen Sinn verstehen, daß sie nur Gedanken sind, zu denen der nachdenkende Mathematiker durch die Raumgestaltungen getrieben wird. Es könnte also doch scheinen, daß zumindest in diesem Fall Urteile vorliegen, die einem Bewußtsein sachlicher Notwendigkeit entspringen, und die trotzdem aller Beziehung auf Transsubjektives entbehren. Genauer betrachtet verhält es sich aber nicht so. Denn auch der subjektivistischste Mathematiker muß zumindest soviel zugeben, daß, wenn er gesetzmäßige Zusammenhänge am Dreieck oder Kreis feststellt, er damit sagen will: dieses Dreieck, dieser Kreis steht stellvertretend für die allgemeine, gleichbleibende Natur des Dreiecks oder Kreises; und es besteht ein allgemeingültiger Zusammenhang zwischen dem "reinen" Dreieckt oder Kreis und der gleichbleibenden Natur des menschlichen Denkens. Von allem weiteren sehe ich hier ab. Schon das Gesagte läßt deutlich erkennen, daß in den Sätzen des Mathematikers vom Dreieck oder Kreis zahlreiche transsubjektive Elemente enthalten sind. Und Ähnliches gilt hinsichtlich der arithmetischen Sätze. Wenn ich mit solchen Sätzen wie  2 + 3 = 5  oder  5 - 3 = 2  oder  2 x 4 = 6  nicht bloß die Beschreibung eines individuellen Bewußtseinserlebnisses liefern, sondern etwas sachlich Notwendiges aussagen will, so liegt darin zumindest soviel anerkannt, daß die Art, wie mein Bewußtsein jetzt zusammenfaßt und trennt, eine sich immerdar gleichbleibende Gesetzmäßigkeit des menschlichen Bewußtseins und jeder anderen etwa vorhandenen Intelligenz bedeutet. Hiermit ist die Selbstgewißheit des Bewußtseins gewaltig überschritten und demnach in das Transsubjektive hinübergegriffen. Es bleibt also dabei, daß jedes aus dem Bewußtsein sachlicher Notwendigkeit entspringende Urteil, wenn es nicht sinnlos werden will, einen transsubjektiven Gehalt in sich schließt.

Man könnte nun erwidern: mit dem allen sei nicht viel erreicht; es ist im besten Fall doch nur festgestellt, daß wir mit gewissen Vorstellungsverknüpfungen den  Anspruch  erheben, transsubjektiv Gültiges auszusagen; dagegen ist völlig unsicher, ob dieser Anspruch  zu Recht  besteht und auf  Erfüllung  rechnen darf. (7) Wenn jemand so spräche, läge ein Mißverständnis vor. Nicht dies will ich feststellen, daß wir mit gewissen Vorstellungen einen  Anspruch  auf Erkenntnis vom Transsubjektiven erheben, sondern meine Darlegungen haben den Sinn, daß in diesem Anspruch die Gewißheit liegt: es ist unmöglich, dem Anspruch keinen  Glauben  zu schenken, ihm sein  Recht  abzusprechen.

Diese Rechtmäßigkeit des Anspruchs läßt sich nun freilich nicht beweisen; dies unternehmen zu wollen, wäre ein Unding. Der Erkenntnistheoretiker kann nichts weiter tun, als daß er dazu auffordert, die Gewißheit, die uns zu transsubjektiv gültigen Annahmen treibt, mit Hingabe zu erleben und auf das darin Erlebte genau zu achten. Indem ich mich durch eine sachliche Notwendigkeit getrieben fühle, die reine Erfahrung zu überschreiten und Transsubjektives hinzuzudenken, kommt mir das Stehen unter einer überpersönlichen Notwendigkeit, das Beherrschtwerden von der Natur der Sache, um die es sich jeweilig handelt, so unabweislich und unwiderstehlich zu Bewußtsein, daß mir mit dem Entstehen des Anspruchs auf transsubjektive Gültigkeit zugleich auch die Rechtmäßigkeit dieses Anspruchs gewiß ist.

Vielleicht läßt sich das Unabweisliche dieser Gewißheit noch etwas mehr nach der Tiefe hin beschreiben. Was ich mit dem unwiderstehlich Zwingenden dieser Gewißheit meine, bringe ich am besten zum Ausdruck, indem ich sage: die Gewißheit  sachlicher  Notwendigkeit ist eben darin Gewißheit der  logischen  Notwendigkeit,  logische  Gewißheit. Ich will hiermit ausdrücken: die Gewißheit, die ich im Auge habe, ist von einem solchen Zwang, daß ich überzeugt bin,  Widersinniges  zu begehen, wenn ich ihr nicht gehorche. Oder positiv: alles, was wir mit dem auszeichnenden Namen "Vernunft" meinen, steht bei dieser Gewißheit auf dem Spiel. Es geschieht im Namen der  Vernunft,  daß mich die Gewißheit sachlicher Notwendigkeit beherrscht und zu transsubjektiven Annahmen nötigt. Alles, was wir Beurteilen, Überlegen, Denken, Verstand, Vernunft, Wissenschaft nennen, würde uns an der Wurzel untergraben scheinen, wenn wir dieser Gewißheit zuwider handelten.

Dies alles ist nur Beschreibung und Verdeutlichung dessen, was wir innerlich erleben, wenn wir uns dieser Gewißheit hingeben. Und nach dieser Richtung erscheint es mir eben als das Beste, das Wort "logisch" zu Hilfe zu nehmen. Dabei ist das Wort "logisch" in einem lebensvollen, gefüllten, vielsagenden Sinn verstanden. Wenn ich von jemandem sage: er ist ein logischer Kopf, so meine ich damit nicht etwa nur, daß er gemäß dem Satz der Identität urteilt und dem Satz vom Widerspruch auszuweichen versteht. Dann wäre logisch zu denken wahrlich keine Kunst. Logisch denken heißt vielmehr: die Dinge gemäß den sachlich geforderten Zusammenhängen verknüpfen. Mit dem Logischen ist der Nerv des Denkens, der volle Sinn des Denkens gemeint, nicht etwa bloß die formale Seite der Widerspruchslosigkeit an ihm. Deswegen darf ich die in Frage stehende Gewißheit als logische Gewißheit bezeichnen. Es ist also von diesem Ausdruck die Einschränkung auf den leeren, unergiebigen Satz von Identität und Widerspruch durchaus fernzuhalten. (8)

Wollte ich den Sinn des Denkens noch weiter verfolgen, so würde ich auf den  Satz vom Grunde  stoßen. Etwas denknotwendig verknüpfen heißt: es nach Grund und Folge verknüpfen. Der Denknotwendigkeit folgen, bedeutet stets: dem Bedürfnis des Begründens Genüge tun. Die Denknotwendigkeit legt sich durchweg in Form der Abhängigkeit von Grund und Folge auseinander. Nicht der Satz der Identität oder des Widerspruchs, sondern der Satz vom Grunde ist das die Natur des Denkens ausdrückende Gesetz.

Jetzt erscheint auch der Erkenntnisnihilismus, der sich aus dem ausschließlichen Festhalten der Selbstgewißheit des Bewußtseins ergab, in einem neuem Licht. Zunächst kann er dem Erkenntnistheoretiker nur als eine Betrachtungsweise gelten, gegen die sich in uns eine gefühlsmäßige Ablehnung, Affekte des Verwerfens und Erschreckens erheben. Der Erkenntnisnihilismus erscheint zunächst wie ein Unheil, weil ein Abgrund, wie ein Hohn auf die menschlichen Bedürfnisse. Jetzt dagegen, nachdem wir das Gewißheitsprinzip der logischen Notwendigkeit gewonnen haben, erscheint der Erkenntnisnihilismus als das Äußerste an Widersinn, als ein durch und durch Widerlogisches, als Hohn auf das Denken. Darüber wird noch später zu reden sein, wo von einem "transsubjektiven Minimum" gehandelt werden wird. Auf diese Weise dient das Widerlogische des Erkenntnisnihilismus dazu, die Überzeugungskraft der Denknotwendigkeit zu stärken. Wollten wir uns weigern, die Denknotwendigkeit anzuerkennen, so würden wir dem widerlogischen Erkenntnisnihilismus verfallen.


10. Die transsubjektive Bedeutung der Denkakte

Neben die Selbstgewißheit des Bewußtseins hat sich als zweite Gewißheitsart das Bewußtsein der sachlichen Notwendigkeit gestellt. Mit diesem Bewußtsein ist, so sahen wir weiter, zugleich immer Gewißheit vom Transsubjektiven gegeben.

Für diese zweite Gewißheitsart führte ich auch die Namen "Bewußtsein der  Denknotwendigkeit"  und  "logische  Gewißheit" ein. Es gilt nun zu prüfen, ob diese Einführung vollberechtigt ist. Ist in einem  jeden  Denkakt als solchem denn auch wirklich Gewißheit vom Transsubjektiven enthalten? Gibt es nicht auch Denkakte, die mit Gewißheit vom Transsubjektiven nichts zu tun haben? (9)

Zumindest besteht der Schein, daß es rein  intrasubjektive Denkakte  gibt. Denn alles, was ich von den Zuständen und Vorgängen meines Bewußtseins weiß und aussage, nimmt die Form des Urteils an, fällt also unter die Denkakte. Alle Urteile, in denen unmittelbar von mir erfahrene Bewußtseinstatsachen behauptet werden, sind Denkakte, und doch geht ihnen alle transsubjektive Bedeutung ab. Sie wollen ja in keiner Hinsicht über den Umkreis meines Bewußtseins hinausgreifen. Ich will diese Urteile kurz als  reine Erfahrungsurteile  bezeichnen. Und es fragt sich also: wie läßt sich angesichts dieser Urteile meine Behauptung festhalten, daß in der Denknotwendigkeit durchweg Gewißheit vom Transsubjektiven gegeben ist?

Die Antwort lautet: die reinen Erfahrungsurteile sind keine vollen und echten Denkakte;  inhaltlich  beruhen sie auf der Selbstgewißheit des Bewußtseins; nur in  formaler  Hinsicht stehen sie auf der Stufe des Denkens. Wenn ich sage: "ich spüre Ermüdung", oder "in meinem Gesichtsfeld erscheinen flammenartige Gebilde" oder "meine Erinnerungsbilder sind schwächer und unbestimmter als meine Sinneswahrnehmungen", so liegen hier Sätze vor, deren Inhalt nicht etwa darum gilt, weil erst die Notwendigkeit des Denkens auf ihn hinführte, sondern lediglich darum, weil mir die Selbstgewißheit des Bewußtseins ihn aufweist. Ich berufe mich auf das im fünften und sechsten Abschnitt Dargelegte. Nur die Form, in die der Selbstgewißheits-Inhalt gebracht ist, gehört dem Denken an. Der Selbstgewißheits-Inhalt leiht, insbesondere zum Zweck der Mitteilung, die Form des Urteils von Denkakten und gliedert und streckt sich nun nach dieser geliehenen Form.

Nach dieser formalen Seite nun hat das reine Erfahrungsurteil in der Tat transsubjektive Bedeutung. Inwiefern die Äußerung "ich spüre Durst" ein  Urteil,  eine  Behauptung  sein will, erhebt sie den Anspruch auf Anerkennung von Seiten aller denkenden Wesen, auf  Allgemeingültigkeit Es ist also im reinen Erfahrungsurteil nach seiner formalen Seite hin das Vorhandensein unbestimmt vieler denkender Wesen, also eine ganz transsubjektive Welt, stillschweigend mitgedacht. Allgemeingültigkeit ohne implizit mitgedachte fremde Bewußtseins, die von denselben Denkgesetzen wie ich beherrscht sind, wäre ein Unding. So schließen also die reinen Erfahrungsurteile, insofern sie Denkakte sind, eine Gewißheit von Transsubjektivem in sich ein. Und es ist demnach unrichtig, die reinen Erfahrungsurteile als Einwand gegen den Satz, daß  jeder  Denkakt vom Transsubjektiven Gewißheit gibt, zu benutzen.

So sind also zwei Arten von Denkakten zu unterscheiden: die  nur formalen  und die  vollen.  Formal nenne ich  die  Denkakte, deren Inhalt uns aufgrund der Selbstgewißheit des Bewußtseins gewiß ist, und die daher nur insofern, als sie Anerkennung beanspruchen, Denkakte sind. es sind dies die reinen Erfahrungsurteile. Leihweise kleiden sie sich in die Form des Denkens. Ihnen stehen die vollen Denkakte gegenüber: hier besteht nicht nur der Anspruch auf  Allgemeingültigkeit,  sondern hier ist zugleich der  Inhalt  aufgrund von Denknotwendigkeit gewonnen. Mit anderen Worten: hier ist im  Inhalt  des Denkaktes ein transsubjektiver Sachverhalt in irgendeinem Umfang und Grad mit erfaßt.

So darf also jetzt gesagt werden: der volle Denkakt greift nach zwei Richtungen in das Transsubjektive hinaus: nach Seite der  Allgemeingültigkeit  und der  Seinsgültigkeit.  Unter Seinsgültigkeit verstehe ich die transsubjektive Bedeutung, die wir vermöge der Denknotwendigkeit dem  Inhalt  des Urteils geben. Die Seinsgültigkeit bezieht sich auf den transsubjektiven Sachverhalt, den wir mit dem Inhalt des Denkakts zu treffen behaupten. Die Allgemeingültigkeit dagegen betrifft nur die von jedem Denkakt geforderte  Anerkennung  von Seiten aller Denkenden. (10)

Die transsubjektive Gültigkeit der Denkakte wäre un von vornherein hinfällit, wenn jene Überlegung recht hätte, die von BERKELEY bis zu SCHUPPE und SCHUBERT-SOLDERN immer und immer wieder als der prinzipiellste Grund für die Einschränkung des Erkennens auf das Bewußtseinsimmanente angeführt wird. Diese Überlegung sagt: alles, was ich erkenne, ist für mein Vorstellen gegenwärtig; behaupte ich nun, ein Seiendes, das unabhängig von meinem Vorstellen besteht, zu erkennen, so begehe ich einen Widerspruch; denn dieses Etwas, das ich als ein von meinem Vorstellen unabhängig bestehendes Seiendes zu erkennen behaupte, wird doch, indem ich es erkenne, tatsächlich von mir vorgestellt; also kann ich immer nur Vorgestelltes, niemals ein Transsubjektives erkennen. Ich sehe hierin nicht etwa Tiefsinn, der über sich noch nicht klar geworden ist, oder ser sich in der Hülle von Einseitigkeit und Irrtum birgt, sondern einen ganz gemeinen, groben Fehlschluß. Ein Widerspruch entsteht doch nur dann, wenn  innerhalb eines Vorstellungsinhaltes  zwei Merkmale einander widersprechen. Wollte ich also von einem Vorstellungsinhalt, der das Merkmal des Vorgestelltseins aussagen, so wäre dies ein Widerspruch. Der gänzlich naive Realist bewegt sich in einem solchen Widerspruch. Er könnte etwas sagen: was ich sehe, das ist die Sonne an sich. In diesem Fall spricht er einem bewußtseinsabhängigen Sein zugleich das Merkmal des Vorhandenseins in seinem eigenen Bewußtsein zu. Jener Schluß dagegen erfindet einen Widerspruch dadurch, daß er aus der  unmittelbaren Daseinsform  meiner Vorstellungsinhalte, das heißt aus der selbstverständlichen Tatsache, daß sie von meinem Bewußtsein vorgestellt werden, ein  Inhaltsmerkmal  macht. So entsteht die törichte Forderung, daß jeder Vorstellungsinhalt in seinen Merkmalen sich in Übereinstimmung mit dem Merkmal des Vorgestelltwerdens befinden muß. Diese Forderung ist demnach durch eine fälschliche Verwandlung der  unmittelbaren Daseinsweise meiner Gedanken  in ein  Merkmal des Gedankeninhalts  entstanden. (11)


11. Der transsubjektive Inhalt der Denkakte
in seiner bewußten und seiner unbewußten Form

Hinsichtlich der transsubjektiven Gültigkeit der Denkakte macht sich folgender wichtige Unterschied bemerkbar.

Der transsubjektive Sachverhalt wird in einem Denkakt entweder mit Bewußtsein oder stillschweigen, implizit, unbewußt gedacht. Unter diesem unbewußten Mitdenken eines transsubjektiven Sachverhalts verstehe ich nichts Geheimnisvolles. Unablässig vollziehen wir Denkakte, mit denen wir  mehr  Transsubjektives meinen, als wir mit ausdrücklichem Bewußtsein darin denken. Geben wir uns Rechenschaft, was der logische Sinn irgendeines Urteils ist, so kommen wir oft in die Lage, uns zu sagen, daß wir diesen oder jenen transsubjektiven Sachverhalt, ohne ihn freilich mit Bewußtsein gedacht zu haben, doch mitgemeint haben. Dieses unbewußte Mitmeinen eines transsubjektiven Sachverhalts bedeutet eine eigentümliche Stellung des Bewußtseins zu einem Denkakt. Diese eigentümliche Stellung des Bewußtseins zu einem Denkakt. Diese eigentümliche Stellung findet dann statt, wenn wir zum Bewußtsein eines mit einem Denkakt gemeinten transsubjektiven Sachverhaltes nicht schon durch das einfache, unmittelbare Vollziehen des Denkaktes, sondern erst nachträglich dadurch kommen, daß wir uns auf den logischen Sinn des vollzogenen Denkaktes kritisch besinnen. Wir haben es also mit einem  hypothetischen  Bewußtsein vom Transsubjektiven zu tun.  Falls  wir uns klar machen, was das Urteil logisch sagen will, so stoßen wir auf ein  Mehr  an transsubjektivem Gehalt, als wir darin ausdrücklich gedacht haben. Erst dadurch, daß wir dieses unbewußt in den Denkakten mitgemeinte Transsubjektive hinzunehmen, tritt uns die transsubjektive Bedeutung der Denkakte in ihrer vollen Tragweite vor Augen.

Wenn jemand sagt: im Frühling blühen die Kirschbäume, so meint er mit diesem Urteil, wenn er sich über das denknotwendig in ihm Enthaltene Rechenschaft gibt, eine nicht geringe Fülle transsubjektiven Sachverhaltes. Wer sich, indem er jene Behauptung ausspricht, recht versteht, meint hiermit, daß den Gesichtsbildern von blühenden Bäumen, die die Menschen jedesmal im Frühling haben, ein  kontinuierliches bewußtseinsabhängiges Seiendes  (dessen Beschaffenheit freilich sehr verschieden vorgestellt werden kann) entspricht, und daß dieses den blühenden Kirschbäumen entsprechende Seiende nicht nur in sich selbst  gesetzmäßig geordnet,  sondern auch einem  umfassenden gesetzmäßigen Zusammenhang,  der "Natur", eingefügt ist, und daß auch die wahrnehmenden Menschen mit diesem gesetzmäßig verknüpften Ganzen  in einer gesetzmäßigen Beziehung  stehen. Nun besteht aber für den Urteilenden keineswegs die Notwendigkeit, daß er, indem er jenes Urteil ausspricht, sich diesen transsubjektiven Sachverhalt mit Bewußtsein vor Augen hält; vielmehr ist es in den allermeisten Fällen so, daß der Urteilende den bezeichneten transsubjektiven Sachverhalt entweder ganz oder teilweise nur stillschweigend und unbewußt meint. Erst wenn er sich durch irgendeinen Umstand veranlaßt sieht, sich darüber klar zu werden, was mit dem Urteil logischerweise gemeint ist, bringt er sich jene transsubjektiven Zusammenhänge zu Bewußtsein. Ohne das stillschweigende Mitdenken jener transsubjektiven Zusammenhänge würde, so sagt er sich, jenes Urteil ein undurchdachtes, ja den Anforderungen des Denkens widersprechendes, sinnloses Gerede sein.

Oder man nehme das Urteil: die alten Griechen leisteten in der Bildhauerkunst Vollendetes. Welche ungeheure Masse transsubjektiv Seienden und transsubjektiver Zusammenhänge ist hier implizit mitgemeint! Schon der in diesem Urteil stillschweigend mitgesetzte Begriff "Menschheit" enthält eine gewaltige Menge transsubjektiver Wirklichkeit in sich. Jenes Urteil hat ferner nur dann einen Sinn, wenn das Bestehen einer Überlieferung von den alten Griechen bis auf unsere Tage angenommen und diese Überlieferung als glaubwürdig anerkannt ist; wenn weiter von den ausgegrabenen und jetzt irgendwo aufgestellten Bildwerken angenommen wird, daß ihnen transsubjektive Dinge entsprechen, die unabhängig von den Millionen wechselnder Bewußtseine der vorübergehenden Menschengeschlechter dauernd bestanden haben. Von der Heraushebung eines weiteren subjektiven Gehaltes aus jenem Urteil sehe ich ab. Schon das Gesagte läßt deutlich genug erkennen, daß auch bei diesem zweiten Urteil der bezeichnet transsubjektive Gehalt in der Regel nicht mit Bewußtsein gedacht wird, sondern mindestens teilweise nur in der Form eines unbedachten Mitgedachtseins, nur in der Weise des hypothetischen Bewußtseins vorhanden ist.

Noch auf eine Folgeerscheinung des eben dargelegten Unterschiedes will ich aufmerksam machen. Besteht ein Unterschied zwischen dem mit Bewußtsein gedachten und dem nur implizit mitgesetzten transsubjektiven Gehalt eines Urteils, so kann natürlich auch der Fall vorkommen, daß jemand nicht imstande ist, über die in seinem eigenen Denken stillschweigend mitgemeinten transsubjektiven Bestandteile Rechenschaft zu geben, sondern daß er sich über das Transsubjektive in seinen eigenen Urteilen täuscht, es teilweise oder ganz verkennt und in Abrede stellt. Und wenn ein fremder kritischer Beurteiler ihn über den transsubjektiven Sinn seiner Urteile aufklärt, so kann es kommen, daß er dessen Worte nicht versteht, sich gegen sie verstockt und dabei bleibt, den Sinn seiner eigenen Denkakte in transsubjektiver Hinsicht verkehrt anzugeben. Diese Selbsttäuschung wird besonders dann verhängnisvoll, wenn es sich um große philosophische Strömungen handelt, die das in ihrem eigenen Standpunkt mitgedachte Transsubjektive verkennen und sich so gebärden, als ob sie sich nur im Intrasubjektiven bewegten. Die Philosophie der Gegenwart und jüngsten Vergangenheit ist dem Transsubjektiven gegenüber voll von Ängstlichkeit und Widerwillen. Alles, was man immanente Philosophie, Positivismus, Empiriokritizismus, Konszientalismus nennt, kennzeichnet sich durch hastigen Eifer, das Transsubjektive los zu werden. Und doch bedeuten die Grundannahmen dieser Denkweisen nur dann überhaupt etwas Verständliches, wenn offen anerkannt wird, daß durch sie die Tatsachen der reinen Erfahrung nach verschiedenen Richtungen hin transsubjektiv ergänzt und geordnet werden. Leugnet man den transsubjektiven Sinn jener Grundannahmen, so werden diese zu törichten und abgeschmackten Behauptungen. Nur ein fast unglaublicher Mangel an Selbstverständnis macht es möglich, daß jene philosophischen Richtungen in dem Glauben leben können, als ob sie des Transsubjektiven nicht bedürften. Selbst durch die äußersten Verstiegenheiten der Metaphysik ist in die Philosophie kaum jemals so viel Verwirrung gebracht worden wie durch die erkenntnistheoretischen Selbsttäuschungen und Verranntheiten jener modernen Strömungen. (12) Es herrscht in ihnen eine seltsame Mischung von überscharfem, künstelndem Skeptizismus und wahrhaft kindlicher Besinnungslosigkeit, von übersteigerter Wirklichkeitssucht und ängstlicher Wirklichkeitsscheu.


12. Das transsubjektive Minimum
in seiner prinzipiellen Bedeutung

Wenn jeder Denkakt, wie wir sahen, irgendwie in das Transsubjektive hinübergreift, so liegt die Frage nahe, ob nicht das in den einfachsten Urteilen gemeinte Transsubjektive gewisse Gemeinsamkeiten aufweist und sich so gemäß diesem gemeinsamen Kern auf den gleichen Ausdruck bringen läßt. In der Tat findet man, daß alle einfachsten Urteile, wenn man sie nach dem von ihnen implizit gemeinten transsubjektiven Gehalt durchdenkt, in gewissen transsubjektiven Sachverhalten, die sie als denknotwendig vorhanden annehmen, übereinstimmen. Ich bezeichne den Inbegriff dieses von den einfachsten Urteilen in gleicher Weise denknotwendig anerkannten transsubjektiven Sachverhalts als das Mindestmaß des Transsubjektiven, als  transsubjektives Minimum.  Es gilt jetzt, das transsubjektive Minimum zu bestimmen. Das heißt: wir wollen uns darüber Rechenschaft geben, auf welche transsubjektive Annahmen selbst die einfachsten Urteile übereinstimmend mit Notwendigkeit hinweisen.

Wenn ich von einfachsten Urteilen rede, so meine ich damit Urteile, die nicht kausale Verhältnisse, nicht Gesetzmäßigkeiten, sondern nur Tatsachen aussprechen, und die das nicht aufgrund von wissenschaftlicher Forschung tun, sondern mittels des Denkens, wie es alltäglich ausgeübt wird. Ich denke also an Urteile, wie beispielsweise "jetzt scheint die Sonne", "das Veilchen ist wohlriechend", "die menschen sind sterblich", "Bismarck war Reichskanzler". Was für transsubjektive Forderungen werden in Urteilen, wie diese es sind, als erfüllt angesehen?

Das transsubjektive Minimum zu durchdenken, ist darum von der allergrößten Wichtigkeit, weil darin in besonderem Maße eine  Selbstbewährung der Denknotwendigkeit und ihrer transsubjektiven Bedeutung liegt. Wir haben ja gesehen: die Denknotwendigkeit läßt sich nicht beweisen, nicht aus höheren Gründen ableiten. Sie läßt sich nur dadurch zur Gewißheit erheben, daß man sie erlebt und sich über das in ihr Erlebte Rechenschaft gibt. Nur indem man wirklich denkt und sich dabei unter den Eindruck des Denkzwangs stellt, bewährt sich die Kraft des Denkens. Indem sich uns beim denkenden Bearbeiten der Erfahrung auf Schritt und Tritt die Notwendigkeit ergibt, aus Erfahrenem auf Nichterfahrenes zu schließen, erleben wir das Zwingende dieser Notwendigkeit in einer Weise, daß wir nicht anders können als der transsubjektiven Kraft des Denkens zu vertrauen. Unter allen Bewährungen der Denknotwendigkeit durch wirkliches Denken nun ragt die vom transsubjektiven Minimum geleistete Bewährung besonders hervor. Denn beim Durchdenken der das transsubjektive Minimum ausmachenden transsubjektiven Forderungen liegt die Sache so, daß, wenn man so hartnäckig ist, der transsubjektiven Gültigkeit dieser Forderungen keinen Glauben zu schenken, nichts übrig bleibt als im Seienden das Gegenteil von Ordnung und Zusammenhang zu erblicken, sich bei der Vorstellung eines wahnwitzigen Chaos zu beruhigen und einen absurden Zufall oder ein albernes Wunder als Weltherrscher anzunehmen. Auf dieses Entweder-Oder treffen wir bei jeder im transsubjektiven Minimum enthaltenen Erschließungen: gehorcht man der transsubjektiven Denknotwendigkeit, so wird die Welt verständlich, das Seiende lichtet sich, gewinnt Sinn und Zusammenhang, verweigert man dem transsubjektiven Denken sein Gehör, so muß man sich entschließen, das Seiende als ein läppisches Wirrsal, als Tummelplatz von Zufall und Wunder stumpfsinnig hinzunehmen. Nirgends tritt uns dieses Entweder-Oder so grell entgegen als im Durchdenken des transsubjektiven Minimums.

Besäßen die das transsubjektive Minimum bildenden Annahmen nicht diese unbedingt einleuchtende Kraft, so läge die Sache auch nicht so, daß sie auch in den einfachsten Denkakten stillschweigend mit anerkannt würden. Nur weil sie von so unbedingt einleuchtender Kraft sind, bilden sie gleichsam das selbstverständliche Element, in dem sich unser Denken bewegt. Jeder, der das in seinen Denkakten Vollzogene sich kritisch zu Bewußtsein zu bringen imstande ist und hierin nicht durch verdrehte, verkünstelte erkenntnistheoretische Grundsätze gestört wird, findet daher auch in seinen einfachsten Denkakten, sobald er sie bis zu Ende durchdenkt, das transsubjektive Minimum als darin mitgesetzt vor.

Es gilt jetzt also das transsubjektive Minimum auseinanderzubreiten und die Forderungen, aus denen es besteht, der Reihe nach in ihrer Denknotwendigkeit darzulegen.
LITERATUR: Johannes Volkelt, Die Quellen der menschlichen Gewißheit, München 1906
    Anmerkungen
    1) VOLKELT, Erfahrung und Denken, Seite 55f
    2) Die Ausführungen dieses Abschnitts stehen im Gegensatz zur Ansicht FREYTAGs (Der Realismus und das Transzendenzproblem, Halle 1902). FREYTAG verkennt den Charakter der Erinnerungsgewißheit. Er hält sie für ein unsicheres Meinen (Seite 118f).
    3) Im 118. Band der Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, Seite 8f.
    4) Erfahrung und Denken, Seite 68 - 103
    5) Ich finde die Unverträglichkeit der Naturwissenschaft mit jeder nur die Selbstgewißheit des Bewußtseins anerkennenden Philosophie in neuester Zeit besonders in der schon erwähnten vortrefflichen Schrift von WILHELM FREYTAG "Der Realismus und das Transzendenzproblem", Halle 1902, zum Ausdruck gebracht.
    6) Nur in besonderen wissenschaftlichen Lagen, nämlich dort, wo die Bewußtseinsvorgänge besonders verwickelt und dunkel sind, so daß da unmittelbare Aufweisen sich seiner Sache nicht sicher fühlt, wird man sich zum Zweck der Aufweisung von Tatsachen des Umwegs der Folgerungen und Beweise, also des Bewußtseins sachlicher Notwendigkeit bedienen. In solchen Fällen wird das tatsächlich Vorliegende seiner Dunkelheit halber wie ein  nicht  tatsächlich Vorliegendes, wie ein  Transsubjektives  behandelt. Es liegt also auch hier nur eine scheinbare Ausnahme vom oben Gesagten vor. Die Psychologie kommt zuweilen in die bezeichnete Lage. Unter einen anderen Gesichtspunkt dagegen fällt es, wenn die Bedingungen für die Beobachtung der Bewußtseinstatsachen verbessert und zweckmäßiger gestaltet werden. Wenn der Psychologe zur Beobachtung etwa der Funktion des Unterscheidens, der Physiker zur Beobachtung von Wahrnehmungstatsachen Experimente aussinnt, so ziehen beide freilich das Bewußtsein der sachlichen Notwendigkeit reichlich heran. Allein dieses Bewußtsein steht hier nicht unmittelbar im Dienst des Beobachtens, sondern des Aussinnens der geeignetsten Bedingungen hierfür; und ein solches Aussinnen greift in Fülle in das Transsubjektive hinein (wie durch die Erörterungen über das transsubjektive Minimum klar werden wird). Das Beobachten selbst sonach wird hierdurch auf das Bewußtsein sachlicher Notwendigkeit nicht im mindesten gegründet.
    7) Diesen Einwurf erhebt beispielsweise DÜRR, a. a. O. Seite 70f. DÜRR meint unter anderem: ein Hinweis auf das Transsubjektive ist auch in der äußeren Wahrnehmung enthalten. Ebensowenig nun, wie in dem Anspruch der äußeren Wahrnehmung, die Außenwelt zu erkennen, auch schon die Berechtigung dieses Anspruchs liegt, so wenig ist auch der entsprechende Anspruch des Denkens ansich schon ein genügender Grund für die Annahme, daß dieser Anspruch auf Erfüllung zählen darf. In dieser Meinung zeigt sich deutlich, wie wenig DÜRRs Einwand zu meiner Auffassung paßt.
    8) Der Satz der Identität und des Widerspruchs ist eine logische Selbstverständlichkeit. Wenn das Logische nichts weiter bedeutete, so würde es eine wahrhaft klägliche Rolle in unseren Erkenntnisbestrebungen spielen. Das Logische besteht vielmehr in der denkenden Bewältigung der zahlreichen schwierigen Aufgaben, die uns der Erfahrungsstoff stellt. Mit dem Satz der Identität und des Widerspruchs komme ich dabei nicht den kleinsten Schritt vorwärts. Nimmt man logisch in diesem leeren Sinn, dann kann man freilich (um ein Beispiel herauszugreifen) mit SIMMEL (Kant, Leipzig 1904, Seite 16f) sagen: Es ist nicht logisch notwendig, nicht denknotwendig, die Dinge kausal zu verknüpfen; es ist möglich, sich eine Welt zu denken, in der das Gesetz der Kausalität nicht gilt. Ich bestreite, daß wir uns eine solche Welt wirklich  denken  können. Ich kann es wohl mit dem  Vorstellen  einer solchen Welt versuchen; sobald ich aber Ernst damit mache, die gegebenen Erfahrungen denkend zu behandeln, so stellt sich mir die Kausalitätslosigkeit der Welt als Widersinn heraus.
    9) Von den zahlreichen Erkenntnistheoretikern, die diese Frage im entgegengesetzten Sinn beantworten, nenne ich RAOUL RICHTER. Gegenüber dem Unerfahrbaren, so führt er aus, versagt die Denknotwendigkeit durchaus (Der Skeptizismus in der Philosophie, Bd. 1, Leipzig 1904, Seite 215). Meine vorangegangenen und folgenden Ausführungen zeigen, daß im Gegenteil die Denknotwendigkeit nur durch den Reiz des Unerfahrbaren in Bewegung gesetzt wird und stets einen Schritt ins Unerfahrbare bedeutet.
    10) Auch WILHELM FREYTAG ist der Überzeugung, daß das Denken notwendig zur Anerkennung des Transsubjektiven oder, wie er sagt, des Transzendenten führt. Er weist dem Positivismus gegenüber nach, daß das, was die Erkenntnis zur Erkenntnis macht, nicht selbst etwas Gegebenes ist, sondern etwas, das zum Gegebenen hinzukommt. Wir könnten nie ein Urteil abgeben, wenn wir lediglich auf das Gegebene beschränkt wären (Der Realismus und das Transzendenzproblem, Seite 123f). Dagegen wollen mir die "Beweise", die er für die Transzendenz des Denkens unternimmt (a. a. O., Seite 18f, 124f), nicht recht einleuchten. Mir scheinen dieses "Beweise" zu sehr den Charakter formalistischer Bewußtseinsdialektik an sich zu tragen.
    11) Ähnlich wie KÜLPE in seiner "Einleitung in die Philosophie", Seite 156f, das von ihm so genannte "logische Argument" des Konszientalismus [Wirklichkeit = Bewußtsein - wp] zurück. Auch mit dem Kern der Ausführungen, in denen FREYTAG den konszientalistischen Grundgedanken widerlegt (a. a. O. Seite 97f), steht das oben Dargelegte im Einklang.
    12) BUSSE wählt für die Begründung der Erkenntnistheorie den Weg, daß er in den skeptischen und subjektivistischen Standpunkten die in ihnen unbewußt und widerwillig enthaltene Anerkennung der Denknotwendigkeit und mannigfaltiger auf ihrer Grundlage gemachten metaphysischen Annahmen aufzeigt (Philosophie und Erkenntnistheorie, Bd. 1, Leipzig 1894, Seite 7 - 112). Der von BUSSE gewählte Weg hat mit dem von mir eingeschlagenen die Ähnlichkeit, daß beide Male ein Ausgangspunkt genommen wird, der unser Erkenntnisbedürfnis mit scharfer Befriedigung erfüllt, und daß diese Unbefriedigung der Antrieb ist, der zur Anerkennung der Denknotwendigkeit und ihrer transsubjektiven Bedeutung nötigt. Der große Unterschied besteht jedoch darin, daß bei BUSSE diesen Ausgangspunkt die verschiedenen skeptischen und subjektivistischen Standpunkte bilden, die nun auf die in ihnen versteckten metaphysischen Voraussetzungen hin untersucht werden, während bei mir die Untersuchung unmittelbar und geradezu an die subjektivistische Gewißheitsquelle selber herantritt, diese erstens nach ihrem positiven Wert für das Erkennen, sodann aber nach ihren für das Erkennen ungenügenden Seiten beschreibt und uns durch Herauskehrung dieses ungenügenden Charakters den Antrieb erteilt, uns nach einer weiteren, befriedigenderen Gewißheitsheitsquelle umzusehen, als welche sich uns denn dann die Denknotwendigkeit erweist. BUSSEs Methode ist daher im wesentlichen begriffliche Folgerung, während die meinige im Beschreiben und Zergliedern von unmittelbar innerlich Erlebtem besteht.