tb-2 Otto F. GruppeMoritz SchlickLeonard Nelson    
 
MAURYCY STRASZEWSKI
In Sachen Metaphysik

"Der jetzige Kampf gilt der reinen Metaphysik, nicht der Metaphysik überhaupt. Es gibt keine doppelten Quellen des Wissens; apriorische Konstruktionen müssen fallen gelassen werden. Ist nun vom Standpunkt des heutigen kritischen Empirismus eine Metaphysik möglich?"

Die bereits totgeglaubte Metaphysik erhebt sich zu neuem Leben. Ist das berechtigt? Diese Frage darf aufgeworfen werden, weil der Metaphysik neue gefährliche Gegner erstanden sind und zwar NIETZSCHE, AVENARIUS, MACH.

Die Geschichte der Metaphysik belehrt uns, daß die sogenannte reine Metaphysik erst im 18. Jahrhundert ihren Anfang nahm und kaum hundert Jahre alt geworden ist, sonst entwickelte sich die metaphysische Spekulation immer im engsten Ausschluß an das Erfahrungswissen. Der jetzige Kampf gilt aber der reinen Metaphysik, nicht der Metaphysik überhaupt. Es gibt keine doppelten Quellen des Wissens; apriorische Konstruktionen müssen fallen gelassen werden. Ist nun vom Standpunkt des heutigen kritischen Empirismus eine Metaphysik möglich? Der Referent glaubt berechtigt zu sein zu behaupten, daß sie nicht nur möglich, sondern sogar notwendig ist.

Das philosophische Denken kann gegenüber seiner Umgebenung einen dreifachen Standpunkt einnehmen. Es kann angenommen werden:
    1. Die Umgebung sei dem Bewußtsein so gegeben, wie sie ansich ist. Oder
    2. Die Umgebung sei ein subjektiver Trug. Oder
    3. Die Umgebung, so, wie sie uns gegeben ist, sei eine Wirklichkeit, aber nur eine phänomenale Wirklichkeit.
Vom ersten Standpunkt ist eine dogmatisch-naive Metaphysik möglich. Vom zweiten Standpunkt sind dreifache Schlüsse möglich:
    a) Wir können über die sinnliche Wirklichkeit nichts aussagen

    b) Die Sinnenwelt ist wohl ein subjektiver Trug, aber wir verfügen über logische Begriffe, die das Wesen der Dinge spiegeln, also eine dogmatisch-dialektische Metaphysik möglich.

    c) Die Sinne liefern wohl einen subjektiven Trug, allein das forschende Denken kann diesen Trug entfernen und zum Wesen der Erscheinungen vordringen, also eine dogmatisch-forschende Metaphysik möglich.
Alle diese drei möglichen Metaphysiken haben sich überlebt, so wie auch die zwei ersten Standpunkte, denen sie entstammen.

Ist eine Metaphysik vom dritten Standpunkt möglich? Ja, sie ist möglich und notwendig: Die Wissenschaft ist nichts anderes, als eine Anpassung des methodischen Denkens an die in der Umgebung herrschende Ordnung. Die Wissenschaft ist in dieser Hinsicht ein Produkt des Lebens, welches auch nur in einem Sichanpassen des lebenden Wesens an seine Umgebung besteht. Die Wissenschaft besteht also aus möglichst gut und genau an die Ordnung der Dinge angepaßten Gedankenbildern. Ist nun eine Anpassung an die einzelnen Gebietes des  "logos"  in der Erscheinungswelt möglich, so muß auch eine Anpassung an das Ganze möglich sein.

Durch die phänomenale Wirklichkeit schimmert die ihr anhaftende Ordnung durch. Diese Ordnung aus der Wirklichkeit herauszulesen und als Ganzes zu erfassen, das ist die Aufgabe der Metaphysik. Es ist nicht richtig zu sagen, daß wir über den Grund der phänomenalen Wirklichkeit nicht wissen können; im Gegenteil, wir können darüber manches erfahren, nur müssen wir lernen, in ihr zu lesen. Die Sache steht so: Entweder ist keine Wissenschaft oder auch die Metaphysik möglich. Entweder können wir uns auch über die in einzelnen Gebieten herrschende Ordnung keine Gedankenbilder machen, die von Wert wären, oder, wenn dies möglich ist, so ist auch Metaphysik möglich.

Es muß also eine kritisch-forschende Metaphysik erstehen. Ihre Methode wäre:
    1. Vor allem eine historische Orientierung über jedes Problem.

    2. Eine psychologische Orientierung

    3. Eine logische und erkenntnistheoretische Orientierung

    4. Eine Orientierung über die zum erwogenen Problem gehörenden Ergebnisse der speziellen Wissenschaften.

    5. Ein Zusammenfassen und kritisches Durchleuchten aller Ergebnisse.
Die Hauptaufgaben der Metaphysik der Zukunft wären folgende:
    1. Gedankenbilder über die in unserer Umgebung herrschende Ordnung.

    2. Gedankenbilder über den Urgrund des Lebens und des Bewußtseins.

    3. Gedankenbilder, der Wirklichkeit möglichst genau angepaßt, über das gegenseitige Verhältnis der Umgebung und des lebenden Bewußtseins.

    4. Gedankenbilder über den Zusammenhang der Dinge auf der Grundlage früherer Ergebnisse.

DISKUSSION

Prof. DREWS: Metaphysik ist nicht nur möglich und notwendig, sie ist  wirklich:  siehe EDUARD von HARTMANNs "Grundriß der Metaphysik". HARTMANN hat gezeigt, was der Deutsche als Metaphysiker  kann;  jetzt ist es an uns, zu  wollen. 

ERNST FISCHER-PLANER: Ich bestreite, daß je eine Philosophie ohne Metaphysik möglich ist; selbst die angeführten Gegner der Metaphysik, wie NIETZSCHE, MACH usw. haben ihr Weltbild geschaffen, das restlos oder in erkannten Grenzen das All und seine Erscheinungen erklärt.

STRASZEWSKI (Schlußwort): Die Ansicht, daß in der sogenannten phänomenalen Wirklichkeit das Metaphysische immanent ist und durch alles Besondere und Phänomenale als dessen eigentliche Unterlage gewissermaßen durchschimmert, darf unzweifelhaft als die einzig richtige gelten. Man könnte also die Metaphysik als eine Anpassung der Gedanken an jene Unterlage der ganzen Weltordnung und die verschiedenen metaphysischen Systeme als Versuche einer unter den gegebenen Umständen zweckmäßigsten Anpassung, betrachten.
LITERATUR: Maurycy Straszewski - In Sachen Metaphysik, Bericht über den III. Internationalen Kongreß für Philosophie, hg. von Theodor Elsenhans, Heidelberg 1909