p-4Lew WygotskiErnst MeumannClara u. William SternGustav Lindner    
 
JOSEPH CHURCH
Begriffsbildungstests

Präverbale Wahrnehmung
Die Anfänge des Sprechens
Die Generalisation ist die Formulierung eines allgemeinen Prinzips, das von einer Anzahl einzelner Fälle oder Umstände abstrahiert wird.

Anläßlich der Erörterung von Generalisation und Abstraktion haben wir bereits die Begriffsbildung und verschiedene Arten ihrer Testung erwähnt. Hier soll nun über ihre durch die Entwicklung bedingten Veränderungen gesprochen werden.

Viele Intelligenztests schließen Hilfetests ein, die von der Versuchsperson eine Spezifizierung der Art und Weise verlangen, wie sich zwei Dinge (oder Klassen) voneinander unterscheiden oder einander ähneln. Dies sind entwicklungsmäßig unterschiedliche Aufgaben. Die Fähigkeit zur Spezifizierung von Differenzen ist gegenüber der von Ähnlichkeiten früher vorhanden. Aber das Unterscheidungsvermögen für beide, Differenzen  und  Ähnlichkeiten - das muß betont werden - entwickelt sich etwas später als die einfache, direkte Reaktion auf sie.

Das Kind in der frühen Vorschulzeit z.B. benennt Bücher und Zeitschriften mit den ihnen zukommenden Namen, kann aber nicht angeben, welches der Unterschied zwischen beiden ist. Bei einem konkreten Sortiertest mag es die Dinge in der gleichen Weise klassifizieren wie ein Erwachsener, aber das Prinzip für die Gruppierung ausdrücklich klarzumachen ist ihm unmögliche. Beachten wir, Sortiertests setzen das Erkennen der Differenzen wie der Ähnlichkeiten voraus: Tiere gehören zusammen, einmal weil sie einander gleichen, und außerdem, weil sie gegenüber Pflanzen etwas ganz anderes sind.

Wir wollen uns daran erinnern, daß es mehrere differente Prozesse sind, die von den Psychologen unter der gemeinsamen Bezeichnung  Begriffsbildung  zusammengefaßt werden. Dazu gehört, um mit dem Einfachsten zu beginnen, die Unterscheidung zwischen Dingen, die keine besondere Ähnlichkeit haben. Dann gibt es  Generalisation  - das Erkennen von etwas Neuartigem, das einem bereits Bekannten ähnlich ist.

Es gibt die Unterscheidung zwischen Dingen, die auf den ersten Blick als ähnlich erscheinen, dann aber als irgendwie verschieden gesehen werden. Wir nehmen an, daß bei einer solchen Abwärtskategorisierung die vorher äquivalent erschienenen Dinge noch eine Art affektiver Verwandtschaft behalten, so daß man z.B. sagen könnte, Katze und Hund, Mann und Frau, Vogel und Flugzeug, Rotkehlchen und Taube gehörten zu global erfaßten gemeinsamen Kategorien höherer Ordnung.

Ferner gibt es die Entdeckung von Ähnlichkeiten zwischen Dingen, die niemals als gleichwertig erfahren wurden. Schließlich gibt es die eigentliche Generalisation, die Formulierung eines allgemeinen Prinzips, das von einer Anzahl einzelner Fälle oder Umstände abstrahiert wird, bzw die Aufstellung idealer Kategorien für die Klassifikation in großen Maßstäben, wie in der biologischen Systematik. Daß die Aufwärtsklassifikation von perzeptuell unähnlichen Dingen notwendigerweise eine symbolische Operation sein muß, während die Abwärtskategorisierung auf der Stufe der Wahrnehmung vor sich geht, leuchtet ohne weiteres ein.

Der gebräuchlichste Test für die Aufwärtskategorisierung ist der, daß man der Versuchsperson zwei Wörter präsentiert und sie fragt, in welcher Weise diese ähnlich seien. Bei den Wortdefinitionen von Kindern sehen wir einen Entwicklungsfortschritt von der kontextuellen zur formalen Definition. Beispiele für kontextuelle Antworten sind:
    Hund-Katze: "Der Hund jagt die Katze";
    Apfel-Pfirisch: "Man kann beide essen".
Man findet nun ziemlich häufig Kategorisierungsarten, die eine Zwischenform zwischen kontextuellen und formalen bilden. Erstens können logisch periphere Ähnlichkeiten dominieren, wie etwa bei Katze-Maus: "Sie haben Barthaare" (oder Schwänze oder vier Beine)". Zweitens können ältere Kinder (von neun Jahren an) und Erwachsene mit Ergebnissen kommen, die zwar auf die als richtig erkannte Kategorie hindeuten, aber gleichzeitig die Unfähigkeit verraten den entsprechenden Ausdruck dafür zu finden.

Wenn man z.B. Erwachsene mit geringem Bildungsniveau fragt, inwiefern eine Plastik und ein Gedicht ähnlich seien, so mögen sie wohl sagen: "Nun, sie sind sozusagen dasselbe." Oder: "Beides sind Dinge, die Menschen machen." Oder: "Sie sind beide von derselben Sorte - sozusagen." Oder: "Beides sind Arten, etwas zu sagen, was jemand sagen möchte." Man trifft auch auf Kategorisierungen, bei denen das Prinzip im strengen Sinne implizit erfaßt wird, aber nicht vollständig explizit zum Ausdruck kommt, beispielsweise in der Definition: "Ein Pfund ist ein Gewichtsmaß, eine Elle ein Längenmaß."

Nicht unerwähnt soll etwas bleiben, das wie ein entwicklungsmäßiges Paradox aussieht. Bei etlichen Begriffsbildungstests mit Skalen, die nach mutmaßlich ansteigender Schwierigkeit angeordnet sind, ist es keineswegs ungewöhnlich, daß ein Kind besser bei den Aufgaben der Zwischenformstufe (Wein-Bier, Piano-Violine, Pfund-Elle) abschneidet als bei den  leichteren.  Es mag sehr wohl sein, daß das Kind die ihm konkret und aus erster Hand bekannten Dinge weniger leicht in Begriffe fassen kann als solche, die es nur aus der Distanz kennt und die ihm erstmals nur symbolisch vermittelt werden.

Beid er formalen Kategorisierung neigen Kind und Erwachsener zu übermäßiger - natürlich auch richtiger - Verallgemeinerung. Schließlich ist es uns natürlicher zu sagen, das Pferd und die Kuh seien Tiere, als daß man sie als domestizierte vierfüßige säugende Pflanzenfresser bezeichnete. Manche Menschen - der Anteil ist nicht feststellbar - entdecken spontan den Prozeß der Begriffsbildung und das Prinzip, nach dem dasselbe Objekt auf vielerlei Arten kategorisiert werden kann, wodurch ein vieldimensionales logisches Netzwerk - oder ein System einander durchdringender Netzwerke - von Relationen gebildet, ein begrifflicher Raum geformt wird.

Andere, vermutlich die überwiegende Mehrzahl, scheinen Begriffe rein schematisch und pragmatisch zu bilden. Vielen von diesen (nicht alle) vermögen den Vorgang ihres Begriffebildens explizit darstellen, wenn sie in einem Begriffsbildungstest dazu genötigt werden.

Im übrigen eignen sich arthmetische Probleme ebenfalls zum Testen der Begriffsbildung, etwa in folgender Form: "6 Äpfel + 6 Orangen = ?". Oft lehnen Studenten solche Fragen mit der Begründung ab, man könne Ungleiches nicht addieren; sie bleiben auch dann skeptisch, wenn man darauf hinweist, man könne sechs Äpfel und sechs Orangen in einen Korb tun und habe dann doch zwölf Stück Früchte. Hat aber ein Student erst einmal eine Serie solcher Aufgaben gelöst, einschließlich dieser: "7 Kühe + 2 Pferde = ?", so kann er auch leicht beantworten, daß 9 Tiere - 7 Pferde = 7 Kühe oder, wie ein Gewitzter schrieb, "7 Tiere" sind, obwohl diese Frage nur möglich ist, wenn sie dahin spezifiziert wird, daß unter den neun Tieren zwei oder mehr Pferde sind. Daß diese Sorte von Aufgaben auf jede beliebige Zahl von Items ausgedehnt werden kann, ist wohl selbstverständlich.

Bisher war die Rede von Verfahren, bei denen man der Versuchsperson zwei oder mehrere Worte präsentiert und ihr sagt, diese bildeten logisch eine Gruppe; sie haben anzugeben, warum das so sei. Bei einer etwas anders gestalteten Aufgabe bietet man ihr eine durcheinandergewürfelte Menge von Objekten (oder Wörtern), welche sie in Gruppen aussortieren soll. Die Objekte können abstrakte Formen oder  realistische  Objekte sein.

Die  korrekte  Klassifizierung nach abstrakten Gesichtspunkten ist die Bildung von Gruppen nach physikalischen Qualitäten wie Größe, Gestalt und Farbe. Vorschulkinder vergessen gewöhnlich bald den Auftrag zu systematischer Klassifikation und gehen zu Kunststückchen über; z.B. bauen sie zwei große und eine Anzahl kleinerer Klötze als Darstellung einer Familie auf. Auf einem etwas abstrakteren Niveau ordnen Kinder Klötze in Ketten an, wobei Klotz A und Klotz B zusammengehören, weil sie die gleiche Farbe haben, C und D dagegen wegen gleicher Größe usw.

Ein andere Art von Ordnung auf dieser Zwischenstufe ist die in Clusters, bei denen jeder Klotz wegen gewisser Eigenschaften mit einem Hauptklotz in Beziehung gesetzt wird, die peripheren Unterklötze aber in buntem Gemisch aufeinander bezogen sind.

Wie zu vermuten ist, sind die ersten Sortierversuche von realistischen Objekten an Kontexten ausgerichtet. Objekte gehören zusammen, weil sie in realen Lebenssituationen zusammen vorkommen. So mögen ein Hut und eine Pfeife zusammengehen, weil sie derselben Person gehören. Oft entdeckt man nicht ohne Schwierigkeiten das Prinzip der Gruppierung: Werden Messer, Gabeln und Löffel zusammengetan als Exemplare der Kategorie  Silberwaren  oder weil sie auf dem Eßtisch zusammengehören?

Zuweilen verrät die Versuchsperson ihr Gruppierungsprinzip einfach dadurch, daß sie das Silber als Gedeck arrangiert, oder auch durch die Unsicherheit ihrer Intention: Sie schwankt, ob sie die Plastikimitation eines Lammkoteletts zu ihrer Gruppe dazutun soll oder nicht. Nötigt man größere Kinder und Erwachsene, die dargebotenen Objekte auf so viele verschiedene Arten zu gruppieren wir nur irgend möglich, so kommen sie oft bis zu Klassifikationen nach Farbe, Material, Gestalt und sogar noch nach so ausgefallenen Attributen wie etwa Resonanz u.a.

Die Tests mit Gruppierung realistischer Objekte unterscheiden sich von denen, welche abstrakte Formen, insofern, als ihre Prinzipien nicht gleichartig sein müssen. Das will sagen: Diese Dinge passen zusammen, weil sie alle Nahrungsmittel sind, jene, weil sie mit Schreiben zu tun haben, usw.

Ein Test, der Wortkenntnis und abstrakte Schematisierung von Relationen kombiniert, ist der Analogietest etwa folgender Art: "Nahrung ist für den Magen, was die Luft ist für ...?" Oder: "Knaben wachsen zu Männern heran, Mädchen zu ...?" Analogien zu finden, kann so leicht sein wie in diesen Fragen oder auch so schwer, wie es der Scharfsinn des Testkonstrukteurs immer erlaubt. Zu den Relationen, die für die Konstruktion von Analogieaufgaben benutzt werden können, gehören u.a.: Teil-Ganzes, Antinomien, Ursache-Wirkung, Überordnung-Unterordnung, Eigenschaften von Symbolen als Objekten wie in: "quack : pack = sack : ? (rack).

Offensichtlich stellen einige Analogieaufgaben ihre eigenen Ergänzungsschemata auf; andere erfordern beträchtliches Kopfzerbrechen bei der Suche nach ihrem verborgenen Schema. Aber genau so, wie viele Individuen selbständig das formale Modell der Begriffsbildung entdecken, gelingt es auch vielen, die formalen Relationen zu finden, die das Bezugssystem von Analogien bilden.

EMPSON hat auf eine Verwandtschaft zwischen Analogien und Metaphern aufmerksam gemacht. Der Unterschied zwischen beiden ist zwar subjektiv leicht erkennbar, aber schwer präzis zu definieren. EMPSONs Unterscheidung läuft anscheinend darauf hinaus, daß Analogien die Dinge nach formalen Entsprechungen zwischen objektiven Attributen vergleichen, wie z.B. bei den Ausdrücken  Sattel  eines Berges oder  Bein  eines Tisches, während Metaphern Eigenschaften gleichsetzen, die in uns einen irgendwie ähnlichen Widerhall erwecken.

Somit würden Analogien sich auf der Basis partieller Äquivalenz herausbilden, während Metaphern Generalisationen wären, die eine nahezu totale Äquivalenz ausdrücken. Historisch mögen wohl etliche Analogien als Metaphern begonnen haben, um schließlich als nur mehr tote Metaphern zu überleben. EMPSON führt noch einen weiteren, vierten Begriff in die Reihe  Analogie - Metapher - tote Metapher  ein. Dies ist der Begriff der Gleichung, und er meint den gleichzeitigen Gebrauch eines Wortes in zwei Bedeutungen, deren eine metaphorisch sein kann.

Ein Beispiel für eine solche Gleichung bietet der Berufsstandpunkt der Mediziner: Da Krankheit das Ressort des Arztes ist, sind nur Ärzte qualifiziert, Geisteskrankheiten zu behandeln bzw. deren Behandlung zu überwachen. Wir sehen  Geisteskrankheit,  eine metaphorische Bezeichnung für Verhaltensstörung, oder sogar  Psychopathologie  wird dem somatischen Zustand gleichgesetzt, welchen Ärzte behandeln. (Natürlich haben bestimmte Verhaltensstörungen ihre Wurzel in somatischen Krankheiten moder bewirken solche, und für  deren  Diagnose und Behandlung ist dann selbstverständlich der Arzt zuständig.)

In der Gleichung kann sich eine echte Verwirrung von Vorstellungen recht primitiver Art ausdrücken, ähnlich der Hypostasierung [einem Gedanken gegenständliche Realität unterschieben - wp] oder der kalkulierten Anstrengung, jemandem eine bestimmte Ansicht zu suggerieren. Wahrscheinlich stellt die Anwendung des Terminus  Begriff  bei jemandem, der denken lernt, eine Gleichung der ersteren Art dar. In diesem Fall würde die Gleichung einem Argument per analogiam ähneln.

In diese Gruppe von Denkoperation gehört auch das Wortspiel; es beruht auf dem gleichzeitigen Gebrauch desselben Wortes in zwei Bedeutungen, von denen die eine - genau wie bei der Gleichsetzung - metaphorisch sein kann, hier aber im vollen Bewußtsein der Dualität. Für den Humor der Schulkinder ist das Wortspiel natürlich ein Hauptelement, exemplifiziert am klassischen Rätsel: Ein Schiff ist 100 m lang, 30 m breit und 7 m tief, wie lang is(s)t der Kapitän?

Weiterhin gehört auch der Begriff der  magischen Partizipation  hierher, eine genuine Identität von logisch diskreten Denkelementen, wie sie in der Identifizierung des Primitiven mit dem Totem seines Stammes oder Clans vorkommen. Man findet diese Identität auch in den Kausalerklärungen durch Transfer von Qualitäten (z.B. in dem Ammenmärchen von vorgeburtlicher Beeinflußung), im Sympathiezauber (Anzaubern von Krankheiten, wobei ein Bild, Nagelteile, Haare u.a. das betroffene Individuum vertreten) sowie in Äquivalenzen, die sich auf Grund irgendwelcher peripheren Attribute bilden (etwa ein durch ein Kaninchen erschrecktes Kind seine Furcht auf seinen weißen Pelzmuff  generalisiert)  usw.
LITERATUR - Joseph Church, Sprache und die Entdeckung der Wirklichkeit, Über Spracherwerb des Kleinkindes, Ffm 1971