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SIGMUND FREUD
Die Rolle der Wortvorstellungen

Wie wird etwas bewußt?: durch Verbindung mit entsprechenden Wortvorstellungen.

Vorbemerkung von Heinrich Junker:
Die Psychoanalyse sagt nach der Darstellung ihres Begründers aus, daß ein psychischer Akt im allgemeinen zwei Zustandsphasen durchläuft, zwischen welche eine Art Prüfung (Zensur) eingeschaltet ist. Nur in der ersten Phase ist der Akt vollunbewußt. Weist die Zensur den Akt ab, so gelangt er gar nicht in einer zweiten Phase zur Entwicklung; er ist dann "verdrängt" und bleibt unbewußt. Läßt ihn die Zensur durch, so wird er bewußtseinsfähig, d.h. er kann beim Zusammentreffen gewisser Bedingungen Gegenstand (Objekt) des Systems "Bewußtsein" werden. Der Akt gehört aber noch dem System "Vorbewußt" an. Von diesen Voraussetzungen aus ergibt sich FREUDs Stellungnahme zu den "unbewußten Gegenstandsvorstellungen" und der Rolle, welche die Wortvorstellungen dabei spielen.

Was wir die unbewußte Objektvorstellung heißen, zerlegt sich uns in die 'Wortvorstellung' und in die 'Sachvorstellung', die in der Besetzung, wenn nicht der direkten Sacherinnerungsbilder, doch entfernterer und von innen abgeleiteter Erinnerungsspuren besteht. Mit einem Male glauben wir nun zu wissen, wodurch sich eine bewußte Vorstellung von einer unbewußten unterscheidet. Die beiden sind nicht, wie wir gemeint haben, verschiedene Niederschriften desselben Inhaltes an verschiedenen psychischen Orten, auch nicht verschiedene funktionelle Besetzungszustände an demselben Orte, sondern die bewußte Vorstellung umfaßt die 'Sachvorstellung' plus der zugehörigen 'Wortvorstellung', die unbewußte ist die Sachvorstellung allein.

Das System des Unbewußten enthält die Sachbesetzungen; das System des Vorbewußten entsteht, indem diese Sachvorstellung durch die Verknüpfung mit den ihre entsprechenden Wortvorstellungen übersetzt wird.

Auf den letzten Seiten der 1900 veröffentlichen "Traumdeutung" ist ausgeführt, daß die Denkvorgänge, das sind die von den Wahrnehmungen entfernteren Besetzungsakte, an sich qualitätslos und unbewußt sind und ihre Fähigkeit, bewußt zu werden, nur durch ihre Verknüpfung mit den Resten der Wortwahrnehmung erlangen. Die Wortvorstellungen entstammen ihrerseits der Sinneswahrnehmung in gleicher Weise, wie die Sachvorstellungen, so daß man die Frage aufwerfen könnte, warum die Objektvorstellungen nicht mittels ihrer eigenen Wahrnehmungsreste bewußt werden können.

Aber wahrscheinlich geht das Denken in Systemen vor sich, die von den ursprünglichen Wahrnehmungsresten so weit entfernt sind, daß sie von deren Qualitäten nichts mehr erhalten haben und zum Bewußtwerden einer Verstärkung durch neue Qualitäten bedürfen. Außerdem können durch die Verknüpfung mit Worten auch solche Besetzungen mit Qualität versehen werden, die aus den Wahrnehmungen selbst keine Qualität mitbringen konnten, weil sie bloß Relationen zwischen den Objektvorstellungen entsprechen.

Solche erst durch Worte faßbar gewordenen Relationen sind ein Hauptbestandteil unserer Denkvorgänge. Wir verstehen, daß die Verknüpfung mit Wortvorstellungen noch nicht mit dem Bewußtwerden zusammenfällt, sondern bloß die Möglichkeit dazu gibt, daß sie also kein anderes System, als das des Vorbewußten charakterisiert. -

An einer anderen Stelle ("Das Unbewußte") habe ich die Annahme gemacht, daß der wirkliche Unterschied eine unbewußten von einer bewußten Vorstellung (einem Gedanken) darin besteht, daß der erstere sich an irgendwelchem Material, das unerkannt bleibt, vollzieht, während bei der letzteren (der vorbewußten) die Verbindung mit 'Wort'vorstellungen hinzu kommt. Hier ist zuerst der Versuch gemacht, für die beiden Systeme "Vorbewußt" und "Unbewußt" Kennzeichen anzugeben, die anders sind als die Beziehungen zum Bewußtsein. Die Frage: Wie wird etwas bewußt? lautet also zweckmäßig: wie wird etwas vorbewußt? und die Antwort wäre: durch Verbindung mit entsprechenden Wortvorstellungen.

Diese Wortvorstellungen sind Erinnerungsreste, sie waren einmal Wahrnehmungen und können wie alle Erinnerungsreste wiederbewußt werden. Ehe wir noch weiter von ihrer Natur handeln, dämmert uns wie eine neue Einsicht auf: bewußt werden kann nur das, was schon einmal bewußte Wahrnehmung war, und was außer Gefühlen von innern her bewußt werden will, muß versuchen, sich in äußere Wahrnehmungen umzusetzen. Dies wird mittels der Erinnerungsspuren möglich. -

Die Wortreste stammen wesentlich von akustischen Wahrnehmungen ab, so daß hierdurch gleichsam ein besonderer Sinnesursprung für das System des Vorbewußten gegeben ist. Die visuellen Bestandteile der Wortvorstellung kann man als sekundär, durch Lesen erworben, zunächst vernachlässigen, und ebenso die Bewegungsbilder des Wortes, die, außer bei Taubstummen, die Rolle von unterstützenden Zeichen spielen. Das Wort ist doch eigentlich der Erinnerungsrest des gehörten Wortes.

Während die Beziehung der äußeren Wahrnehmung zum Ich ganz offenkundig ist, fordert die der inneren Wahrnehmung zum Ich eine besondere Untersuchung heraus... Die innere Wahrnehmung ergibt Empfindungenn von Vorgängen aus den verschiedensten, gewiß auch tiefsten Schichten des seelischen Apparates. Sie sind schlecht gekannt. Als ihr bestes Muster können noch die der Lust- und Unlustreize gelten. Sie sind ursprünglicher, elementarer, als die von außen stammenden, können noch in Zuständen getrübten Bewußtseins zustande kommen...

Die Empfindungen mit Lustcharakter haben nichts Drängendes an sich, dagegen im höchsten Grade die Unlustempfindungen. Diese drängen auf Veränderung, auf Abfuhr, und darum deuten wir die Unlust auf eine Erhöhung, die Lust auf eine Erniedrigung der Energiebesetzung. Nennen wir das, was als Lust und Unlust bewußt wird, ein quantitativ -qualitativ Anderes im seelischen Ablauf, so ist die Frage, ob ein solches Anderes bis zum System "Wortvorstellungen" fortgeleitet werden muß. Die klinische Erfahrung entscheidet dafür. Sie zeigt, daß dies Andere sich verhält, wie eine verdrängte Regung. Es kann treibende Kräfte entfalten, ohne daß das Ich den Zwang bemerkt. Erst Widerstand gegen den Zwang, Aufhalten der Abfuhrreaktion, macht dieses Andere sofort als Unlust bewußt.

Es bleibt also richtig, daß auch Empfindungen und Gefühle nur durch Anlagen an das System "Wortvorstellung" bewußt werden; ist die Fortleitung gesperrt, so kommen sie nicht als Empfindungen zustande, obwohl das ihnen entsprechende Andere im Erregungsablauf dasselbe ist. Abgekürzter, nicht ganz korrekter Weise sprechen wir dann von unbewußten Empfindungen, halten die Analogie mit unbewußten Vorstellungen fest, die nicht ganz gerechtfertigt ist.

Der Unterschied ist nämlich, daß für die unbewußte Vorstellung erst Verbindungsglieder geschaffen werden müssen, um sie zum Bewußtsein zu bringen, während dies für die Empfindungen, die sich direkt fortleiten, entfällt. Mit anderen Worten: die Unterscheidung von Bewußtsein und Vorbewußtem hat für die Empfindungen keinen Sinn, das Vorbewußte fällt hier aus. Empfindungen sind entweder bewußt oder unbewußt. Auch wenn sie an Wortvorstellungen gebunden werden, danken sie nicht diesen ihr Bewußtwerden, sondern sie werden es direkt.

Die Rolle der Wortvorstellungen wird nun vollends klar. Durch ihre Vermittlung werden die inneren Denkvorgänge zu Wahrnehmungen gemacht. Es ist, als sollte der Satz erwiesen werden: Alles Wissen stammt aus der äußeren Wahrnehmung. Bei einer Überbesetzung des Denkens werden die Gedanken wirklich - wie von außen - wahrgenommen und darum für wahr gehalten.Sigmund Freud, Abhandlungen über "Das Unbewußte" (1915), "Ich und das Es" (1923) und "Vergessen, Versprechen, Vergreifen, Aberglaube und Irrtum" (1904) in Heinrich Junker: Sprachphilosophisches Lesebuch, Heidelberg 1948
LITERATUR - Sigmund Freud, Abhandlungen über "Das Unbewußte" (1915), "Ich und das Es" (1923) und "Vergessen, Versprechen, Vergreifen Aberglaube und Irrtum" (1904) in Heinrich Junker, Sprachphilosophisches Lesebuch, Heidelberg 1948