ra-2Welt der ÄhnlichkeitKritische ParanoiaExperiment Surrealismus    
 
HANS HOLLÄNDER
Die Bildsprache Magrittes

Bilder sind nicht interpretierbar, weil die Beziehungen von Sprache, Bild und Realität Fiktionen sind.

MAGRITTE hat von sich gesagt, er betrachte sich in erster Linie als Philosophen, nicht so sehr als Maler. Die Malerei sei ihm nur als das geeignete Mittel erschienen, seine Gedanken mitzuteilen, andere benützten dazu Worte. Auf sie hat er selbst nicht verzichtet, seine Äußerungen übertreffen die seiner Kollegen sowohl an Kürze wie an Prägnanz. Für seine Bilder ist charakteristisch, daß er bestimmte gegenständliche Elemente seiner individuellen Ikonographie immer wieder verwendet, so als seien es Worte, die nun in unterschiedlichen Sätzen vorkommen. Auch ist das Problemfeld bei MAGRITTE genau umrissen, es ändert sich nur unwesentlich.

Immer wird demonstriert, daß Bild und Realität nicht miteinander zu verwechseln sind, immer führt er derartige Verwechslungsabsichten beim Betrachter ad absurdum. Auch ist das Bild kein Vermittler von Sprache und Realität, und die Distanz von Bild und Sprache ist gleicherweise unüberwindlich. Er suchte zu malen, was sich sowohl dem universalen Anspruch der Sprache wie der anschaulichen Erfahrung entzieht, Unbeschreibliches und auch Unbegreifliches, dies ganz wörtlich genommen. Dazu genügen einfachste Gegenstände. Zum Beispiel seine Pfeife: Ohne den Text, den  titulus,  würde man naiv sagen, das sei eine Pfeife. Die Beschriftung sagt unmißverständlich. Dies ist keine Pfeife. Der Betrachter und Leser wird mit der Nase darauf gestoßen, daß es sich um ein Bild handelt, das selbst keinerlei Ähnlichkeit oder gar Identität mit einer Pfeife hat, sondern eine Pfeife nur meint.

Natürlich wäre das bei einer abstrahierenden Darstellung ohnehin deutlich, interessanter sind aber die Fälle einer trivialen Ähnlichkeit, die nur bei quasi-photographischer Abbildung sich einstellt. Auf sie hat er es abgesehen. Die Schlußfolgerung: Es gibt eine unüberbrückbare Distanz von Bild und Realität. Realismus beruht auf Unklarheit der Begriffe, es gibt keinen Realismus in der Malerei. Es gibt die Realität von Bildern. Zunächst und vor allem sind seine Bilder kombinatorische Bilder, denn es ging ihm um Gedanken. Er war ein  pictor doctus,  dem der Gedanke wichtiger war als die Malerei. Für MAGRITTE rechtfertigt unser alltägliches Wissen von der Welt und ihren Gegenständen nicht hinreichend ihre Darstellung in der Malerei; das nackte Mysterium der Dinge kann in der Malerei unbemerkt bleiben, so wie es in der Realität geschieht ... Wenn der Betrachter findet, daß meine Bilder dem gesunden Menschenverstand Hohn sprechen, wird er sich einer offensichtlichen Tatsache bewußt. Ich möchte aber trotzdem hinzufügen, daß für mich die Welt ein Hohn auf den gesunden Menschenverstand ist."

Das zweite Gebot würde bei MAGRITTE heißen
Du darfst Dir nur unter der einen Bedingung ein Bild machen, daß Du es niemals mit der Wirklichkeit identifizierst. Wenn Du das kannst, dann mache Bilder. Aber das Abbild ist nicht die Sache und im Bilde spielen sich andere Dinge ab als in anderen Bereichen des Bewußtseins. Auch Bild und Begriff dürfen unter keinen Umständen miteinander verwechselt werden. Das eine kann nicht für das andere eintreten, die Bereiche sind autonom.
Irritierend ist die Konsequenz, mit der er sein Problem, das ein allgemeines zugleich ist, formuliert hat. Seine Bilder sind tatsächlich schwer beschreibbar. Man hat Schwierigkeiten, Literarisches zu zitieren, vielleicht sind sie nicht literarisch, sondern wirklich nur Bilder als eigene, eigenwillige und unübersetzbare Realitäten?

Ich greife einige Exempla heraus.

 La Condition Humaine 1, 1933.  Das Bild, das im Bilde dargestellt ist, bildet die Landschaft, die man durch das Fenster sieht, so ab, als sei es selbst sowohl ein Fenster zur Landschaft als auch ein realer Gegenstand, der einen anderen Gegenstand im Bilde, den Vorhang, überschneidet. Die beiden Landschaften aber sind ein und dieselbe, gesondert nur durch die Kanten des Keilrahmens, nicht durch die Malweise, und die Konturen der im Fenster sichtbaren Landschaft setzen sich im Bilde der gleichen Landschaft fort. Das Bild wie das Bild im Bilde sind in der gleichen quasi-photographischen und etwas plakathaften Manier MAGRITTEs gemalt. Innerhalb des Bildes wird der Wechsel des Realitätsanspruchs von tatsächlicher Landschaft und Bild einer Landschaft zunichte. Es ist dabei gleichgültig, ob die Landschaft von besonderem Interesse ist oder nicht.

MAGRITTE hat damit eine Voraussetzung unterspielt, die eigentlich nicht zu ignorieren ist, aber es kam ihm nur auf die Abbildlichkeit des Bildes an, daher konnte er darauf verzichten, die Komplikationen des Begriffs  Abbild  zu berücksichtigen. Tatsächlich hat er die Subjektivität des Malers vorsätzlich ausmanövriert. Denn eine gemalte Landschaft ist niemals einer wirklichen gleichartig, weil, und das entspricht ja wieder den Sätzen MAGRITTEs, Wirklichkeit abhängig ist von der Subjektivität des Beobachters und den Konventionen, denen er widerspricht oder die er akzeptiert.

Wenn aber die Wirklichkeit und das Bild denselben Autor haben, und das ist hier ja der Fall, dann gibt es derartige Unterschiede nicht, dann ist das Realitätsfragment identisch mit seinem Abbild, denn beides, auch der schmale Rest von Unterschiedlichkeit, ist aufgehoben in einem Bilde, das beides darstellt.

Erinnert man sich, was geschieht, wenn für ein Bild ein Wort eintritt, dann entsteht etwa das, was hier den Titel trägt: "Die Reize der Landschaft". Für sie aber steht ein Wort und ein leerer Bilderrahmen. Die Jagdflinte grenzt den Umkreis des Vermutbaren nur unvollkommen ein. Zu den Reizen der Landschaft gehört demnach, daß man in ihr jagen kann. Sonst bleibt alles offen; viele Landschaften sind denkbar, vorstellbar unter dem einen Oberbegriff Landschaft. Man sieht das Wort wie ein Insekt aufgespießt und aus jedem möglichen Zusammenhang isoliert. Es sagt nichts über das, was innerhalb dieses Rahmens sich ereignen und sichtbar werden könnte. Bilder haben sonst nie diesen Grad von Allgemeinheit. Sie entziehen sich daher den Worten. Dies aber ist ein Wort und daher allgemein. Eine Farbe ist immer eine ganz bestimmte Farbe, nicht die Bezeichnung einer Farbe, usw. Die Farbe kann nur durch sich selbst bezeichnet werden. Wenn man Adjektiva hinzufügt, bleibt immer noch der Spielraum sehr weit. Mit der Bezeichnung  winterliche Landschaft,  oder  Hochgebirgslandschaft  wären nur die sommerlichen und die flachen ausgeschlossen.

Möglicherweise liegt hier eine der Voraussetzungen der "concept art", obgleich MAGRITTE sie wahrscheinlich verworfen hätte, weil sein Problem anders war. Ich meine etwa Fälle wie Bilderrahmen mit der Aufschrift  sunrise  und  sunset.  jeder wird dazu aufgefordert, sich seinen eigenen Sonnenaufgang und Untergang vorzustellen. Sicherlich ein etwas einfaches Verfahren, das Malen zu vermeiden, aber vor allem, und darin liegt denn doch die Bedeutung derartiger Aktionen, wird auf die Differenz zwischen Allgemeinheit von Worten und Bestimmtheit von Bildern hingewiesen. Der Unterschied der Medien und ihre Unübertragbarkeit wäre im Sinne MAGRITTEs, ist aber nur ein Aspekt.

Ein anderes und auch gleicherweise beständiges Revier der Tätigkeiten MAGRITTEs sind die Metamorphosen, nämlich die auf Bilder bezogenen und nur im Bilde möglichen. Im Bilde sind Dinge möglich, die weder in der Sprache noch in der Realität ihr Äquivalent haben.

In der glaubwürdigen Darstellung der Aufhebung der Schwerkraft und der Fiktion von Gestaltverwandlungen zeigt sich, daß MAGRITTE, der die Varianten des Bildes als Fenster gründlich untersucht hat, besonders auf das aufmerksam geachtet hat, das nur im Bilde und sonst nirgends möglich ist. Gerade mit der Darstellung unmöglicher Situationen im Bilde ist die Unvergleichlichkeit der Möglichkeiten des Bildes mit den Grenzen des Wirklichen in besonderem Maße anschaulich demonstrierbar. Selbstverständlich hat MAGRITTE es darauf angelegt, Unmögliches anschaulich zu machen, etwa durch die Möglichkeiten der Metamorphose, der Gestaltverwechslung oder der Umkehrungen des Materialcharakters.

So etwa das Bild mit dem Rätseltitel "Le chateau hante", 1950. Das heimgesuchte Schloß ist nicht zu sehen, wohl aber eine Seelandschaft mit Felsklippen, in die ein Blitz einschlägt, der steinern ist wie sie, ein Blitz von der materiellen Beschaffenheit eines Fossils. Immaterielles erstarrt zu Stein, unvermittelt Plötzliches gewinnt die Dauer geologischer Zeitmaße. Metamorphosen dieser Art gelangen nur im Bilde zu anschaulicher Evidenz. In der Sprache gibt es derartige Möglichkeiten nicht. Entsprechungen wären entweder sinnlos oder trivial, nicht aber anschaulich evident. Ein steinerner Blitz ist kein Äquivalent zum  schwarzen Schimmel,  den man schwerlich malen kann, wohl aber in beliebiger Menge mit den Mitteln der Sprache erzeugen kann. Er ist aber auch nicht trivial wie etwa die Wendung  Ein Schrei zerriß die Nacht  eine Metapher, die immer noch Vorzüge hat vor einer nichtmetaphorischen Feststellung gleichen Inhalts. Den steinernen Blitz aber kann man malen, denn kein Gesetz der Realität gilt für Bilder, es ist lächerlich, dergleichen zu verlangen. Nun kann man das Bild natürlich beschreiben, sogar sehr genau, aber dann verhält sich die Beschreibung zum Bild wie das Bild einer Pfeife zur wirklichen Pfeife. Immer noch bleibt die Distanz, die nicht überbrückbar ist.

Auch bliebe es bei einer bloßen Mitteilung, einer Trivialinformation. Wichtiger wären mögliche Äquivalente, die durch das Bild erst in der Beschreibung entstehen könnten. Ich meine Wortfolgen, die dem Eindruck des Bildes entsprechen, ohne ihn in vergeblicher Anstrengung wiederzugeben. Mir drängen sich dabei Wendungen auf wie:  erstarrtes Krachen.  Vielleicht gibt es bessere Möglichkeiten. Aber der Drehpunkt dieser Metamorphose ist ja die Verwandlung der Zeitmaße. Ein Blitz, augenblickshaft, grell, verwandelt sich in etwas sehr dauerndes, geologisch dauerndes, in Stein. Doch ist diese Verwandlung nicht gänzlich absurd, denn zum Blitz gehört der Donner, ein gewaltiges akustisches Geröll, eine Krachlawine, und auf diesem Wege mag die Assoziation zustande gekommen sein, die die Wahl des 'Materials' bestimmte; indessen mag es andere Wege geben. Bildgedanken sind schnelle Gedanken, oft abseits der Bahnen der Sprache, die sie nicht gänzlich meiden, wohl aber oft abkürzen können.

Zu den Bildgedanken, denn diese Bilder sind Gedanken, nun die zugehörigen Sätze, denn auch MAGRITTE war nicht imstande, Wortsprache und Bild gänzlich voneinander zu trennen. Er hat sich immer wieder und sehr dezidiert gegen jeden Versuch gewandt, ihn interpretieren zu wollen. Natürlich hat er damit, das ist bei schriftlichen Äußerungen über Bilder unvermeidlich, sich selbst interpretiert, eben indem er nachzuweisen versuchte, warum die Bilder nicht interpretierbar seien, natürlich nicht nur seine eigenen, sondern Bilder überhaupt. Interpretationen sichern uns zwar die Orientierung in den Konventionen, aber eben das ist nach MAGRITTE Täuschung, weil die Beziehungen von Sprache, Bild und Realität Fiktion sind. Es versteht sich, daß in seinem Ansatz der Begriff Wahrheit nicht enthalten ist. In einer Welt, die sich als universaler Zufall erweist, gibt es auch keine Wahrheit, weder als  adaequatio intellectus ad rem,  noch als  adaequatio rei et intellectus,  denn eben die adaequatio ist nach MAGRITTE eine Fiktion.  Nichts kann einem anderen wirklich adaequat sein oder werden. 

Dazu MAGRITTE: Wir schreiben meist solchen Dingen Ähnlichkeit zu, die möglicherweise eine gemeinsame Beschaffenheit haben. Wir sagen ähnlich wie ein Ei dem anderen, und wir sagen genauso leicht, daß eine Fälschung dem Original ähnelt.

Diese sogenannte Ähnlichkeit besteht aus Vergleichsbezügen, deren Ähnlichkeiten wahrgenommen werden, wenn der Geist sie untersucht, bewertet und vergleicht ... Ähnlichkeit hat nichts mit Bejahung oder Verneinung der Vernunft zu tun, sondern nur mit dem spontanen Zusammensetzen von Gestalten aus der Welt der Erscheinungen in einer durch Inspiration vorgegebenen Ordnung."

Zu den Annäherungen und zu den Fiktionen, auf denen sie beruhen, eine Reihe von Sätzen MAGRITTEs, die knapp und dezidiert sein Programm zusammenfassen:
  • Ein Objekt ist von seinem Namen nicht so besessen, daß man nicht einen anderen, der besser dazu paßt, finden könnte.
  • Es gibt Objekte, die auch ohne Namen auskommen.
  • Ein Wort dient manchmal nur dazu, sich selbst zu bezeichnen.
  • Ein Wort kann den Platz eines Gegenstandes in der Realität einnehmen.
  • Ein Bild kann den Platz eines Wortes in einer Behauptung einnehmen.
  • Alles das läßt einen denken, daß es wenig Beziehung zwischen einem Objekt und dem, was es darstellt, gibt.
  • Die Wörter, die dazu dienen, zwei verschiedene Objekte zu bezeichnen, zeigen nicht, was diese Objekte vielleicht voneinander unterscheidet.
  • Jede beliebige Gestalt kann das Bild eines Objektes ersetzen.
  • Ein Objekt erfüllt niemals dieselbe Funktion wie sein Name oder sein Bild."
Dazu SUZI GABLIK:
    "Diese Abhandlung MAGRITTEs enthüllt das Wesen seiner Besessenheit von den Wort- und Bildmalereien. Sie ist aber zugleich eine brilliante Analyse der Unbestimmtheit und Mehrdeutigkeit der Sprache. (Diese Unbestimmtheit veranlaßt uns, Wörter zu sehen, deren Sinn wechselt wie Gestalten im Nebel). Sie ähnelt sehr WITTGENSTEINs Auffassung von der Sprache als einer Sammlung von Sprachspielen anstelle eines Bildes der Tatsachen, wobei er voraussetzt, daß es weniger bedeutet, in einer Sprache die Namen zu kennen, als zu lernen, wie man sie spricht, ebenso wie das Lernen der Namen von Spielkarten oder der Teile des Schachspiels noch nicht bedeutet, daß man Bridge oder Schach spielen kann. Ebenso hat ein Name ohne Kriterium für seine richtige Verwendung (d.h., wenn keine Regel dafür existiert) keine Bedeutung, es sei denn in einem Zusammenhang.

    Der Sinn eines Satzes hängt davon ab, wie er gebraucht wird, und nicht so sehr davon, worauf er sich bezieht. So ist z.B. ein Satz ohne Anwendung, wie  rot ist fleißig,  sinnlos. Wörter haben eine bestimmte Verwendung, und diese Verwendung ist weitgehend durch die Regeln der Sprache und die ganz bestimmten Bezüge der Wörter bestimmt. So ist etwa Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung mit der Realität etwas völlig Unterschiedliches in verschiedenen Sprachen. Nach WITTGENSTEINs Auffassung ist es irreführend, davon zu sprechen, daß Wörter für Dinge stehen oder Bedeutungen haben, da alles nicht von den Wörtern selbst abhängt, sondern von der Art, wie wir sie verwenden.
Es gehört zur Sache, daß die Worte bei MAGRITTE unabhängige Systeme bilden, und man nicht so ohne weiteres seine Sätze auch auf seine Bilder beziehen darf, schließlich hat er selbst auf der grundsätzlichen Unterschiedenheit bestanden; und so könnte man seine Formulierungen, seine Sätze auch für sich allein nehmen und sie auf Bilder überhaupt beziehen, als kunsttheoretische Maximen eines Mannes, der nie Bilder gemalt hat. Indessen meint er selbst, er sei Philosoph, und das Mittel, seine Gedanken zu äußern, sei die Malerei. Man muß ihn wohl eher beim Bild nehmen als beim Wort, denn aus seinen Sätzen folgt ja, daß es wahre Sätze über Bilder nicht gibt, also keine Ähnlichkeit, keine Annäherung, keine adaequatio, keine Wahrheit der Aussage über eine Sache.

Worte, Begriffe, Sätze und Bilder bewegen sich in ihrer jeweils eigenen nicht übertragbaren Syntax, und die Welt, die sie meinen, folgt unabhängig ihrer Spielregel, die anders ist als die der Sätze und Bilder, keineswegs unvorstellbar, sonst wären auch Sätze und Bilder nicht möglich, aber nicht adäquat in Sätzen und Bildern formulierbar. Autonomie der einzelnen Zonen menschlichen Vorstellungsvermögen erlaubt zwar jegliche Art von subjektiver Erfahrung, auch die Erfahrung spezifischer Differenzen in der Formulierung von Erfahrungen, sie schließt aber den Begriff Wahrheit' aus allen Überlegungen aus. Unter der Voraussetzung MAGRITTEs ist sie ein nicht formulierbares Problem.

Selbstverständlich ist nach MAGRITTE auch Kunstgeschichte, gar Kunstphilosophie nicht möglich, von abgeleiteten Disziplinen, wie Kunstpädagogik, Kunstdidaktik gar nicht zu reden. Denn immer wird ja in einer nichtadäquaten Weise über Bilder geredet und geschrieben, obgleich doch kein Wort ein Bild tatsächlich trifft.

MAGRITTE müßte der Kunstwissenschaft als Schreckensmann erscheinen, leugnet er doch die Möglichkeit ihrer Existenz. Aber da er sich selbst nicht wesentlich anders verhalten hat als ein Kunsthistoriker, fallen seine Worte nicht sonderlich auf. Er formuliert nur das Grundproblem der Kunstgeschichte, das seit ihrer Entstehung eine beständige und nicht aufzuhebende Voraussetzung war, eben die Frage nach dem Verhältnis von Sprache und Bild, genauer als das andere taten, auch in einer widerborstigen Manier und gegen die das Problem überspielenden Zugeständnisse an allgemeine Vereinbarungen. MAGRITTE hat die Schwierigkeiten der Kunstgeschichte zum Programm gemacht. Übrigens war er selbst, wie alle anderen Surrealisten, auf die Materialien erpicht, die die Kunstwissenschaften den Künstlern bereitstellten. Mehr als andere hat er dabei gleichzeitig auf Distanz bestanden. So etwa in seiner Bemerkung über HIERONYMUS BOSCH:
"Die Parallele zwischen HIERONYMUS BOSCH und dem Surrealismus scheint mir eine Auffassung zu sein, gegen die man sich wehren muß, weil sie zu einfach und gleichzeitig auch falsch ist. BOSCH malte die Vorstellungen, die seine Zeitgenossen von Ungeheuern hatten - Ideen, die auch ohne seine Bilder hätten verbreitet werden können, insbesondere durch die mittelalterlichen Mysterien. BOSCH war ein religiöser Realist, so wie es heute soziale Realisten gibt, die jene Ideen und Gefühle ausdrücken, die gerade  up to date  sind oder der Tradition entsprechen, wie etwa Gerechtigkeit, Atomenergie, Industrie usw. ... Ich male keine Ideen. Ich beschreibe, soweit ich kann, durch meine gemalten Bildnisse Gegenstände und das Zusammentreffen von Gegenständen, mit dem Ziel, daß ihnen eben keine unserer Ideen und keines unserer Gefühle anhaftet. Es ist sehr wichtig, daß man diese Gegenstände oder diese Verbindungen und das Zusammentreffen dieser Gegenstände nicht mit irgendwelchem Ausdruck oder Illustration oder mit Komposition verwechselt oder vergleicht. Das würde nämlich jedes Mysterium vertreiben, während die Beschreibung, die ich male, dem Geist keinen Aufschluß darüber gibt, was eigentlich diese Objekte veranlaßt zu erscheinen, was sie verbindet oder ihre Übereinstimmung verursacht."
Er gesteht freilich den Bildern BOSCHs etwas zu, das er seinen eigenen Bildern verweigert. Seine Sätze, die vorhin zitierten, gelten aber für Bilder allgemein. Könnte es nicht doch sein, daß auch für ihn gilt, was er BOSCH zugesteht? Man sieht, es ist möglich, konsequent zu sein. Ist man es aber wirklich, dann verwickelt man sich rasch in Widersprüche. Um verständlich zu sein, bedient sich MAGRITTE der Sprache. Seine Sätze sind Aussagen über Bilder. Ihr Inhalt ist, daß Aussagen über Bilder nicht möglich sind. Dennoch aber sind sie Aussagen über Bilder.

MAGRITTE nahm für sich in Anspruch, was anderen in anderen Revieren als selbstverständlich zugestanden wird. Es ist selbstverständlich, daß sich ein Sprachphilosoph, oder ein Linguist, oder ein Literarhistoriker im Medium des von ihm zu untersuchenden Gegenstandes bewegt, nämlich in der Sprache. MAGRITTE  war in Analogie zum Sprachphilosophen ein Bildphilosoph. Er machte das gleiche wie die anderen: Er äußerte sich im Medium des von ihm zu untersuchenden Gegenstandes, und dies sogar mit dem - übrigens berechtigten - Anspruch, daß Bilder über Bilder so gut sind wie Sätze über Bilder, jedenfalls aber nicht schlechter.

Hier nun einige Exempla zum Thema Bilder und Texte, Bilder als Texte. Sie zeigen drei verschiedene Möglichkeiten der Annäherung oder genauer, sie zeigen, was geschehen kann, wenn Bilder und Texte aneinandergeraten. Bekanntlich gibt es andere Möglichkeiten, und wahrscheinlich sind alle Varianten schon durchgespielt worden.

Ich habe diese drei ausgewählt, weil sie die eingangs genannte These beweisen, daß das Verhältnis von Bild und Text, oder Bild und Sprache in Westeuropa nie ein harmonisches oder selbstverständliches gewesen ist, sondern ein Konkurrenzverhältnis mit mannigfaltigen Konfliktmöglichkeiten, wobei in der Regel die Sprache in Worten und Texten höher bewertet wurde als die Bilder. Dies aber war zugleich eine Herausforderung an die bildhaften, anschaulichen Denkformen, und es gab Antworten und Gegenzüge.

Im ersten Fall handelt es sich um ein theologisches Problem, im zweiten um ein humanistisches - BREUGHEL - und im dritten Falle, bei MAGRITTE, um eine der möglichen gegenwärtig aktuellen Formulierungen, ich zögere zu sagen, es sei die surrealistische Antwort auf das Problem, weil es eine allgemeine surrealistische Doktrin für die Malerei nicht gibt.

In allen diesen Fällen sind Gedanken Gegenstand von Bildern. Das Verhältnis von Text und Bild selbst ist Gegenstand. Texte sind nicht einfach Anweisungen, sondern illustrieren bildnerisches Denken und anschauliche Formulierung. Auch sind die Bilder selbst Texte, treten in Konkurrenz zur Wortsprache, behaupten sich, zeigen etwas, das in der Sprache enthalten, aber in ihr nicht formulierbar ist. Es wird in Bildern gedacht, anschaulich kombiniert.

Die Medien sind gleichberechtigt und gleichwertig, die eingangs zitierten Behauptungen, nur in der Sprache sei Denken möglich, sind unsinnig, es ist richtiger zu sagen, jede Formulierung von Gedanken bedarf bestimmter Zeichensysteme, seien sie optisch oder akustisch, und sie müssen, da eines allein nicht genügt, aufeinander verweisen, einander korrespondieren und sich gegenseitig relativieren. MAGRITTE hat auf der Unvergleichlichkeit von Bild, Sprache und Realität bestanden, und mit Bildern als Argumenten das Problem sowohl der Rangordnung wie der Übersetzung ad absurdum geführt und es listig dort sich selbst überlassen. Tatsächlich ist er konsequent gewesen und zwar wohl im Bewußtsein der Tatsache, daß konsequentes zu Ende Denken' in unauflösbaren Paradoxien, also in einer absurden Situation mündet.

Auswege aber bieten sich an, einen von ihnen konnte er selbst nicht vermeiden. Nämlich: Er hat seine Ziele schriftlich fixiert, einen Kommentar, einen Text verfaßt, damit eine Übersetzungsanweisung geliefert und so doch die von ihm geleugneten Zusammenhänge von Bild und Text wiederhergestellt, denn: Ein unverständliches Paradoxon, ein als solches nicht Verstandenes, ist keines mehr, es muß also der Betrachter eine Anweisung erhalten, die das Paradox definiert und damit zugleich wieder aufhebt. Auch MAGRITTE konnte nicht auf die Bestätigung der engen Zusammenhänge von Bildern und Texten verzichten, gewiß hat er aber mit einer Deutlichkeit, die singulär ist, darauf hingewiesen, daß von Prioritäten, Ansprüchen auf alleinige Geltung für die Formulierung von Gedanken nicht die Rede sein kann und darf. Sein Postulat der Autonomie sprachlichen und bildnerischen Denkens schließt die üblichen Rangordnungen aus. Denn beide sind notwendig, beide beziehen sich auf eine Realität, die sie dennoch weder abbilden noch darstellen, sondern die sie erfinden.

In der Regel ist das Verhältnis von Text und Bild, Wortsprache und Bildsprache, so eng, daß zugleich die nicht überbrückbare Unterschiedenheit sichtbar wird. Sie zeigt sich dann am deutlichsten, wenn sich Bild und Text auf den gleichen Sachverhalt beziehen. Wenn die Wörter nicht ausreichen oder zu allgemein sind, hat das Bild einen nicht einholbaren Vorsprung an Präzision im Konkreten, umgekehrt kann es die Universalität des Begriffs nie erreichen, es sei denn durch die Ausbildung eines Zeichensystems, das nicht mehr in erster Linie ein anschauliches ist, sondern ein Ersatz von Wortkombinationen durch Zeichenkombinationen, die solange in Worte rückübersetzbar sind, als die Konvention allgemein verständlich ist. Die Emblematiken, die Symbolik liefern mannigfaltige Beispiele. Voraussetzung ist, daß die Zeichen, aus denen ein derartiges, der Sprache analoges System zusammengesetzt ist, eindeutig sind. Sie können es nur sein, solange die Übereinkunft gilt und verstanden wird.

In der Regel aber wird diese Kongruenz von Wort und Bild entweder angestrebt und nicht erreicht, oder aber mit einem Verlust an anschaulicher Prägnanz erkauft, auf den es bei Bildgedanken ankommt. Gerade die präzise Mehrdeutigkeit bei unmittelbar einleuchtender Schlüssigkeit der Form, die anschauliche Evidenz verbunden mit der Unmöglichkeit einer einfachen Übersetzung in eine andere Formulierung, in ein anderes Medium, macht den Gedanken aus, ergibt die in Bildern enthaltene Welterfahrung und ihren Rang unter den Möglichkeiten der Weltinterpretation und der Erkenntnis. Die Unterscheidung zur Wortsprache ist sicher notwendig, aber sie kann sich nicht auf die eingangs zitierten Sentenzen oder auf die bekannte Unterscheidung von Anschauung und Begriff beschränken.
LITERATUR - Jörg Zimmermann (hrsg), Sprache und Welterfahrung, München 1978