p-4p-4G. SimmelF. StaudingerM. D. VernonJ. Rehmke    
 
HERMANN SCHWARZ
[mit NS-Vergangenheit]
Die Umwälzung der
Wahrnehmungshypothesen

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"Die vermittelnden Spezies wurden durch die Zauberformel: - Nicht die Spezies selbst werden erkannt, sondern  durch sie  -, fein präpariert und begrifflich destilliert, um das zu leisten, was die  eidola  nicht leisten konnten, das Objekt erkennbar zu machen, nicht sich. Sie erfüllten, jene verfehlten den Zweck, für den sie erfunden wurden."

"Die  species expressae, idola, phantasmata  des Thomas von Aquin passen bei genauerem Zusehen gar nicht in das scholastische Grundprinzip hinein, die Erkenntnis der äußeren Objekte als eine möglichst unmittelbare gelten zu lassen. Im Gegenteil, sie erweisen sich als ein sehr gefährliches Danaergeschenk. In ihrer Aufstellung liegt einerseits ein Zugeständnis, wo es nicht nötig ist, andererseits verbirgt sich darunter ein Problem, mit dem nicht bloß die scholastischen Wahrnehmungstheoretiker noch genug zu tun haben sollten."

"Wenn heutzutage viele, nach dem Voranschreiten  Kants  und  Fichtes  die Wahrnehmung als einen Phantasievorgang auffassen, der den Gegenstand aus sich erzeugt und schafft, ihn aufbaut und setzt, so steht hier jedenfalls  Thomas ' Lehre vom Phantasma in nächster Nähe."

"Mit logischer Konsequenz hat sich nach 600 Jahren die Lehre dahin zugespitzt, daß das von unserer Phantasie uns vorkonstruierte Objekt als etwas Psychisches, mit der Uniform des Bewußtseins Versehenes, eine undurchdringliche Wand bildet, die uns an der Erkenntnis des Transzendenten  hindert,  und dahin, daß sich in  jedem  Fall, auch im Fall der Wahrnehmung ein solches Derivat unseres eigenen Bewußtseins zwischen Ich und Ding ansich einschiebt. Der Erkenntnisvorgang, nach der Tradition der Scholastik und man kann sagen, auch nach der Meinung des gesunden Menschenverstandes ein Mittel, um das Nichtich zu erkennen, wird so zum sichersten Mittel, es  nicht  zu erkennen."

"Die der Erkenntnis stets, in jedem Fall, auch im Fall der Wahrnehmung vorschwebenden Bilder sind niemals Bewußtseinserzeugnisse, sie sind nie  im  Bewußtsein, sondern höchstens  für  das Bewußtsein da, sie existieren nicht materiell, sondern  intentional." 


D. Nochmal der Erkenntnisvorgang
und sein Objekt

1. Bis jetzt schien die scholastische Wahrnehmungslehre in gerader Linie auf ihr Ziel zu steuern, zur Erklärung des Erkenntnisvorgangs eine Nahwirkungstheorie, eine Vermittlungstheorie zu schaffen, die doch plausibel macht, daß wir den  fernen,  äußeren Gegenstand zu erkennen vermögen. Es ist wahr, die  species impressae  des SUAREZ sind keine sehr klaren Gebilde. Man weiß nicht, wie es es anfangen, vom Objekt zum Sinnesorgang zu gelangen, sie sind wandernde Eigenschaften, die sich plötzlich, nachdem sie eben im Objekt gewesen sind, erst im Medium, dann in der erkennenden Potenz vorfinden. - Allein im Licht der heutigen Mechanik betrachtet, sind die von den äußeren Dingen in einem fortwährenden Strom sich loslösenden substanziellen  eidola  [Ideen - wp] des DEMOKRIT nicht minder unmöglich. Mit ihnen verglichen boten die intermediären Spezies den nicht zu unterschätzenden, höchst wesentlichen Vorteil, bessere, uneigennützigere Boten zu sein als jene. Die Atomkomplexe des griechischen Philosophen schoben sich breit und grob zwischen Subjekt und Objekt ein. Sie, die nahen, waren es, die erkannt wurden, nicht der ferne Gegenstand. Die intermediären Spezies wurden durch die Zauberformel "cognoscimus non speciem, sed per speciem" fein präpariert und begrifflich destilliert, um das zu leisten, was die  eidola  nicht leisten konnten, das Objekt erkennbar zu machen, nicht sich. Sie erfüllten, jene verfehlten den Zweck, für den sie erfunden wurden.

Nun hat freilich THOMAS von AQUIN von der ganzen Theorie der intermediären Spezies nichts wissen wollen. Aber gerade seiner Lehre begegnet das Unglück, daß SUAREZ sie zum Gegenstand einer höchst wirkungsvollen Polemik machen konnte. Seine  species expressae, idola, phantasmata  passen bei genauerem Zusehen gar nicht in das scholastische Grundprinzip hinein, die Erkenntnis der äußeren Objekte als eine möglichst unmittelbare gelten zu lassen. Im Gegenteil, sie erweisen sich als ein sehr gefährliches Danaergeschenk. In ihrer Aufstellung liegt einerseits ein Zugeständnis, wo es nicht nötig ist, andererseits verbirgt sich darunter ein Problem, mit dem nicht bloß die scholastischen Wahrnehmungstheoretiker noch genug zu tun haben sollten.

Beides erhellt sich nach einer genaueren Untersuchung der thomistischen Lehre von den Phantasmen, den  formae formatae  [gebildete Form - wp] als die sie geschildert werden.

2. Was zunächst den Stoff betrifft, der der Bildung der Phantasmen zugrundeliegt, so sollen es die  species receptae a sensibus in imaginatione  [Spezies von den Sinnen in Phantasie empfangen - wp] sein. Indem nämlich das äußere Objekt auf die wahrnehmende Potenz wirkt, vermag es gleichzeitig die Phantasie zu mutieren. Diese verliert aber nicht, wie die erstere, den empfangenden Eindruck, sondern bleibt, nachdem sie aktuell erkennend gewesen ist, habituell erkennend, wobei jener zurückgelassene Habitus der Seele an ein körperliches Organ gebunden zu denken ist (19). So kommt es zu den sogenannten im Gedächtnis aufgespeicherten Spezies. diesen Stoff verwendet, wie wir weiter hören, die  imaginatio,  um daraus die Phantasmen aufzubauen,  sibi formare illas formas  [die Formen bildend - wp]. Als innerer Grund für jene noch näher zu schildernde konstruktive Tätigkeit der Phantasie wird das Fehlen des äußeren Objekts angegeben. Bei der sinnlichen Wahrnehmung war von so einer konstruktiven Tätigkeit keine Rede; dort genügte das, was THOMAS die  species impressa  nannte, nämlich die vom Objekt aufgeprägte Bewußtseinsbeschaffenheit (bzw. deren immanente Form) vollständig, um die unmittelbare Erkenntnis des gegenwärtig wirkenden äußeren Objekts herbeizuführen. Daß außer den  species sensibiles impressae,  den immanenten Formen der Bewußtseinsvorgänge,  durch  die erkannt wird, noch die Bildung besonderer Formen erfolgt, die neben dem Objekt und neben dem Erkenntnisvorgang als ein drittes auftreten, war undenkbar, war völlig ausgeschlossen.

Was bei der wahrnehmenden Erkenntnis nicht der Fall ist, soll in der gedächtnismäßigen, bzw. einbildenden Erkenntnis der Fall sein. Hier, lehrt THOMAS, ist das wirkliche äußere Objekt nicht mehr vorhanden, statt seiner muß ein Stellvertreter desselben von uns  geistig  erzeugt werden, und das ist das  phantasmata  oder  idolum.  Die Seele  spaltet dabei sozusagen etwas von ihrer Substanz ab,  gibt einen Teil her, der einer besonderen Informierung seitens der vom Gedächtnis aufbewahrten  species sensibiles  unterliegt, und zwar so, daß er nicht  erkennend  wird, wie die ganze imaginative Potenz, sondern vielmehr für diese als ein geistiges Abbild der äußeren Gegenstände das Erkenntnismittel  in quo  [durch - wp] abgibt, ja bis zu einem gewissen Grad sogar selbst zum Erkenntnisobjekt wird.

Man beachte:  selbst zum Erkenntnisobjekt  wird. Die von THOMAS auch auf die Phantasmen ausgedehnte Versicherung, daß wir erkennen  per speciem, non ipsam speciem  (dieselbe, die uns im vorigen Abschnitt dazu berechtigte, unter den charakteristischen Ausprägungen für die haptische Grundtendenz der scholastischen Wahrnehmungslehre auch seines diesbezüglichen Versuchs zu gedenken), sie stößt hier in ihrer Durchführung auf die größten Schwierigkeiten. Das  medium quo  verwandelt sich THOMAS unter der Hand nicht nur in ein  medium in quo,  nein, nicht einmal als  medium in quo  kann er das Phantasma, seine  species expressa,  aufrecht erhalten. Er sieht sich gezwungen, es  selbst  als Erkenntnisobjekt gelten zu lassen, nicht nur als ein solches der sinnlichen Phantasie, sondern auch des Intellekts: Einmal in der Bemerkung, daß wenigstens das in der schaffenden Phantasie des Künstlers entstandene Vorbild seines Werkes, ein Phantasma, wie die übrigen auch, von derselben Entstehungsweise wie diese, nur durch die schöpferische Person des Denkenden von ihnen unterschieden, mehr die Natur eines Erkenntnisobjekts als eines bloßen Erkenntnismittels trägt. Sodann in der unumwundenen Erklärung, daß nicht die Sinne, sondern der Intellekt zwischen bloßen Phantasiebildern und wirklichen Objekten zu unterscheiden vermag, was ohne eine direkte Erkenntnis der ersteren seitens des Intellekts doch wohl nicht abgehen kann.

THOMAS' Lehre vom Phantasma läßt sich danach wie folgt zusammenfassen:
    1)Das Phantasma wird durch die Seele aus ihrem eigenen Stoff erzeugt; 

    2) es bietet sich dem Intellekt öfters selbst als Erkenntnisobjekt an. 
3. Beide Thesen zusammengenommen bedeuten eine völlige Peripetie [Umschlag - wp] des scholastischen Denkens. Man glaubt keinen Scholastiker, man glaubt einen modernen Objektivationstheoretiker vor sich zu haben, der so spricht. Wenn heutzutage viele, nach dem Voranschreiten KANTs und FICHTEs die Wahrnehmung als einen Phantasievorgang auffassen, der den Gegenstand aus sich erzeugt und schafft, ihn aufbaut und setzt (20), so steht hier jedenfalls THOMAS' Lehre vom Phantasma in nächster Nähe.

Was den älteren Philosophen von den Neueren trennt, ist relativ unbedeutend. Es ist einmal das naive Vertrauen, mit dem er an dem Glauben festhält, daß das von der Seele sich selbst vorgespiegelte, aus ihrem eigenen Stoff erbaute Objekt eine  Abspiegelung  der abwesenden äußeren Objekte ist, daß der Intellekt nichts weiter braucht, als diese Bilder zu studieren, um über die bewußtseinsfremde Wirklichkeit Aufschluß zu erhalten. Es ist zweitens die Annahme, daß  nur  in der gedächtnismäßigen Erkenntnis solche Idole auftreten. - Heutzutage teilt man dieses Vertrauen nicht. Mit logischer Konsequenz hat sich nach 600 Jahren die Lehre dahin zugespitzt, daß das von unserer Phantasie uns vorkonstruierte Objekt als etwas Psychisches, mit der Uniform des Bewußtseins Versehenes, eine undurchdringliche Wand bildet, die uns an der Erkenntnis des Transzendenten  hindert,  und dahin, daß sich in  jedem  Fall, auch im Fall der Wahrnehmung ein solches Derivat unseres eigenen Bewußtseins zwischen Ich und Ding ansich einschiebt. Der Erkenntnisvorgang, nach der Tradition der Scholastik und man kann sagen, auch nach der Meinung des gesunden Menschenverstandes ein Mittel, um das Nichtich zu erkennen, wird so zum sichersten Mittel, es  nicht  zu erkennen.

4. Es scheint, als habe SUAREZ die Gefahr erkannt, die der Lehre vom unmittelbaren Erkennen aus der Position des THOMAS drohte. Mit Nachdruck und Glück weist er die genannte fehlerhafte Anschauung zurück: Jene Theorie "einiger Thomisten", wonach im Gedächtnis oder der Phantasie mangels der gegenwärtigen Anwesenheit eines äußeren Gegenstandes das Objekt der Erkenntnis allererst erzeugt wird, sei ganz unpsychologisch. Das eigentümliche Wesen der Erkenntnis geht, wie im Gegensatz zu diesen Theorie die unbefangene Analyse lehrt, darin auf, daß sie sich auf etwas von ihr selbst Verschiedenes richtet; sie setzt das Objekt, bzw. dessen Stellvertreter voraus, erzeugt es aber nicht. Wenn aber jemand, fährt SUAREZ fort, in der Erkenntnis einen  doppelten  Vorgang unterscheiden will, einen der das (fälschlich) als Stellvertreter des Objekts aufgefaßte Phantasma erzeugt und einen anderen, der es erkennt, so ist zu entgegnen, daß dann eben der erstere Akt gar keine Erkenntnis ist. Das, was er leisten soll, wird bereits  in verständlicher Weise  durch die Spezies  impressa interior  geleistet, die sich der erkennenden Potenz zwar nicht als ein Bild des Gegenstandes einverleibt, aber sie zur aktuellen Erkenntnis desselben befähigt (informiert).

SUAREZ nimmt hier auf die sogenannte  species impressa interior  Bezug. Dieselbe ist, wie leicht zu erraten, das für das Gedächtnis angenommene Analogon der bei der Wahrnehmung wirkenden  species impressa exterior.  Sie entsteht mit der letzteren gleichzeitig, wegen der wunderbaren Konsonanz aller Seelenkräfte, vermöge aber, verschieden von jener, in Unabhängigkeit vom Objekt fortzuexistieren, um beliebig oft beim Vorhandensein der nötigen subjektiven Bedingungen die gedächtnismäßige Potenz in einen Akt überzuführen. Der Erfolg soll sein, daß dann, ebenso wie in der Sinneswahrnehmung die  species impressa exterior  die Seele zur aktuellen Erkenntnis des äußeren Objekts befähigt, in genau derselben Weise, wie die  species impressa interior  das Gedächtnis zur Erkenntnis eben des nämlichen Gegenstandes wachruft.

Anhand der so formulierten Lehre beleuchtet SUAREZ sogleich die alte Streitfrage vom Künstler, der eine Statue verfertigen will. Nach der Lehre der Thomisten soll hierbei nicht die Erkenntnis selbst  (species expressa  im Sinne von SUAREZ) eine nur modale Ähnlichkeit mit dem Objekt annehmen, sondern ein vor ihr  reales Distinktum  erzeugen, ein Gedankenbild  (species expressa  im Sinne des THOMAS), auf das sie sich hinterher erkennend richtet. Diese Interpretation sei verkehrt.  So eine gedankliche Erzeugung eines Stellvertreters für äußere Objekte findet niemals statt.  Vielmehr löst sich alle scheinbare Schwierigkeit durch die Erwägung, daß der Erkenntnisvorgang stets schon seinem Begriff nach auf etwas von ihm Verschiedenes und Unabhängiges gerichtet ist, daher, die Informierung der Potenz durch die Spezies (exterior oder interior) vorausgesetzt, kein Grund vorliegt, warum nicht ebensogut ein abwesender, wie ein anwesender Gegenstand erkannt zu werden vermag. Mit dieser Erkenntnis abwesender Dinge ist es nicht anders, als mit dem Vermögen, abwesende oder nicht mehr vorhandene Dinge zu lieben, eine Fertigkeit, über die niemand Befremden empfindet. 5. Man muß zugeben, daß SUAREZ in seiner Polemik gegen THOMAS hier das Richtige getroffen hat. Der Grundfehler der Objektivierungstheorie, daß sie durch die Setzung eines von der Phantasie geistig aufgebauten Objekts dem eigentlichen Mysterium des Erkenntnisvorgangs um keinen Schritt näher kommt, daß sie diesem die Fähigkeit, sich auf etwas von ihm selbst Verschiedenes zu richten, noch außerdem zuerkennen muß, mit anderen Worten, der Fehler, daß sie zur Beschreibung des Erkenntnisvorgangs ein doppeltes braucht, den Erkenntnisvorgang und einen Vorgang, der nicht Erkenntnis ist (21), ist von einem Scholastiker des 16. (bzw. 17.) Jahrhunderts kurz und klar entwickelt. - Eine der drei Mauern, mit denen unsere Erkenntnis umgeben scheint, bzw. umgeben erscheinen kann, ist dadurch niedergerissen.

Die erste Mauer ist diejenige, die aus den der Erkenntnis  vorangehenden  Prozessen aufgeführt wird: Zwischen das ferne, äußere Objekt und den Erkenntnisvorgang schieben sich die vermittelnden Vorgänge im Medium und im Sinnesorgan ein. Alle diese Vorgänge sind dem erkennenden Subjekt näher als das Objekt, sie schieben sich wie eine Wand zwischen dieses und jenes ein, so daß man gar nicht daraus klug wird, wie das Subjekt es anfangen soll, nicht die vom Objekt zu ihm geschickten Boten, sondern das Objekt selbst wahrzunehmen, bzw. wie es anfangen soll, zu wissen, daß diese Boten nicht aus eigener Machtvollkommenheit da sind, sondern die Gegenwart eines hinter ihnen stehenden Objekts verkünden. In der Lehre von der ausschließlich repräsentativen Bedeutung der  species intermediariae  hat die Scholastik diese Mauer wegzudemonstrieren versucht. - Die zweite Mauer, mit der man die Unmittelbarkeit der Erkenntnis verbaut hat, haben ihre Baumeister, die Objektivationstheoretiker aus dem  Bewußtsein selbst  gezogen. Es soll aus sich heraus das Objekt der Erkenntnis erzeugen, seine eigensten Kategorien und Formen zur Konstruktion des letzteren verwenden, so daß uns vor lauter Darbietung von Immanentem der Blick auf Transzendentes versperrt wird. Was diese Mauer betriff, so wurde eben hervorgehoben, daß eine derartige Metaphysik der Erkenntnis die Psychologie der letzteren nicht unentbehrlich macht, und daß andererseits, wer die Psychologie der Erkenntnis richtig erfaßt hat, jene Metaphysik nicht braucht. - Fällt, wie sie es verdient, diese zweite Mauer, der Aufbau eines immanenten Objekts aus Bewußtseinsbeschaffenheiten, so ist aber der Weg der unmittelbaren Erkenntnis des Transzendenten noch immer nicht frei. Eine dritte Mauer hat lange die Köpfe der Erkenntnistheoretiker bewohnt, und ihr Material wurde nicht aus den der Erkenntnis vorangehenden Vorgängen der Körperwelt genommen, nicht aus der geistigen Sphäre des Bewußtseins, sondern aus den luftigen Regionen einer weder körperlichen, noch bewußtseinsartigen Zwischenwelt.

6. Ich habe soeben vorgegriffen. Zur Zeit steht die Untersuchung bei der trefflichen Erwiderung, die SUAREZ auf die Theorie der "nunnulli Thomistae" gefunden hat. In seiner eigenen, abweichenden Lehre sind aber noch einige der Erörterung bedürftige Punkte.

Das Gedächtnis und die Wahrnehmung sollen sich beide auf denselben Gegenstand richten. Das, was Objekt der Erkenntnis in dem einen Fall ist, soll Objekt der Erkenntnis auch in einem anderen Fall sein, dieses Objekt aber im einen Fall gegenwärtig existieren, im anderen Fall nicht mehr vorhanden, ja vielleicht längst zuerstört sein. Hier liegt eine Schwierigkeit. GABRIEL BIEL schreibt einmal:
    "Durch die äußere Gesichtswahrnehmung des SOKRATES erkenne ich mit Evidenz, daß SOKRATES ist. Wenn nun Gott durch seine Allmacht bewirken sollte, daß mein Vorgang des Sehens andauert, während SOKRATES unterdessen vernichtet wird, so könnte der Vorgang meines Sehens nur so fortexistieren, daß derselbe mir jetzt anzeigt, SOKRATES sei nicht mehr." (Super quattuor libros Sententiarum, Quaestio I, Prologi, Artikel 2, Nota 2)
Man ist versucht, diesen Gedanken auf die Theorie des SUAREZ anzuwenden. Die gedächtnismäßige Erkenntnis erscheint nach seinen Bemerkungen als eine Fortsetzung der wahrnehmenden Erkenntnis, und da sollte man erwarten, daß, wenn sich die erstere wirklich auf den nämlichen, numerisch-identischen Gegenstand richtet, auf den sich die letztere gerichtet hatte,  sie diesen Gegenstand mit allen Veränderungen zeigen müßte, die unterdessen an demselben vorgegangen sind.  Insbesondere wäre also zu erwarten, daß, wenn der Gegenstand unterdessen vernichtet worden ist, die gedächtnismäßige Erkenntnis uns den Gegenstand vernichtet zeigen müßte. Gegen dieses Argument ist unser Scholastiker zunächst nicht ohne Waffen. Da die  species impressa interior  dem Subjekt in demselben Augenblick übermittelt wird, in dem die  species impressa exterior  der wahrnehmenden Potenz sich einverleibt, nach Entfernung des äußeren Objekts aber einer Veränderung nicht unterliegt, so kann das durch jene innere Spezies informierte Gedächtnis den äußeren Gegenstand natürlich nur so zeigen, wie er im Augenblick der Wahrnehmung war, nicht wie er jetzt ist. - Allein mit dieser Auskunft geraten wir aus der Scyll in die Charybdis. Nun hat, wie es scheint, die  species impressa  auf einmal doch einen  hindernden Einfluß auf die Erkenntnis des Gegenstandes.  Sie bringt allerdings nicht sich selbst zur Anschauung, sondern etwas von ihr Verschiedenes. Aber die repräsentative Fähigkeit, durch die sie den als Ausgangspunkt ihr zugehörigen äußeren Gegenstand zur Darstellung bringt, ist an Grenzen gebunden, ist beschränkt.

Sie ist beschränkt der  Zeit  nach. Der äußere Gegenstand, dem ihre repräsentative Fähigkeit heute vollkommen nachkam, kann sich morgen schon geändert haben, ohne daß die  species interior  etwas dieser Änderung entsprechendes mitmacht. Wenn sie nun, auf das Gedächtnis wirkend, dieses zur aktuellen Erkenntnis bringt, dann kann man doch nicht mehr sagen, daß der Gegenstand, auf den sich dasselbe, durch die Spezies gezwungen, richtet, noch etwas Wirkliches ist. Der wirkliche Gegenstand, von dem die species ausging, besitzt ja die Eigenschaft gar nicht mehr, in der die  species interior  ihr Objekt zeigt. Ein Bild des äußeren Gegenstandes, nicht dieser selbst, scheint der Erkenntnis jetzt vorzuschweben, kein Bild, das, wie das  idolum  des THOMAS, vom Bewußtsein erst erzeugt wird, aber doch ein Bild, ein Etwas, das sich nur in der Wahrnehmung mit dem äußeren Gegenstand völlig deckt, sich in der gedächtnismäßigen Erkenntnis aber deutlich als von ihm verschieden offenbart.

Die  species impressa  ist (als exterior) in ihrer repräsentativen Funktion aber auch dem  Vermögen  nach beschränkt. Das offenbart sich auf dem Gebiet der Sinnestäuschungen, dem klassischen Feld für alle Versuche, als das Objekt unserer Erkenntnis nur Bilder der Dinge, nicht die Dinge selbst zu erweisen. Auch hier kommen wir mit der bisherigen Darstellung der Theorie des SUAREZ ins Gedränge. Bisher mußten wir die Auslassungen des SUAREZ dahin verstehen, daß zumindest in der sinnlichen Wahrnehmung wegen der ausschließlich repräsentativen Funktion der  species impressa exterior,  die angeschaute Farbe mit einer äußeren Farbe, der gehörte Ton mit einem äußeren Ton immer und unter allen Umständen nicht nur gleich, sondern identisch ist. Allein auch hier kommt auf einmal der Einfluß in die Quere, den die  species impressa  auf die Wahrnehmung hat. Nur durch sie wirkt der äußere Gegenstand auf die sinnliche Potenz, nur soweit die  species impressa  geeignet ist, den Einfluß desselben genau, rein in sich aufzunehmen, stimmt die wahrgenommene mit der wirklichen Sinnesqualität überein, vermag sie, mehr als das, mit dieser identisch zu sein. Aber dürfen wir darauf vertrauen, daß die  species impressa  eine so unbedingt genaue, so unbedingt reine Überträgerin der Wirksamkeit des Objekts ist, wie das bisher immer vorausgesetzt wurde? Offenbar nicht.

Schon SUAREZ' Versuch, die mit der Entfernung wachsende Abnahme in der scheinbaren Größe der Gegenstände aus der Abnahme der repräsentativen Fähigkeit ihrer Spezies zu erklären, mußte in dieser Hinsicht irre machen. Noch mehr, im zehnten Kapitel unter dem Titel: "An sensus in cognitione sua falli possit" erfahren wir ganz allgemein, daß die Spezies (impressa) nicht immer das Objekt in genügender Weise repräsentiert;  vermöge einer solchen mangelhaften Spezies wird dann auch das Objekt nicht so erkannt, wie es in Wirklichkeit existiert,  und das sei der Grund der Sinnestäuschung. Jene fehlerhafte Beschaffenheit der  species impressa  wird teils auf die modifizierende Kraft des Mediums, teils auf eine Indisposition des Sinnesorgans zurückgeführt. Eine dritte Ursache sei die Lage und Entfernung des Objekts. Wenn z. B. der Hals der Taube in Farben schillert, die ihm in Wahrheit nicht zukommen, und die sich mit der Stellung des Beobachters ändern, so soll hier unter dem Einfluß der Stellungsänderung das Sinnesorgan die vom Hals der Taube herkommenden Species (impressae) modifizieren; dieselben repräsentieren infolgedessen nicht wie sonst die sie erzeugende farblose Helligkeit, sondern sind mit den von farbigem Licht ausgehenden Spezies (impressae) ähnlich. - In anderen Fällen verwandter Art muß geradezu angenommen werden, daß das, was nicht Ton, Wärme, Farbe ist, doch die Spezies von Tönen, Wärme, Farben hervorbringen kann. Die Sonne z. B. besitzt nach SUAREZ keine Wärme. Andererseits nehmen wir, den Sonnenstrahlen ausgesetzt, einen hohen Grad der Wärme wahr, der unsere Körpertemperatur erheblich übertrifft. Folglich muß, schließt der Autor, eine  virtus calefactiva  [Macht der Heizung - wp] der Sonne existieren, die im Tastorgan  species impressae  von derselben Art erzeugt, wie sie sonst von der Hitze einer Flamme hervorgebracht werden.

7. Nach dieser Auseinandersetzung scheint sich alle vermeintliche Erkenntnis der Gegenstände in eine Erkenntnis von Bildern aufzulösen. Das Subjekt nimmt Farben da wahr, wo keine sind, spürt Wärme, wo nichts existiert, von dem wirkliche Wärme ausgehen könnte. Man sieht nicht, wie da die Behauptung ausbleiben kann, daß die Welt der wirklichen und die Welt der wahrgenommenen Objekte auseinanderklafft. Wenigstens in den Fällen der Sinnestäuschung und ebenso in den Fällen der gedächtnismäßigen Wiedervergegenwärtigung der früher geschauten, jetzt (ohne unser Wissen) geänderten Gegenstände. Was aber in den Fällen der Sinnestäuschung und der Reproduktion mit besonderer Klarheit zutage tritt, hat, so sollte man meinen, in den übrigen Fällen unserer Erkenntnis gleichfalls Gültigkeit. Selbst da folglich, wo in der äußeren Wahrnehmung eine  species impressa  das sie aussendende äußere Objekt tadellos repräsentiert, sei es, so ist man versucht zu schließen, zwar ein mit diesem  völlig gleiches,  aber  nicht das nämliche  Objekt, das aufgrund des Zusammenwirkens der erkennenden Potenz mit der  species expressa  zur Wahrnehmung gelangt. Nicht auf den äußeren Gegenstand selbst, sondern streng genommen auf ein  Bild  von ihm ist  stets und überall  der Erkenntnisvorgang gerichtet. - Es bleibt einstweilen unentschieden, wie weit SUAREZ die eben angedeutete Argumentation mitmacht. Zunächst interessiert das dadurch sich ergebende neue Gesicht seiner Lehre als solches.

Die Thomisten hatten angenommen, daß in der Wahrnehmung die dem Organ in gegenwärtiger Wirklichkeit gegenüberstehenden, ihre Spezies ihm einprägenden Objekte als solche und unmittelbar erfaßt würden. Sie hatten eben deswegen geglaubt, dem Mangel eines solchen gegenwärtig wirklichen und wirkenden Objekts in der gedächtnismäßigen Erkenntnis dadurch abhelfen zu müssen, daß sie im letzteren Fall einen Stellvertreter, ein Bild des Objekts durch das Bewußtsein konstruiert sein ließen. - Diese Lehre behandelt, abgesehen von der bedenklichen Annäherung an die Objektivationstheorie, die wahrnehmende und die gedächtnismäßige Erkenntnis auf ungleichem Fuß. Bei SUAREZ finden wir, nach der letzten Auseinandersetzung, die innere Einheitlichkeit.  Weder  in der wahrnehmenden,  noch  in der gedächtnismäßigen Erkenntnis fällt, wie jene Auseinandersetzung verstanden werden kann, der angeschaute und der wirkliche Gegenstand zusammen;  nur der zweite existiert real, nicht ebenso der erste.  THOMAS hatte geirrt, für die Wahrnehmung die Identität der beiden zu behaupten, und THOMAS hätte ferner geirrt, dort, wo auch er die Erkenntnis durch Bilder sich vollziehen läßt, nämlich in der Erinnerung, jene Bilder des abwesenden Gegenstandes als Bewußtseinserzeugnisse zu denken. Beides berichtigt SUAREZ: Die der Erkenntnis stets, in jedem Fall, auch im Fall der Wahrnehmung vorschwebenden Bilder sind niemals Bewußtseinserzeugnisse, sie sind nie  im  Bewußtsein, sondern höchstens  für  das Bewußtsein da, sie existieren nicht materiell, sondern intentional, formell als die mir  nur objektiver Existenz begabten termini,  auf die unsere erkennenden Bewußtseinsbeschaffenheiten (= die subjektiven, in der Seele existierenen  termini,  nach einer seltenen Benennung der erkennenden Bewußtseinsvorgänge ihrer eigensten Natur nach gerichtet sind (22).

Das ist innere Einheitlichkeit, aber sie scheint um einen teuren Preis erkauft zu sein, die scholastische Wahrnehmungstheorie unter der Behandlung des SUAREZ das Ziel, bei dem sie glücklich fast angelangt schien, noch im letzten Augenblick verfehlt zu haben. - Die erste Mauer, die die Möglichkeit der unmittelbaren Erkenntnis bedroht, das Bedenken, daß durch die vom Objekt zum Subjekt geschickten intermediären Boten bewirkt werden könnte, daß zwar diese zu unserer Kenntnis gelangen, aber gerade nicht das Objekt, ist durch die Formel: "Cognoscimus non ipsam speciem impressam, sed per speciem" [Es wird nicht die sinnliche Erscheinung selbst erkannt, sondern durch sie. - wp] von unserem Scholastiker überwunden. Auch die zweite Mauer, aufgeführt von den Objektivationstheoretikern aus dem mit sich selbst operierenden Erkenntnisakt, der sich mit Idolen, d. h. aus seinem eigenen Stoff geschaffenen Objekten umgibt, ist durch seine klare, knappe Analyse zunichte geworden. Nun erhebt sich plötzlich drohender und gefährlicher eine dritte Mauer: Stets und immer erscheint unsere Erkenntnis durch Bilder begrenzt, die nur ab und zu in der Sinnestäuschung, in der gedächtnismäßigen Wiedervergegenwärtigung abwesender oder gestörter (oder in der Ausdenkung neuer) Gegenstände sich  als  Bilder erweisen lassen, aber uns darum nicht minder hartnäckig, nicht minder beständig auch in allen Fällen der  Wahrnehmung  umgaukeln. Die Gefahr, die von den  eidola  des DEMOKRIT und EPIKUR drohte, war verhältnismäßig 
gering, nur die Erkenntnis der  ferneren  Gegenstände wurde dadurch in Frage gestellt. Jene  eidola  der Griechen waren aber doch zumindest aus Fleisch und Blut, sie waren Atomkomplexe in unserem Gehirn, unserem Sinnesorgan; die Farben, die an ihnen gesehen wurden, waren wirkliche Farben, die Töne, mit denen sie das Gehört bekannt machten, wirkliche Töne an ihnen, in ihnen selber (23); ihre eigene Substanz eine wirkliche körperliche Substanz. Die Bilder dagegen, die jetzt, nicht als Bewußtseinsprodukte, sondern als die natürlichen  termini  der Erkenntnisakte sich vor das Bewußtsein aufpflanzen, bedrohen schon nicht mehr die Möglichkeit der Erkennenis ferner Gegenstände, nein, sie bedrohen die Möglichkeit einer Erkenntnis des  Seienden des Existierenden überhaupt. Sie sind immer die gewußten, erscheinenden, niemals die seienden. Umgekehrt:  das Seiende ist niemals gewußt;  denn das Seiende ist, wie die Fälle der Sinnestäuschung des auf Verändertes sich richtenden Gedächtnisses bezeugen, verschieden von diesen Bildern und wird durch die letzteren eben deshalb dem Blick entzogen.

8. Die eben aufgedeckte Schwierigkeit stellt sich nur dann ein, sobald eine strenge Konsequenz gemacht und angenommen wird, daß für die von normalen  species impressae  informierten Wahrnehmungsvorgänge dasselbe gilt, wie für jene Fälle, wo die Mutation durch nicht korrekt repräsentierende Spezies geschieht: daß nämlich auch die normale Spezies den Sinnen anschaulich gemachten Qualitäten ein bloßes  esse apparens  [scheinbares Sein - wp] besitzen, verschieden vom  realen  Sein der im übrigen vielleicht völlig gleichen äußeren Qualitäten. Ob das SUAREZ' Meinung tatsächlich gewesen ist, läßt sich nicht entscheiden; die von ihm gegenüber den Thomisten stark betonte Gleichartigkeit der gedächtnismäßigen Vorgänge mit der äußeren Wahrnehmung spricht für eine derartige Ansicht, der Mangel ausdrücklicher, diesbezüglicher Erklärungen spricht dagegen. - Indessen dürfen wir uns die gedachte Entscheidung sparen. Es gibt bei unserem Autor eine Theorie, die ihn vom Standpunkt der mittelalterlichen Erkenntnistheorie in allen Fällen gegen den obigen Einwand schützt, auch dann, wenn er die Lehre von der durchgehenden Bildererkenntnis in der sinnlichen Wahrnehmung wirklich gehabt haben sollte.

Wir müssen hier noch einmal einen Blick auf die Eigenheiten des naiv-realistischen Standpunktes werfen. Als haptisch wurde von uns früher die Ansicht der Laien bezeichnet. Die Wirklichkeit gilt hier noch als unmittelbar durch das Bewußtsein faßbar, der Gegenstand der Wahrnehmung nicht als die nur erscheinende Kopie des äußeren Originals, sondern als das wirkliche, leibhaftige Original selbst. Genauer muß man nun aber sagen, daß die Hapsis des naiven Realisten eine doppelte ist, eine sinnliche und eine geistige. Sie ist eine sinnliche: er glaubt direkt die den Dingen anhaftenden Farben, direkt die von ihm herkommenden Töne zu ergreifen. Sie ist eine geistige: er glaubt mit den Farben der Rose die Rose selbst zu sehen, mit dem Ton eines Vogels den Vogel selbst zu hören. Nicht allein der Akzendentien [Merkmalen - wp], sondern auch der Substanz hinter diesen Akzidenzien glaubt er sich unmittelbar versichert. - Auch die Theorie des SUAREZ über die Wahrnehmung und besonders über die Sinnestäuschungen wird erst dann vollständig, wenn wir seine Ansicht über die Erkenntnis der Substanz hinzunehmen.

9. Unter dem Titel "Quo pacto intellectus noster cognoscat substantiam materialem" heißt es sim vierten Buch unter Kapitel IV: Zwischen der Sinnenauffassung und der intellektuellen Erkenntnis besteht ein großer Unterschied. Jene bleibt bei der Wahrnehmung bloßer Akzidentien stehen. Der Intellekt dagegen dringt über die Erkenntnis der Akzidentien hinaus zur Erfassung dessen vor, was hinter jenen, als ihr verborgener Grund liegt. Hier wird die körperliche Substanz als ein Erkenntnisobjekt des  Verstandes  geschildert. - Dem scheint die anderwärts von SUAREZ durchgeführte Einteilung der  sensibilia  in drei Gruppen,  sensibilia propria, communia  und  per accidens,  zu widersprechen: Die  Sensibilia propria  [eigener Sinn - wp] sollen die spezifischen Qualitäten je eines unserer äußeren Sinne, des Tast-, Gesichts-, Gehörsinns etc. Dieselben bilden die eigentlichen Objekte der äußeren, sinnlichen Wahrnehmung, d. h. sie seien dadurch charakterisiert, daß sie eigene und besondere Spezies in unsere Organe schicken (S VIII). Von ihnen seien einerseits die  sensibilia communia  zu unterscheiden (S VIII), die uns nicht weiter interessieren, andererseits die  sensibilia per accidens,  als deren vorzüglichstes Beispiel die körperliche Substanz genannt wird. Die weiße Farbe kann nämlich den Sinn nicht getrennt mutieren, sondern nur  insofern sie an einer Substanz haftet  (virtute formae substantionalis, wie THOMAS den gleichen Gedanken ausdrückt). Die körperliche Substanz wird eben deshalb  per accidens  wahrgenommen, d. h. kraft des Halts, den sie der Weiße gewährt, so daß nicht bloß Weiße, sondern etwas Weißes gesehen, nicht bloß Süßigkeit, sondern etwas Süßes geschmeckt wird (S VIII). Danach scheint es, als würde die körperliche Substanz von den  Sinnen  wahrgenommen.

Wir haben zunächst den Widerstreit der beiden Aussagen zu lösen, der einen, daß der  Intellekt  die Substanz erkennt und der anderen, daß sie ein  per accidens sensibile  sind. Hierzu muß bemerkt werden, daß nach SUAREZ mit der Erkenntnis der Substanz durch den Intellekt eine allmähliche Entwicklung stattfinden soll. Dieselbe ist nicht ohne weiteres klar und deutlich. Vielmehhr fällt die erste und ursprüngliche, mit der Sinneswahrnehmung der Qualitäten sich verbindende geistige Erfassung der Substanz noch unklar und verworren aus. Das hängt mit den Eigentümlichkeiten der Informierung des Intellekts zusammen. Derselbe muß, um aktuell zu erkennen, wie alle erkennenden Potenzen, vorher durch eine Spezies, in diesem Fall eine  species intelligibilis,  informiert sein. Zur Erzeugung solcher  species intelligibilis  kommt es nun aber nicht ohne Mitwirkung der sinnlichen Potenzen, speziell der Phantasie. Dadurch, daß die Phantasie tätig ist, entsteht von selbst im Intellekt gleichfalls eine Spezies. Die letztere trägt dabei den Anlaß ihrer Entstehung noch gleichsam an sich. Sie repräsentiert das materielle Ding nicht anders, als es der Phantasie vorschwebt, d. h. sie bezieht sich direkt auf die Akzidentien und repräsentiert die Substanz nur  per accidens,  ist aber  keine species propria der letzteren.  - Hiernach ist die Bezeichnung der Substanz als eines  sensibile per accidens  nur im uneigentlichen Sinn zu verstehen. Nicht das soll damit gesagt werden, daß die Substanz sinnlich wahrnehmbar ist, sondern daß der  Intellekt  bei seiner erstmaligen (primo) Auffassung der Substanz eine  species proria  derselben noch nicht besitzt, sonzusagen noch auf die Qualitätenbilder angewiesen ist, die den sinnlichen Potenzen vorschweben.

Die Folge dieses vorläufigen Mangels einer  species propria  der Substanz im  intellectus possibilis,  ihrer Repräsentation durch ein noch mangelhafte  species intelligibilis  (die infolge ihrer Gebundenheit an das Phantasma, so wie dieses selber, tantum repraesentat rem secundum accidentia per se sensibilia [nur eine Repräsentation sekundärer Merkmale durch die Sinne - wp]) ist, daß die  erste, an die Sinneswahrnehmung anschließende Erkenntnis der Substanz seitens des Intellekts nur eine verworrene und unvollkommene ist.  Zu einer deutlichen Erkenntnis der Substanz kommt es erst später, aber dieselbe ist keine  unmittelbare  mehr, wie jene erste Erkenntnis, sondern  diskursiv.  Durch die diskursive Tätigkeit des Denkens soll im Laufe der Zeit im intellectus possibilis eine  species propria  der Substanz, die unentbehrliche Vorbedingung für die distinkte Auffassung der letzteren, entstehen. Die dieser  species propria  [eigenen Spezies - wp] zu verdankende klare und deutliche Erkenntnis ist als eine reflexe von jener ersten, mit der Sinneswahrnehmung sich verbindenden, dafür verworrenen und unvollkommenen Auffassung der Substanz wohl zu unterscheiden.

10. Nach dieser Lehre ist die erste, an die Sinneswahrnehmung sich anschließende geistige Erkenntnis der Substanz eine haptische. Die körperliche Substanz als ein  per accidens sensibile  schickt zwar keine eigenen  species impressae  von sich aus, ist aber mit den äußeren Qualitäten so eng verbunden, daß deren species impressae genügen, nicht nur die (sinnliche) Wahrnehmung des Sinnesqualitäten, sondern eine (intellektuelle) Miterkenntnis auch der körperlichen Substanz zu veranlassen. Wir nehmen infolgedessen nicht bloß das Weiß, sondern etwas Weißes, nicht Süßigkeit, sondern etwas Süßes wahr.

Berücksichtigt man dieses eigentümliche Zusammenwirken der sinnlichen und geistigen Potenzen, so fällt zunächst auf die oben geschilderten Auslassungen des SUAREZ über die Sinnestäuschungen neues Licht. - Der Sinn mit seiner bildlichen Erkenntnis mag täuschen, er mag uns Wärme vorspiegeln, wo keine Wärme ist, eine andere Farbe erscheinen lassen, als das äußere Ding in Wirklichkeit hat: Das hindert den Intellekt nicht, sozusagen durch die wahren und falschen Qualitäten hindurch, das äußere Ding in seinem unbildlichen Wesen selbst zu spüren, zu fassen, zu umspannen. Immer erscheint uns unter diesen Umständen in der Sinneswahrnehmung das wirkliche Ding, es selbst, nicht seine Kopie. Es erscheint vielleicht mit anderen  Eigenschaften  als denen, die es in Wahrheit hat, aber über seine wirkliche  Gegenwart  werden wir nie getäuscht. Die Unvollkommenheit der  species impressa  reicht, wo sie vorhanden ist, nur so weit, daß sie das  Accidens,  dem die  forma substantialis  die Kraft, Spezies auszusenden, allererst erteilt, in fehlerhafter Weise repräsentiert. Das Accidens verhältnis  als solches, die Zugehörigkeit der aussendenden Qualität zu diesem und keinem anderen Ding, wird von jenen Mängeln nicht mitbetroffen. - Insofern nennt SUAREZ die Spezies gelegentlich  vestigia quaedam objecti  [Spuren des Objekts - wp] (S IX), oder er spricht von einer Relucenz [Reflexion - wp] des Dings in der Spezies.

Durch die hier gezeichnete Auffassung wird ein neuer Unterschied der scholastischen Ansicht gegen die Vermittlungstheorie des griechischen Atomisten EPIKUR bestimmt. - Es handelt sich um die Frage, ob die Sinne uns manchmal etwas Unwirkliches vorspiegeln. EPIKUR antwortet verneinend: Die Sinne spiegeln uns nach ihm deshalb  niemals  etwas Unwirkliches vor, weil das Objekt, auf das sie sich, genau betrachtet, richten, in unserem Organ, in unserem Gehirn steckt und nicht hindert, daß ihm dort die Eigenschaften, die wir erblicken, in Wahrheit zukommen (vgl. die Bekämpfung bei THOMAS von AQUIN, Summa theol. I, q 85 art. 2, c) - Anders auf dem Boden der scholastischen Theorie. Hier kann sehr wohl gesagt werden und muß gesagt werden, daß die Wahrnehmung uns  manchmal  etwas Unwirkliches vorspiegelt, dann, wenn wir durch das Zeugnis der Sinne veranlaßt werden, das durch den Intellekt erfaßte Objekt mit einer Qualität ausgestattet zu denken, die ihm in Wahrheit nicht zukommt, z. B. wenn wir dem Taubenhals schillernde Farben, der Sonne Wärme zuschreiben. - Die Scholastik hat dafür einen eigenen Ausdruck geprägt. Sie sprach im genannten Fall von einer "materiellen Falschheit" (SUAREZ, Disp. Metaph., Art. 9, Sektio 2, Nr. 4) der Erkenntnisvorgänge, die darin besteht, daß sie uns etwas zur Anschauung bringen, was in der Sache, die in den zugehörigen Spezies reflektiert, keinen posisitiven Bestand hat, oder wie es DESCARTES paradox ausdrückt, indem er sich auf SUAREZ beruft: "Materiell falsch sind diejenigen Ideen (Erkenntnisvorgänge), die sich auf andere Sachen beziehen, als auf jene, von denen sie in Wahrheit die Ideen sind" (Resp. quartae, Seite 128; Cous. II, Seite 57).

11. Was soeben von den Fällen der Sinnestäuschung gesagt wurde, läßt sich in gewissem Sinne auf die Erkenntnis abwesender Gegenstände übertragen. Auch hier vollzieht der Geist, wenn der durch die  species impressae interiores  informierten Phantasie Qualitätenbilder von Farben, Tönen usw. vorschweben, eine intellektuelle Hapsis. SUAREZ versteht unter  idolum  nicht wie THOMAS ein von der Phantasie selbst gemachtes Objekt, sondern jene Qualitätenbilder, auf deren Anschauung sie durch die Kraft der informierenden Spezies von Natur aus gerichtet wird. Die intellektuell Hapsis, die in diesem Fall vor sich geht, scheint kausaler Art zu sein, die Ursache in der Wirkung erfassen zu sollen, während in den vorhin beschriebenen Fällen das Ding hinter den Eigenschaften Objekt der haptischen Erkenntnis war. [...] Es bleibt nur die Bedeutung übrig, daß der Geist den der Phantasie vorschwebenden Qualitätenbildern ihre äußere Bedingtheit unmittelbar und ohne Schluß ansieht, in ihnen ohne weiteres die  Transzendenz  der Ursache ihres Vorhandenseins ergreift, an ihnen gleichsam die Spur der wirklichen oder wirklich gewesenen Dinge mit unmittelbarer Evidenz erfaßt.

Mit unmittelbarer Evidenz.  DESCARTES hat es zwar versucht, den scholastischen Gedanken der kausalen Hapsis in Form eines Schlusses auszudrücken:
    "Ein weiterer klarer Begriff ist, daß alle Vollkommenheit, die objektiv in den Ideen ist, formell in ihren Ursachen sein muß, und auf diesem Satz (prima notio) beruth alles (eben darum schlußmäßige) Wissen, das wir je von der Existenz äußerer Dinge gehabt haben."
Allein trotz der schlußweisen Formulierung bei DESCARTES bleibt doch, im Sinne der Scholastik, der haptische Charakter jenes Wissens von der äußeren Ursache durch die Anlage der Speziestheorie verbürgt. Wenn, wie man heute vielfach behauptet, die Erfahrungen unseres Willenslebens uns der Existenz einer Außenwelt versichern, so wäre das ein schlußweises Erkennen. In diesem Fall muß die angeschaute Sinnesqualität erst den Einflüssen unseres Willens sich entzogen zeigen, um für die Vermutung eines unbekannten äußeren Ursprungs Raum zu geben. In der genannten scholastischen Lehre dagegen genügt das bloße Auftreten der Qualitätenbilder in der Phantasie, um den Geist zu veranlassen, das Ding, worauf in letzter Linie der Spezies, durch die Spezies aber auch sie selber innerlich bezogen sind, was sie repräsentieren, gleichsam von den Qualitätenbildern abzulesen.

12. Die Wahrnehmungstheorie des SUAREZ liegt uns jetzt vollständig vor, ergänzt und bereichert durch die Schilderung des Hineinspielens intellektueller Prozesse in die Aktionen der sinnlichen Potenzen. - Blicken wir nun noch einmal auf den Einwurf zurück, der die Theorie bedrohte, um zu prüfen, wie weit sie denselben pariert hat.

Jener Einwurf bestand darin, daß SUAREZ durch die Wendung, die seine Darstellung speziell in der Lehre von den Sinnestäuschungen und der Wiedervergegenwärtigung früher geschauter Gegenstände genommen hatte, alle unsere Erkenntnis in eine Erkenntnis von Bildern auflöst, daß sich diese Bilder zwischen das Subjekt und die Welt des Realen, Existierenden wie eine undurchdringliche Mauer einschieben. Dieser Vorwurf hat nur insofern Recht, als sich in der Tat ganz unvermutet in die Erkenntnislehre des SUAREZ sich ein gewisses Operieren mit Bildern eingeschlichen hat. Das Ende der Lehre entspricht hier nicht ihrem Anfang. Im Anfang hörten wir, daß die  species impressa  sozusagen sich selbst verleugnet und ausschließlich der Aufgabe dient, den Erkenntnisvorgang auf das sie entsendende äußere Objekt zu richten. Hier ist noch alles in Ordnung; das Objekt, auf das die von der Spezies informierte, imprägnierte Erkenntnis sich als auf ihren natürlichen Terminus hinwendet, erscheint mit dem äußeren realen Objekt einerlei, identisch. Nachher aber heißt es, daß einerseits die  species impressa  die richtige Repräsentation des sie entsendenden Gegenstands nicht immer trifft, daß sie den verändernden Einflüssen von tausend zufälligen Umständen preisgegeben ist, und daß andererseits der Erkenntnisvorgang immer genau so ausfällt, wie er durch die Spezies informiert wird. Kann auch da das Objekt (die Farbe, der Ton),  von dem die species impressa macht, daß es den Sinnen vorschwebt,  noch als identisch mit dem Objekt (der Farbe, dem Ton) bezeichnet werden,  von dem die Spezies ausging?  Offenbar nicht. Die Farbe, von der die Spezies ausging, ist etwa das Metallgrau am Hals der Taube, die Farbe, die sie der erkennenden Potenz zeigt, ein bunter, mannigfach erglänzender Schiller. Nur die eine kann real sein, die andere ist außer dem, daß sie Erkenntnisobjekt ist, nichts, ein leeres Bild. Wenn aber in diesem Fall, so verwandeln sich konsequenterweise in allen Fällen die den  Sinnen  vorschwebenden Objekte in bloße Qualitäten bilder  und hören auf,  wirkliche  Qualitäten zu sein. Von der haptischen Erkenntnisansicht des naiven Realisten ist die eine Hälfte, die Annahme einer sinnlichen Hapsis, unweigerlich verloren gegangen.

Aber die andere Hälfte ist geblieben. Die Lehre des SUAREZ hängt mit der Ansicht des naiven Realismus noch zusammen durch die Annahme einer  intellektuellen  Hapsis, und diese wird das Mittel, um die durch den oben gedachten Einwurf drohende Ungleichung  cognosci = non esse  [Erkennen ist nicht Sein. - wp] abzuwehren (24). Jene Annahme einer zweifachen intellektuellen Hapsis, die der Substanz hinter den Qualitäten, die der Ursache hinter der Wirkung, führte zu der Vorstellung, daß der Geist die durch die Sinne wahrgenommenen Qualitäten in ein ihm wesenhaft bewußtes äußeres Objekt doch wieder  hineinsieht,  ja, sie erzeugt sogar die eigentümliche Ansicht, daß in manchen Fällen von Sinnestäuschungen ein wirkliches Ding mit unwirklichen Eigenschaften das Objekt unserer vereinigten geistig-sinnlichen Erkenntnis ist.
LITERATUR: Hermann Schwarz - Die Umwälzung der Wahrnehmungshypothesen durch die mechanische Methode, Leipzig 1895
    Anmerkungen
    19) Wie die "Aufbewahrung" der  species sensibilis  im Gedächtnis zu denken ist, darüber gibt die Summa theologica I, q 79 art. 6, e Aufschluß, wo von der ganz ähnlichen Aufbewahrung der  species intelligibilis im intellectus possibilis  die Rede ist. Die Potenz, so erfahren wir, wird, nachdem sie aktuell erkennend gewesen ist, habituell erkennend.
    20) Nach der Definition von UPHUES, Psychologie des Erkennens, Seite 101, der diese Anschauung mit Recht bekämpft.
    21) Dieser Fehler ist von UPHUES vorzüglich klargelegt in der "Psychologie des Erkennens" (Seite 123 und 227) und ganz besonders in der kurzen, aber inhaltsschweren Abhandlung (Neue Pädagogische Zeitung, Nr. 31, 1894): "Über die Existenz der Außenwelt" (Seite 11). Einen anderen Grundfehler derselben Theorie deckt ebenso klar und schlagend TWARDOWSKI, "Zur Lehre von Inhalt und Gegenstand der Vorstellungen" auf, wenn er, besonders unter § 6 und § 8, darauf hinweist, daß die stets bewußtseinsartigen Teile des Vorstellungsinhaltes (vergleichbar den Farben, die eine Landschaft bedeuten, aber keine Landschaft sind, Seite 16f) mit jenen des Vorstellungsgegenstandes (vergleichbar mit der wirklichen Landschaft, die durch jene Farben dargestellt wird, a. a. O.) nicht verwechselt werden dürfen.
    22) Ich werde, um das "objektive" Existierende der Scholastik von dem zu unterscheiden, was wir "in objektiver Wirklichkeit existierend" nennen, dem Wort "objektiv" im scholastischen Sinn (= bloßer Vorstellungsgegenstand) den ständigen Zusatz "nur" geben.
    23) Zumindest nach der Auffassung EPIKURs.
    24) Das Seiende könne  niemals  zum erkannten Seienden werden, ein Satz, dem das andere Extrem,  cognosci = esse,  das Wesen des Seienden  gehe auf  im Erkanntwerden, als die entgegengesetzte Ausprägung derselben falschen Grundansicht gegenübersteht.